63 IX. PSYCHISCHE STÖRUNGEN DER PERSÖNLICHKEIT I. AFFEKTIVE STÖRUNGEN (F3) 1) Depressive Episoden (F32) • Depressive Episoden gibt es schon bei Säuglingen und Kleinkindern, sind schwer zu diagnostizieren. • Symptome der Depression sind bei allen sehr ähnlich -> immer schlechter Versuch einer Problemlösung • Schlafstörungen = gutes Indiz für Depressionen. • Depressive Kinder gehen aufgrund ihrer sehr schlechten Laune entsprechend auf die Umwelt zu -> bekommen kaum positive Resonanz -> Selbstbestätigung („keiner mag mich“) als Entlastung (Schuld wird an andere abgegeben) • Früher: Depressionen bei Kindern gibt es nicht -> haben noch nicht die nötige kognitive Reife 60er und 70er Jahre: Beobachtung von depressionsäquivalenten Symptomen heute: (Enkopresis, Enuresis, aggressives Verhalten, somatische Beschwerden) -> „larvierte Depression“ Diagnosekriterien für Depressionen bei Kindern und Erwachsenen gleich; ABER Unterschiede: Î Zeitkriterien sind unterschiedlich Î depressive Verstimmung des Erwachsenen kann bei Kind und Jugendlichem auch als „gereizte Stimmung“ auftreten Klinisch-diagnostische Leitlinien: Man (= ICD 10) unterscheidet zwischen: • • • • • leichter depressiver Episode (mit oder ohne somatischem Syndrom) mittelgradiger depressiver Episode (mit oder ohne somatischem Syndrom) schwerer depressiver Episode - ohne psychotischen Symptomen - mit psychotischen Symptomen: ¾ synthyme psychotische Symptome ¾ parathyme psychotische Symptome sonstige depressive Episode nicht näher bezeichnete depressive Episode 64 2) Manische Episoden (F30) • Diagnose bei Kindern besonders schwer, da oft nicht von normalen Episoden zu unterscheiden • Kinder, die sehr häufig glücklich sind, sich oft überschätzen, gefährliche Situationen eingehen, ununterbrochen reden (= Logorrhoe), überdreht sind, erkranken später oft an Manie • Sinnlose Geldausgaben -> finanzieller Ruin • ICD-10: zwischen schwerer und leichter Manie gibt es quantitative Unterschiede. Rollett: es gibt auch qualitative Unterschiede • Neurotische Patienten haben meist Krankheitseinsicht, psychotische Patienten dagegen nicht -> neurotische Patienten sind eher bereit, an Therapie mitzuarbeiten Man unterscheidet: • • • • • • manische Episode Hypomanie Manie ohne psychotische Symptome Manie mit psychotischen Symptomen - mit synthymen psychotischen Symptomen - mit parathymen psychotischen Symptomen sonstige manische Episoden nicht näher bezeichnete manische Episode Klinisch-diagnostische Leitlinien: • drei Schweregrade, denen allen gemeinsam ist: - gehobene Stimmung - Steigerung in Ausmaß und Geschwindigkeit der körperlichen und psychischen Aktivität • Traten zuvor oder später affektive depressive, manische oder hypomanische Episoden auf, dann muss eine bipolare affektive Störung diagnostiziert werden Therapie: • medikamentöse Therapie (meist mit Lithiumsalz; aber sehr gefährlich wegen der unbedingt notwendigen genauen Dosierung und Einnahme, sonst Vergiftung!) 65 3) Bipolare affektive Störung Klinisch-diagnostische Leitlinien: • wiederholte (d.h. mindestens 2) Episoden mit deutlich gestörter Stimmung und Aktivität • einmal gehobene Stimmung, vermehrter Antrieb und vermehrte Aktivität (= Manie oder Hypomanie), dann Stimmungssenkung, verminderter Antrieb und verminderte Aktivität (= Depression); dazwischen vollständige Besserung • Inzidenz bei beiden Geschlechtern fast gleich (= Unterschied zu anderen affektiven Störungen!) • ausschließlich manische Episoden = selten • manische Episoden beginnen meist abrupt; Dauer = 2 Wochen bis 4-5 Monate; Depressionen dauern länger (ca. 6 Monate), selten länger als ein Jahr (Ausnahme = ältere Menschen!) • Episoden folgen meist einem belastenden Life-Event oder einem psychischen Trauma (muss aber nicht so sein!) • 1. Episode kann in JEDEM Alter auftreten (Kindheit bis hohes Alter) • Häufigkeit der Episoden = sehr unterschiedlich, ebenso Verlauf von Remissionen und Rückfällen (Intervalle werden im Lauf der Zeit kürzer, Depressionen mit zunehmendem Alter öfter und länger) Andere Einteilung: Affektive Störungen lassen sich einteilen in a) depressive Störungen b) bipolare Störungen ad a) depressive Störungen: Dazu gehören: • Major Depression (DSM-IV) = Depressive Episode (ICD-10): - • depressive Verstimmung (bei Kindern und Jugendlichen auch gereizte Stimmung) Verlust von Freude oder mangelndes Interesse an früher geliebten Aktivitäten Rezidivierende Major Depression (DSM-IV) = Rezidivierende depressive Störung (ICD-10) 66 • Dysthyme Störung (DSM-IV) = Dysthymia (ICD-10): analog zur Major Depression, aber geringere Intensität Unterschiede im zeitlichen Verlauf (2 von 6 Kriterien für mindestens 1 Jahr [bei Erwachsenen mindestens 2 Jahre] • nicht näher bezeichnete depressive Störung (DSM-IV) = nicht näher bezeichnete rezidivierende depressive Episode (IDC-10): - z.B. prämenstruelle dysphorische Störung - es liegen Merkmale vor, sie sind aber nicht ausreichend für eine Major Depression oder Dysthymie Außerdem wird nach dem Schweregrad unterschieden in: - leicht - mittel - schwer ad b) bipolare Störungen: • Bipolar – I (DSM-IV) = manische Episode (ICD-10): - eine oder mehrere manische Episoden abnorme, anhaltend gehobene oder gereizte Stimmung mindestens 1 Woche • „gemischte Störung“: - täglicher Wechsel (für mindestens 1 Woche von manischen Episoden mit Episoden einer Major Depression - bipolare Störung kann einzeln auftreten oder gemischt! • Bipolar – II (DSM-IV) = bipolar-affektive Störung (ICD-10): - eine oder mehrere Episoden einer Major Depression + mindestens eine hypomanische Episode (diese dauert mindestens 4 Tage) Hypomanische Episode zeigt zwar Symptome der Manie, aber Vollbild wird nicht erreicht (soziale, berufliche und schulische Funktionen sind nicht so stark eingeschränkt wie in der Manie) • Zyklothyme Störung (DSM-IV) = Zyklothymia (ICD-10): • nicht näher bezeichnete bipolare Störung: - Merkmale einer bipolaren Störung, aber Kriterien für Bipolar I oder Bipolar II werden nicht erfüllt - Wechsel von vielen Phasen mit hypomanischen Symptomen und vielen Phasen mit depressiven Symptomen - Kriterien einer Manie ode Major Depression werden nicht erfüllt - bei Erwachsenen mindestens 2 Jahre, bei Kindern und Jugendlichen mindestens 1 Jahr - nicht mehr als 2 symptomfreie Monate zwischen den Phasen 67 Merke: Ö bei bipolaren Störungen können auch Depressionen auftreten (meist eine oder mehrere Episoden der Major Depression) Ö bei Jugendlichen besteht ein Risiko von 10-15%, dass aus einer Major Depression eine bipolare Störung wird Ö Risiko des Auftretens einer bipolaren Störung ist im Kinder- und Jugendalter und im höheren Alter größer als bei den übrigen Altersgruppen Ö manische Episoden können leicht mit anderen psychischen Störungen verwechselt werden (z.B. Verhaltensstörung, Anpassungsstörung, usw.) Hauptsymptome der Major Depression: Merke: Ö mindestens 5 der Symptome für mindestens 2 Wochen durchgehend; Ö eines der beiden Kriterien muss gedrückte Stimmung oder Interessensverlust / Freudlosigkeit sein Ö resultierende Beeinträchtigungen wirken als massive Belastung • gedrückte Stimmung (durchgehend, reagiert meist nicht auf die jeweiligen • Interessensverlust und Freudlosigkeit an fast allen früher geliebten • • • Lebensumstände, kann aber charakteristische Tagesschwankungen aufweisen); bei Kindern und Jugendlichen auch gereizte Stimmung Aktivitäten (bei reizbarer Verstimmung kommt es auch zu Ärger, Tendenz zu jähzornigem Verhalten, schuldzuweisendem Verhalten, verminderter Frustrationstoleranz, aggressivem und wütend unbeherrschtem Verhalten, usw.) signifikanter Gewichtsverlust oder Gewichtzunahme (mehr als 5% des Körpergewichts in einem Monat); verminderter oder gesteigerter Appetit (bei Kindern Ausbleiben der im Rahmen der altersgemäßen Entwicklung zu beobachtenden Gewichtszunahme Antriebsverminderung; Energielosigkeit und deutliche Müdigkeit nach oft nur kleinen Anstrengungen verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, verminderte Denkfähigkeit, Entscheidungsschwierigkeiten • vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen • übermäßige oder unangemessene Schuldgefühle, Gefühle von Wertlosigkeit • negative und pessimistische Zukunftsperspektiven 68 • wiederkehrende Gedanken an den Tod, Suizidgedanken, Selbstverletzungen, Suizidhandlungen, genaue Planung eines Suizids • Schlafstörungen (Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf) • psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung bzw. Hemmung: - z.B. Kind springt in der Schule oft auf, kann nicht still sitzen, zappelt mit Armen und Beinen; - Verlangsamung betrifft Sprache, Denken, Bewegung; lange Antwortzeiten, verringerter sprachlicher Ausdruck Ö In Jugend oft untypisches Erscheinungsbild -> zeitweise stehen Angst, Gequältsein und motorische Unruhe mehr im Vordergrund; außerdem Reizbarkeit, exzessiver Alkoholkonsum, histrionisches Verhalen, Verstärkung frühe vorhandener phobischer oder zwanghafter Symptome, hypochondrische Grübeleien. Ö Wichtig für Diagnose: Symptome müssen mindestens 2 Wochen lang vorhanden sein. typische Merkmale des somatischen Syndroms sind (darf nur diagnostiziert werden, wenn mindestens 4 Symptome vorhanden sind): • • • • • • • Interessensverlust oder Verlust der Freude an normalerweise angenehmen Aktivitäten mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung oder freudige Ereignisse emotionell zu reagieren frühmorgendliches Erwachen (meist ca. 2 Stunden vor der Zeit) Morgentief objektiver Befund einer psychomotorischen Hemmung oder Agitiertheit Gewichtsverlust (oft mehr als 5% in einem Monat) deutlicher Libidoverlust Ö Patienten mit leichter depressiver Episode sind in Primärversorgung und in allgemein medizinischer Versorgung häufig; Patienten mit schwerer depressiver Episode dagegen in psychiatrischen Stationen. Ö Autoaggressive Handlungen = meist Vergiftungen mit Medikamenten Ö Symptome beeinflussen Patienten sehr stark auch in beruflicher und sozialer Hinsicht Ö Demenz oder Intelligenzminderung schließen Depressionen nicht aus, hier muss aber wegen der Kommunikationsprobleme vermehrt auf die somatischen Symptome (wie z.B. psychomotorische Hemmung, Appetit- und Gewichtsverlust, Schlafstörungen) geachtet werden. 69 Ausschlusskriterien einer Major Depression: Die Diagnose darf nicht gestellt werden bei: • gemischter Episode (d.h. wenn manische UND depressive Epsioden vorkommen) • wenn Symptome auf Einnahme von Substanzen zurückzuführen sind • wenn es sich um eine Trauerreaktion handelt (z.B. Tod oder Verlust einer geliebten Person [auch Haustier!]) • wenn andere Störungen vorliegen, die Störung besser erklären (z.B. Schizophrenie) Dysthyme Störung • muss bei Kindern und Jugendlichen mindestens 1 Jahr vorliegen; • dazwischen nicht mehr als 2 Monate symptomfrei • überwiegend über den Tag und an mehr als der Hälfte der Tages- oder Nachtzeit (= ständig) • weniger stark ausgeprägt als eine Major Depression • Symptome müssen als Beeinträchtigung erlebt werden • depressive oder gereizte Stimmung UND 2 der folgenden 6 Symptome: ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ • Prävalenz: ¾ ¾ ¾ ¾ • Appetitverlust oder gesteigertes Essbedürfnis Schlaflosigkeit oder übermäßiges Schlafbedürfnis Energielosigkeit oder Erschöpfung reduziertes Selbstwertgefühl Schwierigkeiten sich zu konzentrieren oder Entscheidungen zu treffen Gefühl der Hoffnungslosigkeit Kinder 0,6 – 1,7% Jugendliche 1,6-8% Lebenszeitprävalenz = 5,6% weniger häufig als depressive Störung Ausschlusskriterien: ¾ wenn in diesem Zeitraum eine Episode einer Major Depression vorliegt ¾ wenn manische, gemischte oder hypomanische Episoden oder eine zyklothyme Störung vorliegt ¾ wenn andere Störungen vorliegen, die Symptome besser erklären (z.B. Schizophrenie, psychotische Störungen) ¾ wenn Symptome auf Substanzeinnahme (z.B. Drogen) oder körperliche Erkrankung zurückzuführen sind 70 EPIDEMIOLOGIE UND VERLAUF DER DEPRESSION: a) Prävalenz: • sehr unterschiedlich, da - unterschiedliche Erhebungstechniken (z.B. Interview, Fragebogen,...) - unterschiedliche Informationsquellen (z.B. Eltern, Lehrer, Peers,...) - unterschiedliche Diagnosekriterien (z.B. DSM-III, DSM-IV,...) - unterschiedliches Alter der Betroffenen • Verteilung: - Vorschulalter: Schulkinder: Jugendalter: selten (weniger als 1%) ca. 2% zum Teil bis über 18% • stärkester Prävalenzanstieg zwischen 14-15 Jahren • vgl. dazu Diplomarbeit „Aggression, Angst und Depressivität bei jugendlichen SchülerInnen“: ca. 600 Jugendliche zwischen 10-18 Jahren aus Wien; verschiedene Schultypen; verwendet wurde Depressionsinventar, Aggressivitätsinventar, Angstinventar; Ergebnis: insgesamt sind 11,3% der Jugendlichen depressiv 6% Burschen 17,8% Mädchen b) Dauer, Verlauf, Rückfallrisiko, Komorbidität: • durchschnittliches Alter bei Ersterkrankung = 14,3 Jahre • bei Kindern und Jugendlichen oft chronisch und anhaltend • durchschnittliche Dauer einer depressiven Episode = ca. 30 Wochen • bei Kindern und Jugendlichen hohe Rückfallhäufigkeit (54% der Kinder haben innerhalb von 3 Jahren Rückfall) -> wichtig ist bei Diagnose von Depression weitere Entwicklung des Kindes zu beachten. • Komorbidität: ¾ reine Depression = selten, meist andere Störung dabei ¾ am häufigsten kommen mit Depressionen vor: Angststörungen, Störungen des Sozialverhaltens (Dissozialität), Störungen im Zusammenhang mit Substanzmissbrauch, Aggression 71 • negativer Verlauf = wahrscheinlich, wenn: ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ früher Beginn einer Major Depression hoher Schweregrad der Depression komorbide Störungen, Behandlung wegen affektiver Störungen, Kinder die ihre Emotionen stark ausdrücken können elterliche Depressionen, vor allem der Mutter Probleme mit Sozialkontakten ERKLÄRUNGSANSÄTZE DER DEPRESSION 1) biologische Faktoren: Es ist aber nicht klar, ob die bilogischen Besonderheiten Ursache, Begleiterscheinung oder Folge der Depression sind! • Neurotransmittermangel (Dopamin, Serotonin, Noradrenalin) • atypische Ausschüttung des Wachstumshormons im Hypophysenvorderlappen (vgl. nicht altersentsprechend Gewichtszunahme) • verkürzte zirkadiane Periodik, reduzierte REM-Latenz (vgl. Schlafprobleme bei Depressiven) • Unterschiedlichliches Geschlecht (bei Kindern keine Geschlechtsunterschiede, bei Jugendlichen bei Mädchen 2-3x so oft Depressionen; Geschlechtsunterschiede ab ca. 12.-14. Lebensjahr-> biologische Veränderungen durch die Pubertät und auch eine Zeit von Life-Events (vgl. Schullaufbahnentscheidung); geschlechtsspezifische Sozialisation (Mädchen: niedrigeres Selbstkonzept, geringere Erfolgserwartung, Selbstwert ist mehr von sozialen Beziehungen abhängig als bei Burschen) 2) psychologische Faktoren: a) irrationale Kognitionen: • sind entweder Ursache für Depression oder erhalten sie aufrecht • „kognitive Triade“: Depressiver hat negative Sicht der eigenen Person, der Welt an sich und der Zukunft. • negative Schemata (z.B. Selbsteinschätzungen): stabile Gedankenmuster, beinhalten die Erfahrungen einer Person; beinflussen Situationen, die Person aufsucht 72 • kognitive Verzerrungen: z.B. sehr ungünstige Informationsverarbeitung (Neigung zu Übergeneralisation, d.h. aus Situation nur bestimmte Information selektiv auswählen, absolut negativ wahrnehmen, Gefühle von Hilflosigkeit, stabile interne Attribution) -> Hilflosigkeitserwartung mit ungünstigen Auswirkungen auf Selbstachtung b) Verstärker-Verlust-Hypothese: Depression = Reaktion auf mangelnde positive Verstärkung in wichtigen Lebensbereichen c) Problemlösemodell: Depression = Ergebnis ineffektiver oder defizitärer Fertigkeiten beim Problemlösen. Betroffener kann die 5 Komponenten des Problemlösens nicht effektiv einsetzen: • Problem definieren und formulieren • alternative Problemlösungen finden • sich für eine Prüblemlösung entscheiden • Problemlösung ausführen • Erfolg der realisierten Problemlösung überprüfen d) erlernte Hilflosigkeit e) Selbstkontrollmodell: Depression = Konsequenz aus Defiziten in der Selbstkontrolle (Probleme in Selbstüberprüfung, Selbstbeurteilung, Selbstverstärkung) 3) soziale Faktoren: • • • • Fazit: familiäre Bedingungen (Hauptrisikofaktor = ein depressiver Elternteil; z.B. depressiven Müttern fehlen bestimmte Kommunikationsfertigkeiten, Folge = unsichere Bindung zum Kind; Probleme in ausdrucks- und Emotionsfähigkeit der Eltern, Probleme bei Problemlösungsfähigkeiten, usw.) Kontakt zu Gleichaltrigen (wenig Kontakt; Ablehnung) kritische Lebensereignisse (Depressive Kinder haben ungünstiges Problemlöseverhalten -> eher Rückzug als aktive Auseinandersetzung) soziale Herkunft (widersprüchliche Ergebnisse über Einfluss sozioökonomischer Bedingungen auf Depressionen) Integratives Modell der Depression, d.h. Depression = Resultat umweltbedingter und dispositioneller Faktoren. Kognitive Faktoren als Vermittler zwischen Umweltereignissen und ihren Auswirkungen -> daraus entsteht Depression (siehe Schema) 73 Modell zur Entwicklung depressiver Störungen bei Kindern und Jugendlichen: Verluste, fehlende Unterstützung Belastungen (Familie, Schule, Peers) Mangel an positiven Erfahrungen (geringe Verstärkung) Misserfolge Übermaß an negativen Erfahrungen (aversive Konsequenzen) Vorwürfe, Abwertungen, Kritik dysphorische, depressive Modelle Verhaltensdefizite, Interaktions-, Leistungsverhalten Nichtkontrolle dysfunktionale Kognitionen, Selbstzweifel Unsicherheit, Hemmungen, Ängste, Hilflosigkeite, interpersonelle Abhängigkeit, fehlschlagende Bewältigungsversuche Depression - emotionale, - motivationale, - kognitive, - vegetative, - motorische, - interaktionelle Symptome ERFASSUNG VON DEPRESSIVEN STÖRUNGEN wichtig: immer mehrere Informationsquellen verwenden (Eltern, Lehrer, Kind selbst, etc.) 1) Selbstbeurteilungsfragebogen: a) DIKJ (Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche): 27 Items, entstanden in Anlehnung an Becks Depressionsinventar; Altersbereich = 8-17 Jahre; Vorgabe einzeln oder in Gruppe; FA zeigt, dass Faktoren nicht eindeutig interpretierbar sind, daher gibt es nur einen Gesamttestwert; ¾ Kritik: eher nicht einsetzen, weil: - Normen: 900 deutsche Schüler, keine Trennung nach Geschlecht oder Schulstufe; - Gesamttestwert und keine einzelnen Skalenwerte ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ 74 b) DTK (Depressionstest für Kinder): ¾ 55 Items, 3 Skalen - Dysphorie / Selbstwert - agitiertes Verhalten - Müdigkeit / autonome Reaktionen ¾ Altersbereich = 3.- 6. Schulstufe (= 9-14 Jahre) ¾ Vorgabe einzeln oder in Gruppe ¾ Gütekriterien OK (2271 österreichische Kinder zur Normierung) ¾ Kritik: es gibt keine getrennten Normen für Schul- bzw. Klassenstufen 2) Diagnostische Interviews: a) DIPS (Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen): ¾ deutschsprachiges Strukturinterview, entspricht ICD und DSM ¾ bestehend aus Elternversion und paralleler Kinderversion; Interviewleitfaden + Protokollbogen ¾ zum Diagnostizieren von mehreren psychischen Störungen (z.B. Depression, Angst, Ausscheidungs-, Verhaltens-, Essstörung, etc.) ¾ Altersbereich = 6 – 18 Jahre ¾ Übereinstimmungsangaben zwischen Eltern und Kind (bei Depressionen mäßig, bei Ausscheidungsstörungen gut bis befriedigend) b) DISYPS-KJ (Diagnostik-System für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter) ¾ entspricht den Diagnoseschemata DSM und ICD ¾ verschiedene Störungen = diagnostizierbar, z.B. hyperkinetische Störungen, Entwicklungsstörungen, Angststörungen, etc. ¾ Diagnosechecklisten für den klinischen Beurteiler (Entscheidungsbaum); Fremdbeurteilungsbögen für Elter, Lehrer, Erzieher; Selbstbeurteilungsbögen für Kinder und Jugendliche ¾ Altersbereich = 11 – 18 Jahre INTERVENTION BEI DEPRESSIONEN • • • • • • Patient muss davon abgebracht werden, sich mit der Depression zu identifizieren. Depression kann wie Sucht sein -> jedes negative Ereignis unterstützt den Depressiven in seiner Meinung -> Therapeut darf sich nicht auf Diskussionen darüber einlassen, sonst steigert Patient sich noch mehr hinein Depression ist nur sehr schwer zu heilen Bei Kindern am besten mit Spiel, bei Erwachsenen mit Gespräch arbeiten. Negative Gedanken müssen außer Kraft gesetzt werden Bei Kindern am häufigsten angewendet: - Pharmakotherapie - kognitive und behaviorale Interventionen 75 a) Pharmakotherapie: Ö bei schweren und akuten depressiven Verstimmungen immer als Ergänzung zu einer psychotherapeutischen Behandlung: • • • trizyklische Antidepressiva (viele Nebenwirkungen, daher nur bei schweren Depressionen) MAOI (= Monoamineoxidase-Inhibitoren; auch aufgrund der Nebenwirkungen selten eingesetzt) SSRI (Selektive Serotonin Re-uptake Inhibitoren) b) Psychotherapie: Ö Ziele dabei: • • • • • • • • • Aufbau von Selbstsicherheit Modifikation negativer und eingeschränkter Wahrnehmung und Bewertung Stärkung vorhandener sozialer Kompetenzen Selbstkontrolltherapie (Selbstverstärkung bei erfolgreichen Tätigkeiten betreiben lernen anstelle von Selbstbestrafung) Problemlösetraining zu Ausbildung der Problemlösekompetenz Therapie der sozialen Fertigkeiten (Erwerb von Interaktionskompetenz und Kommunikationskompetenz) Erlernen einer besseren Strukturierung des Alltags setzen positiver Aktivitäten, Erlernen des Umgangs mit Erfolgserlebnissen kognitive – verhaltenstherapeutische Therapien (Ziel = den Kindern Verständnis für ihre Krankheit und depressive Beschwerden vermitteln; Strategien einüben, mit denen sie affektiven Episoden vorbeugen können und damit umgehen lernen) Es gibt komplexe psychologische Interventionsprogramme (Mischung aus kognitiver und Verhaltenstherapie), z.B. Familientherapie. Ö Depression ist eine sehr häufige Störung mit schwerwiegenden Folgen (Selbstmord = häufigste Todesursache bei Jugendlichen!) Ö Depression sollte man bei Prüfung aus der Fallbeschreibung unbedingt erkennen können (Kind verliert ohne ersichtlichen Grund Fröhlichkeit, betreibt seine Hobbies plötzlich nicht mehr) Ö aktueller Konflikt in Familie nur Anlass, dahinter andere Dynamik (Kind fühlt sich von Eltern unverstanden und vernachlässigt Ö für alle Stresssituationen gilt: können nur durchgestanden werden, wenn ein soziales Netzwerk vorhanden ist (Familie, Freunde); sonst Depressionen Ö Invulnerable (= Kinder, die in sehr schlechten sozialen Verhältnissen aufwachsen und ihr Leben trotzdem im Griff haben) haben gutes CopingVerhalten, mindestens 1 Vertrauensperson 76 Ö Hat Kind Depressionen -> in den meisten Fällen = Familientherapie notwenig, um emotionale Ressourcen für Kind sicherzustellen. Ö Depressive brauchen IMMER Psychotherapie: - Rollett ist für kognitive VHT, weil Kind die Ursachen vermittelt werden und es konkrete VH-Vorschläge erhält, wie es mit den Defiziten umgehen soll - bei kleinen Kindern Spieltherapie - wenig geeignet = Gesprächstherapie (Mensch wird sich durch das „Spiegeln“ seiner Emotionen noch mehr bewusst Î Depressive müssen lernen, ¾ ihre Emotionen unter Kontrolle zu bekommen ¾ positive Emotionen an die Stelle der negativen zu setzen ¾ Emotionen managen, damit sie nicht mehr im Vordergrund stehen @ SELBSTMORD: Warnzeichen für ein erhöhtes Suizidrisiko bei Kind / Jugendlichem: • • • • • • • • • • • • deutliche Verhaltensänderung (z.B. Rückzug eines sonst geselligen Kindes) Vernachlässigung des eigenen Aussehens sozialer Rückzug und Isolation Verschenken von persönlichen Gegenständen und Regeln persönlicher Angelegenheiten starke Beschäftigung mit dem Thema Tod (z.B. in Gedichten, Aufsätzen, Zeichnungen) offene oder verhüllte Selbstmorddrohungen („Ohne mich wärt ihr besser dran!“) vorangegangene Selbstmordversuche Auseinandersetzung mit Selbstmordmethoden, Anschaffung geeigneter Mittel (z.B. Waffen, Tabletter,...) übermäßiger Alkohol- und Drogenkonsum Schulversagen plötzlich gehobene Stimmung bei einem bis dahin depressiven Kind (Hinweis, dass es in Form von Selbstmordabsichten Lösung für seine Probleme gefunden hat) häufige Unfälle oder körperliche Beschwerden ohne medizinische Erklärung Ö Bei selbstmordgefährdeten Kindern muss unterschieden werden zwischen: - Ursachen für Selbstmord(versuch): Enttäuschungen (z.B. Liebeskummer, Knatsch mit den Eltern,...). Hier muss angesetzt werden! - unmittelbarem Anlass für Selbstmord(versuch) Ö Stress kann die Vulmerabilität erhöhen, daher: Jugendliche vor allem in emotionell schwieriger Phase NICHT überlasten. 77 Ö Eltern = oft wenig sensibel dem Kind gegenüber; Gründe: Sadismus, Unwissenheit, Abwehr eigener Ängste; auch taktlos ausgeübter Gruppendruck von Seiten der Lehrer kann zum Selbstmord führen Ö Krisenzeiten = wenn emotionell etwas schief gegangen ist und gleichzeitig dramatischer Druck von Seiten der Schule oder dem Arbeitsplatz besteht; wenn zu Hause Krisen anstehen (z.B. Scheidung, Streit, mangelndes Interesse am Kind); vgl. Studie von Deimann: Jugendliche, die Selbstmordversuch überlebt haben, wünschten sich in der Krisensituation jemanden zum Reden... WICHTIG: • wer vom Selbstmord redet, ist gefährdet! Jeder geäußerte Selbstmordwunsch = ernstzunehmendes Krisenzeichen, vor allem wenn Kind / Erwachsener konkrete Mittel nennt („Ich stürze mich von der Brücke.“) • besteht akute Selbstmordgefahr, ist es der Familie und auch den Freunden unmöglich, den Gefährdeten zu retten -> sofort in die Klinik stationär einweisen! (in Wien ins AKH)