Autoimmunerkrankungen des Auges

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Tagung
BIS
Autoimmunerkrankungen des Auges
Zur jährlichen Tagung des Berliner Immunologie Seminars (BIS)
Mit den Autoimmunerkrankungen des Auges stand ein weitgespanntes Thema im Mittelpunkt des inzwischen
gut etablierten „Berliner Immunologie Seminars“. Wie in den Jahren zuvor fand die Veranstaltung im Zentrum
Berlins statt und vermittelte den interessierten Teilnehmern im bis auf den letzten Platz besetzten Hörsaal
des Kaiserin-Friedrich-Hauses praxisrelevante Kenntnisse und Empfehlungen zu Autoimmunerkrankungen.
Prof. Dr. Uwe Pleyer fasst einige ausgewählte Themenaspekte zusammen.
I
n einer didaktisch sehr geschickten Präsentation führte Prof.
Dr. Gerhild Wildner, LMU München, in das komplexe Thema
der Autoimmunerkrankungen ein. Die potentielle Rolle infektiöser
Prozesse und frühzeitiger Dysregulationen des Immunsystems, vor
allem auf T-Zellebene, wurde für die Entstehung von Autoimmunerkrankungen hervorgehoben. Im Zusammenwirken endogener Mechanismen und genetischer Prädisposition kann eine „Entgleisung“
der sonst essentiellen Abwehrmechanismen eintreten und zur Entstehung von Autoimmunerkrankungen führen. Eigene Arbeiten der
Referentin beschäftigten sich mit dem HLA-B27 Molekül, das mit
der Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) und der vorderen
Uveitis (Iritis) stark assoziiert ist. Mit Unterstützung der Deutschen
Forschungsgemeinschaft konnte ein neuer immunologischer Mechanismus beschrieben werden, der erklärt, wie diese seit vielen Jahren
bekannten Zusammenhänge zustande kommen könnten. Dabei zeigte
sich, dass aus dem großen Molekül HLA-B27 bei Abbauvorgängen
verschiedene, kleinere Fragmente (Peptide) herausgeschnitten werden. Einige dieser Peptide können zur Arthritis führen, ein weiteres
Peptid erwies sich dagegen als Therapeutikum für Uveitispatienten
wirksam und ist Gegenstand aktueller Untersuchungen.
Interdisziplinäre Ansätze
Es kann als Charakteristikum – und vermutlich auch Grund für den
Erfolg der Veranstaltung angesehen werden – dass dem interdisziplinären Dialog beim BIS besondere Beachtung geschenkt wird.
So wird für viele Ophthalmologen der Blick in die Mundhöhle ihrer
Patienten zunächst befremdlich vorkommen. Der Zahnarzt Priv.Doz. Dr. Michel Stiller, Berlin, konnte allerdings überzeugend darstellen, dass bei der Betreuung von Patienten mit Sjögren-Syndrom
der Kontakt auch zur Zahnheilkunde wichtig ist. Neben extraoralen
Manifestationen durch permanente Schwellung der Speicheldrüsen
ist das hautsächliche Problem die verstärkte Kolonisation der
Mundhöhle mit Bakterien und Candidabefall durch die Xerostomie.
Dies kann bereits makroskopisch durch weiße Plaquebildung auf
der Wangenschleimhaut beobachtet werden. Zur Behandlung sind
Maßnahmen im Rahmen der allgemeinen (systemischen) Therapie des
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SJÖGREN-SYNDROM: DIAGNOSTISCHE KRITERIEN
1. Augensymptome: eine positive Antwort auf eine der folgenden Fragen:
•
Leiden Sie seit mindestens drei Monaten täglich an persistierenden
trockenen Augen?
•
Haben Sie wiederholt Sand- oder Fremdkörpergefühl in den Augen?
•
Verwenden Sie mehr als dreimal täglich Augentropfen oder
Tränenersatzmittel?
2. Orale Symptome: eine positive Antwort auf eine der folgenden Fragen:
•
Haben Sie seit mehr als drei Monaten täglich das Gefühl, einen
trockenen Mund zu haben?
•
Haben Sie als Erwachsener wiederholt oder anhaltend geschwollene
Speicheldrüsen?
•
Trinken Sie oft beim Essen, um trockene Speisen besser schlucken zu
können?
3. Augenbefunde: ein objektiver Nachweis der Augenbeteiligung liegt
vor, wenn einer der folgenden Befunde erhoben werden kann:
•
Schirmer-Test positiv (≤ 5mm/5 Minuten)
•
Bengalrosa-Index positiv (Bijsterveld-Index ≥4)
4. Histopathologie: Nachweis eines Fokus Score ≥1 in einer kleinen
Speicheldrüse (dabei ist ein Fokus als ein Agglomerat von 50 mononukleären Zellen definiert:
•
Die Zahl der Foci innerhalb von 4mm2 glandulären Gewebes ergeben den so genannten Focus Score).
5. Speicheldrüsenbefunde: objektiver Nachweis der Speicheldrüsenbeteiligung ist definiert durch mindestens einen positiven Befund bei den
folgenden Untersuchungen:
a. Speicheldrüsenszintigraphie
b. Parotissialographie
c.
Unstimulierter Speichelfluss (≤ 1,5ml/15 Minuten)
6. Autoantikörper: Serologischer Nachweis eines oder der beiden
folgenden Autoantikörper:
a. Autoantikörper gegen Ro(SS-A)
b. Autoantikörper gegen La(SS-B)
Klassifikationsprinzipien: Bei Patienten, die vier der sechs möglichen Kriterien erfüllen und keine
andere potentiell assoziierte Erkrankung haben, ist die Konstellation indikativ für ein primäres
Sjögren-Syndrom. Bei Patienten mit anderen Erkrankungen autoimmuner Grundlage sind das
Vorliegen von Symptomen der Gruppe 1 oder 2 sowie zwei der Befunde unter 3-5 indikativ für ein
sekundäres Sjögren-Syndrom.
Ausschlusskriterien: Präexistente Non-Hodgkin-Lymphome, HIV-Infektion bzw. AIDS, Sarkoidose,
Graft-versus-Host-Erkrankung nach allogener Knochenmarktransplantation, Sialadenose. Eine Reihe
von Medikamenten haben eine Reduktion der exokrinen Drüsenfunktion als Nebenwirkung, vor allem
Antidepressiva, Antihypertensiva, Neuroleptika, Parasympatolytika etc.
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rheumatischen Grundprozesses angezeigt. Liegen Superinfektionen
vor, ist eine Antibiotikagabe indiziert. Ausgehend vom Grad der
Mundtrockenheit empfahl Stiller als Therapie Pilokarpin-Tee,
Lutschtabletten und medizinische Kaugummis. Die Restkapazität
der Speicheldrüse lässt sich objektiv durch Szintigraphie bestimmen.
Ist die Speicheldrüsensekretion erloschen, bleibt nur die Substitution
mit viskösen Lösungen; Behandlungsmaßnahmen, die der Augenarzt
für die Anwendung aus dem eigenen Fachbereich gut kennt…
Insbesondere Kinder und Jugendliche mit Sjögren-Syndrom bedürfen
engmaschiger Kontrolle durch erfahrene Kollegen der Zahnmedizin.
Sjögren-Syndrom
Auf die Charakteristika des Sjögren-Syndroms aus ophthalmologischer Sicht ging Dr. Philipp Steven, UniversitätsAugenklinik Lübeck, ein. Die Erkrankung betrifft bevorzugt
das weibliche Geschlecht (9:1) und bietet oft bereits initial
typische Augensymptome. An erster Stelle stehen Trockenheitsund Fremdkörpergefühl. Das Sjögren-Syndrom ist differenzialdiagnostisch von den anderen Tränenfilmstörungen ohne autoimmunologische Ursache abzugrenzen, so Stevens. Die Diagnose
kann anhand von international vereinbarten Kriterien mit hoher
Sensitivität und Spezifität gestellt werden (siehe Tab. 1).
Die Behandlung bleibt durchaus eine Herausforderung, da klare
Leitlinien der systemischen Behandlung und deren Wirkung auf
die ophthalmologische Beteiligung fehlen. Grundsätzlich erscheint
eine systemische immunmodulatorische Behandlung bei Befall
mehrerer Organe sinnvoll. Dies kann in Praxi allerdings oft nur unzureichend umgesetzt werden. Zusätzlich hat sich die Behandlung
mit antientzündlicher Lokaltherapie, unter anderem mit topischem
Cyclosporin A (CsA) bewährt. Probleme ergeben sich nach Steven
dadurch, dass CsA in Deutschland nicht zugelassen und als OffLabel-Behandlung beantragt werden muss. Eine interessante, deutlich
kostengünstigere Option könnten neue, „sichere“ Kortikosteroide
sein. So liegen günstige Erfahrungen aus den USA mit Loteprednol
vor, einem Steroid, das bei guter antientzündlicher Wirkung ohne
drucksteigernde Wirkung auch zur Langzeitbehandlung geeignet ist.
A
B
Abb. 1: Intravitrealfärbung bei Sjögren-Syndrom: Lissamingrün (A),
Bengalrosa (B).
Patienten mit MS und NNO
Abb. 2: Anteriore Uveitis (B27 und Uveitis anterior).
Die fachübergreifende Zusammenarbeit steht auch bei Autoimmunerkrankungen des Nervensystems im Vordergrund. Dies betrifft in
erster Linie Patienten mit multipler Sklerose und Sehnervbeteiligung.
Die Behandlung von Patienten mit Multipler Sklerose (MS) hat in den
letzten Jahren zahlreiche neue Impulse erfahren. Dr. Tobias Derfuß,
Universitätsklinik für Neurologie, Erlangen, legte einen Stufenplan
für die Therapie vor. Für die etwa 120.000 in Deutschland betroffenen Patienten stehen zur Basistherapie die Interferonpräparate
Avonex, Betaferon und Rebif sowie der Immunmodulator Copaxone
zur Verfügung. Medikamente neuester Generation sind Natalizumab
(Handelsname: Tysabri), das 2006 zugelassen wurde, und die
Substanz FTY 720, die derzeit in der klinischen Prüfungsphase III
untersucht wird. Ersteres hemmt die Durchwanderung aktivierter
Leukozyten durch die Blut-Hirn-Schranke. Die zweite Substanz
hemmt deren Migration aus lymphatischem Gewebe in die Blutbahn.
Jüngste Studien haben gezeigt, so Derfuß, dass Natalizumab die
Schubrate der MS nahezu doppelt so effektiv senkt wie etablierte
Betainterferone oder Copaxone. Da es wichtig ist, die Multiple
Sklerose früh und konsequent zu behandeln, kommt der frühzeitigen
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Abb. 3: Multiple Sklerose.
A
B
Abb. 4: Intermediäre Uveitis bei Multipler Sklerose (A,B).
Diagnose der Erkrankung eine wesentliche Bedeutung zu. In der
Regel versucht man bereits nach dem ersten Schub die Diagnose einer
MS zu stellen und eine prognostische Einschätzung vorzunehmen
sowie entsprechende Präventionsmaßnahmen einzuleiten.
Die Neuritis des Sehnerven ist mit einer Inzidenz von ca. 4/100.000
die bekannteste Beteiligung des Auges im Rahmen einer MS.
Der Verlauf ist typischerweise subakut und führt zu einer einseitigen Visusminderung auf im Mittel 0,25. Prof. Dr. Wolf A.
Lagrèze, Universitäts-Augenklinik Freiburg, wies darauf hin, dass
die Prognose zwar als gut eingeschätzt wird, etwa Dreiviertel der
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Patienten erreichen im weiteren Verlauf wieder eine Sehschärfe
von 1,0. Jedoch behalten fünf Prozent der Betroffenen einen Visus
zwischen 0,4 und 0,1. Zusätzlich klagen viele Patienten trotz völliger
Visuserholung oft darüber, dass bestimmte Qualitäten des Sehens
dauerhaft beeinträchtigt bleiben.
Dies könnte, so Lagrèze, durch neue Erkenntnisse im Verständnis
der Erkrankung begründet sein. Die Pathogenese der Neuritis nervi
optici (NNO) wurde lange Zeit als autoimmune Demyelinisierung interpretiert. Das Bild der MS hat sich jedoch grundlegend gewandelt.
So fanden sich in Hirnbiopsien frischer MS-Herde ein massiver
Untergang von Axonen. Dies könnten auch bei der Augenbeteiligung
wichtig sein. Bereits seit längerem ist bekannt, dass mehr als 90
Porzent aller NNO-Patienten in der Scanning-Laser-Polametrie
Defekte der retinalen Nervenfaserschicht aufweisen und in der
optischen Kohärenztomographie eine Ausdünnung der retinalen
Nervenfaserschicht um 30 Prozent zeigen. Das Ausmaß dieser
Schädigung korrelierte dabei mit psychophysischen Untersuchungen,
wie beispielsweise dem Farbensehen.
Im Zusammenhang mit den neuen Behandlungsmöglichkeiten
stellt sich daher die Frage, welchen Einfluss verschiedene
Therapien auf den Erhalt oder das Absterben von Axonen bei NNO
und MS haben. Deutlich in Frage stellte Lagrèze die Behandlung
der isolierten, akuten NNO mit Kortikosteroiden. Basierend auf
der plazebokontollierten Optic-Neuritis-Treatment-Trial-Studie
(ONTT-Studie) wird typischerweise die akute NNO meist mit
1000 mg Methylprednisolon/d intravenös über drei Tage, gefolgt
von einer oralen Ausschleichphase behandelt. Damit wird zwar
gegenüber der Plazebogabe eine schnellere Visuserholung erreicht,
das Endergebnis im Langzeitverlauf ergab allerdings keine
Vorteile. Aktualität bekommt diese Nutzen-Risiko-Abwägung
durch neuere Befunde, die Hinweise darauf ergaben, dass Steroide
möglicherweise den axonalen Schaden durch Apoptoseinduktion
retinaler Ganglienzellen verstärken. Hinweise dafür bieten Studien,
die zeigten, dass Patienten, die bei NNO eine Hochdosistherapie
mit Methylprednisolon erhielten, sechs Monate später retrobulbär
dünnere Sehnerven aufwiesen als die Plazebogruppe, berichtete
Lagrèze. Auch bei experimenteller Autoimmunenzephalomyelitis
im Tiermodell wurden vergleichbare Befunde berichtet. Bei
Tieren mit Steroidtherapie überlebten nur halb so viele retinale
Ganglienzellen wie in der Plazebogruppe. Ausgehend von dieser
Studienlage empfahl Lagrèze daher im Einzelfall mit dem Patienten
zu diskutieren, ob er unter Inkaufnahme der Steroidnebenwirkungen
eine raschere Visuserholung wünscht.
Prof. Dr. Uwe Pleyer
Oberarzt an der Charité Universitäts-Augenklinik
Campus Virchow-Klinikum, Berlin
E-Mail: [email protected]
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