Neues bei paraneoplastischen Syndromen in der Neurologie

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Neues in der Neurologie
Neues bei paraneoplastischen Syndromen in der
Neurologie
New Developments in Paraneoplastic Neurological Diseases
Autoren
Institute
Schlüsselwörter
▶ Paraneoplastische Syndrome
●
▶ Enzephalitis
●
▶ Tumor
●
Keywords
▶ paraneoplastic diseases
●
▶ encephalitis
●
▶ tumours
●
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0032-1304305
Online-Publikation: 22.2.2012
Akt Neurol 2012; 39: 60–73
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
ISSN 0302-4350
Korrespondenzadresse
Dr. Frank Leypoldt
Klinik und Poliklinik für
Neurologie
Universitätsklinik
Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg
[email protected]
F. Leypoldt1, K.-P. Wandinger2,3, R. Voltz4
1
Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf
Institut für Neuroimmunologie und klinische Multiple Sklerose Forschung (INIMS), Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf
3
Institut für Experimentelle Immunologie, Euroimmun, Lübeck
4
Klinik für Palliativmedizin, Universität Köln
2
Zusammenfassung
Abstract
▼
▼
In nur wenigen Jahren hat sich das Spektrum und
damit das Wissen um paraneoplastische Syndrome in der Neurologie deutlich erweitert. Insbesondere hat die Beschreibung neuer fakultativ
paraneoplastischer Subgruppen von Enzephalitiden mit gutem Ansprechen auf immunmodulatorische Therapien das klinische und wissenschaftliche Interesse verstärkt. Das Erkennen dieser
Subgruppen mittels neuartiger Autoantikörper
hat unmittelbare therapeutische Konsequenzen.
Die fundierte Kenntnis paraneoplastischer Syndrome in der Neurologie ist daher äußerst wichtig für den Kliniker. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse beleuchten interessante Aspekte der
Pathophysiologie paraneoplastischer Prozesse,
ihrer möglichen Reversibilität und Initiierung.
Neue Registerdaten helfen die Epidemiologie paraneoplastischer neurologischer Syndrome besser einzuschätzen. Der zunehmende Einsatz von
„Biologika“ in der Neurologie eröffnet zukünftig
neue Therapiechancen. Allerdings führt die mittlerweile entstandene Fülle an neuen Syndromen
und Autoantikörpern auch vielfach zu Verwirrung und Unsicherheit. Diese Übersichtsarbeit
fasst daher neue und wichtige ältere Aspekte paraneoplastischer neurologischer Syndrome, ihrer
Klassifikation, Pathophysiologie und Behandlung
zusammen.
Recent years have witnessed a growing awareness of new aspects of paraneoplastic processes in neurological diseases. The discovery of
new subgroups of paraneoplastic encephalitis
syndromes with remarkably good response to
immune therapy has spawned renewed clinical
and scientific interest. Knowledge of these subgroups and associated autoantibodies is of direct
therapeutic consequence and thus of the utmost
importance for clinicians. New scientific insights
into these syndromes shed light on issues concerning their reversibility, initiation and on paraneoplastic processes in general. Recently published data from a large European registry offer
new information on epidemiology. Furthermore,
the increasing utility of monoclonal antibodies
in neurology is likely to offer new therapeutic
avenues for the future. Nevertheless, the abundance of new autoantibodies and syndromes
leads to confusion and uncertainty. This review
article summarises new and important well-established aspects of paraneoplastic neurological
syndromes, their new classification, pathophysiology and treatment.
Grundlagen
tralen über das periphere Nervensystem, die neuromuskuläre Endplatte bis zum Muskel betroffen
sein. Einige klinische Syndrome sind jedoch sehr
spezifisch für das Vorliegen einer paraneoplastischen Genese („klassische“ paraneoplastische,
▶ Tab. 1). Sie werden
neurologische Syndrome: ●
in sichere und mögliche paraneoplastische neu▶ Abb. 1), [1].
rologische Syndrome eingeteilt (●
Ein wichtiger Stellenwert kommt dabei unverändert den paraneoplastischen Antikörpern zu. Seit
der Erstbeschreibung des Hu-Antikörpers 1985
▼
Per Definition sind alle nicht-kompressiven,
nicht-infiltrativen, nicht-metastatischen, nichtmetabolischen, nicht-infektiösen und nicht-therapieassoziierten Komplikationen eines Tumors
paraneoplastische Syndrome. Üblicherweise werden allerdings nur tumorferne, immunvermittelte Erkrankungen des Nervensystems als paraneoplastische neurologische Syndrome bezeichnet.
Es kann jede Ebene des Nervensystems, vom zen-
Leypoldt F et al. Neues bei paraneoplastischen Syndromen … Akt Neurol 2012; 39: 60–73
Neues in der Neurologie
durch Francesc Graus und Jerome B. Posner [2] ist mittlerweile
bekannt, dass bei mehr als zwei Dritteln der Patienten mit paraneoplastischen Erkrankungen hochspezifische Antikörper im
Serum nachweisbar sind [3]. Historisch bedingt werden die
meisten Antikörper nach dem Indexpatienten benannt (AntiHu = Hull, Anti-Yo = Young, Anti-Ri = Richards), allerdings teils
auch nach dem Zielantigen (z. B. Anti-CV2/CRMP5). Sie werden
eingeteilt in gut-charakterisierte und teil-charakterisierte paraneoplastische Antikörpern (siehe Neues zur Diagnostik und
▶ Tab. 2). Diese Einteilung gilt nicht für Antikörper gegen neuro●
nale Oberflächenantigene, die weiter unten vorgestellt werden.
Besonders betont werden muss, dass die Klassifikation in gesicherte und mögliche paraneoplastische Syndrome einen Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen fordert. Eine umfassende Differenzialdiagnose sprengt den Umfang dieses Artikels,
▶ Tab. 3.
eine kurze Übersicht gibt jedoch ●
Neues zur Epidemiologie
▼
Neue epidemiologischen Daten zu paraneoplastischen neurologischen Syndromen wurden kürzlich aus dem europäischen Register von knapp 1 000 Patienten veröffentlicht [3]. Bei der
Mehrheit der Patienten findet sich initial ein isoliertes klinisches
Tab. 1 „Klassische“ paraneoplastische Syndrome nach [1].
A. Zentrales Nervensystem
Enzephalomyelitis
Limbische Enzephalitis
Subakute Kleinhirndegeneration
Opsoklonus-Myoklonus Syndrom
B. Peripheres Nervensystem
Subakute sensorische Neuronopathie
Chronische intestinale Pseudoobstruktion
C. Neuromuskuläre Synapse und Muskel
Lambert-Eaton-myasthenes Syndrom
Dermatomyositis
gut charakterisierter AK
Mit oder ohne
Tumornachweis
klassisches Syndrom
Ausschluss von
Differenzialdiagnosen
Teilcharakterisierter AK
kein AK
Tumornachweis innerhalb
von 5 Jahren
kein Tumornachweis
gesichertes paraneoplastisches Syndrom
Mit oder ohne
Tumornachweis
mögliches paraneoplastisches Syndrom
kein AK
Tumornachweis und
Besserung nach
Tumorbehandlung
Abb. 1 Diagnosealgorithmus nach [1]. 2004
abhängig vom Vorliegen eines klassischen oder
▶ Tab. 1).
nichtklassischen Syndroms (●
* Erhöhtes Tumorrisiko: Alter über 40 Jahre, kein
Ansprechen auf Immuntherapie. Gut charakteri▶ Tab. 2.
sierter/teilcharakterisierter AK siehe ●
hohes Tumorrisiko*
nicht klassisches
Syndrom
gut charakterisierter AK
▶ Tab. 4). Bei 10 % der Patienten besteht dagegen
Syndrom (90 %; ●
von Anfang an eine Mischung mehrerer klinischer Syndrome.
Die Häufigsten sind paraneoplastische Kleinhirndegenerationen
und sensorische Neuronopathien (jeweils 25 %). Weitere häufige
Syndrome sind limbische Enzephalitiden (10 %), Hirnstammenzephalitiden (5 %), generalisierte Enzephalomyelitiden (5 %), autonome Neuropathien (5 %) und Lambert-Eaton-Syndrome (4 %).
Die häufigsten paraneoplastischen Antikörper in diesem Register sind Anti-Hu (39 %), Anti-Yo (13 %), anti-CV2/CRMP5 (6 %),
Anti-Ri (5 %), Anti-Ma/Ta (4,5 %) sowie Anti-Amphiphysin (3,4 %).
Bei 18 % fanden sich keine Antikörper und bei 7 % atypische Antikörper. Die Prävalenz von Autoantikörpern gegen neuronale
Oberflächenantigene (s.u.) wurde in dieser Arbeit nicht erfasst.
Die neurologischen Symptome zeigen sich bei paraneoplastischen Erkrankungen typischerweise mit subakutem Zeitverlauf
und deutlich vor der Tumordiagnose (65 %); zwischen Beginn
der neurologischen Symptome und der Tumordiagnose können
bis zu 3–4 Jahre liegen. Die Tumordiagnose selbst bei gesicherten paraneoplastischen Syndromen kann im Einzelfall schwierig
sein. Die häufigsten assoziierten Tumore sind das kleinzellige
Bronchial-Karzinom (SCLC, 38 %), Ovarialtumore (11 %), Mamma-Karzinome (10 %), nicht-kleinzellige Bronchial-Karzinome
(8 %), Non-Hodgkin- und Hodgkin-Lymphome, Thymome und
Prostata-Karzinome (jeweils 3 %), colorektale, gastro-oesophagale und testikuläre Tumore (jeweils 2 %), Nierenzell-, MerkelZell-Tumore und Neuroblastome (jeweils 1 %) [3]. Das gleichzeitige Auftreten mehrerer paraneoplastischer Erkrankungen (10 %)
und mehrerer paraneoplastischer Antikörper ist möglich und
kommt vor allem beim kleinzelligen Bronchialkarzinom vor.
Paraneoplastische neurologische Erkrankungen sind zwar absolut gesehen selten, treten jedoch bei bestimmten Tumoren gehäuft auf. Beispielsweise tritt ein Lambert-Eaton-MyasthenesSyndrom (LEMS) bei 2–3 % aller Patienten mit kleinzelligem
Bronchialkarzinom auf [4].
Tumordiagnose
innerhalb
von 2 Jahren
gesichertes paraneoplastisches Syndrom
Ausschluss von
Differenzialdiagnosen
Teilcharakterisierter AK
Tumornachweis
innerhalb
von 5 Jahren
kein
Tumornachweis
mögliches paraneoplastisches Syndrom
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Neues in der Neurologie
Tab. 2 Klinisch relevante, paraneoplastisch auftretende Antikörper gemäß.
Name (Synonym) Prävalenz*
Antigen
Klinisches Syndrom
häufigste Tumore
Gut charakterisierte, paraneoplastische Antikörper (intrazelluläre Antigene) Assoziation mit einem Tumor in > 95 %
Lungenkarzinom (85 %), insb. SCLC,
Anti-Hu (ANNA-1) 40 %
HuD
Enzephalomyelitis, limbische Enzephalitis, KleinhirndeNeuroblastom, Prostata-Karzinom,
generation, Hirnstammenzephalitis, sensorische NeuMerkel-Zell-Karzinom, weitere
ronopathie, sensomotorische Neuropathie, autonome
Neuropathie
Anti-Yo (PCA-1) 15 %
cdr2, cdr62
Paraneoplastische Kleinhirndegeneration, W > M
Ovarial-, Mamma-, Uteruskarzinom
Anti-CV2 (CRMP5) 5 %
CRMP5
Enzephalomyelitis, Polyneuropathie, Optikusneuritis,
SCLC, Thymom, weitere
limbische Enzephalitis, Kleinhirndegeneration, Chorea
Anti-Ma1# 5 %
Ma-Proteine
Rhombenzephalitis, limbische Enzephalitis, Neuropathie
Mammakarzinom, Lungenkarzinom
Ma-Proteine
Limbische Enzephalitis, Rhombenzephalitis, M > W
Keimzelltumor
Anti-Ta/Ma2# 5 %
Anti-Ri (ANNA-2) 5 %
NOVA
Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom, Rhombenzephalitis,
Mammakarzinom, Ovarialkarzinom,
Kleinhirndegeneration, Myelitiden
SCLC
Anti-Amphiphysin 5 %
Amphiphysin
Stiff-Person-Syndrom; limbische Enzephalitis, RhombenMammakarzinom, SCLC
zephalitis, Kleinhirndegeneration, PNP
Anti-Recoverin
Recoverin
Retinopathie
Lungenkarzinom
Teilcharakterisierte paraneoplastische Antikörper prädiktiver Wert bezüglich Paraneoplasie unklar
Anti-Tr(PCA-Tr) 2 %
MAZ-Protein
Kleinhirndegeneration
Hodgkinlymphom, NHL
Anti-Zic4
Zic1-4
Kleinhirndegeneration
SCLC
Anti-SOX-1 (AGNA)
SOX-1
Sensitivität 67 %, Spezifität 95 % bezüglich vorliegen eines
SCLC, Bronchial-Karzinoid
SCLC bei nachgewiesenem LEMS
PCA-2
280 kD
Enzephalitis, Lambert-Eaton myasthenes Syndrom, PNP
SCLC
ANNA-3
170 kD
Neuropathie, Kleinhirndegeneration, limb. Enzephalitis
SCLC
Anti-ganglionäre AchR-AK
ganglionäre
Autonome Neuropathie (Sensitivität 50 %, Spezifität bei
SCLC, Thymom, Lymphom, Blasen-,
AchR (α3)
Titer über 1 nmol/l > 90 %), nur 30 % paraneoplastisch
Mamma-, Prostata-, Rektumkarzinom
Fakultativ paraneoplastische Antikörper (Antikörper die mit oder ohne Tumor auftreten, neuronale Oberflächenantigene)
Anti-NMDA-R
NMDA-R NR1a
Limbische Enzephalitis, W»M, Gedächtnisstörungen,
20-50 % Ovarial-Teratom > männl.
Bewegungsstörung, Katatonie, psychiatrisch
Keimzelltumor
Anti-VGKC-Komplex
LGI1, CASPR2
Limbische Enzephalitis, M > W, Hyponatriämie,
SCLC, Thymom
Neuromyotonie, Morvan Syndrom
Anti-AMPA-R
GluR1
Limbische Enzephalitis, W > M, Atypische Psychose,
SCLC, Mammakarzinom, Thymom
GluR2
häufige Rezidive
Anti-GABAB-R
GABAB
Limbische Enzephalitis, häufig Anfälle. Koinzident oft
SCLC, Thymom, neuroendokrine Tumore
GAD-AK
*Gemäß Prävalenz [3].
Prävalenz bezogen auf Anti-Ma und Anti-Ma2/Ta zusammen; W: Frauen; M: Männer; PNP: Polyneuropathie.
#
Neues zu paraneoplastischen Enzephalitiden
▼
Bei Enzephalitiden spielt mittlerweile die Autoantikörperdiagnostik eine besonders wichtige Rolle. In den letzten Jahren wurden paraneoplastische Syndrome mit Autoantikörpern gerichtet
gegen neue Antigene beschrieben [5]. Im Unterschied zu den
oben genannten „klassischen“ paraneoplastischen Antikörpern
kommen sie auch bei nicht-paraneoplastischen Syndromen vor
und richten sich gegen Zielantigene auf der Oberfläche neuronaler Zellen, meist gegen Kanal- oder Rezeptorproteine. Sie sind in
der Literatur unter dem Namen ihres Zielantigens bekannt geworden: Glutamatrezeptoren: N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)Rezeptor Antikörper und α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4isoxazol-Propionsäure (AMPA)-Rezeptor Antikörper, spannungsabhängige Kalium-Kanal (VGKC)-Komplex Antikörper z. B. Lgi1,
Caspr2, γ-Amino-Butyrat(b) (GABA(b)) Rezeptor Antikörper.
▶ Tab. 2 wider.
Eine Übersicht gibt ●
Insgesamt etabliert sich in der Literatur zunehmend die Unterscheidung in klassische paraneoplastische neurologische Syndrome mit Antikörpern gegen intrazelluläre Antigene (Hu, CV2/
CRMP5, Yo, Ri etc.) und in fakultativ paraneoplastische neurologische Syndrome mit Antikörpern gegen Oberflächenantigene
(engl.: neuronal surface antigen antibodies) [5]. Letztere Erkrankungen werden überbegrifflich auch als synaptische Autoimmunität (eng.: synaptic autoimmunity) bezeichnet. Im Folgenden
werden beide Gruppen daher getrennt vorgestellt. Die Enzephalitiden mit ausschließlich Antikörpern gegen das intrazellulär
lokalisierte Enzym Glutamatdecarboxylase (GAD) kommen vermutlich nicht paraneoplastisch vor, sie werden in dieser Übersichtsarbeit nicht berücksichtigt.
Trotz dieser neuen Antikörper findet sich allerdings weiterhin
bei 5–10 % autoimmuner limbischer Enzephalitiden kein derzeit
nachweisbarer antineuronaler Antikörper [6]. Dieser Prozentsatz wird sich in Zukunft mit der Entdeckung neuer antikörperdefinierter Subgruppen wahrscheinlich weiter verringern.
Enzephalitiden mit Antikörpern gegen intrazelluläre
Antigene (klassische paraneoplastische Antikörper)
▼
Werden bei Patienten mit einem passenden klinischen Bild gut
charakterisierte paraneoplastische AK nachgewiesen, sind dies
am häufigsten Hu-Antikörper (50 % [7]). Bei diesen Patienten ist
die Enzephalitis oft nur initial auf limbische Areale begrenzt und
entwickelt sich häufig im Verlauf zu einer generalisierten Enzephalomyelitis. Ähnliches gilt für CV2/CRMP5-Antikörper, die oft
auch zusammen mit Anti-Hu auftreten können. Hierbei sind assoziierte Optikusneuritiden und Chorea beschrieben [8–10].
Wichtig sind des weiteren Anti-Ma/Ta in bis zu 30 % der Fälle
meist bei jungen Männern (Anti-Ta/Ma2) oder ohne Alters- und
Leypoldt F et al. Neues bei paraneoplastischen Syndromen … Akt Neurol 2012; 39: 60–73
Neues in der Neurologie
Tab. 3 Differenzialdiagnosen paraneoplastischer Syndrome.
Klinisches Syndrom
Differenzialdiagnosen
Limbische Enzephalitis (LE)
Infektiöse Enzephalitis, v. a. HSV, VZV, HHV6 bei Immunsuppression, Lues, CJD*, HIV/PML, WNV. Lupus erythematodes; Sjögren-Syndrom; Hashimoto-Enzephalopathie; Gliom; Wernicke Korsakoff Syndrom
Infektiöse Enzephalitis, v. a. Listerien, Toxoplasmose; basale Meningitis TBC; M. Whipple Miller-Fisher/Bickerstaff; Myasthenia gravis, M. Behçet, Gliom
Opsoklonus: u. a. HIV, Hepatitis C, WNV, M. Whipple, Borreliose, postinfektiös (Mycoplasmen, Salmonellen,
Streptokokken), medikamentös (v. a. Lithium und Tricyclica)
Myoklonien: physiologisch, hereditär, sporadisch, Epilepsie-Syndrome, Enzephalopathien, CJD*, neurodegenerative Erkrankungen, Glutensensitive Enteropathie, Lance-Adams-Syndrom post anoxisch
Infektiös; parainfektiös; MS; NMO; spinale Durafistel, Syringomyelie, Tethered cord Syndrom, Spinalis-anteriorSyndrom
Alkohol, Medikamentös (Lithium, Antikonvulsiva, 5-FU, Cytosin Arabinosid), Vit. B1, B12, Folsäure, Vit. E,
Antikörper-assoziiert (GAD; anti-Ca#, Homer-3, mGluR1), Infektiös (VZV, EBV, Lues, M. Whipple), CJD*, meningeale Siderose, MSA-C, hereditär
Vaskulär; Neuritis N. optici, LHON, Medikamentös, Tabak-Alkohol-Amblyopie
Diabetes mellitus, CIDP; MGUS; Anti-MAG-Neuropathie; Sjögren-Syndrom, Zöliakie, Cryoglobulinämie, Medikamentös/Toxisch (Cisplatin, Amiodaron), Hypervitaminosis B6; Vit. B12 Mangel, HIV
Diabetes mellitus; GBS; CIDP, Sjögren-Syndrom, Porphyrie, MSA-A, Mitochondriopathie
Multifokale motorische Neuropathie; ALS; Bulbospinale Muskelatrophie Kennedy; Primäre Lateralsklerose
Krampi; Krampus-Faszikulationssyndrom; Radiogene Plexusaffektion; Myotonie; Neuromyotonie und ZNS
(Morvan Syndrom)
Myotonie, Neuropathien (Areflexie), PERM
Myasthenia gravis, Episodische Ataxie Typ 2, Botulismus
Myopathie, z. B. durch Steroide, IBM, immunmediierte nekrotisierende Myopathien
Rhombenzephalitis
Opsoklonus-/Myoklonus-Syndrom
Myelitis
Subakute Kleinhirndegeneration (PKD)
Retino-/Optikopathie
Subakute sensorische Neuronopathie
Autonom. Neuropath
Motoneuron-Erkrank
Neuromyotonie
Stiff-person-Syndrom
Lambert-Eaton-Syndrom
Poly-/Dermatomyositis
5-FU: 5-Fluoruracil; ALS: Amyotrophe Lateralsklerose; CIDP: chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie; CJD: Creutzfeld-Jakob-Disease; EBV: Ebstein-Barr
Virus; GBS: Guillain-Barre-Syndrom; HIV: Humanes Immundefizienzsyndrom Virus; IBM: Einschlusskörpermyositis; JC/HIV: Progressive multifokale Leukenzephalopathie bei
HIV; LEMS: Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom; LHON: Lebersche Hereditäre Optikusneuropathie; MAG: Myelin assoziiertes Glycoprotein; MGUS: Monoklonale Gammopathie
unklarer Signifikanz ; MSA: Multisystematrophie; NMO: Neuromyelitis optica; PERM: Progressive Encephalomyelitis mit Rigidität und Myoklonien; TBC: Tuberkulose; VZV: Varizella
zoster Virus; WNV: West Nile Virus;
*Bei PKD Protein 14-3-3 in 14 % Falsch-Positiv;
#
1. Jarius S et al.: A new Purkinje cell antibody (anti-Ca) associated with subacute cerebellar ataxia: immunological characterization. J Neuroinflammation 2010, 7:21
Geschlechterpräferenz (Anti-Ma). Bei letzteren treten zu den
Symptomen der PLE gehäuft Hirnstammsymptomen hinzu
[11, 12]. Selten finden sich auch Amphiphysin-AK, oft ebenfalls
mit weiteren paraneoplastischen Antikörpern [13].
Die häufigsten, assoziierten Tumoren sind Lungen-Karzinome
(meist kleinzellige Bronchialkarzinome = SCLC), gedacht werden
muss jedoch insbesondere bei jungen Männern auch an HodenKarzinome (Ma2) und bei Frauen an Mamma-Karzinome. Auch
neuroektodermale Hauttumoren (Merkel-Zell-Karzinome) sind
beschrieben. Eine paraneoplastische Enzephalitis kann sich
auch primär und isoliert im Hirnstamm (Rhombenzephalitis)
manifestieren (5,6 % aller paraneoplastischer Syndrome [3]) und
führt dann zu Blickparesen, Doppelbildern, Dysarthrie oder gar
lebensbedrohlichen Bildern mit Atemdepression [14, 15]. Meist
tritt eine Hirnstammenzephalitis jedoch als Teil einer generalisierten Enzephalomyelitis auf. Assoziierte AK können sein: AntiHu, Anti-Yo, Anti-Ma, Anti-CV2/CRMP5 und Anti-Ri.
Enzephalitiden mit Antikörpern gegen neuronale
Oberflächenantigene (synaptische Autoimmunität) –
NMDA-Rezeptor Antikörper Enzephalitis
▼
Das klinische Spektrum der Enzephalitiden mit Autoantikörpern gegen neuronale Oberflächenantigene ist weit gefächert,
gemeinsam ist ihnen jedoch das gute Ansprechen auf Immunsuppression und das Auftreten als idiopathische und paraneoplastische Variante [5]. Die NMDA-Rezeptor Antikörper assoziierte Enzephalitis ist häufig, 1 % der Patienten einer neurologischen, deutschen Intensivstation [16] und 4 % aller Enzephaliti-
den in einer multizentrischen englischen Studie [17] waren betroffen. Diese Enzephalitiden mit IgG-Antikörpern gerichtet
gegen den N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptor (NR1 Untereinheit) zeigen häufig einen prototypischen Verlauf, dessen
Kenntnis daher wichtig ist. Die Erkrankung betrifft insbesondere
Frauen (85 %), davon 33 % jünger als 18 Jahre und Kinder ( < 14
Jahre) in 20 % [18]; Männer (15 %) und ältere Patienten beider
Geschlechter können jedoch ebenso erkranken [18, 19]. Oft tritt
ein Prodrom ähnlich einer Virusinfektion auf. Tage später folgen
Ängstlichkeit, Stimmungsschwankungen sowie weitere psychiatrische Symptome: Psychosen, affektive Störungen, Zwangshandlungen/-gedanken etc. Meist innerhalb der ersten beiden
Wochen werden diese gefolgt von Gedächtnisstörungen, epileptischen Anfällen, dissoziativen Bewusstseinsminderungen, Bewegungsstörungen (rhythmische orofaziolinguale und appendikuläre Bewegungen) [20], autonome Instabilität und häufig beatmungspflichtigen Hypoventilation. NMDA-Rezeptor Antikörper Enzephalitiden werden häufig als virale Enzephalitis, malignes neuroleptisches Syndrom oder katatoner Stupor oder
Enzephalitis lethargica von Economo [21] fehldiagnostiziert. Die
Häufigkeit einer paraneoplastischen Variante ist altersabhängig;
ca. 60 % der Patientinnen älter als 18 Jahre, 30 % der Patientinnen
jünger als 18 Jahre und nur 15 % der Patientinnen bis zum 14
Lebensjahr haben uni- oder bilaterale ovariale Teratome [18].
Nur 5 % der Männer haben meist gonadale Tumore/Teratome,
selten kann ein Hodgkin-Lymphom zugrunde liegen [18, 22]. Die
klinische Präsentation zwischen idiopathischen und paraneoplastischen Varianten unterscheidet sich nicht, jedoch kommt
es bei idiopathischen Patienten häufiger zu Rezidiven (25 %
[18, 23]).
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Neues in der Neurologie
Tab. 4 Klinisch-neurologische Syndrome mit den jeweils sinnvollen Antikörper-Tests und häufigsten Tumoren.
Syndrom und Häufigkeit*
Sinnvolle Antikörper (S = Serum, L = Liquor)
Paraneoplastische Genese in %
Häufige assoziierte Tumore
Subakute sensorische Neuronopathie 25 %
Intrazelluläre Antigene (S): Hu, Amphiphysin,
CRMP5/CV2, Ma/Ta
Subakute Kleinhirndegeneration 25 %
Intrazelluläre Antigene (S): Hu, Yo, CRMP5/CV2, Ma/
Ta, Ri, Tr, Amphiphysin, PCA-2, ANNA-3, Zic4
Oberflächen-Antigene (S): VGCC
Intrazelluläre Antigene (S): Hu, Amphiphysin,
CRMP5/CV2, Ma/Ta, SOX1
Intrazelluläre Antigene (S): Hu, CRMP5/CV2,
Amphiphysin, Ma/Ta
Sensomotorische Neuro-/radikulopathie 16 %
Enzephalomyelitis und
Hirnstammenzephalitis 11 %
Limbische Enzephalitis 10 %
Autonome Neuropathie 5 %
Lambert-Eaton-Myasthenes-Syndrom 5 %
Opsoklonus/Myoklonus (Erwachse) 2 %
Intrazelluläre Antigene (S): Hu, Ma/Ta, CRMP5/-CV2,
Ri, Amphiphysin
Oberflächen-Antigene (S+L): NMDA-R, VGKC#,
GABA-R, AMPA-R
Intrazelluläre Antigene (S): Hu, Peripherin
Oberflächen-Antigene (S): Ganglionäre AchR
Intrazelluläre Antigene (S): SOX-1
Oberflächen-Antigene (S): VGCC
Intrazelluläre Antigene (S): Ri, Hu, Ma/Ta
Oberflächen-Antigene (S+L): NMDA-R
Opsoklonus/Myoklonus (Kind)
Intrazelluläre Antigene (S): vereinzelt Hu
Dermatomyositis 2 %
Intrazelluläre, nicht-paraneoplastische Antigene (S):
Jo1, Mi2, SRP
Retinopathie 1 %
Intrazelluläre Antigene (S): Hu, CRMP5/CV2,
Recoverin
Intrazelluläre Antigene (S): Amphiphysin
Intrazelluläre, nicht-paraneoplastische AK (S + L): GAD
Intrazelluläre Antigene (S): Titin
Oberflächen-Antigene (S): AchR, MUSK
Stiff-person-Syndrom 1 %
Myasthenia gravis
In 20 %
SCLC, Thymom, Lymphom, Mammakarzinom
oder Keimzelltumor
In 50 %
SCLC, Mammakarzinom, Keimzelltumor (Hoden/
Ovar), Thymom oder Lymphom
In 10 %
SCLC, Thymom oder Lymphom
In 10 %
SCLC, Thymom, Mammakarzinom, Keimzelltumor (Hoden/Ovar), Merkelzellkarzinome (Haut)
oder Lymphom
In 20 %
SCLC, Keimzelltumor (Hoden/Ovar),
Thymom, Mammaka., Lymphom,
Prostatakarzinom
In 2–30 %
SCLC, Thymom, Lymphom, Blasen-, Mamma-,
Prostata- oder Rektumkarzinom
In 60 %
SCLC
In 20 %
Mammakarzinom, SCLC oder Keimzelltumor
(Hoden/Ovar)
In 50 %
Neuroblastome
In 30 %
Ovarial-, Lungen-, Pankreaska. oder andere
Tumore
In 5 %
SCLC, Thymom oder Melanom
In 5 %
Mammakarzinom, SCLC
In 15 %
Thymom
*Häufigkeit bezogen auf alle paraneoplastischen Erkrankungen [3], klinische Syndrome kommen in 10 % der paraneoplastischen Fälle kombiniert vor, daher
Gesamtprävalenz > 100 %.
#
Antikörper gegen VGKC-Komplex (u. a. LGI1, CASPR2, Contactin-2).
Diagnostisch zeigen ca. 50 % MRT Auffälligkeiten und nur 25 % im
T2/FLAIR gewichtetem cMRT Signalanhebungen im mesiotemporalen Kortex [18, 23]. Auch kontrastmittelaufnehmende Herde kortikal, meningeal oder in den Basalganglien sowie seltener
auch spinal können auftreten [18, 24]. Der Liquor ist zu 90 % auffällig, in der Frühphase jedoch nur bei 70 %. Bei 90 % zeigt sich
eine milde, lymphozytäre Pleozytose, in 30 % der Fälle Schrankenstörungen und 9–40 % oligoklonale Banden. Die Pleozytose
ist häufig nur in der Frühphase nachweisbar, im Verlauf kommt
es oft zum Auftreten von oligoklonalen Banden. Das EEG ist bei
80–90 % mit häufig diffuser Delta-Theta-Aktivität pathologisch
verändert [18, 23]. Es findet sich bei schweren Fällen ein typischer frontookzipitaler Gradient des Glucosemetabolismus, der
sich im FDG-PET als frontotemporaler Hypermetabolismus und
okzipitaler Hypometabolismus darstellt [25].
In der Mehrzahl der Fälle kommt es zu einer weitgehenden
Rückbildung der Symptomatik, allerdings bleiben bei ca. einem
Viertel anhaltende schwere Defizite oder es kommt zu einem letalen Ausgang meist durch intensivmedizinische Komplikationen oder die autonome Dysfunktion (4 %) [18].
Enzephalitiden mit Antikörpern gegen andere neuronale Oberflächenantigene (synaptische Autoimmunität) – AMPA, GABA(b), VGKC-Komplex- Antikörper
Enzephalitis
▼
Enzephalitiden mit AMPA-, GABA(b)-, VGKC-Komplex (Lgi1,
▶ Tab. 2) sind klinisch nur bedingt vonCASPR2)-Antikörpern (●
einander zu unterscheiden. Allen gemeinsam ist der limbische
Schwerpunkt mit psychiatrischen, mnestischen und epileptischen Symptomen, das Ansprechen auf Immunsuppression sowie idiopathische und paraneoplastische Fälle [5]. Letztlich unterscheidet erst der Antikörperbefund sicher zwischen diesen
Enzephalitiden. Einige Aspekte helfen jedoch bei der Unterscheidung und sind eher typisch für eine der Unterformen. Bei AMPARezeptor Antikörper assoziierte Enzephalitiden finden sich eher
Lungentumore und Thymome als zugrundeliegende Tumore
[26, 27]. Lgi1-Antikörper Enzephalitiden gehen oft mit einer
Hyponatriämie einher, betreffen eher ältere Männer, haben geringere Liquorauffälligkeiten und sind nur selten paraneoplastischer Genese [28]. CASPR2 Antikörper assoziierte Syndrome
zeigen oft eine Neuromyotonie zusammen mit einer Enzephali-
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tis (Morvan Syndrom) [29, 30]. GABA(b) Rezeptor Enzephalitiden gehen immer mit epileptischen Anfällen oder sogar einem
Status epilepticus einher, treten bei älteren Patienten mit Lungentumoren oder jüngeren Patienten idiopathisch auf [31, 32].
Enzephalitiden bei VGKC-Komplex Antikörper
Nach neuen Erkenntnissen sind bei der limbischen Enzephalitis
mit Antikörpern gegen spannungsabhängige Kaliumkanäle (voltage gated potassium channel; VGKC) die Antikörper gegen VGKC-assoziierte Proteine und nicht gegen die nur kleine extrazelluläre Domäne des Kanals selbst gerichtet. Daher werden diese
Antikörper auch VGKC-Komplex-Antikörper oder nach dem
Zielantigen Lgi1 [28] oder Caspr2 [29, 30] benannt. Es sind überwiegend ältere Männer betroffen (m:w 3:1; Mittel 60. LJ). Klinisch zeigen sich häufig epileptische Anfälle (90 %), Gedächtnisstörungen ( > 90 %) sowie eine Hyponatriämie (40–60 %). Die
epileptischen Anfälle treten teils mit der ungewöhnlicher Semiologie einer faziobrachialen, paroxysmalen Dystonie auf, dies
kann der eigentlichen Enzephalitis vorausgehen [33]. Seltener
treten Myoklonien (40 %) und vegetative Zeichen (10 %) auf
[28, 30, 34]. Im meist pathologischen EEG (70 %) zeigen sich epilepsietypische Potenziale (30 %) und auch Allgemeinveränderungen oder Herdbefunde (30 %). Im Liquor findet sich in einem
kleineren Prozentsatz als bei den anderen Enzephalitiden eine
Auffälligkeit. Nur bei 40 % der Patienten werden Schrankenstörungen, seltener Pleozytosen und fast nie oligoklonale Banden
nachgewiesen [35]. Hilfreich sind cMRT Untersuchungen, die bei
ca. 70–80 % eine T2-Hyperintensität der medialen Temporallappen aufweisen. Nur in der Minderzahl der Fälle liegt eine paraneoplastische Ursache vor (5–10 %) [28, 30]. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Tumoren wie Lungen, Schilddrüsen,
Mamma oder Nierenzellkarzinome aber auch ovariale Teratome
oder Thymome sind beschrieben worden [28, 35]. Die Prognose
nach erfolgter Immuntherapie ist gut (bis zu 80 % gute Erholung), jedoch sind auch schwere Residuen und letale Verläufe
beschrieben.
Enzephalitiden bei AMPA-Rezeptor Antikörpern
Bei Patienten mit Enzephalitiden, die mit Antikörpern gegen die
Glutamatrezeptoruntereinheiten 1 und 2 (GluR1/2) des α-Amino3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazol-Propionsäure (AMPA)-Rezeptors
assoziiert sind, handelt es sich in der Regel um Frauen (90 %) im
mittleren Alter (38–87, median 60 Jahre), die eine akute limbische Dysfunktion entwickeln [26, 27, 36]. Diese Enzephalitiden
treten meist paraneoplastisch auf (80 %), zugrunde liegend können dann ein Bronchial-Karzinome, Mamma-Karzinome oder
Thymome sein. Im Liquor findet sich meist eine lymphozytäre
milde Pleozytose (80 %), oligoklonale Banden sind selten. Bis zu
75 % der Patientinnen zeigen typische mesiotemporale MRTAuffälligkeiten und im EEG fanden sich bei 75 % Auffälligkeiten.
Die neurologischen Symptome sprechen gut auf eine Tumorbehandlung und Immunsuppression an, zeigen aber eine Tendenz
zu Rezidiven (60 %), welches wiederum gut auf Immuntherapie
anspricht. Schübe sind dabei nicht sicher mit einem Tumorrezidiv assoziiert [26].
Enzephalitiden mit GABA(b) Rezeptor Antikörpern
Schließlich können bei Enzephalitiden teils auch Antikörpern
gerichtet gegen GABA(b)-Rezeptoren nachgewiesen werden. Es
handelt sich scheinbar um die größte Subgruppe paraneoplastischer bisher seronegativer limbischer Enzephalitiden [32]. Diese
zeigen insbesondere das Bild einer limbischen Dysfunktion
(Verwirrtheit und Gedächtnisstörungen) und früh im Verlauf
auftretenden Krampfanfällen [31]. Männer und Frauen scheinen
ähnlich häufig betroffen zu sein mit einem mittleren Erkrankungsalter von 60 Jahren. Im Liquor fand sich bei 70 % eine lymphozytäre Liquorpleozytose, bei 30 % oligoklonale Banden und
ebenfalls bei 30 % eine Schrankenstörung. Auch hier fanden sich
bei 70 % der Patienten typische, mesiotemporale MRT Auffälligkeiten, allerdings war das initiale MRT oft negativ. Das EEG zeigte häufig (75 %) Temporallappenanfälle, temporale epileptische
Erregbarkeitssteigerungen oder temporale Verlangsamungen.
Bei der Hälfte der Patienten konnte im Verlauf ein kleinzelliges
Bronchialkarzinom oder ein neuroendokriner Tumor der Lunge
gefunden werden, die andere Hälfte der Patienten war jünger
und ohne zugrundeliegenden Tumor. Die Hälfte der Patienten
mit GABA(b)-Rezeptor Antikörpern hatten zusätzliche Autoantikörper im Serum (TPO, GAD65, SOX1 oder N-Typ spannungsabhängige Kalziumkanäle).
Neues zur paraneoplastischen Kleinhirndegeneration
▼
Bei der paraneoplastischen Kleinhirndegeneration (PKD) handelt es sich um das häufigste paraneoplastische, neurologische
Syndrom mit Antikörpern gegen intrazelluläre Antigene (24 %
[3]). Meist entsteht subakut über Tage bis wenige Wochen ein
schwerstes zerebelläres Syndrom mit ausgeprägter Beteiligung
der Arme, Verlust des Gehvermögens, Dysarthrie, sakkadierter
Blickfolge und Nystagmus (meist Downbeat-Nystagmus). Gelegentlich besteht eine heterogene Prodomalsymptomatik ähnlich
einem grippalen Infekt. Oft stabilisiert sich die Erkrankung nach
mehreren Monaten auf einem sehr schlechten, zerebellären
Funktionsniveau (90 % Rollstuhlabhängig). Das Fehlen einer
Atrophie im MRT ist in frühen Stadien die Regel und gut mit einer PKD vereinbar. Späte Bildgebung kann dann eine Kleinhirnatrophie darstellen. In Einzelfällen kann ein FDG-Hirnstoffwechsel-PET bereits früh zerebelläre Hypermetabolismen in frühen
Stadien einer PKD nachweisen [37]. Ein klassisches Überlappungssyndrom besteht zwischen einer PKD und einem LEMS bei
Patienten mit einem SCLC [38].
Eine neue Beobachtung ist, dass in einer großen Fallserie im Gegensatz zu früheren Fallserien [39, 40], bei bis zu 23 % der Patientinnen initial eine extrazerebelläre Symptomatik (Hirnstamm,
Hirnnerven) besteht und bei 10 % sogar Neuropathien parallel
oder zeitlich vorausgehend nachgewiesen werden können [41].
Allerdings bestätigt auch diese Fallserie, dass die funktionelle
Erholung bei PKD unabhängig vom assoziierten Antikörper auch
bei Tumorbehandlung und/oder Immunsuppression gering ist.
Neues zum Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom
▼
Das seltene paraneoplastische Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom (POMS) (2,3 %) wird durch chaotische, konjugierte, hochamplitudige, unwillkürliche Sakkaden und meist generalisierte
Myoklonien charakterisiert (eng. Dancing eyes – Dancing feet).
Die Erkrankung entsteht u. a. durch eine Funktionsstörung im
Nucleus fastigii des Kleinhirns. Es kommt in 20 % der Fälle paraneoplastisch vor, die übrigen sind meist postinfektiös. Für die
paraneoplastische Variante sprechen ein Alter über 50 Jahren
und das Vorliegen einer Enzephalopathie. Beim Erwachsenen
finden sich assoziierte Tumore meist im Bereich der Lunge oder
der Mamma [42]. Bei Kindern sind in 50 % Neuroblastome ur-
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sächlich. Anti-Hu, Anti-Ri oder Anti-Ma2 sowie viele weitere,
nicht charakterisierte AK können assoziiert sein [42, 43]. Neu ist,
dass in zwei Einzelfallberichten ein Opsoklonus-Myoklonus
Syndrom bei nachgewiesenen NMDA-Rezeptor Antikörpern beschrieben wurde [44, 45].
kann mit einem Karzinom (KAR) oder einem Melanom (Melanom assoziierte Retinopathie, MAR) assoziiert sein.
Neu und bemerkenswert, allerdings bisher nur kasuistisch beschrieben, ist das paraneoplastische Syndrom einer essentiellen
Hypernatriämie, welches mit Antikörpern gegen spezielle Natriumkanäle in den circumventrikulären Organen und einem Ganglioneurom mit ektoper Expression dieser Kanäle einherging [52].
Neues zum Stiff-Person-Syndrom
▼
Progredienter axialer und appendikulärer Rigor mit lumbaler
Hyperlordose und paroxysmale, schmerzhafte einschießende
Spasmen der Extremitäten getriggert durch Willkürbewegungen, Aufregung oder taktile/auditorische Stimuli werden als
Stiff-Person-Syndrom (SPS) bezeichnet. Das Syndrom kommt
idiopathisch und paraneoplastisch vor. Frauen sind häufiger als
Männer betroffen (7:3) und es existieren verschiedene Varianten, sogenannte SPS-Plus Syndrome z. B. Stiff-Limb-Syndrom
und PERM (Progrediente Enzephalomyelitis mit Rigor und Myoklonien). Antikörper gegen Glutamatdecarboxylase (GAD) und
nach neueren Erkenntnissen auch Glycin Rezeptoren sind serologische Marker eines idiopathischen SMS (50–90 %) [46, 47]. In
seiner paraneoplastischen Form (5 % der SPS, 0,6 % der paraneoplastischen Syndrome) können die Patienten Antikörper gegen
Amphiphysin (mit oder ohne Anti-GAD) zeigen, dies ist dann ein
Marker für ein zugrunde liegendes Mamma-Karzinom, seltener
ein SCLC oder ein Thymom [13]. Es existieren jedoch weiterhin
keine verlässlichen Marker für eine Unterscheidung zwischen
idiopathisch und paraneoplastisch.
Seltenere paraneoplastische Syndrome des zentralen
Nervensystems
▼
Sehr selten – nur in 0,3 % aller paraneoplastischen neurologischen Syndrome – manifestiert sich die paraneoplastische Symptomatik als isolierte Myelitis. Bei paraneoplastischen Myelitiden ist dann meist die graue Substanz unter Beteiligung der
Vorderhörner langstreckig betroffen. Bei dieser nekrotisierenden Myelopathie gibt es keine spezifischen assoziierten Antikörper und keine streng assoziierten Tumoren. Sie kommen auch
idiopathisch mit besserer Prognose vor [48]. Kasuistisch wurden
neuerdings auch NMO-AK positive Myelitiden in Zusammenhang mit Tumoren nachgewiesen. Obwohl selten, handelt es sich
damit bei der Neuromyelitis optica mit Aquaporin4-Antikörpern
um eine fakultativ paraneoplastische Erkrankung [49].
Extrapyramidal-motorische Syndrome sind ebenfalls nur selten
Ausdruck eines paraneoplastischen Syndroms (1,5 %) mit Antikörpern gegen intrazelluläre Antigene [3]. Jedoch finden sich
diese gehäuft bei idiopathischen oder paraneoplastischen Syndromen mit Antikörpern gegen Oberflächenantigene (s. o.). Eine
generalisierte Chorea, fokale und segmentale Dystonien und Hemiballismus können die Erstmanifestation einer paraneoplastischen Enzephalitis sein. Bei Nachweis von CV2/CRMP5-AK zeigt
sich in bis zu 70 % der Fälle initial eine meist asymmetrische
oder einseitige Chorea, im Verlauf entwickelt sich bei 90 % der
Patienten jedoch eine Beteiligung weiterer Systeme [50]. Auch
subakut progrediente progressive supranukleäre Paralyse-ähnliche Erkrankungsbilder sind paraneoplastisch bei Lymphomen
beschrieben (Anti-Ma/Ma2 [51]).
Während etwa jeder zehnte Tumorpatient über Visusstörungen
klagt, ist die paraneoplastische Retinopathie relativ selten. Sie
Neues zu paraneoplastischen Neuropathien
▼
Bei über 40 % der gesicherten paraneoplastischen Syndrome
tritt eine Affektion des peripheren Nervensystems auf [3].
Grundsätzlich können paraneoplastische Syndrome am peripheren Nervensystem sehr heterogen sein und jedes Syndrom
verursachen. Insbesondere sind proximale und distale Leitungsverzögerungen ähnlich einer akuten oder chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyradikulopathie bei NonHodgkin Lymphomen [3, 53, 54] oder auch Mononeuritis multiplex-Syndrome beschrieben [55, 56]. Die sensible Neuronopathie (SN, „Hinterstrang-Ganglionitis“) stellt allerdings die
häufigste paraneoplastische Manifestation am peripheren Nervensystem dar (25 % [3]). Hierbei kommt es zu asymmetrischen,
meist schmerzhaften Hyp- und Parästhesien der Arme, Beine,
des Rumpfes und des Gesichtes mit schwerer Lageempfindungsstörung, einer sensiblen Ataxie und pseudochoreoathetotischen
Bewegungen der ausgestreckten Arme und Beine. Es wurden
kürzlich diagnostische Kriterien publiziert [57]. Sie ist meist mit
Anti-Hu, Anti-CV2/CRMP5 oder Anti-Amphiphysin assoziiert
[58, 59]. Ebenfalls hochverdächtig auf eine paraneoplastische
Genese ist eine ausgeprägte autonome Neuropathie (AN, 5,2 %
der paraneoplastischen Syndrome [3]) isoliert oder zusammen
mit einer SN. Diese kann zu chronischer, intestinaler Pseudoobstruktion, orthostatischen Dysregulation oder kardialen Arhythmien, Mundtrockenheit, erektilen Dysfunktion oder Dyshidrose
[60] führen. Meist findet sich auch hier ein Anti-Hu-AK seltener
ein Anti-CV2/CRMP5 oder Anti-Amphiphysin-AK. Mittlerweile
ist gezeigt, dass bei einem kleinen Teil dieser Patienten mit einer
Pandysautonomie hoch-titrige Antikörper gegen ganglionäre
nikotinerge Acetylcholin-Rezeptoren (α3-AchR) nachgewiesen
werden können. Sie treten paraneoplastisch und idiopathisch
auf [61]. Ein weiterer neuer Autoantikörper assoziiert mit diesem Syndrom ist gegen Peripherin gerichtet, bei diesen Patienten
finden sich oft begleitende Endokrinopathien [62]. Häufig kommen AN auch zusammen mit einem LEMS vor. Assoziierte Tumoren sind die üblicherweise mit Anti-Hu und CV2/CRMP5 auftretenden Tumortypen. AN haben eine schlechte Prognose [3].
Isolierte, chronisch progrediente Motoneuronsyndrome sind in
den allermeisten Fällen neurodegenerativer Genese [63]. Insbesondere sollte an eine paraneoplastische Genese gedacht werden bei (1) rasch progredientem Verlauf mit (2) einem isolierten
zweiten Motoneuron Syndrom und (3) sensibler Beteiligung sowie (4) systemischen oder enzephalopathischen Symptomen
[64]. Ursächlich sind dann vor allem Non-Hodgkin-Lymphome
[65]. In diesem Fall werden im Verlauf jedoch meist auch andere
Gebiete des ZNS und PNS betroffen und der Liquor zeigt häufig
entzündliche Veränderungen. Spezifische Antikörper sind nicht
bekannt, gelegentlich findet sich ein Anti-Hu AK.
Bei der Neuromyotonie (NM, Isaac-Syndrom) bestehen zu unterschiedlichen Graden Muskelkrämpfe, Muskelzuckungen/-wogen, Steifigkeit und Schwäche der Extremitäten und des Rump-
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fes mit oder ohne autonome Dysfunktion. Elektrophysiologisch
werden repetitive Entladungen von Motoneuronen mit hoher
Intraburst-Frequenz nachgewiesen. Neben hereditären Formen
sind die meisten Erkrankungen autoimmuner Ursache. 60 % haben Autoantikörper gegen den VGKC-Komplex (insbesondere
CASPR2) und 25 % der antikörperpositiven Patienten eine paraneoplastische Ursache, meist Thymome, seltener Bronchial-Karzinome oder Lymphome. Zwar sind diese Antikörper SerumMarker einer NM, jedoch nicht für deren paraneoplastische
Ätiologie [29, 66, 67]. Hinweisend auf eine paraneoplastische Variante einer NM sind höheres Alter, autonome Störungen und
sensible Beteiligung. Das Zusammentreffen mit zentralnervösen
Syndromen und autonomen Beschwerden wird als Morvan-Syndrom bezeichnet [66].
Bei einem Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) ist der
präsynaptische Teil der neuromuskulären Endplatte betroffen.
Meist kommt es zu langsam progredienten Hüft- und Schultergürtelschwächen mit Verminderung der Muskeleigenreflexe.
Die externen Augenmuskeln sind nur gering und nicht bereits
initial betroffen. Oft kommt es zu autonomen Störungen. Etwa
3 % aller Patienten mit einem SCLC haben klinisch und elektrophysiologisch ein LEMS [68] und 60 % der Patienten mit einem
LEMS haben einen assoziierten Tumor, meist ein SCLC oder Lymphom.
Neues zur Pathophysiologie
▼
Paraneoplastische, neurologische Erkrankungen gestatten einen
faszinierenden Einblick in die natürliche immunvermittelte Tumorabwehr des Menschen. Es kommt zu einer „ektopen“ Expression von Antigenen im Tumorgewebe, die ansonsten nur
durch Nervenzellen exprimiert werden. Dies sind die sogenannten onkoneuralen Antigene. Im Rahmen einer „guten“ Immunreaktion gegen den Tumor entsteht dann eine „falsche“ Autoimmunantwort gegen das Nervensystem. Dass eine Immunreaktion gegen Tumoren nicht selten und auch pathologisch relevant
ist, zeigen die hohen Inzidenzen von Anti-Hu Antikörpern bei
Patienten mit kleinzelligen Bronchialkarzinomen ohne neurologische Symptomatik (bis zu 29 % [69]) und der Überlebensvorteil
von Patienten mit diesen Antikörpern [70, 71]. Warum jedoch
einzelne Patienten mit einem SCLC ein manifestes paraneoplastisches Syndrom mit hochtitrigen Anti-Hu Antikörpern entwickelt, während andere nur niedrige oder gar keine Anti-Hu Antikörper ohne neurologische Symptomatik entwickeln bleibt derzeit nur ungenügend erklärt. Interessant sind neueste Arbeiten,
die zeigen, dass kleinzellige Bronchialkarzinome der Ratte – genau wie beim Menschen – konstitutiv HuD-Antigene exprimieren und sich spontan Anti-Hu Antikörper bei 16 % der Tiere bilden. Allerdings kommt es auch hier nicht zu neurologischen
Symptomen [72]. Eine mögliche Erklärung könnte analog zu anderen Autoimmunerkrankungen in den MHC Haplotypen liegen.
Bei Patienten mit einem paraneoplastischen Syndrom mit AntiHu Antikörpern und SCLC findet sich gehäuft HLA-DQ2 und
HLA-DR3 [73, 74].
Vermutlich sind die paraneoplastischen Antikörper bei paraneoplastischen neurologischen Syndromen mit Autoantikörpern
gerichtet gegen intrazelluläre Antigene nur ein (für die Diagnose
hilfreiches) „Epiphänomen“ und zeigen die letztlich primär zytotoxische, zellvermittelte lymphozytäre Immunreaktion gegen
den Tumor (und damit auch gegen das Nervensystem) an. Hierfür spricht, dass die meisten paraneoplastischen Antigene intra-
zellulär und damit außerhalb der Reichweite von Antikörpern
liegen. Passend dazu konnte bisher nur für Anti-Recoverin und
Anti-Amphiphysin eine direkte pathogene Rolle in vitro und in
vivo gezeigt werden. Ob die anderen paraneoplastischen Antikörper gegen intrazelluläre Antigene (Anti-Hu, -Yo, -CV2/
CRMP5, -Ma2 usw.) tatsächlich auch pathogen sind, bleibt weiterhin umstritten, jedoch sprechen die meisten Befunde dagegen [75–77]. Alle Studien fanden tatsächlich hohe AntikörperTiter im Serum, jedoch keine klinische oder subklinische Enzephalitis [78, 79].
Im Gegensatz dazu gibt es inzwischen mehrere Hinweise darauf,
dass es zytotoxische T-Zellen sind, die primär für die Schädigung
der Neurone verantwortlich sind [80–82]. Ein Transfer von TZellen, die spezifisch für onkoneurale Proteine sind, führt tatsächlich im Tiermodell zu einer Enzephalitis [83]. Tierexperimentell sind autoimmune zytotoxische T-Zellen gegen das HuD
Antigen im T-Zell-Repertoire gesunder Mäuse vorhanden aber
üblicherweise über Toleranzmechanismen supprimiert [84].
Diese Toleranz bricht im Rahmen einer Tumorantwort gegen
HuD positive Tumore vermutlich weg. Beim Menschen finden
sich bei Patienten mit paraneoplastischen Syndromen quantitative und funktionelle Veränderungen an T-Zell Subtypen [85],
sowie typische und atypische zytotoxische T-Zellen, die gegen
HuD Antigene gerichtet sind [86]. Parallel sind regulatorische
T-Zellen supprimiert [87]. Letztlich steht der endgültige, wenn
auch schwer zu führende – Beweis für eine primär T-Zell vermittelte Immunreaktion als zugrunde liegendes Agens von paraneoplastischen neurologischen Syndromen mit Antikörpern gegen intrazelluläre Antigene derzeit noch aus, jedoch mehren
sich die Hinweise.
Pathophysiologie der Enzephalitiden mit neuronalen
Oberflächenantigen-Antikörpern
▼
Anders stellt sich die Situation bei paraneoplastischen Syndromen mit Autoantikörpern gegen neuronale Oberflächenantigene
dar. Viele Hinweise unterstützen die pathophysiologische Bedeutung der Autoantikörper bei dieser Erkrankung. Reversible
Rezeptor-Internalisierung und damit Inaktivierung als Reaktion
auf Antikörper-vermittelte Vernetzung der NMDA-Rezeptoren
wurde kürzlich als Erkrankungsmechanismus identifiziert [88].
Passenderweise zeigen die wenigen vorhandenen autoptischen
Untersuchungen keinen neuronalen Untergang, KomplementAblagerung oder entzündliche Infiltrate [88, 89]. Dies spricht
gegen eine zellulär vermittelte Immunreaktion und stellt aufgrund des Fehlens struktureller, neuronaler Schädigung vermutlich die Basis des guten Ansprechens auf eine Immunsuppression dar.
Dass eine intrathekale Synthese der Antikörper eine größere
Rolle spielt als die systemische Produktion ist hochwahrscheinlich. So kann bei den meisten Patienten sowohl eine erhöhte intrathekale Gesamt-IgG als auch NMDA-Rezeptor-AK-spezifische
IgG-Konzentration nachgewiesen werden. Auch der häufige
Nachweis oligoklonaler Banden und die kürzliche, bioptische
Demonstration vieler meningealer und perivaskulärer Plasmazellen beim Menschen weist in diese Richtung [23, 90].
Bei paraneoplastischer Genese ist der Auslöser vermutlich ähnlich wie oben geschildert die ektope Expression von eigentlich
neuronal restringierten Rezeptoren auf der Oberfläche von Tumorzellen [31, 32, 89, 91]. Das auslösende Agens im Falle der
idiopathischen Fälle ist unbekannt. Allerdings beschreiben viele
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Neues in der Neurologie
Patienten eine prodromale Erkrankung mehrere Tage vor Ausbruch der Enzephalitis. Diese möglicherweise virale Infektion
könnte eine Rolle bei der Entstehung der autoreaktiven B-Zellen
spielen [23]. Auch Fälle einer post-vakzinösen NMDA-Rezeptor
Enzephalitis sind beschrieben [18, 92]. Die endgültige Entschlüsselung des Entstehungsmechanismus der idiopathischen Variante dieser Erkrankung steht jedoch noch aus.
Neues zur Diagnostik
▼
Aufgrund der Vielfalt der bei paraneoplastischen Syndromen betroffenen Systeme richtet sich die Diagnostik naturgemäß nach
dem klinischen Syndrom. Notwendig ist immer eine umfassen▶ Tab. 3). Bei paraneoplastischen Enzede Differenzialdiagnose (●
phalomyelitiden existieren zumeist keine spezifischen Auffälligkeiten in der Bildgebung. Zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen sind allerdings insbesondere MRT Darstellung des Gehirns
und Rückenmarks wichtig. Ein unauffälliges cMRT schließt ein
paraneoplastisches Syndrom nicht aus, bei einzelnen Syndromen (z. B. Opsoklonus-Myoklonus Syndrom oder Kleinhirndegeneration) ist das MRT initial immer unauffällig und ein auffälliger MRT-Befund spricht eher gegen die Diagnose.
Die Liquoruntersuchung ist sensitiver, jedoch ebenso unspezifisch. Hier helfen neuere Daten, die Häufigkeit und Art von Liquorauffälligkeiten bei paraneoplastischen Syndromen besser
einzuschätzen [93]. Der Liquor ist meist entzündlich verändert,
häufig bestehen geringe lymphozytäre Pleozytosen und/oder
oligoklonale Banden, gelegentlich auch nur Schrankenstörungen. Bei 90 % der paraneoplastischen Erkrankungen ist zumindest einer dieser 3 Parameter auffällig. Die lymphozytäre Pleozytose nimmt mit zunehmender Dauer der Erkrankung ab (50 %
während der ersten 3 Monate, 30 % danach), während die Inzidenz der Schrankenstörung zunimmt. Bei 7 % ist der Liquor allerdings komplett unauffällig [93].
Die weiteren Untersuchungen hängen vom betroffenen System
ab. Das EEG ist bei limbischen Enzephalitiden und Enzephalomyelitiden meist auffällig, die visuell evozierten Potenziale bei
Optikusneuritiden, bei peripheren Syndromen ist eine Elektroneuro- und myografie wichtig. Bei Retinopathien können ein
Elektroretinogramm und eine optische Kohärenztomografie
(OCT) helfen.
Eine Schlüsselstellung bei der Differenzialdiagnostik und mittlerweile auch Differenzialtherapie von paraneoplastischen Syndromen und Enzephalitiden nimmt die Autoantikörperdiagnostik ein. Bei 80 % der Patienten mit gesichertem PNS lassen sich
hochspezifische Antikörper (AK) nachweisen [3]. In den meisten
Fällen genügt die Einsendung von Serum, bei limbischen Enzephalitiden und bei Stiff-Person-Syndrom sollte ein Liquor und
Serum-Pärchen eingesandt werden. Der Versand von Liquor und
abzentrifugiertem Serum kann bei Raumtemperatur, mehrtägige Lagerung bei 4 °C erfolgen. Die Bestimmung der paraneoplastischen Antikörper soll in einem in der Diagnostik erfahrenen
Labor erfolgen und auf zwei unabhängigen Labormethoden (Immunoblot bzw. Line-Assay und Immunhistochemie für paraneoplastische Antikörper, Immunfluoreszenz/-histochemie und
zell-basierte Assays für Oberflächen-AK) beruhen. Aufgrund
symptomatischer Überlappungen der verschiedenen Krankheitsentitäten ist es sinnvoll, alle diese Parameter bei jedem Patienten parallel zu bestimmen (Autoantikörper-Profile) [94].
Während der Nachweis eines gut-charakterisierten Antikörpers
gegen ein intrazelluläres Antigen immer eine zugrundeliegende
Paraneoplasie anzeigt, ist dieser Beweis für teil-charakterisierte
Antikörper nicht endgültig erbracht. In den letzten Jahren ist allerdings insbesondere der Nachweis von Anti-Tr oder seltener
▶ Tab. 2) bei subakuten Kleinhirndegeneratioauch Anti-Zic4 (●
nen als deutlicher Hinweis auf einen zugrundeliegenden Tumor
(Anti-Tr Non-Hodgkin Lymphom, Anti-Zic4 SCLC) wahrgenommen worden [65]. Auch der Nachweis von Anti-SOX-1 wird mittlerweile als starker Indikator eines zugrundeliegenden Tumor,
meist eines SCLC, angesehen [95, 96], allerdings ist damit kein
typischen klinisches Syndrom assoziiert. Bei fakultativ paraneoplastischen Erkrankung (LEMS, autonome Neuropathien usw.)
kann dieser Antikörper hilfreich sein. Im positiven Fall ist ein
paraneoplastisches LEMS durch ein SCLC sehr wahrscheinlich.
Ein unauffälliger SOX-1 Antikörper schließt allerdings eine paraneoplastische Genese nicht aus. Unbedingt beachtet werden
muss, dass paraneoplastische onkoneurale Antikörper auch bei
Patienten mit Tumoren ohne PNS – meist in niedrigerer Konzentration – nachgewiesen werden können, beispielsweise bei 29 %
der Patienten mit einem kleinzelligen Bronchialkarzinom [69].
In diesem Fall liegt kein paraneoplastisches Syndrom, sondern
lediglich ein immunologisches Epiphänomen unklarer Signifikanz vor.
Der Tumorsuche kommt bei gesicherten oder möglichen paraneoplastischen Syndromen oder fakultative paraneoplastischen
Syndromen ein hoher Stellenwert zu. Hier sollte ein abgestuftes
▶ Tab. 5). In Abhängigkeit der
Vorgehen durchgeführt werden (●
aufgrund des klinischen Syndroms und insbesondere des nachgewiesenen Autoantikörpers vermuteten Tumorlokalisation
sollte die Wahl der geeigneten Bildgebung erfolgen. Auch Risikofaktoren wie Rauchen, Familienanamnese sollten in diese Überlegungen mit einfließen. Bei unauffälliger Primärdiagnostik
schließt sich dann die Sekundärdiagnostik an. Da die Immunantwort gegen den Tumor offensichtlich biologisch sehr effektiv ist,
können die Tumore für lange Zeit histologisch klein und damit
bildmorphologisch nur schwer zu diagnostizieren bleiben. In einem direkten Vergleich bei der Tumordiagnose von Antikörperpositiven Patienten war das FDG-PET signifikant dem CT überlegen, hat aber auch seine Grenzen. Die FDG-PET oder FDG-PET/CT
bietet bei unauffälliger Primärdiagnostik eine zusätzliche Sensitivität (20–40 %) bei hoher Spezifität (85 %) [97], dies gilt nicht
für Mamma-Karzinome, nicht-metastasierte Hauttumore oder
differenzierte Teratome. Bei letzteren Tumoren kommen andere
▶ Tab. 5). Auch bei AK-negativen PatienVerfahren zum Einsatz (●
ten mit wahrscheinlichen, paraneoplastischen Syndromen ist
die Verwendung eines Ganzkörper-FDG-PET als hochsensitive
Suchmethode für okkulte Tumore eine wertvolle Hilfe in der Differenzialdiagnose [97].
Eine rasche bioptische Sicherung ist in der Situation eines suspekten FDG-PET Befundes unbedingt notwendig. Erfahrungsgemäß können Biopsien von FDG-anreichernden, suspekten Läsionen oft nur floride Entzündung ohne Malignitätszeichen zeigen.
Im entsprechenden Kontext eines gesicherten paraneoplastischen neurologischen Syndroms sollte dies nicht davon abhalten, eine erneute bioptische Sicherung anzustreben.
Bei fehlendem Tumornachweis sollte basierend auf den europäischen Leitlinien [98] initial nach 3–6 Monaten für mindestens 4
▶ Tab. 5)
Jahre eine Tumorsuche mit den geeigneten Verfahren (●
durchgeführt werden. Diese Empfehlungen basieren auf Expertenmeinungen. Eine Studie zeigt, dass beim LEMS eine 2-jährige
Nachbeobachtungszeit ausreicht [99]. Wie lange und in welchem Intervall eine Nachbeobachtung Teratom-negativer Patientinnen mit einer NMDA Rezeptor Antikörper Enzephalitis
Leypoldt F et al. Neues bei paraneoplastischen Syndromen … Akt Neurol 2012; 39: 60–73
Neues in der Neurologie
Tab. 5 Abgestufte Tumordiagnostik in Abhängigkeit von der vermuteten Lokalisation für ausgewählte Tumore. Sensitivität in Klammern soweit bekannt.
Verweis auf existierende bei der AWMF registrierte S2- und S3-Leitlinien. EB-US: Endobronchialer Ultraschall.
Tumor
Diagnostik
Siehe auch separate Leitlinien –
AWMF Registernummer
Primäre
Sekundäre
Tertiäre
CT-Thorax
(80–85 %)
MRT Thorax
CT-Thorax (75–90 %),
MRT Thorax
Mammografie
(80 %), Ultraschall
FDG-PET oder FDPPET/CT
Bronchoskopie/EB-US und
ggfs. Feinnadelpunktion
Ggfs. Mediastinoskopie
CT-Becken/Abdomen
Ovarial-Teratom
Transvag. Ultraschall
(69–90 %) + CA-125
Transvag. Ultraschall (69–90 %)
Testis-Tumore
Ultraschall (72 %) + β-HCG, AFP
CT-Becken/Abdomen
(76 %), MRT-Abdomen
Lymphome
CT-Thorax/Abdomen
Ultraschall
dermatologische Untersuchung
Ggfs. Biopsie
FDG-PET oder FDGPET/CT
Bronchial-Karzinom
Thymom
Mamma-Karzinom
Ovarial-Karzinom
Hauttumore (MerkelZell-Karzinom)
FDG-PET oder FDPPET/CT
Mamma-MRT
MRT (93–98 %)
erfolgen sollte ist unklar, wir untersuchen alle 6 Monate für 3
Jahre.
Neues zur Behandlung
▼
Sicherlich trägt die Beschreibung therapie-responsiver Subgruppen der paraneoplastischen Enzephalitiden zu einem gewissen
Umdenken bei. Therapeutischer Nihilismus aufgrund „schlechter Prognose“ ist bei paraneoplastischen neurologischen Syndromen nicht grundsätzlich gerechtfertigt. Einzelne klinische
Syndrome sind besser reversibel als allgemein angenommen
(z. B. Enzephalitiden). Die suffiziente Tumorbehandlung ist mit
einer Besserung oder Stabilisierung der Erkrankung selbst bei
Anti-Hu assoziierten Enzephalomyelitiden korreliert [59]. Zwar
sind einzelne Syndrome funktionell nur selten reversibel (z. B.
Kleinhirndegeneration bei Anti-Yo in nur 15 % der Fälle) [41], allerdings kann auch hier nicht vorhergesagt werden, welcher Patient doch anspricht. Die Therapie paraneoplastischer Syndrome
teilt sich nach wie vor ein in (1) die Tumorbehandlung (2) Immunsuppression bei fehlendem Tumornachweis und (3) symptomatische Therapien.
Tumortherapie
Die therapeutische Wirksamkeit einer Tumorbehandlung lässt
sich pathogenetisch mit einer Entfernung der onkoneuralen Antigenquelle erklären. Die Evidenz der klinischen Wirksamkeit
einer suffizienten Tumorbehandlung leitet sich für die klassischen paraneoplastischen neurologischen Syndrome mit Antikörpern gegen intrazelluläre Antigene aus großen retrospektiven Fallserien (u. a. [59]) oder großen Registerdaten [100] ab.
Eine Tumorbehandlung ist mit einer Odds Ratio von 4,56 (95 %
Konfidenzintervall 1,62–12,86) mit einer Stabilisierung oder
Besserung einer paraneoplastischen Enzephalomyelitis mit anti-Hu korreliert [59]. Bei den Enzephalitiden mit Oberflächenantigen-Antikörpern ist für die NMDA-Rezeptor Antikörper in einer sehr großen Fallserie gezeigt, dass die rasche Resektion eines
FDG-PET oder
FDG-PET/CT
CT-Thorax (extrapelvische
Teratome)
ggf. FDG-PET oder
FDG-PET/CT (maligne
Teratome)
S3 - Prävention, Diagnostik,
Therapie des Lungenkar-zinoms 020 - 007
S3 - Diagnostik, Therapie des
Mammakarzinoms der Frau - 032045OL
S2K - Diagnostik und Therapie maligner Ovarialtumoren - 032-035
Teratoms (innerhalb von 4 Monaten) mit verminderten Rezidiven und einem günstigeren Verlauf einhergeht [18, 23].
Die Tumortherapie sollte eng mit den Onkologen abgestimmt
werden, derzeit gibt es keine abweichenden Empfehlungen in
der Tumorbehandlung onkologischer Patienten mit oder ohne
paraneoplastische Syndrome. Welcher Art die Tumorbehandlung (Operation, Chemotherapie, Radiatio) ist, hängt primär
vom Tumortyp und nicht vom paraneoplastischen Syndrom ab.
Immuntherapie
Bei paraneoplastischen Syndromen mit Antikörpern gegen intrazelluläre Antigene ist die Wirksamkeit einer Immunsuppression nicht evidenzbasiert ist, aber insbesondere bei fehlendem
Nachweis eines Tumors empfohlen. Ob eine Immunsuppression
das Tumorwachstum beschleunigt, ist nicht abschließend erforscht. Hierüber sollte eine Aufklärung erfolgen. Bezüglich der
Art der Immunmodulation gibt es keine Daten aus kontrollierten
Studien, sie beruhen auf retrospektiven Fallserien [59, 101] und
kleinen unkontrollierten Studien [102, 103]. Beim LEMS kann
eine Behandlung mit ivIG versucht werden [104]. Bei der idiopathischen Form des Stiff-Person-Syndroms kann eine Behandlung
mit ivIG wirksam sein, dies ist für die paraneoplastische Form
nicht bewiesen [105]. Letztlich sind aus pathophysiologischen
Überlegungen monoklonale Antikörper bei paraneoplastischen
Syndromen sinnvolle Therapiealternativen. Etabliert hat sich
hier insbesondere Rituximab bei kindlichen Opsoklonus-Myoklonus-Syndromen ohne Neuroblastom und bei NMDA-Rezeptor Antikörper Enzephalitiden. Zu anderen therapeutischen Antikörpern sind mit Ausnahme von Alemtuzumab bei einer Karzinom-assoziierten Retinopathie [106] jedoch bisher keine Fälle
bekannt.
Immuntherapien und Dosierungen sowie Dosisintervalle sind
▶ Tab. 6 zusammengefasst. Sensorische Neuronopathien,
in ●
sensomotorische Neuropathien und autonome Neuropathien
sowie zentralnervöse PNS werden pragmatisch mit Steroidstößen (5 × 1 g Methylprednisolon i. v.) ggf. mit oraler Fortsetzung
(1mg/kg KG Prednisolonäquivalent) und individuellem Aus-
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Neues in der Neurologie
Tab. 6 Übersicht, Dosierungen und Intervalle immunsuppressiver Substanzen und Verfahren.
Substanz/Verfahren
Dosierungen
Laboruntersuchungen, Vorsorge
Wichtige unerwünschte Wirkungen
Methylprednisolon [101]
1 000–2 000 mg/d oder 20–40 mg/kg
KG/d i. v. für 3–5 Tage
Protonenpumpenhemmer (Magenschutz); ggfs.Thromboseprophylaxe
Prednisolon (z. B.
Decortin H®)
initial 1 mg/kg/d; langsame, individuelle Dosisreduktion bei Ansprechen.
Längerfristige Behandlung mit 0,1 mg/
kg KG/d
Vitamin D, Kalzium; jährliche Knochendichte, ggfs. Bisphosphonate;
Protonenpumpenhemmer
intravenöse Immunglobuline [103, 108]
2 g/kg Induktion 3–5 Tage, Erhaltung
0,5–1 g/kg 1–3 Tage alle 4–5 Wochen;
keine bekannten, präparatespezifischen Unterschiede
5 Zyklen Plasmaseparation gegen
Albumin oder Frischplasma
vor Erstgabe Ausschluss IgA Mangel
Schlafstörungen, Stimmungswandel,
Sehstörungen, Dyspepsie, Bluthochdruck,Blutzuckerentgleisung
Kurzfristig: siehe Methylprednisolon
Längerfristig: Magenulzeration, Osteoporose, Myopathie, Flüssigkeitsretention, Gewichtszunahme, Diabetes
mellitus, Bluthochdruck, Infektionsrisiko, Katharakt, Hautveränderungen
allergische Reaktionen, Kopfschmerzen, sterile Meningitis, vorübergehende Nierenfunktionsstörung
Monitoring, CRP, Leukozyten, Fibrinogen, kein Fieber, Compliance
Katheteranlage, Blutung, Sepsis, Änderung von Antikonvulsivaspiegeln
Rituximab 375 mg/m2KO/Monat für 4
Monate [102]
oder 1 000 mg Rituximab d1 und d15
[109]
Wiederholung individuell. Nach 12
Monaten oder bei Nachweis steigender
CD19-Zellen im Blut
max. Kumulativdosis 30 g ( − 50 g);
750–1 000 mg/m2 i. v. alle 4 Wochen.
Dosissteigerung bis Leukozytennadir < 4/nl; Reduktion um 125 mg/m2
bei Leukos < 3/nl, Aussetzen bei
Leukos < 1,5/μl. Reduktion 30 % bei
Krea-Cl < 30 ml/min oder Alter > 65J.
Behandlungsdauer: bis zur Remission, > 6 Monate
Monitorüberwachung, Vorbehandlung:
1 000 mg Paracetamol, 2 mg Clemastin,
50 mg Ranitidin, 100 g Prednisolon.
CD19, CD20 Bestimmung
Exantheme, Bronchospasmus, Fieber
(50 %), Schüttelfrost, Rigor, Übelkeit
Kopfschmerz und Blutdruckabfall
(10 %)
Nadir an Tag 12–16. Blutbild,
Leberfunktion, Entzündungswert,
Urinanalyse (wöchentlich Monat 1,
danach monatlich); engmaschiger bei
GFR 10–30 ml/min
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Fatigue,
Zystitis, Hämaturie, Knochenmarksuppression, Urothel-Karzinom
Plasmapherese oder
Protein A Immunadsorption [107]
Rituximab [102]
Cyclophosphamid
[101, 106]
schleichschema behandelt. Nach 2 Wochen ohne Besserung oder
Stabilisierung eines zuvor progredienten Syndroms ist bei zentralnervösen Syndromen eine Behandlung mit Cyclophosphamid
üblich. Meist erfolgt eine intravenöse Stoßtherapie mit 750–
1 000 mg/m2 Körperoberfläche in Einzelfällen bis 2 000 mg/m2
alle 3–4 Wochen [107]. Bei isolierten peripher-neurologischen
Manifestationen können therapeutisch ivIG (2 g/kg KG verteilt
über 5 Tage) oder eine Plasmapherese/Immunadsorption eingesetzt warden [108]. In Einzelfällen wurden ivIG auch mit Erfolg
bei Hirnstamm- und Kleinhirnmanifestationen angewandt
[109]. Zu monoklonalen Antikörpertherapien existieren einzelne Kasuistiken und eine unkontrollierte Studie. Als Alternative
zu Cyclophosphamid kann Rituximab entweder 375 mg/m2KOF
monatlich über 4 Monate [102] oder 1 000 mg absolut an Tag 1
und Tag 15 analog zu dem Vorgehen bei Neuromyelitis optica
[110] erwogen werden, ein Vorteil eines dieser Regime ist nicht
belegt. Obwohl in diesem Kontext nicht evidenzbasiert, sollte
bei längerfristiger Immunsuppression zur Vermeidung von steroidalen Nebenwirkungen zusätzlich zu oder anstatt Steroiden
mit Steroid-sparenden Agenzien behandelt werden (MTX, Azathioprin, Mycophenolat Mofetil, Cyclosporin A). Im Rahmen einer systemischen Tumorbehandlung ( = Chemotherapie) ist eine
zusätzliche Immunsuppression mit weiteren Agenzien aus pathophysiologischen Überlegungen meist nicht sinnvoll. Bei isolierter Radiatio oder Operation von Tumoren kann eine adjuvante Immunsuppression sinnvoll sein.
Die Enzephalitiden mit Antikörpern gegen Oberflächenantigene
sprechen zwar besser auf eine Immuntherapie an, es gibt jedoch
auch hier bisher keine kontrollierten randomisierten prospektiven Therapiestudien sondern lediglich Fallberichte und -serien.
Aus der größten vorhandenen Fallserie der NMDA Rezeptor Antikörper assoziierten Enzephalitiden kann abgeleitet werden,
dass eine frühe Therapie mit Steroiden, humanen Immunglobulinen oder Plasmapherese sinnvoll ist. Der frühe Beginn einer
immunsuppressiven Therapie ( < 40 Tage) kann den Verlauf
günstig beeinflussen und den Aufenthalt auf der Intensivstation
deutlich reduzieren [19]. Bei Patienten, die nicht frühzeitig –
also innerhalb der ersten 8 Wochen – behandelt wurden oder
keinen nachweisbaren Tumor haben, wird eine Immunsuppression mit Cyclophosphamid oder dem monoklonalen CD20 Antikörper Rituximab empfohlen [18]. Insbesondere die gute Verträglichkeit und die lange Wirksamkeit sowie das Fehlen einer
Gonadentoxizität bei jungen Frauen sprechen für letztere Substanz. Nach eigener Erfahrung ist die Wirksamkeit sehr gut. Wenig ist allerdings über die Langzeittherapie bekannt. Meist muss
nach einer Resektion eines Teratoms bei einer paraneoplastischen NMDA-Rezeptor Antikörper Enzephalitis nicht dauerhaft
immunsuppressiv behandelt werden. Bei Patientinnen ohne
nachweisbares Teratom wird nach einer intravenösen Cyclophosphamidtherapie oft eine orale Immunsuppression mit Azathioprin, MTX oder Mycophenolat Mofetil über 1–2 Jahre durchgeführt. Rituximab kann individuell nach 3–12 Monaten erneut
appliziert werden, oft wird der erneute Anstieg von CD19 positiven Zellen im Blut als Surrogatparameter für eine sich abschwächende Wirkung des Rituximab interpretiert.
Leypoldt F et al. Neues bei paraneoplastischen Syndromen … Akt Neurol 2012; 39: 60–73
Neues in der Neurologie
Literatur
Key Messages
1. Bei paraneoplastischen Syndromen kommt der Autoantikörperdiagnostik herausragende Bedeutung zu.
2. Bei Enzephalitiden wird zwischen Autoantikörpern gegen
intrazelluläre Antigene (Hu, Yo, CV2/CRMP5, Ri, usw.) und
Oberflächenantigene (NMDA-Rezeptor, AMPA-Rezeptor,
usw.) unterschieden.
3. Anti-Tr, Anti-SOX1, Anti-Zic4, PCA-2, ANNA-3 oder ganglionäre ACh-Rezeptor Antikörper gelten als teilcharakterisierte paraneoplastische Antikörper, sollten jedoch trotzdem als starker Hinweis auf ein paraneoplastisches Syndrom gewertet werden.
4. Die Tumorsuche sollte nach vermuteter Lokalisation ge▶ Tab. 5).
staffelt erfolgen (●
5. Ein Tumorscreening sollte alle 3–6 Monate für mindestens
4 Jahre erfolgen. Bei LEMS sind 2 Jahre ausreichend.
6. Die Tumortherapie (systemische Tumortherapie, Radiatio,
Operation) ist Therapie der ersten Wahl bei paraneoplastischen Syndromen. Die Art der Tumortherapie richtet sich
nach dem Tumor und nicht nach dem paraneoplastischen
Syndrom.
7. Immunmodulatorische Therapie paraneoplastischer Syndrome ist üblich obwohl nicht evidenzgesichert. Sie sollte
als cyclophosphamidbasiertes Regime durchgeführt werden. Eine Immunsuppression zusätzlich zu einer systemischen Tumortherapie sollte nicht durchgeführt werden.
8. Enzephalitiden mit Antikörpern gegen Oberflächenantige▶ Tab. 2) sollten frühzeitig immunsuppressiv (Steroine (●
de, Plasmapherese, ivIG) behandelt werden. Bei fehlendem
Ansprechen und fehlendem Tumornachweis wird eine Eskalation mit Cyclophosphamid oder Rituximab empfohlen, bei Tumornachweis eine rasche Tumorentfernung.
Zur Person
Dr. Frank Leypoldt ist Facharzt für
Neurologie und seit 2004 in der Klinik
für Neurologie in der Universitätsklinik
Hamburg-Eppendorf tätig. Sein
klinisches Interesse gilt insbesondere
Enzephalitiden, paraneoplastischen
Syndromen, rheumatologischen
Erkrankungen und Immunneuropathien, seit 2005 betreut er die neuroimmunologische Sprechstunde. Besonderen
Wert legt er auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit
Rheumatologen, Dermatologen und anderen „autoimmunen“ Disziplinen. Wissenschaftlich beschäftigt er sich neben
Enzephalitiden auch mit sekundären Immunmechanismen
im Schlaganfall.
Interessenkonflikt
▼
Frank Leypoldt gibt keine Interessenkonflikte an. Klaus-Peter
Wandinger besitzt Aktien der Firma Euroimmun AG. Raymond
Voltz gibt keine Interessenkonflikte an.
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