20. Dialogseminar Tagungsband Grundrisse eines zukünftigen Weltwährungssystems 9. – 11. Dezember 2010 Blaubeuren UNIVERSITÄT BAYREUTH UNIVERSITÄT LEIPZIG Inhaltsverzeichnis Vorwort S. 2 Hanns Martin Schleyer Stiftung S. 3 Programm S. 4 Teilnehmerliste S. 6 Thesenpapiere und Protokolle Hubert Temmeyer Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld Thesenpapier Protokoll zur Sitzung S. 10 S. 12 Michael Heise Die Rolle des Dollar: „safe haven“ für wie lange? Protokoll zur Sitzung S. 17 Jürgen Stark Die Zukunft des Euro Thesenpapier Protokoll zur Sitzung S. 22 S. 23 Marcel Fratzscher Die aufkommende Rolle des Yuan/RMB Thesenpapier Protokoll zur Sitzung S. 28 S. 30 Thorsten Polleit Freie Märkte und „Free Banking“: der Weg zum guten Geld Thesenpapier Protokoll zur Sitzung S. 38 S. 39 Steffen Orben Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen Thesenpapier Protokoll zur Sitzung S. 45 S. 46 Protokoll zu den Referaten der Studierenden S. 51 Protokoll zur Podiumsdiskussion S. 56 1 UNIVERSITÄT BAYREUTH UNIVERSITÄT LEIPZIG Vorwort Angesichts der vorherrschenden weltweiten währungspolitischen Turbulenzen konnte das diesjährige 20. Dialogseminar mit dem Thema „Grundrisse eines zukünftigen Weltwährungssystems“ an Aktualität kaum überboten werden. Ganz im Sinne der Tradition der Dialogseminare, das Gespräch zwischen den Generationen und zwischen Theorie und Praxis herzustellen, diskutierten renommierte Vertreter der Praxis gemeinsam mit den Studierenden, wie ein zukünftiges Weltwährungssystem aussehen könnte. Wie sei die aktuelle Situation einzuschätzen? Welche Rolle könnten die verschiedenen Währungsräume in Zukunft spielen? Welches währungspolitische Arrangement wäre dabei denkbar? Mit diesen und weiteren Fragen befassten sich die rund 65 Teilnehmer – exzellente Studierende aus Bayreuth, Leipzig und Tübingen sowie fünf ausgewählte Studierende anderer Universitäten und ausgewählte Gäste – des zweitägigen Seminars mit Begeisterung und großem Interesse. Zweifelsohne bieteten die zwei Tage den Studenten eine unvergleichliche Gelegenheit, über die Theorie des Studiums hinaus das aktuelle Weltgeschehen zu reflektieren und zu diskutieren. Sie waren durch ihre Hausarbeiten bestens vorbereitet. Die Referenten waren von dem exzellenten Diskussionsniveau höchst angetan. Die vier Organisatoren Bernhard Herz (Uni Bayreuth), Gunther Schnabl (Uni Leipzig), Jürgen Stark (EZB) und Joachim Starbatty (Uni Tübingen) möchten sich ganz herzlich bei der Hanns Martin Schleyer - Stiftung für die bereits langjährige finanzielle Unterstützung bedanken, die maßgeblich zur Realisation dieser Seminare beiträgt. Das Dialogseminar war auch dieses Mal ein Höhepunkt für die Studierenden, aber auch die Veranstalter selbst haben davon profitiert. Joachim Starbatty 2 Wir danken der Hanns Martin Schleyer-Stiftung für Ihre Unterstützung und finanzielle Förderung des 20. Dialogseminars. Die Hanns Martin Schleyer - Stiftung Die Hanns Martin Schleyer-Stiftung wurde 1977 gegründet. Aus ihrem Gründungsanlass heraus hat sie Dialog-Brücken zwischen Wissenschaft, Praxis und Medien entwickelt, vor allem für die junge Generation. Die Förder-Initiativen Wissenschaftlerinnen richten und sich in besonderer Weise Wissenschaftler in den an qualifizierte Wirtschafts-, junge Rechts- und Kulturwissenschaften. Die Stiftung steht für eine im deutschen Sprachraum unverwechselbare ProgrammArchitektur (Universitäts-Seminare, Dozenten-Kolloquien, Symposien und Förder- Kongresse). Damit fördert sie auch eine junge "scientific-community" und innovative Netzwerke in einer offenen Gesellschaft. Die Stiftung arbeitet operativ: Sie konzentriert sich auf die Entwicklung und Umsetzung eigener Initiativen. Angesichts umfassender Veränderungen im „globalen Zeitalter“ sind Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und nicht zuletzt auch der einzelne Bürger neu herausgefordert: Die Schleyer-Stiftung möchte an den Hochschulen und in der Öffentlichkeit mit zu einer geistig-politischen Orientierung beitragen, die gerade bei jungen Menschen das Bewusstsein für Rechtsstaat und freiheitliche Problemlösungen stärkt und damit auch wettbewerbliches Denken, Kreativität und Leistungsbereitschaft. 3 UNIVERSITÄT BAYREUTH UNIVERSITÄT LEIPZIG „Grundrisse eines zukünftigen Weltwährungssystems“ Blaubeuren, 09.12.2010 – 11.12.2010 Gefördert von der Hanns Martin Schleyer-Stiftung im Rahmen der Förderinitiative „Dialog Junge Wissenschaft und Praxis“ In Verbindung mit der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V. (ASM) Professor Dr. Bernhard Herz, Universität Bayreuth Professor Dr. Gunther Schnabl, Universität Leipzig Professor (em.) Dr. Dr. h. c. Joachim Starbatty, Universität Tübingen Professor Dr. Jürgen Stark, Europäische Zentralbank/ Universität Tübingen 09. Dezember 2010 (Donnerstag) 11:00 – 11:15 Begrüßung und Einführung I. Die aktuelle Situation 11:15 – 12:45 (1) Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld Referent: Hubert Temmeyer (Stellvertr. Abteilungsleiter im Internationale Währungsordnung bei der Deutschen Bundesbank) 12:45 – 13:30 Bereich Mittagessen II. Die Entwicklung einzelner Währungsräume 13:30 – 15:00 (2) Die Rolle des Dollar: „safe haven“ für wie lange? Referent: Michael Heise (Chefvolkswirt der Allianz Gruppe) 15:30 – 17:00 (3) Die Zukunft des Euro Referent: Jürgen Stark (Mitglied des Direktoriums und Chefvolkswirt der EZB) 18:00 – 19:00 19:15 – 20:45 Abendessen (4) Die aufkommende Rolle des Yuan / RMB Referent: Marcel Fratzscher (Leiter der Abteilung International Policy Analysis bei der EZB) 4 UNIVERSITÄT BAYREUTH UNIVERSITÄT LEIPZIG 10. Dezember 2009 (Freitag): ab 8:00 Frühstück III. Perspektiven 09:00 – 10:30 (5) Freie Märkte und "Free Banking": der Weg zum guten Geld Referent: Thorsten Polleit (Chief German Economist bei Barclays Capital) 11:00 – 12:30 (6) Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen Referent: Steffen Orben (Director of Global Finance & Foreign Exchange, Deutsche Bank AG) 12:30 – 13:30 Mittagessen 14:00 – 15:30 Besuch des Klosters Blaubeuren und des Blautopfs 16:00 – 17:30 (7) Ausgewählte Problemstellungen, vorgetragen von Studierenden Referentin: Anne-Katrin Beurer (Uni Tübingen): „Die zukünftige Rolle des IWF“ Referent: Matthias Wieschemeyer (Uni Leipzig): „US-Geldpolitik, SubprimeKrise und die internationale Rolle des Dollar“ Referent: Timo Alberts (Uni Bayreuth): „Wann kommt der Yuan? Das Potenzial der chinesischen Währung als Leitwährung“ 18:00 – 19:00 19:15 – 20:45 Abendessen (8) Auf dem Weg zu einer neuen Weltwährungsordnung – über Kooperation oder Konfrontation? Podiumsdiskussion (Leitung: Christian Milow): Bernhard Herz, Gunther Schnabl, Jürgen Stark, Joachim Starbatty 11. Dezember 2009 (Samstag) ab 7:15 Frühstück 08:15 – 09:45 Vorbereitung der Sitzungsberichte durch die Studierenden in Gruppenarbeit 10:00 – 12:15 Mündliche Präsentation und Diskussion der Berichte 12:30 Mittagessen Abreise nach dem Mittagessen 5 UNIVERSITÄT BAYREUTH UNIVERSITÄT LEIPZIG Teilnehmerliste Tagungsleiter Professor Dr. Bernhard Herz Professor Dr. Gunther Schnabl Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Universität Bayreuth Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Leipzig Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty Vorsitzender d. Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, Tübingen Professor Dr. Jürgen Stark Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, FFM., Honorarprofessor der Universität Tübingen Referenten Dr. Marcel Fratzscher Leiter der Abteilung International Policy Analysis bei der EZB Dr. Michael Heise Chefvolkswirt der Allianz Gruppe Steffen Orben Director Global Finance & Foreign Exchange Deutsche Bank Professor Dr. Thorsten Polleit Chief German Economist bei Barclays Capital Professor Dr. Jürgen Stark Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, FFM., Honorarprofessor der Universität Tübingen Stellvertr. Abteilungsleiter im Bereich Internationale Währungsordnung bei der Deutschen Bundesbank Dr. Hubert Temmeyer Wissenschaftliche Mitarbeiter Dipl. Vw. Christian Drescher Mitarbeiter Lehrstuhl Herz Dipl. Vw. Alexander Erler Mitarbeiter Lehrstuhl Herz Dipl. Vw. Alexandra Hild Mitarbeiter Lehrstuhl Herz Dipl. Vw. Stefan Hohberger Mitarbeiter Lehrstuhl Herz Dipl. Vw. Axel Löffler Mitarbeiter Lehrstuhl Schnabl Dipl. Vw. Holger Zemanek Mitarbeiter Lehrstuhl Schnabl Dipl. Vw. Rona Schurig Geschäftsführerin ASM e.V. Dipl. Vw. Käte Wohltmann Geschäftsführerin ASM e.V. Studierende Timo Alberts Nick Baderschneider Gregor Geist Thomas Grieb Universität Bayreuth Stephan Heine Alessio Hommel 6 Daniela Kastner Dominique Kläber-Michalcik Valentin Klima Universität Bayreuth Paul Tscheuschner Lukas von Schuckmann Martin Wiegand Sven Christens Pablo Duarte Adrian Ille Stefanie Janort Chris Jürschik Raphaela Koch Thomas Krause Universität Leipzig Velina Petrusheva Ariane Pucher Alexander Rösschen Elena Rubtsova Julia Scheibe Kristina Spantig Björn Urbansky Matthias Wischemeyer Jan David Bakker Anne-Katrin Beurer Johannes Fleck Johannes Geibel Jakob Maidowski Universität Tübingen Marie-Christin Scholl Florian Schwab Johannes Simon Daniel Spengler Maxim Asjoma Universität Prag Marie Theres Holzhausen Universität Hannover Katharina Schühly Universität Göttingen Faxin Teng Universität Halle-Wittenberg Thomas Wied Universität Berlin 7 Gäste Dr. Rudolf Mikus Mitglied der ASM e.V., Träger der Alfred Müller-Armack-Verdienstmedaille (2006) Professor Dr. Christian Milow Präsident a.D. der Landeszentralbank in den Freistaaten Sachsen und Thüringen Dr. Markus Stahl Mitglied der ASM e.V., Geschäftsführer von Steinhart & Stahl Vermögensverwaltung GmbH Mauricio Vargas Ehem. Geschäftsführer der ASM e.V. ab Jan 2011: Junior Economist bei Union Investment 8 Hubert Temmeyer: „Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld“ Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung 9 Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld von Dr. Hubert Temmeyer Das internationale Währungssystem umfasst die Festlegung von Regeln und Konventionen, unter denen die monetären Transaktionen zwischen einzelnen Ländern bzw. Währungsgebieten abgewickelt werden. Es wird durch Aktionen der Regierungen und Notenbanken, der informellen Gremien (G20, G7) und der internationalen Institutionen (u.a. IWF) gestaltet. Der IWF trägt v.a. durch seine Surveillance- und Kreditvergabefunktion zur Stabilität des internationalen Währungssystems bei. Er gibt als unparteiischer, aber nicht unabhängiger Ratgeber wirtschaftspolitische Empfehlungen an seine Mitglieder (er ist aber kein „Schiedsrichter“), er überwacht das internationale Währungssystem und vergibt an Mitglieder mit Zahlungsbilanzproblemen temporär Kredite unter Auflagen (Konditionalität). Seit einiger Zeit ist die Diskussion über eine mögliche Neuordnung des internationalen Währungssystems wieder aufgelebt. Hierzu beigetragen haben die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die anhaltend hohen Ungleichgewichte in den Zahlungsbilanzen, die hohe Volatilität der Kapitalströme, der starke und dynamische Aufbau von Währungsreserven in manchen Schwellenländern und die zunehmenden Risiken, die aus den steigenden Staatsschulden resultieren. Auch der IWF ist in die Kritik geraten, und ihm wird eine Mitschuld an den Instabilitäten des internationalen Währungssystems vorgeworfen. Es wird vorgebracht, dass (1) er seine bilaterale und multilaterale Surveillance nur unzureichend wahrgenommen hat, dass (2) sein Kreditinstrumentarium Lücken aufweist, dass (3) seine Finanzmittel für Krisen nicht ausreichen, dass (4) seine Organisations- und Entscheidungsstrukturen die veränderten globalen wirtschaftlichen und politischen Gewichte nicht mehr angemessen widerspiegeln und dass (5) er den Kapitalverkehrstransaktionen, dem Wechselkurssystem und den Währungsreserven zu wenig Beachtung schenkt. (1) Surveillance: Die Kritik an der IWF-Surveillance ist berechtigt. Als Reaktion wurde die Surveillance angepasst und ausgeweitet. Die Finansektor-Surveillance wird intensiviert (Early Warning Exercise, verbindliche FSAPs). In Spillover-Berichten sollen externe Wirkungen der heimischen Politik analysiert werden (Pilotprojekt für USA, Japan, China, Großbritannien, Eurogebiet). Im Auftrag der G-20 soll der IWF große, anhaltende Leistungsbilanzungleichgewichte mittels zu vereinbarender Anhaltswerte („indicative guidelines“) beurteilen. (2) Kreditinstrumentarium: Das IWF-Kreditinstrumentarium wurde um sog. „vorsorgliche“ Instrumente ohne akuten Zahlungsbilanzbedarf erweitert (Flexible Credit Line, Precautionary Credit Line). Weitergehende Vorschläge zur Einrichtung eines globalen Stabilisierungs-Mechanismus beim IWF (GSM) sind problematisch, weil der GSM eine Vorab-Verpflichtung zur unbegrenzten Liquiditätsbereitstellung der Reservewährungsländer bzw. deren Zentralbanken voraussetzt. Darüber hinaus 10 ähnelt er Swaplinien der Zentralbanken, allerdings ohne deren Bedingungen und Voraussetzungen (Eingriff in die Autonomie der Notenbanken). Er käme einer „permanenten“ Swaplinie der Zentralbanken mit dem IWF gleich – ein Instrument, welches die Zentralbanken selbst untereinander wegen geldpolitischer Implikationen und Anreizverzerrungen nicht permanent aufrecht erhalten (Wahrung der „constructive ambiguity“). (3) Finanzierung: Als Reaktion auf die globale Finanz- und Wirtschaftskrise wurden die IWF-Ressourcen deutlich erhöht. Um über kurzfristige Engpässe hinwegzukommen, haben zahlreiche Länder bzw. deren Notenbank dem IWF bilaterale Kreditlinien eingeräumt (Bundesbank bis zu 15 Mrd Euro). Die Neuen Kreditvereinbarungen, eine Notfallreserve, die bei einer „Gefährdung des internationalen Währungssystems“ aktiviert werden können, sind um neue Mitglieder erweitert und von 34 Mrd SZR auf 367 Mrd SZR erhöht worden (Ratifizierungsprozess ist noch nicht abgeschlossen worden). Im Oktober 2010 wurde eine Verdopplung der gesamten Quotensumme (von 238 Mrd US-$ auf 476 Mrd US-$) bei einer entsprechenden Rückführung der Neuen Kreditvereinbarungen vereinbart. (4) Quoten- und Governancereformen: Die G-20 haben eine Quotenumverteilung zugunsten der dynamischen Schwellen- und Entwicklungsländer in Höhe von 6%Punkten und eine erneute Überprüfung der Quotenformel bis Januar 2013 beschlossen. Die Quotenanpassung wird die gewachsenen Gewichte der dynamischen Schwellenländer in der Weltwirtschaft besser wiederspiegeln. Außerdem haben die G-20 Beschlüsse zur Änderung der Governance-Strukturen im IWF gefasst. U.a. sollen die Europäer zwei Sitze im IWF-Exekutivdirektorium abgeben, künftig alle Exekutivdirektoren gewählt (und nicht mehr z.T. ernannt) und die Anzahl von 24 Sitzen im Board beibehalten werden. (5) Internationales Währungssystem: Der IWF wird verstärkt Analysen zum Kapitalverkehr und zu den Reserven erarbeiten sowie die Rolle der Sonderziehungsrechte im Währungssystem untersuchen. Inwieweit daraus eine Erweiterung des IWF-Mandats um Kapitalverkehrstransaktionen erfolgt, ist offen. Ebenfalls zu klären ist die Rolle des IWF bei Beschränkungen des Kapitalverkehrs. 11 Protokoll zur Sitzung von Dr. Hubert Temmeyer: „Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld“ Protokollierende: Sven Christens, Pablo Duarte, Jakob Maidowski, Marie-Christin Scholl, Johannes Simon Einleitung Der IWF hat eine bedeutende Rolle im internationalen Währungssystem, da er durch verschiedene Funktionen zur Stabilität des Währungssystems beiträgt. Letzteres umfasst dabei sämtliche Regeln und Konventionen, unter denen die monetären Transaktionen zwischen Ländern, beziehungsweise Währungsgebieten, abgewickelt werden. Wichtige Akteure, die das internationale Währungssystem mitgestalten, sind die Regierungen der einzelnen Staaten und die Zentralbanken, informelle Gremien wie G7 und G20 und internationale Institutionen wie der IWF. Die aktuelle Diskussion über eine Neuordnung des internationalen Währungssystems wurde durch die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, sowie zunehmende Ungleichgewichte in den Zahlungsbilanzen und eine hohe Volatilität der Kapitalströme angestoßen. Auch die übermäßige Akkumulation von Währungsreserven und Risiken durch steigende Staatsschulden haben zu einer Kritik an den bestehenden Strukturen im Währungssystem geführt. Dabei ist auch der IWF selbst in die Kritik geraten. Die Beanstandungspunkte beziehen sich auf die fünf Bereiche Surveillance, Kreditvergabe, Finanzierung, Quoten- und Governancereform, sowie die allgemeine Rolle des IWF im internationalen Währungssystem. (1) Surveillance Hat die IWF-Surveillance versagt, da keine rechtzeitige Warnung des IWF vor der Wirtschafts- und Finanzkrise kam? Die bisherige IWF-Surveillance bestand aus einer bilateralen und einer multilateralen Komponente. In Übereinstimmung mit den Artikel IV-Konsultationen wurden regelmäßig Missionen in alle IWF Mitgliedsländer geschickt. Auf Grundlage der Konsultationen wurden dann Strukturreformen entwickelt und empfohlen, die Umsetzung der Programme lag aber in der Verantwortung der nationalen Behörden. Die multilaterale Komponente umfasste den World Economic Outlook, den Global Financial Stability Report, sowie den Fiscal Monitor. Nach der zunehmenden Kritik am Instrumentarium des IWF kam es zu einer Überprüfung der Surveillance-Funktion. Dabei wurden drei Erweiterungen beziehungs-weise Anpassungen vorgenommen. Die Wechselwirkungen von Real- und Finanzsektor sollen in Zukunft stärker beachtet werden. Zudem sollen „Early Warning Exercises“ zu einer frühzeitigen Erkennung von Problemen führen, so dass der IWF nicht mehr erst mit Beginn der Probleme aktiv wird, sondern präventiv eingreifen kann. Eine ähnliche Evaluierung sollen mit den „Financial Sector Assessment Programs“ erreicht werden. Zweitens soll die multilaterale Surveillance gestärkt werden. Spill-over-Berichte sollen die Effekte von einem Land auf andere Wirtschaftsräume analysieren, wie z.B. der Einfluss der Schuldenkrise in den USA auf andere Länder. Der OHIO Grundsatz „keep your own house in order“ sieht dabei inländische Stabilität als Voraussetzung für eine externe Stabilität der Wirtschaftsräume. Ein Pilotprojekt mit den USA, Japan, China, UK und Ländern des 12 Eurogebiets läuft bereits. Schließlich wurden „indicative guidelines“ entwickelt, um globale Ungleichgewichte wie Leistungsbilanzungleichgewichte anhand von allgemein gültigen Schwellen beurteilen zu können. Diese Richtlinien sollen auch die Gründe der Ungleichgewichte analysieren, wie zum Beispiel mögliche Rohstoffvorkommen, demographische Entwicklungen etc. (2) Kreditvergabe Vor der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise bestimmten vier Prinzipien die Kreditvergabe des IWF. Um Kredite erhalten zu können, musste ein Land einen akuten Zahlungsbilanzbedarf vorweisen. Zur Gewährleistung einer dauerhaften Lösung der Probleme waren die vergebenen Kredite an durch den IWF festgelegte Bedingungen geknüpft (Konditionalität). Dadurch sollten sie dem Land den Erhalt weiterer Kredite aus privater Hand ermöglichen (Katalysatorfunktion). Dem Gleichbehandlungsgrundsatz zufolge sollten alle Mitgliedsländer des IWF in gleicher Art und Weise behandelt werden. Dieses Instrumentarium erwies sich als unzureichend, da es weder vorsorgliche, d.h. präventiv wirkende, Maßnahmen beinhaltete, noch schnelle automatische Auszahlungen in Krisensituationen bewirken konnte. Darüber hinaus wurden die fehlende Flexibilität sowie die zu kleinen Kreditvolumina kritisiert. Als Reaktion auf die negativen Erfahrungen mit den vorhandenen Mitteln zur Kreditvergabe wurden und werden neue „vorsorgliche“ Instrumente entwickelt, die auch eingesetzt werden können, falls kein Zahlungsbilanz-bedarf vorliegt. Die in ihrer Höhe im Voraus nicht begrenzte „Flexible Credit Line“ (FCL) stellt Ländern, denen vom IWF ein „sehr guter“ Politikstil attestiert wird, Kredite mit einer Laufzeit von zwei Jahren ohne Konditionalität zur Verfügung. Die „Precautionary Credit Line“ (PCL), die auf eine Ziehungshöhe von 1000 % der Quote begrenzt ist und die eine geringe Konditionalität beinhaltet, wird unter der Voraussetzung eines „guten“ Politikstils für ein bis zwei Jahre vergeben. Diese beiden Instrumente bedeuten eine deutliche Abkehr von den Prinzipien der Konditionalität, der Gleichbehandlung sowie dem Zahlungsbilanz-bedarf. Offen bleibt auch, wie mit Ländern umgegangen werden soll, deren Politikstil nicht den Anforderungen des IWF genügt. Ein weitergehender Vorschlag ist die Einführung eines „Global Stabilization Mechanism“ (GSM) mit dem Ziel, den Aufbau sehr großer Devisenreserven, besonders in den Schwellenländern, zu begrenzen. Dies beinhaltet das Angebot sofort abrufbarer und in ihrer Höhe nicht begrenzter Liquidität seitens der Zentralbanken der Reservewährungsländer. Da der GSM, anders als die bereits bestehenden und dem GSM ähnelnden Swap-Linien zwischen den Zentralbanken, keine Konditionalität erfordern würde, könnten durch falsche Anreizstrukturen und Moral Hazard schwere Probleme entstehen. Darüber hinaus würde die Einführung des GSM die geldpolitische Autonomie der Zentralbanken einschränken. (3) Finanzierung Reichen die Finanzmittel des IWF aus? Um die Funktion der Kreditvergabe zu erfüllen, muss der IWF über genügend Mittel verfügen, die bei Liquiditätsnöten der Länder benutzt werden können. Um dies zu sichern, hat der IWF als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 seinen Kapitalstock stark erhöht. 13 Die Hauptquelle der Finanzierungsressourcen des IWF sind die Quoten der Mitgliedstaaten. Darüber hinaus verfügt der IWF über Notfallreserven, die aus Krediten einiger Mitgliedstaaten bestehen. Diese allgemeinen Kreditvereinbarungen (AKV) können bei Notsituationen, die das internationale Währungssystem in Gefahr bringen, aktiviert werden. Im Jahr 1998 traten die um neue leihende Mitgliedsstaaten erweiterten neuen Kreditvereinbarungen (NKV) in Kraft, welche die Notfallreserven erhöhten. Als Reaktion auf die jüngste Finanzkrise wurden die Ressourcen der NKV von 34 Mrd. US-$ auf 367 Mrd. US-$ durch eine erneute Erweiterung der leihenden Mitglieder erhöht. Außerdem sind bilaterale Kreditlinien geschaffen worden, die bei kurzfristigen Liquiditätsengpässen genutzt werden können. Infolge der Reformen des IWF wurde eine Verdopplung der Quotensumme bei einer entsprechenden Rückführung der NKV beschlossen. Insgesamt stiegen dadurch die gesamten Kapitalreserven von 386,1 Mrd. US-$ auf 921,6 Mrd. US-$. (4) Quoten- und Governancereform Die Frage, ob interne Strukturen und eine fehlende Überwachung in den Industriestaaten Gründe für die Wirtschafts- und Finanzkrise waren, stellte sich im Vorfeld der neuen Quoten- und Governancereformen. Nach Meinung Temmeyers ist dies der Fall gewesen. Zudem hätten die Schwellenländer zu wenige Stimmen im IWF. Mehr Macht für Schwellenländer sei infolge der Reformen notwendig. Bei der jetzigen Reform soll neben den Stimmanteilen auch deren Anzahl der Sitze im IWF- Direktorium ansteigen („shares and chairs“). Die EU sei Berechnungen zufolge in Bezug zum Welthandel im IWF nicht überrepräsentiert, China sei jedoch unterrepräsentiert. Das Reich der Mitte erhielt mehr Stimmen und liegt somit nun in Bezug auf die Stimmanteile vor Deutschland. Damit liegt China nun auf Platz 4 der Anteilseigner. Wäre die Quotenformel exakt angewendet worden, wäre China sogar an Japan vorbeigezogen. Des Weiteren wurde bei den Reformen beschlossen, dass das Exekutivdirektorium nun aus 24 Sitzen bestehen soll und die EU infolge der Reform zwei Sitze im IWF- Direktorium abgeben muss. Welche Länder genau davon betroffen sein werden, und ob zwei Länder sich künftig einen Sitz teilen, ist noch nicht beschlossen. Die Quotenformel soll erneut 2013 und die Zusammensetzung des IWF- Direktoriums nun alle acht Jahre überprüft werden. (5) Internationales Währungssystem Der IWF steht nach der letzten Wirtschaftskrise vor neuen Aufgaben. Nachdem die Krise Industrienationen besonders hart traf, müssen einige Elemente des internationalen Finanzsystems neu bewertet und erfasst werden. Der IWF muss nun geeignete Kriterien für die angemessene Höhe der Währungsreserven finden. Zwar sind Währungsreserven nicht grundsätzlich als schlecht zu bewerten, in einigen asiatischen Ländern übersteigen sie jedoch bei weitem die Höhe, die meistens als angemessen erachtet wird. Der IWF steht künftig vor der Aufgabe, konkrete Empfehlungen zu geben, um einer immer stärkeren Akkumulation von Währungsreserven entgegenzuwirken. Außerdem muss die Rolle der Sonderziehungsrechte neu untersucht und ihre Zusammensetzung neu bewertet werden. Neue Wege der Kapitalerfassung und der 14 Kooperation auf interstaatlicher Ebene sind notwendig, um grenzüberschreitende Kapitalströme effektiver erfassen zu können. Fazit Abschließend lässt sich eine neue und gewachsene Rolle des IWF feststellen. Dies beinhaltet eine intensivere Surveillance, neue Kreditinstrumente, umfangreichere finanzielle Ressourcen sowie eine neue Machtverteilung innerhalb des IWF zugunsten von Schwellenländern. Dabei bilden mehr Analysen zum Internationalen Währungssystem die Grundlage von Reformen, die in den letzten Jahren umgesetzt oder angestoßen wurden. Ob durch diese Reformen der IWF besser und das internationale Währungssystem stabiler werden, ist offen und wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen. 15 Michael Heise: „Die Rolle des Dollar: „safe haven“ für wie lange?“ Protokoll zur Sitzung 16 Protokoll zur Sitzung von Dr. Michael Heise: „Die Rolle des Dollar: „safe haven“ für wie lange?“ Protokollierende: Thomas Grieb, Dominique Kläber-Michalcik, Katharina Schühly, Martin Wiegand, Matthias Wieschemeyer In der letzten Zeit wird eine leidenschaftliche Debatte über die Zukunftsfähigkeit des Dollars als Leitwährung geführt. Als Auslöser hierfür sind u.a. die Schwierigkeiten und Herausforderungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zu nennen. Es sind aber vor allem die strukturellen Probleme der USA, insbesondere das exorbitante Haushaltsdefizit sowie das stetig ansteigende Leistungsbilanzdefizit, die den Dollar auf eine enorme Bewährungsprobe stellen. Doch trotz dieser Unsicherheitsfaktoren, und obwohl die USA das Epizentrum der Krise darstellten, flüchteten die Anleger Ende 2008 ausgerechnet in den Dollar. Ob und wie lange der Dollar diese Funktion eines safe haven, also einer Zuflucht in Krisenzeiten, und ganz allgemein seine Rolle als Leitwährung beibehalten wird, soll in diesem Vortrag geklärt werden. Merkmale einer internationalen Leitwährung Eine Leitwährung ist definiert als die international bedeutsamste Währung. Heise geht auf drei verschiedene Funktionen einer Leitwährung besonders ein und untersucht jeweils die Trends hinsichtlich des Dollars in Bezug auf diese Funktionen. Die erste ist die Funktion der Anlagewährung, also der ausländischen Vermögenshaltung oder -bildung. Eine Unterfunktion ist die Reservefunktion, also die Devisenhaltung ausländischer Notenbanken.1 In diesem Zusammenhang wird der dramatische Anstieg der weltweiten Währungsreserven genannt, der besonders von Emerging Markets wie den BRIC-Staaten, aber auch den ölexportierenden Staaten ausgeht. Knapp zwei Drittel der weltweiten Währungsreserven sind in US-Dollar notiert, mit leicht fallender Tendenz, allerdings großem Vorsprung vor dem Euro als zweitwichtigster Reservewährung. Die zweitens genannte Funktion einer Leitwährung ist die eines internationalen Zahlungsmittels und einer Fakturierungswährung. Mehr als die Hälfte der internationalen Finanztransaktionen und gut zwei Drittel der internationalen Handelstransaktionen werden in Dollar abgewickelt. An den Transaktionen auf den Devisenmärkten hat der Dollar sogar einen Anteil von 86%. Als dritte Leitwährungsfunktion wird die Rolle als Ankerwährung genannt. Auch als solche ist der Dollar am bedeutendsten. So koppeln derzeit von den weltweit 207 Ländern mehr als die Hälfte ihre Währung an den Dollar (die meisten davon mittels pegged floats). In Hinblick auf die drei oben genannten Merkmale ist der Dollar also eindeutig die internationale Leitwährung. 1 Die Subsumtion unter den Begriff Anlagewährung darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich staatliche Reserven und private Geldanlagen hinsichtlich der Akteure und Motivationen komplett unterscheiden. 17 Voraussetzungen für ein Leitwährungsland Heise sieht fünf notwendige Bedingungen, die ein Land erfüllen muss, um Emittent der Leitwährung zu werden und mittelfristig zu bleiben. Als erste Bedingung wird wirtschaftliche Dominanz genannt.2 Die USA sind momentan die mit Abstand größte Volkswirtschaft. Allerdings ist vor dem Hintergrund des sinkenden Anteils der USA an der Weltwirtschaft und der hohen Wachstumsraten Chinas davon auszugehen, dass China binnen 30 Jahren die USA eingeholt haben wird. Heise wirft ein, dass angesichts der schwindenden Bedeutung Europas die EU ihre augenblickliche Position in der Weltwirtschaft nutzen solle, um die Weichen für eine Institution zur Koordination des Weltwährungssystems zu stellen. Hierzu sei eine Beschränkung auf die wichtigsten Akteure erforderlich; diese sind die USA, China und die EU, sowie möglicherweise Japan.3 Als zweite Bedingung wird das Vertrauen in eine stabile Geld- und Finanzpolitik genannt. Dieses ist im Falle der USA zur Zeit dank wachsender Verschuldung und stark expansiver Geldpolitik ins Wanken geraten. Dennoch ist mit Blick auf die Vergangenheit zu erwarten, dass in absehbarer Zeit strenge Konsolidierungsmaßnahmen getroffen werden. Als dritte Voraussetzung wird die Safe-Haven-Funktion der Leitwährung genannt, also die Eigenschaft, dass Anleger aufgrund der erwarteten Immunität gegen Schocks in diese Währung flüchten. Auch diese Funktion erfüllt der Dollar, wie bei den Ölpreisschocks der Siebzigerjahre und auch der aktuellen globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ersichtlich wurde. Die beiden verbleibenden Bedingungen sind freie und unbegrenzte Konvertibilität sowie die Existenz tiefer und entwickelter Finanzmärkte. Beide Voraussetzungen werden vom Dollar bzw. den USA ohne Einschränkung erfüllt. Gesamtwirtschaftliche Trends der USA Die spannende Frage ist nun, wie lange die USA die oben genannten Voraussetzungen noch erfüllen werden. Dies soll mit Hilfe eines Blicks auf aktuelle gesamtwirtschaftliche Trends beantwortet werden. Die Wirtschaftskrise hat in den letzten Jahren zu einer großen Produktionslücke geführt, d.h. ineffizientem Ressourceneinsatz mit überdurchschnittlicher Teuerungsrate als Folge. Die Ursache ist bekanntermaßen die US-Immobilienkrise: der Verfall der Häuserpreise um etwa 50% und die damit einhergehenden Zahlungsausfälle, weil der drastisch gesunkene Gegenwert der Häuser die offene Kreditschuld nicht mehr decken konnte. Als Reaktion auf die hiervon ausgehende Rezession wurden ein gigantisches Konjunkturpaket sowie ein umfangreiches Programm zur Bankenrettung beschlossen, was die Staatsverschuldung in Rekordhöhe trieb. Zusätzlich hat die 2 Auch militärische, politische oder kulturelle Dominanz mögen hier eine Rolle spielen, treten aber vor der Bedeutung wirtschaftlicher Dominanz in den Hintergrund. Zu beachten ist die Ambiguität des Dominanzbegriffs. Wirtschaftliche Dominanz ist im Sinne von gesamtwirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und nicht im Sinne einer Vormachtstellung zu verstehen. 3 Die zukünftige wirtschaftliche Bedeutung Japans gilt als ungewiss. Einerseits ist die demographische Entwicklung Japans äußerst ungünstig und das Staatsdefizit enorm, andererseits bergen die dynamischen Unternehmen ein hohes Wachstumspotential. 18 amerikanische Notenbank den Leitzins sukzessive auf 0-0,25% gesenkt und Ankäufe von Staatsanleihen und Wertpapieren in Höhe von mehr als einer Billion US-Dollar beschlossen. Trotz dieser die Stabilität des Dollars gefährdenden Maßnahmen scheint sich der Vertrauensverlust in die Währung in Grenzen zu halten. Ein Grund hierfür ist das ungetrübt hohe Wachstumspotential, das von der vorteilhaften demographischen Entwicklung in den USA gestützt wird. Zudem wird die nachfrageorientierte Fiskalpolitik als sinnvolle Reaktion auf die Rezession wahrgenommen, die laut Heise einem Lehrbuch über keynesianische Krisen entstammen könnte. Zu bedenken ist allerdings, dass wirtschaftliche Erholung mit rechtzeitiger Konsolidierung einhergehen muss. Einerseits ist die Tendenz hin zu einer restriktiveren Fiskalpolitik schon jetzt erkennbar. Heise empfiehlt, das momentane Wachstum weiterhin zum Abbau des Haushaltsdefizits zu nutzen. Andererseits besteht aber angesichts der auch für das kommende Jahr erwarteten stark expansiven Geldpolitik in Form von weiteren Ankäufen von Staatsanleihen und der Beibehaltung des Nullzinsniveaus die Gefahr einer inflationären Wirkung. Zwar hält sich diese momentan noch in Grenzen, ist aber durch das Time-Lag-Problem, also die unvorhersehbare zeitliche Verzögerung der Wirkung von Geldpolitik, eine echte Bedrohung für die Stabilität des Dollars. Als historisches Beispiel einer verfehlten Geldpolitik kann die Reaktion auf das Platzen der New-Economy-Blase gesehen werden. Auch hier hat die Federal Reserve als Maßnahme zur Konjunkturbelebung den Leitzins extrem gesenkt, was zur Ausweitung der Kreditvergabe von Geschäftsbanken auch an Darlehensnehmer mit geringer Bonität und somit zum Aufblähen der Immobilienblase führte. Ein weiteres Argument für eine zeitnahe Anhebung des Leitzinses ist die Initiierung privater Konsolidierung, d.h. der Erhöhung der Sparquote. Ein politischer Anreiz zur Fortführung der expansiven Geldpolitik besteht aber in der Möglichkeit zu einer Reduktion des exorbitanten Leistungsbilanzdefizits. Daher besteht derzeit auch der begründete Verdacht, dass die USA eine Beggar-thy-NeighbourPolitik betreiben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es vor allem von der amerikanischen Geldpolitik und deren Folgen abhängt, wie sich das Vertrauen in den Dollar entwickelt. Verlässliche Prognosen gestalten sich als schwierig, besonders weil das hohe Leistungsbilanzdefizit und das Ausmaß der quantitativen Lockerung einzigartig in der amerikanischen Geschichte sind. Das weiterhin hohe Wachstumspotential der USA und die Aussicht auf fiskalische Konsolidierung gestatten jedoch einen vorsichtig optimistischen Blick auf die nahe Zukunft des Dollars. Ein Blick auf die Alternativen zum Dollar Der wichtigste Grund dafür, dass der Dollar als Leitwährung in absehbarer Zeit nicht verdrängt wird, ist laut Heise der Mangel an ernstzunehmenden Alternativen. Der Euro ist zumindest in näherer Zukunft angesichts der aktuellen Schuldenkrise keine Alternative zum Dollar. Aber auch mittelfristig besteht ein großes Maß an Unsicherheit durch die Heterogenität der Euro-Mitgliedsstaaten, mangelnde fiskalpolitische Kooperation und überalternde Gesellschaften. Dem Yuan fehlt freie Konvertibilität, die chinesischen Kapitalmärkte sind vergleichsweise wenig entwickelt, und es besteht ein hohes Maß an Unsicherheit hinsichtlich politischer Entwicklungen. Auch die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (IWF) scheiden als Leitwährungsersatz aus: es müsste ein bisher nicht gekanntes Maß an internationaler Zusammenarbeit und damit verbundene 19 Einschränkung nationaler geldpolitischer Souveränität erreicht werden. Zudem müsste der IWF die schier unmögliche Aufgabe einer Weltzentralbank übernehmen – wozu sowohl die institutionellen Voraussetzungen als auch der politische Kooperationswille fehlen. Auch eine irgendwie geartete Rückkehr zum Goldstandard ist keine Option zur Reformierung des Weltwährungssystems. Dieser ist weder politisch umsetzbar noch – mit Blick auf das Versagen des Bretton-Woods-Systems – aufgrund des starren Geldangebots und der damit einhergehenden deflationären Tendenz ökonomisch sinnvoll. Abschließend gibt Heise aber zu bedenken, dass am Beispiel des Übergangs vom britischen Pfund zum amerikanischen Dollar ersichtlich wird, dass sich ein Leitwährungswechsel in der Regel über Dekaden hinweg schrittweise vollzieht. Insbesondere werden sich die verschiedenen Funktionen, die eine Leitwährung konstituieren, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit anpassen. Während beispielsweise ein schwächelnder Dollar als Reservewährung verhältnismäßig schnell substituiert werden kann, wird ein Wandel zu einer neuen Fakturierungswährung im Außenhandel aufgrund bestehender Netzwerkeffekte wesentlich langsamer vonstattengehen. Obgleich also der Dollar in seiner Funktion als Leitwährung wie auch insbesondere als safe haven wohl nicht abrupt abgelöst wird, ist ein Wandel zu einem multipolaren Währungssystem, bestehend z.B. aus US-Dollar, Euro und Yuan, langfristig denkbar. Dies hätte den Vorteil, dass durch den sich verschärfenden Wettbewerb der Währungen binnen- und globalwirtschaftliche Interessen der Leitwährungsräume stärker konvergieren als in einem unipolaren Währungssystem. 20 Jürgen Stark: „Die Zukunft des Euro“ Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung 21 Die Zukunft des Euro von Prof. Dr. Jürgen Stark Grundlagen der EWU: • Währungsunion: Unabhängige Zentralbank, klares Mandat für EZB, NichtEinstandsklausel, Verbot monetärer Finanzierung • Wirtschaftsunion: Nationale Kompetenz der Wirtschaftspolitik, aber Notwendigkeit enger Koordinierung, haushaltspolitische Regeln (Stabilitäts- und Wachstumspakt SWP), Wirtschaftspolitische Leitlinien. Bewertung: EZB ist ihrem Mandat nachgekommen, aber die Teilnehmerstaaten haben sich nur unzulänglich oder gar nicht an die Bedingungen einer gemeinsamen Währung angepasst. • Mandat der Preisstabilität erfüllt. • Divergenzen zwischen den Teilnehmerstaaten • Fehlender politischer Wille, Haushaltsregeln anzuwenden, Verwässerung des SWP. • Mangelnde Koordinierung der Wirtschaftspolitiken hat zu wirtschaftlichen Ungleichgewichten geführt. Die Lehren, die aus dieser Erfahrung zu ziehen sind: • SWP benötigt Automatismen bei Sanktionen und muss entpolitisiert werden. • Zur makroökonomischen Überwachung wird ein wirksamer Mechanismus zum Abbau und zur Verhinderung von wirtschaftlichen Ungleichgewichten benötigt. • Ein wie auch immer gearteter Krisenmanagementmechanismus wird dies nicht leisten. 22 Protokoll zur Sitzung von Prof. Dr. Jürgen Stark: „Die Zukunft des Euro“ Protokollierende: Timo Alberts, Anne-Katrin Beurer, Alessio Hommel, Daniela Kastner, Paul Tscheuschner Prof. Dr. Jürgen Stark referierte in seinem Vortrag über die Zukunft des Euro. Er nahm insbesondere Bezug auf die gegenwärtige Situation, erinnerte an die Grundlagen der Währungsunion und zog eine Bilanz, was erreicht wurde und in welchen Bereichen weiterhin Defizite existieren. Schließlich machte er Vorschläge zur Lösung aktueller Probleme und gab einen kurzen Ausblick in die Zukunft. Nach Ausführungen von Professor Stark handelt es sich bei der aktuellen Krise, die nicht im Euroraum begann, nicht um eine Eurokrise, sondern um eine Staatsfinanzkrise an der Peripherie des Euroraums, die sich durch Staatsausgaben zur Rettung nationaler Banken oder im Rahmen von Konjunkturprogrammen im Verlauf der Krise verschärft hat. In anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Großbritannien sei die Staatsverschuldung ebenfalls angestiegen, sogar in verstärktem Maße. Die europäische Währung würde derzeit hauptsächlich unter Druck gesetzt werden, da die Märkte testeten, ob Europa mit den hohen Schuldenständen bestimmter Euro-Mitgliedsstaaten umgehen kann. Grundlagen der EWU Zunächst erinnerte Professor Stark an die Grundlagen der Wirtschafts- und Währungsunion, die er für eine gute Orientierung in Krisenzeiten hält. Seinen Ausführungen zufolge sind zentrale Bestandteile der Währungsunion eine unabhängige Zentralbank (festgeschrieben in Artikel 130 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, im Folgenden „Vertrag“) mit dem eindeutigen Mandat der Preisniveaustabilität innerhalb des Euroraums (im Gegensatz zur amerikanischen FED, die überdies ein hohes Maß an Beschäftigung und mittelfristig niedrige Zinsen sichern soll), die Nicht-Einstandsklausel (Artikel 125, 1 des Vertrags) und das Verbot monetärer Finanzierung (Artikel 123 des Vertrags). Die Grundsätze der Wirtschaftsunion charakterisierte Professor Stark als ein System mit nationalen Kompetenzen in der Wirtschaftspolitik, welche aber einer engen Koordinierung in Form von unverbindlichen Leitlinien, Empfehlungen und Selbstverpflichtungen auf europäischer Ebene bedürfen (Artikel 121 des Vertrags). Haushaltspolitische Regeln wurden im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) eingeführt. Im Rahmen dieser Klauseln (Artikel 126) wurde festgelegt, dass die jährliche Neuverschuldung eines Landes der EWU nicht über 3% und der Gesamtschuldenstand nicht über 60% des BIP steigen darf. Bei Nichteinhaltung drohten Sanktionen. Für die Kontrolle dieser Indikatoren waren die EWU Mitgliedsstaaten verpflichtet, ihre jeweiligen Zahlen zu veröffentlichen. Ziel dieser obligatorischen Publikationen war es einer zu großen Verschuldung vorzubeugen sowie korrektive Maßnahmen bei Überschreitung der Haushaltsregeln ergreifen zu können. Durch die Existenz von drohenden Sanktionen hätte der SWP funktionieren können, allerdings führte die Nichtbestrafung von Frankreich und Deutschland im Jahr 2003 dazu, dass sich die anderen Staaten fortan nicht mehr an den SWP gebunden fühlten, da sie keine Bestrafung bei Nichteinhaltung zu befürchten hatten. 23 Status Quo Im zweiten Teil des Vortrags ging Professor Stark auf den aktuellen Stand der EWU ein. Es wurde zuerst ein Überblick über die Schritte der wirtschaftspolitischen Koordinierung innerhalb der EWU gegeben (ab 1993/1994 Wirtschaftspolitische Leitlinien, ab 2000: Lissabon Strategie, ab 2010: Europa 2020). Professor Stark kritisierte, dass bei der Erstellung des Rahmenwerks die unterschiedliche Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Eurozone ebenso wenig berücksichtigt wurde, wie das Problem wirtschaftlicher Ungleichgewichte und die diesbezüglich zu ergreifenden Maßnahmen. Hierzu ging er auf die Konvergenzberichte des EWI und der EZB ein. Aus diesen Berichten geht hervor, dass die makroökonomischen Gefahren bestimmter Staaten bereits vor deren Beitritt in die EWU bekannt waren. Insbesondere auf den hohen Schuldenstand von Staaten wie Belgien, Italien (1998), Griechenland (2000) und die hohe Inflation in der Slowakei (2008) und in Estland (2010) wurde hingewiesen. Anschließend besprach Professor Stark das geldpolitische Ziel der EZB, die Preisniveaustabilität. Eine Grafik verdeutlichte den Konvergenzprozess zwischen Deutschland und der restlichen Euroregion im Zeitraum 1970-2011. Vor Gründung der Währungsunion existierten teilweise Preisniveauunterschiede von über 5 Prozentpunkten. Seit 1999 verringerten sich diese und näherten sich dem niedrigen deutschen Niveau an. Da Preisniveausteigerungen für Euroland bis zu Beginn der Finanzkrise circa 2% betrugen, erklärte Professor Stark das Ziel der Preisniveaustabilität als erreicht. Danach ging er auf die Entwicklung des Euro-Wechselkurses zum Dollar ein. Eine Grafik verdeutlichte, dass nach der Einführung des Euros zunächst Abwertungstendenzen auftraten. Professor Stark sieht hierfür die damalige Schwäche der deutschen Wirtschaft als primären Grund an. Er machte darauf aufmerksam, dass ab 2004 der nominale effektive Euro-Wechselkurs in einem engen Band um den Wert 1 schwankte, wohingegen der reale Dollar-Euro-Wechselkurs stetig aufwertete. Von einer Krise des Euro auf Grund der Abwertung infolge der Finanzkrise zu sprechen hält er deshalb für falsch. Noch immer ist der Euro gegenüber dem Dollar gut bewertet. Die Abwertung war in diesem Zusammenhang ein natürlicher Konvergenzprozess. Im Anschluss wurde eine Bilanz des SWP gezogen. Nach Professor Starks Ansicht hat dieser versagt. Als Grund gab er das häufige unsanktionierte Überschreiten der SWP Regeln an. Selbst in den Jahren mit den positivsten Konjunkturverläufen (2000, 2007) gab es Staaten mit einer überhöhten Nettoneuverschuldung. Das Problem sieht er in der mangelnden Regelbindung innerhalb des Pakts. Es wurden Fristen verlängert, Verfahren ausgesetzt und letztendlich keine Sanktionen verhängt. Professor Stark kam zu dem Schluss, dass die Eurokrise eine Staatsfinanzkrise an der Peripherie des Euroraums ist. Diese Feststellung wurde mit einigen Grafiken untermauert, welche die starke Korrelation zwischen der jährlichen Nettokreditaufnahme und dem absoluten Schuldenstand zeigten. Des Weiteren wurde die Konvergenz der Risikoaufschläge für Staatsanleihen in Richtung des niedrigen deutschen Niveaus infolge der Gründung der EWU aufgezeigt. Denn durch den Wegfall des Währungsrisikos und die Einführung einer einheitlichen Geldpolitik sanken die Zinsdifferenzen. Allerdings war der Konvergenzprozess zu ausgeprägt, so dass die Zinsunterschiede unterhalb ihres natürlichen Niveaus lagen. Professor Stark sprach in diesem Zusammenhang von einer nicht-adäquaten Bepreisung von Staatsanleihen. Es kam daher zu einem Investitionsboom 24 in den ehemaligen Hochzinsländern, was wiederum zu Preisniveausteigerungen führte. Obwohl das durchschnittliche jährliche Wachstum des HVPI für den gesamten Euroraum circa 2% betrug, kam es teilweise zu erheblichen Divergenzen innerhalb des Währungsraums. In Volkswirtschaften wie Griechenland gab es einen hohen Preisniveauanstieg. Die dadurch steigenden Lohnstückkosten führten zu einem Wettbewerbsverlust dieser Staaten und es kam zu Leistungsbilanzdefiziten. Dies und der große Bankensektor insbesondere mit hohem Anteil an „Foreign-controlled subsidiaries and branches“ einiger Länder führte im Zuge der Finanzkrise zu unterschiedlichen makroökonomischen Reaktionen. Die Risikoaufschläge für Staatsanleihen divergierten, stiegen über das natürliche Niveau und schafften damit in einigen Staaten wie Griechenland oder Irland Liquiditätsprobleme. Daraufhin stellte die EU in Kooperation mit dem IWF im Mai 2010 ein Rettungspaket für Griechenland auf, um die vorhandene Skepsis auf den Märkten abzubauen. Zusätzlich wurde für potenziell zahlungsunfähige Länder die European Financial Stability Facility (ESFS) eingerichtet. Irland beantragte Anfang November als erstes Euromitglied Hilfen hieraus und verpflichtete sich im Gegenzug, wie zuvor Griechenland, zu einer radikalen Haushaltskonsolidierung. Die ergriffenen Maßnahmen galten der Beruhigung der Märkte und konnten die Zinsausspreizung abschwächen, aber nicht verhindern. Im Jahr 2013 laufen die Rettungspakete des Euroraumes aus, innerhalb der nächsten drei Jahre müssen daher Lösungen gefunden werden, wie sich im Euroraum eine erneute Schuldenkrise ex ante vermeiden lässt. Lehren und Konsequenzen Die Lehren und Konsequenzen seitens der EZB zur Reform des institutionellen Rahmens in der EWU waren Inhalt des dritten Teils des Vortrags. Dabei hob Professor Stark hervor, dass ein dauerhafter Krisenmechanismus CMM (Crisis Management Mechanism) die strukturellen Ursachen nicht lösen kann, die zur Staatsfinanzkrise der Peripheriestaaten des Euroraums geführt haben. Da die Vulnerabilitäten- und Verschuldungsproblematik innerhalb des Euroraumes erhalten bleibt, kann der CMM weder staatliche Überschuldung noch wirtschaftliche Ungleichgewichte verhindern. Um langfristig die Stabilität im europäischen Währungsraum zu gewährleisten, forderte Professor Stark deshalb einen „Quantensprung“ in der Reform des institutionellen Rahmens. Es brauche zum einen fiskalpolitische Stabilität, die durch einen funktionierenden SWP gewährleistet werden müsse, und zum anderen den Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte. Ziel der Reform müsse es daher sein, eine bessere fiskalische und makroökonomische Überwachung zu garantieren, damit negative Entwicklungen erkannt und entsprechend frühzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Dies ließe sich allerdings nicht ohne die teilweise Aufgabe nationaler Autonomie bewerkstelligen. Zur verbesserten fiskalpolitischen Überwachung stellte Professor Stark mehrere Vorschläge vor. Ein unabhängiges Beratergremium sollte die Bedeutung nötiger Maßnahmen hervorheben, um die Öffentlichkeit und die Regierungen zu sensibilisieren, dass eine harmonisierte Fiskalpolitik notwendig ist, um langfristig eine stabile EWU zu garantieren. Dieser sollte unter anderem Absprachen in Bezug auf die Haushaltspolitik der einzelnen Länder beinhalten. Vereinbarungen, die eine fiskalpolitische Mindeststabilität garantieren sollten, hätten versagt, da die ursprünglich vorgesehenen Sanktionen keinem Automatismus folgten und aufgrund politischer Entscheidungen nie verhängt wurden. Der SWP kann nach Professor Stark aber nur durch ein tatsächliches Sanktionspotenzial 25 wirksam sein. Damit die Umsetzung korrektiver Maßnahmen entpolitisiert wird, schlägt er quasi-automatische Prozeduren bei übermäßigen Defiziten vor. Für die potenzielle Bestrafung hält Professor Stark ein abgestuftes finanzielles Spektrum von Sanktionsmaßnahmen für denkbar. Wenn ein Verstoß beispielsweise gegen die Defizitkriterien festgestellt wird, kann das Mitgliedsland dazu verpflichtet werden, einen Pfandbetrag als zinslose Einlage bei der EZB zu halten. Sollte dem Mitgliedsland im Folgenden eine unzureichende Haushaltskonsolidierung nachgewiesen werden, wird der Pfandbetrag einbehalten. Eine weitere mögliche Sanktionsmaßnahme sei die Beschränkung von Zuschüssen aus Struktur- und Kohäsionsfonds. Des Weiteren forderte Professor Stark die Umsetzung fiskalischer „Schuldenbremsen“ – nach deutschem Vorbild – in Form von nationalen Gesetzen und die Verbesserung der Qualität von Statistiken zum Verschuldungsstand im Verhältnis zum BIP. Manipulationen der amtlichen Statistiken, wie im Falle Griechenlands, dürfen sich nicht wiederholen. Im Verdachtsfalle sollen Daten der Euroländer überprüft werden. Damit Krisen, wie die aktuelle Schuldenkrise, verhindert werden können, ist neben der fiskalischen auch eine makroökonomische Überwachung nötig. Die Staatshaushalte werden dabei differenziert überwacht und unter Berücksichtigung von makroökonomischen Vulnerabilitäten und Wettbewerbsindikatoren werden Erfüllungsanforderungen ausgegeben. Bei deren Nichterfüllung treten, wie bei fiskalischem Fehlverhalten, automatisch abgestufte finanzielle Sanktionen ein. Zukunft des Euro Im Fazit betonte Professor Stark nochmals, dass die aktuellen Schuldenkrisen der Peripherieländer der Eurozone Fehlentwicklungen in der Währungsunion aufzeigten. Um langfristig die Stabilität der EWU zu gewährleisten, sei daher eine Reform des institutionellen Rahmens unabdinglich. Wichtige Reformen dürften nun nicht an nationalen Interessen scheitern. Die Zukunft des Euro werde wesentlich vom Gelingen einer wirtschaftspolitischen Koordinierung, auf deren Notwendigkeit bereits 1989 im Delors Bericht hingewiesen wurde, abhängen. Die EZB wird auch in Zukunft Preisniveaustabilität im Eurogebiet garantieren. Aufgabe der Politik wird es sein, die Staatshaushalte zu konsolidieren. Solange jedoch nationale Interessen nicht teilweise zurückgestellt werden, wird es schwierig sein, eine wirtschaftspolitische Koordinierung zu erreichen, da sowohl Defizitgrenzen als auch Erfüllungsanforderungen an die Haushaltsplanung der Mitgliedsländer deren Autonomie einschränken. 26 Marcel Fratzscher: „Die aufkommende Rolle des Yuan/Renminbi“ Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung 27 Die aufkommende Rolle des Yuan/RMB von Dr. Marcel Fratzscher Part 1 – China’s emergence as a second global hegemon? Key proposition: In the past three decades, China’s policy-makers have had incentives to maximise growth while postponing any fundamental adjustment in the associated economic model. They have been spectacularly successful. Yet this has occurred at the cost of an accumulation of substantial internal and external imbalances. China’s economic success story manifests itself in many ways: • High and sustained growth • Increasing GDP per capita, decreasing poverty • China’s emergence as a major global player on the trade side Key characteristics of the economic environment in China: • Rigid political system • Weak social safety nets • Large pool of underemployed • Demography: Decreasing dependency ratio (so far) • Borrowing constraints • Need to build physical capital & infrastructure The economic environment has created a number of policy incentives: • Producer-biased economy • Export-led economy • Investment-led economy • High private saving rates • Financial “repression” But the cost of the economic model has been a significant rise in both external and internal imbalances: • a large current account surplus • a huge stock of reserves • a significantly undervalued exchange rate • all entailing some resource misallocation • over-reliance on domestic investment (and exports) as drivers of growth • very low and falling share of private consumption • high and rising inequalities and social conflicts Example: A highly asymmetric trade pattern has emerged between China and Europe. Why are savings in China so high? • A communist political system, yet a highly capitalist economy • Shortcoming or absence of social safety nets and key public services • Demographics (incl. one child policy) • Pre-cautionary motive key 28 Part 2 – Longer-term sustainability of the current model: Key proposition: The main long-term factors making China’s growth model possible have been: (1) export demand; (2) demographic factors coupled with labour surplus in the primary sector; and (3) capital accumulation. These factors face serious constraints in the years ahead, thus forcing adjustment. Part 3 – What is being done do adjust the model: The thorny way to rebalancing Key proposition: Rebalancing is proceeding slowly, also because of policy resistance to change a model of growth that delivered for 30 years. This may imply short-term advantages, but also longer-term risks given the fading away of longer-run supporting factors. Part 4 – Current contradictions in the adjustment of the model: Tensions between short-term growth objectives and longer-term rebalancing needs Key proposition: Presence of serious challenges and contradictions, both on (1) the external and (2) the domestic front: • Trade surpluses and rapid reserve accumulation have resumed after crisis • RMB reform has been insufficient and may have been driven (so far) by political motives • Substantial distortions for domestic economy • Serious constraints on domestic policy-making, in particular on monetary policy • Internationalisation of the RMB may be understood, in part, as an attempt to deal with existing imbalances – yet sequencing of external policy reforms (financial sector reform, capital account liberalisation, and exchange rate flexibility) seems counterintuitive • Domestic inflationary pressures are building • Risks of asset price boom-bust cycle are becoming more severe • Financial stability concerns are rising, amid increasing NPLs and inefficient banking system 29 Protokoll zur Sitzung von Dr. Marcel Fratzscher: „Die aufkommende Rolle des Yuan/RMB“ Protokollierende: Johannes Fleck, Johannes Geibel, Ariane Pucher, Velina Petrusheva, Raphaela Koch Herr Dr. Fratzscher strukturierte seinen Vortrag in drei Teile gemäß der Fokussierung auf drei verschiedene Schwerpunkte: Erstens einer Analyse des chinesischen Wachstumsmodells und dessen Auswirkungen auf Strukturen der Ökonomie und Gesellschaft, zweitens einer Betrachtung gegenwärtiger Entwicklungen von Chinas Wirtschaft und drittens einer detaillierten Untersuchung der Rolle des chinesischen Außenhandels und des aktuellen Wechselkursregimes des Yuan sowie entsprechender Perspektiven. Im ersten Teil des Vortrags erläuterte Fratzscher das Wirtschaftsmodell, das dem immensen Wachstum der Volksrepublik China seit 1978 zu Grunde liegt. Um die aktuelle und zukünftige Rolle des Landes einleitend zu illustrieren, prognostizierte er den Bedeutungszugewinn der chinesischen Volkswirtschaft bis 2025, zu welchem Zeitpunkt, gemessen am Anteil der Weltwirtschaft, China mit den Vereinigten Staaten gleichgezogen haben wird. Die Maxime der letzten Jahre - schaffe maximales Wachstum – hat jedoch interne und externe Ungleichgewichte hervorgerufen. Nach Aussage Fratzschers manifestiert sich die Erfolgsgeschichte der chinesischen Wirtschaft im Wesentlichen in drei Fakten: Hohes und lang anhaltendes Wachstum: Das chinesische Wirtschaftswachstum lag zwischen 2000 und 2010 bei ca. 10%, das Pro-Kopf-Einkommen wuchs zwischen 1980 und 2007 um mehr als 900% auf aktuell 5.000 US-Dollar (PPP Basis). Diese Größe wuchs im selben Zeitraum in der Euro Zone um 35%. Sinkende Armut: Die Armutsrate sank zwischen 1982 und 2005 von 85% auf 15%. Chinas Bedeutung als „Major Global Player“ im Handel: Das Exportwachstum betrug seit 1979 im Durchschnitt 20%. China konnte seinen Anteil am Welthandel von 1% in 1980 auf über 8% in 2009 steigern und hat damit Deutschland überholt. Vor dem Hintergrund der herrschenden Rahmenbedingungen in China, die private Freiheiten und Aktivitäten begrenzen, betonte Fratzscher, dass diese Erfolge für großes Erstaunen sorgen. Zu den Rahmenbedingungen zählt vor allem das rigide politische System der autokratisch-kommunistischen Staatsführung, das allerdings auch hauptverantwortlich für die Stabilität des Landes ist. Im Gegensatz dazu steht jedoch ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, das inländische Produktion und Wettbewerb antreibt. Desweiteren existieren in China praktisch keine Sozialversicherungen wie beispielsweise Kranken- oder Arbeitslosenversicherung. Die Regierung bietet kein soziales Auffangnetz und erhöht damit den Druck auf jeden Einzelnen, selbst für Alter, Gesundheit und die Bildung der Kinder vorzusorgen, was die Sparquote zunehmend in die Höhe getrieben hat. Ebenfalls steht die chinesische Staatsführung vor dem Problem der Unterbeschäftigung eines großen Pools an ungelernten jungen Männern, die aus der Landwirtschaft in andere Sektoren drängen. Es besteht also die Herausforderung, diese Arbeitskräfte zu absorbieren und vor allem den wenig produktiven Landwirtschaftssektor in die 30 Volkswirtschaft zu integrieren. Im Zeitraum von 2001 bis 2008 wurden bei 10% Wirtschaftswachstum nur 1% Beschäftigungszuwachs realisiert. Fraglich ist, wie sich dieser Zusammenhang weiter entwickeln wird. Die chinesische Regierung geht davon aus, dass pro Jahr 6-7% Wachstum generiert werden muss, um einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern, welche wiederum schwellende soziale Unruhen befeuern würde. Um diesem Problem zu begegnen, hat China 2007/08 ein fiskalisches Programm in Höhe von 600 Milliarden US-Dollar aufgelegt. Im Dienstleistungssektor sah Fratzscher eines der größten Potenziale für die chinesische Wirtschaft weiteres Wachstum zu schaffen: Lediglich 30% der gesamten Beschäftigung werde bisher von diesem Sektor gestellt. Ein wachstumsfeindlicher Faktor ist die rigide Finanzpolitik, die charakteristisch für das chinesische Wirtschaftssystem ist. Die sich in Staatsbesitz befindlichen vier größten Banken des Landes kontrollieren den Großteil der Kreditvergabe. Die marktunabhängig festgesetzten, niedrigen Zinssätze motivierten Investitionen und begannen erst in den letzen Jahren langsam zu steigen. Weiterhin charakteristisch sind die staatlichen Anreize zum Aufbau einer produktionsbasierten, export- und investitionsgetriebenen Wirtschaft. Diese bilden den wichtigsten Grund für Chinas starkes Wachstum. Der Export wird durch den unterbewerteten und gegen den US-Dollar fixierten Yuan weiter beflügelt. China begann 2005 seine seit Jahren an den US-Dollar gekoppelte Währung graduell aufzuwerten, bis 2008 die globale Finanzkrise für Turbulenzen auf den Währungsmärkten sorgte. Das Land kehrte einstweilen zum Dollar-Peg zurück und begann erst im März des Jahres 2010, den Yuan gegenüber dem US-Dollar langsam wieder leicht aufzuwerten. Die Zins- und Wechselkurspolitik Chinas im Zusammenspiel starker Kapitalkontrollen beschreiben die Positionierung der chinesischen Volksrepublik im „magischen Dreieck“. Dieses, auch Trilemma des Wechselkursregimes genannt („Impossible Trinity“), verdeutlicht die Unmöglichkeit, feste Wechselkurse, autonome Geldpolitik und freien Kapitalverkehr gleichzeitig umzusetzen. Durch die rigiden Kapitalverkehrskontrollen können internationale Gelder nur zum Zweck physischer und langfristiger Investitionen und nicht als spekulative Wertanlagen in die chinesische Wirtschaft gelangen. Aufgrund des enormen Wertes der US-Dollar Reserven, die in den letzten Jahren durch die Exportüberschüsse angehäuft wurden, lastet zusätzlich ein hoher finanzieller und politischer Druck auf China. Desweiteren weist China eine der weltweit höchsten Sparquoten auf. Zwischen 2005-2007 lag die gesamtwirtschaftliche Sparquote bei knapp 50% des BIP. Gründe hierfür sind zum einen die Widersprüche der kommunistischen Regierung und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, zum anderen die schlechte soziale Absicherung der Bevölkerung. Ausschlaggebend sind auch demographische Entwicklungen, die durch die von der Regierung vorgeschriebene Ein-Kind-Politik verursacht wurden. Eine Umfrage ergab, dass vor allem für die Bildung der Kinder (1/3 der Befragten) und für die eigene Rente (fast 1/3 der Befragten) gespart wird. Weitere Gründe sind Bausparen, Vorsorge für medizinische Versorgung und die Hochzeit der Kinder. Letzteres ergibt sich vor allem aus dem gesteigerten Hochzeitswettbewerb, der auf die im Zuge der Ein-Kind-Politik sinkende Zahl an Frauen zurückzuführen ist. Dieses Wirtschaftsmodell und die daraus resultierenden Handlungsanreize ziehen externe und interne Ungleichgewichte nach sich. China verfügt über einen immensen Leistungsüberschuss, der durch den Aufbau von Reserven absorbiert werden muss, da er nicht frei im Ausland investiert werden darf. Diese 2,7 Billionen Reserven in US-Dollar 31 entsprechen 45% des chinesischen BIP. Im Vergleich dazu hält die EU lediglich Reserven in Höhe von 2-3% ihres BIP. Weitere Ungleichgewichte zeigen sich in einem stark unterbewerteten Wechselkurs, Missallokation wirtschaftlicher Ressourcen, einem sehr geringen und sogar fallenden Anteil an privatem Konsum sowie in einer ausgeprägten und steigenden Ungleichheit, die bereits zu sozialen Konflikten führt. Besonders die Einkommensungleichheit zwischen ländlichen und städtischen Gebieten hat sich in den letzten Jahren verstärkt. Dementsprechend liegt der Gini-Koeffizient Chinas über dem der USA. Laut Meinung Fratzschers verlässt man sich in der Volksrepublik zu stark auf heimische Investitionen und auf Exporte als Wachstumstreiber. Ein Vergleich des privaten Konsums und der Investitionen in China mit denen anderer Schwellenländer zeigt ein umgekehrtes Verhältnis: Während in anderen Schwellenländern Investitionen sinken und der Konsum steigt, steigen in China die Investitionen, doch der Konsum sinkt. Im zweiten Teil seines Vortrages widmete sich Fratzscher den aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen, die sich aus Faktoren ergeben, die Chinas schnelles Wachstum ermöglicht haben. Vor knapp 30 Jahren war China noch ein Staat an der Peripherie des weltwirtschaftlichen Systems, doch hat bis heute seine globale Bedeutung wesentlich zugenommen. Sogar während der Weltwirtschaftskrise erlebte das Land ein starkes Wirtschaftswachstum und sein Anteil an der Produktion der gesamten Welt steigt stetig an. Wie erwähnt sind diese Erfolge auf exportbasiertes Wachstum zurückzuführen, das unter anderem durch eine große Zahl günstiger Arbeitskräfte ermöglicht wurde. Die schnell wachsende Bevölkerung als Antriebskraft der Exportindustrie spielte nicht nur als notwendige Voraussetzung eine Rolle, sondern sie schafft auch die zwingende Notwendigkeit, weiterhin vielen Arbeitskräften Beschäftigung und Einkommen zu ermöglichen, d.h. sie im Arbeitsmarkt zu absorbieren. Aufgrund der Ein-Kind-Politik wird und muss sich diese Entwicklung ändern. Chinas Abhängigkeitsquote, d.h. das Verhältnis des arbeitenden Teils der Bevölkerung zum Anteil derer, die bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, macht deutlich, dass der Staat vor eine demographische und soziale Herausforderung gestellt ist. Auf der internationalen Ebene muss China dem starken Druck, vor allem aus den USA, begegnen, die entstandenen globalen Ungleichgewichte auszugleichen, für die das Land oft unilateral verantwortlich gemacht wird. Die konkreten Verbalisierungen dieses Drucks haben laut Fratzscher mittlerweile den Begriff „China Bashing“ etabliert. Er empfahl, dass China sich auf konsumbasiertes Wachstum umorientiert, in dem die Sparanreize eingeschränkt werden, möglicherweise durch das Umsetzen von Bildungs-, Gesundheits- und Rentenreformen, um diesen Entwicklungen angemessen zu begegnen. Wichtig wäre auch der Aufbau des Dienstleistungssektors anstatt des ausschließlichen Exportfokus. Die Abhängigkeit gegenüber dem US-Dollar sollte mit einer Wechselkursreform angegangen werden. Eine Möglichkeit dazu wäre die Internationalisierung des Yuan, also ein vermehrter Einsatz im Handel und in finanziellen Transaktionen. Der dritte Teil behandelte die aktuellen Herausforderungen im Bereich des Außenhandels und der Rolle des Yuan, welche sich aus kurzfristigen Wachstumszielen und der langfristigen Notwendigkeit ergeben, interne und externe makroökonomische 32 Ungleichgewichte auszugleichen, um notwendige Anpassungsprozesse herbeizuführen. Fratzschers Hypothese lautete, dass es aktuell zahlreiche und ernsthafte Widersprüche und Herausforderungen bezüglich des Abbaus dieser Ungleichgewichte gibt. Folgende Widersprüche hob er besonders hervor: Erstens setzt sich auch nach der Krise der rasante Anstieg des Handelsbilanzüberschusses und des damit verbundenen Aufbaus an Dollar Reserven weiter fort. Aktuell liegt der Handelsbilanzüberschuss bei etwa 8% des BIP und damit schon wieder über Vorkrisenniveau. Fratzscher argumentierte, dass aufgrund von ökonometrischen Untersuchungen langfristig höchstens ein Überschuss von ca. 2 % als nachhaltig bezeichnet werden kann und somit diese bisher hochgradig persistenten Überschüsse reduziert werden müssen. Zweitens stellte er fest, dass zwar eine Reform des Yuan unternommen wurde, dabei jedoch nachhaltige Änderungen bezüglich der Struktur und der Höhe des realen effektiven Wechselkurses ausblieben: Ab Juli 2005 ließ die Zentralbank den Yuan leicht aufwerten, koppelte ihn jedoch wieder mit Beginn der Krise im Jahre 2008 fest an den Dollar. Seit Beginn der Krise hat sich das Gewicht des Dollars im Währungskorb relativ volatil entwickelt und lag im Durchschnitt bei 95%. So ist der Yuan beispielsweise in dieser Zeit gegenüber dem Dollar real leicht aufgewertet, der reale effektive Wechselkurs des Yuan ist jedoch leicht gestiegen, d.h. der Yuan wertete also im Durchschnitt gegenüber anderen Währungen ab. Drittens hielt Fratzscher fest, dass zwar die Notwendigkeit, den Yuan langfristig als internationale Währung zu etablieren, um den vorhandenen Ungleichgewichten zu begegnen, von chinesischer Seite verstanden wurde, doch die bisher erfolgten Politikmaßnahmen, um diesem Ziel näher zu kommen, als unzureichend zu bezeichnen sind. So wurden während der letzten Monate Handelsabkommen mit 20 asiatischen Ländern abgeschlossen, um im bilateralen Handel den Yuan als Fakturierungswährung zu benutzten. Fratzscher merkte jedoch an, dass er das Potential für den Yuan im innerasiatischen Handel als beschränkt ansieht, der zudem auch nur 10 bis 20% des bilateralen Handels Chinas ausmacht. Als zweite Maßnahme wurde Hongkong als Offshore-Finanzmarktplatz für Yuan Geschäfte etabliert. Doch gelten weiterhin strenge Regeln für den Handel mit RMB; nur durch direkten Güterhandel erworbene Yuan dürfen in Hongkong gehalten und angelegt werden. Doch damit ist der Yuan immer noch weit davon entfernt, zentrale Anforderungen an eine internationale Währung, wie beispielsweise Kapitalverkehrsfreiheit, freier Wechselkurs und tiefe, entwickelte und effiziente Finanzmärkte, zu erfüllen. Hier sah Fratzscher einen Widerspruch zwischen den notwendigen Schritten zur Reduzierung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte und dem bisher geringen Maß an Reformen. Weiter stellte Fratzscher fest, dass die Entwicklung der Vermögenspreise in China als ernsthafte Herausforderung angesehen wird. Dabei nannte er vor allem den Immobiliensektor. In engem Zusammenhang dazu stehe auch die Befürchtung, dass der chinesische Finanzmarkt aufgrund eines starken Anstiegs notleidender Kredite und eines ineffizienten Bankensystems zunehmend instabiler werde. Abschließend hielt Fratzscher fest, dass Chinas hohes Wirtschaftswachstum und die erfolgreiche Bekämpfung der Armut durch exportorientierte Produktionen ihren Preis hatten, nämlich massive interne und externe Ungleichgewichte, welche eine immense Wirkung auch auf globaler Ebene entfalten. Obwohl nicht pauschal behauptet werden könne, dass diese Ungleichgewichte ausschließlich das Ergebnis der chinesischen Politik 33 sind, seien sie doch großteils auf China zurückzuführen. Deswegen stelle sich zu Recht die Frage, ob Chinas bisher implementierte Strategie nachhaltig sein könne. Auch aufgrund des internationalen Drucks hat China seine externen und internen Herausforderungen zumindest teilweise bereits als Probleme erkannt. Die ersten eingeleiteten Reformen sind als erste Schritte in die richtige Richtung zu bezeichnen. Allerdings haben diese bisher nur zu marginalen Veränderungen der Ungleichgewichte geführt. Ob diese Reformen insgesamt ausreichend sind und schnelle Ergebnisse zeigen, lässt sich momentan noch nicht abschätzen. Anschließende Fragen an Herrn Dr. Fratzscher: Welche Rolle spielen Eigentumsrechte bei der Stabilisierung des chinesischen Wachstumspfades und welche Anstrengungen zu einer besseren Durchsetzung gibt es? Wie ist der Bereich Schattenwirtschaft einzuschätzen? Es wurden in dieser Hinsicht viele Entwicklungen angestoßen; vor allem Eigentumsrechte im Bereich Land- und Immobilienbesitz werden geändert. Es ist beispielsweise seit einiger Zeit möglich Land zu erwerben. Die Größe der Schattenwirtschaft ist im Vergleich zu anderen Emerging Economies gering, da die Kontrolle des Regimes intensiv und disaggregiert auch bis in kleinste Unternehmen und geografisch abgelegene Gegenden reicht. Wie ist die Verlässlichkeit der Daten, die aus China stammen? Es sind Zweifel bezüglich der Qualität angesagt. Daten werden sehr oft revidiert und zwar in beträchtlichem Umfang. Beispiel: 2007 wurde das BIP-Wachstum um 17% nach oben korrigiert. Außerdem werden viele ökonomische Vorgänge, vor allem im Dienstleistungssektor, nicht erfasst. Es bleiben also viele Fragezeichen. Umfragen liefern aber wohl verlässliche Ergebnisse. Wie erklärt sich die Berechung der EZB, dass ein 2% Außenhandelsdefizit Chinas langfristig stabil wäre? Die Berechnung der EZB beruht auf ökonometrischen Methoden, die aktuelle und zukünftig prognostizierte Werte zu Grunde legt. Diese beziehen sich sowohl auf interne wie externe Größen und umfassen auch soziale Faktoren wie beispielsweise die Bevölkerungsentwicklung. Wie ist die Aussage zu verstehen, China habe es im Rahmen des magischen Dreiecks verstanden eine geschickte Geldpolitik zu machen? Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass ich darüber überrascht bin, wie China es geschafft hat, die Inflation trotz festem Wechselkurs gering zu halten. Dabei wurde auf eine Palette von Maßnahmen zurückgegriffen. Würde eine Aufwertung des Yuan die globalen Ungleichgewichte tatsächlich reduzieren? Oder würden amerikanische Firmen die teureren Importe aus China durch günstigere Importe aus anderen Länder substituieren? Flexible Wechselkurse alleine haben noch keine stabilisierende Wirkung. Man darf diesen allein nicht zu viel Bedeutung beimessen. Substitutionseffekte würden wahrscheinlich nicht stattfinden. Viele umliegende Länder orientieren sich ökonomisch an China und würden 34 dann aus Angst vor „hot money inflows“ ihrerseits aufwerten. China ist also für die Region als Dominostein zu sehen, der die anderen mit umkippen würde. Eine Bedingung für das Stellen einer Leitwährung sind effiziente und tiefe Kapitalmärkte. Können sich diese angesichts der chinesischen restriktiven Politik überhaupt ausbilden? China arbeitet in der Entwicklung seiner Finanzmärkte mit einem Versuchskaninchen: Hongkong. Hier werden eine Flexibilisierung und die graduelle Lockerung von Kapitalkontrollen getestet, um Erfahrungen in diesem Gebiet zu sammeln. Die Liberalisierung steht also auf dem Programm und muss irgendwann kommen. Generell spielt Hongkong die Rolle als Tor Chinas zur Welt und Shanghai die Rolle als Tor zum chinesischen Hinterland. Wie kann China seine Dollar Reserven reduzieren? Die chinesischen Behörden wissen, dass ein Teilverlust nicht mehr zu umgehen ist. Der Nutzen aus einer Beibehaltung der jetzigen Arrangements wird höher bewertet als das graduelle Abschmelzen durch QE2. Was wäre die Wirkung eines Abverkaufens der Dollar Reserven auf den Euro? Es lässt sich ein signifikanter positiver Effekt auf den bilateralen Euro-Dollar-Kurs erkennen. Die Nachfrage nach Euros führt zu dieser Aufwertung. Wie lassen sich die oft behaupteten spekulativen Zuflüsse nach China messen? Und wohin fließt entsprechendes Kapital? Es gibt keine Möglichkeit diese direkt zu messen. Man verwendet als bestes Maß die Zuflüsse über die Balance of Payments Position „errors and omissions“. Es lässt sich nicht sagen, wohin dieses Kapital fließt. Dem Vernehmen nach soll es im Häusermarkt angelegt werden. Wie erklärt sich die große Diskrepanz zwischen den Zahlen zu den US Staatsanleihen in China, die China selbst nennt, und die, die Amerikaner nennen? Die Amerikaner selbst wissen nicht, wie viele Treasury Bonds die Chinesen tatsächlich gekauft haben, sondern nur, wie viele davon im Depot bei der Federal Reserve Bank of New York liegen. Außerdem haben viele Wertpapiere den amerikanischen Staatsagenturen Fannie Mae und Freddie Mac gehört. Darum haben die chinesischen Behörden auf eine Rettung gedrängt. Die totale Summe ist aber nicht genau bekannt. Was ist der Kosten und Nutzen einer internationalen Rolle des RMB? Es scheint, als wolle China den RMB nicht zu einer internationalen Leitwährung entwickeln, sondern als sehe man seine Bedeutung vielmehr in der Handelsabwicklung, vor allem in Asien. Kurzfristig überwiegt wohl der Nutzen aus der derzeitigen Situation, mittelfristig ist es aber definitiv besser, den RMB floaten zu lassen. Welche Wirkung hat die Errichtung einer Freihandelszone in der ASEAN-Region auf den Yuan? Es ist wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass 60-70% des Handels der Region nach Europa und in die USA geht. Daher bleibt der Druck gering, den Yuan als eine regionalen Leitwährung zu etablieren. Was wurde konkret mit dem Stimuluspaket von 600 Mrd. USD von 2008 gemacht? Die Höhe ist in der Tat enorm und entsprach 12% des BIP. 90% des Geldes wurde verwendet, um in Infrastruktur zu investieren – eine überraschende und schockierende 35 Zahl. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell solche Pakete auf den Weg gebracht und in die reale Wirtschaft injiziert werden. Weniger effektiv dürfte allerdings die Nutzung des Kapitals gewesen sein. Es wurde nichts in den Ausbau des Bildungssektors und entsprechende Kostensenkungen investiert. Es zeigt sich außerdem, dass es bestimmte Interessengruppen gibt, die eine Ausweitung des Bildungsangebotes erfolgreich zu verhindern versuchen. Was halten Sie von dem Vorschlag Fred Bergstens vom Peterson Institute, durch einen Aufkauf von Yuan Assets durch US-Dollar Zahlungen die Wirkung des Dollar-Pegs der chinesischen Währung zu neutralisieren? Technisch scheint dies nicht möglich. Es gibt keinen entwickelten Foreign Exchange Markt, auf dem die entsprechenden Transaktionen abgewickelt werden könnten. Außerdem haben beide Länder Interesse an einem stabilen Wechselkurs und an stabilen Währungen. Diese Maßnahme würde ihre Volatilität massiv erhöhen. Was ist der theoretische Rahmen der People’s Bank of China (PBC) und wie werden dort Entscheidungen getroffen? Die PBC ist nicht unabhängig, sondern führt politisch diktierte Aufträge aus. Sie agiert nicht auf Basis grundlegender Strategie und Theorie, sondern meistens auf einer ad hoc Basis. China hat mit einigen Ländern Verträge geschlossen, die eine Fakturierung des Handels in RMB vorsehen. Wie wird dies umgesetzt? Wenn der Handel ausgeglichen ist, handelt es sich im Prinzip um ein Tauschgeschäft. Sollte es zu Überschüssen kommen, könnten die argentinischen Firmen ihre RMB in Hongkong anlegen. Was sind die Wirkungen der Sterilisierungsmaßnahmen der PBC auf die Finanzmarktentwicklung? Diese führt zu einer Segmentierung der Finanzmärkte. Mit dieser Politik ist der Aufbau effizienter und tiefer Finanzmärkte nicht möglich. Wie ist die Haltung gegenüber der Ein-Kind-Politik von Seiten der Behörden heute? Aktuell wäre man froh, weniger Menschen in ein Beschäftigungsverhältnis bringen zu müssen. Mittelfristig werden sich aber insbesondere im sozialen Bereich große Probleme abzeichnen. 36 Thorsten Polleit: „Freie Märkte und „Free Banking“: der Weg zum guten Geld“ Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung 37 Freie Märkte und „Free Banking“: der Weg zum guten Geld von Prof. Dr. Thorsten Polleit Wohl kaum schadet der freien Markt- und Gesellschaftsordnung und gefährdet die produktive und friedvolle Kooperation national und international so sehr wie das staatlich beherrschte Kredit- und Geldsystem. Das Staatsgeldsystem ist ein Fremd- und Störfaktor im Gefüge freier Märkte und verursacht zwangsläufig Finanz- und Wirtschaftskrisen. Die damit verbundenen Missstände – drohende Rezession und (Massen)Arbeitslosigkeit – provozieren Politiken, die die bürgerlichen und unternehmerischen Freiheiten immer weiter zerstören. Freies Marktgeld und Free Banking sind die ökonomisch-ethischen überlegenen Alternativen zur (Neu)Gestaltung der (internationalen) Geldordnung. 38 Protokoll zur Sitzung von Prof. Dr. Thorsten Polleit: „Freie Märkte und Free Banking – der Weg zum guten Geld“ Protokollierende: Julia Scheibe, Stefanie Najort, Lukas von Schuckmann, Nick Baderschneider, Valentin Klima Im Zuge des Dialogseminars – Grundrisse eines zukünftigen Weltwährungssystems – in Blaubeuren hielt Prof. Dr. Thorsten Polleit einen Vortrag mit dem Titel „Freie Märkte und „Free Banking“: Der Weg zum guten Geld“. In Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise rückten die Aufgaben der Zentralbank und die Art und Weise ihrer Ausführungen verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Einer Polleits Hauptkritikpunkte ist in diesem Zusammenhang insbesondere das staatliche Angebotsmonopol als Störfaktor im Gefüge der freien Märkte. Die theoretische Grundlage seiner Argumentation basiert hierbei auf der Österreichischen Schule der Ökonomen. Folglich beginnt er seine Ausführung mit einem Bezug auf deren Begründer Friedrich August von Hayek und dessen Forderung nach einer Privatisierung der Geldproduktion. Dieser vertrat die Ansicht, dass damit politischem Missbrauch und Privilegierungen von Minderheiten vorgebeugt werden könnte. Zudem bezog er sich auf Murray N. Rothbard, einen Schüler von von Mises, welcher in dem vorherrschenden System eine Verletzung der Eigentumsrechte sah. Heutzutage sieht Polleit eine positiv empiristisch ausgerichtete Volkswirtschaftslehre, bei welcher die Deutungshoheit bei den “Mainstream”-Ökonomen liegt. Während diese Mainstream-Ökonomen die Kernursache der Krise in mangelnder Regulierung, Profitstreben und Gier sehen, erklärt Polleit im Gegensatz dazu das staatliche Geldsystem für den Kern der Probleme. Seine Argumentation diesbezüglich wird im Folgenden nun wiedergegeben. Bei dem heutigen Fiat-Money (lat.: fiat = es werde) handelt es sich um von den Zentralbanken emittiertes Geld, welches seine Funktion als Zahlungsmittel durch gesetzliche Vorschriften erhält und für welches keine Einlöseverpflichtungen (mehr) bestehen. Dies verleitet Regierungen bzw. Zentralbanken allzu oft dazu, in einer Ausweitung der Geldmenge ein Patentrezept zur Abwendung von drohenden Krisen zu sehen, wie zuletzt die Federal Reserve über das Quantitative Easing 2 (deutsch etwa: Quantitative Lockerung). Laut Polleit führt dies jedoch lediglich zu Scheinlösungen, welche falsche Anreize generieren und letztendlich nur zu Interventionismus und der Beschneidung unternehmerischer und bürgerlicher Freiheiten führen. Polleit ist ein Verfechter des freien Marktsystems, in dem Angebot und Nachfrage selbständig und effektiv zu einem Gleichgewicht kommen. Es finden weder staatliche Marktinterventionen noch mutwillige Eingriffe in die Eigentumsrechte der Menschen statt. So sind freie Märkte nicht nur produktiv, sondern auch gleichzeitig friedensstiftend. Wichtigste Voraussetzung für das Funktionieren dieses Systems ist eine Garantie des Privateigentums der Individuen über Eigentumsrechte. Laut Polleit gibt es nun drei nicht-aggressive Wege, Privateigentum zu erlangen: Eine Möglichkeit ist die Aneignung von Naturressourcen, welche noch nicht von anderen als 39 Eigentum genutzt werden, eine zweite ist das Erlangen von Eigentum durch eigene Produktion und eine dritte Möglichkeit besteht schließlich darin, Eigentum durch freiwilligen Tausch oder durch Schenkungen zu erlangen. Somit bildet das System freier Märkte ein gesellschaftliches Ordnungssystem, welches auch ethisch akzeptabel ist. Würde nun auch die Geldproduktion statt dem Staat dem freien Markt überlassen, so würde sich auch dieses „freie Marktgeld” darin in effizienter und produktiver Weise einfügen und auf der einen Seite für materiellen und zivilisatorischen Fortschritt sorgen, auf der anderen Seite aber auch Wirtschaftskrisen und Fehlinvestitionen entgegenwirken, so Polleit. Diese These, die die Kernaussage seines Vortrags bildet, versucht Polleit nun zu untermauern und geht infolgedessen auf die Eigenschaften und Gegebenheiten von Geld im Allgemeinen genauer ein. Essentiell für die Argumentation Polleits ist, dass er in der Hauptfunktion des Geldes einzig und allein die Tauschmittelfunktion sieht, die selbst die Basis der Wertaufbewahrungs- und Recheneinheitsfunktion darstellt, die gemäß gängiger Lehre i.d.R. als „eigenständig” beschrieben werden. Basierend auf dieser Annahme stiftet eine Ausweitung der Geldmenge keinen zusätzlichen Nutzen und auch ein gesundes Wirtschaftswachstum kann ohne eine ständige Ausweitung der Geldmenge generiert werden. Vor allem die Vertreter der Österreichischen Schule, wie Ludwig von Mises oder Murray N. Rothbard, gehen davon aus, dass die in der Volkswirtschaft zirkulierende Geldmenge in Bezug auf ihre Tauschmittelfunktion ausreicht, um sämtliche Transaktionen zu tätigen. Jede zusätzliche Einheit an Geld würde dem Währungsraum weniger nutzen, da der komparative Tauschwert der Geldeinheit dadurch stetig sinkt. Es liegt also wie bei anderen Gütern auch ein abnehmender Grenznutzen vor. Eine marktkonforme Produktion in Form der Privatisierung des Geldes wäre daher zu befürworten, da dies die effizienteste Form von Produktion und Angebot gewährleisten würde. Freies Marktgeld käme somit durch freies Angebot und freie Nachfrage zustande, eine ungehemmte Geldmengenausweitung aufgrund einer Bindung an Sachgüter oder Rohstoffe jedoch nicht. Dennoch stellt sich die berechtigte Frage, ob es infolge freien Marktgeldes nicht zu einem Geldchaos insbesondere in Form eines Überangebots an Geld komme. Polleit verneinte dies mit der Begründung, dass nur „gutes” Geld nachgefragt werde, bei dem eine Bindung an Realgüter gegeben ist und eventueller Betrug ausgeschlossen werden kann. Außerdem wird nur solches Geld von einem Individuum akzeptiert, von dem erwartet wird, dass es generell eine breite Akzeptanz auch unter einer Vielzahl anderer Individuen findet. Folglich würde es zu einer raschen Übereinkunft kommen, welches Geld wirklich einen Wert hat und Alternativen ohne eindeutigen Tauschwert können sich so nicht lange auf dem Markt halten. An dieser Stelle berief sich Polleit insbesondere auf das Regressionstheorem von von Mises. Das heutige Papier- und Giralgeld hätte sich aufgrund fehlender Deckung und mangelnder Glaubwürdigkeit nicht auf dem freien Markt durchsetzen können und entstand indirekt durch die Schließung des so genannten Goldfensters im Jahre 1971. Vor 1971 war jede Währung nämlich direkt oder indirekt in Gold konvertierbar und war daher mit einem Sachgut hinterlegt. Durch die Aussetzung dieser Konvertibilität wurden die Besitzer von Geld um ihre realen Güter gebracht. Dies wurde unter anderem als „größter monetärer Enteignungsakt der Neuzeit bezeichnet”. Doch auch andere Währungen hatten ihren Ursprung in Sachgütern. So war bspw. die deutsche Rentenmark an die Landmasse des deutschen Reiches gebunden. 40 Anschließend wurde der Fokus auf das Thema „Free-Banking“ gerichtet, worin es prinzipiell um die ausnahmslose Privatisierung des Bankwesens geht. Hierin übernimmt der Staat weder in der Geldproduktion noch im Bankgeschäft eine primäre Funktion. Der Staat sorgt lediglich für die Wahrung der Eigentumsrechte der Marktakteure, eine Zentralbank existiert nicht. Banken fungieren in diesem System einzig und allein als Geldlagerstätten und verwahren das Geld der Privatpersonen, die im Gegenzug einen so genannten Geldlagerhausschein erhalten. Dieser Schein dient als Beleg für die entsprechende Einlage bei der jeweiligen Bank. Banken haben also lediglich eine Schließfachfunktion inne und betreiben ein Verwahrungsgeschäft. Die multiple Geld- und Kreditschöpfung, welche die Banken in unserem momentanen Finanzsystem betreiben, ist in der Welt eines Free Banking nicht mehr möglich. Allerdings kann die Bank immer noch als Vermittler zwischen den Marktakteuren, die sparen wollen, und den Kreditnehmern agieren, indem sie ein Darlehen vom Sparer aufnimmt und das Geld anschließend (teurer) weiter verleiht. Der Sparer gibt in diesem Fall die Verfügungsgewalt über sein Geld an die Bank ab und wird dafür mit Zinszahlungen für den entsprechenden Zeitraum entschädigt. Der Hauptgrund für das Scheitern des momentanen Systems ist laut Polleit die bereits oben genannte multiple Geld- und Kreditschöpfung. Durch eine Senkung des Geldmarktzinses unter das Niveau, das sich ohne Kreditvergabe einstellen würde, wird es leichter für Banken, sich bei der Zentralbank Geld zu leihen. Kredite können dann zu relativ günstigeren Konditionen vergeben werden, wodurch vermehrt Investitionen getätigt werden können. Insbesondere eigentlich unrentable Investitionen können nun doch durchgeführt werden, wodurch die Wirtschaft künstlich aufgebläht wird und es zu Blasen kommt. Kommt es anschließend zu einer Rezession, die laut Polleit als eine wirtschaftliche Bereinigung zu sehen ist, bei der Fehlinvestitionen wieder liquidiert werden, senkt die Zentralbank erneut die Zinsen. Das führt dazu, dass nun wiederum neue Kredite für die Anschlussfinanzierung vieler dieser eigentlich unrentablen Projekte aufgenommen werden können. Dadurch wird allerdings der Bereinigungsprozess unterbunden und sogar noch weiter hinausgezögert, was zur Folge hat, dass die Schuldenlast weiter ansteigt und somit schneller als das Volkseinkommen wächst. Dass dieses System sich irgendwann nicht mehr trägt und in einer (Hyper-) Inflation oder Deflation endet, scheint für Polleit an dieser Stelle wahrscheinlich. Aus diesem Grund ging Polleit nun zu dem eigentlichen Hindernis über, die Umsetzung der Theorie in die Praxis. An dieser Stelle gestand er ein, dass durchaus einige Komplikationen des Systemwechsels und der Implementierung zu bedenken sind, jedoch verwies er darauf, dass Reformen stets schwer umzusetzen seien. Das wohl gravierendste Problem sieht Polleit demnach in den so genannten Olson-Gruppen. Dies sind kleine, gut organisierte Gruppen, denen es aufgrund ihrer relativ geringen Größe einfacher gelingt, ihre Partikularinteressen gegenüber den größeren Gruppen und der Allgemeinheit in der Politik durchzubringen. Da sich die Interessen der größeren Gruppen i.d.R. eher auf Ziele des Allgemeinwohls richten, diese aber nicht oder nur mangelhaft zur Sprache kommen, führt dieser Prozess zu allokativen Verzerrungen und Wohlfahrtsverlusten - und nach Olson sogar zum “Untergang der Nation”. Auf dieser Argumentation aufbauend schlägt Polleit nun den Bogen zurück zu den o.a. MainstreamÖkonomen. So haben sie Polleit zufolge keinen Anreiz an Theorien, die die Autorität, die Macht und den Einfluss des Staates schmälern, da sie von diesem ihr Geld beziehen. Eine Verbreitung der Idee des Free Banking ist somit kaum möglich. 41 Weiterer Protest würde wohl auch in der Riege der Sparer laut werden, da diese Wertverluste bis hin zu gänzlichen Vermögensverlusten in der Transmissionszeit zu befürchten haben, wenn die Währung, in der sie sparen, aufgelöst oder auch nur Wettbewerb und somit Wertunsicherheiten ausgesetzt werden würde. Im letzten Teil seines Vortrags fasste Polleit noch einmal seine Hauptthesen zusammen: Demnach sei es nur eine Frage der Zeit, bis sich wieder ein Sachgeldsystem etablieren wird, wobei insbesondere die Rückkehr zum Goldstandard als Zwischenstufe zur Privatisierung des Geldes möglich und wahrscheinlich ist. Begründet sei dies darin, dass das freie Marktgeld sowohl ökonomisch als auch ethisch eine überlegende Alternative zum heutigen Fiat Money System sei. Er schloss seinen Vortrag mit einem Zitat von von Mises „ ...dass eine Regierung sich immer dann genötigt sieht zu inflationistischen Maßnahmen zu greifen, wenn sie den Weg der Anleihehebung nicht zu betreten vermag und den der Besteuerung nicht zu betreten wagt, weil sie fürchten muss, die Zustimmung zu dem von ihr befolgten System zu verlieren, wenn sich seine finanziellen und allgemein wirtschaftliche Folgen allzu schnell enthüllen. So wird die Inflation zu dem wichtigsten psychologischen Hilfsmittel einer Wirtschaftspolitik, die ihre Folgen zu verschleiern sucht. Man kann sie in diesem Sinne als ein Werkzeug antidemokratischer Politik bezeichnen, da sie durch Irreführung der öffentlichen Meinung einem Regierungssystem, das bei offener Darlegung der Dinge keine Aussicht auf die Billigung durch das Volk hätte, den Fortbestand ermöglicht.“ In der sich anschließenden Diskussion betonte Polleit, man solle lieber jetzt zu einer Privatisierung des Geldes übergehen als weiter damit zu warten. Hier wurde angemerkt, dass gerade nach der letzten Krise Free-Banking schwer umsetzbar wäre, da das Vertrauen in die Banken stark gelitten hätte. Polleit machte dabei auf die steigenden Kosten einer Anpassung aufmerksam, je weiter sie hinausgezögert wird. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass der von Hayek gebrauchte Begriff „Government“ in dem Vortrag mit dem deutschen Wort Staat gleichgesetzt wurde. Dies ist jedoch nicht möglich, da zwischen Regierung und Zentralbank differenziert werden muss. Des Weiteren blieb offen, welche konkreten Aufgaben der Staat bei einer tatsächlichen Umsetzung des Free Banking Systems hätte. Das offensichtliche Dilemma hierbei ist, dass ausgerechnet dem Staat, dem man einen verantwortungsvollen Umgang in Sachen Geldpolitik abgesprochen hat, die bedeutendste Aufgabe zukommt. Er muss die Sicherstellung und rechtliche Durchsetzung von Eigentumsrechten garantieren, worauf das gesamte Free Banking System basiert. Auch das Problem der Regulierung des Finanzsystems wurde im Nachhinein angesprochen. So würde der Staat wichtige Lenkungsfunktionen aufgeben und könnte dadurch notwendige und stabilisierende Aufgaben nicht mehr ausführen. Dazu zählt vor allem die Aufgabe der Zentralbank als Geldgeber der letzten Instanz (Lender of Last Resort). Bisher konnte Finanzinstituten, die kurzfristige Liquiditätsprobleme hatten, die ansonsten allerdings einwandfrei wirtschafteten, durch entsprechende Kreditmittel kurzfristig geholfen werden. Diese Möglichkeit bestünde im Free Banking System nicht mehr, da es weder eine Zentralbank, noch das momentane Kreditsystem gäbe. So zeigte sich also, dass das System freier Märkte und Free Banking durchaus Lösungen für Missstände des momentanen Systems bereithält, jedoch auch noch einige Fragen der Klärung bedürfen. Unumstritten bleibt allerdings, dass dieser Lösungsansatz sich einer 42 komplett anderen Herangehensweise an die aktuelle Problematik bedient und daher auch in Zukunft weiter an Zusprache gewinnen wird. 43 Steffen Orben: „Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen“ Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung 44 Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen von Steffen Orben Bereitet die aktuelle Zentralnotenbankpolitik mit dem Ziel der Stabilisierung der Finanzmärkte den Nährboden für zukünftige Krisen? Das Zeitalter des Finanzkapitalismus ist geprägt von der Entkopplung des Kreditwachstums gegenüber der realwirtschaftlichen Entwicklung. Das Verhältnis von Finanzvermögen zum jährlichen weltweiten Wirtschaftswachstum hat sich seit 1980 mehr als verdreifacht und das Volumen der Finanzmarkttransaktionen übersteigt den weltweiten Umsatz von Güter und Dienstleistungen um das 50fache. Sicherlich hat das Wachstum in der Finanzwirtschaft viele Vorteile gebracht aber es birgt auch enorme Risiken; Risiken für die Stabilität der Finanzmärkte und die Stabilität der Realwirtschaft. Die Deregulierung und Liberalisierung der globalen Finanzmärkte, die technologische Revolution bedingt durch Computer und Internet und eine expansive Geldpolitik der Zentralnotenbanken (insbesondere der Bank of Japan und der Federal Reserve Bank) haben für eine Vielzahl von neuen Finanzinstrumenten und zu einer großen Menge an Liquidität geführt. In einer bestimmten Währung geliehenes Geld kann auf sehr einfachem Wege umgetauscht, transferiert und in andere Währungen oder Finanzmarktprodukte investiert werden. Obwohl die Theorie besagt, dass die Zinsdifferenz zwischen zwei Ländern durch Wechselkursanpassungen ausgeglichen wird, so hat die Praxis gezeigt, dass zeitliche konstante Kapitalflüsse und bestimmte volkswirtschaftliche Konstellationen eine Wechselkursanpassung zeitlich hinauszögern können. Internationale Finanzinvestoren konnten und können daher eine Überrendite erwirtschaften. Zur Zeit verschulden sich Carry Trade Teilnehmer vor allem in US Dollar, japanischem Yen und Schweizer Franken und investieren international in höher verzinste Währungen, Aktien, Anleihen, Rohstoffe und Immobilien. Dieser Zustand von ansteigenden Vermögenswerten weltweit wird anhalten, solange ausreichend Liquidität und Kredit zu niedrigen Zinsen zur Verfügung gestellt wird. Kann diese Inflation der Vermögenspreise zu Spekulationsblasen anwachsen? Bereitet daher die aktuelle Zentralnotenbankpolitk von niedrigen Zinsen und grenzenloser Liquidität den Nährboden für zukünftige Krisen? 45 Protokoll zur Sitzung von Steffen Orben: „Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen“ Protokollierende: Gregor Geist, Stephan Heine, Chris Jürschik, Daniel Spengler, Thomas Krause 1. Begriffsklärung Zu Beginn seines Vortrages gibt der Referent Steffen Orben, Director of Global Finance & Foreign Exchange Deutsche Bank, einen kurzen Überblick zur aktuellen Lage auf den Finanzmärkten bezüglich Carry Trades. In einem eingeblendeten Interview des amerikanischen Ökonomen Nouriel Roubini beschreibt dieser die momentane Liquiditätsschwemme, ausgelöst durch eine Nullzinspolitik der wichtigsten Zentralbanken, sowie beispielsweise die „Quantitative Easing“ Programme der FED in Kombination mit einer langfristig niedrigen Volatilität an den Märkten, als die „Mutter aller Carry Trades“. Jedoch unterscheiden sich die jetzt durchgeführten Carry Trades von den klassischen Carry Trades. Bei einem klassischen Carry Trade hat man sich kurzfristig in einer Niedrigzinswährung verschuldet und langfristig in eine Hochzinswährung investiert. Durch eine verspätete oder ausbleibende Aufwertung der Niedrigzinswährung wurde somit die Zinsdifferenz als Rendite erwirtschaftet. Im Gegensatz dazu verschulden sich die Investoren bei aktuell durchgeführten Carry Trades auch in Niedrigzinswährungen (im Moment vor allem in Dollar), investieren jedoch nicht nur in Devisen, sondern vor allem in Rohstoffe, Aktien etc. besonders in den sogenannten „Emerging Markets“ in Erwartung von Wertsteigerungen. Wichtig ist dabei, dass die Assets mehr als 2% Rendite abwerfen. Nouriel Roubini und auch Steffen Orben sehen in dieser Entwicklung die Bildung einer neuen spekulativen Blase. 2. Finanzmarktstabilität 2.1 Was bedeutet Finanzmarktstabilität Insbesondere Händlern, die sich mit Carry Trades beschäftigen, wird häufig vorgeworfen, durch das Hin- und Herschieben von Geldbeträgen gigantischen Ausmaßes die allgemeine Finanzstabilität zu beeinträchtigen. Auf diesen Aspekt geht der Referent gesondert ein und fragt zunächst danach, was Finanzmarktstabilität überhaupt bedeutet. Orientierung zur Beantwortung dieser Frage liefert eine Definition der Europäischen Zentralbank: “Financial stability can be defined as a condition in which the financial system – comprising of financial intermediaries, markets and market infrastructures – is capable of withstanding shocks, thereby reducing the likelihood of disruptions in the financial intermediation process which are severe enough to significantly impair the allocation of savings to profitable investment opportunities.”4 Unter Finanzmarktstabilität ist also das korrekte Durchführen der generellen Funktionen eines Finanzmarkts zu verstehen, nämlich eine effiziente Umsetzung von Ersparnissen auf 4 Europäische Zentralbank (2010): http://www.ecb.int/pub/fsr/html/index.en.html) 46 der einen Seite in Investitionen auf der anderen Seite. Zentraler Bestandteil dieser Allokationsfunktion ist eine korrekte Bepreisung von Risiken. Bezieht man zu dieser generellen Funktion eines Finanzmarkts den Aspekt der Stabilität ein, so bedeutet dies, dass die effiziente Allokation von Ersparnissen und Investitionen mit korrekter Bepreisung von Risiken auch im Falle von etwaigen finanziellen Schocks und Krisen bestand haben muss. Finanzielle Schocks müssen innerhalb des Systems absorbiert werden. 2.2 Regulierung In seinem Vortrag geht Herr Orben beim Thema Finanzmarktstabilität insbesondere auf die Punkte monetäre Regulierung und politische Intervention ein. Im folgenden Abschnitt werden einige Beispiele einer mangelnden Regulierung dargestellt: Hedgefonds als Teil des Schattenbankensystems entziehen sich zum Beispiel in Deutschland komplett der Regulierung. Sie sind an Offshore-Finanzplätzen wie den Cayman Islands angesiedelt. Als weiteres Beispiel wird auf die Bankenregulierung eingegangen, insbesondere auf Eigenkapitalanforderungen, individuelle Ausfallrisiken und Ratingagenturen. An einigen Praxisbeispielen erläuterte der Referent kritisch das Outsourcing von Risiken durch Ratingagenturen, sowie Grundlagen von Risikomodellen. Staatsanleihen werden zum Beispiel mit einem Eigenkapital von 0% hinterlegt, was einem Ausfallrisiko von 0 entsprechen würde. Eine eher gemäßigte Verschärfung der Regeln in Basel III ist unter anderem Inhalt der Diskussion des Einflusses von Banken auf ihre eigene Regulierung. Eine Verhaltensänderung der Banken im Vergleich zu der Zeit vor der Finanzkrise zeichnet sich daher eher nicht ab. Um die fehlenden institutionellen Rahmenbedingungen zu schaffen, müssen bestehende Regulierungslücken für einzelne Finanzintermediäre, wie den Hedgefonds oder Ratingagenturen, geschlossen werden. Andererseits werden Marktteilnehmer wie Banken diese Lücken in der Regulierung und weit offene Rahmenbedingungen ausnutzen, um aus ihrer Perspektive erfolgreich am Markt zu agieren. 2.3 Intervention Eine weitere Möglichkeit, den Aspekt der Finanzmarktstabilität zu gewährleisten, besteht in der geldpolitischen Intervention. Dazu führt Herr Orben die fehlgeschlagene Geldpolitik der Federal Reserve in den USA an, welche auch als „Greenspan-put“ bekannt ist. Diese verlaufe nach dem Prinzip: „Wir lassen an den Asset-Märkten solange alles laufen, bis der Wohlstand in Gefahr ist!“ Als im Jahr 2001/2002 übersteigerte Gewinnerwartungen zu einem dramatischen Kurssprung von Internet – und Technologieaktien führten, kam es im Zuge dieser maßlosen Überbewertung zu einem Platzen dieser Spekulationsblase und viele junge Unternehmen gingen Pleite. Getragen von den Anschlägen am 11. September war ein Vertrauensverlust der Anleger die unmittelbare Folge. Unter dem Vorsitzenden Alan Greenspan entgegnete die FED der Krise mit massiven Zinssenkungen und überflutete den Markt mit einer nicht unerheblichen Liquidität. Des Weiteren vermuteten die Anleger eine Garantie durch die Zentralbank für ebensolche Schocks und der sogenannte Greenspan-Put wurde getauft. Durch den Lender-of-Last-Resort übertrug sich die Moral47 Hazard-Problematik auf eine stärkere Risikoaffinität der Investoren und heizte somit die nächste Hypotheken-Blase an. Demnach musste auch die globale Subprimekrise von 2007 mit expansiver Geldpolitik entgegnet werden. Nur erhielt diese Intervention unter dem jetzigen Präsidenten des Federal Reserve Boards Ben Bernanke ihre Aggressivität durch das Quantitive Easing. Nach dieser geldpolitischen Lockerung kauft die Zentralbank Staatsanleihen und Wertpapiere, um nicht nur die Liquidität zu erhöhen, sondern auch, um die Preise dieser Assets in die Höhe zu treiben. Dadurch sollen die Geschäftsbanken ihre Reserven eigentlich für die Kreditvergabe an Unternehmen verwenden, anstatt in Staatsanleihen und andere Wertpapiere zu investieren. Der Referent sieht diese Entwicklung aber eher in der Richtung neuer Spekulationsblasen. Hingegen versucht die Europäische Zentralbank, durch ihre „leaning against the wind“Strategie diesen Fehler zu vermeiden. Sobald die Assetpreise steigen, wird dies als Gefahr neuer Spekulationsblasen gesehen. Sobald die Assetpreise in das „Bubbleterritorium“ eintreten, sollen die Zinsen erhöht werden. Es bleibt aber abzuwarten, ob diese unkonventionelle Strategie die Finanzmarktstabilität erhalten kann. 3. Krisen Bereits durch das einleitende Interview Roubinis wurde deutlich, welchen Stellenwert die geringe Volatilität auf Finanz- und Devisenmärkten einnimmt. Zum Zeitpunkt einer Krise steigt diese Volatilität erheblich an. Durch den vorhandenen Kapitalüberschuss und die Nullzinspolitiken der Zentralbanken weltweit werden im Zuge des Aufkommens einer Blase auch Investitionen mit einer erheblich geringeren Rendite getätigt, als dies zum natürlichen Zinssatz der Fall wäre. Diese Investitionen werden selbst bei geringen Zinsschwankungen schnell unrentabel, es folgt der rasche Abzug des Kapitals aus diesen Anlagen. Bei global aufkommenden Schwankungen entsteht durch diese Investitionen ein sehr hohes Kapitalabzugsvolumen, welches bei zugesicherten festen Wechselkursen die Devisenreserven der Zentralbanken bedroht. Sind diese erschöpft, muss eine Abwertung der Währung, in der diese Investitionen getätigt worden sind, folgen. Weitere Zins- und Wechselkursschwankungen sind die Folge, dies führt zu Panik auf den Finanzmärkten. Durch die unerwarteten Schwankungen müssen Risiken neu bewertet und eingepreist werden, bei Zentralbankversprechen eines festen Wechselkurses führte dies zu einer falschen Risikobewertung, spekulative Blasen platzen unter diesem Neubewertungsdruck. Durch die voranschreitende Globalisierung ist eine Synchronisation der wirtschaftlichen Zyklen zu beobachten, welche die durch eine Krise hervorgerufenen Effekte noch verstärkt. Vom Redner werden die Fehlanreize beschrieben, die durch das antizipierte Verhalten der Regierungen und des IWFs im Falle einer Krise gesetzt werden. Die implizite Versicherung der großen Fonds gegen eine eventuelle Zahlungsunfähigkeit führt gleichzeitig zu zwei Fehlanreizen. Die Eintrittsstrategie in den Markt besteht laut dem Redner darin, ein gewisses Volumen vorzuweisen, was auf Grund der weit verbreiteten Betroffenheit im Falle eines Konkurses eine staatliche Abwicklung eher wahrscheinlich macht (too big to fail). Des Weiteren besteht der Anreiz zu spekulativen Geschäften mit höherem Risiko. Der Verlust in einem solchen Falle kann zwar zum Konkurs führen, dieser wird jedoch nicht von den Verantwortlichen zu finanzieren sein und meist durch staatliche 48 Intervention beschränkt. Im Falle eines Gewinnes geht dieser in das Fondsvermögen über, das Risiko eines Verlusts besteht ab einem gewissen Volumen jedoch nicht. Die zu befürchtenden Folgewirkungen einer Zahlungsunfähigkeit auf den gesamten Finanzmarkt und deren Verstärkung durch den Leverage-Effekt werden in den meisten Fällen staatlich abgefangen. Laut den Ausführungen des Redners ist das Bewusstsein, in spekulative Blasen zu investieren, präsent. Die Strategie für den Umgang mit solchen Investitionen ist simpel, nur ein rechtzeitiger Abzug des Kapitals im Falle eines Stimmungswandels ist von Nöten. Dass diese Strategie nur für die ersten Abgänge aus dem Markt erfolgreich sei, wird vom Redner explizit verdeutlicht. Diese Situation wurde mit dem Bild von sehr engen Notausgängen in einem gefüllten Saal verglichen. Durch die vom Redner offen angesprochene erfolgreiche Lobbyarbeit bei der politischen Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Finanzmarkt wird vom Redner für die zukünftigen Entwicklungen auf Finanzmärkten eine düstere Prognose beschrieben. Sollten die beschriebenen Anreize weiterhin bestehen bleiben und die finanzielle internationale Verflechtung und Synchronisation voranschreiten, werden sich die Ausmaße zukünftiger Krisen weiterhin verstärken. In der Diskussion zu dem Vortrag wird angemerkt, dass gerade auch die expansive Geldpolitik großer Zentralbanken die Öffnung der Kapitalmärkte von Volkswirtschaften verstärkt, in Erwartung von Kapitalzuflüssen. Im Anschluss an den Vortrag scheint offensichtlich: „Das Casino ist wieder eröffnet!“ 49 Protokoll zu den Referaten der Studierenden 50 Protokoll zu den Referaten der Studierenden Protokollierende: Thomas Wied, Jan David Bakker, Alexander Rösschen, Marie Theres Holzhausen Im siebten Themenblock trug jeweils ein Studierender der Universitäten Bayreuth, Leipzig und Tübingen die Ergebnisse seiner Seminararbeit vor. Im Anschluss an die drei Kurzvorträge fand eine Diskussions- und Fragerunde statt. Der nachfolgende Bericht weicht von dieser Reihenfolge ab. So werden die Zusammenfassungen der Diskussion thematisch geordnet und dem jeweiligen Präsentationsbericht direkt angegliedert. Anne-Katrin Beurer, Universität Tübingen: „Die zukünftige Rolle des IWF“ Die Tätigkeitsfelder des IWFs vor Freigabe der Wechselkurse bestand im Wesentlichen in der Stabilisierung des Weltwährungssystems, der Überwachung nationaler Politiken und der Vergabe von Krediten an Länder, die temporäre Zahlungsschwierigkeiten hatten. Seit 1973 lassen sich die Aufgaben des IWFs in Krisenprävention und –bekämpfung unterteilen. Im Rahmen der Vorbeugung wird vor allem auf Surveillance gesetzt. So werden Länderberichte angefertigt und Beratungen angeboten. Sollte es zur Krise kommen, werden Kredite vergeben, die an gewisse Konditionen geknüpft sind. Die Erfüllung dieser Konditionen soll den Ländern helfen, künftig Krisen zu entgehen. Vor dem Hintergrund dieser Kreditvergabe fand eine Vermischung der Tätigkeitsfelder von IWF und Weltbank statt, da der Währungsfonds zunehmend längerfristige Kredite an Schwellenund Entwicklungsländer vergab. Um der veränderten weltwirtschaftlichen Lage Rechnung zu tragen und Kritik an den Tätigkeiten des IWF zu begegnen, fanden ab 2001 eine Reihe von Reformen statt. Hierbei kann man zwischen Reformen bezüglich der Kreditkonditionalitäten und Reformen bezüglich der Stimmenverteilung bei IWF-internen Entscheidungen der Mitgliedsländer unterscheiden. Im Bereich der Konditionalitäten wurde 2001 beschlossen, dass der IWF stärker mit den Partnerländern zusammenarbeiten soll und dass Konditionalitäten auf den makroökonomischen Kernbereich begrenzt sein sollen. Darüber hinaus wurde im Bereich der Krisenprävention verstärkt darauf geachtet, ex ante Anreize zu setzen, die Länder gar nicht erst in Probleme geraten lassen. In diesen Kontext sind die „Flexible Credit Line“ (FCL) und die „Precautionary Credit Line“ (PCL) einzuordnen, die 2009 eingeführt wurden. Es handelt sich dabei um Kreditlinien, welche zu attraktiven Konditionen angeboten werden, jedoch nur Ländern offenstehen, die in einer Politikbewertung sehr gut bzw. gut abschneiden. Weiterhin soll damit die Stigmatisierung abgebaut werden, die mit Inanspruchnahme von IWF-Krediten verbunden ist. Eine Bewertung dieser neuen Kreditlinien ist bis dato noch nicht möglich, da diese noch nicht lange genug existieren. Bei Reformen bezüglich der Stimmverteilungen im IWF sollte globalen Machtverschiebungen Rechnung getragen werden. So wurden 2006 die Quoten für China, Südkorea, die Türkei und Mexiko angehoben. 2010 erfolgte dann eine der dahingehend bisher größten Reformen im IWF. Dabei wurde beschlossen, 6,2 Prozentpunkte der Stimmen von Industrie- an Schwellenländer (v.a. China und Indien) zu übertragen. China wurde damit zum drittstärksten Mitgliedsland. Die europäischen Länder gaben in diesem 51 Zuge zwei Sitze im Exekutivdirektorium ab. Offen blieb unter anderem die Frage, wie künftig der geschäftsführende Exekutivdirektor bestimmt werden sollte. Frau Beurer bewertete die künftigen Aussichten des IWF als positiv, da dieser aufgrund seiner supranationalen Natur eine hohe Akzeptanz genießt und in seinen Kernbereichen über große Kompetenz verfügt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft seien jedoch Reformen, die den bisher eingeschlagenen Reformweg konsequent fortsetzen, d.h. einerseits die Konzentration auf Krisenprävention (inkl. des Ausbaus eines Frühwarnsystems) und Kernkompetenzen und andererseits die stimmrechtliche Antizipation von weltwirtschaftlichen Machtverschiebungen. In der anschließenden Diskussion rückten die Rettungsaktionen des IWF in Europa in den Mittelpunkt. So wurde festgestellt, dass die Rettung Griechenlands im Rahmen des EU Rettungsschirms mit den IWF-Statuten konform sei. Darüber hinaus kam die Frage auf, ob der IWF künftig stärker in Rettungsmaßnahmen innerhalb Europas eingebunden würde. In diesem Zusammenhang wurde der Wunsch des IWF, alles versichern zu wollen, kritisch beleuchtet, da sich damit die Frage stelle, wer letztendlich den IWF versichert. Hier war auch die Rede vom „soft-IWF“, der aufgrund der Aufweichung seiner Statuten ständig Gefahr laufe, den Fokus der eigenen Arbeit zu verlieren. Matthias Wischemeyer, Universität Leipzig: „US-Geldpolitik, Subprime-Krise und die internationale Rolle des Dollar“ Bis zur Subprime-Krise stieg der Anteil der Wohneigentümer an der Bevölkerung kontinuierlich an. Ermöglicht wurde dies durch variabel verzinste Subprime-Kredite, die auf Kreditnehmer mit niedriger Bonität zugeschnitten waren. Dadurch stiegen der Anteil des Subprime-Hypothekenvolumens am Gesamtmarkt und die Häuserpreise (vor allem durch Spekulation). Die Zinsen der variabel verzinsten Subprime-Kredite folgten größtenteils der Entwicklung des US-Leitzinses. Als dieser im Jahr 2004 unter Inflationsdruck angehoben wurde, kam es vermehrt zu Kreditausfällen in diesem Bereich. Die Subprime-Krise lässt sich zum einen durch Marktversagen, zum anderen durch monetäre Einflussfaktoren erklären. Diese lassen sich wiederum grob in zwei Thesen gliedern. Als erstes zu nennen wäre die Niedrigzinspolitik der USA. Um eine größere Rezession nach dem Platzen der dotcom-Blase zu vermeiden, senkte die US Federal Reserve den Leitzinssatz auf einen Prozent ab. Um eine günstige wirtschaftliche Entwicklung nicht zu gefährden, wurde der Zinssatz, zumindest gemessen an der TaylorRegel, erst zu spät wieder angehoben. Das günstige Zentralbankgeld floss vor allem in den US-Häusermarkt, was massive Spekulationen und eine Verzerrung der Produktionsstruktur auslöste. Nach dieser Theorie ist die Entstehung der Subprime-Blase hausgemacht. Ben Bernanke, der Chef der US-Notenbank, argumentierte in einer Rede hingegen, dass seit Anfang des neuen Jahrtausends vermehrt Ersparnisse aus den Emerging Markets in US-Staatsanleihen flossen („global savings glut“), was für ein Absinken des langfristigen Zinses und für steigende Häuserpreise sorgte. Demnach liegen die Bestimmungsgründe für die Subprime-Krise außerhalb der USA. Durch die Leitwährungsfunktion des Dollars kann die Federal Reserve expansive Geldpolitik betreiben, ohne im Heimatland eine übermäßige Inflation auszulösen. Ihr 52 Handlungsspielraum wird durch die Vormachtstellung des Dollars erweitert. Die Zentralbanken der Emerging Markets hingegen müssen die überschüssigen Geldmittel absorbieren, wenn sie ihren Wechselkurs und damit den Wettbewerbsvorteil ihrer Exportgüter aufrechterhalten wollen. Ihr Handlungsspielraum ist dadurch sehr eingeschränkt. Solange die USA ihre expansive Geldpolitik nicht einstellen oder sich der Rest der Welt nicht vom Dollar als Leitwährung abwendet, wird sich an dieser Situation nichts ändern und es besteht die Gefahr neuer Spekulationsblasen. Timo Alberts, Universität Bayreuth: „Wann kommt der Yuan? Das Potenzial der chinesischen Währung als Leitwährung“ Ausgehend von der wachsenden Rolle der chinesischen Wirtschaft und Währung stellte Timo Alberts in seinem Vortrag die Frage, wann der Yuan sich als Leitwährung etablieren wird. Um sich dieser Frage anzunähern, zeigte er zu Beginn die vom Leitwährungsland und der Währung selbst zu erfüllenden Bedingungen auf. Dazu zählen eine große Bedeutung im Welthandel, ein hoher Grad an Internationalisierung, die uneingeschränkte Konvertibilität, hoch entwickelte Finanzmärkte, Vertrauen in die politischen Institutionen des Landes und Netzwerkexternalitäten. China wächst seit Jahrzehnten stabil mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 10% und ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Dementsprechend nimmt die Bedeutung Chinas im Welthandel stetig zu. In jüngster Zeit versucht die chinesische Politik verstärkt die Internationalisierung des Yuan voranzutreiben, indem sie z.B. bilaterale Abkommen schließt, die es bestimmten Ländern ermöglicht in Hong Kong Yuan zu kaufen, um so den Handel ohne Umwege über den Dollar abwickeln zu können. In der Vergangenheit hat China häufig mit derartigen regionalen Sonderregeln einen allgemeinen Politikwechsel eingeleitet. Allerdings sieht China die Kontrolle über die eigene Währung als zentralen Bestandteil ihrer Hoheitsrechte, was es ziemlich unwahrscheinlich macht, dass die Regierung eine volle Konvertibilität mittelfristig anstrebt. In diesem Zusammenhang ist auch der jüngste Vorschlag des Gouvernors der People‘s Bank of China, ein multilaterales Weltwährungssystem in der Tradition von Keynes’ bancor Vorschlag, zu sehen. Konkret geht es darum, den Yuan in den Währungskorb der Sonderziehungsrechte aufzunehmen und diese zu einer künstlichen Leitwährung aufzubauen. Damit einhergehen würde vermutlich auch eine weitere Reform des Internationalen Währungsfonds, da die Vereinigten Staaten dort noch über eine Sperrminorität verfügen. Auch wenn der Vorschlag nicht ausgearbeitet und eher aus taktischen Gesichtspunkten zu betrachten ist, so würde er China nach wie vor die Möglichkeit erhalten, Kapitalverkehrskontrollen durchzuführen. Taktisch greift der Vorschlag die Leitwährungsposition des US-Dollars an und bringt gleichzeitig eine stärkere internationale Rolle des Yuan ins Gespräch, ohne dabei eine Leitwährungsstellung anzuvisieren. Chinas Währungspolitik steht aktuell aber noch vor ganz anderen Herausforderungen. So steckt es mit Währungsreserven von 2,75 Billionen Dollar in einer gigantischen „Dollarfalle“. Die chinesische Zentralbank kann entweder weiter Dollar aufkaufen, um den Kurs des Yuan niedrig und den des Dollars künstlich hoch zu halten, was allerdings die Abhängigkeit vom Dollar weiter zementiert. Oder sie lässt eine graduelle Aufwertung zu, was allerdings dazu führen würde, dass der Markt auf eine weitere Aufwertung wettet und 53 die chinesische Währungspolitik so unter Druck setzt. Dementsprechend sind die chinesischen Handlungsspielräume nicht besonders groß. Als Schlussthese vertrat Timo Alberts die Meinung, dass es zu keiner neuen Leitwährung kommen wird, da eine asymmetrische Währungsordnung in Anbetracht des Triffin Dilemmas langfristig stabil sein wird. Diese These wurde in der anschließenden Diskussion u.a. von Prof. Stark attackiert, der die Meinung vertrat, dass das Triffin Dilemma keine große Rolle mehr spielen würde. 54 Protokoll zur Podiumsdiskussion 55 Protokoll zur Podiumsdiskussion: „Ein Blick in die Zukunft: Finanzsysteme und Weltwirtschaft nach der Krise“ Protokollierende: Maxim Asjoma, Elena Rubtsova, Faxin Teng, Florian Schwab Den Abschluss des 20. Dialogseminars in Blaubeuren bildete eine Podiumsdiskussion am 10.12.2010 um 19.15 Uhr über die Zukunft des Weltwährungssystems. Die vier Professoren, welche das Seminar organisiert hatten, griffen die verschiedenen Thematiken aus den vorangehenden Beiträgen auf. Zu Beginn präsentierte der Gesprächsleiter, Professor Dr. Christian Milow (Präsident der Landesbank in den Freistaaten Sachsen und Thüringen i.R.), eine kurze Agenda über die zu behandelnden Fragen: 1. Gibt es zur gleichen Zeit immer nur ein Leitwährungsland oder gibt es regionale bzw. multilaterale Alternativen? 2. Wie können monetäre Spannungen vermieden werden? 3. Wird es eine supranationale Währungsorganisation geben? 4. Wie sieht das zukünftige Weltwährungssystem aus? Danach forderte er die vier Diskussionsteilnehmer auf, ein kurzes Exposé ihrer Einschätzung zur Architektur eines zukünftigen Weltwährungssystems abzugeben. Als erster führte Professor Dr. Gunther Schnabl von der Universität Leipzig seine Thesen über das zukünftige Weltwährungssystem aus: Er eröffnete sein Statement mit der rhetorischen Frage, ob es denn eine Alternative zum Dollar als Leit- oder Ankerwährung in Asien überhaupt gebe, was er dann sofort verneinte. Im Gegenteil sei es so, dass eventuelle Alternativen zum US-Dollar eher in anderen Währungsräumen als dem Asiatischen zu finden seien, namentlich etwa in der Eurozone. Asien schaue neidisch auf den Euro und die Eurozone, die sich durch einen einheitlichen Wirtschaftsraum, eine gemeinsame stabile Währung, eine tiefe Vernetzung und Strukturierung der Finanzmärkte sowie eine hohe Rechts- und Vertragssicherheit auszeichne. Überhaupt sei der bewundernde Blick auf den Euroraum erst durch die US-Niedrigzinspolitik der letzten Jahre entstanden. Die starke direkte Abhängigkeit des chinesischen Renminbi (Yuan) vom US Dollar destabilisiere die chinesische Währung, da die weltweiten Kapitalmärkte dem Dollar immer weniger vertrauen. Das liege daran, dass die Federal Reserve eine langanhaltende, expansive Geldpolitik betreibt und gleichzeitig nur ungenügende Strukturmaßnahmen für die amerikanische Wirtschaft empfiehlt. Welche Währungen kämen überhaupt als ostasiatische Leit- oder Ankerwährung für die Kapitalmärkte in Frage? Hierzu zählte Prof. Dr. Schnabl mehrere Möglichkeiten auf: Der chinesische Yuan, der japanische Yen, der koreanische Won, eine künstliche ostasiatische Währung (acu) nach dem Vorbild des Euro-Vorgängers (ecu) sowie eine Rückbindung an den Goldstandard. Nach der Aufzählung wurden diese scheinbaren Alternativen von dem Referenten destruiert: China und Südkorea kommen als Alternativen nicht in Frage, weil sie über keine entwickelten Kapitalmärkte verfügen, zudem kann der Yuan nicht frei an den Märkten gehandelt werden – ein Faktum, das ihn, solange es 56 fortbesteht, unmittelbar disqualifiziert. Ebenso deutlich war die Disqualifikation des japanischen Yen. Die japanische Währung komme als Leitwährung ebenfalls nicht in Frage, weil die japanische Notenbank, noch eher als die US-Notenbank, schon seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Niedrigzinspolitik betreibt und damit von einer Ankerwährung Yen kein Fortschritt gegenüber dem Status Quo zu erwarten sei. Eine artifizielle ostasiatische Währung sowie der Goldstandard seien aufgrund von Externalisierungseffekten nicht anzuraten. Ein acu kranke an denselben Fehlern, welche die einzelnen Währungen charakterisiert; durch einen Transfer auf eine internationale Ebene verschwänden diese nicht und eine adäquate Abbildung der tatsächlichen Wirtschaftsleistung der jeweiligen Länder wäre nicht zu bewerkstelligen. Somit sind alle denkbaren Alternativen für eine ostasiatische Leitwährung zur Ablösung des Dollar ausgeschieden. Das Einzige, was den ostasiatischen Ländern, v. a. China, bleiben werde, zumal sie kurz- bis mittelfristig nicht damit rechnen können, dass sich der Euro als globale Leitwährung etablieren wird, ist politisch und wirtschaftlich auf die USA einzuwirken, um eine restriktivere Geldpolitik der Federal Reserve zu erreichen. Als zweiter Diskutant ergriff Professor Dr. Jürgen Stark (EZB und Universität Tübingen) das Wort. Einleitend präsentierte er eine Analyse des aktuellen Weltwährungssystems. Der US-Dollar sei trotz aller Vorkommnisse nach wie vor als Leitwährung etabliert, viele Währungen seien mehr oder minder an ihn gekoppelt, oftmals könne man nicht von freier Wechselkursbildung sprechen. Als einzige bedeutsame Ausnahme sei der Euro zu erwähnen, dessen Wechselkurs zum Dollar sich frei bilde. Trotz dieser Dominanz des Dollars als internationale Leitwährung sei seit etlichen Jahrzehnten eine abnehmende Bedeutung zu beobachten, welche mit einer zunehmenden Bedeutung und zunehmendem Selbstbewusstsein der Emerging Economies, namentlich Chinas, Rußlands und Brasiliens einher gehe. Danach ging Prof. Dr. Stark über zu einer Prognose des zukünftigen Entwicklungspfads. Die beiden beschriebenen Tendenzen (abnehmende Bedeutung der USA, zunehmende Bedeutung der Schwellenländer) werden sich im Großen und Ganzen fortsetzen, allerdings sei der genaue Pfad und die Geschwindigkeit dieser Entwicklung nicht abzusehen. Vieles hänge davon ab, dass sich der international wahrgenommene Abwertungswettbewerb nicht verschärfe und etwa, wie in der Großen Depression, in protektionistischen Bestrebungen münde, wie man es teilweise schon beobachten könne, etwa in Form wieder salonfähiger Kapitalverkehrskontrollen am Beispiel Brasiliens. Es sei daher ratsam, dass sich alle währungspolitischen Akteure ihrer internationalen Verantwortung bewußt seien und nicht ausschließlich aus kurzfristigem nationalem Eigeninteresse handelten. Den jüngsten Vorschlag Chinas hält Prof. Dr. Stark für nicht ausgegoren und eher als Provokation zu werten, welche auf die Unzufriedenheit mit der bisherigen Situation zurückzuführen sei. Als Forum für den Austausch über diese gemeinsame Verantwortung und Vermeidung von Konfrontationen schlägt Prof. Dr. Stark ein informelles supranationales Gremium nach dem Vorbild der G7-Gruppe vor. Dieses solle die bedeutsamsten acht Akteure umfassen, namentlich die USA, die Eurozone, China, Rußland, Japan, Indien, Brasilien und eventuell Großbritannien. Dadurch könne signalisiert werden, dass die entwickelten Länder die wirtschaftlichen Umbrüche zur Kenntnis genommen hätten und die Schwellenländer adäquat zu ihrer gewachsenen Bedeutung mit einbezögen. Dadurch könnte langfristig ein wettbewerbliches, multipolares Währungssystem sichergestellt werden, welches durch verantwortungsvolle geldpolitische Entscheidungen dazu beiträgt, dass die wirtschaftlichen Fundamentaldaten, also die Leistungskapazitäten der jeweiligen Volkswirtschaften, sich in den Währungskursen 57 widerspiegeln. Zum Schluß widmete sich Prof. Stark der Frage, ob auch die Rückkehr zum Goldstandard für ihn denkbar sei, welche im Rahmen des Seminars ebenfalls thematisiert worden war. Diese würde nach seinem Dafürhalten mehr Schaden als Nutzen stiften, da wieder ein globaler Anker erforderlich wäre, welcher die nationale Politik der internationalen Ordnung unterstellt. Der Goldstandard, wie andere Fixkurs-Systeme, sei aber immer dann und oftmals mit einem Knall gescheitert, als die Fiskalpolitik aus dem Ruder gelaufen sei. Die dritte Einschätzung erfolgte durch Professor Dr. Bernhard Herz (Universität Bayreuth). Er pflichtete zunächst seinem Vorredner bei, dass das Währungssystem sich in einem offensichtlichen Wandel von einer Dominanz des US-Dollars hin zu einem (mehr) multipolaren System mit den drei wichtigen globalen Währungspolen USA, Europa und Asien (insb. China) befinde. Gerade der chinesischen Yuan weise ein gewisses Entwicklungspotenzial als Währungspol auf. China werde nach eigenem Interesse und Gutdünken entscheiden, ob und wann es seine Währung für den Devisenhandel freigibt und damit Konvertibilität herstellt. Bei einem solchen Entscheid könnte daraus dann ein Leitwährungsstatus resultieren, der aber nicht vom Anker durch politische Entscheidung bewusst herbeigeführt werden kann, sondern vom Markt durch Vertrauen auf diese Währung gebildet wird und im Ergebnis eine Währung als Fakturierungswährung im Binnenmarkthandel, Denominierungswährung im Weltfinanzmarkt sowie Reservewährung im Währungssystem etabliere. Ein multipolares, wettbewerbliches Währungssystem, so Prof. Dr. Herz weiter, sei in Anbetracht der beschränkten dauerhaften politischen Gestaltbarkeit einer internationalen Fixkurs-Währungsarchitektur nicht das schlechteste, nicht zuletzt aufgrund der Erkenntnis aus dem sogenannten "magischen Dreieck" (Impossible Trinity): Von den drei wünschbaren Zielen fester Wechselkurse, autonomer Geldpolitik sowie freien Kapitalverkehrs seien gleichzeitig stets nur zwei zu erreichen. Seine Skepsis gegenüber dem langfristigen Bestand einer Fixkurs-Ordnung stellte die Kernthese seines Redebeitrags dar und diese unterfütterte er mit historischen Erfahrungen. Als erstes Beispiel ersehe man dies aus dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems. Bei seiner Genese nach dem Zweiten Weltkrieg schien es aufgrund des Verzichts der USA auf eine eigene Geldpolitik, des US-Dollar als teilweise goldgedeckte Ankerwährung sowie der Nicht-Konvertibilität der Währungen Stabilität zu verheissen. Unter Druck geriet Bretton Woods aber bereits in den 60er Jahren, als sich die NichtKonvertibilität der Währungen ineinander aufzulösen begann. Dazu kamen fiskale Anspannungen in den USA, die 1971 dazu führten, dass Präsident Nixon handstreichartig die Goldbindung des US-Dollars aufkündigte („closing the gold window“). Als zweites Beispiel zeige die europäische Geschichte, dass Lücken zwischen dem de jure und dem de facto Zustand klaffen können. So sei das Europäische Währungssystem (EWS) auf eine symmetrische Festlegung der Geldpolitik in den einzelnen Mitgliedsstaaten ausgelegt gewesen, faktisch habe sich aber durch Marktkräfte die „härteste“ Währung, nämlich die D-Mark, als Ankerwährung herausgebildet und die anderen Länder hätten die Bundesbank-Entscheidungen nachvollzogen. In diesem Regime konnten die anderen Länder durch Abwertungsentscheidungen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, wovon manche gerne und häufig Gebrauch machten. Auch Frankreich wertete den Franc mehrfach ab, bevor Ende der 80er-Jahre dann ein Umdenken stattfand und die monetäre Disziplin zunahm, was letztlich den Pfad für das Europäische Währungssystem II (EWS II) bildete, welches die Konvergenzkriterien für die Entstehung der einheitlichen Währung Euro beinhaltete. 58 Für den letzten Diskussionsbeitrag dieser einleitenden Runde wurde Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty (Universität Tübingen) aufgefordert. Als Ausgangspunkt seiner Darlegung wählte er die von vielen Ökonomen geltend gemachte Attraktivität von FixkursSystemen dank ihrer vergleichsweise geringen Transaktionskosten und reduzierten Unsicherheit. Er kündigte an, vor allem auf die Frage eingehen zu wollen, unter welchen Voraussetzungen ein System fixer Wechselkurse funktionstüchtig sei. Hierzu spezifizierte er zwei Anforderungen. Zunächst müsse ein Land existieren, dass aufgrund einer vorrangigen wirtschaftlichen Bedeutung als „Hegemon“ bezeichnet werden kann. Danach müsse sich dieses Land in der Geldpolitik von rein nationalen Interessen lösen und auch die wirtschaftliche Situation derjenigen Länder in Erwägung ziehen, die an seine Währung gebunden sind. Ein solches, gegenüber dem Auslande gutartiges Verhalten müsse durch Sanktionsmechanismen sichergestellt werden. Als Illustration dieser Erkenntnis zeigte Prof. Dr. Dr. h.c. Starbatty zwei Beispiele für Sanktionsmechanismen auf, welche historisch zumindest über eine gewisse Zeit ihren Zweck erfüllten. Der Sanktionsmechanismus, der beim Übergang vom EWS I zum EWS II griff, waren die Euro-Konvergenzkriterien. Erst dann nämlich, als Aussichten auf den Euro als einheitliche Währung bestanden, liessen Länder wie Italien und Frankreich von ihrem früher üblichen Abwertungsgebaren ab. Der Treiber hinter diesem Bestreben nach der Einheitswährung war mitunter, dass Frankreich darüber unzufrieden war, dass der Franc unter dem EWS faktisch an die D-Mark gebunden war und (abgesehen von gelegentlichen Abwertungsentscheidungen) die Geldpolitik der Bundesbank 1:1 übernommen werden musste. Der Euro versprach ein symmetrischeres Regime mit größeren Einflussmöglichkeiten anderer Länder. Der zweite betrachtete Sanktionsmechanismus war die Gold-Konvertibilität des US-Dollars im Bretton Woods-System. Dadurch, dass die Federal Reserve sich verpflichtet hatte, USDollar in fixe Goldbeträge umzutauschen, war die Geldpolitik theoretisch der Hoheit politischer Entscheidungen entbunden (zumindest teilweise, denn es handelte sich um ein Teilreserve- und kein Vollreservesystem; es musste nur ein Teil des umlaufenden Geldes gedeckt sein). Die wirtschaftlichen Akteure begannen in den 60er-Jahren nicht zuletzt aufgrund der fiskalen Entwicklung in den USA Zweifel an der Nachhaltigkeit dieses Einlösungsversprechens zu hegen. Andere Länder standen vor der Wahl, US-Dollar oder Gold vorzuziehen, was immer häufiger zugunsten des Goldes entschieden wurde und auch dazu führte, dass der Grundsatz der Nicht-Konvertibilität von Währungen ineinander sukzessive lockerer wurde. Die Zweifel erwiesen sich als berechtigt, als die USA im Jahre 1968 gegenüber Privaten und im Jahre 1971 gegenüber Banken und anderen Zentralbanken die Eintauschpflicht in Gold aufkündigten. Trotz alledem behielt der USDollar seinen Status als internationale Leitwährung auch in den folgenden Jahren — nun aber aufgrund von Marktergebnissen und nicht aufgrund einer „fiat“ Institutionalisierung. Die Frage, ob ein Währungssystem Leitwährung(en) durch den Markt entstehen lässt oder ob eine institutionalisierte neue Architektur mit klar bezeichneten Leitwährungen erschaffen wird, behalte für die zukünftige Debatte ihre Relevanz. Jedoch, so der Redner, sei derzeit kein Land mit einer breit akzeptierten Währung in Sicht, welches die Aufgaben eines Leitwährungslands auf sich nehmen können oder wolle. Die darauf folgende Aussprache auf dem Podium bot den Referenten nochmals Gelegenheit, ihre jeweiligen Thesen zu vertiefen und zu verdeutlichen. Im Wesentlich ging daraus hervor, dass ein „großer neuer Wurf“ im Weltwährungssystem aufgrund des Kalküls der einzelnen Währungszonen unwahrscheinlich ist und dass ein 59 erfolgversprechendes Mittel, die sich auftuenden (gefährlichen) Spannungen zu beherrschen, ein Kooperationsgremium der wichtigsten Währungspole wäre. Das breite Themenfeld, welches die vier Exposés und die darauf folgende Aussprache unter den Referenten aufgespannt hatte, bot abschließend genügend Inspiration für zahlreiche und fundierte Fragen aus Kreisen der studentischen Teilnehmer. Etliche davon bezogen sich auf die aktuelle Geldpolitik der USA (Quantitative Easing II), welches unisono durch die Podiumsgäste kritisch bewertet wurde. Die USA, so die Befürchtung, versuchten mit monetären Massnahmen eine eigentlich überfällige Strukturbereinigung in ihrer Volkswirtschaft aufzuhalten oder abzumindern. Die Strategie der offenen Geldschleusen, welche die Antwort der Federal Reserve auf kleinere und grössere Rezessionen war, berge die Gefahr, immer neue Fehlallokationen heraufzubeschwören (In dem Zusammenhang hoben etliche der Podiumsgäste die Erklärungsansätze von Schumpeter und Hayek hervor, welche die Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule der Nationalökonomie begründen.). Etliches spreche dafür, dass die überdehnten Sektoren der Finanz- und Bauindustrie nach wie vor zu groß seien und teilweise durch monetäre Expansion ihre Schrumpfung auf ein gleichgewichtiges Niveau nicht stattfinde. Die Rezession wäre demnach noch nicht tief genug gewesen. Für diese Probleme sei eine schnelle und schmerzfreie Lösung nicht in Sicht. Als Sekundäreffekt aus diesem Verhalten ergebe sich eine Lage, die gefährlich nahe an die Eskalation von Abwertungsspiralen und protektionistischen Gegenmaßnahmen heranführe. 60