Tagungsband für Schleyer Stiftung - Uni

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20. Dialogseminar
Tagungsband
Grundrisse eines zukünftigen
Weltwährungssystems
9. – 11. Dezember 2010
Blaubeuren
UNIVERSITÄT
BAYREUTH
UNIVERSITÄT
LEIPZIG
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
S. 2
Hanns Martin Schleyer Stiftung
S. 3
Programm
S. 4
Teilnehmerliste
S. 6
Thesenpapiere und Protokolle
Hubert Temmeyer
Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld
Thesenpapier
Protokoll zur Sitzung
S. 10
S. 12
Michael Heise
Die Rolle des Dollar: „safe haven“ für wie lange?
Protokoll zur Sitzung
S. 17
Jürgen Stark
Die Zukunft des Euro
Thesenpapier
Protokoll zur Sitzung
S. 22
S. 23
Marcel Fratzscher
Die aufkommende Rolle des Yuan/RMB
Thesenpapier
Protokoll zur Sitzung
S. 28
S. 30
Thorsten Polleit
Freie Märkte und „Free Banking“: der Weg zum guten Geld
Thesenpapier
Protokoll zur Sitzung
S. 38
S. 39
Steffen Orben
Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen
Thesenpapier
Protokoll zur Sitzung
S. 45
S. 46
Protokoll zu den Referaten der Studierenden
S. 51
Protokoll zur Podiumsdiskussion
S. 56
1
UNIVERSITÄT
BAYREUTH
UNIVERSITÄT
LEIPZIG
Vorwort
Angesichts der vorherrschenden weltweiten währungspolitischen Turbulenzen konnte das
diesjährige 20. Dialogseminar mit dem Thema „Grundrisse eines zukünftigen Weltwährungssystems“ an Aktualität kaum überboten werden.
Ganz im Sinne der Tradition der Dialogseminare, das Gespräch zwischen den
Generationen und zwischen Theorie und Praxis herzustellen, diskutierten renommierte
Vertreter der Praxis gemeinsam mit den Studierenden, wie ein zukünftiges
Weltwährungssystem aussehen könnte. Wie sei die aktuelle Situation einzuschätzen?
Welche Rolle könnten die verschiedenen Währungsräume in Zukunft spielen? Welches
währungspolitische Arrangement wäre dabei denkbar?
Mit diesen und weiteren Fragen befassten sich die rund 65 Teilnehmer – exzellente
Studierende aus Bayreuth, Leipzig und Tübingen sowie fünf ausgewählte Studierende
anderer Universitäten und ausgewählte Gäste – des zweitägigen Seminars mit
Begeisterung und großem Interesse. Zweifelsohne bieteten die zwei Tage den Studenten
eine unvergleichliche Gelegenheit, über die Theorie des Studiums hinaus das aktuelle
Weltgeschehen zu reflektieren und zu diskutieren. Sie waren durch ihre Hausarbeiten
bestens vorbereitet. Die Referenten waren von dem exzellenten Diskussionsniveau höchst
angetan.
Die vier Organisatoren Bernhard Herz (Uni Bayreuth), Gunther Schnabl (Uni Leipzig),
Jürgen Stark (EZB) und Joachim Starbatty (Uni Tübingen) möchten sich ganz herzlich bei
der Hanns Martin Schleyer - Stiftung für die bereits langjährige finanzielle Unterstützung
bedanken, die maßgeblich zur Realisation dieser Seminare beiträgt. Das Dialogseminar
war auch dieses Mal ein Höhepunkt für die Studierenden, aber auch die Veranstalter
selbst haben davon profitiert.
Joachim Starbatty
2
Wir danken der Hanns Martin Schleyer-Stiftung für Ihre Unterstützung und
finanzielle Förderung des 20. Dialogseminars.
Die Hanns Martin Schleyer - Stiftung
Die Hanns Martin Schleyer-Stiftung wurde 1977 gegründet. Aus ihrem Gründungsanlass
heraus hat sie Dialog-Brücken zwischen Wissenschaft, Praxis und Medien entwickelt, vor
allem für die junge Generation.
Die
Förder-Initiativen
Wissenschaftlerinnen
richten
und
sich
in
besonderer Weise
Wissenschaftler
in
den
an
qualifizierte
Wirtschafts-,
junge
Rechts-
und
Kulturwissenschaften.
Die Stiftung steht für eine im deutschen Sprachraum unverwechselbare ProgrammArchitektur
(Universitäts-Seminare,
Dozenten-Kolloquien,
Symposien
und
Förder-
Kongresse). Damit fördert sie auch eine junge "scientific-community" und innovative
Netzwerke in einer offenen Gesellschaft.
Die Stiftung arbeitet operativ: Sie konzentriert sich auf die Entwicklung und Umsetzung
eigener Initiativen.
Angesichts umfassender Veränderungen im „globalen Zeitalter“ sind Staat, Wirtschaft und
Gesellschaft und nicht zuletzt auch der einzelne Bürger neu herausgefordert: Die
Schleyer-Stiftung möchte an den Hochschulen und in der Öffentlichkeit mit zu einer
geistig-politischen Orientierung beitragen, die gerade bei jungen Menschen das
Bewusstsein für Rechtsstaat und freiheitliche Problemlösungen stärkt und damit auch
wettbewerbliches Denken, Kreativität und Leistungsbereitschaft.
3
UNIVERSITÄT
BAYREUTH
UNIVERSITÄT
LEIPZIG
„Grundrisse eines zukünftigen Weltwährungssystems“
Blaubeuren, 09.12.2010 – 11.12.2010
Gefördert von
der Hanns Martin Schleyer-Stiftung
im Rahmen der Förderinitiative „Dialog Junge Wissenschaft und Praxis“
In Verbindung mit der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V. (ASM)
Professor Dr. Bernhard Herz, Universität Bayreuth
Professor Dr. Gunther Schnabl, Universität Leipzig
Professor (em.) Dr. Dr. h. c. Joachim Starbatty, Universität Tübingen
Professor Dr. Jürgen Stark, Europäische Zentralbank/ Universität Tübingen
09. Dezember 2010 (Donnerstag)
11:00 – 11:15
Begrüßung und Einführung
I. Die aktuelle Situation
11:15 – 12:45
(1) Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld
Referent: Hubert Temmeyer (Stellvertr. Abteilungsleiter im
Internationale Währungsordnung bei der Deutschen Bundesbank)
12:45 – 13:30
Bereich
Mittagessen
II. Die Entwicklung einzelner Währungsräume
13:30 – 15:00
(2) Die Rolle des Dollar: „safe haven“ für wie lange?
Referent: Michael Heise (Chefvolkswirt der Allianz Gruppe)
15:30 – 17:00
(3) Die Zukunft des Euro
Referent: Jürgen Stark (Mitglied des Direktoriums und Chefvolkswirt der EZB)
18:00 – 19:00
19:15 – 20:45
Abendessen
(4) Die aufkommende Rolle des Yuan / RMB
Referent: Marcel Fratzscher (Leiter der Abteilung International Policy Analysis
bei der EZB)
4
UNIVERSITÄT
BAYREUTH
UNIVERSITÄT
LEIPZIG
10. Dezember 2009 (Freitag):
ab 8:00
Frühstück
III. Perspektiven
09:00 – 10:30
(5) Freie Märkte und "Free Banking": der Weg zum guten Geld
Referent: Thorsten Polleit (Chief German Economist bei Barclays Capital)
11:00 – 12:30
(6) Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen
Referent: Steffen Orben (Director of Global Finance & Foreign Exchange,
Deutsche Bank AG)
12:30 – 13:30
Mittagessen
14:00 – 15:30
Besuch des Klosters Blaubeuren und des Blautopfs
16:00 – 17:30
(7) Ausgewählte Problemstellungen, vorgetragen von Studierenden
Referentin: Anne-Katrin Beurer (Uni Tübingen): „Die zukünftige Rolle des IWF“
Referent: Matthias Wieschemeyer (Uni Leipzig): „US-Geldpolitik, SubprimeKrise und die internationale Rolle des Dollar“
Referent: Timo Alberts (Uni Bayreuth): „Wann kommt der Yuan? Das Potenzial
der chinesischen Währung als Leitwährung“
18:00 – 19:00
19:15 – 20:45
Abendessen
(8) Auf dem Weg zu einer neuen Weltwährungsordnung – über Kooperation oder
Konfrontation?
Podiumsdiskussion (Leitung: Christian Milow):
Bernhard Herz, Gunther Schnabl, Jürgen Stark, Joachim Starbatty
11. Dezember 2009 (Samstag)
ab 7:15
Frühstück
08:15 – 09:45
Vorbereitung der Sitzungsberichte durch die Studierenden
in Gruppenarbeit
10:00 – 12:15
Mündliche Präsentation und Diskussion der Berichte
12:30
Mittagessen
Abreise nach dem Mittagessen
5
UNIVERSITÄT
BAYREUTH
UNIVERSITÄT
LEIPZIG
Teilnehmerliste
Tagungsleiter
Professor Dr. Bernhard Herz
Professor Dr. Gunther Schnabl
Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Universität Bayreuth
Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Leipzig
Professor Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty
Vorsitzender d. Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, Tübingen
Professor Dr. Jürgen Stark
Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, FFM.,
Honorarprofessor der Universität Tübingen
Referenten
Dr. Marcel Fratzscher
Leiter der Abteilung International Policy Analysis bei der EZB
Dr. Michael Heise
Chefvolkswirt der Allianz Gruppe
Steffen Orben
Director Global Finance & Foreign Exchange Deutsche Bank
Professor Dr. Thorsten Polleit
Chief German Economist bei Barclays Capital
Professor Dr. Jürgen Stark
Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, FFM.,
Honorarprofessor der Universität Tübingen
Stellvertr. Abteilungsleiter im Bereich Internationale Währungsordnung bei
der Deutschen Bundesbank
Dr. Hubert Temmeyer
Wissenschaftliche Mitarbeiter
Dipl. Vw. Christian Drescher
Mitarbeiter Lehrstuhl Herz
Dipl. Vw. Alexander Erler
Mitarbeiter Lehrstuhl Herz
Dipl. Vw. Alexandra Hild
Mitarbeiter Lehrstuhl Herz
Dipl. Vw. Stefan Hohberger
Mitarbeiter Lehrstuhl Herz
Dipl. Vw. Axel Löffler
Mitarbeiter Lehrstuhl Schnabl
Dipl. Vw. Holger Zemanek
Mitarbeiter Lehrstuhl Schnabl
Dipl. Vw. Rona Schurig
Geschäftsführerin ASM e.V.
Dipl. Vw. Käte Wohltmann
Geschäftsführerin ASM e.V.
Studierende
Timo Alberts
Nick Baderschneider
Gregor Geist
Thomas Grieb
Universität Bayreuth
Stephan Heine
Alessio Hommel
6
Daniela Kastner
Dominique Kläber-Michalcik
Valentin Klima
Universität Bayreuth
Paul Tscheuschner
Lukas von Schuckmann
Martin Wiegand
Sven Christens
Pablo Duarte
Adrian Ille
Stefanie Janort
Chris Jürschik
Raphaela Koch
Thomas Krause
Universität Leipzig
Velina Petrusheva
Ariane Pucher
Alexander Rösschen
Elena Rubtsova
Julia Scheibe
Kristina Spantig
Björn Urbansky
Matthias Wischemeyer
Jan David Bakker
Anne-Katrin Beurer
Johannes Fleck
Johannes Geibel
Jakob Maidowski
Universität Tübingen
Marie-Christin Scholl
Florian Schwab
Johannes Simon
Daniel Spengler
Maxim Asjoma
Universität Prag
Marie Theres Holzhausen
Universität Hannover
Katharina Schühly
Universität Göttingen
Faxin Teng
Universität Halle-Wittenberg
Thomas Wied
Universität Berlin
7
Gäste
Dr. Rudolf Mikus
Mitglied der ASM e.V.,
Träger der Alfred Müller-Armack-Verdienstmedaille (2006)
Professor Dr. Christian Milow
Präsident a.D. der Landeszentralbank
in den Freistaaten Sachsen und Thüringen
Dr. Markus Stahl
Mitglied der ASM e.V.,
Geschäftsführer von Steinhart & Stahl Vermögensverwaltung GmbH
Mauricio Vargas
Ehem. Geschäftsführer der ASM e.V.
ab Jan 2011: Junior Economist bei Union Investment
8
Hubert Temmeyer:
„Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen
Umfeld“
Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung
9
Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld
von Dr. Hubert Temmeyer
Das internationale Währungssystem umfasst die Festlegung von Regeln und
Konventionen, unter denen die monetären Transaktionen zwischen einzelnen Ländern
bzw. Währungsgebieten abgewickelt werden. Es wird durch Aktionen der Regierungen
und Notenbanken, der informellen Gremien (G20, G7) und der internationalen
Institutionen (u.a. IWF) gestaltet.
Der IWF trägt v.a. durch seine Surveillance- und Kreditvergabefunktion zur Stabilität
des internationalen Währungssystems bei. Er gibt als unparteiischer, aber nicht
unabhängiger Ratgeber wirtschaftspolitische Empfehlungen an seine Mitglieder (er ist
aber kein „Schiedsrichter“), er überwacht das internationale Währungssystem und
vergibt an Mitglieder mit Zahlungsbilanzproblemen temporär Kredite unter Auflagen
(Konditionalität).
Seit einiger Zeit ist die Diskussion über eine mögliche Neuordnung des
internationalen Währungssystems wieder aufgelebt. Hierzu beigetragen haben die
globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die anhaltend hohen Ungleichgewichte in den
Zahlungsbilanzen, die hohe Volatilität der Kapitalströme, der starke und dynamische
Aufbau von Währungsreserven in manchen Schwellenländern und die zunehmenden
Risiken, die aus den steigenden Staatsschulden resultieren.
Auch der IWF ist in die Kritik geraten, und ihm wird eine Mitschuld an den
Instabilitäten des internationalen Währungssystems vorgeworfen. Es wird vorgebracht,
dass (1) er seine bilaterale und multilaterale Surveillance nur unzureichend
wahrgenommen hat, dass (2) sein Kreditinstrumentarium Lücken aufweist, dass (3)
seine Finanzmittel für Krisen nicht ausreichen, dass (4) seine Organisations- und
Entscheidungsstrukturen die veränderten globalen wirtschaftlichen und politischen
Gewichte nicht mehr angemessen widerspiegeln und dass (5) er den
Kapitalverkehrstransaktionen, dem Wechselkurssystem und den Währungsreserven
zu wenig Beachtung schenkt.
(1) Surveillance: Die Kritik an der IWF-Surveillance ist berechtigt. Als Reaktion wurde
die Surveillance angepasst und ausgeweitet. Die Finansektor-Surveillance wird
intensiviert (Early Warning Exercise, verbindliche FSAPs). In Spillover-Berichten sollen
externe Wirkungen der heimischen Politik analysiert werden (Pilotprojekt für USA,
Japan, China, Großbritannien, Eurogebiet). Im Auftrag der G-20 soll der IWF große,
anhaltende Leistungsbilanzungleichgewichte mittels zu vereinbarender Anhaltswerte
(„indicative guidelines“) beurteilen.
(2) Kreditinstrumentarium: Das IWF-Kreditinstrumentarium wurde um sog.
„vorsorgliche“ Instrumente ohne akuten Zahlungsbilanzbedarf erweitert (Flexible Credit
Line, Precautionary Credit Line). Weitergehende Vorschläge zur Einrichtung eines
globalen Stabilisierungs-Mechanismus beim IWF (GSM) sind problematisch, weil der
GSM eine Vorab-Verpflichtung zur unbegrenzten Liquiditätsbereitstellung der
Reservewährungsländer bzw. deren Zentralbanken voraussetzt. Darüber hinaus
10
ähnelt er Swaplinien der Zentralbanken, allerdings ohne deren Bedingungen und
Voraussetzungen (Eingriff in die Autonomie der Notenbanken). Er käme einer
„permanenten“ Swaplinie der Zentralbanken mit dem IWF gleich – ein Instrument,
welches die Zentralbanken selbst untereinander wegen geldpolitischer Implikationen
und Anreizverzerrungen nicht permanent aufrecht erhalten (Wahrung der „constructive
ambiguity“).
(3) Finanzierung: Als Reaktion auf die globale Finanz- und Wirtschaftskrise wurden
die IWF-Ressourcen deutlich erhöht. Um über kurzfristige Engpässe
hinwegzukommen, haben zahlreiche Länder bzw. deren Notenbank dem IWF
bilaterale Kreditlinien eingeräumt (Bundesbank bis zu 15 Mrd Euro). Die Neuen
Kreditvereinbarungen, eine Notfallreserve, die bei einer „Gefährdung des
internationalen Währungssystems“ aktiviert werden können, sind um neue Mitglieder
erweitert und von 34 Mrd SZR auf 367 Mrd SZR erhöht worden (Ratifizierungsprozess
ist noch nicht abgeschlossen worden). Im Oktober 2010 wurde eine Verdopplung der
gesamten Quotensumme (von 238 Mrd US-$ auf 476 Mrd US-$) bei einer
entsprechenden Rückführung der Neuen Kreditvereinbarungen vereinbart.
(4) Quoten- und Governancereformen: Die G-20 haben eine Quotenumverteilung
zugunsten der dynamischen Schwellen- und Entwicklungsländer in Höhe von 6%Punkten und eine erneute Überprüfung der Quotenformel bis Januar 2013
beschlossen. Die Quotenanpassung wird die gewachsenen Gewichte der
dynamischen Schwellenländer in der Weltwirtschaft besser wiederspiegeln. Außerdem
haben die G-20 Beschlüsse zur Änderung der Governance-Strukturen im IWF gefasst.
U.a. sollen die Europäer zwei Sitze im IWF-Exekutivdirektorium abgeben, künftig alle
Exekutivdirektoren gewählt (und nicht mehr z.T. ernannt) und die Anzahl von 24 Sitzen
im Board beibehalten werden.
(5) Internationales Währungssystem: Der IWF wird verstärkt Analysen zum
Kapitalverkehr und zu den Reserven erarbeiten sowie die Rolle der
Sonderziehungsrechte im Währungssystem untersuchen. Inwieweit daraus eine
Erweiterung des IWF-Mandats um Kapitalverkehrstransaktionen erfolgt, ist offen.
Ebenfalls zu klären ist die Rolle des IWF bei Beschränkungen des Kapitalverkehrs.
11
Protokoll zur Sitzung von Dr. Hubert Temmeyer:
„Die Rolle des IWF in einem veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld“
Protokollierende:
Sven Christens, Pablo Duarte, Jakob Maidowski, Marie-Christin Scholl, Johannes Simon
Einleitung
Der IWF hat eine bedeutende Rolle im internationalen Währungssystem, da er durch
verschiedene Funktionen zur Stabilität des Währungssystems beiträgt. Letzteres umfasst
dabei sämtliche Regeln und Konventionen, unter denen die monetären Transaktionen
zwischen Ländern, beziehungsweise Währungsgebieten, abgewickelt werden. Wichtige
Akteure, die das internationale Währungssystem mitgestalten, sind die Regierungen der
einzelnen Staaten und die Zentralbanken, informelle Gremien wie G7 und G20 und
internationale Institutionen wie der IWF.
Die aktuelle Diskussion über eine Neuordnung des internationalen Währungssystems
wurde durch die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, sowie zunehmende
Ungleichgewichte in den Zahlungsbilanzen und eine hohe Volatilität der Kapitalströme
angestoßen. Auch die übermäßige Akkumulation von Währungsreserven und Risiken
durch steigende Staatsschulden haben zu einer Kritik an den bestehenden Strukturen im
Währungssystem geführt. Dabei ist auch der IWF selbst in die Kritik geraten. Die
Beanstandungspunkte beziehen sich auf die fünf Bereiche Surveillance, Kreditvergabe,
Finanzierung, Quoten- und Governancereform, sowie die allgemeine Rolle des IWF im
internationalen Währungssystem.
(1) Surveillance
Hat die IWF-Surveillance versagt, da keine rechtzeitige Warnung des IWF vor der
Wirtschafts- und Finanzkrise kam?
Die bisherige IWF-Surveillance bestand aus einer bilateralen und einer multilateralen
Komponente. In Übereinstimmung mit den Artikel IV-Konsultationen wurden regelmäßig
Missionen in alle IWF Mitgliedsländer geschickt. Auf Grundlage der Konsultationen wurden
dann Strukturreformen entwickelt und empfohlen, die Umsetzung der Programme lag aber
in der Verantwortung der nationalen Behörden. Die multilaterale Komponente umfasste
den World Economic Outlook, den Global Financial Stability Report, sowie den Fiscal
Monitor.
Nach der zunehmenden Kritik am Instrumentarium des IWF kam es zu einer Überprüfung
der Surveillance-Funktion. Dabei wurden drei Erweiterungen beziehungs-weise
Anpassungen vorgenommen. Die Wechselwirkungen von Real- und Finanzsektor sollen in
Zukunft stärker beachtet werden. Zudem sollen „Early Warning Exercises“ zu einer
frühzeitigen Erkennung von Problemen führen, so dass der IWF nicht mehr erst mit Beginn
der Probleme aktiv wird, sondern präventiv eingreifen kann. Eine ähnliche Evaluierung
sollen mit den „Financial Sector Assessment Programs“ erreicht werden. Zweitens soll die
multilaterale Surveillance gestärkt werden. Spill-over-Berichte sollen die Effekte von einem
Land auf andere Wirtschaftsräume analysieren, wie z.B. der Einfluss der Schuldenkrise in
den USA auf andere Länder. Der OHIO Grundsatz „keep your own house in order“ sieht
dabei inländische Stabilität als Voraussetzung für eine externe Stabilität der
Wirtschaftsräume. Ein Pilotprojekt mit den USA, Japan, China, UK und Ländern des
12
Eurogebiets läuft bereits. Schließlich wurden „indicative guidelines“ entwickelt, um globale
Ungleichgewichte wie Leistungsbilanzungleichgewichte anhand von allgemein gültigen
Schwellen beurteilen zu können. Diese Richtlinien sollen auch die Gründe der
Ungleichgewichte analysieren, wie zum Beispiel mögliche Rohstoffvorkommen,
demographische Entwicklungen etc.
(2) Kreditvergabe
Vor der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise bestimmten vier Prinzipien die
Kreditvergabe des IWF. Um Kredite erhalten zu können, musste ein Land einen akuten
Zahlungsbilanzbedarf vorweisen. Zur Gewährleistung einer dauerhaften Lösung der
Probleme waren die vergebenen Kredite an durch den IWF festgelegte Bedingungen
geknüpft (Konditionalität). Dadurch sollten sie dem Land den Erhalt weiterer Kredite aus
privater Hand ermöglichen (Katalysatorfunktion). Dem Gleichbehandlungsgrundsatz
zufolge sollten alle Mitgliedsländer des IWF in gleicher Art und Weise behandelt werden.
Dieses Instrumentarium erwies sich als unzureichend, da es weder vorsorgliche, d.h.
präventiv wirkende, Maßnahmen beinhaltete, noch schnelle automatische Auszahlungen
in Krisensituationen bewirken konnte. Darüber hinaus wurden die fehlende Flexibilität
sowie die zu kleinen Kreditvolumina kritisiert.
Als Reaktion auf die negativen Erfahrungen mit den vorhandenen Mitteln zur
Kreditvergabe wurden und werden neue „vorsorgliche“ Instrumente entwickelt, die auch
eingesetzt werden können, falls kein Zahlungsbilanz-bedarf vorliegt. Die in ihrer Höhe im
Voraus nicht begrenzte „Flexible Credit Line“ (FCL) stellt Ländern, denen vom IWF ein
„sehr guter“ Politikstil attestiert wird, Kredite mit einer Laufzeit von zwei Jahren ohne
Konditionalität zur Verfügung. Die „Precautionary Credit Line“ (PCL), die auf eine
Ziehungshöhe von 1000 % der Quote begrenzt ist und die eine geringe Konditionalität
beinhaltet, wird unter der Voraussetzung eines „guten“ Politikstils für ein bis zwei Jahre
vergeben. Diese beiden Instrumente bedeuten eine deutliche Abkehr von den Prinzipien
der Konditionalität, der Gleichbehandlung sowie dem Zahlungsbilanz-bedarf. Offen bleibt
auch, wie mit Ländern umgegangen werden soll, deren Politikstil nicht den Anforderungen
des IWF genügt.
Ein weitergehender Vorschlag ist die Einführung eines „Global Stabilization Mechanism“
(GSM) mit dem Ziel, den Aufbau sehr großer Devisenreserven, besonders in den
Schwellenländern, zu begrenzen. Dies beinhaltet das Angebot sofort abrufbarer und in
ihrer
Höhe
nicht
begrenzter
Liquidität
seitens
der
Zentralbanken
der
Reservewährungsländer. Da der GSM, anders als die bereits bestehenden und dem GSM
ähnelnden Swap-Linien zwischen den Zentralbanken, keine Konditionalität erfordern
würde, könnten durch falsche Anreizstrukturen und Moral Hazard schwere Probleme
entstehen. Darüber hinaus würde die Einführung des GSM die geldpolitische Autonomie
der Zentralbanken einschränken.
(3) Finanzierung
Reichen die Finanzmittel des IWF aus?
Um die Funktion der Kreditvergabe zu erfüllen, muss der IWF über genügend Mittel
verfügen, die bei Liquiditätsnöten der Länder benutzt werden können. Um dies zu sichern,
hat der IWF als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 seinen Kapitalstock
stark erhöht.
13
Die Hauptquelle der Finanzierungsressourcen des IWF sind die Quoten der
Mitgliedstaaten. Darüber hinaus verfügt der IWF über Notfallreserven, die aus Krediten
einiger Mitgliedstaaten bestehen. Diese allgemeinen Kreditvereinbarungen (AKV) können
bei Notsituationen, die das internationale Währungssystem in Gefahr bringen, aktiviert
werden. Im Jahr 1998 traten die um neue leihende Mitgliedsstaaten erweiterten neuen
Kreditvereinbarungen (NKV) in Kraft, welche die Notfallreserven erhöhten.
Als Reaktion auf die jüngste Finanzkrise wurden die Ressourcen der NKV von 34 Mrd.
US-$ auf 367 Mrd. US-$ durch eine erneute Erweiterung der leihenden Mitglieder erhöht.
Außerdem sind bilaterale Kreditlinien geschaffen worden, die bei kurzfristigen
Liquiditätsengpässen genutzt werden können. Infolge der Reformen des IWF wurde eine
Verdopplung der Quotensumme bei einer entsprechenden Rückführung der NKV
beschlossen. Insgesamt stiegen dadurch die gesamten Kapitalreserven von 386,1 Mrd.
US-$ auf 921,6 Mrd. US-$.
(4) Quoten- und Governancereform
Die Frage, ob interne Strukturen und eine fehlende Überwachung in den Industriestaaten
Gründe für die Wirtschafts- und Finanzkrise waren, stellte sich im Vorfeld der neuen
Quoten- und Governancereformen. Nach Meinung Temmeyers ist dies der Fall gewesen.
Zudem hätten die Schwellenländer zu wenige Stimmen im IWF. Mehr Macht für
Schwellenländer sei infolge der Reformen notwendig. Bei der jetzigen Reform soll neben
den Stimmanteilen auch deren Anzahl der Sitze im IWF- Direktorium ansteigen („shares
and chairs“). Die EU sei Berechnungen zufolge in Bezug zum Welthandel im IWF nicht
überrepräsentiert, China sei jedoch unterrepräsentiert. Das Reich der Mitte erhielt mehr
Stimmen und liegt somit nun in Bezug auf die Stimmanteile vor Deutschland. Damit liegt
China nun auf Platz 4 der Anteilseigner. Wäre die Quotenformel exakt angewendet
worden, wäre China sogar an Japan vorbeigezogen. Des Weiteren wurde bei den
Reformen beschlossen, dass das Exekutivdirektorium nun aus 24 Sitzen bestehen soll
und die EU infolge der Reform zwei Sitze im IWF- Direktorium abgeben muss. Welche
Länder genau davon betroffen sein werden, und ob zwei Länder sich künftig einen Sitz
teilen, ist noch nicht beschlossen. Die Quotenformel soll erneut 2013 und die
Zusammensetzung des IWF- Direktoriums nun alle acht Jahre überprüft werden.
(5) Internationales Währungssystem
Der IWF steht nach der letzten Wirtschaftskrise vor neuen Aufgaben. Nachdem die Krise
Industrienationen besonders hart traf, müssen einige Elemente des internationalen
Finanzsystems neu bewertet und erfasst werden.
Der IWF muss nun geeignete Kriterien für die angemessene Höhe der Währungsreserven
finden. Zwar sind Währungsreserven nicht grundsätzlich als schlecht zu bewerten, in
einigen asiatischen Ländern übersteigen sie jedoch bei weitem die Höhe, die meistens als
angemessen erachtet wird. Der IWF steht künftig vor der Aufgabe, konkrete
Empfehlungen zu geben, um einer immer stärkeren Akkumulation von Währungsreserven
entgegenzuwirken.
Außerdem muss die Rolle der Sonderziehungsrechte neu untersucht und ihre
Zusammensetzung neu bewertet werden. Neue Wege der Kapitalerfassung und der
14
Kooperation auf interstaatlicher Ebene sind notwendig, um grenzüberschreitende
Kapitalströme effektiver erfassen zu können.
Fazit
Abschließend lässt sich eine neue und gewachsene Rolle des IWF feststellen. Dies
beinhaltet eine intensivere Surveillance, neue Kreditinstrumente, umfangreichere
finanzielle Ressourcen sowie eine neue Machtverteilung innerhalb des IWF zugunsten von
Schwellenländern. Dabei bilden mehr Analysen zum Internationalen Währungssystem die
Grundlage von Reformen, die in den letzten Jahren umgesetzt oder angestoßen wurden.
Ob durch diese Reformen der IWF besser und das internationale Währungssystem
stabiler werden, ist offen und wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen.
15
Michael Heise:
„Die Rolle des Dollar: „safe haven“ für wie lange?“
Protokoll zur Sitzung
16
Protokoll zur Sitzung von Dr. Michael Heise:
„Die Rolle des Dollar: „safe haven“ für wie lange?“
Protokollierende:
Thomas Grieb, Dominique Kläber-Michalcik, Katharina Schühly, Martin Wiegand, Matthias
Wieschemeyer
In der letzten Zeit wird eine leidenschaftliche Debatte über die Zukunftsfähigkeit des
Dollars als Leitwährung geführt. Als Auslöser hierfür sind u.a. die Schwierigkeiten und
Herausforderungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zu nennen. Es sind aber vor
allem die strukturellen Probleme der USA, insbesondere das exorbitante Haushaltsdefizit
sowie das stetig ansteigende Leistungsbilanzdefizit, die den Dollar auf eine enorme
Bewährungsprobe stellen. Doch trotz dieser Unsicherheitsfaktoren, und obwohl die USA
das Epizentrum der Krise darstellten, flüchteten die Anleger Ende 2008 ausgerechnet in
den Dollar. Ob und wie lange der Dollar diese Funktion eines safe haven, also einer
Zuflucht in Krisenzeiten, und ganz allgemein seine Rolle als Leitwährung beibehalten wird,
soll in diesem Vortrag geklärt werden.
Merkmale einer internationalen Leitwährung
Eine Leitwährung ist definiert als die international bedeutsamste Währung. Heise geht auf
drei verschiedene Funktionen einer Leitwährung besonders ein und untersucht jeweils die
Trends hinsichtlich des Dollars in Bezug auf diese Funktionen.
Die erste ist die Funktion der Anlagewährung, also der ausländischen Vermögenshaltung
oder -bildung. Eine Unterfunktion ist die Reservefunktion, also die Devisenhaltung
ausländischer Notenbanken.1 In diesem Zusammenhang wird der dramatische Anstieg der
weltweiten Währungsreserven genannt, der besonders von Emerging Markets wie den
BRIC-Staaten, aber auch den ölexportierenden Staaten ausgeht. Knapp zwei Drittel der
weltweiten Währungsreserven sind in US-Dollar notiert, mit leicht fallender Tendenz,
allerdings großem Vorsprung vor dem Euro als zweitwichtigster Reservewährung.
Die zweitens genannte Funktion einer Leitwährung ist die eines internationalen Zahlungsmittels und einer Fakturierungswährung. Mehr als die Hälfte der internationalen
Finanztransaktionen und gut zwei Drittel der internationalen Handelstransaktionen werden
in Dollar abgewickelt. An den Transaktionen auf den Devisenmärkten hat der Dollar sogar
einen Anteil von 86%.
Als dritte Leitwährungsfunktion wird die Rolle als Ankerwährung genannt. Auch als solche
ist der Dollar am bedeutendsten. So koppeln derzeit von den weltweit 207 Ländern mehr
als die Hälfte ihre Währung an den Dollar (die meisten davon mittels pegged floats). In
Hinblick auf die drei oben genannten Merkmale ist der Dollar also eindeutig die
internationale Leitwährung.
1 Die Subsumtion unter den Begriff Anlagewährung darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich staatliche
Reserven und private Geldanlagen hinsichtlich der Akteure und Motivationen komplett unterscheiden.
17
Voraussetzungen für ein Leitwährungsland
Heise sieht fünf notwendige Bedingungen, die ein Land erfüllen muss, um Emittent der
Leitwährung zu werden und mittelfristig zu bleiben. Als erste Bedingung wird
wirtschaftliche Dominanz genannt.2 Die USA sind momentan die mit Abstand größte
Volkswirtschaft. Allerdings ist vor dem Hintergrund des sinkenden Anteils der USA an der
Weltwirtschaft und der hohen Wachstumsraten Chinas davon auszugehen, dass China
binnen 30 Jahren die USA eingeholt haben wird. Heise wirft ein, dass angesichts der
schwindenden Bedeutung Europas die EU ihre augenblickliche Position in der
Weltwirtschaft nutzen solle, um die Weichen für eine Institution zur Koordination des
Weltwährungssystems zu stellen. Hierzu sei eine Beschränkung auf die wichtigsten
Akteure erforderlich; diese sind die USA, China und die EU, sowie möglicherweise Japan.3
Als zweite Bedingung wird das Vertrauen in eine stabile Geld- und Finanzpolitik genannt.
Dieses ist im Falle der USA zur Zeit dank wachsender Verschuldung und stark expansiver
Geldpolitik ins Wanken geraten. Dennoch ist mit Blick auf die Vergangenheit zu erwarten,
dass in absehbarer Zeit strenge Konsolidierungsmaßnahmen getroffen werden.
Als dritte Voraussetzung wird die Safe-Haven-Funktion der Leitwährung genannt, also die
Eigenschaft, dass Anleger aufgrund der erwarteten Immunität gegen Schocks in diese
Währung flüchten. Auch diese Funktion erfüllt der Dollar, wie bei den Ölpreisschocks der
Siebzigerjahre und auch der aktuellen globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ersichtlich
wurde.
Die beiden verbleibenden Bedingungen sind freie und unbegrenzte Konvertibilität sowie
die Existenz tiefer und entwickelter Finanzmärkte. Beide Voraussetzungen werden vom
Dollar bzw. den USA ohne Einschränkung erfüllt.
Gesamtwirtschaftliche Trends der USA
Die spannende Frage ist nun, wie lange die USA die oben genannten Voraussetzungen
noch erfüllen werden. Dies soll mit Hilfe eines Blicks auf aktuelle gesamtwirtschaftliche
Trends beantwortet werden. Die Wirtschaftskrise hat in den letzten Jahren zu einer großen
Produktionslücke geführt, d.h. ineffizientem Ressourceneinsatz mit überdurchschnittlicher
Teuerungsrate als Folge. Die Ursache ist bekanntermaßen die US-Immobilienkrise: der
Verfall der Häuserpreise um etwa 50% und die damit einhergehenden Zahlungsausfälle,
weil der drastisch gesunkene Gegenwert der Häuser die offene Kreditschuld nicht mehr
decken konnte. Als Reaktion auf die hiervon ausgehende Rezession wurden ein
gigantisches Konjunkturpaket sowie ein umfangreiches Programm zur Bankenrettung
beschlossen, was die Staatsverschuldung in Rekordhöhe trieb. Zusätzlich hat die
2 Auch militärische, politische oder kulturelle Dominanz mögen hier eine Rolle spielen, treten aber vor der Bedeutung
wirtschaftlicher Dominanz in den Hintergrund.
Zu beachten ist die Ambiguität des Dominanzbegriffs. Wirtschaftliche Dominanz ist im Sinne von gesamtwirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und nicht im Sinne einer Vormachtstellung zu verstehen.
3 Die zukünftige wirtschaftliche Bedeutung Japans gilt als ungewiss. Einerseits ist die demographische Entwicklung
Japans äußerst ungünstig und das Staatsdefizit enorm, andererseits bergen die dynamischen Unternehmen ein hohes
Wachstumspotential.
18
amerikanische Notenbank den Leitzins sukzessive auf 0-0,25% gesenkt und Ankäufe von
Staatsanleihen und Wertpapieren in Höhe von mehr als einer Billion US-Dollar
beschlossen.
Trotz dieser die Stabilität des Dollars gefährdenden Maßnahmen scheint sich der Vertrauensverlust in die Währung in Grenzen zu halten. Ein Grund hierfür ist das ungetrübt
hohe Wachstumspotential, das von der vorteilhaften demographischen Entwicklung in den
USA gestützt wird. Zudem wird die nachfrageorientierte Fiskalpolitik als sinnvolle Reaktion
auf die Rezession wahrgenommen, die laut Heise einem Lehrbuch über keynesianische
Krisen entstammen könnte. Zu bedenken ist allerdings, dass wirtschaftliche Erholung mit
rechtzeitiger Konsolidierung einhergehen muss. Einerseits ist die Tendenz hin zu einer
restriktiveren Fiskalpolitik schon jetzt erkennbar. Heise empfiehlt, das momentane
Wachstum weiterhin zum Abbau des Haushaltsdefizits zu nutzen. Andererseits besteht
aber angesichts der auch für das kommende Jahr erwarteten stark expansiven Geldpolitik
in Form von weiteren Ankäufen von Staatsanleihen und der Beibehaltung des
Nullzinsniveaus die Gefahr einer inflationären Wirkung. Zwar hält sich diese momentan
noch in Grenzen, ist aber durch das Time-Lag-Problem, also die unvorhersehbare zeitliche
Verzögerung der Wirkung von Geldpolitik, eine echte Bedrohung für die Stabilität des
Dollars. Als historisches Beispiel einer verfehlten Geldpolitik kann die Reaktion auf das
Platzen der New-Economy-Blase gesehen werden. Auch hier hat die Federal Reserve als
Maßnahme zur Konjunkturbelebung den Leitzins extrem gesenkt, was zur Ausweitung der
Kreditvergabe von Geschäftsbanken auch an Darlehensnehmer mit geringer Bonität und
somit zum Aufblähen der Immobilienblase führte. Ein weiteres Argument für eine zeitnahe
Anhebung des Leitzinses ist die Initiierung privater Konsolidierung, d.h. der Erhöhung der
Sparquote. Ein politischer Anreiz zur Fortführung der expansiven Geldpolitik besteht aber
in der Möglichkeit zu einer Reduktion des exorbitanten Leistungsbilanzdefizits. Daher
besteht derzeit auch der begründete Verdacht, dass die USA eine Beggar-thy-NeighbourPolitik betreiben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es vor allem von der amerikanischen Geldpolitik
und deren Folgen abhängt, wie sich das Vertrauen in den Dollar entwickelt. Verlässliche
Prognosen gestalten sich als schwierig, besonders weil das hohe Leistungsbilanzdefizit
und das Ausmaß der quantitativen Lockerung einzigartig in der amerikanischen
Geschichte sind. Das weiterhin hohe Wachstumspotential der USA und die Aussicht auf
fiskalische Konsolidierung gestatten jedoch einen vorsichtig optimistischen Blick auf die
nahe Zukunft des Dollars.
Ein Blick auf die Alternativen zum Dollar
Der wichtigste Grund dafür, dass der Dollar als Leitwährung in absehbarer Zeit nicht verdrängt wird, ist laut Heise der Mangel an ernstzunehmenden Alternativen. Der Euro ist zumindest in näherer Zukunft angesichts der aktuellen Schuldenkrise keine Alternative zum
Dollar. Aber auch mittelfristig besteht ein großes Maß an Unsicherheit durch die
Heterogenität der Euro-Mitgliedsstaaten, mangelnde fiskalpolitische Kooperation und
überalternde Gesellschaften. Dem Yuan fehlt freie Konvertibilität, die chinesischen
Kapitalmärkte sind vergleichsweise wenig entwickelt, und es besteht ein hohes Maß an
Unsicherheit hinsichtlich politischer Entwicklungen. Auch die Sonderziehungsrechte des
Internationalen Währungsfonds (IWF) scheiden als Leitwährungsersatz aus: es müsste ein
bisher nicht gekanntes Maß an internationaler Zusammenarbeit und damit verbundene
19
Einschränkung nationaler geldpolitischer Souveränität erreicht werden. Zudem müsste der
IWF die schier unmögliche Aufgabe einer Weltzentralbank übernehmen – wozu sowohl die
institutionellen Voraussetzungen als auch der politische Kooperationswille fehlen. Auch
eine irgendwie geartete Rückkehr zum Goldstandard ist keine Option zur Reformierung
des Weltwährungssystems. Dieser ist weder politisch umsetzbar noch – mit Blick auf das
Versagen des Bretton-Woods-Systems – aufgrund des starren Geldangebots und der
damit einhergehenden deflationären Tendenz ökonomisch sinnvoll.
Abschließend gibt Heise aber zu bedenken, dass am Beispiel des Übergangs vom britischen Pfund zum amerikanischen Dollar ersichtlich wird, dass sich ein
Leitwährungswechsel in der Regel über Dekaden hinweg schrittweise vollzieht.
Insbesondere werden sich die verschiedenen Funktionen, die eine Leitwährung
konstituieren, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit anpassen. Während beispielsweise
ein schwächelnder Dollar als Reservewährung verhältnismäßig schnell substituiert werden
kann, wird ein Wandel zu einer neuen Fakturierungswährung im Außenhandel aufgrund
bestehender Netzwerkeffekte wesentlich langsamer vonstattengehen.
Obgleich also der Dollar in seiner Funktion als Leitwährung wie auch insbesondere als
safe haven wohl nicht abrupt abgelöst wird, ist ein Wandel zu einem multipolaren
Währungssystem, bestehend z.B. aus US-Dollar, Euro und Yuan, langfristig denkbar. Dies
hätte den Vorteil, dass durch den sich verschärfenden Wettbewerb der Währungen
binnen- und globalwirtschaftliche Interessen der Leitwährungsräume stärker konvergieren
als in einem unipolaren Währungssystem.
20
Jürgen Stark:
„Die Zukunft des Euro“
Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung
21
Die Zukunft des Euro
von Prof. Dr. Jürgen Stark
Grundlagen der EWU:
• Währungsunion: Unabhängige Zentralbank, klares Mandat für EZB, NichtEinstandsklausel, Verbot monetärer Finanzierung
• Wirtschaftsunion: Nationale Kompetenz der Wirtschaftspolitik, aber Notwendigkeit
enger Koordinierung, haushaltspolitische Regeln (Stabilitäts- und Wachstumspakt SWP), Wirtschaftspolitische Leitlinien.
Bewertung:
EZB ist ihrem Mandat nachgekommen, aber die Teilnehmerstaaten haben sich nur
unzulänglich oder gar nicht an die Bedingungen einer gemeinsamen Währung angepasst.
• Mandat der Preisstabilität erfüllt.
• Divergenzen zwischen den Teilnehmerstaaten
• Fehlender politischer Wille, Haushaltsregeln anzuwenden, Verwässerung des SWP.
• Mangelnde Koordinierung der Wirtschaftspolitiken hat zu wirtschaftlichen
Ungleichgewichten geführt.
Die Lehren, die aus dieser Erfahrung zu ziehen sind:
• SWP benötigt Automatismen bei Sanktionen und muss entpolitisiert werden.
• Zur makroökonomischen Überwachung wird ein wirksamer Mechanismus zum
Abbau und zur Verhinderung von wirtschaftlichen Ungleichgewichten benötigt.
• Ein wie auch immer gearteter Krisenmanagementmechanismus wird dies nicht
leisten.
22
Protokoll zur Sitzung von Prof. Dr. Jürgen Stark:
„Die Zukunft des Euro“
Protokollierende:
Timo Alberts, Anne-Katrin Beurer, Alessio Hommel, Daniela Kastner, Paul Tscheuschner
Prof. Dr. Jürgen Stark referierte in seinem Vortrag über die Zukunft des Euro. Er nahm
insbesondere Bezug auf die gegenwärtige Situation, erinnerte an die Grundlagen der
Währungsunion und zog eine Bilanz, was erreicht wurde und in welchen Bereichen
weiterhin Defizite existieren. Schließlich machte er Vorschläge zur Lösung aktueller
Probleme und gab einen kurzen Ausblick in die Zukunft.
Nach Ausführungen von Professor Stark handelt es sich bei der aktuellen Krise, die nicht
im Euroraum begann, nicht um eine Eurokrise, sondern um eine Staatsfinanzkrise an der
Peripherie des Euroraums, die sich durch Staatsausgaben zur Rettung nationaler Banken
oder im Rahmen von Konjunkturprogrammen im Verlauf der Krise verschärft hat. In
anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Großbritannien sei die
Staatsverschuldung ebenfalls angestiegen, sogar in verstärktem Maße. Die europäische
Währung würde derzeit hauptsächlich unter Druck gesetzt werden, da die Märkte testeten,
ob Europa mit den hohen Schuldenständen bestimmter Euro-Mitgliedsstaaten umgehen
kann.
Grundlagen der EWU
Zunächst erinnerte Professor Stark an die Grundlagen der Wirtschafts- und
Währungsunion, die er für eine gute Orientierung in Krisenzeiten hält. Seinen
Ausführungen zufolge sind zentrale Bestandteile der Währungsunion eine unabhängige
Zentralbank (festgeschrieben in Artikel 130 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union, im Folgenden „Vertrag“) mit dem eindeutigen Mandat der
Preisniveaustabilität innerhalb des Euroraums (im Gegensatz zur amerikanischen FED,
die überdies ein hohes Maß an Beschäftigung und mittelfristig niedrige Zinsen sichern
soll), die Nicht-Einstandsklausel (Artikel 125, 1 des Vertrags) und das Verbot monetärer
Finanzierung (Artikel 123 des Vertrags).
Die Grundsätze der Wirtschaftsunion charakterisierte Professor Stark als ein System mit
nationalen Kompetenzen in der Wirtschaftspolitik, welche aber einer engen Koordinierung
in Form von unverbindlichen Leitlinien, Empfehlungen und Selbstverpflichtungen auf
europäischer Ebene bedürfen (Artikel 121 des Vertrags). Haushaltspolitische Regeln
wurden im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) eingeführt. Im Rahmen
dieser Klauseln (Artikel 126) wurde festgelegt, dass die jährliche Neuverschuldung eines
Landes der EWU nicht über 3% und der Gesamtschuldenstand nicht über 60% des BIP
steigen darf. Bei Nichteinhaltung drohten Sanktionen. Für die Kontrolle dieser Indikatoren
waren die EWU Mitgliedsstaaten verpflichtet, ihre jeweiligen Zahlen zu veröffentlichen. Ziel
dieser obligatorischen Publikationen war es einer zu großen Verschuldung vorzubeugen
sowie korrektive Maßnahmen bei Überschreitung der Haushaltsregeln ergreifen zu
können. Durch die Existenz von drohenden Sanktionen hätte der SWP funktionieren
können, allerdings führte die Nichtbestrafung von Frankreich und Deutschland im Jahr
2003 dazu, dass sich die anderen Staaten fortan nicht mehr an den SWP gebunden
fühlten, da sie keine Bestrafung bei Nichteinhaltung zu befürchten hatten.
23
Status Quo
Im zweiten Teil des Vortrags ging Professor Stark auf den aktuellen Stand der EWU ein.
Es wurde zuerst ein Überblick über die Schritte der wirtschaftspolitischen Koordinierung
innerhalb der EWU gegeben (ab 1993/1994 Wirtschaftspolitische Leitlinien, ab 2000:
Lissabon Strategie, ab 2010: Europa 2020). Professor Stark kritisierte, dass bei der
Erstellung des Rahmenwerks die unterschiedliche Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit
innerhalb der Eurozone ebenso wenig berücksichtigt wurde, wie das Problem
wirtschaftlicher Ungleichgewichte und die diesbezüglich zu ergreifenden Maßnahmen.
Hierzu ging er auf die Konvergenzberichte des EWI und der EZB ein. Aus diesen
Berichten geht hervor, dass die makroökonomischen Gefahren bestimmter Staaten bereits
vor deren Beitritt in die EWU bekannt waren. Insbesondere auf den hohen Schuldenstand
von Staaten wie Belgien, Italien (1998), Griechenland (2000) und die hohe Inflation in der
Slowakei (2008) und in Estland (2010) wurde hingewiesen.
Anschließend besprach Professor Stark das geldpolitische Ziel der EZB, die
Preisniveaustabilität. Eine Grafik verdeutlichte den Konvergenzprozess zwischen
Deutschland und der restlichen Euroregion im Zeitraum 1970-2011. Vor Gründung der
Währungsunion existierten teilweise Preisniveauunterschiede von über 5 Prozentpunkten.
Seit 1999 verringerten sich diese und näherten sich dem niedrigen deutschen Niveau an.
Da Preisniveausteigerungen für Euroland bis zu Beginn der Finanzkrise circa 2%
betrugen, erklärte Professor Stark das Ziel der Preisniveaustabilität als erreicht.
Danach ging er auf die Entwicklung des Euro-Wechselkurses zum Dollar ein. Eine Grafik
verdeutlichte, dass nach der Einführung des Euros zunächst Abwertungstendenzen
auftraten. Professor Stark sieht hierfür die damalige Schwäche der deutschen Wirtschaft
als primären Grund an. Er machte darauf aufmerksam, dass ab 2004 der nominale
effektive Euro-Wechselkurs in einem engen Band um den Wert 1 schwankte, wohingegen
der reale Dollar-Euro-Wechselkurs stetig aufwertete. Von einer Krise des Euro auf Grund
der Abwertung infolge der Finanzkrise zu sprechen hält er deshalb für falsch. Noch immer
ist der Euro gegenüber dem Dollar gut bewertet. Die Abwertung war in diesem
Zusammenhang ein natürlicher Konvergenzprozess.
Im Anschluss wurde eine Bilanz des SWP gezogen. Nach Professor Starks Ansicht hat
dieser versagt. Als Grund gab er das häufige unsanktionierte Überschreiten der SWP
Regeln an. Selbst in den Jahren mit den positivsten Konjunkturverläufen (2000, 2007) gab
es Staaten mit einer überhöhten Nettoneuverschuldung. Das Problem sieht er in der
mangelnden Regelbindung innerhalb des Pakts. Es wurden Fristen verlängert, Verfahren
ausgesetzt und letztendlich keine Sanktionen verhängt.
Professor Stark kam zu dem Schluss, dass die Eurokrise eine Staatsfinanzkrise an der
Peripherie des Euroraums ist. Diese Feststellung wurde mit einigen Grafiken untermauert,
welche die starke Korrelation zwischen der jährlichen Nettokreditaufnahme und dem
absoluten Schuldenstand zeigten. Des Weiteren wurde die Konvergenz der
Risikoaufschläge für Staatsanleihen in Richtung des niedrigen deutschen Niveaus infolge
der Gründung der EWU aufgezeigt. Denn durch den Wegfall des Währungsrisikos und die
Einführung einer einheitlichen Geldpolitik sanken die Zinsdifferenzen. Allerdings war der
Konvergenzprozess zu ausgeprägt, so dass die Zinsunterschiede unterhalb ihres
natürlichen Niveaus lagen. Professor Stark sprach in diesem Zusammenhang von einer
nicht-adäquaten Bepreisung von Staatsanleihen. Es kam daher zu einem Investitionsboom
24
in den ehemaligen Hochzinsländern, was wiederum zu Preisniveausteigerungen führte.
Obwohl das durchschnittliche jährliche Wachstum des HVPI für den gesamten Euroraum
circa 2% betrug, kam es teilweise zu erheblichen Divergenzen innerhalb des
Währungsraums. In Volkswirtschaften wie Griechenland gab es einen hohen
Preisniveauanstieg. Die dadurch steigenden Lohnstückkosten führten zu einem
Wettbewerbsverlust dieser Staaten und es kam zu Leistungsbilanzdefiziten. Dies und der
große Bankensektor insbesondere mit hohem Anteil an „Foreign-controlled subsidiaries
and branches“ einiger Länder führte im Zuge der Finanzkrise zu unterschiedlichen
makroökonomischen Reaktionen. Die Risikoaufschläge für Staatsanleihen divergierten,
stiegen über das natürliche Niveau und schafften damit in einigen Staaten wie
Griechenland oder Irland Liquiditätsprobleme.
Daraufhin stellte die EU in Kooperation mit dem IWF im Mai 2010 ein Rettungspaket für
Griechenland auf, um die vorhandene Skepsis auf den Märkten abzubauen. Zusätzlich
wurde für potenziell zahlungsunfähige Länder die European Financial Stability Facility
(ESFS) eingerichtet. Irland beantragte Anfang November als erstes Euromitglied Hilfen
hieraus und verpflichtete sich im Gegenzug, wie zuvor Griechenland, zu einer radikalen
Haushaltskonsolidierung. Die ergriffenen Maßnahmen galten der Beruhigung der Märkte
und konnten die Zinsausspreizung abschwächen, aber nicht verhindern. Im Jahr 2013
laufen die Rettungspakete des Euroraumes aus, innerhalb der nächsten drei Jahre
müssen daher Lösungen gefunden werden, wie sich im Euroraum eine erneute
Schuldenkrise ex ante vermeiden lässt.
Lehren und Konsequenzen
Die Lehren und Konsequenzen seitens der EZB zur Reform des institutionellen Rahmens
in der EWU waren Inhalt des dritten Teils des Vortrags. Dabei hob Professor Stark hervor,
dass ein dauerhafter Krisenmechanismus CMM (Crisis Management Mechanism) die
strukturellen Ursachen nicht lösen kann, die zur Staatsfinanzkrise der Peripheriestaaten
des Euroraums geführt haben. Da die Vulnerabilitäten- und Verschuldungsproblematik
innerhalb des Euroraumes erhalten bleibt, kann der CMM weder staatliche Überschuldung
noch wirtschaftliche Ungleichgewichte verhindern. Um langfristig die Stabilität im
europäischen Währungsraum zu gewährleisten, forderte Professor Stark deshalb einen
„Quantensprung“ in der Reform des institutionellen Rahmens. Es brauche zum einen
fiskalpolitische Stabilität, die durch einen funktionierenden SWP gewährleistet werden
müsse, und zum anderen den Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte. Ziel der Reform
müsse es daher sein, eine bessere fiskalische und makroökonomische Überwachung zu
garantieren, damit negative Entwicklungen erkannt und entsprechend frühzeitig
Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Dies ließe sich allerdings nicht ohne die
teilweise Aufgabe nationaler Autonomie bewerkstelligen.
Zur
verbesserten fiskalpolitischen Überwachung stellte Professor Stark mehrere
Vorschläge vor. Ein unabhängiges Beratergremium sollte die Bedeutung nötiger
Maßnahmen hervorheben, um die Öffentlichkeit und die Regierungen zu sensibilisieren,
dass eine harmonisierte Fiskalpolitik notwendig ist, um langfristig eine stabile EWU zu
garantieren. Dieser sollte unter anderem Absprachen in Bezug auf die Haushaltspolitik der
einzelnen Länder beinhalten. Vereinbarungen, die eine fiskalpolitische Mindeststabilität
garantieren sollten, hätten versagt, da die ursprünglich vorgesehenen Sanktionen keinem
Automatismus folgten und aufgrund politischer Entscheidungen nie verhängt wurden. Der
SWP kann nach Professor Stark aber nur durch ein tatsächliches Sanktionspotenzial
25
wirksam sein. Damit die Umsetzung korrektiver Maßnahmen entpolitisiert wird, schlägt er
quasi-automatische Prozeduren bei übermäßigen Defiziten vor. Für die potenzielle
Bestrafung hält Professor Stark ein abgestuftes finanzielles Spektrum von
Sanktionsmaßnahmen für denkbar. Wenn ein Verstoß beispielsweise gegen die
Defizitkriterien festgestellt wird, kann das Mitgliedsland dazu verpflichtet werden, einen
Pfandbetrag als zinslose Einlage bei der EZB zu halten. Sollte dem Mitgliedsland im
Folgenden eine unzureichende Haushaltskonsolidierung nachgewiesen werden, wird der
Pfandbetrag einbehalten. Eine weitere mögliche Sanktionsmaßnahme sei die
Beschränkung von Zuschüssen aus Struktur- und Kohäsionsfonds. Des Weiteren forderte
Professor Stark die Umsetzung fiskalischer „Schuldenbremsen“ – nach deutschem Vorbild
– in Form von nationalen Gesetzen und die Verbesserung der Qualität von Statistiken zum
Verschuldungsstand im Verhältnis zum BIP. Manipulationen der amtlichen Statistiken, wie
im Falle Griechenlands, dürfen sich nicht wiederholen. Im Verdachtsfalle sollen Daten der
Euroländer überprüft werden.
Damit Krisen, wie die aktuelle Schuldenkrise, verhindert werden können, ist neben der
fiskalischen auch eine makroökonomische Überwachung nötig. Die Staatshaushalte
werden
dabei
differenziert
überwacht
und
unter
Berücksichtigung
von
makroökonomischen
Vulnerabilitäten
und
Wettbewerbsindikatoren
werden
Erfüllungsanforderungen ausgegeben. Bei deren Nichterfüllung treten, wie bei
fiskalischem Fehlverhalten, automatisch abgestufte finanzielle Sanktionen ein.
Zukunft des Euro
Im Fazit betonte Professor Stark nochmals, dass die aktuellen Schuldenkrisen der
Peripherieländer der Eurozone Fehlentwicklungen in der Währungsunion aufzeigten. Um
langfristig die Stabilität der EWU zu gewährleisten, sei daher eine Reform des
institutionellen Rahmens unabdinglich. Wichtige Reformen dürften nun nicht an nationalen
Interessen scheitern. Die Zukunft des Euro werde wesentlich vom Gelingen einer
wirtschaftspolitischen Koordinierung, auf deren Notwendigkeit bereits 1989 im Delors
Bericht hingewiesen wurde, abhängen. Die EZB wird auch in Zukunft Preisniveaustabilität
im Eurogebiet garantieren. Aufgabe der Politik wird es sein, die Staatshaushalte zu
konsolidieren. Solange jedoch nationale Interessen nicht teilweise zurückgestellt werden,
wird es schwierig sein, eine wirtschaftspolitische Koordinierung zu erreichen, da sowohl
Defizitgrenzen als auch Erfüllungsanforderungen an die Haushaltsplanung der
Mitgliedsländer deren Autonomie einschränken.
26
Marcel Fratzscher:
„Die aufkommende Rolle des Yuan/Renminbi“
Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung
27
Die aufkommende Rolle des Yuan/RMB
von Dr. Marcel Fratzscher
Part 1 – China’s emergence as a second global hegemon?
Key proposition:
In the past three decades, China’s policy-makers have had incentives to maximise growth
while postponing any fundamental adjustment in the associated economic model. They
have been spectacularly successful.
Yet this has occurred at the cost of an accumulation of substantial internal and external
imbalances.
China’s economic success story manifests itself in many ways:
• High and sustained growth
• Increasing GDP per capita, decreasing poverty
• China’s emergence as a major global player on the trade side
Key characteristics of the economic environment in China:
• Rigid political system
• Weak social safety nets
• Large pool of underemployed
• Demography: Decreasing dependency ratio (so far)
• Borrowing constraints
• Need to build physical capital & infrastructure
The economic environment has created a number of policy incentives:
• Producer-biased economy
• Export-led economy
• Investment-led economy
• High private saving rates
• Financial “repression”
But the cost of the economic model has been a significant rise in both external and internal
imbalances:
• a large current account surplus
• a huge stock of reserves
• a significantly undervalued exchange rate
• all entailing some resource misallocation
• over-reliance on domestic investment (and exports) as drivers of growth
• very low and falling share of private consumption
• high and rising inequalities and social conflicts
Example: A highly asymmetric trade pattern has emerged between China and Europe.
Why are savings in China so high?
• A communist political system, yet a highly capitalist economy
• Shortcoming or absence of social safety nets and key public services
• Demographics (incl. one child policy)
• Pre-cautionary motive key
28
Part 2 – Longer-term sustainability of the current model:
Key proposition:
The main long-term factors making China’s growth model possible have been: (1) export
demand; (2) demographic factors coupled with labour surplus in the primary sector; and
(3) capital accumulation.
These factors face serious constraints in the years ahead, thus forcing adjustment.
Part 3 – What is being done do adjust the model:
The thorny way to rebalancing
Key proposition:
Rebalancing is proceeding slowly, also because of policy resistance to change a model of
growth that delivered for 30 years.
This may imply short-term advantages, but also longer-term risks given the fading away of
longer-run supporting factors.
Part 4 – Current contradictions in the adjustment of the model:
Tensions between short-term growth objectives and longer-term rebalancing needs
Key proposition:
Presence of serious challenges and contradictions, both on (1) the external and (2) the
domestic front:
• Trade surpluses and rapid reserve accumulation have resumed after crisis
• RMB reform has been insufficient and may have been driven (so far) by political
motives
• Substantial distortions for domestic economy
• Serious constraints on domestic policy-making, in particular on monetary policy
• Internationalisation of the RMB may be understood, in part, as an attempt to deal
with existing imbalances – yet sequencing of external policy reforms (financial
sector reform, capital account liberalisation, and exchange rate flexibility) seems
counterintuitive
• Domestic inflationary pressures are building
• Risks of asset price boom-bust cycle are becoming more severe
• Financial stability concerns are rising, amid increasing NPLs and inefficient banking
system
29
Protokoll zur Sitzung von Dr. Marcel Fratzscher:
„Die aufkommende Rolle des Yuan/RMB“
Protokollierende:
Johannes Fleck, Johannes Geibel, Ariane Pucher, Velina Petrusheva, Raphaela Koch
Herr Dr. Fratzscher strukturierte seinen Vortrag in drei Teile gemäß der Fokussierung auf
drei verschiedene Schwerpunkte: Erstens einer Analyse des chinesischen
Wachstumsmodells und dessen Auswirkungen auf Strukturen der Ökonomie und
Gesellschaft, zweitens einer Betrachtung gegenwärtiger Entwicklungen von Chinas
Wirtschaft und drittens einer detaillierten Untersuchung der Rolle des chinesischen
Außenhandels und des aktuellen Wechselkursregimes des Yuan sowie entsprechender
Perspektiven.
Im ersten Teil des Vortrags erläuterte Fratzscher das Wirtschaftsmodell, das dem
immensen Wachstum der Volksrepublik China seit 1978 zu Grunde liegt. Um die aktuelle
und zukünftige Rolle des Landes einleitend zu illustrieren, prognostizierte er den
Bedeutungszugewinn der chinesischen Volkswirtschaft bis 2025, zu welchem Zeitpunkt,
gemessen am Anteil der Weltwirtschaft, China mit den Vereinigten Staaten gleichgezogen
haben wird. Die Maxime der letzten Jahre - schaffe maximales Wachstum – hat jedoch
interne und externe Ungleichgewichte hervorgerufen.
Nach Aussage Fratzschers manifestiert sich die Erfolgsgeschichte der chinesischen
Wirtschaft im Wesentlichen in drei Fakten:
Hohes und lang anhaltendes Wachstum: Das chinesische Wirtschaftswachstum lag
zwischen 2000 und 2010 bei ca. 10%, das Pro-Kopf-Einkommen wuchs zwischen
1980 und 2007 um mehr als 900% auf aktuell 5.000 US-Dollar (PPP Basis). Diese
Größe wuchs im selben Zeitraum in der Euro Zone um 35%.
Sinkende Armut: Die Armutsrate sank zwischen 1982 und 2005 von 85% auf 15%.
Chinas Bedeutung als „Major Global Player“ im Handel: Das Exportwachstum
betrug seit 1979 im Durchschnitt 20%. China konnte seinen Anteil am Welthandel
von 1% in 1980 auf über 8% in 2009 steigern und hat damit Deutschland überholt.
Vor dem Hintergrund der herrschenden Rahmenbedingungen in China, die private
Freiheiten und Aktivitäten begrenzen, betonte Fratzscher, dass diese Erfolge für großes
Erstaunen sorgen. Zu den Rahmenbedingungen zählt vor allem das rigide politische
System der autokratisch-kommunistischen Staatsführung, das allerdings auch
hauptverantwortlich für die Stabilität des Landes ist. Im Gegensatz dazu steht jedoch ein
kapitalistisches Wirtschaftssystem, das inländische Produktion und Wettbewerb antreibt.
Desweiteren existieren in China praktisch keine Sozialversicherungen wie beispielsweise
Kranken- oder Arbeitslosenversicherung. Die Regierung bietet kein soziales Auffangnetz
und erhöht damit den Druck auf jeden Einzelnen, selbst für Alter, Gesundheit und die
Bildung der Kinder vorzusorgen, was die Sparquote zunehmend in die Höhe getrieben hat.
Ebenfalls steht die chinesische Staatsführung vor dem Problem der Unterbeschäftigung
eines großen Pools an ungelernten jungen Männern, die aus der Landwirtschaft in andere
Sektoren drängen. Es besteht also die Herausforderung, diese Arbeitskräfte zu
absorbieren und vor allem den wenig produktiven Landwirtschaftssektor in die
30
Volkswirtschaft zu integrieren. Im Zeitraum von 2001 bis 2008 wurden bei 10%
Wirtschaftswachstum nur 1% Beschäftigungszuwachs realisiert. Fraglich ist, wie sich
dieser Zusammenhang weiter entwickeln wird. Die chinesische Regierung geht davon aus,
dass pro Jahr 6-7% Wachstum generiert werden muss, um einen Anstieg der
Arbeitslosigkeit zu verhindern, welche wiederum schwellende soziale Unruhen befeuern
würde. Um diesem Problem zu begegnen, hat China 2007/08 ein fiskalisches Programm in
Höhe von 600 Milliarden US-Dollar aufgelegt. Im Dienstleistungssektor sah Fratzscher
eines der größten Potenziale für die chinesische Wirtschaft weiteres Wachstum zu
schaffen: Lediglich 30% der gesamten Beschäftigung werde bisher von diesem Sektor
gestellt.
Ein wachstumsfeindlicher Faktor ist die rigide Finanzpolitik, die charakteristisch für das
chinesische Wirtschaftssystem ist. Die sich in Staatsbesitz befindlichen vier größten
Banken des Landes kontrollieren den Großteil der Kreditvergabe. Die marktunabhängig
festgesetzten, niedrigen Zinssätze motivierten Investitionen und begannen erst in den
letzen Jahren langsam zu steigen.
Weiterhin charakteristisch sind die staatlichen Anreize zum Aufbau einer
produktionsbasierten, export- und investitionsgetriebenen Wirtschaft. Diese bilden den
wichtigsten Grund für Chinas starkes Wachstum. Der Export wird durch den
unterbewerteten und gegen den US-Dollar fixierten Yuan weiter beflügelt. China begann
2005 seine seit Jahren an den US-Dollar gekoppelte Währung graduell aufzuwerten, bis
2008 die globale Finanzkrise für Turbulenzen auf den Währungsmärkten sorgte. Das Land
kehrte einstweilen zum Dollar-Peg zurück und begann erst im März des Jahres 2010, den
Yuan gegenüber dem US-Dollar langsam wieder leicht aufzuwerten. Die Zins- und
Wechselkurspolitik Chinas im Zusammenspiel starker Kapitalkontrollen beschreiben die
Positionierung der chinesischen Volksrepublik im „magischen Dreieck“. Dieses, auch
Trilemma des Wechselkursregimes genannt („Impossible Trinity“), verdeutlicht die
Unmöglichkeit, feste Wechselkurse, autonome Geldpolitik und freien Kapitalverkehr
gleichzeitig umzusetzen. Durch die rigiden Kapitalverkehrskontrollen können internationale
Gelder nur zum Zweck physischer und langfristiger Investitionen und nicht als spekulative
Wertanlagen in die chinesische Wirtschaft gelangen. Aufgrund des enormen Wertes der
US-Dollar Reserven, die in den letzten Jahren durch die Exportüberschüsse angehäuft
wurden, lastet zusätzlich ein hoher finanzieller und politischer Druck auf China.
Desweiteren weist China eine der weltweit höchsten Sparquoten auf. Zwischen 2005-2007
lag die gesamtwirtschaftliche Sparquote bei knapp 50% des BIP. Gründe hierfür sind zum
einen die Widersprüche der kommunistischen Regierung und der kapitalistischen
Wirtschaftsordnung, zum anderen die schlechte soziale Absicherung der Bevölkerung.
Ausschlaggebend sind auch demographische Entwicklungen, die durch die von der
Regierung vorgeschriebene Ein-Kind-Politik verursacht wurden. Eine Umfrage ergab, dass
vor allem für die Bildung der Kinder (1/3 der Befragten) und für die eigene Rente (fast 1/3
der Befragten) gespart wird. Weitere Gründe sind Bausparen, Vorsorge für medizinische
Versorgung und die Hochzeit der Kinder. Letzteres ergibt sich vor allem aus dem
gesteigerten Hochzeitswettbewerb, der auf die im Zuge der Ein-Kind-Politik sinkende Zahl
an Frauen zurückzuführen ist.
Dieses Wirtschaftsmodell und die daraus resultierenden Handlungsanreize ziehen externe
und interne Ungleichgewichte nach sich. China verfügt über einen immensen
Leistungsüberschuss, der durch den Aufbau von Reserven absorbiert werden muss, da er
nicht frei im Ausland investiert werden darf. Diese 2,7 Billionen Reserven in US-Dollar
31
entsprechen 45% des chinesischen BIP. Im Vergleich dazu hält die EU lediglich Reserven
in Höhe von 2-3% ihres BIP. Weitere Ungleichgewichte zeigen sich in einem stark
unterbewerteten Wechselkurs, Missallokation wirtschaftlicher Ressourcen, einem sehr
geringen und sogar fallenden Anteil an privatem Konsum sowie in einer ausgeprägten und
steigenden Ungleichheit, die bereits zu sozialen Konflikten führt. Besonders die
Einkommensungleichheit zwischen ländlichen und städtischen Gebieten hat sich in den
letzten Jahren verstärkt. Dementsprechend liegt der Gini-Koeffizient Chinas über dem der
USA.
Laut Meinung Fratzschers verlässt man sich in der Volksrepublik zu stark auf heimische
Investitionen und auf Exporte als Wachstumstreiber. Ein Vergleich des privaten Konsums
und der Investitionen in China mit denen anderer Schwellenländer zeigt ein umgekehrtes
Verhältnis: Während in anderen Schwellenländern Investitionen sinken und der Konsum
steigt, steigen in China die Investitionen, doch der Konsum sinkt.
Im zweiten Teil seines Vortrages widmete sich Fratzscher den aktuellen Entwicklungen
und Herausforderungen, die sich aus Faktoren ergeben, die Chinas schnelles Wachstum
ermöglicht haben. Vor knapp 30 Jahren war China noch ein Staat an der Peripherie des
weltwirtschaftlichen Systems, doch hat bis heute seine globale Bedeutung wesentlich
zugenommen. Sogar während der Weltwirtschaftskrise erlebte das Land ein starkes
Wirtschaftswachstum und sein Anteil an der Produktion der gesamten Welt steigt stetig an.
Wie erwähnt sind diese Erfolge auf exportbasiertes Wachstum zurückzuführen, das unter
anderem durch eine große Zahl günstiger Arbeitskräfte ermöglicht wurde. Die schnell
wachsende Bevölkerung als Antriebskraft der Exportindustrie spielte nicht nur als
notwendige Voraussetzung eine Rolle, sondern sie schafft auch die zwingende
Notwendigkeit, weiterhin vielen Arbeitskräften Beschäftigung und Einkommen zu
ermöglichen, d.h. sie im Arbeitsmarkt zu absorbieren. Aufgrund der Ein-Kind-Politik wird
und muss sich diese Entwicklung ändern. Chinas Abhängigkeitsquote, d.h. das Verhältnis
des arbeitenden Teils der Bevölkerung zum Anteil derer, die bereits aus dem
Erwerbsleben ausgeschieden sind, macht deutlich, dass der Staat vor eine
demographische und soziale Herausforderung gestellt ist.
Auf der internationalen Ebene muss China dem starken Druck, vor allem aus den USA,
begegnen, die entstandenen globalen Ungleichgewichte auszugleichen, für die das Land
oft unilateral verantwortlich gemacht wird. Die konkreten Verbalisierungen dieses Drucks
haben laut Fratzscher mittlerweile den Begriff „China Bashing“ etabliert.
Er empfahl, dass China sich auf konsumbasiertes Wachstum umorientiert, in dem die
Sparanreize eingeschränkt werden, möglicherweise durch das Umsetzen von Bildungs-,
Gesundheits- und Rentenreformen, um diesen Entwicklungen angemessen zu begegnen.
Wichtig wäre auch der Aufbau des Dienstleistungssektors anstatt des ausschließlichen
Exportfokus. Die Abhängigkeit gegenüber dem US-Dollar sollte mit einer
Wechselkursreform angegangen werden. Eine Möglichkeit dazu wäre die
Internationalisierung des Yuan, also ein vermehrter Einsatz im Handel und in finanziellen
Transaktionen.
Der dritte Teil behandelte die aktuellen Herausforderungen im Bereich des Außenhandels
und der Rolle des Yuan, welche sich aus kurzfristigen Wachstumszielen und der
langfristigen Notwendigkeit ergeben, interne und externe makroökonomische
32
Ungleichgewichte auszugleichen, um notwendige Anpassungsprozesse herbeizuführen.
Fratzschers Hypothese lautete, dass es aktuell zahlreiche und ernsthafte Widersprüche
und Herausforderungen bezüglich des Abbaus dieser Ungleichgewichte gibt. Folgende
Widersprüche hob er besonders hervor:
Erstens setzt sich auch nach der Krise der rasante Anstieg des
Handelsbilanzüberschusses und des damit verbundenen Aufbaus an Dollar
Reserven weiter fort. Aktuell liegt der Handelsbilanzüberschuss bei etwa 8% des
BIP und damit schon wieder über Vorkrisenniveau. Fratzscher argumentierte, dass
aufgrund von ökonometrischen Untersuchungen langfristig höchstens ein
Überschuss von ca. 2 % als nachhaltig bezeichnet werden kann und somit diese
bisher hochgradig persistenten Überschüsse reduziert werden müssen.
Zweitens stellte er fest, dass zwar eine Reform des Yuan unternommen wurde,
dabei jedoch nachhaltige Änderungen bezüglich der Struktur und der Höhe des
realen effektiven Wechselkurses ausblieben: Ab Juli 2005 ließ die Zentralbank den
Yuan leicht aufwerten, koppelte ihn jedoch wieder mit Beginn der Krise im Jahre
2008 fest an den Dollar. Seit Beginn der Krise hat sich das Gewicht des Dollars im
Währungskorb relativ volatil entwickelt und lag im Durchschnitt bei 95%. So ist der
Yuan beispielsweise in dieser Zeit gegenüber dem Dollar real leicht aufgewertet,
der reale effektive Wechselkurs des Yuan ist jedoch leicht gestiegen, d.h. der Yuan
wertete also im Durchschnitt gegenüber anderen Währungen ab.
Drittens hielt Fratzscher fest, dass zwar die Notwendigkeit, den Yuan langfristig als
internationale Währung zu etablieren, um den vorhandenen Ungleichgewichten zu
begegnen, von chinesischer Seite verstanden wurde, doch die bisher erfolgten
Politikmaßnahmen, um diesem Ziel näher zu kommen, als unzureichend zu
bezeichnen sind. So wurden während der letzten Monate Handelsabkommen mit 20
asiatischen Ländern abgeschlossen, um im bilateralen Handel den Yuan als
Fakturierungswährung zu benutzten. Fratzscher merkte jedoch an, dass er das
Potential für den Yuan im innerasiatischen Handel als beschränkt ansieht, der
zudem auch nur 10 bis 20% des bilateralen Handels Chinas ausmacht. Als zweite
Maßnahme wurde Hongkong als Offshore-Finanzmarktplatz für Yuan Geschäfte
etabliert. Doch gelten weiterhin strenge Regeln für den Handel mit RMB; nur durch
direkten Güterhandel erworbene Yuan dürfen in Hongkong gehalten und angelegt
werden. Doch damit ist der Yuan immer noch weit davon entfernt, zentrale
Anforderungen
an
eine
internationale
Währung,
wie
beispielsweise
Kapitalverkehrsfreiheit, freier Wechselkurs und tiefe, entwickelte und effiziente
Finanzmärkte, zu erfüllen. Hier sah Fratzscher einen Widerspruch zwischen den
notwendigen Schritten zur Reduzierung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte und
dem bisher geringen Maß an Reformen.
Weiter stellte Fratzscher fest, dass die Entwicklung der Vermögenspreise in China als
ernsthafte Herausforderung angesehen wird. Dabei nannte er vor allem den
Immobiliensektor. In engem Zusammenhang dazu stehe auch die Befürchtung, dass der
chinesische Finanzmarkt aufgrund eines starken Anstiegs notleidender Kredite und eines
ineffizienten Bankensystems zunehmend instabiler werde.
Abschließend hielt Fratzscher fest, dass Chinas hohes Wirtschaftswachstum und die
erfolgreiche Bekämpfung der Armut durch exportorientierte Produktionen ihren Preis
hatten, nämlich massive interne und externe Ungleichgewichte, welche eine immense
Wirkung auch auf globaler Ebene entfalten. Obwohl nicht pauschal behauptet werden
könne, dass diese Ungleichgewichte ausschließlich das Ergebnis der chinesischen Politik
33
sind, seien sie doch großteils auf China zurückzuführen. Deswegen stelle sich zu Recht
die Frage, ob Chinas bisher implementierte Strategie nachhaltig sein könne.
Auch aufgrund des internationalen Drucks hat China seine externen und internen
Herausforderungen zumindest teilweise bereits als Probleme erkannt. Die ersten
eingeleiteten Reformen sind als erste Schritte in die richtige Richtung zu bezeichnen.
Allerdings haben diese bisher nur zu marginalen Veränderungen der Ungleichgewichte
geführt. Ob diese Reformen insgesamt ausreichend sind und schnelle Ergebnisse zeigen,
lässt sich momentan noch nicht abschätzen.
Anschließende Fragen an Herrn Dr. Fratzscher:
Welche Rolle spielen Eigentumsrechte bei der Stabilisierung des chinesischen
Wachstumspfades und welche Anstrengungen zu einer besseren Durchsetzung gibt es?
Wie ist der Bereich Schattenwirtschaft einzuschätzen?
Es wurden in dieser Hinsicht viele Entwicklungen angestoßen; vor allem Eigentumsrechte
im Bereich Land- und Immobilienbesitz werden geändert. Es ist beispielsweise seit einiger
Zeit möglich Land zu erwerben. Die Größe der Schattenwirtschaft ist im Vergleich zu
anderen Emerging Economies gering, da die Kontrolle des Regimes intensiv und
disaggregiert auch bis in kleinste Unternehmen und geografisch abgelegene Gegenden
reicht.
Wie ist die Verlässlichkeit der Daten, die aus China stammen?
Es sind Zweifel bezüglich der Qualität angesagt. Daten werden sehr oft revidiert und zwar
in beträchtlichem Umfang. Beispiel: 2007 wurde das BIP-Wachstum um 17% nach oben
korrigiert. Außerdem werden viele ökonomische Vorgänge, vor allem im
Dienstleistungssektor, nicht erfasst. Es bleiben also viele Fragezeichen. Umfragen liefern
aber wohl verlässliche Ergebnisse.
Wie erklärt sich die Berechung der EZB, dass ein 2% Außenhandelsdefizit Chinas
langfristig stabil wäre?
Die Berechnung der EZB beruht auf ökonometrischen Methoden, die aktuelle und
zukünftig prognostizierte Werte zu Grunde legt. Diese beziehen sich sowohl auf interne
wie externe Größen und umfassen auch soziale Faktoren wie beispielsweise die
Bevölkerungsentwicklung.
Wie ist die Aussage zu verstehen, China habe es im Rahmen des magischen Dreiecks
verstanden eine geschickte Geldpolitik zu machen?
Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass ich darüber überrascht bin, wie China es
geschafft hat, die Inflation trotz festem Wechselkurs gering zu halten. Dabei wurde auf
eine Palette von Maßnahmen zurückgegriffen.
Würde eine Aufwertung des Yuan die globalen Ungleichgewichte tatsächlich reduzieren?
Oder würden amerikanische Firmen die teureren Importe aus China durch günstigere
Importe aus anderen Länder substituieren?
Flexible Wechselkurse alleine haben noch keine stabilisierende Wirkung. Man darf diesen
allein nicht zu viel Bedeutung beimessen. Substitutionseffekte würden wahrscheinlich nicht
stattfinden. Viele umliegende Länder orientieren sich ökonomisch an China und würden
34
dann aus Angst vor „hot money inflows“ ihrerseits aufwerten. China ist also für die Region
als Dominostein zu sehen, der die anderen mit umkippen würde.
Eine Bedingung für das Stellen einer Leitwährung sind effiziente und tiefe Kapitalmärkte.
Können sich diese angesichts der chinesischen restriktiven Politik überhaupt ausbilden?
China arbeitet in der Entwicklung seiner Finanzmärkte mit einem Versuchskaninchen:
Hongkong. Hier werden eine Flexibilisierung und die graduelle Lockerung von
Kapitalkontrollen getestet, um Erfahrungen in diesem Gebiet zu sammeln. Die
Liberalisierung steht also auf dem Programm und muss irgendwann kommen. Generell
spielt Hongkong die Rolle als Tor Chinas zur Welt und Shanghai die Rolle als Tor zum
chinesischen Hinterland.
Wie kann China seine Dollar Reserven reduzieren?
Die chinesischen Behörden wissen, dass ein Teilverlust nicht mehr zu umgehen ist. Der
Nutzen aus einer Beibehaltung der jetzigen Arrangements wird höher bewertet als das
graduelle Abschmelzen durch QE2.
Was wäre die Wirkung eines Abverkaufens der Dollar Reserven auf den Euro?
Es lässt sich ein signifikanter positiver Effekt auf den bilateralen Euro-Dollar-Kurs
erkennen. Die Nachfrage nach Euros führt zu dieser Aufwertung.
Wie lassen sich die oft behaupteten spekulativen Zuflüsse nach China messen? Und
wohin fließt entsprechendes Kapital?
Es gibt keine Möglichkeit diese direkt zu messen. Man verwendet als bestes Maß die
Zuflüsse über die Balance of Payments Position „errors and omissions“. Es lässt sich nicht
sagen, wohin dieses Kapital fließt. Dem Vernehmen nach soll es im Häusermarkt angelegt
werden.
Wie erklärt sich die große Diskrepanz zwischen den Zahlen zu den US Staatsanleihen in
China, die China selbst nennt, und die, die Amerikaner nennen?
Die Amerikaner selbst wissen nicht, wie viele Treasury Bonds die Chinesen tatsächlich
gekauft haben, sondern nur, wie viele davon im Depot bei der Federal Reserve Bank of
New York liegen. Außerdem haben viele Wertpapiere den amerikanischen
Staatsagenturen Fannie Mae und Freddie Mac gehört. Darum haben die chinesischen
Behörden auf eine Rettung gedrängt. Die totale Summe ist aber nicht genau bekannt.
Was ist der Kosten und Nutzen einer internationalen Rolle des RMB?
Es scheint, als wolle China den RMB nicht zu einer internationalen Leitwährung
entwickeln, sondern als sehe man seine Bedeutung vielmehr in der Handelsabwicklung,
vor allem in Asien. Kurzfristig überwiegt wohl der Nutzen aus der derzeitigen Situation,
mittelfristig ist es aber definitiv besser, den RMB floaten zu lassen.
Welche Wirkung hat die Errichtung einer Freihandelszone in der ASEAN-Region auf den
Yuan?
Es ist wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass 60-70% des Handels der Region
nach Europa und in die USA geht. Daher bleibt der Druck gering, den Yuan als eine
regionalen Leitwährung zu etablieren.
Was wurde konkret mit dem Stimuluspaket von 600 Mrd. USD von 2008 gemacht?
Die Höhe ist in der Tat enorm und entsprach 12% des BIP. 90% des Geldes wurde
verwendet, um in Infrastruktur zu investieren – eine überraschende und schockierende
35
Zahl. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell solche Pakete auf den Weg gebracht
und in die reale Wirtschaft injiziert werden. Weniger effektiv dürfte allerdings die Nutzung
des Kapitals gewesen sein. Es wurde nichts in den Ausbau des Bildungssektors und
entsprechende Kostensenkungen investiert. Es zeigt sich außerdem, dass es bestimmte
Interessengruppen gibt, die eine Ausweitung des Bildungsangebotes erfolgreich zu
verhindern versuchen.
Was halten Sie von dem Vorschlag Fred Bergstens vom Peterson Institute, durch einen
Aufkauf von Yuan Assets durch US-Dollar Zahlungen die Wirkung des Dollar-Pegs der
chinesischen Währung zu neutralisieren?
Technisch scheint dies nicht möglich. Es gibt keinen entwickelten Foreign Exchange
Markt, auf dem die entsprechenden Transaktionen abgewickelt werden könnten.
Außerdem haben beide Länder Interesse an einem stabilen Wechselkurs und an stabilen
Währungen. Diese Maßnahme würde ihre Volatilität massiv erhöhen.
Was ist der theoretische Rahmen der People’s Bank of China (PBC) und wie werden dort
Entscheidungen getroffen?
Die PBC ist nicht unabhängig, sondern führt politisch diktierte Aufträge aus. Sie agiert
nicht auf Basis grundlegender Strategie und Theorie, sondern meistens auf einer ad hoc
Basis.
China hat mit einigen Ländern Verträge geschlossen, die eine Fakturierung des Handels in
RMB vorsehen. Wie wird dies umgesetzt?
Wenn der Handel ausgeglichen ist, handelt es sich im Prinzip um ein Tauschgeschäft.
Sollte es zu Überschüssen kommen, könnten die argentinischen Firmen ihre RMB in
Hongkong anlegen.
Was sind die Wirkungen der Sterilisierungsmaßnahmen der PBC auf die
Finanzmarktentwicklung?
Diese führt zu einer Segmentierung der Finanzmärkte. Mit dieser Politik ist der Aufbau
effizienter und tiefer Finanzmärkte nicht möglich.
Wie ist die Haltung gegenüber der Ein-Kind-Politik von Seiten der Behörden heute?
Aktuell wäre man froh, weniger Menschen in ein Beschäftigungsverhältnis bringen zu
müssen. Mittelfristig werden sich aber insbesondere im sozialen Bereich große Probleme
abzeichnen.
36
Thorsten Polleit:
„Freie Märkte und „Free Banking“: der Weg zum guten Geld“
Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung
37
Freie Märkte und „Free Banking“: der Weg zum guten Geld
von Prof. Dr. Thorsten Polleit
Wohl kaum schadet der freien Markt- und Gesellschaftsordnung und gefährdet die
produktive und friedvolle Kooperation national und international so sehr wie das staatlich
beherrschte Kredit- und Geldsystem. Das Staatsgeldsystem ist ein Fremd- und Störfaktor
im Gefüge freier Märkte und verursacht zwangsläufig Finanz- und Wirtschaftskrisen. Die
damit verbundenen Missstände – drohende Rezession und (Massen)Arbeitslosigkeit –
provozieren Politiken, die die bürgerlichen und unternehmerischen Freiheiten immer weiter
zerstören. Freies Marktgeld und Free Banking sind die ökonomisch-ethischen überlegenen
Alternativen zur (Neu)Gestaltung der (internationalen) Geldordnung.
38
Protokoll zur Sitzung von Prof. Dr. Thorsten Polleit:
„Freie Märkte und Free Banking – der Weg zum guten Geld“
Protokollierende:
Julia Scheibe, Stefanie Najort, Lukas von Schuckmann, Nick Baderschneider, Valentin
Klima
Im Zuge des Dialogseminars – Grundrisse eines zukünftigen Weltwährungssystems – in
Blaubeuren hielt Prof. Dr. Thorsten Polleit einen Vortrag mit dem Titel „Freie Märkte und
„Free Banking“: Der Weg zum guten Geld“.
In Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise rückten die Aufgaben der Zentralbank und die
Art und Weise ihrer Ausführungen verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Einer
Polleits Hauptkritikpunkte ist in diesem Zusammenhang insbesondere das staatliche
Angebotsmonopol als Störfaktor im Gefüge der freien Märkte.
Die theoretische Grundlage seiner Argumentation basiert hierbei auf der Österreichischen
Schule der Ökonomen. Folglich beginnt er seine Ausführung mit einem Bezug auf deren
Begründer Friedrich August von Hayek und dessen Forderung nach einer Privatisierung
der Geldproduktion. Dieser vertrat die Ansicht, dass damit politischem Missbrauch und
Privilegierungen von Minderheiten vorgebeugt werden könnte. Zudem bezog er sich auf
Murray N. Rothbard, einen Schüler von von Mises, welcher in dem vorherrschenden
System eine Verletzung der Eigentumsrechte sah.
Heutzutage sieht Polleit eine positiv empiristisch ausgerichtete Volkswirtschaftslehre, bei
welcher die Deutungshoheit bei den “Mainstream”-Ökonomen liegt. Während diese
Mainstream-Ökonomen die Kernursache der Krise in mangelnder Regulierung,
Profitstreben und Gier sehen, erklärt Polleit im Gegensatz dazu das staatliche Geldsystem
für den Kern der Probleme. Seine Argumentation diesbezüglich wird im Folgenden nun
wiedergegeben.
Bei dem heutigen Fiat-Money (lat.: fiat = es werde) handelt es sich um von den
Zentralbanken emittiertes Geld, welches seine Funktion als Zahlungsmittel durch
gesetzliche Vorschriften erhält und für welches keine Einlöseverpflichtungen (mehr)
bestehen. Dies verleitet Regierungen bzw. Zentralbanken allzu oft dazu, in einer
Ausweitung der Geldmenge ein Patentrezept zur Abwendung von drohenden Krisen zu
sehen, wie zuletzt die Federal Reserve über das Quantitative Easing 2 (deutsch etwa:
Quantitative Lockerung). Laut Polleit führt dies jedoch lediglich zu Scheinlösungen, welche
falsche Anreize generieren und letztendlich nur zu Interventionismus und der
Beschneidung unternehmerischer und bürgerlicher Freiheiten führen.
Polleit ist ein Verfechter des freien Marktsystems, in dem Angebot und Nachfrage
selbständig und effektiv zu einem Gleichgewicht kommen. Es finden weder staatliche
Marktinterventionen noch mutwillige Eingriffe in die Eigentumsrechte der Menschen statt.
So sind freie Märkte nicht nur produktiv, sondern auch gleichzeitig friedensstiftend.
Wichtigste Voraussetzung für das Funktionieren dieses Systems ist eine Garantie des
Privateigentums der Individuen über Eigentumsrechte.
Laut Polleit gibt es nun drei nicht-aggressive Wege, Privateigentum zu erlangen: Eine
Möglichkeit ist die Aneignung von Naturressourcen, welche noch nicht von anderen als
39
Eigentum genutzt werden, eine zweite ist das Erlangen von Eigentum durch eigene
Produktion und eine dritte Möglichkeit besteht schließlich darin, Eigentum durch
freiwilligen Tausch oder durch Schenkungen zu erlangen. Somit bildet das System freier
Märkte ein gesellschaftliches Ordnungssystem, welches auch ethisch akzeptabel ist.
Würde nun auch die Geldproduktion statt dem Staat dem freien Markt überlassen, so
würde sich auch dieses „freie Marktgeld” darin in effizienter und produktiver Weise
einfügen und auf der einen Seite für materiellen und zivilisatorischen Fortschritt sorgen,
auf der anderen Seite aber auch Wirtschaftskrisen und Fehlinvestitionen entgegenwirken,
so Polleit.
Diese These, die die Kernaussage seines Vortrags bildet, versucht Polleit nun zu
untermauern und geht infolgedessen auf die Eigenschaften und Gegebenheiten von Geld
im Allgemeinen genauer ein.
Essentiell für die Argumentation Polleits ist, dass er in der Hauptfunktion des Geldes
einzig und allein die Tauschmittelfunktion sieht, die selbst die Basis der
Wertaufbewahrungs- und Recheneinheitsfunktion darstellt, die gemäß gängiger Lehre
i.d.R. als „eigenständig” beschrieben werden. Basierend auf dieser Annahme stiftet eine
Ausweitung der Geldmenge keinen zusätzlichen Nutzen und auch ein gesundes
Wirtschaftswachstum kann ohne eine ständige Ausweitung der Geldmenge generiert
werden. Vor allem die Vertreter der Österreichischen Schule, wie Ludwig von Mises oder
Murray N. Rothbard, gehen davon aus, dass die in der Volkswirtschaft zirkulierende
Geldmenge in Bezug auf ihre Tauschmittelfunktion ausreicht, um sämtliche Transaktionen
zu tätigen. Jede zusätzliche Einheit an Geld würde dem Währungsraum weniger nutzen,
da der komparative Tauschwert der Geldeinheit dadurch stetig sinkt. Es liegt also wie bei
anderen Gütern auch ein abnehmender Grenznutzen vor. Eine marktkonforme Produktion
in Form der Privatisierung des Geldes wäre daher zu befürworten, da dies die effizienteste
Form von Produktion und Angebot gewährleisten würde.
Freies Marktgeld käme somit durch freies Angebot und freie Nachfrage zustande, eine
ungehemmte Geldmengenausweitung aufgrund einer Bindung an Sachgüter oder
Rohstoffe jedoch nicht. Dennoch stellt sich die berechtigte Frage, ob es infolge freien
Marktgeldes nicht zu einem Geldchaos insbesondere in Form eines Überangebots an
Geld komme. Polleit verneinte dies mit der Begründung, dass nur „gutes” Geld
nachgefragt werde, bei dem eine Bindung an Realgüter gegeben ist und eventueller
Betrug ausgeschlossen werden kann. Außerdem wird nur solches Geld von einem
Individuum akzeptiert, von dem erwartet wird, dass es generell eine breite Akzeptanz auch
unter einer Vielzahl anderer Individuen findet. Folglich würde es zu einer raschen
Übereinkunft kommen, welches Geld wirklich einen Wert hat und Alternativen ohne
eindeutigen Tauschwert können sich so nicht lange auf dem Markt halten. An dieser Stelle
berief sich Polleit insbesondere auf das Regressionstheorem von von Mises.
Das heutige Papier- und Giralgeld hätte sich aufgrund fehlender Deckung und mangelnder
Glaubwürdigkeit nicht auf dem freien Markt durchsetzen können und entstand indirekt
durch die Schließung des so genannten Goldfensters im Jahre 1971. Vor 1971 war jede
Währung nämlich direkt oder indirekt in Gold konvertierbar und war daher mit einem
Sachgut hinterlegt. Durch die Aussetzung dieser Konvertibilität wurden die Besitzer von
Geld um ihre realen Güter gebracht. Dies wurde unter anderem als „größter monetärer
Enteignungsakt der Neuzeit bezeichnet”. Doch auch andere Währungen hatten ihren
Ursprung in Sachgütern. So war bspw. die deutsche Rentenmark an die Landmasse des
deutschen Reiches gebunden.
40
Anschließend wurde der Fokus auf das Thema „Free-Banking“ gerichtet, worin es
prinzipiell um die ausnahmslose Privatisierung des Bankwesens geht. Hierin übernimmt
der Staat weder in der Geldproduktion noch im Bankgeschäft eine primäre Funktion. Der
Staat sorgt lediglich für die Wahrung der Eigentumsrechte der Marktakteure, eine
Zentralbank existiert nicht. Banken fungieren in diesem System einzig und allein als
Geldlagerstätten und verwahren das Geld der Privatpersonen, die im Gegenzug einen so
genannten Geldlagerhausschein erhalten. Dieser Schein dient als Beleg für die
entsprechende Einlage bei der jeweiligen Bank. Banken haben also lediglich eine
Schließfachfunktion inne und betreiben ein Verwahrungsgeschäft. Die multiple Geld- und
Kreditschöpfung, welche die Banken in unserem momentanen Finanzsystem betreiben,
ist in der Welt eines Free Banking nicht mehr möglich. Allerdings kann die Bank immer
noch als Vermittler zwischen den Marktakteuren, die sparen wollen, und den
Kreditnehmern agieren, indem sie ein Darlehen vom Sparer aufnimmt und das Geld
anschließend (teurer) weiter verleiht. Der Sparer gibt in diesem Fall die Verfügungsgewalt
über sein Geld an die Bank ab und wird dafür mit Zinszahlungen für den entsprechenden
Zeitraum entschädigt.
Der Hauptgrund für das Scheitern des momentanen Systems ist laut Polleit die bereits
oben genannte multiple Geld- und Kreditschöpfung. Durch eine Senkung des
Geldmarktzinses unter das Niveau, das sich ohne Kreditvergabe einstellen würde, wird es
leichter für Banken, sich bei der Zentralbank Geld zu leihen. Kredite können dann zu
relativ günstigeren Konditionen vergeben werden, wodurch vermehrt Investitionen getätigt
werden können. Insbesondere eigentlich unrentable Investitionen können nun doch
durchgeführt werden, wodurch die Wirtschaft künstlich aufgebläht wird und es zu Blasen
kommt. Kommt es anschließend zu einer Rezession, die laut Polleit als eine wirtschaftliche
Bereinigung zu sehen ist, bei der Fehlinvestitionen wieder liquidiert werden, senkt die
Zentralbank erneut die Zinsen. Das führt dazu, dass nun wiederum neue Kredite für die
Anschlussfinanzierung vieler dieser eigentlich unrentablen Projekte aufgenommen werden
können. Dadurch wird allerdings der Bereinigungsprozess unterbunden und sogar noch
weiter hinausgezögert, was zur Folge hat, dass die Schuldenlast weiter ansteigt und somit
schneller als das Volkseinkommen wächst. Dass dieses System sich irgendwann nicht
mehr trägt und in einer (Hyper-) Inflation oder Deflation endet, scheint für Polleit an dieser
Stelle wahrscheinlich.
Aus diesem Grund ging Polleit nun zu dem eigentlichen Hindernis über, die Umsetzung
der Theorie in die Praxis. An dieser Stelle gestand er ein, dass durchaus einige
Komplikationen des Systemwechsels und der Implementierung zu bedenken sind, jedoch
verwies er darauf, dass Reformen stets schwer umzusetzen seien. Das wohl
gravierendste Problem sieht Polleit demnach in den so genannten Olson-Gruppen. Dies
sind kleine, gut organisierte Gruppen, denen es aufgrund ihrer relativ geringen Größe
einfacher gelingt, ihre Partikularinteressen gegenüber den größeren Gruppen und der
Allgemeinheit in der Politik durchzubringen. Da sich die Interessen der größeren Gruppen
i.d.R. eher auf Ziele des Allgemeinwohls richten, diese aber nicht oder nur mangelhaft zur
Sprache kommen, führt dieser Prozess zu allokativen Verzerrungen und
Wohlfahrtsverlusten - und nach Olson sogar zum “Untergang der Nation”. Auf dieser
Argumentation aufbauend schlägt Polleit nun den Bogen zurück zu den o.a. MainstreamÖkonomen. So haben sie Polleit zufolge keinen Anreiz an Theorien, die die Autorität, die
Macht und den Einfluss des Staates schmälern, da sie von diesem ihr Geld beziehen. Eine
Verbreitung der Idee des Free Banking ist somit kaum möglich.
41
Weiterer Protest würde wohl auch in der Riege der Sparer laut werden, da diese
Wertverluste bis hin zu gänzlichen Vermögensverlusten in der Transmissionszeit zu
befürchten haben, wenn die Währung, in der sie sparen, aufgelöst oder auch nur
Wettbewerb und somit Wertunsicherheiten ausgesetzt werden würde.
Im letzten Teil seines Vortrags fasste Polleit noch einmal seine Hauptthesen zusammen:
Demnach sei es nur eine Frage der Zeit, bis sich wieder ein Sachgeldsystem etablieren
wird, wobei insbesondere die Rückkehr zum Goldstandard als Zwischenstufe zur
Privatisierung des Geldes möglich und wahrscheinlich ist. Begründet sei dies darin, dass
das freie Marktgeld sowohl ökonomisch als auch ethisch eine überlegende Alternative zum
heutigen Fiat Money System sei.
Er schloss seinen Vortrag mit einem Zitat von von Mises „ ...dass eine Regierung sich
immer dann genötigt sieht zu inflationistischen Maßnahmen zu greifen, wenn sie den Weg
der Anleihehebung nicht zu betreten vermag und den der Besteuerung nicht zu betreten
wagt, weil sie fürchten muss, die Zustimmung zu dem von ihr befolgten System zu
verlieren, wenn sich seine finanziellen und allgemein wirtschaftliche Folgen allzu schnell
enthüllen. So wird die Inflation zu dem wichtigsten psychologischen Hilfsmittel einer
Wirtschaftspolitik, die ihre Folgen zu verschleiern sucht. Man kann sie in diesem Sinne als
ein Werkzeug antidemokratischer Politik bezeichnen, da sie durch Irreführung der
öffentlichen Meinung einem Regierungssystem, das bei offener Darlegung der Dinge keine
Aussicht auf die Billigung durch das Volk hätte, den Fortbestand ermöglicht.“
In der sich anschließenden Diskussion betonte Polleit, man solle lieber jetzt zu einer
Privatisierung des Geldes übergehen als weiter damit zu warten. Hier wurde angemerkt,
dass gerade nach der letzten Krise Free-Banking schwer umsetzbar wäre, da das
Vertrauen in die Banken stark gelitten hätte. Polleit machte dabei auf die steigenden
Kosten einer Anpassung aufmerksam, je weiter sie hinausgezögert wird. Ein weiterer
Kritikpunkt war, dass der von Hayek gebrauchte Begriff „Government“ in dem Vortrag mit
dem deutschen Wort Staat gleichgesetzt wurde. Dies ist jedoch nicht möglich, da
zwischen Regierung und Zentralbank differenziert werden muss.
Des Weiteren blieb offen, welche konkreten Aufgaben der Staat bei einer tatsächlichen
Umsetzung des Free Banking Systems hätte. Das offensichtliche Dilemma hierbei ist,
dass ausgerechnet dem Staat, dem man einen verantwortungsvollen Umgang in Sachen
Geldpolitik abgesprochen hat, die bedeutendste Aufgabe zukommt. Er muss die
Sicherstellung und rechtliche Durchsetzung von Eigentumsrechten garantieren, worauf
das gesamte Free Banking System basiert. Auch das Problem der Regulierung des
Finanzsystems wurde im Nachhinein angesprochen. So würde der Staat wichtige
Lenkungsfunktionen aufgeben und könnte dadurch notwendige und stabilisierende
Aufgaben nicht mehr ausführen. Dazu zählt vor allem die Aufgabe der Zentralbank als
Geldgeber der letzten Instanz (Lender of Last Resort). Bisher konnte Finanzinstituten, die
kurzfristige Liquiditätsprobleme hatten, die ansonsten allerdings einwandfrei
wirtschafteten, durch entsprechende Kreditmittel kurzfristig geholfen werden. Diese
Möglichkeit bestünde im Free Banking System nicht mehr, da es weder eine Zentralbank,
noch das momentane Kreditsystem gäbe.
So zeigte sich also, dass das System freier Märkte und Free Banking durchaus Lösungen
für Missstände des momentanen Systems bereithält, jedoch auch noch einige Fragen der
Klärung bedürfen. Unumstritten bleibt allerdings, dass dieser Lösungsansatz sich einer
42
komplett anderen Herangehensweise an die aktuelle Problematik bedient und daher auch
in Zukunft weiter an Zusprache gewinnen wird.
43
Steffen Orben:
„Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen“
Thesenpapier und Protokoll zur Sitzung
44
Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen
von Steffen Orben
Bereitet die aktuelle Zentralnotenbankpolitik mit dem Ziel der Stabilisierung der
Finanzmärkte den Nährboden für zukünftige Krisen?
Das Zeitalter des Finanzkapitalismus ist geprägt von der Entkopplung des
Kreditwachstums gegenüber der realwirtschaftlichen Entwicklung. Das Verhältnis von
Finanzvermögen zum jährlichen weltweiten Wirtschaftswachstum hat sich seit 1980 mehr
als verdreifacht und das Volumen der Finanzmarkttransaktionen übersteigt den weltweiten
Umsatz von Güter und Dienstleistungen um das 50fache.
Sicherlich hat das Wachstum in der Finanzwirtschaft viele Vorteile gebracht aber es birgt
auch enorme Risiken; Risiken für die Stabilität der Finanzmärkte und die Stabilität der
Realwirtschaft.
Die Deregulierung und Liberalisierung der globalen Finanzmärkte, die technologische
Revolution bedingt durch Computer und Internet und eine expansive Geldpolitik der
Zentralnotenbanken (insbesondere der Bank of Japan und der Federal Reserve Bank)
haben für eine Vielzahl von neuen Finanzinstrumenten und zu einer großen Menge an
Liquidität geführt. In einer bestimmten Währung geliehenes Geld kann auf sehr einfachem
Wege umgetauscht, transferiert und in andere Währungen oder Finanzmarktprodukte
investiert werden.
Obwohl die Theorie besagt, dass die Zinsdifferenz zwischen zwei Ländern durch
Wechselkursanpassungen ausgeglichen wird, so hat die Praxis gezeigt, dass zeitliche
konstante Kapitalflüsse und bestimmte volkswirtschaftliche Konstellationen eine
Wechselkursanpassung zeitlich hinauszögern können. Internationale Finanzinvestoren
konnten und können daher eine Überrendite erwirtschaften.
Zur Zeit verschulden sich Carry Trade Teilnehmer vor allem in US Dollar, japanischem
Yen und Schweizer Franken und investieren international in höher verzinste Währungen,
Aktien, Anleihen, Rohstoffe und Immobilien.
Dieser Zustand von ansteigenden Vermögenswerten weltweit wird anhalten, solange
ausreichend Liquidität und Kredit zu niedrigen Zinsen zur Verfügung gestellt wird.
Kann diese Inflation der Vermögenspreise zu Spekulationsblasen anwachsen?
Bereitet daher die aktuelle Zentralnotenbankpolitk von niedrigen Zinsen und grenzenloser
Liquidität den Nährboden für zukünftige Krisen?
45
Protokoll zur Sitzung von Steffen Orben:
„Carry Trades, Finanzmarktstabilität und Krisen“
Protokollierende:
Gregor Geist, Stephan Heine, Chris Jürschik, Daniel Spengler, Thomas Krause
1. Begriffsklärung
Zu Beginn seines Vortrages gibt der Referent Steffen Orben, Director of Global Finance &
Foreign Exchange Deutsche Bank, einen kurzen Überblick zur aktuellen Lage auf den
Finanzmärkten bezüglich Carry Trades. In einem eingeblendeten Interview des
amerikanischen Ökonomen Nouriel Roubini beschreibt dieser die momentane
Liquiditätsschwemme, ausgelöst durch eine Nullzinspolitik der wichtigsten Zentralbanken,
sowie beispielsweise die „Quantitative Easing“ Programme der FED in Kombination mit
einer langfristig niedrigen Volatilität an den Märkten, als die „Mutter aller Carry Trades“.
Jedoch unterscheiden sich die jetzt durchgeführten Carry Trades von den klassischen
Carry Trades. Bei einem klassischen Carry Trade hat man sich kurzfristig in einer
Niedrigzinswährung verschuldet und langfristig in eine Hochzinswährung investiert. Durch
eine verspätete oder ausbleibende Aufwertung der Niedrigzinswährung wurde somit die
Zinsdifferenz als Rendite erwirtschaftet. Im Gegensatz dazu verschulden sich die
Investoren bei aktuell durchgeführten Carry Trades auch in Niedrigzinswährungen (im
Moment vor allem in Dollar), investieren jedoch nicht nur in Devisen, sondern vor allem in
Rohstoffe, Aktien etc. besonders in den sogenannten „Emerging Markets“ in Erwartung
von Wertsteigerungen. Wichtig ist dabei, dass die Assets mehr als 2% Rendite abwerfen.
Nouriel Roubini und auch Steffen Orben sehen in dieser Entwicklung die Bildung einer
neuen spekulativen Blase.
2. Finanzmarktstabilität
2.1 Was bedeutet Finanzmarktstabilität
Insbesondere Händlern, die sich mit Carry Trades beschäftigen, wird häufig vorgeworfen,
durch das Hin- und Herschieben von Geldbeträgen gigantischen Ausmaßes die
allgemeine Finanzstabilität zu beeinträchtigen. Auf diesen Aspekt geht der Referent
gesondert ein und fragt zunächst danach, was Finanzmarktstabilität überhaupt bedeutet.
Orientierung zur Beantwortung dieser Frage liefert eine Definition der Europäischen
Zentralbank:
“Financial stability can be defined as a condition in which the financial system – comprising
of financial intermediaries, markets and market infrastructures – is capable of withstanding
shocks, thereby reducing the likelihood of disruptions in the financial intermediation
process which are severe enough to significantly impair the allocation of savings to
profitable investment opportunities.”4
Unter Finanzmarktstabilität ist also das korrekte Durchführen der generellen Funktionen
eines Finanzmarkts zu verstehen, nämlich eine effiziente Umsetzung von Ersparnissen auf
4
Europäische Zentralbank (2010): http://www.ecb.int/pub/fsr/html/index.en.html)
46
der einen Seite in Investitionen auf der anderen Seite. Zentraler Bestandteil dieser
Allokationsfunktion ist eine korrekte Bepreisung von Risiken. Bezieht man zu dieser
generellen Funktion eines Finanzmarkts den Aspekt der Stabilität ein, so bedeutet dies,
dass die effiziente Allokation von Ersparnissen und Investitionen mit korrekter Bepreisung
von Risiken auch im Falle von etwaigen finanziellen Schocks und Krisen bestand haben
muss. Finanzielle Schocks müssen innerhalb des Systems absorbiert werden.
2.2 Regulierung
In seinem Vortrag geht Herr Orben beim Thema Finanzmarktstabilität insbesondere auf
die Punkte monetäre Regulierung und politische Intervention ein.
Im folgenden Abschnitt werden einige Beispiele einer mangelnden Regulierung dargestellt:
Hedgefonds als Teil des Schattenbankensystems entziehen sich zum Beispiel in
Deutschland komplett der Regulierung. Sie sind an Offshore-Finanzplätzen wie den
Cayman Islands angesiedelt.
Als weiteres Beispiel wird auf die Bankenregulierung eingegangen, insbesondere auf
Eigenkapitalanforderungen, individuelle Ausfallrisiken und Ratingagenturen. An einigen
Praxisbeispielen erläuterte der Referent kritisch das Outsourcing von Risiken durch
Ratingagenturen, sowie Grundlagen von Risikomodellen. Staatsanleihen werden zum
Beispiel mit einem Eigenkapital von 0% hinterlegt, was einem Ausfallrisiko von 0
entsprechen würde.
Eine eher gemäßigte Verschärfung der Regeln in Basel III ist unter anderem Inhalt der
Diskussion des Einflusses von Banken auf ihre eigene Regulierung. Eine
Verhaltensänderung der Banken im Vergleich zu der Zeit vor der Finanzkrise zeichnet sich
daher eher nicht ab. Um die fehlenden institutionellen Rahmenbedingungen zu schaffen,
müssen bestehende Regulierungslücken für einzelne Finanzintermediäre, wie den
Hedgefonds oder Ratingagenturen, geschlossen werden. Andererseits werden
Marktteilnehmer wie Banken diese Lücken in der Regulierung und weit offene
Rahmenbedingungen ausnutzen, um aus ihrer Perspektive erfolgreich am Markt zu
agieren.
2.3 Intervention
Eine weitere Möglichkeit, den Aspekt der Finanzmarktstabilität zu gewährleisten, besteht
in der geldpolitischen Intervention. Dazu führt Herr Orben die fehlgeschlagene Geldpolitik
der Federal Reserve in den USA an, welche auch als „Greenspan-put“ bekannt ist. Diese
verlaufe nach dem Prinzip: „Wir lassen an den Asset-Märkten solange alles laufen, bis der
Wohlstand in Gefahr ist!“
Als im Jahr 2001/2002 übersteigerte Gewinnerwartungen zu einem dramatischen
Kurssprung von Internet – und Technologieaktien führten, kam es im Zuge dieser
maßlosen Überbewertung zu einem Platzen dieser Spekulationsblase und viele junge
Unternehmen gingen Pleite. Getragen von den Anschlägen am 11. September war ein
Vertrauensverlust der Anleger die unmittelbare Folge. Unter dem Vorsitzenden Alan
Greenspan entgegnete die FED der Krise mit massiven Zinssenkungen und überflutete
den Markt mit einer nicht unerheblichen Liquidität. Des Weiteren vermuteten die Anleger
eine Garantie durch die Zentralbank für ebensolche Schocks und der sogenannte
Greenspan-Put wurde getauft. Durch den Lender-of-Last-Resort übertrug sich die Moral47
Hazard-Problematik auf eine stärkere Risikoaffinität der Investoren und heizte somit die
nächste Hypotheken-Blase an.
Demnach musste auch die globale Subprimekrise von 2007 mit expansiver Geldpolitik
entgegnet werden. Nur erhielt diese Intervention unter dem jetzigen Präsidenten des
Federal Reserve Boards Ben Bernanke ihre Aggressivität durch das Quantitive Easing.
Nach dieser geldpolitischen Lockerung kauft die Zentralbank Staatsanleihen und
Wertpapiere, um nicht nur die Liquidität zu erhöhen, sondern auch, um die Preise dieser
Assets in die Höhe zu treiben. Dadurch sollen die Geschäftsbanken ihre Reserven
eigentlich für die Kreditvergabe an Unternehmen verwenden, anstatt in Staatsanleihen und
andere Wertpapiere zu investieren. Der Referent sieht diese Entwicklung aber eher in der
Richtung neuer Spekulationsblasen.
Hingegen versucht die Europäische Zentralbank, durch ihre „leaning against the wind“Strategie diesen Fehler zu vermeiden. Sobald die Assetpreise steigen, wird dies als
Gefahr neuer Spekulationsblasen gesehen. Sobald die Assetpreise in das „Bubbleterritorium“ eintreten, sollen die Zinsen erhöht werden. Es bleibt aber abzuwarten, ob
diese unkonventionelle Strategie die Finanzmarktstabilität erhalten kann.
3. Krisen
Bereits durch das einleitende Interview Roubinis wurde deutlich, welchen Stellenwert die
geringe Volatilität auf Finanz- und Devisenmärkten einnimmt. Zum Zeitpunkt einer Krise
steigt diese Volatilität erheblich an. Durch den vorhandenen Kapitalüberschuss und die
Nullzinspolitiken der Zentralbanken weltweit werden im Zuge des Aufkommens einer Blase
auch Investitionen mit einer erheblich geringeren Rendite getätigt, als dies zum natürlichen
Zinssatz der Fall wäre. Diese Investitionen werden selbst bei geringen Zinsschwankungen
schnell unrentabel, es folgt der rasche Abzug des Kapitals aus diesen Anlagen. Bei global
aufkommenden Schwankungen entsteht durch diese Investitionen ein sehr hohes
Kapitalabzugsvolumen, welches bei zugesicherten festen Wechselkursen die
Devisenreserven der Zentralbanken bedroht. Sind diese erschöpft, muss eine Abwertung
der Währung, in der diese Investitionen getätigt worden sind, folgen. Weitere Zins- und
Wechselkursschwankungen sind die Folge, dies führt zu Panik auf den Finanzmärkten.
Durch die unerwarteten Schwankungen müssen Risiken neu bewertet und eingepreist
werden, bei Zentralbankversprechen eines festen Wechselkurses führte dies zu einer
falschen Risikobewertung, spekulative Blasen platzen unter diesem Neubewertungsdruck.
Durch die voranschreitende Globalisierung ist eine Synchronisation der wirtschaftlichen
Zyklen zu beobachten, welche die durch eine Krise hervorgerufenen Effekte noch
verstärkt.
Vom Redner werden die Fehlanreize beschrieben, die durch das antizipierte Verhalten der
Regierungen und des IWFs im Falle einer Krise gesetzt werden. Die implizite
Versicherung der großen Fonds gegen eine eventuelle Zahlungsunfähigkeit führt
gleichzeitig zu zwei Fehlanreizen. Die Eintrittsstrategie in den Markt besteht laut dem
Redner darin, ein gewisses Volumen vorzuweisen, was auf Grund der weit verbreiteten
Betroffenheit im Falle eines Konkurses eine staatliche Abwicklung eher wahrscheinlich
macht (too big to fail). Des Weiteren besteht der Anreiz zu spekulativen Geschäften mit
höherem Risiko. Der Verlust in einem solchen Falle kann zwar zum Konkurs führen, dieser
wird jedoch nicht von den Verantwortlichen zu finanzieren sein und meist durch staatliche
48
Intervention beschränkt. Im Falle eines Gewinnes geht dieser in das Fondsvermögen über,
das Risiko eines Verlusts besteht ab einem gewissen Volumen jedoch nicht. Die zu
befürchtenden Folgewirkungen einer Zahlungsunfähigkeit auf den gesamten Finanzmarkt
und deren Verstärkung durch den Leverage-Effekt werden in den meisten Fällen staatlich
abgefangen.
Laut den Ausführungen des Redners ist das Bewusstsein, in spekulative Blasen zu
investieren, präsent. Die Strategie für den Umgang mit solchen Investitionen ist simpel,
nur ein rechtzeitiger Abzug des Kapitals im Falle eines Stimmungswandels ist von Nöten.
Dass diese Strategie nur für die ersten Abgänge aus dem Markt erfolgreich sei, wird vom
Redner explizit verdeutlicht. Diese Situation wurde mit dem Bild von sehr engen
Notausgängen in einem gefüllten Saal verglichen.
Durch die vom Redner offen angesprochene erfolgreiche Lobbyarbeit bei der politischen
Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Finanzmarkt wird vom
Redner für die zukünftigen Entwicklungen auf Finanzmärkten eine düstere Prognose
beschrieben. Sollten die beschriebenen Anreize weiterhin bestehen bleiben und die
finanzielle internationale Verflechtung und Synchronisation voranschreiten, werden sich
die Ausmaße zukünftiger Krisen weiterhin verstärken.
In der Diskussion zu dem Vortrag wird angemerkt, dass gerade auch die expansive
Geldpolitik großer Zentralbanken die Öffnung der Kapitalmärkte von Volkswirtschaften
verstärkt, in Erwartung von Kapitalzuflüssen.
Im Anschluss an den Vortrag scheint offensichtlich: „Das Casino ist wieder eröffnet!“
49
Protokoll zu den Referaten der Studierenden
50
Protokoll zu den Referaten der Studierenden
Protokollierende:
Thomas Wied, Jan David Bakker, Alexander Rösschen, Marie Theres Holzhausen
Im siebten Themenblock trug jeweils ein Studierender der Universitäten Bayreuth, Leipzig
und Tübingen die Ergebnisse seiner Seminararbeit vor. Im Anschluss an die drei
Kurzvorträge fand eine Diskussions- und Fragerunde statt. Der nachfolgende Bericht
weicht von dieser Reihenfolge ab. So werden die Zusammenfassungen der Diskussion
thematisch geordnet und dem jeweiligen Präsentationsbericht direkt angegliedert.
Anne-Katrin Beurer, Universität Tübingen: „Die zukünftige Rolle des IWF“
Die Tätigkeitsfelder des IWFs vor Freigabe der Wechselkurse bestand im Wesentlichen in
der Stabilisierung des Weltwährungssystems, der Überwachung nationaler Politiken und
der Vergabe von Krediten an Länder, die temporäre Zahlungsschwierigkeiten hatten. Seit
1973 lassen sich die Aufgaben des IWFs in Krisenprävention und –bekämpfung
unterteilen. Im Rahmen der Vorbeugung wird vor allem auf Surveillance gesetzt. So
werden Länderberichte angefertigt und Beratungen angeboten. Sollte es zur Krise
kommen, werden Kredite vergeben, die an gewisse Konditionen geknüpft sind. Die
Erfüllung dieser Konditionen soll den Ländern helfen, künftig Krisen zu entgehen. Vor dem
Hintergrund dieser Kreditvergabe fand eine Vermischung der Tätigkeitsfelder von IWF und
Weltbank statt, da der Währungsfonds zunehmend längerfristige Kredite an Schwellenund Entwicklungsländer vergab.
Um der veränderten weltwirtschaftlichen Lage Rechnung zu tragen und Kritik an den
Tätigkeiten des IWF zu begegnen, fanden ab 2001 eine Reihe von Reformen statt. Hierbei
kann man zwischen Reformen bezüglich der Kreditkonditionalitäten und Reformen
bezüglich der Stimmenverteilung bei IWF-internen Entscheidungen der Mitgliedsländer
unterscheiden.
Im Bereich der Konditionalitäten wurde 2001 beschlossen, dass der IWF stärker mit den
Partnerländern zusammenarbeiten soll und dass Konditionalitäten auf den makroökonomischen Kernbereich begrenzt sein sollen. Darüber hinaus wurde im Bereich der
Krisenprävention verstärkt darauf geachtet, ex ante Anreize zu setzen, die Länder gar
nicht erst in Probleme geraten lassen. In diesen Kontext sind die „Flexible Credit Line“
(FCL) und die „Precautionary Credit Line“ (PCL) einzuordnen, die 2009 eingeführt wurden.
Es handelt sich dabei um Kreditlinien, welche zu attraktiven Konditionen angeboten
werden, jedoch nur Ländern offenstehen, die in einer Politikbewertung sehr gut bzw. gut
abschneiden. Weiterhin soll damit die Stigmatisierung abgebaut werden, die mit
Inanspruchnahme von IWF-Krediten verbunden ist. Eine Bewertung dieser neuen
Kreditlinien ist bis dato noch nicht möglich, da diese noch nicht lange genug existieren.
Bei Reformen bezüglich der Stimmverteilungen im IWF sollte globalen
Machtverschiebungen Rechnung getragen werden. So wurden 2006 die Quoten für China,
Südkorea, die Türkei und Mexiko angehoben. 2010 erfolgte dann eine der dahingehend
bisher größten Reformen im IWF. Dabei wurde beschlossen, 6,2 Prozentpunkte der
Stimmen von Industrie- an Schwellenländer (v.a. China und Indien) zu übertragen. China
wurde damit zum drittstärksten Mitgliedsland. Die europäischen Länder gaben in diesem
51
Zuge zwei Sitze im Exekutivdirektorium ab. Offen blieb unter anderem die Frage, wie
künftig der geschäftsführende Exekutivdirektor bestimmt werden sollte.
Frau Beurer bewertete die künftigen Aussichten des IWF als positiv, da dieser aufgrund
seiner supranationalen Natur eine hohe Akzeptanz genießt und in seinen Kernbereichen
über große Kompetenz verfügt. Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft seien jedoch
Reformen, die den bisher eingeschlagenen Reformweg konsequent fortsetzen, d.h.
einerseits die Konzentration auf Krisenprävention (inkl. des Ausbaus eines
Frühwarnsystems) und Kernkompetenzen und andererseits die stimmrechtliche
Antizipation von weltwirtschaftlichen Machtverschiebungen.
In der anschließenden Diskussion rückten die Rettungsaktionen des IWF in Europa in den
Mittelpunkt. So wurde festgestellt, dass die Rettung Griechenlands im Rahmen des EU
Rettungsschirms mit den IWF-Statuten konform sei. Darüber hinaus kam die Frage auf, ob
der IWF künftig stärker in Rettungsmaßnahmen innerhalb Europas eingebunden würde. In
diesem Zusammenhang wurde der Wunsch des IWF, alles versichern zu wollen, kritisch
beleuchtet, da sich damit die Frage stelle, wer letztendlich den IWF versichert. Hier war
auch die Rede vom „soft-IWF“, der aufgrund der Aufweichung seiner Statuten ständig
Gefahr laufe, den Fokus der eigenen Arbeit zu verlieren.
Matthias Wischemeyer, Universität Leipzig: „US-Geldpolitik, Subprime-Krise und die
internationale Rolle des Dollar“
Bis zur Subprime-Krise stieg der Anteil der Wohneigentümer an der Bevölkerung
kontinuierlich an. Ermöglicht wurde dies durch variabel verzinste Subprime-Kredite, die auf
Kreditnehmer mit niedriger Bonität zugeschnitten waren. Dadurch stiegen der Anteil des
Subprime-Hypothekenvolumens am Gesamtmarkt und die Häuserpreise (vor allem durch
Spekulation). Die Zinsen der variabel verzinsten Subprime-Kredite folgten größtenteils der
Entwicklung des US-Leitzinses. Als dieser im Jahr 2004 unter Inflationsdruck angehoben
wurde, kam es vermehrt zu Kreditausfällen in diesem Bereich.
Die Subprime-Krise lässt sich zum einen durch Marktversagen, zum anderen durch
monetäre Einflussfaktoren erklären. Diese lassen sich wiederum grob in zwei Thesen
gliedern. Als erstes zu nennen wäre die Niedrigzinspolitik der USA. Um eine größere
Rezession nach dem Platzen der dotcom-Blase zu vermeiden, senkte die US Federal
Reserve den Leitzinssatz auf einen Prozent ab. Um eine günstige wirtschaftliche
Entwicklung nicht zu gefährden, wurde der Zinssatz, zumindest gemessen an der TaylorRegel, erst zu spät wieder angehoben. Das günstige Zentralbankgeld floss vor allem in
den US-Häusermarkt, was massive Spekulationen und eine Verzerrung der
Produktionsstruktur auslöste. Nach dieser Theorie ist die Entstehung der Subprime-Blase
hausgemacht. Ben Bernanke, der Chef der US-Notenbank, argumentierte in einer Rede
hingegen, dass seit Anfang des neuen Jahrtausends vermehrt Ersparnisse aus den
Emerging Markets in US-Staatsanleihen flossen („global savings glut“), was für ein
Absinken des langfristigen Zinses und für steigende Häuserpreise sorgte. Demnach liegen
die Bestimmungsgründe für die Subprime-Krise außerhalb der USA.
Durch die Leitwährungsfunktion des Dollars kann die Federal Reserve expansive
Geldpolitik betreiben, ohne im Heimatland eine übermäßige Inflation auszulösen. Ihr
52
Handlungsspielraum wird durch die Vormachtstellung des Dollars erweitert. Die
Zentralbanken der Emerging Markets hingegen müssen die überschüssigen Geldmittel
absorbieren, wenn sie ihren Wechselkurs und damit den Wettbewerbsvorteil ihrer
Exportgüter aufrechterhalten wollen. Ihr Handlungsspielraum ist dadurch sehr
eingeschränkt.
Solange die USA ihre expansive Geldpolitik nicht einstellen oder sich der Rest der Welt
nicht vom Dollar als Leitwährung abwendet, wird sich an dieser Situation nichts ändern
und es besteht die Gefahr neuer Spekulationsblasen.
Timo Alberts, Universität Bayreuth: „Wann kommt der Yuan? Das Potenzial der
chinesischen Währung als Leitwährung“
Ausgehend von der wachsenden Rolle der chinesischen Wirtschaft und Währung stellte
Timo Alberts in seinem Vortrag die Frage, wann der Yuan sich als Leitwährung etablieren
wird. Um sich dieser Frage anzunähern, zeigte er zu Beginn die vom Leitwährungsland
und der Währung selbst zu erfüllenden Bedingungen auf. Dazu zählen eine große
Bedeutung im Welthandel, ein hoher Grad an Internationalisierung, die uneingeschränkte
Konvertibilität, hoch entwickelte Finanzmärkte, Vertrauen in die politischen Institutionen
des Landes und Netzwerkexternalitäten.
China wächst seit Jahrzehnten stabil mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 10%
und ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Dementsprechend nimmt die Bedeutung
Chinas im Welthandel stetig zu. In jüngster Zeit versucht die chinesische Politik verstärkt
die Internationalisierung des Yuan voranzutreiben, indem sie z.B. bilaterale Abkommen
schließt, die es bestimmten Ländern ermöglicht in Hong Kong Yuan zu kaufen, um so den
Handel ohne Umwege über den Dollar abwickeln zu können. In der Vergangenheit hat
China häufig mit derartigen regionalen Sonderregeln einen allgemeinen Politikwechsel
eingeleitet. Allerdings sieht China die Kontrolle über die eigene Währung als zentralen
Bestandteil ihrer Hoheitsrechte, was es ziemlich unwahrscheinlich macht, dass die
Regierung eine volle Konvertibilität mittelfristig anstrebt.
In diesem Zusammenhang ist auch der jüngste Vorschlag des Gouvernors der People‘s
Bank of China, ein multilaterales Weltwährungssystem in der Tradition von Keynes’ bancor
Vorschlag, zu sehen. Konkret geht es darum, den Yuan in den Währungskorb der
Sonderziehungsrechte aufzunehmen und diese zu einer künstlichen Leitwährung
aufzubauen. Damit einhergehen würde vermutlich auch eine weitere Reform des
Internationalen Währungsfonds, da die Vereinigten Staaten dort noch über eine
Sperrminorität verfügen.
Auch wenn der Vorschlag nicht ausgearbeitet und eher aus taktischen Gesichtspunkten zu
betrachten ist, so würde er China nach wie vor die Möglichkeit erhalten,
Kapitalverkehrskontrollen
durchzuführen.
Taktisch
greift
der
Vorschlag
die
Leitwährungsposition des US-Dollars an und bringt gleichzeitig eine stärkere internationale
Rolle des Yuan ins Gespräch, ohne dabei eine Leitwährungsstellung anzuvisieren.
Chinas Währungspolitik steht aktuell aber noch vor ganz anderen Herausforderungen. So
steckt es mit Währungsreserven von 2,75 Billionen Dollar in einer gigantischen
„Dollarfalle“. Die chinesische Zentralbank kann entweder weiter Dollar aufkaufen, um den
Kurs des Yuan niedrig und den des Dollars künstlich hoch zu halten, was allerdings die
Abhängigkeit vom Dollar weiter zementiert. Oder sie lässt eine graduelle Aufwertung zu,
was allerdings dazu führen würde, dass der Markt auf eine weitere Aufwertung wettet und
53
die chinesische Währungspolitik so unter Druck setzt. Dementsprechend sind die
chinesischen Handlungsspielräume nicht besonders groß.
Als Schlussthese vertrat Timo Alberts die Meinung, dass es zu keiner neuen Leitwährung
kommen wird, da eine asymmetrische Währungsordnung in Anbetracht des Triffin
Dilemmas langfristig stabil sein wird. Diese These wurde in der anschließenden
Diskussion u.a. von Prof. Stark attackiert, der die Meinung vertrat, dass das Triffin
Dilemma keine große Rolle mehr spielen würde.
54
Protokoll zur Podiumsdiskussion
55
Protokoll zur Podiumsdiskussion:
„Ein Blick in die Zukunft: Finanzsysteme und Weltwirtschaft nach der
Krise“
Protokollierende:
Maxim Asjoma, Elena Rubtsova, Faxin Teng, Florian Schwab
Den Abschluss des 20. Dialogseminars in Blaubeuren bildete eine Podiumsdiskussion am
10.12.2010 um 19.15 Uhr über die Zukunft des Weltwährungssystems. Die vier
Professoren, welche das Seminar organisiert hatten, griffen die verschiedenen
Thematiken aus den vorangehenden Beiträgen auf. Zu Beginn präsentierte der
Gesprächsleiter, Professor Dr. Christian Milow (Präsident der Landesbank in den
Freistaaten Sachsen und Thüringen i.R.), eine kurze Agenda über die zu behandelnden
Fragen:
1. Gibt es zur gleichen Zeit immer nur ein Leitwährungsland oder gibt es
regionale bzw. multilaterale Alternativen?
2. Wie können monetäre Spannungen vermieden werden?
3. Wird es eine supranationale Währungsorganisation geben?
4. Wie sieht das zukünftige Weltwährungssystem aus?
Danach forderte er die vier Diskussionsteilnehmer auf, ein kurzes Exposé ihrer
Einschätzung zur Architektur eines zukünftigen Weltwährungssystems abzugeben.
Als erster führte Professor Dr. Gunther Schnabl von der Universität Leipzig seine Thesen
über das zukünftige Weltwährungssystem aus: Er eröffnete sein Statement mit der
rhetorischen Frage, ob es denn eine Alternative zum Dollar als Leit- oder Ankerwährung in
Asien überhaupt gebe, was er dann sofort verneinte. Im Gegenteil sei es so, dass
eventuelle Alternativen zum US-Dollar eher in anderen Währungsräumen als dem
Asiatischen zu finden seien, namentlich etwa in der Eurozone. Asien schaue neidisch auf
den Euro und die Eurozone, die sich durch einen einheitlichen Wirtschaftsraum, eine
gemeinsame stabile Währung, eine tiefe Vernetzung und Strukturierung der Finanzmärkte
sowie eine hohe Rechts- und Vertragssicherheit auszeichne. Überhaupt sei der
bewundernde Blick auf den Euroraum erst durch die US-Niedrigzinspolitik der letzten
Jahre entstanden. Die starke direkte Abhängigkeit des chinesischen Renminbi (Yuan) vom
US Dollar destabilisiere die chinesische Währung, da die weltweiten Kapitalmärkte dem
Dollar immer weniger vertrauen. Das liege daran, dass die Federal Reserve eine
langanhaltende, expansive Geldpolitik betreibt und gleichzeitig nur ungenügende
Strukturmaßnahmen für die amerikanische Wirtschaft empfiehlt.
Welche Währungen kämen überhaupt als ostasiatische Leit- oder Ankerwährung für die
Kapitalmärkte in Frage? Hierzu zählte Prof. Dr. Schnabl mehrere Möglichkeiten auf: Der
chinesische Yuan, der japanische Yen, der koreanische Won, eine künstliche
ostasiatische Währung (acu) nach dem Vorbild des Euro-Vorgängers (ecu) sowie eine
Rückbindung an den Goldstandard. Nach der Aufzählung wurden diese scheinbaren
Alternativen von dem Referenten destruiert: China und Südkorea kommen als Alternativen
nicht in Frage, weil sie über keine entwickelten Kapitalmärkte verfügen, zudem kann der
Yuan nicht frei an den Märkten gehandelt werden – ein Faktum, das ihn, solange es
56
fortbesteht, unmittelbar disqualifiziert. Ebenso deutlich war die Disqualifikation des
japanischen Yen. Die japanische Währung komme als Leitwährung ebenfalls nicht in
Frage, weil die japanische Notenbank, noch eher als die US-Notenbank, schon seit den
90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Niedrigzinspolitik betreibt und damit von
einer Ankerwährung Yen kein Fortschritt gegenüber dem Status Quo zu erwarten sei. Eine
artifizielle ostasiatische Währung sowie der Goldstandard seien aufgrund von
Externalisierungseffekten nicht anzuraten. Ein acu kranke an denselben Fehlern, welche
die einzelnen Währungen charakterisiert; durch einen Transfer auf eine internationale
Ebene verschwänden diese nicht und eine adäquate Abbildung der tatsächlichen
Wirtschaftsleistung der jeweiligen Länder wäre nicht zu bewerkstelligen. Somit sind alle
denkbaren Alternativen für eine ostasiatische Leitwährung zur Ablösung des Dollar
ausgeschieden. Das Einzige, was den ostasiatischen Ländern, v. a. China, bleiben werde,
zumal sie kurz- bis mittelfristig nicht damit rechnen können, dass sich der Euro als globale
Leitwährung etablieren wird, ist politisch und wirtschaftlich auf die USA einzuwirken, um
eine restriktivere Geldpolitik der Federal Reserve zu erreichen.
Als zweiter Diskutant ergriff Professor Dr. Jürgen Stark (EZB und Universität Tübingen)
das Wort. Einleitend präsentierte er eine Analyse des aktuellen Weltwährungssystems.
Der US-Dollar sei trotz aller Vorkommnisse nach wie vor als Leitwährung etabliert, viele
Währungen seien mehr oder minder an ihn gekoppelt, oftmals könne man nicht von freier
Wechselkursbildung sprechen. Als einzige bedeutsame Ausnahme sei der Euro zu
erwähnen, dessen Wechselkurs zum Dollar sich frei bilde. Trotz dieser Dominanz des
Dollars als internationale Leitwährung sei seit etlichen Jahrzehnten eine abnehmende
Bedeutung zu beobachten, welche mit einer zunehmenden Bedeutung und zunehmendem
Selbstbewusstsein der Emerging Economies, namentlich Chinas, Rußlands und Brasiliens
einher gehe.
Danach ging Prof. Dr. Stark über zu einer Prognose des zukünftigen Entwicklungspfads.
Die beiden beschriebenen Tendenzen (abnehmende Bedeutung der USA, zunehmende
Bedeutung der Schwellenländer) werden sich im Großen und Ganzen fortsetzen,
allerdings sei der genaue Pfad und die Geschwindigkeit dieser Entwicklung nicht
abzusehen. Vieles hänge davon ab, dass sich der international wahrgenommene
Abwertungswettbewerb nicht verschärfe und etwa, wie in der Großen Depression, in
protektionistischen Bestrebungen münde, wie man es teilweise schon beobachten könne,
etwa in Form wieder salonfähiger Kapitalverkehrskontrollen am Beispiel Brasiliens. Es sei
daher ratsam, dass sich alle währungspolitischen Akteure ihrer internationalen
Verantwortung bewußt seien und nicht ausschließlich aus kurzfristigem nationalem
Eigeninteresse handelten. Den jüngsten Vorschlag Chinas hält Prof. Dr. Stark für nicht
ausgegoren und eher als Provokation zu werten, welche auf die Unzufriedenheit mit der
bisherigen Situation zurückzuführen sei. Als Forum für den Austausch über diese
gemeinsame Verantwortung und Vermeidung von Konfrontationen schlägt Prof. Dr. Stark
ein informelles supranationales Gremium nach dem Vorbild der G7-Gruppe vor. Dieses
solle die bedeutsamsten acht Akteure umfassen, namentlich die USA, die Eurozone,
China, Rußland, Japan, Indien, Brasilien und eventuell Großbritannien. Dadurch könne
signalisiert werden, dass die entwickelten Länder die wirtschaftlichen Umbrüche zur
Kenntnis genommen hätten und die Schwellenländer adäquat zu ihrer gewachsenen
Bedeutung mit einbezögen. Dadurch könnte langfristig ein wettbewerbliches, multipolares
Währungssystem sichergestellt werden, welches durch verantwortungsvolle geldpolitische
Entscheidungen dazu beiträgt, dass die wirtschaftlichen Fundamentaldaten, also die
Leistungskapazitäten der jeweiligen Volkswirtschaften, sich in den Währungskursen
57
widerspiegeln. Zum Schluß widmete sich Prof. Stark der Frage, ob auch die Rückkehr zum
Goldstandard für ihn denkbar sei, welche im Rahmen des Seminars ebenfalls thematisiert
worden war. Diese würde nach seinem Dafürhalten mehr Schaden als Nutzen stiften, da
wieder ein globaler Anker erforderlich wäre, welcher die nationale Politik der
internationalen Ordnung unterstellt. Der Goldstandard, wie andere Fixkurs-Systeme, sei
aber immer dann und oftmals mit einem Knall gescheitert, als die Fiskalpolitik aus dem
Ruder gelaufen sei.
Die dritte Einschätzung erfolgte durch Professor Dr. Bernhard Herz (Universität Bayreuth).
Er pflichtete zunächst seinem Vorredner bei, dass das Währungssystem sich in einem
offensichtlichen Wandel von einer Dominanz des US-Dollars hin zu einem (mehr)
multipolaren System mit den drei wichtigen globalen Währungspolen USA, Europa und
Asien (insb. China) befinde. Gerade der chinesischen Yuan weise ein gewisses
Entwicklungspotenzial als Währungspol auf. China werde nach eigenem Interesse und
Gutdünken entscheiden, ob und wann es seine Währung für den Devisenhandel freigibt
und damit Konvertibilität herstellt. Bei einem solchen Entscheid könnte daraus dann ein
Leitwährungsstatus resultieren, der aber nicht vom Anker durch politische Entscheidung
bewusst herbeigeführt werden kann, sondern vom Markt durch Vertrauen auf diese
Währung gebildet wird und im Ergebnis eine Währung als Fakturierungswährung im
Binnenmarkthandel, Denominierungswährung im Weltfinanzmarkt sowie Reservewährung
im Währungssystem etabliere. Ein multipolares, wettbewerbliches Währungssystem, so
Prof. Dr. Herz weiter, sei in Anbetracht der beschränkten dauerhaften politischen
Gestaltbarkeit einer internationalen Fixkurs-Währungsarchitektur nicht das schlechteste,
nicht zuletzt aufgrund der Erkenntnis aus dem sogenannten "magischen Dreieck"
(Impossible Trinity): Von den drei wünschbaren Zielen fester Wechselkurse, autonomer
Geldpolitik sowie freien Kapitalverkehrs seien gleichzeitig stets nur zwei zu erreichen.
Seine Skepsis gegenüber dem langfristigen Bestand einer Fixkurs-Ordnung stellte die
Kernthese seines Redebeitrags dar und diese unterfütterte er mit historischen
Erfahrungen. Als erstes Beispiel ersehe man dies aus dem Zusammenbruch des Bretton
Woods-Systems. Bei seiner Genese nach dem Zweiten Weltkrieg schien es aufgrund des
Verzichts der USA auf eine eigene Geldpolitik, des US-Dollar als teilweise goldgedeckte
Ankerwährung sowie der Nicht-Konvertibilität der Währungen Stabilität zu verheissen.
Unter Druck geriet Bretton Woods aber bereits in den 60er Jahren, als sich die NichtKonvertibilität der Währungen ineinander aufzulösen begann. Dazu kamen fiskale
Anspannungen in den USA, die 1971 dazu führten, dass Präsident Nixon handstreichartig
die Goldbindung des US-Dollars aufkündigte („closing the gold window“). Als zweites
Beispiel zeige die europäische Geschichte, dass Lücken zwischen dem de jure und dem
de facto Zustand klaffen können. So sei das Europäische Währungssystem (EWS) auf
eine symmetrische Festlegung der Geldpolitik in den einzelnen Mitgliedsstaaten ausgelegt
gewesen, faktisch habe sich aber durch Marktkräfte die „härteste“ Währung, nämlich die
D-Mark, als Ankerwährung herausgebildet und die anderen Länder hätten die
Bundesbank-Entscheidungen nachvollzogen. In diesem Regime konnten die anderen
Länder durch Abwertungsentscheidungen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit
erhöhen, wovon manche gerne und häufig Gebrauch machten. Auch Frankreich wertete
den Franc mehrfach ab, bevor Ende der 80er-Jahre dann ein Umdenken stattfand und die
monetäre Disziplin zunahm, was letztlich den Pfad für das Europäische Währungssystem
II (EWS II) bildete, welches die Konvergenzkriterien für die Entstehung der einheitlichen
Währung Euro beinhaltete.
58
Für den letzten Diskussionsbeitrag dieser einleitenden Runde wurde Professor Dr. Dr. h.c.
Joachim Starbatty (Universität Tübingen) aufgefordert. Als Ausgangspunkt seiner
Darlegung wählte er die von vielen Ökonomen geltend gemachte Attraktivität von FixkursSystemen dank ihrer vergleichsweise geringen Transaktionskosten und reduzierten
Unsicherheit. Er kündigte an, vor allem auf die Frage eingehen zu wollen, unter welchen
Voraussetzungen ein System fixer Wechselkurse funktionstüchtig sei. Hierzu spezifizierte
er zwei Anforderungen. Zunächst müsse ein Land existieren, dass aufgrund einer
vorrangigen wirtschaftlichen Bedeutung als „Hegemon“ bezeichnet werden kann. Danach
müsse sich dieses Land in der Geldpolitik von rein nationalen Interessen lösen und auch
die wirtschaftliche Situation derjenigen Länder in Erwägung ziehen, die an seine Währung
gebunden sind. Ein solches, gegenüber dem Auslande gutartiges Verhalten müsse durch
Sanktionsmechanismen sichergestellt werden.
Als Illustration dieser Erkenntnis zeigte Prof. Dr. Dr. h.c. Starbatty zwei Beispiele für
Sanktionsmechanismen auf, welche historisch zumindest über eine gewisse Zeit ihren
Zweck erfüllten. Der Sanktionsmechanismus, der beim Übergang vom EWS I zum EWS II
griff, waren die Euro-Konvergenzkriterien. Erst dann nämlich, als Aussichten auf den Euro
als einheitliche Währung bestanden, liessen Länder wie Italien und Frankreich von ihrem
früher üblichen Abwertungsgebaren ab. Der Treiber hinter diesem Bestreben nach der
Einheitswährung war mitunter, dass Frankreich darüber unzufrieden war, dass der Franc
unter dem EWS faktisch an die D-Mark gebunden war und (abgesehen von gelegentlichen
Abwertungsentscheidungen) die Geldpolitik der Bundesbank 1:1 übernommen werden
musste. Der Euro versprach ein symmetrischeres Regime mit größeren
Einflussmöglichkeiten anderer Länder.
Der zweite betrachtete Sanktionsmechanismus war die Gold-Konvertibilität des US-Dollars
im Bretton Woods-System. Dadurch, dass die Federal Reserve sich verpflichtet hatte,
USDollar in fixe Goldbeträge umzutauschen, war die Geldpolitik theoretisch der Hoheit
politischer Entscheidungen entbunden (zumindest teilweise, denn es handelte sich um ein
Teilreserve- und kein Vollreservesystem; es musste nur ein Teil des umlaufenden Geldes
gedeckt sein). Die wirtschaftlichen Akteure begannen in den 60er-Jahren nicht zuletzt
aufgrund der fiskalen Entwicklung in den USA Zweifel an der Nachhaltigkeit dieses
Einlösungsversprechens zu hegen. Andere Länder standen vor der Wahl, US-Dollar oder
Gold vorzuziehen, was immer häufiger zugunsten des Goldes entschieden wurde und
auch dazu führte, dass der Grundsatz der Nicht-Konvertibilität von Währungen ineinander
sukzessive lockerer wurde. Die Zweifel erwiesen sich als berechtigt, als die USA im Jahre
1968 gegenüber Privaten und im Jahre 1971 gegenüber Banken und anderen
Zentralbanken die Eintauschpflicht in Gold aufkündigten. Trotz alledem behielt der USDollar seinen Status als internationale Leitwährung auch in den folgenden Jahren — nun
aber aufgrund von Marktergebnissen und nicht aufgrund einer „fiat“ Institutionalisierung.
Die Frage, ob ein Währungssystem Leitwährung(en) durch den Markt entstehen lässt oder
ob eine institutionalisierte neue Architektur mit klar bezeichneten Leitwährungen
erschaffen wird, behalte für die zukünftige Debatte ihre Relevanz. Jedoch, so der Redner,
sei derzeit kein Land mit einer breit akzeptierten Währung in Sicht, welches die Aufgaben
eines Leitwährungslands auf sich nehmen können oder wolle.
Die darauf folgende Aussprache auf dem Podium bot den Referenten nochmals
Gelegenheit, ihre jeweiligen Thesen zu vertiefen und zu verdeutlichen. Im Wesentlich ging
daraus hervor, dass ein „großer neuer Wurf“ im Weltwährungssystem aufgrund des
Kalküls der einzelnen Währungszonen unwahrscheinlich ist und dass ein
59
erfolgversprechendes Mittel, die sich auftuenden (gefährlichen) Spannungen zu
beherrschen, ein Kooperationsgremium der wichtigsten Währungspole wäre.
Das breite Themenfeld, welches die vier Exposés und die darauf folgende Aussprache
unter den Referenten aufgespannt hatte, bot abschließend genügend Inspiration für
zahlreiche und fundierte Fragen aus Kreisen der studentischen Teilnehmer. Etliche davon
bezogen sich auf die aktuelle Geldpolitik der USA (Quantitative Easing II), welches
unisono durch die Podiumsgäste kritisch bewertet wurde. Die USA, so die Befürchtung,
versuchten mit monetären Massnahmen eine eigentlich überfällige Strukturbereinigung in
ihrer Volkswirtschaft aufzuhalten oder abzumindern. Die Strategie der offenen
Geldschleusen, welche die Antwort der Federal Reserve auf kleinere und grössere
Rezessionen war, berge die Gefahr, immer neue Fehlallokationen heraufzubeschwören (In
dem Zusammenhang hoben etliche der Podiumsgäste die Erklärungsansätze von
Schumpeter und Hayek hervor, welche die Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule
der Nationalökonomie begründen.). Etliches spreche dafür, dass die überdehnten
Sektoren der Finanz- und Bauindustrie nach wie vor zu groß seien und teilweise durch
monetäre Expansion ihre Schrumpfung auf ein gleichgewichtiges Niveau nicht stattfinde.
Die Rezession wäre demnach noch nicht tief genug gewesen. Für diese Probleme sei eine
schnelle und schmerzfreie Lösung nicht in Sicht. Als Sekundäreffekt aus diesem Verhalten
ergebe sich eine Lage, die gefährlich nahe an die Eskalation von Abwertungsspiralen und
protektionistischen Gegenmaßnahmen heranführe.
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