Der Mensch als Informationswesen

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GERHARD ROTH
INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG
UNIVERSITÄT BREMEN
DER MENSCH ALS INFORMATIONSWESEN
 G. Roth, 2007
AMBIVALENZ DES INFORMATIONSBEGRIFFS
Information als Signal bzw. Zeichen
(Nachrichtentechnik)
Information als Bedeutung (Semantik)
Zwei scheinbar sich widersprechende
Aussagen über das Gehirn
Gehirne sind offene Systeme. Zum Zweck der Verhaltenssteuerung interagieren sie mit ihrer Umwelt. Sie nehmen über
die Sinnesorgane Informationen aus der Umwelt auf,
verarbeiten und speichern sie und geben sie in Handlungen
und kommunikativen Akten wieder ab.
Gehirne sind semantisch geschlossene Systeme. Sie
nehmen zwar Reize, aber keine Bedeutungen auf und geben
keine Bedeutungen ab; vielmehr erzeugen sie intern
Bedeutungen. Gehirne interagieren überwiegend mit sich
selbst.
Wie passt dies zusammen? Was mache ich eigentlich, wenn
ich jetzt zu Ihnen rede?
KOGNITIONSPSYCHOLOGISCHES MODELL
DER INFORMATIONSVERARBEITUNG
INFORMATIONSAUFNAHME
BEWUSSTES
PROBLEMLÖSEN
ABRUF
- DENKEN
- VORSTELLEN
- ERINNERN
- PLANEN
ABSPEICHERN
WISSENSSPEICHER
INFORMATIONSABGABE
NEUROBIOLOGISCHKONSTUKTIVISTISCHES MODELL
DER BEDEUTUNGSERZEUGUNG
BEDEUTUNGSZUWEISUNG
REIZAUFNAHME
VERHALTEN
BEWUSSTSEIN
REIZTRANSDUKTION
MOTORCODES
UNBEWUSSTES
KANIZSA-TÄUSCHUNG
KUH IN NORDDEUTSCHER
LANDSCHAFT
DIE
NEUTRALITÄT
DES
NEURONALEN
CODES
BEI DER REIZTRANSDUKTION
Aktivitätszustände der Wahrnehmungssysteme (gleichgültig
ob von Bewusstsein begleitet oder nicht) haben von ihrer
Beschaffenheit her nichts mit den physiko-chemischen
Ereignissen der Welt zu tun.
Nur physikalische und chemische Elementarereignisse
können Sinnesrezeptoren reizen.
Im Prozess der Reiz-Transduktion verlieren die Umweltereignisse ihre Komplexität und Spezifität; sie werden in
neuroelektrische oder neurochemische Elementarereignisse umgewandelt.
Das Gehirn kann also grundsätzlich nicht die Welt abbilden
(unabhängig davon, ob dies sinnvoll wäre oder nicht)
Seitenansicht des menschlichen Gehirns
(nach Nieuwenhuys et al. 1991)
Geist und
Bewusstsein sind
unabtrennbar an
Aktivitäten der
Großhirnrinde
(Cortex cerebri)
gebunden.
Der Cortex enthält
ca. 15 Milliarden
Neurone und 500
Billionen Synapsen.
Zellulärer Aufbau
der Großhirnrinde
(Cortex)
Zeichnung von
S. Ramón y Cajal
(nach Spektrum der Wissenschaft)
CORTICALE SYNAPTISCHE KONTAKTE
(nach Spektrum der Wissenschaft, verändert)
PRÄSYNAPSE
ERREGUNGSÜBERTRAGUNG
AN EINER
CHEMISCHEN
SYNAPSE
POSTSYNAPSE
DIE HÖRBAHN DES
MENSCHEN
BEDEUTUNG
SCHALLDRUCKWELLEN
Komplexe Funktionen der Großhirnrinde
BEWEGUNGSKONTROLLE
BEWEGUNGSVORSTELLUNGEN
KÖRPER
RAUM
SYMBOLE
ANALYSE
PLANUNG
ENTSCHEIDUNG
SPRACHE
(Broca)
BEWERTUNG
ETHIK, MORAL
AUTOBIOGRAPHIE
OBJEKTE
GESICHTER
SZENEN
SPRACHE (Wernicke)
Konstruktion von Bedeutung im Gehirn am Beispiel des
Sprachverstehens
1. Innenohr: Umwandlung von Schalldruckwellen in Nervenimpulse.
2. Hirnstamm: Konstruktion von Tonhöhe, Ort, Lautstärke, Klangfarbe.
3. Primäre Hörrinde: Unterscheidung zwischen sprachlichen und
nichtsprachlichen Lauten. Zuweisung sprachlicher Laute zu den
Sprachzentren in der linken und rechten Hirnrinde.
4. Linker Schläfenlappen, Wernicke-Areal: Konstruktion einfacher
Wort- und Satzbedeutungen (bis Drei-Wort-Sätze).
5. Linker Stirnlappen, Broca-Areal: Analyse grammatikalischer und
syntaktischer Merkmale. Konstruktion komplexer Satzbedeutungen.
6. Rechter Schläfenlappen: Analyse affektiv-emotionaler
Komponenten der Sprache, der Mimik und Gestik.
WAS IST VERSTEHEN?
Verstehen ist der Prozess des neuen Zusammenfügens von
bedeutungshaften Inhalten, die im deklarativen (bewusstseinsfähigen) Gedächtnis des Zuhörers bereits vorhanden
sind.
Dieses Zusammenfügen geschieht in der Regel unbewusst
und nach rein internen, individuellen Kriterien im Rahmen
bewusster und insbesondere unbewusster emotionaler
Erfahrungen.
Hierbei spielt das limbische System die entscheidende
Rolle
Hypothalamus
(nach Spektrum der
Wissenschaft,
verändert)
Limbisches
System
Hippocampus:
Organisator
des
deklarativen,
bewusstseinsfähigen
Gedächtnisses
Hippocampus
Verbindungen
zwischen Cortex
und Hippocampus
und umgebender
Rinde
Ereignis- und
Kontextgedächtnis
Faktengedächtnis
Zentrum
für
emotionale
Konditionierung
Amygdala
(Mandelkern)
EREIGNIS
(Thalamus)
KONTEXT
(Hippocampus)
ANGENEHME/
UNANGENEHME
EMPFINDUNG
(limb. System)
Mesolimbisches
System:
Nucleus
accumbens
Reaktion auf neuartige,
überraschende Reize
Antrieb (Motivation)
durch Versprechen von
Belohnung (Dopamin)
Belohnungssystem
(hirneigene Opiate)
Ventrales
Tegmentales
Areal
Neuromodulatorische Systeme
Noradrenerges System/Noradrenalin/Locus
coeruleus: Aktivierung, Erregung, unspezifische
Aufmerksamkeit
Serotonerges System/Serotonin/Raphe-Kerne:
Dämpfung, Beruhigung, Wohlbefinden
Dopaminerges System/Dopamin/VTA und Nucleus
accumbens: Antreibend, belohnungs-versprechend,
Neugierde
Cholinerges System/Acetylcholin/basales Vorderhirn:
Gezielte Aufmerksamkeit, Gedächtnis-steuerung
Konvergenz sensorischer und neuro-modulatorischer
Eingänge auf corticalen Pyramidenzellen
NEU?
Gedächtnissystem
WO?
WAS?
Sensorischer
Input
(Hippocampus, bas. VH)
Neuromodulation
WICHTIG?
Bewertungssystem
(Limbisches System)
SEHBAHN
Netzhaut
Optischer Nerv
Sehnervkreuzung
Optischer Trakt
Lateraler Kniehöcker
Sehstrahlung
Primärer visueller
Cortex
Seitenansicht des menschlichen Gehirns
(nach Nieuwenhuys et al. 1991)
CORTICALE AKTIVITÄT BEI VISUELLER
AUFMERKSAMKEIT
Funktionelle
Kernspintomographie
Aufnahme von H.J
Heinze, S.A. Hillyard
and H. Scheich
ORT
RAUM
KARTEN
SYMBOLE
KOMPLEXE
BEWEGUNGSMUSTER
CORTEX
OBJEKTE
SZENEN
BEDEUTUNG
GEDÄCHTNIS
ORIENTIERUNG
KONTRAST
BEWEGUNGSRICHTUNG
DISPARITÄT
FARBE
GESTALT
RETINA
VISUELLES SYSTEM DER PRIMATEN
THALAMUS
Visuelle Informationen werden zuerst unbewusst im primären
visuellen Cortex nach ihren Details „vorsortiert“. Diese
Informationen werden zu assoziativen visuellen Arealen
weitergeleitet.
Dort werden sie unter Zuhilfenahme von Gedächtnisinhalten
interpretiert.
Diese Interpretation wird zum primären visuellen Cortex
zurückgeleitet. Hierdurch werden die Wahrnehmungsdetails
sinnhaft gruppiert.
Dadurch ergibt sich eine sowohl sinnhafte als auch
detailreiche Wahrnehmung.
Gesichtererkennung und
Einschätzung der
Vertrauenswürdigkeit
(i.W. rechtshemisphärisch):
FG: Fusiformer Gyrus
STS: Superiorer
temporaler Gyrus
AM: Amygdala, links
explizit
INS: Insulärer Cortex
(R. Adolphs, TICS
3, Dezember 1999)
Der Kommunikationserfolg hängt von folgenden Faktoren
ab:
• Emotionale Tönung der Stimme (Prosodie)
• Blick, Mimik, Gestik und Körperhaltung, die die
sprachliche Äußerung begleiten
• Sachlicher und emotionaler Kontext, in dem die
Kommunikation stattfindet
• Vorgeschichte der kommunikativen Situation
• Emotionale Erwartung der Kommunikationspartner an
die Kommunikation
Wahrnehmungsprozesse setzen sich zusammen aus
genetisch vorgegebenen, frühkindlich verfestigten
(„geprägten“) und durch spätere Erfahrung erworbene
Muster der Verarbeitung und Konstruktion von Inhalten.
Diese werden verhaltenswirksam durch die Verbindung mit
affektiven, emotionalen und motivationalen Zuständen.
Diese Verbindung geschieht wiederum auf eine genetisch
vorgegebene, frühkindlich geprägte oder erlernte Weise.
Wahrnehmung ist also weder Abbild noch interne „Symbolbildung“, sondern ein konstruktiver Prozess, in dem Vorerfahrung, Vorwissen und Vor-Urteile die entscheidende
Rolle spielen.
SCHLUSSFOLGERUNG I
Menschen unterscheiden sich in ihren Denk-, Vorstellungs- und
Gefühlsweisen viel stärker voneinander, als der Gebrauch einer
gemeinsamen Sprache uns glauben macht.
Diese Unterschiede ergeben sich aus Unterschieden im Erbgut
(Temperament, Talente), in der kindlichen Erfahrung, der
familiären und familiennahen Situation und der schulischen und
nichtschulischen Erziehung.
Menschen verstehen sich nur in dem Maße, in dem diese
Gegebenheiten ähnlich sind.
Verstehen ist eine wechselseitige Konstruktion von
Bedeutungszuständen.
SCHLUSSFOLGERUNG II
Richtig ist:
Wissen existiert in der Tat nur in den Köpfen von Menschen; Wissen
kann nicht übertragen werden.
Wissen und Erkenntnis entstehen in der Tat im wesentlichen aufgrund
„eigener Erfahrung“
Wir können nur plausibles, aber kein objektives Wissen erlangen.
Es gilt aber auch:
Das Gehirn muss die Umwelt adäquat erkennen, d.h. so, dass
überlebenssicherndes Verhalten erzeugt werden kann.
Das „denkende Subjekt“ konstruiert nichts; es ist selbst ein Konstrukt
Der Konstrukteur ist Teil der bewusstseins-unabhängigen Welt und uns
damit nicht zugänglich.
KUH IN NORDDEUTSCHER
LANDSCHAFT
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