Rückenmarksnahe Regionalanästhesie und

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Rückenmarksnahe Regionalanästhesie und Sedierung
Eine große Zahl von Operationen an Körperstellen unterhalb des Rippenbogens kann durch
rückenmarksnahe Anästhesieverfahren ermöglicht werden (Spinalanästhesie,
Epiduralanästhesie, kombinierte Spinal/Epiduralanästhesie).
Häufig ist es erwünscht, dass zusätzlich eine Sedoanalgesie verabreicht wird (siehe Tab.3).
Zu 80% aller Spinalanästhesien werden zusätzlich Sedativa verabreicht (31).
Supraspinale Effekte von rückenmarksnahen Anästhesieverfahren: in mehreren Studien
konnte beobachtet werden, dass Patienten nach Spinalanästhesien schläfrig waren, obwohl sie
kein Sedativum erhalten hatten (17,43) bzw. dass sich der Bedarf an Narkotika unter
Epiduralanästhesie (18) oder Sedativa unter Spinalanästhesie (44) messbar reduziert hat.
Als zugrunde liegende Mechanismen wurde die rostrale Ausbreitung des Lokalanästhetikums
diskutiert. Wahrscheinlicher dürfte jedoch die herabgesetzte Aktivität des aszendierenden
retikulären Systems durch einen verminderten afferenten Input sein (17,43). Es dürfte also
durch eine Reduktion des Zustroms somatosensorischer Afferenzen durch die
Spinalanästhesie zu einer partiellen Deafferenzierung kommen (43). Die integrative Leistung
des Wachbewusstseins wird vom Zustrom afferenter Stimuli beeinflusst. Die Intensität des
sedierenden Effekts ist abhängig vom sensorischen Niveau, d.h. je weiter kranial die
Ausdehnung reicht, desto mehr Sedierungseffekt wird resultieren (19,44). Ein assoziierte
Blutdruckabfall dürfte auch eine Rolle spielen, eine Sedierung durch Spinalanästhesie tritt
jedoch auch dann auf, wenn der Blutdruck durch Ephedrin konstant gehalten wird (43).
Zeitlich findet sich bei Spinalanästhesie ein zweigipfeliger Sedierungsverlauf: der erste
maximale Effekt wird 30 Minuten nach Injektion des Lokalanästhetikums erreicht, der zweite
nach ca. 60 Minuten (17). Die klinische Relevanz dieser Befunde ist der verminderte Bedarf
an Sedativa während rückenmarksnaher Anästhesietechniken (20,43,44). Häufig werden zu
den rückenmarksnahe wirksamen Lokalanästhetika Additiva (Opioide, Clonidin, S-+Ketamin etc.) mit der Zielsetzung zugesetzt, die Erfolgsrate zu erhöhen, den Effekt zu
verstärken oder zu verlängern (20). Es muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen
werden, dass alle diese Additiva eine sedierende Wirkung haben. In den Intrathekalraum
injizierte Opioide können nach rostral aufsteigen und zu einer Atemdepression führen.
Sufentanil ist sehr lipophil, wird daher eher an der Stelle der Injektion gebunden und hat eine
geringere Tendenz atemdepressiv zu wirken als das hydrophile Morphin, dessen Ausbreitung
über mehrere Segmente unter manchen Bedingungen erwünscht ist (z.B. Schmerztherapie bei
Serienrippenfrakturen). Werden Opioide zugesetzt, so muss der Patient vom Zeitpunkt der
(letzten) Injektion gerechnet weitere 12 Stunden überwacht werden (v.a. Atemfrequenz). Die
Absorption der Opioide und ihre systemische supraspinale Wirkung dürfte nach der
derzeitigen Datenlage der Hauptfaktor für ihre Effekte sein (20).
Asystolie und signifikante Bradykardien während rückenmarksnaher
Regionalanästhesie-Verfahren: Einfluss der Sedierung. Exzessive Sedierung kann zu
Hypoxie und Hyperkapnie führen, vor allem beim älteren Menschen. Das ungetrübte
Bewusstsein ist das beste Neuromonitoring. Veränderungen der Bewusstseinslage, Übelkeit
und Erbrechen sind häufige Frühsignale eines kompromittierten Kreislaufs. Wird ein Patient
während einer effektiven Spinal- oder Epiduralanästhesie unruhig oder geht gar der
kommunikative Kontakt verloren, so ist unverzüglich nach zugrundeliegenden Ursachen zu
fahnden (Hypotension, Pulmonalembolie, Hypoventilation etc. siehe auch Seite ). Liguori et
al. (30) sagen aus, dass ein erhaltenes Wachbewusstsein die Wahrscheinlichkeit für
Bradykardien oder Asystolien erhöht, während Liu (20) in seiner Übersichtsarbeit 2 Faktoren
angibt, welche ursächlich mit dem Auftreten einer Asystolie verknüpft seien :A) die
verzögerte Anwendung eines Vasopressors bei Hypotension und B) eine zusätzliche
Sedierung. Die Verwirrung der Aussagen wird durch Pollard (31) vervollständigt, der nach
Durchsicht aller relevanten Arbeiten zu dem Schluss kommt, dass keine prospektive Studie
eine Assoziation zwischen Asystolie und Sedierung nachweisen kann.
Tabelle 9: Wahrscheinlichkeit von Asystolie und ausgeprägter Bradykardien (nach Pollard, 31)
Technik
Asystolie
ausgeprägte Bradykardie (HF 20-40)
Spinalanästhesie:
Epiduralanästhesie:
noncardiac surgery∗
0,07% - 0,15%
0,01%
0,03%
0,15%
Spinalanästhesie ist mit einem höheren Risiko für Asystolie assoziiert, die Mortalität einer
Asystolie bei Spinalanästhesie ist dramatisch hoch ( > 40 %). Häufig sind jüngere Patienten
bei kleineren Eingriffen betroffen, daher wird angenommen, dass diese Komplikation
vermeidbar ist (32). Hypoxie dürfte kein prädisponierender Faktor sein, da die meisten
Asystolien in Spinalanästhesie bei einer Sauerstoffsättigung von 95-100% auftreten (31).
Die kausalen pathophysiologischen Faktoren sind ein präexistent erhöhter Vagotonus und die
zentrale Inhibition sympathischer Efferenzen durch die Spinalanästhesie (vor allem bei einem
sensorischen Niveau über Th6), die zu einem vermindertem venösen Rückstrom aus der
Peripherie führen. Pollard (31) führt folgende Risikofaktoren an:
Tabelle 10: Risikofaktoren für eine moderate Bradykardie (HF < 50) während Spinalanästhesie (nach 31)
Herzfrequenz in Ruhe < 60
verlängerte QT-Intervall
EKG !
Betablockertherapie
Alter < 50
ASA I
sensorisches Blockadeniveau über Th6
Alle Arbeiten über die erfolgreiche Therapie signifikanter Bradykardien oder von Asystolien
während Spinalanästhesie (40-42) hatten Atropin in ihrem Therapie-Algorithmus. Es wird
empfohlen, bei einer Kammerfrequenz < 60/min Atropin (0,4-0,6mg) zu verabreichen,
Glykopyrrolat bleibt ohne Effekt (31). Brown et al. (40) empfehlen die Stufentherapie
bestehend aus Atropin (0,4-0,6mg), gefolgt von Ephedrin (25-50mg) und Adrenalin (0,20,3mg), wenn sich unter Spinalanästhesie eine Bradykardie entwickelt.
Schlussfolgerung und Konsequenz für die Praxis: Die Beachtung der Risikofaktoren hilft,
Patienten mit prädominantem Vagotonus zu identifizieren (erhöhtes Risiko für signifikante
Bradykardie und Asystolie in Spinalanästhesie). Wenn auch die Angaben aus der Literatur
uneinheitlich sind, ist bei Spinalanästhesien mit sedoanalgetisch wirksamen Medikamenten,
die den Vagotonus erhöhen oder die sympathikolytisch wirken, besonders sorgsam
umzugehen (Opioide, Propofol, Clonidin, Dexmedetomidin). Die Behandlung der Vagotonie
erfolgt mit Atropin. ♥
Atmosphärische Effekte: rückenmarksnahe Verfahren werden häufig für Eingriffe längerer
Dauer angewandt. Für die Patienten sind das lange Ausharren, die Exposition an Stimuli
hoher Intensität (helles Licht, Lärm durch Geräte) und das Miterleben eines traumatisierenden
Eingriffs am eigenen Körper (z.B. Gelenksprothetik) belastend. Die Wahrnehmungen bei
wirksamer Regionalanästhesie können befremdlich und beunruhigend sein. Manche Patienten
∗
alle Eingriffe außerhalb des Herzens ohne Berücksichtigung der Anästhesietechnik
Der Algorithmus des ILCOR zur Behandlung der Asystolie beinhaltet seit 2000 eine hochdosierte Atropingabe
(1mg = 2 Ampullen, bis zu einem Maximum von 0,04mg/kg) (35)
♥
haben das Gefühl, ab dem Nabel „aufzuhören“, andere erleben bizarre Lageempfindungen der
anästhesierten Körperteile (ein Bein kann als schwebend empfunden werden und das andere
im Knie gebeugt, obwohl beide gestreckt auf dem OP-Tisch liegen).
Jede Operation hat Phasen, in denen der Ablauf nicht so reibungslos geschieht wie
erwünscht, auch dieser Umstand kann einen Patienten beunruhigen. Die Stimmung im
Operationssaal, die Ruhe und Professionalität des Teams wird für den Patienten in erster Linie
nonverbal erfahrbar. Am Beginn längerer Prozeduren sollte man es dem Patienten so bequem
wie möglich einrichten, viele Lagerungsmanöver können bei laufender Operation nicht mehr
durchgeführt werden. Wenn es der Patient wünscht, kann er Musik über nicht okkludierende
Kopfhörer hören. Die Musik muss - um dem Patienten zu nützen zu können- seinem
Musikgeschmack und nicht dem einer anderen Person entsprechen. Musik ist ein effektives
Sedativum. Es ist gesichert, dass durch Musik während Spinalanästhesie Sedativa eingespart
werden können (21). Daneben sollte der Umgebungslärm so weit wie möglich reduziert
werden, davon profitiert auch der Operateur – und damit indirekt der Patient.
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