POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT Projekt: Projektland: Mitteleuropa Slowakische Republik Die Slowakei vor der Wahl Das Einkammer-Parlament, der Nationalrat der Slowakischen Republik, wird für vier Jahre gewählt. Zum siebten Mal seit der Staatsgründung (1. Januar 1993) werden die Bürgerinnen und Bürger am 5. März 2016 über die Zusammensetzung des höchsten gesetzgebenden Organs abstimmen. Das Ergebnis scheint eine Woche vor den Parlamentswahlen nicht eindeutig vorhersehbar zu sein. Die Position der alleinregierenden sozialdemokratischen Partei Smer-SD (Richtung – Sozialdemokratie; Mitglied der Europäischen Sozialistischen Partei (PSE) als stärkste politische Kraft ist zwar nicht gefährdet, allerdings könnte sie auf einen Koalitionspartner angewiesen sein oder es könnte zu einer Regierungskoalition von mehreren Parteien des Mitte-rechts-Spektrums kommen. 1. Machtverhältnisse im Nationalrat der Slowakischen Republik Im Oktober 2011 scheiterte die Mitte-rechts-Regierung unter Premierministerin Iveta Radičová (SDKÚ-DS – Slowakische Demokratische und Christliche Union, SaS – Freiheit und Solidarität, KDH – ChristlichDemokratische Bewegung, Most-Híd – Brücke) an einer Vertrauensabstimmung im Parlament. Die geplante Ausweitung des EuroRettungsschirms hatte Meinungsverschiedenheiten in der Koalition ausgelöst. Diese haben schließlich dazu geführt, dass die Premierministerin die Abstimmung über den Rettungsschirm mit der Vertrauensfrage verknüpfte und die Partei SaS mit ihrem Vorsitzenden Richard Sulík (Europaabgeordneter im Europäischen Parlament) das Rechtsbündnis zum Scheitern brachte. Aus den vorgezogenen Neuwahlen am 10. März 2012 ging die Partei SmerSD als eindeutiger Sieger hervor. Sie bekam 44,4% der Wählerstimmen und mit 83 (von 150) Sitzen die absolute Mehrheit im Parlament. Stärkste Oppositionspartei wurde die christdemokratische KDH, die 8,9% erreichte. Die bürgerlich-liberale SDKÚ-DS erreichte 5,9%, die bürgerliche, auf slowakisch-ungarische Verständigung ausgerichtete Most-Híd 6,9% und die liberale SaS 5,9%. In das Parlament zog erstmals die Partei OL’aNO (Gewöhnliche Leute und Unabhängige Persönlichkeiten) ein, die 8,5% erreichte. Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht Slowakische Republik Februar 2016 1 Die rechtsgerichtete SNS (Slowakische Nationalpartei) und SMK (Partei der ungarischen Koalition) scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Die bürgerliche Opposition ist seit den letzten Parlamentswahlen durch Ausund Übertritte von Abgeordneten geschwächt worden. Zuerst löste sich die Fraktion von SaS auf, im Jahre 2014 auch die Fraktion der SDKÚ-DS. Ende der aktuellen Legislaturperiode verließen 10 von insgesamt 40 Abgeordneten der EVP-Mitgliedsparteien (KDH, Most- Híd, SDKU-DS) ihre jeweilige Fraktion und übten ihr Mandat fraktionslos weiter aus. Mehrere dieser fraktionsunabhängigen Abgeordneten gehören jetzt außerparlamentarischen Parteien an: Šanca (Chance), NOVA, Slovenská občianska koalícia (Slowakische bürgerliche Koalition), #Sieť (#Netzwerk) und Demokrati Slovenska Ľudo Kaník (Demokraten der Slowakei Ľudo Kaník). 2. Prognosen für die Parlamentswahl Den letzten Meinungsforschungsumfragen der renommierten Agentur FOCUS zufolge, liegt die Partei Smer-SD mit 34,1% an erster Stelle. An zweiter Stelle liegt die Partei #Sieť mit 13,7%, die SNS mit 8,1%. Die Partei Most-Híd würden 8% der Befragten wählen und die KDH nur noch 7,5%. Die erforderliche Fünf-Prozent-Hürde würden noch die Koalition OĽaNO-NOVA mit 6,4% und SaS mit 5,1% nehmen. Die stärkste Oppositionspartei wird wohl aller Voraussicht nach #Sieť. Ihr Gründer und Vorsitzender Radoslav Procházka (ehemaliger KDH-Politiker) könnte damit zur neuen Führungspersönlichkeit der bürgerlichen Mitte werden. Im politischen Wettbewerb streitet er dazu öffentlich mit dem KDHVorsitzenden und ehemaligen EU-Kommissar Jan Figel und dem Most-HídVorsitzenden Béla Bugár. Fraglich ist, ob alle derzeitigen vier EVP-Parteien (EVP: Europäische Volkspartei) in der Slowakei (KDH, SDKU-DS, Most-Híd und SMK) einem Beitritt von #Sieť zur EVP zustimmen würden und ob sie sich „hinter Procházka“ als „bürgerliche Union“ einreihen würden. Eines aber gilt als sicher: #Sieť wird neue Partei im Nationalrat und wird eine aktive Rolle im Mitte-rechts-Bereich der slowakischen Politszene einnehmen. Die Partei Smer-SD hat wenig Chancen auf die absolute Mehrheit. Die früheren Meinungsforschungen deuteten auf bessere Ergebnisse hin. Die Umfrageergebnisse zeigten die Sozialisten bwz. „Fico-Populisten“ stabil bei 40%. Daher versuchte Robert Fico, Ministerpräsident der Slowakischen Republik, mit allen Mitteln seine Umfragewerte zu sichern: Es wurden umfangreiche Sozialpakete beschlossen, wie etwa Gratiszüge für Pensionisten und Studenten sowie Rückerstattungen von Gaskosten für Privathaushalte. Darüber hinaus hat Fico mit seinem harten Kurs in der Flüchtlingskrise versucht, Wähler einzufangen ohne die wirklichen Probleme der Slowakei anzupacken, beispielsweise die hohe Jugendarbeitslosigkeit, Missstände im Gesundheitswesen, schlechte Bezahlung und Perspektiven der Krankenschwestern und Lehrer, Vetternwirtschaft und Korruption. Vor allem die Regierung und Teile des politischen Establishments ignorieren die anhaltende Abwanderung von jungen Slowaken, die Arbeit im (EU-)Ausland suchen und ihre Heimat verlassen. Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht Slowakische Republik Februar 2016 2 Mit seinen islamfeindlichen Äußerungen und seinem Wahlkampfslogan „Wir schützen die Slowakei“ versuchte Ministerpräsident Fico seinen Wahlkampf zu führen, scheiterte aber. Daher stehen in den letzten Wochen vor den Parlamentswahlen andere Themen auf der politischen Agenda, nämlich innenpolitische, welche die Flüchtlingskrise aus den Schlagzeilen verdrängt haben: Der katastrophale Zustand im Gesundheitswesen, die Massenkündigungen der Krankenschwestern und die Lehrerproteste haben Smer-SD mehrere Prozentpunkte gekostet. Etwa 1.500 Lehrer, Schüler und Eltern versammelten sich bei Bürgerprotesten in der Hauptstadt, mehrere Hunderte in anderen Städten und forderten Änderungen im Bildungswesen. Darüber hinaus schaden Korruptionsvorwürfe der Smer-SD und verdrängen die Migrations- und Flüchtlingskrise von der tagespolitischen Agenda. Vor kurzem wurde bekannt, dass der vermutlich reichste Masseur der Slowakei wegen seiner engen Bande zur Sozialdemokratie, Millionenbeträge von der staatlichen Krankenkasse (Všeobecná zdravotná poisťovňa) erhalten habe. Staatspräsident Andrej Kiska, der als Unternehmer im Jahr 2014 die Präsidentenwahl gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Fico gewonnen hatte, mischt sich erstaunlich offen in den Wahlkampf ein. Als Bürger hat er die Internetplattform www.verejnaobjednavka.sk gestartet. Dort können interessierte Bürgerinnen und Bürger einen Auftrag an die Kandidaten und Politiker vergeben, indem sie auf dieser Seite auf „Gesundheitswesen, das funktioniert“ und „Grundschulen, die von Qualität sind“ klicken. Auf dieser Webseite erklärt Kiska, dass „ ‚die Slowakei Gas geben müsse.‘ Helft mir, einen klaren öffentlichen Auftrag zu geben, damit die Politiker Druck spüren und die Angelegenheiten, die gelöst werden müssen, auch lösen.“ Mehrere Politologen begrüßen diese Einmischung, die sie nicht als Wahlempfehlung, sondern als Aufruf zur Problemlösung bewerten. 3. Was wäre wenn – ein möglicher Machtwechsel? Obwohl die sozialdemokratische Regierungspartei in allen Meinungsumfragen als stärkste Kraft erscheint, kann ein möglicher politischer Machtwechsel nicht ausgeschlossen werden. Was wäre, wenn sich die bürgerlichen Parteien – überraschenderweise – einigen würden auf die Ablösung von Fico als dem kleinsten gemeinsamen Nenner? Den derzeitigen Umfragen zufolge ist dies eine Möglichkeit, wenn persönliche Befindlichkeiten abgelegt und politische Projekte mit Elan angegangen werden würden. Auszuschließen ist nach den Erfahrungen bei den letzten Wahlen nichts in der Slowakei. Insgesamt 23 Parteien und Bewegungen kandidieren für das Parlament. Es gilt eine Fünf-Prozent-Hürde. Es handelt sich um eine reine Listenwahl, allerdings mit der Möglichkeit vier Vorzugsstimmen für bestimmte Kandidaten verteilen zu können. Letzten Umfragen zufolge werden nur 7 Parteien den Einzug ins Parlament schaffen: Smer-SD (Richtung – Sozialdemokratie) Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht Slowakische Republik Februar 2016 3 #Sieť (#Netzwerk) SNS (Slowakische Nationalpartei) KDH (Christlich-Demokratische Bewegung) Most-Híd (Brücke) Parteienkoalition OĽaNO-NOVA (Gewöhnliche Bürger und unabhängige Persönlichkeiten-NOVA) SaS (Freiheit und Solidarität) Im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen ist ein Erstarken der nationalistischen SNS zu beobachten, die bei den letzten Parlamentswahlen die Fünf-Prozent-Hürde nicht nehmen konnte und heute bei 8% liegt. Die Partei hat Konsequenzen aus ihrem Wahlfiasko gezogen und den umstrittenen Vorsitzenden Ján Slota aus der Partei ausgeschlossen. Aufgrund der Erfahrungen der Smer-SD mit SNS innerhalb einer Koalition in den Jahren 2006 bis 2010 ist eine Koalition mit den Nationalisten denkbar. Sorge bereitet auch das Erstarken von Rechtsradikalen. Die Partei ĽSNS (Volkspartei – unsere Slowakei) wird von Politikwissenschaftlern als ultranationalistisch-extremistisch eingestuft. Die Vorläuferin der Partei war die Slowakische Gemeinschaft – Nationale Partei, die vom Höchsten Gericht der Slowakischen Republik wegen Anstiftung zum Rassenhass aufgelöst wurde. Der Vorsitzende, Marián Kotleba, ist im Jahr 2013 zum Regionalpräsidenten des Landesbezirks Banská Bystrica gewählt worden. Seine Partei hat bei den letzten Parlamentswahlen 0,93% der Wählerstimmen erreicht. Meinungsumfragen zufolge könnte die Partei in den nächsten Wahlen 2% erreichen. Mit seinem offen gezeigten Fremdenhass und seiner Hetze gegen Migranten und Muslime schaffte er es Ende letzten Jahres, eine der größten Demonstrationen seit der Wende in der slowakischen Hauptstadt Bratislava zu organisieren. Diese Gruppierung arbeitet eng mit den deutschen „PegidaOrganisatoren“ und den europäischen Rechtsradikalen zusammen. Auf der linksextremen Seite erleben wir keinen größeren Aufschwung, die derzeitigen Umfrageergebnisse zeigen, dass die Kommunistische Partei der Slowakei (KSS) weiterhin stabil unter 1% liegt. Autoren: Martin Kastler M.A., Repräsentant und Regionalleiter der HannsSeidel-Stiftung für die Slowakei. Bericht erstellt unter Mitarbeit von Katarína Kissová, stellvertretende Büroleiterin in Bratislava. IMPRESSUM Erstellt:22. Februar2016 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2016 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzende: Prof. Ursula Männle, Staatsministerin a.D., Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Dr. Susanne Luther, Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: [email protected] | www.hss.de Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht Slowakische Republik Februar 2016 4