Schmerzen verändern den Blick Forscherteam aus Jena und

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URL: http://www.uni-jena.de/-p-344359.pdf
Schmerzen verändern den Blick
Forscherteam aus Jena und Münster belegt, wie chronische Schmerzen
die Wahrnehmung von Bewegungen beeinflussen
Patienten mit chronischen Rücken- oder Schulterschmerzen sehen ihre Umwelt mit anderen Augen
als gesunde Menschen - zumindest wenn es um ihre schmerzenden Körperteile geht. Darauf
deutet die Studie eines interdisziplinären Teams von Wissenschaftlern aus Münster und Jena hin,
die in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "PAIN" veröffentlicht ist. Demnach wirken sich
chronische Schmerzen nicht nur auf die Körper der betroffenen Patienten aus. Sie können auch
beeinflussen, wie Schmerzpatienten die Bewegungen wahrnehmen, die sie bei anderen
beobachten: Das Urteilsvermögen der Betroffenen verändert sich im Hinblick auf die Bewegungen,
die bei ihnen selbst Schmerzen auslösen würden.
Die Wissenschaftler, die dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
geförderten Verbund "Chronic Back Pain" angehören, zeigten Probanden mit chronischen
Schulter- oder Rückenschmerzen Lichtpunkt-Videos von Personen, die verschiedene Bewegungen
durchführten. Bei diesen Übungen wurde entweder die Schulter- oder Rückenpartie der
Lichtpunkt-Figuren durch gehobene Gewichte beansprucht. Lichtpunkt-Figuren bilden die
Bewegungen realer Menschen auf eine abstrakte Weise ab. Dabei wird die Person auf eine Reihe
von hellen Punkten auf dunklem Grund reduziert, die beispielsweise dem Kopf, den Händen, den
Füßen und den Gelenken entsprechen.
Aufgabe der Probanden war es zu schätzen, wie schwer die Gewichte waren, die die Figuren
gehoben hatten. Gesunde Probanden konnten die unterschiedlich schweren Gewichte bei beiden
Übungen auseinanderhalten. Die Probanden mit Rückenschmerzen dagegen konnten die
Gewichte bei der "Schulterübung" einschätzen, jedoch nicht bei der "Rückenübung", die für sie
schmerzhaft wäre. Umgekehrt zeigen Probanden mit Schulterschmerzen Probleme bei der
Beurteilung der Gewichte bei der "Schulterübung", nicht aber bei der Einschätzung der Gewichte
bei der "Rückenübung".
Schmerzgedächtnis bleibt, auch wenn der Körper wieder gesund ist
Die Erklärung liegt laut den Wissenschaftlern im Gehirn - in dem Bereich der Großhirnrinde,
dessen Nervenzellen Berührungs- und Schmerzreize verarbeiten: Die Aktivität der Nervenzellen in
bestimmten Hirnregionen im sogenannten frontalen und parietalen Cortex unterscheidet sich bei
chronischen Schmerzen von den Aktivitätsmustern im Gehirn gesunder Menschen. "Chronische
Schmerzpatienten sind oft körperlich wieder gesund. Im Gehirn jedoch bleibt das
'Schmerzgedächtnis' bestehen - es wird nicht mehr abgeglichen mit der tatsächlichen Situation im
Körper", so die Erklärung der Autoren.
Schmerzen verändern den Blick
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Neben den Berührungsreizen werden im frontalen und parietalen Cortex auch spezielle visuelle
Reize verarbeitet: Sehreize, die durch die Beobachtung von Bewegungen entstehen, also
beispielsweise durch eine sportliche Übung, die eine andere Person ausführt. Offensichtlich gibt es
einen Zusammenhang zwischen beiden Netzwerken, wie die neue Studie belegt: Erstmals konnte
gezeigt werden, dass eine direkte Verbindung zwischen chronischen Schmerzen und der
Erkennung von Bewegungen anderer Personen besteht. Chronische Schmerzen verändern die
Reizverarbeitung von neuronalen Netzwerken im Gehirn, die in die Bewegungserkennung
eingebunden sind. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers überschneidet sich mit der
Wahrnehmung dessen, was man bei anderen sieht. Die Wissenschaftler schlagen vor, dass
Therapien zur Reaktivierung der "Bewegungserkennungs-Netzwerke" im Gehirn bei der
Behandlung chronischer Schmerzen eingesetzt werden könnten.
Hintergrundinformationen
Die Untersuchung fand innerhalb eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) geförderten Projektverbundes statt: Das BMBF finanziert seit Juli 2010 ein
interdisziplinäres Team von Forschern aus Bewegungswissenschaften, Psychologie und Medizin
der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Das
Forschungsprogramm hat den Titel "Chronischer Rückenschmerz und sensomotorische Kontrolle:
auf dem Weg zur Entwicklung eines modellbasierten diagnostischen Instrumentariums" ("Chronic
Back Pain"). Ziel ist es, neue diagnostische Verfahren zu entwickeln und chronischen
Rückenschmerz besser zu verstehen.
Originalpublikation:
Marc H.E. de Lussanet, Frank Behrendt, Christian Puta, Thomas Weiss, Markus Lappe, Tobias L.
Schulte, Heiko Wagner (2012): A body-part-specific impairment in the visual recognition of actions
in chronic pain patients. PAIN In Press/available online; DOI: 10.1016/j.pain.2012.04.002
(http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0304395912002084)
Kontakt (in Jena):
Dr. Christian Puta
Institut für Sportwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Wöllnitzer Str. 42, 07749 Jena
Tel.: 03641 / 945607
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Thomas Weiß
Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Am Steiger 3/Haus 1, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945143
E-Mail: [email protected]
Meldung vom: 23.05.2012 13:10 Uhr
Forscherteam aus Jena und Münster belegt, wie chronische Schmerzendie Wahrnehmung von Bewegungen beeinflussen
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