Monovision als Möglichkeit der Presbyopie­ korrektur im Rahmen der Kataraktoperation H. Aurich Einleitung Trotz etablierter Alternativen wie Multifokal- und akkommodativen Linsen hat die Monovision in verschiedenen Bereichen der Augenheilkunde einen festen Platz zur Presbyopiebehandlung gefunden. Sie ist unabhängig vom verwendeten Verfahren definiert als die Fokussierung eines Auges auf die Ferne und des anderen auf die Nähe. Die sogenannte gekreuzte Monovision definiert sich als Emmetropisierung des nicht dominanten Auges und die Myopisierung des dominanten Auges beispielsweise bei Menschen mit visuellem Schwerpunkt im Nahbereich. Das Tragen von Monokeln war die erste Form einer Monovision mit Beginn im 14. Jahrhundert. Die Erstbeschreibung einer Monovision in der Literatur war bezogen auf Kontaktlinsen (Fonda 1966). Es folgte in den 1990er-Jahren die Anwendung in der refraktiven Laserchirurgie [7, 9]. Ebenfalls seit geraumer Zeit wird das Verfahren bei der Kataraktoperation angewandt. 2002 berichtete Greenbaum als erster über eine pseudophake Monovision mit geplanten 2,75 dpt Abstand zwischen beiden Augen [3]. Eine Sonderform – das Mix-and-Match-Verfahren mit zwei unterschiedlichen Multifokallinsen – hat sich bis heute nicht durchgesetzt. In letzter Zeit haben neue Ablationsprofile in der LASIK im Rahmen der Mono­ vision einen guten Intermediärvisus und trotzdem einen akzeptablen Nahvisus möglich gemacht. Mit non-linearen asphärischen Ablationsprofilen wird dabei eine größere Schärfentiefe pro Auge hergestellt. Zusammen mit weniger als 3,0 dpt Anisometropie schafft man einen Überblendungseffekt, der für mehr Schärfe im Intermediärbereich bei kaum eingeschränkter Schärfentiefe sorgt. Bei der pseudophaken Monovision soll das asphärische Linsendesign eine verbesserte Abbildungsqualität bewirken. Dafür macht der bekannte Pseudoakkommodationseffekt von ungefähr 1,0 dpt ein ähnliches Konzept der Minimonovision wie bei der LASIK mit einem geringeren Anisometropieabstand beider Augen möglich. Abbildung 1 zeigt mit Johann Wolfgang von Goethe und Konrad Adenauer zwei prominente Vertreter einer natürlichen Monovision. 262 Aurich: Monovision als Möglichkeit der Presbyopie­korrektur im Rahmen der Kataraktoperation Abb. 1: Goethe und Adenauer als Vertreter einer natürlichen Monovision Physiologische Grundlagen Beim Betrachten von Gegenständen in unterschiedlicher Raumtiefe wird durch den Effekt der Tiefenschärfe meistens nur die Ebene des Panum’schen Raumes scharf und als einfaches Bild gesehen. Alle physikalisch unscharfen oder doppelten Bilder werden im Gehirn im Regelfall unterdrückt. Die Welt ist für den Menschen eigentlich zum Großteil doppelt. Wir nehmen sie aber aufgrund einer Vielzahl von komplexen Vorgängen im neuronalen System als einfaches Bild wahr. Fusion/Suppression Idealerweise werden die Bilder beider Augen fusioniert, sodass ein Summations­ effekt zustande kommt. Zwei unscharfe Bilder desselben Gegenstandes verschmelzen zu einem schärferen Bild [5, 12]. Wenn die Fusion aufgrund einer zu hohen Anisometropie oder anderer Störfaktoren nicht mehr gelingt, kommt es zu einer Suppression des störenden Bildes. Sobald Suppression nicht mehr möglich ist, zerfällt das physikalisch doppelte Bild auch für unsere subjektive Wahrnehmung zu den getrennten Bildern beider Augen, was unter Umständen für das Individuum sehr unangenehm sein kann. Suppression ist ein multifaktorielles Phänomen mit psychophysiologischen ­Aspekten. Abbildung 2 zeigt ein sogenanntes Vexierbild, bei dem vom Betrachter je nach Aufmerksamkeitsfokus entweder eine junge Dame im Pelzmantel oder eine alte Frau gesehen wird. Nach einiger Übung kann man im Regelfall immer schneller 263 Presbyopie/akkommodative IOL Abb. 2: Vexierbild und zunehmend bewusst die Wahrnehmung und den Aufmerksamkeitsfokus von der einen auf die andere Wahrnehmungsvariante konzentrieren, nimmt aber nie beide Bilder im selben Augenblick wahr. Neuroadaptation Ein weiterer Faktor, der auch bei den Multifokallinsen eine Rolle spielt, ist die Neuro­ adaptation, die bereits drei Monate nach der Implantation eine subjektive Verbesserung derjenigen unerwünschten Symptome bewirkt, die durch die physikalischen Doppelkonturen entstehen. Bei der Monovision ist eine Gewöhnung nur bis zu acht Wochen nach der Operation des zweiten Auges untersucht worden, da in ­diesem Zusammenhang kein weiterführender Effekt der Neuroadaptation angenommen wird. Bei fortbestehenden Problemen über die Phase der Neuroadaptation hinaus bleibt bei der Multifokallinse nur noch die Explantation, die bei 5 bis 7 % der Fälle erforderlich wird. Dagegen besteht bei der Monovision die Möglichkeit, mit einer LASIK oder einer Add-on-Intraokularlinse wieder Emmetropie in beiden Augen herzustellen und somit die Probleme zu eliminieren. Studien Eine Vergleichsstudie zwischen jeweils 20 Patienten mit pseudophaker Monovision und beidseitiger Multifokallinse zeigte signifikant weniger spezifische Komplika­ tionen, eine höhere Zufriedenheit und einen besseren Intermediärvisus in der Mono­visionsgruppe. Dabei waren aber tendenziell der Fern- und der Nahvisus 264 Aurich: Monovision als Möglichkeit der Presbyopie­korrektur im Rahmen der Kataraktoperation in der Multifokalgruppe etwas besser ohne Signifikanzniveau. Die postoperative Lebens­qualität unterschied sich nicht in beiden Gruppen [10]. Einige Studien untersuchten die Patientenzufriedenheit nach Monovision: Die Erfolgsraten lagen zwischen 60 und 98 %, wobei die Kriterien für Erfolg unterschiedlich angesetzt wurden. Die pseudophake Monovision war mit zwischen 80 und 90 % deutlich überdurchschnittlich erfolgreich. Dabei stiegen die Zufriedenheit und der Erfolg des Verfahrens mit dem Alter der Patienten (Tab. 1). Ein wichtiger Aspekt lag zufolge einer japanischen Studie aus der Arbeitsgruppe um Shimizu in der exakten Emmetropisierung des Fernauges. Dieses Kriterium ließ die Patientenzufriedenheit steigen. Autor Jahr Verfahren n= Erfolgsrate Jain 1996 PRK/LASIK Review 73 % Du Toit 1998 Crossover Fernkontaktlinsen 2 Wochen, dann Monovision 67 67 % Erickson 2000 Kontaktlinsenträger 49 59 % Jain 2001 LASIK 42 88 % Mirander 2004 LASIK 374 93 % Greenbaum 2004 Pseudophakie 120 (74 J.) 90 % Reilly 2006 LASIK 82 98 % Braun 2008 LASIK 188 (52 J.) 93 % Ito 2009 Pseudophakie 82 81 %; 94 % bei den über 70-Jährigen Finkelman 2009 Pseudophakie 42 88 % Tab. 1: Literaturübersicht zur Erfolgsrate bei Monovision, Studien zur pseudophaken Monovision sind dunkler schattiert hinterlegt Monovision in der Praxis Dominanz Es ist üblich, das Fernauge bei der Monovision nach der Dominanz auszusuchen, weil nach gängiger Meinung das nicht dominante Auge besser supprimiert werden kann. Die verschiedenen Formen von Dominanz lassen sich mit quantitativen und qualitativen Messverfahren bestimmen. Die „sighting dominance“ bestimmt man z. B. mit dem Porta- oder Miles-Test, bei dem ein entferntes Objekt vermeintlich ­binokular durch ein Loch fixiert wird. Das Loch ist aber so klein, dass man das ­Objekt nur monokular wahrnehmen kann. Durch das Schließen abwechselnd beider Augen bestimmt man nun das wirklich fixierende und somit sichtdominante Auge. 265 Presbyopie/akkommodative IOL Die sensorische Dominanz kann quantitativ bestimmt werden, indem man beiden Augen getrennt zwei unterschiedliche Bilder präsentiert, die dann gegenläufig den Kontrast ändern. Das Kontrastverhältnis zu dem Zeitpunkt, an dem die Wahrnehmung vom einen auf das andere Auge umschlägt, liefert die quantitative Aussage über die sogenannte sensorische Dominanz [6, 12] (Abb. 3). Die Dominanz korreliert nach einhelliger Literaturmeinung nicht signifikant mit der Suppression. Außerdem korrelieren verschiedene Dominanztestverfahren gar nicht miteinander, und mehrere Messungen bei einem Patienten und einer einzigen Messmethode streuen oft stark. Left Eye Right Eye Perception Time Abb. 3: Konzept zu einer Apparatur zur Dominanztestung nach MacDonald et al. (Yang 2010 [6]) Die gekreuzte Monovision ist bei entsprechendem Patientenwunsch genauso erfolgreich bezüglich der Nebenwirkungen und Zufriedenheit wie die Standardmonovision [11]. Folglich ist die Dominanztestung für die Seitenwahl bei der Monovision nicht so wichtig wie bisher angenommen. Allerdings macht eine gering ausgeprägte Dominanz die Monovision erfolgreicher. Dominanztestung bleibt also trotzdem für die Patientenauswahl wichtig. Eine Studie hat außerdem gezeigt, dass bei über 70-Jährigen die Fallneigung zunimmt und die Gangart sich ändert, wenn eine gekreuzte Monovision besteht, das heißt, die Fernemmetropie auf das nahdominante Auge gelegt wird [13]. Ein wichtiger Faktor für den Erfolg einer Monovision ist die Suppressionsfähigkeit für Unschärfe. Dafür gibt es folgende Untersuchungsmethoden: Eine Vorschaltung von Plusgläsern vor die Fernrefraktion kann die Monovision quantitativ simulieren, da mit der Menge an vorgeschaltetem Plus die Höhe der tolerierten Anisometropie und das Ausmaß der tolerierten Unschärfe ausgedrückt wird. Der Worth-4-Punkte-Test ist Indikator für den Ausprägungsgrad der Dominanz. Aus der refraktiven Chirurgie kennt man den Kontaktlinsentrageversuch. Bei Kata­ raktpatienten ist dieser Toleranztest aber unpraktisch, wegen der häufig bereits 266 Aurich: Monovision als Möglichkeit der Presbyopie­korrektur im Rahmen der Kataraktoperation eingeschränkten Sehschärfe. Hier können zwei Retinometer helfen, bei denen die Streifen schräg und senkrecht zueinander eingestellt sind [8]. Können die Streifen abwechselnd supprimiert werden, so wird der Patient die Monovision im Zweifel gut tolerieren. Eine problemlos vorbestehende Monovision kann bei der Kataraktoperation wiederholt werden, wenn ein großer Visusunterschied vor der OP nicht die möglichen postoperativen Nebenwirkungen kaschiert hat. Außer der Suppressionsfähigkeit ist bei der Patientenauswahl der starke Wunsch nach weniger Brille am wichtigsten. Insbesondere sollte dem Patienten die Erfordernis der Brille für das Autofahren und für das Lesen von kleiner Schrift bewusst sein. Wie so oft gilt es auch hier, dass der Patient zufrieden sein wird, wenn die Erwartungen den erzielten Nutzen nicht übersteigen. Ein weiterer bewiesener Einflussfaktor auf die Zufriedenheit ist ein spezielles ­psychologisches Profil des Patienten, das ausgeprägte „Über-Ich“ nach Freud. Es geht mit tugendhaften Eigenschaften wie Ehrgeiz, Ordentlichkeit, Ausdauer, Zielstrebigkeit etc. einher. Solche Patienten haben in der Regel genügend Ausdauer für den Gewöhnungsprozess, sind aber auch realistisch genug, um die Nebenerscheinungen einer Monovision zu akzeptieren [2]. Ausschlusskriterien für eine Monovision sind ­latente Phorien und Paresen, insbesondere des Nervus trochlearis. Daher sollte präoperativ in jedem Fall mindestens ein Covertest durchgeführt werden. Monovision kann Einschränkungen in der Stereopsis bewirken [7]. Bei Patienten, die bestimmte Sportarten wie Tennis ausüben, ist also Vorsicht geboten. Bei anderen Sportarten können aber auch gerade die Vorzüge der Monovision zum Tragen kommen. Bestimmte Berufe wie Piloten oder Berufskraftfahrer kommen wegen erhöhter An­sprüche an das binokulare Sehen für die Monovision nicht infrage. Der ideale Punkt für die Höhe der Anisometropie liegt bei 1,5 dpt. Hayashi hat im Vergleich zu 1,0 und 2,0 dpt hier die besten Gebrauchsvisusergebnisse für Nähe und Ferne verbunden mit einer annehmbaren Stereopsis festgestellt [1]. Auch andere Autoren sehen bei bis zu 1,5 dpt Anisometropie das geringste Risiko für relevante ­Nebenwirkungen. Dabei kann die Dosierung natürlich an die individuellen An­ sprüche angepasst werden, ausgehend von der (vorher getesteten) Toleranz für die Anisometropie. Zusammenfassung Eine Katarakt erschwert häufig eine Simulation der Monovision mit Kontaktlinsen. Wie kann man also sicherstellen, dass der Patient mit der pseudophaken Mono­ vision zufrieden sein wird? Beim richtigen Maß an geplanter Anisometropie sind statistisch keine gravierenden Nebenwirkungen zu erwarten, einige wichtige Regeln der Patientenauswahl vorausgesetzt. Diese sollte ähnlich der bei Multifokallinsen erfolgen. Dabei würde man Patienten mit einem hohen Anspruch an brillantes ­Sehen eher mit einer monofokalen Monovision versorgen, solche, die eine gute 267 Presbyopie/akkommodative IOL Stereopsis benötigen, eher mit multifokalen IOL. Dabei muss auf die individuellen ­Bedürfnisse des Einzelnen eingegangen werden. Die pseudophake Monovision führt insgesamt zu einer hohen Patientenzufriedenheit, wenn folgende Kriterien beachtet werden: Es sollte neben einem starken Wunsch nach Brillenunabhängigkeit auch auf bestimmte Charaktereigenschaften des Patienten geachtet werden. Ältere Patienten sind insgesamt mit dem Bonus der wiedererlangten Nahsicht zufriedener als jüngere [4]. Eine gute Fähigkeit zur Suppression kommt dem Monovisionseffekt zugute. Dabei ist die Zuordnung der dominanten Augenseite offenbar weniger wichtig für den Erfolg, sofern eine Dominanz gering ausgeprägt ist. Bei Kataraktpatienten kann man sich bei der präoperativen Einschätzung der Situation z. B. mit zwei Retinometern helfen [5]. Das für die F ­ erne korrigierte Auge sollte möglichst emmetrop werden. Der ideale Anisometropie­ abstand liegt für die meisten Patienten bei 1,5 dpt. Auch hier sind interindividuelle ­Unterschiede möglich. Literatur 1. Hayashi K, Yoshida M, Manabe S, Hayashi H: Optimal amount of anisometropia for pseudophakic ­monovision. J Refract Surg 2011;27:332–338 2. Du Toit R, Ferreira JT, Nel ZJ: Visual and nonvisual variables implicated in monovision wear. Optom Vis Sci 1998;75:119–125 3. Greenbaum S: Monovision pseudophakia. J Cataract Refract Surg 2002;28:1439–1443 4. Ito M, Shimizu K, Amano R, Handa T: Assessment of visual performance in pseudophakic monovision. J Cataract Refract Surg 2009;35:710–714 5. Handa T, Shimizu K, Mukuno K et al.: Effects of ocular dominance on binocular summation after mono­ cular reading adds. J Cataract Refract Surg 2005;31:1588–1592 6. Yang E, Blake R, McDonald JE: A new interocular suppression technique for measuring sensory eye ­dominance. Invest Ophthalmol Vis Sci 2010;51:588–593 7. Jain S, Arora I, Azar DT: Success of monovision in presbyopes: review of the literature and potential applications to refractive surgery. Surv Ophthalmol 1996;40:491–499 8. Handa T, Uozato H, Higa R et al.: Quantitative measurement of ocular dominance using binocular rivalry induced by retinometers. J Cataract Refract Surg 2006;32:831–836 9. Wright KW, Guemes A, Kapadia MS, Wilson SE: Binocular function and patient satisfaction after mono­ vision induced by myopic photorefractive keratectomy. J Cataract Refract Surg 1999;25:177–182 10.Zhang F: Visual function and patient satisfaction: Comparison between bilateral diffractive multifocal ­intraocular lenses and monovision pseudophakia. J Cataract Refract Surg 2011;37:446–453 11.Braun E et al.: Monovision in LASIK Ophthalmology 2008;115:1196–1202 12.Evans BJ: Monovision: a review. Ophthalmic Physiol Opt 2007 Sep;27:417–439 13.Vale A, Buckley JG, Elliott DB: Gait alterations negotiating a raised surface induced by monocular blur. Optom Vis Sci 2008;85:1128–1134 268