Mathematik für Physiker, Informatiker und Ingenieure (Kapitel I) Dr. Gunther Dirr Institut für Mathematik Universität Würzburg Skript vom 29. Januar 2014 Inhaltsverzeichnis Wintersemester I 2 Grundlagen 1 Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Rechenregeln der Aussagenlogik . 1.2 Quantoren . . . . . . . . . . . . . 2 Mengen und Verknüpfungen . . . . . . . 3 Relationen und Abbildungen . . . . . . 4 Beweismethoden . . . . . . . . . . . . . 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3 5 10 12 16 25 Wintersemester 2 Kapitel I Grundlagen oder eine Stipvisite in der Welt der mathematischen Logik Literatur: • K. Appell & J. Appell „Mengen-Zahlen-Zahlbereiche”, Elsevier 2005 • H. Schichl & R. Steinhauer „Einführung in das mathematische Arbeiten”, Springer 2009 1 Aussagenlogik Problematik: Was ist eine Aussage/ein Satz (im mathematischen Sinne)? Drei Definitionsversuche: (V1) Eine mathematische Aussage ist ein Satz, der entweder wahr oder falsch ist. (V2) Eine mathematische Aussage ist ein Satz, den man beweisen oder widerlegen kann. (V3) Eine mathematische Aussage ist ein formaler Satz, d.h. ein Satz, der sich in einer formalen Sprache ausdrücken lässt und keine freien Variablen enthält. Beispiele: 1) Die Zahl 2 teilt die Zahl 6. [Formalisierung: ∃m : (2 · m = 6)] → wahr in der Menge der natürlichen Zahlen. → falsch in der Menge aller geraden Zahlen. 2) Es gibt ein x mit der Eigenschaft x2 = 2. [Formalisierung: ∃x : x · x = 2] → wahr in der Menge R der reellen Zahlen. → falsch für die Menge Q der rationalen Zahlen. 3 KAPITEL I. GRUNDLAGEN 3) Die Zahl y ist größer als 3. [Formalisierung: y > 3] → weder wahr noch falsch, da die „Aussage” die „freie” Variable y enthält. Man beachte, dass auch (mathematische) Sätze weder wahr noch falsch sein können, obwohl sie keine freien Variablen enthalten. Ein klassisches Beispiel liefert die sogenannte Antinomie vom Lügner (siehe z.B. H.-D. Ebbinghaus et al., Kap. X, §7): „Ich sage jetzt nicht die Wahrheit.” Als alternative Formulierung findet man oft: „Dieser Satz ist falsch.” Dieser Aussage ist durch ihrten Selbstbezug weder wahr noch falsch. Ähnliche selbstbezügliche „Sätze” sind auch in formalen Sprachen möglich, vgl. Tarski (1901/1902-1983) oder Gödel (1906-1978). Fazit/Konsequenz: (a) Versuch (V3) kommt einer Definition des Begriffs Satz (im Sinne der mathematischen Logik) am nächsten. Der Vorteil dieses formalen Ansatzes liegt in der klare Trennung von Syntax und Semantik. (b) Wir betrachten im Weiteren nur „konkrete” Aussagen, d.h. Interpretationen einer formalen Aussage in einer fest vorgegebenen Grundstruktur, von denen wir annehmen, dass sie entweder wahr oder falsch sind. (c) Da wir kein „absolutes” Kriterium für Wahrheit haben, benutzen wir sogenannte Axiomensysteme (AS), d.h. Systeme von einfachen (plausiblen) Grundaussagen, deren Gültigkeit/Wahrheit wir annehmen. Ein Satz ist dann (relativ zu AS) wahr, wenn er aus AS folgt bzw. beweisbar ist. Beispiele: ∃x : x · x = 1 + 1 Interpretation in (R,+,·,0,1) −−−−−−−−−−−−−−−−−−→ ∃x ∈ R : x2 = 2 Dieser „konkrete” Satz ist wahr/beweisbar aus den Axiomen der reellen Zahlen. Weiterführende Literatur: • H.-D. Ebbinghaus et al., „Einführung in die Mathematische Logik”, BI-Wissenschaftsverlag 1992 (3. Auflage). • W. Rautenberg, „Einführung in die Mathematische Logik: Ein Lehrbuch”, Vieweg & Teubner 2008 (3. Auflage). • r. Schindler, „Logische Grundlagen der Mathematik”, Springer 2009. 4 KAPITEL I. GRUNDLAGEN 1.1 Rechenregeln der Aussagenlogik Die Aussagenlogik – ein Teilgebiet der mathematische Logik – beschäftigt sich mit dem „Wahrheitswert” von verknüpften Aussagen in Abhängigkeit von den Wahrheitswerten ihrer Teilaussagen. Beispiele: Die Zahl 2 ist eine Primzahl und jede Primzahl ist kleiner als 5. Grundannahmen: (A1) Jede (konkrete) Aussage ist entweder wahr (w) oder1 falsch (f ) (Tertium non datur = „Ein Drittes gibt es nicht”). (A2) Der Wahrheitswert einer verknüpften Aussage hängt nur vom Wahrheitswert der Einzelaussagen ab (Extensionalität). Elementare Verknüpfungen und deren Formalisierung Seien A, B, C, . . . beliebige Aussagen. Dann schreiben wir: ¬A = b nicht A A∧B = b A und B A∨B = b A oder B (Negation) (1) (Konjunktion) (Disjunktion, einschließendes ODER) (2) (3) Wir definieren den Wahrheitswert der obigen elementaren Verknüpfungen mittels der folgenden Wahrheitswerte-Tabellen. ¬A f w A w f A w w f f B w f w f A w w f f A∧B w f f f (1) (?) A∨B w w w f B w f w f (2) (3) Interpretation der Tabellen: Die Zeile (?) z.B. besagt, dass die verknüpfte Aussage A ∧ B falsch ist, wenn A wahr und B falsch ist. 1 Hier handelt es sich um ein ausschließendes ODER 5 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Weitere wichtige (abgeleitete) Verknüpfungen A =⇒ B = b A ⇐⇒ B = b ˙ A∨B Aus A folgt B Wenn A dann B (Implikation) A impliziert B A genau dann, wenn B A dann und nur dann, wenn B (Äquivalenz) A ist zu B äquivalent = b entweder A oder B (ausschließendes ODER) (4) (5) (6) A w w f f B w f w f A =⇒ B w f w w (4) A w w f f B w f w f A ⇐⇒ B w f f w (5) ˙ A∨B f w w f (6) A w w f f B w f w f ˙ =⇒, ⇐⇒, . . . bezeichnet man auch als zweiBemerkung: Die Symbole ∧, ∨, ∨, stellige logische Junktoren. Definition 1 Seien A1 , A2 , . . . Aussagenvariable, d.h. Variable, die nur die Werte w (= b wahr) oder f (= b falsch) annehmen können2 . (a) Eine Belegung von A1 , . . . , An ist eine Abbildung, die jedem Ai , i = 1, . . . , n einen Wahrheitswert w oder f zuordnet, also eine Abbildung3 von {A1 , . . . , An } nach {w, f }. (b) Einen Ausdruck p(A1 , . . . , An ), der durch Negation ¬ und/oder Verknüpfung der Variablen A1 , . . . , An mittels der obigen (elementaren) Junktoren ∧ und ∨ sowie eventuell zusätzlicher Klammern entsteht, bezeichnet man als (abgeleiteten) n-stelligen logischen Ausdruck. 2 Somit kann A als Wahrheitwert einer zugehörigen Aussage interpretiert werden; siehe i auch Bemerkung „Interpretation der obigen Begriffe“ auf Seite 7 3 vgl. Abschnitt 3 6 KAPITEL I. GRUNDLAGEN (c) Eine beliebige Abbildung4 b, die jeder Belegung von A1 , . . . , An einen Wert in {w, f } zuordnet, heißt n-stellige Boolesche Funktion. (d) Ein n-stelliger logischer Ausdruck p(A1 , . . . , An ) heißt logisch allgemeingültig oder Tautologie, wenn p(A1 , . . . , An ) für alle Belegungen von A1 , . . . , An den Wahrheitswert w annimmt. (e) Ein n-stelliger logischer Ausdruck p(A1 , . . . , An ) heißt logisch unerfüllbar, wenn p(A1 , . . . , An ) für alle Belegungen von A1 , . . . An den Wahrheitswert f annimmt. (f) Zwei n-stellige logische Ausdrücke p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) heißen logisch äquivalent, wenn die Wahrheitsswerte von p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) für alle Belegungen von A1 , . . . , An übereinstimmen. Notation: p(A1 , . . . , An ) ≡ q(A1 , . . . , An ). (g) Ein n-stelliger logischer Ausdruck p(A1 , . . . , An ) heißt Darstellung einer Boolschen Funktion b, wenn die Werte von b und p(A1 , . . . , An ) für alle Belegung von A1 , . . . , An übereinstimmen. Notation: p(A1 , . . . , An ) 7→ b. Interpretation der obigen Begriffe: Interpretiert man A1 und A2 als Aussagen, z.B. A1 = b „Das Haus ist rot.“ und A2 = b „Es regnet heute.“ , so kann man dem logischen Ausdruck A1 ∨ ¬A2 die Aussage „Das Haus ist rot oder es regnet heute nicht.“ zuordnen. Den Wahrheitswert dieser verknüpften Aussage legen wir durch die Wahrheitswerte der Teilaussagen gemäß der Tabellen (1) – (3) fest. Prinzipiell kann man somit jedem n-stelligen logischem Ausdruck eine entsprechende verknüpfte Aussage zuordnen, vorausgesetzt jeder Aussagenvariablen A1 , . . . , An wurde eine konkrete Aussage (= Interpretation) zugewiesen. Man beachte jedoch, dass man im Allgemeinen einer beliegigen Booleschen Funktion keine Aussage zuordnen kann, selbst wenn die Aussagenvariablen A1 , . . . , An als konkrete Aussagen interpretiert werden können. In manch einfachen Fällen ist dies noch möglich, z.B. „=⇒“, „⇐⇒“, ... Warnung: Man beachte, dass ein n-stelliger logischer Ausdruck in den Variablen A1 , . . . , An nicht zwangsläufig alle Variablen A1 , . . . , An enthalten muss. Somit kann z.B. ¬A1 auch als logischer Ausdruck in A1 und A2 interpretiert werden. In diesem Fall erzeugt ¬A1 die Boolesche Funktion A1 w w f f 4 vgl. A2 w f w f Abschnitt 3 7 ¬A1 f f w w KAPITEL I. GRUNDLAGEN Beispiele: 1) Der Ausdruck A ∨ ¬A ist logisch allgemeingültig, denn es gilt: A ¬A w f w f A ∨ ¬A w w 2) Der Ausdruck ¬(A ∨ ¬A) ist logisch unerfüllbar, denn es gilt: A w f ¬A A ∨ ¬A ¬(A ∨ ¬A) f w f w w f 3) Die Ausdrücke ¬(A ∨ B) und (¬A) ∧ (¬B) sind logisch äquivalent, denn es gilt: A B ¬A ¬B ¬(A ∨ B) (¬A) ∧ (¬B) w w f f f f f w f f w f f w w f f f f f w w w w Somit zeigt unsere „Rechnung” ¬(A ∨ B) ≡ (¬A) ∧ (¬B). 4) Die Boolesche Funktion, die durch A =⇒ B definiert wird, läßt sich durch ¬A ∨ B darstellen, denn es gilt: ¬A f f w w A w w f f A⇒B w f w w B w f w f ¬A ∨ B w f w w Somit zeigt unsere „Rechnung” (A =⇒ B) 7→ (¬A ∨ B). ˙ . . .” heißen abgeleitet, da die zugeBemerkung: Die Junktoren „=⇒, ⇐⇒, ∨, hörigen Booleschen Funktionen sich durch die elementare Verknüpfungen d.h. durch Ausdrücke, die nur ¬, ∧ und ∨ beinhalten, darstellen lassen. (vgl. Beispiel 4). Allgemein kann man zeigen, dass jede n-stellige boolsche Funtion durch Negation ¬ und die elementaren Junktoren ∧ und ∨ darstellt werden kann. Diese Ergebnis kann man in der Literatur unter dem Schlagwort disjunktive Normalform finden. Satz 1 (a) Ein logischer Ausdruck ist genau dann logisch allgemeingültig, wenn seine Negation logisch unerfüllbar ist. (b) Zwei logische Ausdrücke p(A1 , . . . An ) und q(A1 , . . . An ) sind genau dann logisch äquivalent, wenn der Ausdruck p(A1 , . . . An ) ⇐⇒ q(A1 , . . . An ) logisch allgemeingültig ist. (c) Zwei logische Ausdrücke sind genau dann logisch äquivalent, wenn sie die gleiche Boolesche Funktion darstellen. 8 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Beweis. (a) „=⇒”: Sei p(A1 , . . . , An ) logisch allgemeingültig, d.h. der Wahrheitswert von p(A1 , . . . , An ) ist für alle Belegungen der A1 , . . . , An immer w. Somit ist der Wahrheitswert von ¬p(A1 , . . . , An ) immer f . Also ist die Aussageform ¬p(A1 , . . . , An ) logisch unerfüllbar. „ ⇐=”: Sei p(A1 , . . . , An ) logisch unerfüllbar, d.h. der Wahrheitswert von p(A1 , . . . , An ) ist f für alle Belegungen von A1 , . . . , An . Somit ist der Wahrheitswert von ¬p(A1 , . . . , An ) immer W , also ist ¬p(A1 , . . . , An ) logisch allgmeingültig. (b) „=⇒”: Seien p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) logisch äquivalent. Man betrachte eine beliebige Belegung der A1 , . . . , An . Dann haben p(A1 , . . . An ) und q(A1 , . . . , An ) für diese Belegungen den gleichen Wahrheitswert und somit nimmt der Ausdruck p(A1 , . . . , An ) ⇐⇒ q(A1 , . . . , An ) für diese Belegung den Wert w an. Da die Belegung aber beliebig gewählt war, gilt dies für alle Belegungen, d.h. p(A1 , . . . , An ) ⇐⇒ q(A1 , . . . , An ) ist logisch allgemeingültig. „⇐=”: Sei nun p(A1 , . . . , An ) ⇐⇒ q(A1 , . . . , An ) logisch allgemeingültig und sei eine beliebige Belegung der A1 , . . . , An gegeben. Dann nehmen p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) für diese Belegung den gleichen Wahrheitswert an, denn ansonsten wäre der Wahrheitwert des Ausdrucks p(A1 , . . . , An ) ⇐⇒ q(A1 , . . . , An ) nicht w. Da dies aber für jede Belegung gilt, ist p(A1 , . . . , An ) logisch äquivalent zu q(A1 , . . . , An ). (c) „=⇒”: Seien p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) logisch äquivalent. Dann nehmen p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) für jede Belegung von A1 , . . . , An den gleichen Wahrheitswert an und definieren somit die gleiche Boolesche Funktion. „⇐=”: Angenommen, p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) definieren die gleiche Boolesche Funktion. Dann stimmen für jede Belegung von A1 , . . . , An die Wahrheitswerte von p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) überein, d.h. sie sind logisch äquivalent. Weitere wichtige „Rechenregeln” der Aussagenlogik liefert der folgende Satz. Satz 2 Es gelten die folgenden logischen Äquivalenzen: (a) (A ∧ B) ∧ C ≡ A ∧ (B ∧ C) (A ∨ B) ∨ C ≡ A ∨ (B ∨ C) (Assoziativität) (b) A∧B ≡B∧A A∨B ≡B∨A (Kommutativität) (c) A ∧ (B ∨ C) ≡ (A ∧ B) ∨ (A ∧ C) A ∨ (B ∧ C) ≡ (A ∨ B) ∧ (A ∨ C) 9 (Distributivität) KAPITEL I. GRUNDLAGEN (d) ¬(A ∧ B) ≡ ¬A ∨ ¬B (de Morgansche Regeln) ¬(A ∨ B) ≡ ¬A ∧ ¬B Beweis. Übungsaufgabe! Der nachfolgende Satz stellt abschließend zwei einfache, aber wichtige „Kürzungsregeln“ bereit, die im Allgemeinen dazu dienen logische Ausdrücke zu vereinfachen. Zum Beweis des Satzes betrachten wir zuerst den folgenden Spezialfall. Lemma 1 Dann gilt: Seien p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) n-stellige logische Ausdrücke. (a) p ∧ q ≡ p, falls q allgemeingültig ist. (b) p ∨ q ≡ q, falls p unerfüllbar ist. Beweis. X Satz 3 (Kürzungsregeln) Seien p(A1 , . . . , An ) und q(A1 , . . . , An ) n-stellige logische Ausdrücke und sei die Implikation p =⇒ q allgemeingültig5 . Dann gilt: (a) p ∧ q ≡ p (b) p ∨ q ≡ q Beweis. Zu (a): Da p =⇒ q allgemeingültig ist, erhalten wir aus Lemma 1 die logische Äquivalenz p ≡ p∧(¬p∨q). Andererseits folgen aus Satz 2 und wiederum aus Lemma 1 die Äquivalenzen p ∧ (¬p ∨ q) ≡ (p ∧ ¬p) ∨ (p ∧ q) ≡ p ∧ q. Insgesamt ergibt sich damit p ≡ p ∧ (¬p ∨ q) ≡ p ∧ q. Zu (b): Übungsaufgabe! 1.2 Quantoren Um präzise Aussagen über die Gesamtheit der Elemente einer „Grundstruktur” formulieren zu können, definieren wir sogenannte Quantoren: ∀ = b ∃ = b ∃! = b Für alle . . . ( Es gibt ein . . . Es existiert ein . . . ( Es gibt genau ein . . . Es existiert genau ein . . . (All-Quantor) (Existenz-Quantor) (Existenz- & Eindeutigkeits-Quantor) Beispiele: 1) ∃x : x2 = 2 = b ( Es gibt ein x mit der Eigenschaft x2 = 2. Die Gleichung x2 = 2 hat (mindestens) eine Lösung. 5 Dabei bezeichnen wir eine Implikation A =⇒ B als allgemeingültig, wenn der logische Ausdruck ¬A ∨ B allgemeingültig ist. 10 KAPITEL I. GRUNDLAGEN 2) ∃y : y 2 = 2 = b 3) ∀y∃x : x2 = y Es gibt ein y mit der Eigenschaft y 2 = 2. = b Für alle y existiert ein x, so dass x2 = y gilt. Bemerkung: Beispiel 1) und 2) drücken den gleichen „Sachverhalt” aus, nämlich, dass es ein Element in unserer Grundstruktur gibt, das quadriert die Konstante 2 ergibt. Allgemein können sogenannte gebundene Variablen, d.h. Variablen die nach einem Quantor stehen, ersetzt werden, ohne dass die Aussage ihre Bedeutung ändert. Konvention: Um „konkrete” Aussagen zu erhalten, sollte der Definitionsbereich D der gebundenen Variablen immer deutlich sein. Dies erreichen wir durch Schreibweisen wie: • ∀x ∈ D : . . . oder ∀x : (x ∈ D =⇒ . . .) • ∃x ∈ D : . . . oder ∃y : (y ∈ D ∧ . . .) Beispiele: • ∃x ∈ R : x2 = 2 = b Es gibt eine reelle Zahl mit x2 = 2. • ∀y ∈ N ∃x ∈ R : x2 = y = b Für jede natürliche Zahl y gibt es eine reelle Zahl x, die quadriert y ergibt. Der folgende Satz fasst einige wichtige „Rechenregeln” für Quantoren zusammen. Wir müssen hier auf einen formalen Beweis verzichten, da wir den Begriff der „logischen Aquivalenz” für Ausdrücke, die All- und Existenz-Quantoren enthalten, nicht exakt definiert haben. Satz 4 Es gelten die folgenden logischen Äquivalenzen: (a) ¬ (∀x ∈ D : E(x)) ≡ ∃x ∈ D : ¬E(x) (b) ¬ (∃x ∈ D : E(x)) ≡ ∀x ∈ D : ¬E(x) (c) ∀x ∈ D ∀x0 ∈ D0 : G(x, x0 ) ≡ ∀x0 ∈ D0 ∀x ∈ D : G(x, x0 ) (d) ∃x ∈ D ∃x0 ∈ D0 : G(x, x0 ) ≡ ∃x0 ∈ D0 ∃x ∈ D : G(x, x0 ). (e) ∀x ∈ D : E(x) ∧ F (x) ≡ ∀x ∈ D : E(x) ∧ ∀x ∈ D : F (x) (f) ∃x ∈ D : E(x) ∨ F (x) ≡ ∃x ∈ D : E(x) ∨ ∃x ∈ D : F (x) Dabei bezeichnen D und D0 beliebige Definitionbereiche und E(x), F (x) sowie G(x, x0 ) beliebige ein- bzw. zweistellige Prädikate, d.h. Ausdrücke die eine bzw. zwei freie Variablen enthalten. Beispiel: Gemäß Teil (a) des obigen Satzes sind die Aussagen ¬ (∀n ∈ N : n ≥ 2) und ∃n ∈ N : n < 2 logisch äquivalent, d.h. die Aussage „Nicht alle natürlichen Zahlen sind größer gleich 2” und die Aussage „Es gibt eine natürliche Zahl, die echt kleiner als 2 ist” haben den gleichen Wahrheitswert (Offensichtlich sind beide wahr). 11 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Konvention: Wir benutzen im Weiteren die abkürzenden Schreibweisen: • ∀x, y ∈ D : Ẽ(x, y) := ∀x ∈ D ∀y ∈ D : Ẽ(x, y) • ∃x, y ∈ D : Ẽ(x, y) := ∃x ∈ D ∃y ∈ D : Ẽ(x, y) Warnung: Man beachte jedoch, dass Existenz- und All-Quantoren im Allgemeinen nicht vertauscht werden dürfen, d.h. im Allgemeinen gilt ∀x ∈ D ∃x0 ∈ D 0 : Ẽ(x, x0 ) 6≡ ∃x0 ∈ D 0 ∀x ∈ D : Ẽ(x, x0 ) Beispiel: Die Aussage ∀x ∈ R ∃y ∈ R : x + y = 0 ist wahr (man wähle y = −x), wohingegen die Ausage ∃x ∈ R ∀y ∈ R : x + y = 0 falsch ist . Bemerkung: (zum Gebrauch der logischen Symbole) Die obigen Symbole sollten nicht als stenographische Abkürzung in einem mathematische Text verwendet werden. Sie dienen ausschließlich dazu, komplizierte mathematischen Aussagen exakt zu formulieren, wenn dies die Umgangssprache nicht eindeutig zulässt, wie z.B. oftmals bei der Definition komplizierter Mengen. 2 Mengen und Verknüpfungen Problematik: Was ist eine Menge (im mathematischen Sinn)? Definitionsversuch: (Cantor 1845-1918) Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung von bestimmten, wohlunterscheidbaren Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen. Russell (1872-1970, Literatur-Nobelpreis 1950) zeigte, dass eine derartig intuitive Definition zu logischen Widersprüchen, den sogannten Russellschen Antinomien führt: (R1) A := {X | X ist Menge} („All-Menge”) (R2) R := {X | X ∈ / X} Man kann zum Beispiel leicht zeigen, dass die „Menge“ R nicht existieren kann, denn aus R ∈ / R würde R ∈ R folgen und aus R ∈ R würde sich R ∈ / R ergeben und somit könnte weder die Aussage R ∈ R noch deren Negation R ∈ / R erfüllt sein. Eine umgangssprachliche Formulierung von (R2), liefert die Anekdote, vom Babier, der genau diejenigen rasiert, die sich nicht selbst rasieren. – Der Leser sollte sich fragen, ob der Babier sich nun selbst rasiert oder nicht? Fazit: Die moderne Mathematik benutzt einen axiomatischen Aufbau der Mengenlehre, um derartige Widersprüche zu vermeiden. Das „Standardaxiomensystem” der heutigen Mengelehre wird ZFC abgekürz (Z = b Zermelo (18711953), F = b Fraenkel (1891-1965) und C = b Axiom of Choice). Angabe von Mengen 1. Durch expilzites Auflisten: M := {m1 , m2 , . . . , mk } 12 KAPITEL I. GRUNDLAGEN √ z.B. M := {1, 2, 7, 2}. Dabei sei k ∈ N eine beliebige natürliche Zahl und somit ist eine derartige Angabe offensichtlich nur bei endlichen Mengen möglich ist. 2. Durch Aussondern aus einer gegebenen Grundmenge D mittels eines einstelligen Prädikats E(x) (= Ausdrucks, der eine freie Variable enthält): M := {x ∈ D | E(x)} = {x | x ∈ D ∧ E(x)} z.B. M := {x ∈ R | x ≥ 2} oder M := {y ∈ N | ∃x ∈ N : y = x2 }. Hier sollte sich der Leser zur Selbstkontrolle fragen, welche Teilmenge der natürlichen Zahlen die zweite Menge beschreibt? 3. Mittels einer Abbildung f : D → B (vgl. Abschnitt 3). Man schreibt: M := {f (x) | x ∈ D} ⊂ B z.B. für f : Z → Z, f (x) := x2 erhält man M := {x2 | x ∈ Z}. Bemerkung: Die obige Variante 3 kann wie folgt auf Variante 2 zurückgeführt werden: {f (x) | x ∈ D} = {y ∈ B | ∃x ∈ D : y = f (x)} Genau genommen ist die linke Seite der Gleichung nur eine abkürzende Schreibweise der rechten Seite. Daher müsst es eigentlich „:=“ heißen. Variante 1 hingegen kann nur teilweise auf Variante 2 zurückgeführt werden. Denn mit Hilfe des einstelligen Prädikats E(x) := (x = m1 ) ∨ (x = m2 ) ∨ . . . ∨ (x = mk ) gilt zwar die Gleichheit {m1 , . . . , mk } = {x | E(x)} , jedoch fehlt formal auf der rechten Seite die Grundmenge D, aus der ausgesondert wird. Hier, im endlichen Fall, ist die Konstruktion auch ohne Angabe der Grundmenge D erlaubt. Im Allgemeinen jedoch gilt Folgendes. Warnung: Nur in wenigen Fällen (vgl. ZFC) ist die Angabe/Konstruktion einer Menge in der Form {x | E(x)} ohne explizite Nennung der Grundmenge D, aus der die Elemente x stammen sollen, erlaubt. Wenn möglich, sollte immer aus einer Grundemenge D, deren Existenz gesichert ist, „ausgesondert“ werden. Definition 2 Seien M und N Mengen und gelte M = {x | E(x)}. Dann definieren wir die folgenden Sprech- und Schreibweisen: (a) x ist Element von M (Schreibweise: x ∈ M ) genau dann, wenn x die Eigenschaft E(x) besitzt. Kurzform: x ∈ M :⇐⇒ E(x) (b) M und N sind gleich (Schreibweise: M = N ) genau dann, wenn für alle x die Äquivalenz x ∈ M ⇐⇒ x ∈ N gilt. Kurzform: M = N :⇐⇒ ∀x : (x ∈ M ⇐⇒ x ∈ N ) 13 KAPITEL I. GRUNDLAGEN (c) N ist Teilmenge von M (Schreibweise: N ⊂ M ) genau dann, wenn für alle x die Implikation x ∈ N =⇒ x ∈ M gilt. Kurzform: N ⊂ M :⇐⇒ ∀x : (x ∈ N =⇒ x ∈ M ) (d) Das Symbol ∅ bezeichne die leere Menge, d.h. die Menge, die keine Elemente enthält. Lemma 2 Zwei Mengen M und N sind genau dann gleich, wenn M Teilmenge von N und N Teilmenge von M ist. Beweis. Übungsaufgabe! Definition 3 (Mengenoperationen) definieren wir: Seien M und N beliebige Mengen. Dann (a) M ∩ N := {x | x ∈ M ∧ x ∈ N } als die Schnittmenge von M und N . (b) M ∪ N := {x | x ∈ M ∨ x ∈ N } als die Vereinigungsmenge von M und N . (c) M \ N := {x | x ∈ M ∧ ¬(x ∈ N )} als die Differenzenmenge von M und N bzw. das Komplement von N bezüglich M . Satz 5 (Rechenregeln für Mengenoperationen) gen. Dann gilt: Seien L, M, N beliebige Men- (a) L ∩ (M ∩ N ) = (L ∩ M ) ∩ N L ∪ (M ∪ N ) = (L ∪ M ) ∪ N (Assoziativität) (b) M ∩N =N ∩M M ∪N =N ∪M (Kommutativität) (c) L ∩ (M ∪ N ) = (L ∩ M ) ∪ (L ∩ N ) L ∪ (M ∩ N ) = (L ∪ M ) ∩ (L ∪ N ) (Distributivität) (d) L \ (M ∩ N ) = L \ M ∪ L \ N L \ (M ∪ N ) = L \ M ∩ L \ N (de Morgansche Regeln) Beweis. Übungsaufgabe! Definition 4 (Mengensysteme) Eine Menge S := {M | E(M )}, deren Elemente selbst Mengen sind, heißt Mengensystem. Wir definieren: T (a) S := {x | ∀M ∈ S : x ∈ M } heißt Durchschnitt von S, falls S = 6 ∅. S (b) S := {x | ∃M ∈ S : x ∈ M } heißt Vereinigung von S. 14 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Bemerkung: Oftmals sind Mengensysteme in der Form S := {Mα | α ∈ I} gegeben, wobei I eine beliebige Indexmenge bezeichne, z.B. I = {1, 2, 3, 4} oder I = N. Dann schreiben wir auch \ [ Mα und Mα α∈I α∈I für den Durchschnitt bzw. die Vereinigung von S. Beispiele: 1) Sei S = {1, 2, 3}, {2, 3, 4}, {3, 4, 5}, {4, 5, 6} = Mα | α ∈ {1, 2, 3, 4} mit M1 := {1, 2, 3}, M2 := {2, 3, 4}, M3 := {3, 4, 5} und M4 := {4, 5, 6, }. Dann gilt: \ [ S = ∅ und S = {1, . . . 6} 2) Sei S = {Mp | p ∈ N} mit Mp := {n·p | n ∈ Z} = {. . . , −2p, −p, 0, p, 2p, . . .} (= b Menge aller Vielfachen von p). Dann gilt: \ [ S = {0} und S=Z Definition 5 (Potenzmenge) Sei M eine beliebige Menge. Dann heißt die Menge P(M ) := {N | N ⊂ M } die Potenzmenge von M . Alternative findet man auch die Notation 2M statt P(M ). Beispiel: Sei M := {1, 2, 3}. Dann gilt P(M ) = ∅, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, M Man beachte |P(M )| = 8 = 23 = 2|M | . Dabei bezeichnen |P(M )| und |M | jeweils die Anzahl der Elemente von P(M ) bzw. M . Definition 6 (Kartesisches Produkt) Mengen. Seien M und N beliebige nichtleere (a) Sei x ∈ M und y ∈ N . Dann bezeichnen wir (x, y) := {x}, {x, y} als das geordnete Paar (2-Tupel) aus x und y. (b) Die Menge aller geordneten Paare M × N := {(x, y) | x ∈ M ∧ y ∈ N } heißt das kartesische Produkt von M und N . (c) Seien M1 , . . . Mn endlich viele, nichtleere Mengen und sei xi ∈ Mi für i = 1, . . . n. Dann definieren wir rekursiv6 (x1 , x2 , . . . , xn−1 , xn ) := ((x1 , . . . , xn−1 ), xn ) als das n-Tupel aus x1 , . . . , xn . Ferner heißt die Menge aller n-Tupel M1 × . . . × Mn := {(x1 , . . . , xn ) | x1 ∈ M1 ∧ . . . ∧ xn ∈ Mn } das kartesische Produkt der Mengen M1 , . . . , Mn . Falls eine der Mengen Mi die leere Menge ist, so setzen wir M1 × . . . × Mn := ∅. Falls M1 = M2 = · · · = Mn = M , so schreiben wir M n := M × M × . . . × M | {z } n-mal 6 vgl. Kap. II, Abschnitt 1 15 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Beispiele: 1) Sei M := {1, 2, 3} und sei N := {a, b}. Dann gilt M × N = (1, a), (2, a), (3, a), (1, b), (2, b), (3, b) Man beachte |M × N | = |M | · |N |. 2) Falls M = N = R, so schreiben wir R2 = R×R = (x, y) | x ∈ R∧y ∈ R . (a) Seien (x, y), (x0 , y 0 ) ∈ M × M . Dann gilt Satz 6 (x, y) = (x0 , y 0 ) ⇐⇒ (x = x0 ∧ y = y 0 ) (b) Für n-Tupel (x1 , . . . , xn ), (x01 , . . . , x0n ) ∈ M1 × . . . × Mn gilt allgemein (x1 , . . . xn ) = (x01 , . . . x0n ) ⇐⇒ (x1 = x01 ∧ . . . ∧ xn = x0n ). Beweis. (a) „=⇒”: Unterscheide die Fälle x 6= y und x = y. „⇐=”:X (b) Folgt mittels Induktion7 aus (a) und der obigen Definition. 3 Relationen und Abbildungen Definition 7 (Relationen) Seien M und N beliebige Mengen. Eine Teilmenge R ⊂ M × N heißt Relation auf M × N . Wir sagen x ∈ M und y ∈ N stehen bzgl. R in Relation zueinander, wenn (x, y) ∈ R gilt. Notation: xRy :⇐⇒ (x, y) ∈ R oder x ∼R y :⇐⇒ (x, y) ∈ R Beispiele: 1) Sei M = N = R und sei R1 := {(x, y) ∈ R2 | x2 = y 2 } Frage: Was drückt die Relation R1 aus? Offensichtlich gilt: xR1 y ⇐⇒ x2 = y 2 ⇐⇒ x = y ∨ x = −y. 2) Sei M = N = N und sei R2 := {(n, m) ∈ N2 | ∃k ∈ N : k · n = m} Frage: Was drückt die Relation R2 aus? Es gilt: nR2 m ⇐⇒ ∃k ∈ N : k · n = m, d.h n und m stehen genau dann in Relation bzgl R2 , wenn n ein Teiler von m ist. 7 vgl. Kap. II, Abschnitt 1 16 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Spezielle Relationen Definition 8 (Ordnungsrelation) Sei M eine beliebige Menge und sei R ⊂ M × M eine Relation auf M (genauer auf M × M ). Dann heißt R Ordnungsrelation auf M , wenn R folgende Eigenschaften erfüllt: (a) Für alle a ∈ M gilt: aRa (Reflexivität) (b) Für alle a, b ∈ M gilt: (aRb ∧ bRa) =⇒ a = b (Antisymmetrie) (c) Für alle a, b, c ∈ M gilt: (aRb ∧ bRc) =⇒ aRc (Transitivität) Falls zusätzlich noch aRb ∨ bRa für alle a, b ∈ M gilt, so heißt R Totalordnung auf M . Für Ordnungsrelationen schreiben wir im Weiteren x ≤R y statt xRy. Beispiele: 1) Das Standardbeispiel einer Totalordnung ist die übliche „kleiner-gleich“Relation auf R. Einen exakten Beweis dieser Ausage können wir erst am Ende von Kapitel II führen. 2) Das obige Beispiel 2 liefert auch eine Ordnung auf N. Ist diese total? 3) Sei M eine beliebige Menge. Dann definiert R := {(N1 , N2 ) ∈ P(M ) × P(M ) | N1 ⊂ N2 } eine Ordnungsrelation auf P(M ),die besagt, dass N1 genau dann „kleiner gleich” N2 ist, wenn N1 ⊂ N2 gilt. Definition 9 (Äquivalenzrelation) Sei M eine beliebige Menge und sei R ⊂ M × M eine Relation auf M . Dann heißt R Äquivalenzrelation auf M , wenn R folgende Eigenschaften erfült: (a) Für alle a ∈ M gilt: aRa (Reflexivität) aRb ⇐⇒ bRa (Symmetrie) (b) Für alle a, b ∈ M gilt: (c) Für alle a, b, c ∈ M gilt: (aRb ∧ bRc) =⇒ aRc (Transitivität) Falls a ∈ M und R eine Äquivalenzrelation auf M ist, dann bezeichnen wir die Menge [a] := {b ∈ M | aRb} ⊂ M als die Äquivalenzklasse von a bzgl. R. Bemerkung: Äquivalenzklassen besitzen die folgenden „schönen” Eigenschaften: 17 KAPITEL I. GRUNDLAGEN (i) Für alle a ∈ M gilt a ∈ [a]. (ii) Für alle a, b ∈ M gilt entweder [a] = [b] oder [a] ∩ [b] = ∅. S (iii) [a] = M . a∈M Die obigen Eigenschaften (i) - (iii) besagen, dass die Menge aller Äquivalenzklassen eine Partition, d.h. eine disjunkte Zerlegung von M bilden. Beispiele: 1) Sei M := {1, 2, 3}. Betrachte Rmin := (1, 1), (2, 2), (3, 3) und Rmax := M ×M . Beide Relationen definieren Äquivalenzrelationen auf M . Dabei ist Rmin die „kleinste” und Rmax die „größte” Äquivalenzrelation auf M . Als Äquivalenzklassen erhalten wir im erstem Fall [1] = {1}, [2] = {2}, [3] = {3} und im zweiten Fall [1] = [2] = [3] = M . Übung: Bestimmen Sie alle Äquivalenzrelationen auf M . 2) Sei M = Z und sei p ∈ N fest gewählt. Ferner sei R := (m, n) ∈ Z × Z | ∃k ∈ Z : k · p = m − n = (m, n) ∈ Z × Z | p teilt m − n Behauptung: R definiert eine Äquivalenzrelation auf Z. Beweis. Übungsaufgabe! Als Äquivalenzklassen erhält man: [0] = {m ∈ Z | p teilt m} = {k · p | k ∈ Z} = [p] [1] = {m ∈ Z | p teilt m − 1} = {k · p + 1 | k ∈ Z} .. . [p − 1] = {m ∈ Z | p teilt m − p + 1} = {k · p − 1 | k ∈ Z} Im Folgenden geben wir zwei äquivalent Definitionen (F1) und (F2) des Abbildungsbegriffs – beide sind in der Literatur gebräuchlich. Definition 10 (Abbildungen\Funktionen) (F1) Eine Relation F auf M × N heißt Abbildung oder Funktion von M nach N , wenn für alle x ∈ M genau ein y ∈ N mit der Eigenschaft (x, y) ∈ F existiert. (F2) Eine Abbildung oder Funktion ist ein Tripel (M, N, F ), bestehend aus zwei Mengen M und N und einer eindeutigen Zuordnung F von M nach N , d.h. F ordnet jedem x ∈ M ein eindeutiges F (x) ∈ N zu. Die Menge G(F ) := x, F (x) ∈ M × N | x ∈ M bezeichnen wir als den Graph von F . 18 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Ferner bezeichnen wir die Mengen M und N als den Definitionsbereich bzw. den Wertebereich von F . Notation: F : M → N , x 7→ F (x) Bemerkung: Man beachte, dass in Definition (F1) eine Abbildung im Sinne von (F2) mit ihrem Graph identifiziert. Definition 11 Zwei Abbildungen F : M → N und F 0 : M 0 → N 0 sind genau dann gleich, wenn die Bedingungen M = M 0 , N = N 0 und F1 (x) = F2 (x) für alle x ∈ M erfüllt sind. Notation: F = F 0 oder F ≡ F 0 Beispiele: 1) F : R → R, x 7→ F (x) := x2 (Standardparabel) 2) Bezeichne T(n, m) ⊂ N die Menge aller gemeinsamen Teiler von n, m ∈ N und ggT(n, m) den größter gemeinsamer Teiler. Dann definiert F1 : N × N → N, (n, m) 7→ F1 (n, m) := ggT(n, m) eine Abbildung, F2 : N × N → N, (n, m) 7→ F2 (n, m) := T(n, m) jedoch nicht. Man kann F 0 aber als Abbildung von N × N nach P(N) betrachten. 3) Die Vorschrift F : R → R, x 7→ y, wobei y ∈ R „die” Lösung der Gleichung y 2 = x sei, definiert keine Abbildung. Warum nicht? 4) Die Abbildung F : M → M , x 7→ F (x) := x heißt identische Abbildung oder Identität auf M . Notation: id, Id, idM , IdM , . . . Definition 12 (Bild, Urbild, Faser) Sei F : M → N eine beliebige Abbildung und seien M 0 ⊂ M sowie N 0 ⊂ N beliebige Teilmengen. (a) Wir bezeichnen F (M 0 ) := {F (x) | x ∈ M 0 } als das Bild der Menge M 0 unter der Abbildung F . Insbesondere heißt F (M ) das Bild der Abbildung F. (b) Wir bezeichnen F −1 (N 0 ) := {x ∈ M | F (x) ∈ N 0 } als das Urbild der Menge N 0 unter der Abbildung F . Insbesondere heißt F −1 ({y}) die Faser von y ∈ N unter F . Beispiel: Sei F : R → R, x 7→ F (x) = x2 und seien M 0 = [−1, 1], N 0 = [−1, 0] und y = 1. Dann gilt F (M 0 ) = [0, 1], F −1 (N 0 ) = {0} und F −1 (y) = {−1, 1}. Satz 7 (Rechenregeln) Sei F : M → N eine beliebige Abbildung und seien M 0 , M 00 ⊂ M und N 0 , N 00 ⊂ N beliebige Teilmengen. Dann gilt: 19 KAPITEL I. GRUNDLAGEN (a) F (M 0 ∪ M 00 ) = F (M 0 ) ∪ F (M 00 ) F (M 0 ∩ M 00 ) ⊂ F (M 0 ) ∩ F (M 00 ) (b) F −1 (N 0 ∪ N 00 ) = F −1 (N 0 ) ∪ F −1 (N 00 ) F −1 (N 0 ∩ N 00 ) = F −1 (N 0 ) ∩ F −1 (N 00 ) (c) F −1 (F (M 0 )) ⊃ M 0 F (F −1 (N 0 )) ⊂ N 0 Beweis. Wir beweisen exemplarisch nur den ersten Teil von (a) und den zweiten Teil von (b). (a) „⊂”: Sei y ∈ F (M 0 ∪ M 00 ), d.h. es existiert ein x ∈ M 0 ∪ M 00 mit y = F (x). Fall 1: x ∈ M 0 . Daraus folgt y ∈ F (M 0 ), also y ∈ F (M 0 ) ∪ F (M 00 ). Fall 2: x ∈ M 00 . Daraus folgt y ∈ F (M 00 ), also y ∈ F (M 0 ) ∪ F (M 00 ). Somit gilt insgesamt y ∈ F (M 0 )∪F (M 00 ) und folglich F (M 0 ∪M 00 ) ⊂ F (M 0 )∪F (M 00 ). „⊃”: Sei y ∈ F (M 0 ) ∪ F (M 00 ). Fall 1: y ∈ F (M 0 ), d.h. es existiert ein x ∈ M 0 mit F (x) = y. Da x ∈ M 0 ∪ M 00 , folgt y ∈ F (M 0 ∪ M 00 ). Fall 2: y ∈ F (M 00 ), also existiert ein x ∈ M 00 mit F (x) = y und somit gilt wiederum y ∈ F (M 0 ∪ M 00 ). Insgesamt erhalten wir y ∈ F (M 0 ∪ M 00 ) und folglich F (M 0 ) ∪ F (M 00 ) ⊂ F (M 0 ∪ M 00 ). Aus den beiden gezeigten Inklusionen folgt nun nach Lemma 2 die Identiät F (M 0 ∪ M 00 ) = F (M 0 ) ∪ F (M 00 ). (b) „⊂”: Sei x ∈ F −1 (N 0 ∩ N 00 ), d.h. F (x) ∈ N 0 ∩ N 00 . Somit gilt F (x) ∈ N 0 und F (x) ∈ N 00 . Daraus folgt x ∈ F −1 (N 0 ) und x ∈ F −1 (N 00 ), also x ∈ F −1 (N 0 ) ∩ F (N 00 ). „⊃”: Sei x ∈ F −1 (N 0 ) ∩ F −1 (N 00 ), d.h. x ∈ F −1 (N 0 ) und x ∈ F −1 (N 00 ). Daraus folgt F (x) ∈ N 0 und F (x) ∈ N 00 , also F (x) ∈ N 0 ∩ N 00 . Somit gilt x ∈ F −1 (N 0 ∩ N 00 ). Aus den beiden gezeigten Inklusionen folgt wiederum nach Lemma 2 die Identiät F −1 (N 0 ∩ N 00 ) = F −1 (N 0 ) ∩ F −1 (N 00 ) Die übrigen Aussagen werden teilweise in den Übungen gezeigt. Wir geben im Folgenden einen alternativen, mehr formalen Beweis für den ersten Teil der Aussage (a). Beide Beweis sind korrekt und unterscheiden sich nur stilistisch – der Leser möge selbst entscheiden, weleche Variante er bevorzugt. 20 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Beweisalternative zu (a). F (M 0 ∪ N 0 ) = y ∈ N | ∃x : x ∈ M 0 ∪ N 0 ∧ y = F (x) = y ∈ N | ∃x : (x ∈ M 0 ∨ x ∈ N 0 ) ∧ y = F (x) = y ∈ N | ∃x : x ∈ M 0 ∧ y = F (x) ∨ x ∈ N 0 ∧ y = F (x) = y ∈ N | ∃x : x ∈ M 0 ∧ y = F (x) ∨ ∃x : x ∈ N 0 ∧ y = F (x) = y ∈ N | ∃x : x ∈ M 0 ∧ y = F (x) ∪ y ∈ N | ∃x : x ∈ N 0 ∧ y = F (x) = F (M 0 ) ∪ F (N 0 ) Definition 13 (Injektivität, Surjektivität, Bijektivität) M → N heißt Eine Abbildung F : (a) injektiv, wenn für alle x, x0 ∈ M die Implikation F (x) = F (x0 ) =⇒ x = x0 erfüllt ist. Äquivalent dazu ist die Forderung x 6= x0 =⇒ F (x) 6= F (x0 ) für all x, x0 ∈ M . (b) surjektiv, wenn F (M ) = N gilt. (c) bijektiv, wenn F sowohl injektiv als auch surjektiv ist. Satz 8 (a) Eine Abbildung F : M → N ist genau dann injektiv, wenn zu jedem y ∈ N höchstens ein x ∈ M mit F (x) = y existiert. (b) Eine Abbildung F : M → N ist genau dann surjektiv, wenn zu jedem y ∈ N mindestens ein x ∈ M mit F (x) = y existiert. (c) Eine Abbildung F : M → N ist genau dann bijektiv, wenn zu jedem y ∈ N genau ein x ∈ M mit F (x) = y existiert. Beweis. (a) „=⇒”: Sei also F injektive und sei y ∈ N . Ferner gelte F (x) = y = F (x0 ) für x, x0 ∈ M . Dann folgt aus der Injektivität von x = x0 und somit gibt es höchstens ein x ∈ M mit F (x) = y. „⇐=”: Es gelte F (x) = F (x0 ) für x, x0 ∈ M und besitze F die Eigenschaft: (?) Zu jedem y ∈ N existiert höchstens ein x ∈ M mit F (x) = y. Dann folgt aus (?), angewandt auf y := F (x), die Identität x = x0 , d.h. F ist injektiv. (b) Übungsaufgabe. (c) Die Aussage folgt unmittelbar aus (a) und (b). Beispiele: 21 KAPITEL I. GRUNDLAGEN 1) Die Abbildung F1 : N × N → N, (n, m) 7→ F1 (n, m) = ggT(n, m) ist nicht injektiv, aber surjektiv. 2) Die Abbildung F2 : R → R, x 7→ F2 (x) = x2 ist nicht weder injektiv noch surjektiv. 3) F3 : [0, 1] → [0, 1], x 7→ F3 (x) = x2 ist bijektiv. Definition 14 (Komposition) Seien F : M → N und G : N → P beliebige Abbildungen. Dann heißt die Abbildung G ◦ F : M → P , definiert durch x 7→ G F (x) , die Komposition der Abbildungen F und G. Bemerkung: 1) Die Komposition von Abbildungen ist assoziativ, d.h. für beliebige Abbildungen F1 : M → N , F2 : N → P und F3 : P → Q gilt F3 ◦ (F2 ◦ F1 ) = (F3 ◦ F2 ) ◦ F1 . Beweis. Offensichtlich sind F3 ◦ (F2 ◦ F1 ) und (F3 ◦ F2 ) ◦ F1 Abbildun gen von M nach Q. Ferner gilt: F 3 ◦ (F2 ◦ F1 )(x) = F3 (F2 ◦ F1 )(x) = F3 F2 F1 (x) = (F3 ◦ F2 ) F1 (x) = (F3 ◦ F2 ) ◦ F1 (x). 2) Man beachte, dass die Komposition von Abbildungen im Allgemeinen nicht kommutativ ist, d.h. im Allgemeinen gilt nicht F ◦ G = G ◦ F . Beispiele: 1) Sei F : R → R, x 7→ F (x) = x und G : R → R, x 7→ G(x) = x. Dann gilt G ◦ F (x) := G(F (x)) = G(x) = x. 2) Sei F : R → R, x 7→ F (x) = x + 1 und G : R → R, x 7→ G(x) = x4 . Dann gilt (x + 1)4 = G ◦ F (x) 6= F ◦ G(x) = x4 + 1. Definition 15 (Umkehrabbildung, Teil I) Sei F : M → N eine beliebige Abbildung. Falls eine Abbildung G : N → M existiert mit G ◦ F = idM und F ◦ G = idN , d.h. G ◦ F (x) = x für alle x ∈ M und F ◦ G(y) = y für alle y ∈ N , so bezeichnen wir G als eine Umkehrabbildung oder Inverse zu F . Beispiele: 1) Sei F : M → M die identische Abbildung, d.h. F := idM . Dann ist G := idM eine Inverse zu F . 2) Sei F : R → R, x 7→ F (x) := 3x − 7. Dann ist G : R → R, x 7→ G(x) := 1 3 (x + 7) eine Inverse zu F . (Nachrechnen!) 3) Sei F : R → R, x 7→ F (x) := ex und sei G : R → R definiert durch ( log(|x|) falls x 6= 0 x 7→ G(x) := 0 falls x = 0. Dann gilt G ◦ F = idR und somit ist G eine Umkehrabbildung zu F . Was ist falsch an dieser Argumentation? 22 KAPITEL I. GRUNDLAGEN √ + 2 4) Sei F : R → R+ x. 0 , x 7→ F (x) = x . und G : R0 → R, x 7→ G(x) = Dann gilt F ◦ G = idR+ und somit ist G eine Umkehrabbildung zu F . Was 0 ist hier falsch? Satz 9 (a) Sei F : M → N eine beliebige Abbildung. Falls F eine Umkehrabbildung besitzt, so ist diese eindeutig. (b) Eine Abbildung F : M → N mit M 6= ∅ ist genau dann injektiv, wenn es eine Abbildung G : N → M gibt mit G ◦ F = idM . (c) Eine Abbildung F : M → N ist genau dann surjektiv, wenn es eine Abbildung G : N → M gibt mit F ◦ G = idN . (d) Eine Abbildung F : M → N ist genau dann bijektiv, wenn sie eine Umkehrabbildung besitzt. Beweis. (a) Seien G : N → M und G0 : N → M Umkehrabbildungen von F . Dann gelten die folgende Identitäten: (i) G ◦ F = idM und F ◦ G = idN . (ii) G0 ◦ F = idM und F ◦ G0 = idN . Aus (i) und (ii) folgt G = G ◦ (F ◦ G0 ) = (G ◦ F ) ◦ G0 = G0 , also G0 = G. (b) „=⇒”: Sei F : M → N injektiv und sei y ∈ F (M ). Dann folgt aus Satz 8, dass es genau ein x ∈ M gibt mit F (x) = y. Somit läßt sich G : N → M wie folgt definieren ( x falls F (x) = y G(y) := x0 falls y 6∈ F (M ), wobei x0 ∈ M beliebig gewählt sei. Somit ist G(y) die eindeutige Lösung der Gleichung F (x) = y und folglich gilt G(F (x)) = x, also G ◦ F = idM . „⇐=”: Sei G ◦ F = idM und sei F (x) = F (x0 ) für x, x0 ∈ M . Dann erhält man Gleichungskette x = G(F (x)) = G(F (x0 )) = x0 , also ist F injektiv. (c) „=⇒”: Sei F : M → N surjektiv. Nach Satz 8 ist F −1 (y) 6= ∅ für alle y ∈ N . Man wähle8 nun für jedes y ∈ N ein G(y) ∈ F −1 (y) und definiere G : N → M , y 7→ G(y). Dann gilt F (G(y)) = y für alle y ∈ N , also F ◦ G = idN . „⇐=”: Sei F ◦ G = idN und sei y ein beliebiges Elenemt in N . Dann gilt y = F (G(y)), d.h. y ∈ F (M ). Da y ∈ N beliebig gewählt war, folgt F (M ) = N , also ist F surjektiv. (d) Wir zeigen die Behauptung zuerst unter der Annahme M 6= ∅. „=⇒”: Sei also F : M → N bijektiv. Dann folgt aus (b) und (c), dass es Abbildungen G : N → M und G0 : N → M gibt mit G ◦ F = idM 8 An dieser Stelle benutzen wir das sogenannte Auswahlaxiom (Axiom of Choice). 23 KAPITEL I. GRUNDLAGEN bzw. F ◦ G0 = idN . Wie in (a) zeigt man G = G0 , d.h. F besitzt eine Umkehrabbildung. „⇐=”: Die Behauptung folgt nun unmittelbar aus (b) und (c). Falls M = ∅, so zeigt man in beiden Fällen („=⇒” und „⇐=”), dass auch N = ∅ gilt, und folglich sind beide Implkationen erfüllt. Definition 15 (Umkehrabbildung, Teil II) Falls die Abbildung F : N → M eine Umkehrabbildung besitzt, so ist diese nach Satz 9 eindeutig und wird im Weiteren mit F −1 : N → M bezeichnet. Bemerkung: Zur Bestimmung der Umkehrfunktion legt der obige Beweis den Ansatz nahe die Gleichung F (x) = y nach x „aufzulösen”. Definition 16 (Mächtigkeit und Abzählbarkeit) (a) Seien M und N beliebige Mengen. Falls es eine bijektive Abbildung von M nach N gibt, so heißen M und N gleichmächtig. Notation: |M | = |N |, falls M und N gleichmächtig sind. (b) Eine Menge M heißt abzählbar, wenn es eine surjektive Abbildung von der Menge der natürliche Zahlen N nach M gibt, und abzählbar unendlich, wenn es eine bijektive Abbildung von N nach M gibt. Außerdem heißt M endlich, wenn es ein n ∈ N gibt, so dass eine Bijektion zwischen M und der Menge {1, 2, . . . n} existiert. Notation: |M | = n, falls M und {1, 2, . . . n} gleichmächtig sind. Ferner bezeichnen wir die leere Menge als endlich und schreiben |∅| = 0. (c) Eine Menge heißt überabzählbar unendlich, wenn sie nicht abzählbar ist. Bemerkung: Man kann zeigen, dass eine Menge genau dann endlich ist, wenn sie abzählbar, aber nicht abzählbar unendlich ist. Beispiele: 1) Die Mengen N und N0 sind gleichmächtig, da z.B. F : N → N0 , F (n) := n − 1 ein Bijektion zwischen N und N0 ist. 2) Auch die Mengen N und N2 sind gleichmächtig. Eine mögliche Bijektion von N2 nach N liefert die Abbildungsvorschrift ( (m+n−1)(m+n−2) + m falls n + m gerade, 2 F (m, n) := (m+n−1)(m+n−2) + n falls n + m ungerade. 2 Versuchen Sie sich diese „Abzählung” zu veranschaulichen. Lemma 3 Seien M und N beliebige endliche Mengen mit |M | = m und |N | = n. Ferner seien M und N disjunkt, d.h. M ∩ N = ∅. Dann ist auch M ∪ N endlich und es gilt |M ∪ N | = m + n. 24 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Beweis. Aus |M | = m und |N | = n folgt, dass es bijektive Abbildungen ϕ1 : {1, . . . , m} → M und ϕ2 : {1, . . . , n} → N gibt. Man betrachte nun die Abbildung ϕ : {1, . . . , m + n} → M ∪ N definiert durch ϕ1 (k) falls 1 ≤ k ≤ m, ϕ(k) := ϕ (k − m) falls m + 1 ≤ k ≤ m + n. 2 Offensichtlich ist ϕ eine Bijektion und somit ist M ∪ N endlich mit |M ∪ N | = m + n. 4 Beweismethoden Die meisten mathematischen Aussagen/Sätze besitzen die folgende Struktur: (a) „Aus A folgt B.” (Implikation: A =⇒ B) (b) „A gilt genau dann, wenn B gilt.” (Äquivalenzaussage: A ⇐⇒ B) (c) „Es gibt ein x ∈ . . . mit der Eigenschaft ...” (Existenzaussage: ∃x : . . .) (d) „Für alle x ∈ . . . gilt die Eigenschaft ...” (All-Aussage: ∀x : . . .) Daher treten in mathematischen Texten oft ähnliche, vom Inhalt unabhängige Formulierungen und Beweistechniken auf. Einige dieser Strukturen wollen wir im Folgenden vorstellen. Formulierungen und Beweistechniken Zu (a): Vorüberlegung: Sei p(A, B) ein beliebiger logischer Ausdruck, der zu A =⇒ B logisch äquivalent9 ist. Dann ist A =⇒ B genau dann wahr, wenn p(A, B) wahr ist und somit haben wir A =⇒ B genau dann bewiesen, wenn wir p(A, B) bewiesen haben. Diese Vorüberlegung liefert uns die folgenden Beweistechniken: • Direkter Beweis: Wir nehmen an, dass A gilt, und beweisen „unmittelbar” aus unseren Axiomen und den daraus schon bekannten Sätzen die Implikation A =⇒ B. • Indirekter Beweis: Wir beweisen statt der Implikation A =⇒ B die Aussage ¬B =⇒ ¬A. Man beachte: ¬B =⇒ ¬A ≡ A =⇒ B. • Widerspruchsbeweis: Wir nehmen an, dass A und ¬B gilt, und zeigen, dass dies zu einem Widerspruch führt. Man beachte: (A ∧ ¬B) =⇒ (C ∧ ¬C) ≡ ¬(A ∧ ¬B) ≡ A =⇒ B bzw. (A ∧ ¬B) =⇒ B ≡ A =⇒ B. Allgemein gilt: D =⇒ (C ∧ ¬C) ≡ ¬D. 9 Formal, d.h. gemäß Defimition 1 dürften wir hier nicht von logischer Äquivalenz zu A =⇒ B reden, sondern müssten von logischer Äquivalenz zu ¬A ∨ B sprechen. Trotzdem benutzen wir im Weiteren – solange keine Gefahr der Fehlinterpretation besteht – diese intuitive Formulierung. 25 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Zu (b): Analog zu (a) können wir auch hier alle zu A ⇐⇒ B logisch äquivalente Formulierungen benutzen. Dabei ist es in vielen Fällen sinnvoll den Beweis der Äquivalenzaussage A ⇐⇒ B in die Teilweweise der Implikationen A =⇒ B und B =⇒ A aufzuteilen. Man beachte: (A =⇒ B) ∧ (B =⇒ A) ≡ A ⇐⇒ B. Für die einzelnen Implikationen stehen nun wieder alle Varianten aus (1) zur Verfügung, z.B. können wir B =⇒ A durch ¬A =⇒ ¬B ersetzen. Bemerkung: Falls wir mehrere Äquivalenzaussagen der From A ⇐⇒ B, B ⇐⇒ C und C ⇐⇒ A beweisen wollen, so genügt es eine geschlossene „Kette” von Implikationen zu beweisen, z.B. A =⇒ B, B =⇒ C und C =⇒ A. Man beachte: (A =⇒ B) ∧ (B =⇒ C) =⇒ (A =⇒ C) ist logisch allgemeingültig. Zu (c): Hier genügt die Angabe eines „Beispiels”, d.h. eines Elements x, das die gewünschte Eigenschaft besitzt und in der betrachteten Grundstruktur D liegt. Zu (d): Hier müssen wir die entsprechenden Eigenschaften für alle x in der betrachteten Grundstruktur D nachweisen. Um nicht immer „für alle x ∈ D gilt ...”, „für alle x ∈ D folgt ...”, u.s.w. schreiben zu müssen, benutzt man oft den folgenden mathematischen „Slang”: Zu Beginn des Beweises schreiben wir „Sei x ein beliebiges Element in D ...” oder „Sei x ∈ D beliebig ...”. Dann beweisen wir die Aussage für „dieses” x ∈ D. Da x ∈ D aber beliebig gewählt war, haben wir somit die Aussage für alle x ∈ D gezeigt. Entscheidend dabei ist, dass wir im Laufe des Beweises keine weiteren Einschränkungen an x ∈ D machen. Beispiel: Im Weiteren setzen wir die Eigenschaften der natürlichen Zahlen als bekannt voraus und benutzen die Notation m|n, falls m ein Teiler von n ist. Satz Jede natürliche Zahl, die durch 6 teilbar ist, ist auch durch 3 teilbar. Formalisierung: ∀n ∈ N : (6|n ⇒ 3|n), Beweis. 1. Variante (direkter Beweis): Sei n eine beliebige natürliche Zahl, die durch 6 teilbar ist. Somit existiert ein k ∈ N mit n = 6 · k. Daraus folgt n = 3 · (2 · k) = 3 · k 0 mit k 0 := 2 · k ∈ N. Also ist n auch durch 3 teilbar. 2. Variante (indirekter Beweis): Sei n eine beliebige natürliche Zahl, die nicht durch 3 teilbar ist, d.h. n = 3·k +r mit k ∈ N0 und r ∈ {1, 2}. Fall 1: Sei k gerade, also k = 2k 0 mit k 0 ∈ N0 . Dann gilt n = 3 · k + r = 3 · (2 · k 0 ) + r = 6 · k 0 + r und somit ist n auch nicht durch 6 teilbar. 26 KAPITEL I. GRUNDLAGEN Fall 2: Sei k ungerade, also k = 2k 0 + 1 mit k 0 ∈ N0 . Damit erhält man n = 3 · k + r = 3 · (2 · k 0 + 1) + r = 6 · k 0 + 3 + r. Also ist n wiederum nicht durch 6 teilbar, denn es gilt 3 + r ∈ {4, 5}. Aus Fall 1 und 2 folgt insgesamt, dass n nicht durch 6 teilbar ist. Somit haben wir gezeigt, dass jedes n, das durch 6 teilbar ist, auch durch 3 teilbar ist. 3. Variante (Widerspruchsbeweis): Sei n eine beliebige natürliche Zahl. Angenommen, n wäre durch 6, aber nicht durch 3 teilbar. Dann gälte n = 6 · k mit k ∈ N und n = 3k 0 + r mit k 0 ∈ N0 und r ∈ {1, 2}. Also 6 · k = 3 · k 0 + r und somit 3 · (2 · k − k 0 ) = r. Damit wäre r durch 3 teilbar im Widerspruch zu r ∈ {1, 2}. Somit führt unsere Annahme, dass n durch 6, aber nicht durch 3 teilbar ist, zu einem Widerspruch (nämlich zu r ∈ {1, 2} und r 6∈ {1, 2}). Daraus schließen wir, dass jedes n, das durch 6 teilbar ist, auch durch 3 teilbar ist. 27 Stichwortverzeichnis Kapitel I M und N sind gleich, 13 N ist Teilmenge von M , 14 n-Tupel, 15 n-stelligen logischen Ausdruck, 6 x ist Element von M , 13 Äquivalenzklasse von a, 17 Äquivalenzrelation, 17 Abbildung, 18 abzählbar, 24 abzählbar unendlich, 24 allgemeingültig, 7 Belegung, 6 bijektiv, 21 Bild der Menge, 19 Darstellung, 7 das Bild, 19 Definitionsbereich, 19 Differenzenmenge, 14 Durchschnitt, 14 endlich, 24 Faser, 19 Funktion, 18 geordnete Paar, 15 gleich, 19 gleichmächtig, 24 Graph, 18 identische Abbildung, 19 Identität, 19 injektiv, 21 Inverse, 22 kartesische Produkt, 15 Komplement, 14 Komposition, 22 leere Menge, 14 logisch aquivalent, 7 Mengensystem, 14 n-stellige Boolesche Funktion, 7 Ordnungsrelation, 17 Potenzmenge, 15 Relation, 16 Schnittmenge, 14 surjektiv, 21 Tautologie, 7 Totalordnung, 17 uberabzählbar unendlich, 24 Umkehrabbildung, 22 unerfüllbar, 7 Urbild der Menge, 19 Vereinigung, 14 Vereinigungsmenge, 14 Wertebereich, 19 28