Manfred Spitzer: „Digitale Demenz“. Zusammenfassung des Buches. Zitate sind nicht einzeln angezeigt. Wikipedia: Manfred Spitzer (* 27. Mai 1958 in Lengfeld in der Nähe von Darmstadt) ist ein deutscher Psychiater, Psychologe und Hochschullehrer. Seit 1998 ist er ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm, als der er auch die Gesamtleitung des 2004 dort eröffneten Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) innehat, das sich vor allem mit Neurodidaktik beschäftigt. 1895 wurde die Röntgenstrahlung entdeckt und bald wurden auf Partys der Oberschicht Fotos damit gemacht, so dass die Gäste ihre Knochen damit sehen konnten. Erst später wurde herausgefunden, dass Röntgenstrahlung Krebs erzeugen kann. Heute wird nur in abgeschirmten Räumen unter höchsten Sicherheitsbestimmungen damit gezielt für medizinische Zwecke fotografiert. Bezüglich der elektronischen Bildschirmmedien empfiehlt Manfred Spitzer, eine ebenfalls sehr kritische Haltung dazu einzunehmen. Aufgrund der Interessen der Firmen, die ihre Bildschirmmedien verkaufen wollen, wird Aufklärung über die Gefahren unterdrückt. Die Firmen haben inzwischen sehr viel Macht, selbst die Politik wird von den Firmeninteressen so sehr bestimmt, dass falsche Informationen von Politik und den Medien (Zeitung, TV) verbreitet werden, wissenschaftliche Erkenntnisse werden nicht an die Öffentlichkeit gegeben. Das Gehirn als Muskel: Er muss trainiert werden, damit er wächst, wird er nicht benutzt, verkümmert er. Demenz: Geistiger Abstieg, Beginn im Hyppocampus. Je mehr Gehirn aufgebaut wurde, desto länger dauert der „Abstieg“. Bildung neuer Nervenzellen und Gehirnwachstum sind nicht dasselbe: Hyppocampus: Zuständig für Bildung neuer Nervenzellen = Neuronen, gleichzeitig können diese auch schnell wieder absterben. Diese Neuronen sind sehr lernfähig. Durch Lernen (schwierige Aufgaben, die sehr fordern) können sie erst genutzt und in vorhandene Strukturen eingebaut werden. Geschieht dies nicht, sterben sie wieder ab. Großhirnrinde: Vorhandene Neuronen werden durch Training größer, ihre Verbindungsstellen dicker, es entstehen mehr baumartige Fortsätze und Verzweigungen, dort wachsen keine Zellen nach. Lernen dauert ein Leben lang, dabei wird das Hirn immer wieder neu umstrukturiert. Wie das Gehirn sich entwickelt: Bis zum 17. Lebensjahr entwickelt sich das Gehirn sehr schnell, in „großen Schritten“, dann immer langsamer, dafür aber immer feiner, ähnlich wie beim Golf: Erst schieße ich weit, aber ungenau, dann 1 immer kürzer, dafür aber immer genauer. Das Gehirn entwickelt sich ähnlich, nur dass es kein bestimmtes Ziel hat. Die Langsamkeit im Alter ist Ausdruck von Optimierung von Lernprozessen. Die vielen und schnellen Veränderungen unserer Zeit sind daher für Ältere sehr schwer nachzuvollziehen. Die Optimierungen der Erfahrungen werden nicht mehr gebraucht. Erwachsene lernen anders als Kinder. Sie docken an bereits vorhandene Strukturen an und verändern sie dadurch. Kinder entwickeln neue Strukturen im Gehirn. Navigationsgerät: Im Hyppocampus befindet sich der Ortspeicher, Zellen, die für das Merken von Orten zuständig sind. Je mehr Orte und Plätze jemand im Gehirn abspeichert, desto größer ist dieser Speicher im Hyppocampus. Das konnte bei Londoner TaxifahrerInnen nachgewiesen werden, die sich 25 000 Straßen und mehr als 1000 Plätze und wichtige Orte merken müssen. Das Navigationsgerät nimmt uns diese Arbeit ab, was zu einem kleineren Ortspeicher im Hyppocampus führt. Gehirnnutzung führt zum Wachstum der Gehirnbereiche, die für diese spezielle Tätigkeit vorgesehen sind. Verarbeitungstiefe: Im Gehirn gibt es Bereiche für das Sehen, Hören, Fühlen, Tasten, Sprechen, Planen, Farben, Gesichter, Gegenstände, Bewegung und vieles mehr. Je mehr Zentren beim Lernen aktiviert werden, desto besser merke ich mir etwas. Beispiel: Wenn ich Wörter nach dem Merkmal unterscheide, ob es kleine oder große Buchstaben hat, merke ich es mir weniger gut, als wenn ich auch noch untersuche, ob es ein Hauptwort oder ein Zeitwort ist, ob das Wort etwas Bewegtes oder Unbewegtes darstellt. Drei Gruppen von Menschen haben sich anhand von ein, zwei oder drei Merkmalen Wörter merken sollen und die, welche die drei Merkmale hatten, konnten sich die meisten Wörter merken. Je mehr jemand über Wörter nachdenkt, umso mehr Zentren werden aktiviert, desto tiefer ist die Verarbeitung. Bei digitalen Medien werden weniger Zentren aktiviert, die Bewegung der Hand wird auf das Klicken mit dem Zeigefinger auf die Maus reduziert. Das ist einfacher als Schreiben. Im Netz surfen wir oft nur (gleiten also oberflächlich über Inhalte), zudem sind sehr viele Informationen vorhanden, was ebenfalls zu einem oberflächlichen darüber gleiten werden kann. Werbung, Filme und Bilder lenken ab. Etwas abschreiben hat mehr Verarbeitungstiefe, sich dazu bewegen auch. Mehr Sinneseindrücke und damit Verarbeitungstiefe haben wir in der Natur, im Zusammensein mit anderen Menschen, durch das “Begreifen“ der Gegenstände. 2 Lernen durch Begreifen: Ein Drittel unseres Gehirns ist dafür ausgelegt, dass wir unseren Körper bewegen, dass wir handeln und aktiv sind. Die Hände und Finger spielen beim Lernen eine große Rolle. Fingerspiele im Kindergarten und das Schreiben mit der Hand sind sehr wichtig. Sie unterstützen Lernprozesse weitaus mehr als Mausklicken mit einem Finger oder Tastaturschreiben. Lernen und gleichzeitig dabei körperliches Bewegen vertiefen Lernprozesse und die Merkfähigkeit. Studie: Zwei Kontrollgruppen wurden verglichen bezüglich Merkfähigkeit von Objekten. Die eine bekam Begriffe mittels Bild und Name zu sehen, die andere sollte zusätzlich eine zuvor festgelegte Bewegung mit der Hand dazu machen. Bei der Zuordnung der Begriffe in Kategorien war die „Handlungsgruppe“ dann schneller. Digitales Lernen führt daher zur Beeinträchtigung der Gehirnbildung. Erste Hinweise aus Studien zeigen: Die zunehmende Digitalisierung des Schreibens, die bereits im Kindesalter ihren Anfang nimmt, negative Folgen für die Lesefähigkeit von Kindern und Erwachsenen hat. Das Erlernen von Buchstaben durch Tippen auf einer Tastatur im Vergleich zu Schreibtraining mit dem Stift führt zu schlechteren Leistungen beim Erkennen von Buchstaben. Das Erkennen von Buchstaben, die durch das Schreiben mit einem Stift gelernt wurden, führt zu einer verstärkten Aktivität in der motorischen Gehirnrinde. Manfred Spitzer folgert daraus, dass nur das Formen von Buchstaben mit der Hand (nicht das Tippen auf einer Tastatur) motorische Gedächtnisspuren hinterlässt. Diese würden beim Lesen aktiviert und erleichtern das Lesen. Gehirnentwicklung statt LehrerInnen: Kinder, die ihre Muttersprache lernen, werden von Beginn an mit der vollständigen Sprache konfrontiert. Wir bringen einem Kind nicht systematisch, wie in der Schule, erst einfache Sätze bei und steigern dann das Niveau, sondern sprechen mit ihm von Beginn an fast wie mit Erwachsenen. Kinder lernen die Muttersprache, weil das Gehirn aufgrund seiner Reifung in der richtigen Reihenfolge lernen kann, sich das herausholt an Informationen, die es gerade verarbeiten kann und darauf aufbaut. Baby-Fernsehen, Kinder vor TV: In den USA beginnen Kinder mit 9 Monaten TV zu sehen. Vor dem zweiten Geburtstag schauen 90% aller Kinder regelmäßig TV, Videos, DVD’s, etwa 1,5 Stunden am Tag. Studie: Neugeborene können alle Sprachlaute, die weltweit gesprochen werden, gleich gut unterscheiden. Einjährige dagegen können nur noch Sprachlaute der eigenen Muttersprache unterscheiden. 3 In einer Krabbelgruppe wurden vier Kontrollgruppen mit 9 – 10 Monate alten Babys gebildet, deren Muttersprache Englisch war: Die erste Gruppe bekam von einer chinesischsprachigen Person erst 10 Minuten vorgelesen, danach spielte die Person noch 15 Minuten mit den Kindern. Über vier Wochen fand dies statt, insgesamt 5 Stunden, auf 12 Einheiten verteilt. Die Kinder waren der Person sehr nahe, es gab viel Augenkontakt und direktes Ansprechen. Die Kinder hörten etwa 26 000 bis 42 000 chinesische Silben. Die zweite Gruppe bekam denselben Unterricht in Englisch. Es wurde dann untersucht, welche der beiden Kontrollgruppen zwei chinesische Silben, die es im Englischen nicht gibt, besser unterscheiden konnte. Die Gruppe mit dem chinesischen Live-Unterricht schnitt dabei deutlich besser ab. Um zu testen, wie wichtig der soziale Kontakt ist, wurde der chinesische Unterricht auf DVD aufgenommen und einer dritten Kontrollgruppe gezeigt, statt des Live-Unterrichts. Einer vierten Gruppe wurde die DVD mit dem Audiokanal vorgeführt (entspricht dem Hören einer CD). Der Unterricht auf DVD enthielt sogar mehr Silben: etwa 50 000. Trotzdem zeigte der Test bezüglich des Unterscheidungsvermögens zweier unbekannter chinesischer Laute, dass die Kinder der dritten und vierten Gruppe NICHTS gelernt hatten, sie konnten genauso wenig wie die englischsprachige Kontrollgruppe die chinesischen Laute unterscheiden. Kinder unter zwei Jahren lernen nicht nur nichts an Bildschirmmedien, sie verdummen in dieser Zeit, weil sie nichts währenddessen lernen. Da Kinder unter zwei Jahren viel schlafen ist die Wachphase besonders wichtig zum Lernen und Kinder lernen zu jeder Zeit, außer vor den Bildschirmmedien. Studie mit 1000 Babys: Eltern wurden nach Mediennutzungsgewohnheiten der Babys befragt und es wurden Sprachtestes durchgeführt: Tägliches Vorlesen bei 8 – 16 Monate alten Kindern förderte Sprachentwicklung, Baby-TV und BabyDVD’s hatten eine verzögerte Sprachentwicklung zur Folge! Studie: Bei 1797 Kindern wurde der Fernsehkonsum im Alter von unter drei Jahren sowie im Alter von 3-5 Jahren mit Testwerten (z.B. Lesefähigkeit, Sprachverständnis, Mathe, Konzentration) im Alter von sechs Jahren in Beziehung gesetzt. Zudem wurde der IQ der Mutter erfasst und die soziale Herkunft, um diese Einflüsse aus den Effekten herausrechnen zu können. Der durchschnittliche Fernsehkonsum betrug 2,2 Stunden bei den unter dreijährigen; 3,3 Stunden bei den 3-5 jährigen, mit sechs Jahren 3,5 Stunden. 4 Je höher der Konsum war, desto schlechter waren die genannten Fähigkeiten. Bei starkem TV-Konsum vor dem dritten Lebensjahr war dieser Effekt besonders auffällig. Soziale Netzwerke: Die Größe des präfrontalen Cortex (vorderer Teil der vorne liegenden Gehirnrinde) steht im direkten Zusammenhang zu der Anzahl von sozialen Kontakten. Je mehr jemand soziales Denken (sich einfühlen können…) einsetzt, desto größer das soziale Netz ist, desto größer ist dieser Teil des Gehirns. Beispiele: Der Mandelkern im Hirn steht im engen Zusammenhang mit sozialem Denken – die Größe des Mandelkerns steht im direkten Zusammenhang mit der Fähigkeit sich einzudenken. Die Größe des orbifrontalen Cortexes steht im Zusammenhang mit der Fähigkeit sich auf gegebene soziale Situationen einzustellen und auch mit der Größe des REALEN sozialen Netzwerkes. Je mehr eine Person ihr soziales Gehirn einsetzt, desto mehr fördert sie dessen Wachstum. Bei Kindern, die sich mehr in sozialen Online-Netzwerken aufhalten als in realen sind diese Regionen weniger ausgebildet, als bei jenen, die mehr reale Kontakte haben. Bei Erwachsenen der heutigen Zeit, die sich in Kindheit und Jugend nur in realen, wirklichen Netzwerken aufhielten, reale Freunde haben und diese dann mit Online-Netzwerken wie Facebook (seit 2008 verfügbar) ergänzten, konnte festgestellt werden, dass die Anzahl der realen Freunde im Zusammenhang mit der Anzahl der Online-Freunde: wer viele reale Freunde hatte, hatte auch viele Online-Freunde. Ganz anders bei Kindern: Eine Studie mit 8 - 12-jährigen Mädchen ergab, dass, je mehr sie sich in Online-Netzwerken aufhielten, desto geringer waren die Anzahl der realen Kontakte. Wenn sich Kinder, die sich in der Entwicklung befinden, den Bildschirmmedien zuwenden, werden für eine gesunde Entwicklung erforderliche Erfahrungen verhindert. Wer in jungen Jahren viel Online ist, wird sich in der realen Welt entsprechend wenig einbringen. Sie gewöhnen sich Realkontakte ab und haben weniger soziale Kompetenz. Die entsprechenden Gehirnbereiche schrumpfen. Umfrage: 3461 Mädchen zwischen 8 und 12 Jahren (viele Studien beziehen sich auf die USA, dort ist die Mediennutzung noch ausgeprägter als hier!) mit einer durchschnittlichen Mediennutzungszeit von 6,9 Stunden pro Tag. Diejenigen, welche weniger online waren schliefen mehr, waren in sozialen Beziehungen erfolgreicher, fühlten sich weniger als Außenseiterin. Je mehr die Mädchen online waren, desto weniger schliefen sie, desto mehr Multitasking machten sie. 5 Nur 10% der Mädchen gaben an, dass ihre Online-Freunde ihnen positive Gefühle vermitteln, selbst die Vielnutzerinnen von digitalen Medien gaben an, dass sie gute Gefühle vor allem mit persönlichen Freunden in der realen Welt erfahren. 50% gaben an, dass Online-Kontakte mit negativen Gefühlen verknüpft sind. Digitale Medien machen Kinder einsam und unglücklich. Anonymität im Netz: Menschen kontrollieren sich weniger und bemühen sich weniger um soziales Verhalten. Kinder, die noch in der Entwicklung sind lernen hier deswegen weniger soziales Verhalten als in der realen Welt. Das Internet ist voll mit scheiternden Sozialkontakten, die vom Vorgeben, dass man jemand anderer sei, über Schummeln, Betrügen bis hin zu Kriminalität reichen. Es wird gelogen, gemobbt, gehetzt und diffamiert. Einsamkeit, Stress und Depression (vor digitalen Bildschirmmedien) führen zum Absterben von Nervenzellen in Gehirn und begünstigen langfristig die Entwicklung einer Demenz. Digitale Medien Kindern schenken, weil sie sonst zu Außenseitern werden? Studien zeigen, dass das so NICHT stimmt, im Gegenteil! Studie 1987/88 mit 976 Personen im Alter von 15 Jahren: Für jede Stunde mehr TV stieg das Risiko einer geringeren Elternbindung um 13 % und das Risiko einer geringeren Bindung an Freunde um 24%. Studie 2004 mit 3043 Personen im Alter von 14 - 15 Jahren. Im Vergleich zwischen Fernsehen und Konsole hatte die Konsole einen um 20% höheren negativen Effekt. Gewaltspiele: In einem Versuch wurden zwei Kontrollgruppen verglichen. Die eine spielte ein gewaltfreies PC-Spiel, die andere eines mit Gewaltausübung (Abschießen, etc). Drei Minuten nach Beendigung des PC-Spieles wurde vor der Tür des VersuchsRaumes ein Tonband abgespielt, worauf eine tätliche Auseinandersetzung zu hören war, die immer mehr eskalierte (von SchauspielerInnen gespielt). Es waren Streit, ein krachender Stuhl, Schmerzäußerungen und Stöhnen zu hören. Die TeilnehmerInnen der Kontrollgruppe mit dem Gewaltvideospiel brauchten fünfmal soviel Zeit, um zu Hilfe zu eilen. Auch bemerkten manche SpielerInnen dieser Gruppe gar nicht, was da zu hören war. Und wenn, dann empfanden viele das, was sie hörten, als weniger bedenklich, als die SpielerInnen ohne Gewalt im PC-Spiel. Kurz gesagt: Wer gerade digitale Gewaltszenen erlebt hatte, der war gegenüber realer Gewalt abgestumpft. Selbstkontrolle: Ein Baby kann nach der Geburt erst einmal nur auf Reize reagieren, wird es in den Fuß gekniffen, zieht das Baby den Fuß reflexartig zurück. Nur die Neuronen in den unteren Arealen des Gehirns sind mit schnellen Fasern verbunden und damit reaktionsfähig. Die Neuronen in den 6 höheren Arealen sind zwar da, die Informationen zu diesen Arealen fließen aber noch zu langsam. Mit der Zeit bilden sich schnellere und komplexere Verbindungen aus, die rationales Denken einbeziehen und so einen Entscheidungsspielraum schaffen. Kinder, die ein Eis sehen, wollen es reflexartig essen, Gegenargumente werden vom Gehirn noch nicht verarbeitet. Erwachsene haben im Zuge der Reifung des Gehirns weit reichende Vorstellungen zur Planung vom richtigen Essverhalten entwickelt. Der Erwachsene kann die Handlung „ruhig bleiben und nicht essen“ aktivieren und den Reflex zu essen unterdrücken, das Kind kann das noch nicht. Es kann sein Verhalten noch nicht steuern. Selbstkontrolle ist die Fähigkeit: Reflexe zu unterdrücken, Verzicht zu üben, um ein langfristiges anderes Ziel zu erreichen, Regeln zu ändern, wenn es sinnvoll ist, so dass ich nicht Prinzipien unterworfen bin, die mein Glück verhindern, sich auf ein Ziel, eine Sache konzentrieren zu können, ohne sich ablenken zu lassen, so dass etwas schnell und gut erledigt werden kann. Dieses Nein zu äußeren oder inneren Reizen ist ein flexibles und planvolles Nein, das im Frontalhirn aktiv aufrecht erhalten werden muss, sonst wird es von automatischen Reaktionen oder Handlungen beherrscht. Wenn wir müde oder hungrig sind, wird die Selbstkontrolle geringer. Selbstkontrolle ist bei Menschen unterschiedlich ausgeprägt, kann aber wie ein Muskel trainiert werden. Kinder zu Selbstkontrolle durch Ermahnungen und Verbote erziehen zu wollen ist nicht sinnvoll, sondern das Ausüben von Sport, Musik, Spiele, usw. ohne dass Selbstkontrolle selbst dabei zum Thema gemacht wird. Verschiedenste Erfahrungen der realen Welt trainieren unseren Willen zur Selbstkontrolle. Zu diesen Erfahrungen gehört das planvolle Gestalten von Handlungsabläufen, um zu einem Ziel zu gelangen, das sich Einstimmen auf andere Menschen, um gemeinsam zu einem Ziel zu kommen, das Dranbleiben an einer Sache, um zu einem Ziel zu gelangen. Der Marshmallow-Test: Vierjährige Kinder wurden mit einem Marshmallow alleine gelassen mit dem Versprechen ein weiteres zu bekommen, wenn es dieses nicht essen würde, bis der Versuchsleiter wieder käme. Wenn das Kind es isst, dann solle es mit einer Glocke läuten und der Versuch wird beendet. Die Kinder wurden bis zu 15 Minuten alleine gelassen. Nur etwa 30 % der Kinder waren in der Lage das abzuwarten. Langzeituntersuchungen ergaben: Kinder mit einer guten Selbstkontrolle sind später kompetenter und erfolgreicher in sozialen und schulischen Bereichen, können besser mit Stress und Frustrationen umgehen. 7 Stress aufgrund von mangelnder Selbstkontrolle: Ein Tierversuch mit Ratten zeigte, dass machtloses Ausgeliefertsein Stress bewirkt. Eine Ratte bekam willkürlich Stromstöße versetzt und wurde darauf hin krank, weil sie keine Strategie entwickeln konnte, dem zu entkommen. Eine andere Ratte wurde auch mit Stromstößen traktiert, aber nach einem System, das die Ratte mit der Zeit kannte. So konnte sie durch schnelles Reagieren den Stromschlägen entkommen, sie musste aber immer auf der Hut sein. Trotzdem zeigte sie keine Stresssymptome. Sie wurde nicht krank, weil sie die Lage unter Kontrolle hatte, sie wusste, was zu tun war. Aufmerksamkeitsstörungen sind das Gegenteil von Selbstkontrolle: Passivität vor Bildschirmen führt zu Aufmerksamkeitsstörungen, besonders in der frühen Kindheit! Studie: 60 Kinder im Alter von vier Jahren wurden in drei Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe bekam einen schnell geschnitten Cartoon im TV zu sehen (Szenewechsel im Schnitt alle 11 Sekunden), die zweite Gruppe bekam einen Lehrfilm zu sehen (Szenewechsel im Schnitt alle 34 Sekunden), die dritte Gruppe sollte 9 Minuten zeichnen. Danach wurden bei allen drei Gruppen vier Tests durchgeführt, um die Funktionen des Frontalhirns zu untersuchen: Arbeitsgedächtnis: Planvolles Umbauen eines Turmes. Zahlen vorwärts sagen und rückwärts nachsprechen lassen. Unterdrücken reflexartigen Handelns: Wenn ich Kopf sage, Zehen berühren und umgekehrt. Belohnungsaufschub: Eine Version des Marshmallow-Tests. Beim Zeichnen wurde die Selbstkontrolle deutlich gefördert, bei dem schnellen Cartoon wurde sie sehr schlecht. Der Lehrfilm förderte die Selbstkontrolle in drei Tests, bei einem wurde diese geringfügig schlechter. Aufmerksamkeitsstörungen am PC: Eine Studie zeigte, dass PC-Spieler von Ego-Shootern auf Ablenkreize leichter reagieren als Nicht-Spieler. Daraus wurde gefolgert, dass PC-Spieler eine bessere Aufmerksamkeit hätten. Es ist jedoch das Gegenteil der Fall. Wer ablenkende Reize leichter verarbeitet, kann sie gleichzeitig auch schlechter unterdrücken. Oder wer auf viele Reize besonders schnell reagiert, kann sich auf einen schlechter konzentrieren. Wer seine Aufmerksamkeit auf viele Reize verteilt, kann sich schlechter auf eine Sache fokussieren. Gegen Überlastung von Reizen gibt es ein Schutzsystem, dass bewirkt, dass nicht zu viele Reize aufgenommen werden können. Automatische Informationsverarbeitungsprozesse im Sehsystem stoppen die Verarbeitung weiterer Reize für eine Viertelsekunde. PC-Spieler haben sich diesen Mechanismus teilweise abtrainiert. 8 PC-Spieler von Ego-Shootern trainieren sich eine Aufmerksamkeitsstörung an! Selbstkontrolle und Konzentration gehen verloren. Mediales Multitasking: Es wird vieles gleichzeitig gemacht: Im Internet recherchieren, dabei Musik hören, E-Mails erhalten und gleich beantworten, das Handy klingelt, das Festnetztelefon auch und eigentlich wird gerade ein Zeitungsartikel gelesen. Eine amerikanische Studie hat gezeigt, dass der Mensch der heutigen Zeit alle 11 Minuten unterbrochen wird, vom Klingeln eines Handys, von E-Mails, die durch Töne angezeigt werden. Oft wird sofort darauf geantwortet. Studie: In Amerika wurde 2005 eine Studie mit 2032 Kindern und Jugendlichen zwischen acht und achtzehn Jahren zum Thema Mediennutzung gemacht. Sie nutzten 8,5 Stunden lang verschiedenste Medien auf einen realen Zeitraum von 6,5 Stunden, weil sie gleichzeitig mehrere Medien verwendeten, vor allem PC und Handy. Die Mädchen neigen eher zum Multitasken. Weitere Studien mit Multitaskern haben gezeigt: Diese schneiden im Vergleich zu Nicht-Multitaskern in allen Bereichen der Studie schlechter ab. Je mehr ablenkende, unwichtige Reize hinzukamen, desto schlechter war die Konzentration auf die eigentliche Aufgabe. Multitasker brauchen länger für die ihnen gestellte Aufgabe. Unwichtige Gedächtnisinhalte werden nicht so gut ausgeschlossen oder ignoriert. Multitasker haben eine verlangsamte Reaktionszeit beim Wechsel zwischen Aufgaben! Sucht: Studie zur Internetsucht: 15 024 Deutsche im Alter von 14 – 64 Jahre nahmen an einer telefonischen Befragung teil. 1,5% zeigten eine Internetsucht, mit einer durchschnittlichen Nutzung von 29,2 Stunden pro Woche. Bei den 14-16 jährigen betrug der Anteil 4%. Wobei der Anteil der Mädchen hier etwas höher lag, was an der Nutzung von sozialen Netzwerken lag, die Jungen spielen eher im Netz. Besonders intensive Netzaktivitäten bei Internetsüchtigen: Einkaufen im Internet, ausgeprägter Videokonsum, Onlinenetzwerke, Chatrooms, Online-Spiele. Ein Teufelskreis aus Rückzug, Angst vor echten Begegnungen, weiterer Rückzug kann entstehen. 9 Studie (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen) zur PC-Spielsucht: 15168 Jugendliche, 15 Jahre alt, nahmen an einer Befragung teil. 4,3% der Mädchen und 15,8% der Jungen spielen täglich mehr als 4,5 Stunden PC- oder Video-Spiele. Als süchtig werden in dieser Studie 3 % der Jungen und 0,3 % der Mädchen eingestuft. Das Spiel World of Warcraft wird in der Studie mit dem höchsten Suchtfaktor eingestuft. Der Leiter der Studie fordert, dass dieses Spiel erst ab 18 Jahre freigegeben werden darf. Derzeit wird es Kindern ab 12 Jahren verkauft. Spitzer schließt sich dem an. Suchtentstehung: Im Gehirn gibt es eine Ansammlung von Nervenzellen, die für Glücksgefühle sorgen. Diese Nervenzellen werden aktiviert, wenn zufällig etwas Positives geschieht. Es werden Endorphine im Frontalhirn ausgeschüttet, was als angenehm erlebt wird. Alle süchtig machende Stoffe wie Drogen, Alkohol und Nikotin aktivieren dieses Zentrum. Auch Bildschirmmedien aktivieren dieses Zentrum! Spiele: Die Kombination aus virtuellen Belohnungen (zum Beispiel für im Spiel verbrachte Zeit oder für regelmäßiges Spielen) und Zufall (Belohnungen nach dem Zufallsprinzip) führen am ehesten zur Sucht. Erfolgreiche PC-Spiele sind sogar extra so programmiert, dass diese Kombination enthalten ist, um zur Sucht zu führen. Internet: Die suchterzeugende Wirkung des Internets kann auch auf das Belohnungs- und Zufallsprinzip zurückgeführt werden. Schließlich ist es nicht vorhersagbar, ob ich etwas Bestimmtes auf Ebay bekomme oder nicht, ob ich Freunde bei Facebook finde oder nicht. Das Belohnungssystem wird durch das Finden von Waren oder Freunden, von Tönen, wenn Mails reinkommen, aktiviert. Medienkonsum verringert Selbstkontrolle, daher ist der Suchtfaktor umso größer. Alkoholsucht und Mediensucht im Vergleich: Alkohol macht süchtig, schadet Körper und Geist, führt zu sozialem Abstieg, Vereinsamung, Depression und vorzeitigem Tod. Je früher der Konsum beginnt, desto schneller entwickelt sich die Sucht. Solange sich das Gehirn entwickelt (bis 25 Jahre) ist Sucht besonders schädlich für das Gehirn. Studien haben gezeigt, dass Aufklärung, um Menschen vom (übermäßigen) Konsum von Alkohol und Zigaretten abzuhalten, nichts bringen! Das was helfe, sei eine Verteuerung dieser (durch Steuern) und ein Verbot der Abgabe unter 18 Jahren. Bezüglich der Digitalen Medien wird immer wieder behauptet, Aufklärung würde genau das Richtige sein, um den Problemen zu begegnen. Es bräuchte Medienkompetenz und einen Internetführerschein. 10 Internetführerschein: In Schulen werden Internetführerscheine angeboten, Autoführerscheine dagegen nicht, obwohl jeder siebte Arbeitsplatz direkt oder indirekt von Autos abhängt. Wer nicht Auto fahren kann, ist schlechter qualifiziert. Daher wäre es empfehlenswert, in der Schule einen Autoführerschein zu machen, was aber niemand vorschlägt. Im Gegensatz dazu wird den Eltern (von der Industrie) eingeredet, ihr Kind würde im Beruf nicht erfolgreich sein, wenn es nicht von klein auf am PC säße. Professoren für Medienpädagogik und Politiker lassen sich zu Marktschreiern der Industrie missbrauchen. Medienkompetenz in Kindergärten und Grundschulen: Spitzer stellt die Frage, was wir sagen würden, wenn bereits in Kindergärten und Grundschulen das Training von Alkoholkompetenz eingeführt würde, um Kindern so früh wie möglich einen verantwortungsvollen Umgang damit beizubringen. Tatsächlich wurde schon einmal solch ein Versuch mit Drogen gestartet. Für die achten Klassen wollte man Jugendliche mit einem Drogenkoffer mit Mustern über Drogen aufklären und von Drogen fernhalten. Tatsächlich aber weckte der Koffer das Interesse! Wer das noch nicht kannte wurde spätestens jetzt neugierig und probierte Drogen nach der Schule aus. Der Drogenkoffer wurde wieder aus der Schule verbannt, da er das Gegenteil bewirkte. Dasselbe gilt für Digitale Medien: Letztlich kommt es einem Anfixen (neugierig machen, im Drogenmilieu: Überreden) gleich, diese in der Schule bereits zur Verfügung zu stellen! Wer schon in jungen Jahren mit digitalen Medien in Kontakt kommt, lernt auch eher früher, wie man an verbotene Spiele oder virtuelle Inhalte kommt. Das Gehirn von Erwachsenen ist vergleichsweise fertig: Wenig veränderbar und damit robust gegenüber schlechten Gedanken. Es dauert sehr lange, bis diese wirken. Bei Kindern ist das anders. Sie lernen schnell und was auch immer sie lernen, es hat große Chancen, ein Leben lang hängen zu bleiben. Deswegen und aus allen oben genannten Gründen empfiehlt Spitzer, Kinder so lange als möglich von digitalen Medien fernzuhalten. 11