POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT Projektland: Peru Datum: 07. Oktober 2014 „Caudillismo“ und das Parteiensystem in Peru Die Kommunal- und Regionalwahlen vom 5. Oktober 2014 zeigen die aktuellen Schwächen des peruanischen „Parteiensystems“ und die Überlegenheit des „Caudillismo“. Der Pulverdampf des Wahlkampfes legt sich allmählich. Die Sieger strahlen um die Wette und die Verlierer lecken sich die Wunden. Auch wenn noch nicht alle Stimmen ausgezählt wurden, die Trends werden sich wohl am Ende bewahrheiten. Doch worin genau besteht der „Trend“ bei diesen Wahlen? Letztlich verdeutlicht diese Wahl nur etwas, was zuvor auch schon jedem halbwegs politikinteressierten Peruaner klar war: Die „Parteien“ des Landes befinden sich in der Krise und können sich nur dort behaupten, wo ihnen ein charismatischer „Führer“, ein Caudillo, als Kandidat zur Verfügung steht. Ansonsten zersplittert sich das politische Spektrum in eine nahezu unendlich anmutende Zahl lokaler und regionaler politischer Bewegungen und Grüppchen, was das Regieren im Land nicht einfacher macht. Die Peruaner lassen sich bei ihrer Wahlentscheidung kaum von „weißen Westen“ beeindrucken (auch wenn man sich ansonsten tagein tagaus gerne über die korrupte Politkaste beschwert), sondern optieren viel eher für den Kandidaten, dem sie am ehesten zutrauen, ihre finanzielle Lage zu verbessern. Und das scheinen in vielerlei Hinsicht eben jene Kandidaten zu sein, deren Westen einige graue Flecken aufweisen. Doch die Parteien und politischen Bewegungen im Land machen es dem Wahlvolk auch nicht leicht: Kaum eine Partei veröffentlicht ein Wahlprogramm, die Slogans sind meist plump und beliebig, die Kandidaten werden im stillen Kämmerlein bestimmt, Absprachen und Mauscheleien, bei denen es fast ausschließlich um Postenschacherei geht, sind an der Tagesordnung. Der Sieger: Luis “Lucho” Castañeda (links im Bild) ist der Transparenz, Verlässlichkeit und neue alte Bürgermeister der peruanischen Hauptstadt. Foto: Ehrlichkeit predigt die politische Henning Senger Klasse fast täglich, die Realität ist jedoch weitaus „pragmatischer“. Mit moralischem Verhalten scheint man kaum Wahlen gewinnen zu können. Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014 1 Ein alter Bekannter kehrt zurück: Luis „Lucho“ Castañeda gewinnt klar die Bürgermeisterwahl in der Hauptstadt Die Hauptstadt Lima wird ab Januar 2015 wieder von einem der bekanntesten Gesichter des Landes regiert werden: Luis Castañeda, bereits Oberbürgermeister von 2003 bis 2010 und gescheiterter Präsidentschaftskandidat im Jahr 2011, löst die glücklose Susana Villerán ab, die bei ihrem Wiederwahlversuch mit kläglichen 10,5% der Stimmen vorlieb nehmen musste. Castañeda, ein geradezu exemplarischer Caudillo, der als Spitzenkandidat seiner Partei „Solidaridad Nacional“ antrat, siegte unangefochten im ersten Wahlgang mit etwas mehr als 50 Prozent der Stimmen. Die meisten „Limeños“ hatten seine ersten beiden Amtszeiten zwar nicht als die saubersten, aber doch als sehr erfolgreiche in Erinnerung. Auf Platz zwei landete abgeschlagen der Kandidat der APRA-Partei, Enrique Cornejo, mit knapp 17 Prozent der Stimmen. Letzterer war die einzige Überraschung der ansonsten recht eintönigen Oberbürgermeisterwahl. Cornejo war zwar offiziell der Kandidat von APRA1, jedoch pfiffen es die Spatzen von den Dächern, dass der „Führer“ der APRA-Partei (und somit ein weiteres CaudilloSchwergewicht von nationalem Rang), ExPräsident Alan Garcia (1985-90 und 200611), im Hintergrund seinen Freund Castañeda unterstützte. Doch der Technokrat und ehemalige Transportminister Cornejo schaffte es, mit einer sachorientierten Kampagne Die abgewählte Bürgermeisterin Susana sowie einem gelungen Auftritt bei einer der Villerán trat mit dem Slogan „sí se atreve“ (in TV-Debatten der Kandidaten, besonders in der etwa: „die traut sich was“) an. Angesichts ihrer miserablen Umfragewerte und Mittelschicht zu punkten. Ihm gelang es am Erfolgsaussichten war der Wahlspruch besten, diejenigen Wähler einzufangen, die unbeabsichtigt doppeldeutig. Foto: Henning zwar gegen die äußerst unpopuläre Senger Amtsinhaberin Villerán stimmen wollten, aber eben auch nicht für den unter Korruptionsverdacht stehenden Castañeda. Stellvertreterkriege In Deutschland werden Landtagswahlen – und manchmal sogar Kommunalwahlen – gerne als „Stimmungstest“ für die nächsten Bundestagswahlen bezeichnet oder zumindest so interpretiert. In Peru wäre so etwas nur schwer möglich. Allenfalls mag man aus den Ergebnissen so etwas wie „Stellvertreterkriege“ herauslesen: Wie eben schon angedeutet, unterstützte (inoffiziell) Alan Garcia den Kandidaten Castañeda. Ein anderer Ex-Präsident, Alejandro Toledo (er regierte von 2001 - 2006), hatte, sogar offiziell, die Amtsinhaberin Susana Villerán unterstützt. Auch wenn das Ergebnis eindeutig für die Castañeda-Seite ausfiel, so gelang es Toledo durch sein Bündnis mit Villerán immerhin, ein paar seiner Kandidaten in den neuen Stadtrat zu bringen. Ein eigener Kandidat von Toledos Partei „Peru Posible“ hätte das vermutlich nicht vermocht, weil Toledo und seine Partei gerade ein hartnäckiges Stimmungstief durchmachen. Das ist vor allem auf mehrere derzeit köchelnde Skandale von 1 APRA = Alianza Popular Revolucionaria Americana Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014 2 ihm und seiner Partei zurückzuführen. Mögen die Peruaner vielleicht ein oder zwei „Skandälchen“ verzeihen, Toledo und Peru Posible scheinen es derzeit diesbezüglich etwas zu übertreiben. Susana Villerán, die 2010 als Kandidatin der Partei „Fuerza Social“ gewählt wurde, kandidierte 2014 auf dem Ticket einer bis dato völlig unbekannten Stadteilpartei namens „Diálogo Vecinal“. Warum der Wechsel? Fuerza Social war in der Zwischenzeit in einem größeren Linksbündnis aufgegangen; ieses Bündnis „erdreistete“ sich doch tatsächlich, bei der Bestimmung ihres Bürgermeisterkandidaten und der Stadtratsliste auf einem demokratischen Vorwahlverfahren zu bestehen. Da suchte sich die Oberbürgermeisterin lieber ein anderes „Vehikel“. Mit sich und der Wahl sehr zufrieden wird nach Castañeda vor allem Alana Garcia sein: Sein (nicht ganz so geheimer) Verbündeter Castañeda hat die Wahl haushoch gewonnen und schon klargestellt, dass er 2016 nicht für eine Präsidentschaftskandidatur zur Verfügung stehen werde. Und nun die Gretchenfrage: Wen könnte Castañeda dann im Gegenzug bei einer Präsidentschaftswahl unterstützen…? Darüber hinaus hat sich auch der „offizielle“ APRA-Kandidat überraschend gut verkauft. Da fällt es dann kaum ins Gewicht, dass APRA keinen einzigen der 43 Bezirke der Hauptstadt gewinnen konnte. Auch nicht, dass die letzte Hochburg auf regionaler Ebene, das Departement La Libertad im Norden (historische Wiege des Aprismus), für die Partei verloren ging. Noch ein weiteres politisches Schwergewicht mischte lediglich indirekt bei den Kommunalwahlen mit: Pedro Pablo Kuczynski, ehemaliger Wirtschaftsminister, ehemaliger Premierminister und Drittplatzierter bei den letzten Präsidentschaftswahlen von 2011. PPK, wie er meist genannt wird, hat – nachdem er bei den letzten Wahlen noch als Kandidat eines Parteienbündnisses angetreten war – vor kurzem, wie es sich für einen Caudillo gehört, seine eigene Partei gegründet: „Perú Más“. Doch Peru+ (so die Kurzform) befindet Pedro Pablo Kuczynski (rechts), garantiert hier dem Kandidaten Alexander von Ehren seine Unterstützung für die Kandidatur zum Bezirksbürgermeister von Miraflores. Von Ehren trat an für Perú Patria Segura (PPS), doch wer genau hinsieht, der kann auf der blauen Trainingsjacke des Kandidaten auch das Symbol der Partei Kuczynskis, Peru+, erkennen. Gereicht hat die Unterstützung nicht, wiedergewählt wurde Jorge Muñoz von „Somos Perú“. Foto: Henning Senger sich noch im Aufbau und vielleicht wollte „PPK“ auch nicht das Risiko eingehen, sein Partei-Produkt bei einem schlechten Ergebnis mit einem Negativ-Image behaftet zu sehen, weshalb er mit der Partei des ehemaligen Fujimori-Anhängers Renzo Reggiardo, Perú Patria Segura (PPS), eine Vereinbarung schloss: Auf dem Ticket der PPS kandidierten bei den jetzigen Wahlen nicht nur die Anhänger Reggiardos, sondern auch viele Anhänger von Kuczynski. Perú+ und PPK als Parteiführer machten im Gegenzug Wahlkampf für den PPS. Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014 3 Das Ergebnis ist eher durchwachsen: Bis zu drei Bezirksbürgermeister scheinen möglich, der Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters, Salvador Heresi (ein Kuczynski-Mann), erreichte mit etwas mehr als sechs Prozent den vierten Platz. Die unsägliche Tradition der politischen Pakte Wie weiter oben bereits angedeutet, haben „politische Pakte“ zu Wahlzeiten in Peru eine lange Tradition. Sowohl die Parteien beziehungsweise Bewegungen als auch die Kandidaten versuchen dadurch ihre Erfolgsaussichten zu maximieren. Man muss die deutsche Vorstellung, dass Parteien ihre Kandidaten bestimmen und dann ins Rennen schicken, beiseiteschieben. In Peru ist es vielmehr ein Markt: Parteien suchen auf dem „politischen Markt“ einen (aussichtsreichen) Kandidaten. Politiker, die an einer Kandidatur interessiert sind, suchen eine nützliche Plattform (Partei, Bewegung oder Wahlbündnis) für ihre Kandidatur. Es ist – insbesondere auf kommunaler, aber auch auf regionaler Ebene – keine Seltenheit, dass ein und derselbe Kandidat (selbst wenn er zur Wiederwahl antritt) auf ein anderes „Ticket“ setzt als bei der letzten Wahl. Ein Beispiel: Luis Fernando Bueno Quino wurde bisher sechs Mal in seinem Amt als Bezirksbürgermeister von Chosica bestätigt. Das allein ist schon rekordverdächtig. Doch ihm gelang es auch, bei seinen sieben Kandidaturen nacheinander auf die Hilfe von fünf Parteien zurückzugreifen: dreimal trat er für die Partei „Acción Popular“ an, je einmal dann für „Somos Perú“, „Unidad Nacional“, „Cambio Radical“ und jüngst für „Solidaridad Nacional“. Man fragt sich, was dabei für die Parteien herausspringt? Im Grunde ist es recht einfach: Eine Partei (und dessen Führer/Caudillo) muss seine Parteisoldaten „versorgen“, sonst laufen sie ihm irgendwann davon. Um eine Gefolgschaft versorgen zu können, braucht man Pöstchen und Ämter. Man muss also Wahlen gewinnen, um dann Pöstchen und Ämter verteilen zu können. Da der jeweilige Caudillo nicht bei jeder x-beliebigen Wahl selber antreten kann und will, braucht er geeignete Kandidaten. Umgekehrt gibt es genügend lokale „Caudillos“, die zwar bekannt und auch beliebt sind, denen es aber an einer eigenen Partei mangelt. Was liegt also näher, als sich zusammenzutun? Der (lokale oder regionale) Kandidat bringt sich und seine Erfolgsaussichten sowie eine gewisse Anzahl eigener Anhänger mit in die Verhandlungen ein, der „Partei-Caudillo“ stellt die Partei sowie einen Teil der Finanzierung bereit und möchte natürlich auch seine Anhänger versorgt wissen. Man einigt sich also über potentielle Postenverteilung und die Zusammensetzung der Wahlliste – und fertig ist der „politische Pakt“. Da es bei den peruanischen Parteien und Bewegungen (mit einigen wenigen Ausnahmen) kaum um die Durchsetzung von Ideologien und/oder Programmen geht, spielen diese bei den „Paktverhandlungen“ auch allerhöchstens eine untergeordnete Rolle, weshalb auch der Versuch, die in Peru existierenden politischen Parteien und Bewegungen in einem Links-rechts-Schema zu verorten, eigentlich obsolet ist. Im Prinzip ist (fast) alles relativ. Schwierige Zeiten für die peruanischen Christsozialen Für die ehemalige „Lima-Partei“ PPC, die Partido Popular Cristiano, wurde die Wahl des Stadtoberhauptes und des Stadtrates zum Debakel: Ihr Kandidat, Jaime Zea, erreichte gerade einmal 2,3 Prozent der Stimmen (die Kandidatin von 2010, Lourdes Flores, hatte vor vier Jahren 35 Prozent, und damit den zweiten Platz erreicht). Im Stadtrat von Lima stellte die PPC bisher dank einer Nachwahl die stärkste Fraktion mit 17 von 39 gewählten Vertretern. Nach der jetzigen Wahl entsendet die Partei nur noch einen Vertreter in den Consejo Municipal. Auch in den 49 Stadtbezirken von Lima und Callao musste die PPC Niederlagen hinnehmen: Von bisher 13 Bezirksbürgermeistern bleiben den Christsozialen noch acht; 19 stellt die Partei des Wahlsiegers Castañeda, Solidaridad Nacional. Die Wahlen in den Bezirken sind aber auch zugleich der Hoffnungsschimmer für die PPC, denn vor vier Jahren – als 13 Bezirksrathäuser gewonnen wurden – trat die PPC noch in einer Wahlallianz unter anderen Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014 4 mit der Castañeda-Partei an. Insofern ist der Wahlsieg in den acht Bezirken diesmal tatsächlich auf eine „Eigenleistung“ der Partei zurückzuführen. Die Partei steckt allerdings in einer echten Zwickmühle: Die PPC definiert sich selbst als eine Programm-Partei und sieht sich geradezu als Gegenentwurf zu den „CaudilloWahlvereinen“, die nur zu Wahlzeiten aktiv werden und ansonsten ein Schattendasein fristen. Die PPC praktiziert und lebt innerparteiliche Demokratie, manchmal sogar „bis an die Schmerzgrenze“ (so drückte es einmal die zweimalige Präsidentschaftskandidatin Lourdes Flores aus). Doch das gesamte politische System des Landes ist eigentlich auf das „Caudillo-Konzept“ zugeschnitten. Das fängt beim Präsidialsystem auf nationaler Ebene an und endet bei den Bürgermeisterwahlen, wo dem siegreichen Kandidaten automatisch eine Mehrheit im Stadt- oder Gemeinderat für dessen Liste garantiert wird. Im Moment fehlt der PPC die große nationale Führerfigur. Ohne ein Zugpferd, ohne einen zweifelsfrei identifizierbaren „líder“ (Anführer) ist es sehr schwer, im politischen Peru eine Rolle zu spielen. Bei den Regionalwahlen bestätigt sich die Parteienkrise „Somos Perú“, „Perú Patria Segura”, “Peru+”, “Vamos Perú”, “APRA”, “PPC”, “Acción Popular”, “Solidaridad Nacional”, “Alianza para el Progreso”, “Perú Posible”, “Fuerza Popular”, “Restauración Nacional”: Alle sind Parteien, die für sich einen landesweiten, nationalen Anspruch erheben. Fast alle stellen auch tatsächlich einen oder mehrere Abgeordnete im nationalen Kongress. Dadurch unterscheiden sie sich nominell auch von den regionalen und kommunalen „politischen Bewegungen“. Diese beschränken sich auf die Arbeit in einem bestimmten Gebiet oder einer Region – und verfügen nur in Ausnahmefällen über eigene Repräsentanten im Kongress. Betrachtet man die jüngsten Wahlergebnisse, kann man allerdings auch zu dem Schluss kommen, dass die „Parteien“ eigentlich Augenwischerei betreiben. In Wirklichkeit sind auch die „nationalen Parteien“ nicht viel mehr als regionale Wahlvereine, die entweder nur in Lima entscheidend reüssieren oder vielleicht in zwei, drei Regionen, die geographisch nahe beieinanderliegen. Am 5. Oktober 2014 wurde nicht nur in Lima, sondern im ganzen Land, das heißt. in 24 Provinzen sowie in der Hafenstadt Callao gewählt. Alle Mandate auf kommunaler und regionaler Ebene wurden neu vergeben. Auf kommunaler Ebene herrscht ein einfaches Mehrheitswahlrecht: Der Kandidat mit den meisten Stimmen wird Bürgermeister und seine Liste erhält automatisch im Stadtrat eine Mehrheit. Bei regionalen Wahlen (also der Wahl der „Regionalpräsidenten“) gilt zwar auch das Mehrheitsprinzip, jedoch mit einer Einschränkung: Erreicht der erstplatzierte Kandidat nicht mindestens 30 Prozent der Stimmen, kommt es zu einer Stichwahl gegen den Zweitplatzierten. Ob es geholfen hat? Wie in den meisten lateinamerikanischen Ländern gilt an Wahltagen in Peru ein Ausschank- und Verkaufsverbot für alkoholische Getränke. In der Umgangssprache wird diese Regelung „Ley seca“ genannt: das „trockene Gesetz“. Foto: Henning Senger Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014 5 Die Wahlergebnisse außerhalb Limas lassen eigentlich nur den Schluss zu, dass es „nationale“ Parteien schon längst nicht mehr gibt: Lediglich in sechs der 25 regionalen Urnengänge können sich die Kandidaten einer nationalen Partei, das heißt, einer Partei mit nationalem Wirkungsanspruch, ernsthaft Chancen auf einen Sieg ausrechnen oder haben bereits im ersten Wahlgang gewonnen. In 19 Regionen haben Kandidaten, die für ein regionales Wahlbündnis oder eine regional verankerte politische Bewegung antreten, die Nase vorn. Nur in sieben Provinzen konnte ein neuer Regionalpräsident bereits im ersten Wahlgang bestimmt werden. Das heißt im Umkehrschluss, dass in 18 Regionen des Landes kein Kandidat mehr als 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte und daher nun die zwei Bestplatzierten in einer Stichwahl gegeneinander antreten müssen. Die „Partei“ Alianza para el Progreso (ebenfalls eine Partei mit nationalem Anspruch, eigentlich ein Familienunternehmen) konnte sich bereits im ersten Wahlgang zwei Regionen sichern: Lambayeque und La Libertad. Übrigens sind die beiden Spitzenkandidaten Brüder: César Acuña gewann in La Libertad, sein Bruder Humberto in Lambayeque (und ein drittes Geschwister sitzt im Kongress). In Ayacucho wird der Kandidat der Partei wohl in die Stichwahl einziehen. Einem weiteren Familienunternehmen, der Partei Fuerza Popular (gesteuert vom Familienclan Fujimori), gelang es immerhin, drei ihrer Kandidaten in den Provinzen Ica, Pasco und San Martín in eine Stichwahl einziehen zu lassen. Man muss sich vor Augen halten, dass es sich bei „Fuerza Popular“ (den Fujimoristas) um die zweitstärkste politische Kraft im nationalen Kongress handelt (knapp hinter der Regierungspartei Partido Nacionalista). Und lediglich in San Martín kommt es wahrscheinlich zu einer Stichwahl zwischen Kandidaten zweier nationaler Parteien: Victor Noriega vom Fujimorismo wird voraussichtlich gegen den APRA-Kandidaten Pedro Bogarín antreten. Auch die Fujimori-Partei „Fuerza Popular“ konnte bei den Wahlen nicht überzeugen. Das lag nicht zuletzt daran, dass es ihr an überzeugenden und bekannten Kandidaten mangelte. Die Partei wird – ähnlich wie bei Alianza para el Progreso – als Familienunternehmen geführt. Keiko Fujimori, die Tochter des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori (19902000), ist die bisher unumstrittene Führerin der Partei. Ihr Bruder Kenji vertritt die Familie im Kongress und beaufsichtigt die Fraktion. Der Führungszirkel der Partei riegelt sich hermetisch ab, innerparteiliche Demokratie ist ein Fremdwort (das trifft allerdings auf so gut wie alle Parteien mit Ausnahme der PPC und linker Splitterparteien zu), Kandidaturen werden meist im Hinterzimmer verhandelt, und die Führungsclique um die Familie Fujimori verhindert bisher bewusst jeden Versuch, der Partei etwas mehr Struktur und Organisation zu verleihen. Das bringt natürlich den Nachteil mit sich, dass es kaum Netzwerke gibt, um flächendeckend geeignete Kandidaten identifizieren zu können. Fuerza Popular hat das Hauptaugenmerk allerdings auch auf die Präsidentschaftswahlen 2016 gelegt, und maß den Regional- und Kommunalwahlen keine große Bedeutung zu. „Roba, pero hace obras“ – Er stiehlt, aber tut wenigstens was In allen anderen Regionen außer den oben genannten spielen die nationalen Parteien kaum eine Rolle. Ebenfalls bedenklich ist, dass zwei bereits in Untersuchungshaft sitzende Politiker sowie vier weitere wegen Korruption, Misswirtschaft oder Veruntreuung angeklagte Kandidaten in eine Stichwahl einziehen, beziehungsweise die Wahl in der ersten Runde für sich entscheiden konnten. Einer davon ist Gregorio Santos, der entmachtete bisherige Regionalpräsident der Region Cajamarca. Er sitzt wegen Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014 6 Korruptionsdelikten in Untersuchungshaft. Nichtsdestotrotz gewann er die Wahlen in seiner Provinz mit über 40 Prozent der Stimmen. Santos, der populär wurde, als er erkannte, dass Widerstand gegen ein großes Minenprojekt in seiner Region seine politische Karriere voranbringen könnte, stilisiert sich bisher äußerst erfolgreich zum Opfer einer Verschwörung multinationaler Bergbaufirmen. Und wenn man bedenkt, was andere Politiker auf dem Kerbholz haben und dafür aber nicht in Untersuchungshaft wanderten, dann kann man zumindest davon ausgehen, dass bestimmte einflussreiche Stellen die Korruptionsvorwürfe genutzt haben, um ihn (vermeintlich) aus dem Verkehr ziehen zu können. Sein Amt wird wahrscheinlich nicht er, sondern lediglich sein Vizekandidat antreten können. Die „lediglich“ der Korruption verdächtigen Kandidaten wurden wohl frei nach dem Motto „roba, pero hace obras“ gewählt. Man weiß zwar, dass der Kandidat korrupt ist, hält ihn aber trotzdem (oder gerade deswegen?) für am besten geeignet, das Amt auszufüllen. Nicht mehr bei den Wahlen antreten durfte der vor einem halben Jahr verhaftete damalige Regionalpräsident von Áncash, César Álvarez. Ihm werden (natürlich) Korruptionsdelikte vorgeworfen, seine Absetzung erfolgte aber aufgrund seiner Verwicklung in einen Auftragsmord (!) an einem politischen Konkurrenten. Gute Aussichten auf dessen Nachfolge hat Waldo Ríos. Ihm werden sehr gute Beziehungen zu Álvarez nachgesagt. Darüber hinaus gelangte Ríos im Jahr 2000 zu zweifelhaftem Ruhm, als er als damaliger Kongressabgeordneter der Korruption überführt werden konnte (er war einer der „Hauptdarsteller“ in den sogenannten Vladivideos, Videoaufzeichnungen, die den damaligen Geheimdienstchef von Präsident Fujimori bei Schmiergeldzahlungen an Abgeordnete, Unternehmer und Medienvertreter zeigen). Epilog: Wer sich im Übrigen überhaupt nicht in die Wahlen eingemischt hat, war der amtierende Präsident Ollanta Humala. Warum auch? Seine Partei (Partido Nacionalista, stärkste Kraft im nationalen Parlament) hat keinen einzigen Kandidaten zur Wahl aufgestellt. Nicht in Lima, nicht in den Provinzen. Nirgendwo. Auch das sagt schon eine Menge über das Parteiensystem im Land aus. Henning Senger Der Autor ist Auslandsmitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Lima, Peru IMPRESSUM Erstellt: 07.10.2014 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2014 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzender: Prof. Dr. Ursula Männle Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Dr. Susanne Luther, Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: [email protected] | www.hss.de Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht, 07. Oktober 2014 7