Einführung und Motivation Prof. Dr. Alberto Cattaneo Grundkenntnisse Als Kind haben Sie zu zählen gelernt: 1, 2, 3, usw.§ Später hat man Ihnen erklärt, dass es eigentlich unendlich viele Zahlen und zusätzlich die wichtige Zahl 0 gibt.§ Dann kamen die negativen Zahhlen und die Brüche. Das ist noch ganz elementar.§ Aber schliesslich haben Sie die irrationalen Zahlen kennengelernt. Z.B.: √ 2 als Diagonale des Quadrats. Das hat seit der Zeit des Pytagoras Probleme verursacht. Aber man hat sich in den folgenden Jahrhunderten daran gewöhnt, mit irrationalen Zahlen zu arbeiten. Funktionen Sie haben auch den Begriff einer Funktion und wahrscheinlich den einer stetigen Funktion kennen gelernt. Sie haben auch gelernt, wie man integriert und differenziert. §Z.B., gilt für f (x) = x 2 dass Z f (x) dx = x3 , 3 f 0 (x) = 2x. § Sie kennen wahrscheinlich auch die trigonometrischen Funktionen, z.B., sin x oder cos x, und wissen, wie man sie integriert und differenziert.§ Viele Ergebnisse der Mathematik bis Ende des 18. Jahrhunderts können damit gewonnen werden. Probleme mit den trigonometrischen Reihen Bernoulli, Euler und Fourier bemerkten, dass man periodische Funktionen als Summen trigonometrischer Funktionen erhalten kann. §Man braucht aber Summen unendlich vieler Terme. § Trigonometrische Funktionen sind wunderbar: sie sind stetig und beliebig oft differenzierbar. §Aber was passiert wenn man z.B. folgende Summe betrachtet? f (x) = sin(x) + 1 1 1 sin(3x) + sin(5x) + sin(7x) + · · · 3 5 7 §In mathematischer Notation schreibt man f (x) = ∞ X s=0 1 sin((2s + 1)x). 2s + 1 § Man kriegt eine Funktion, die nicht differenzierbar ist, sogar nicht stetig! Die Grundlagen der Mathematik 1821 stellt Cauchy viele bis zu seiner Zeit noch nicht ernsthaft gestellte Fragen und antwortet einige davon.§ 1 2 3 Was ist eine Ableitung tatsächlich? Antwort: Ein Grenzwert.§ Was ist ein Integral tatsächlich? Antwort: Ein Grenzwert.§ Was ist eine unendliche Reihe (Summe) tatsächlich? Antwort: Ein Grenzwert.§ Also, die wichtige Frage: 4 Was ist ein Grenzwert tatsächlich? §Antwort: Eine Zahl.§ Also schliesslich: 5 Was ist eine Zahl tatsächlich? Antwort: ???.§ Eine Antwort zur letzten Frage wurde später von Weierstrass, Heine und Cantor gegeben. Also sind wir jetzt zurück am Anfang, Kindergarten und Primarschule! Wir müssen aber Zahlen richtig verstehen. Historisch und didaktisch Historisch: 1 Integration (Archimedes, Kepler, Fermat) 2 Ableitungen (Newton, Leibniz) 3 Grenzwerte, Stetigkeit (Cauchy, Weierstrass) 4 Mengen, Abbildungen (Cantor, Dedekind) § Heutzutage verfährt man aus didaktischen Gründen in der entgegengesetzten Richtung. Für eine historische Darstellung der Analysis sei auf das folgende Buch verwiesen: E. Hairer, G. Wanner, “Analysis by Its History,” Spinger. Programm In der Vorlesung werden wir wie im Buch Königsberger verfahren: 1 elementare Tatsachen über Zahlen 2 Funktionen 3 Folgen, Reihen 4 Stetigkeit, Grenzwerte 5 Differenzialrechnung 6 Integralrechnung 7 weitere Themen§ (Ergänzungen) Am Anfang mehr über Zahlen. Weitere fortgeschrittene Themen kommen zum Schluss. Amann und Eschers Buch. § Zugrunde liegen die Logik und die Mengenlehre. Davon haben einige von Ihnen im Vorkurs gehört. Skript auf der Webpage des Instituts für Mathematik unter Veranstaltungen>Konferenzen>Vorkurs Weiteres können Sie in den Ergänzungen zur linearen Algebra lernen, oder in speziellen Vorlesungen. Logik Wir werden hier nur die wichtigsten Tatsachen und Notationen zusammenfassen.§ In der Mathematik befassen wir uns nur mit Aussagen, die entweder wahr oder falsch sind. Als Beispiel haben wir die Aussagen: “3 > 2” “Es gibt keine Zahl, die grösser als 2 ist.” Wir fangen mit Aussagen an, die als wahr angenommen werden, die sog. Axiome. Aus den Axiomen und den bereits als wahr bewiesenen Aussagen leiten wir neue Folgerungen durch ein logisches Verfahren her. Logische Notationen Man ¬ ∀ ∃ ∃! 6∃ verwendet in der Logik spezielle Notationen. Negation z.B.: ¬(x ≥ 2) ist x < 2 für alle, für jedes es gibt ein. . . es gibt genau ein. . . es gibt kein. . . § (Der Junktor ∧) A ∧ B liest man “A und B”. Die Aussage A ∧ B ist wahr genau dann, wenn beide Aussagen A und B wahr sind. (Der Junktor ∨) A ∨ B liest man “A oder B”. Die Aussage A ∨ B ist wahr genau dann, wenn mindestens eine der Aussagen A und B wahr ist. Logische Implikationen Die Schreibweise A =⇒ B liest man “aus A folgt B”, “A impliziert B”, “A zieht B nach sich”. Äquivalent schreibt man auch B ⇐= A. Man sagt: “A ist hinreichend für B” oder “B ist notwendig für A”.§ Mathematisch ist die Implikation A =⇒ B als ¬A ∨ B definiert. Fall 1 Die Aussage A ist falsch (kein interessanter Fall). Fall 2 Beide Aussagen sind wahr. D.h., die Aussage B ist wahr, wenn die Aussage A wahr ist.§ Die Notation A ⇐⇒ B bedeutet A =⇒ B und A ⇐= B Man sagt: “B gilt genau dann, wenn A gilt”, “A und B sind äquivalent”, “A ist notwendig und hinreichend für B”. Beweistechniken Um A =⇒ B zu zeigen, kennt man verschiedene Methoden. (Direkter Beweis) Man zeigt separat A =⇒ C und C =⇒ B Man kann jeden partiellen Beweis (z.B. A =⇒ C ) weiter zerlegen.§ (Kontrapositionsbeweis) Man zeigt ¬B =⇒ ¬A § (Widerspruchsbeweis) Man zeigt A ∧ ¬B =⇒ C , wo C eine falsche Aussage ist.§ Aus der logischen Rechenregeln folgt, dass all diese Formulierungen Terminologie Die bereits bewiesenen Aussagen heissen in der Mathematik Sätze oder Propositionen.§ In den mathematischen Texten unterscheidet man um der Klarheit willen unter verschieden Arten Sätze. Das ist kein logischer Unterschied! Name alternativer Name Bedeutung Satz Proposition einfach eine bewiesene Aussage Folgesatz Korollar ein Satz, der unmittelbar aus einem bereits bewiesenen Satz folgt Lehrsatz Theorem ein wichtiger Satz Hilfssatz Lemma ein Satz, um andere Sätze zu zeigen.§ Z.B., im Beweis (A =⇒ C ) ∧ (C =⇒ B) vom Satz A =⇒ B bezeichnet man oft die Aussagen A =⇒ C und C =⇒ B als Hilfssätze. Letzte Bemerkungen Es passiert manchmal, dass eine von einem Mathematiker als Lemma eingeführte Aussage später als sehr wichtig anerkannt wird. Aus historichen Gründen nennt man sie weiter Lemma statt Theorem. Es gibt viele sehr wichtige Lemmata.§ Eine nicht bewiesene Aussage, für deren Wahrheit es viele Indizien (aber keinen echten Beweis!) gibt, nennt man Vermutung. Es gibt viele sehr wichtige Vermutungen in der Mathematik. Notation aus der Mengenlehre Symbol ∈ 6 ∈ ∪ ∩ ⊂ \ ∅ Bedeutung gehört zu gehört nicht zu Vereinigung Durchschnitt Teilmenge relatives Komplement die leere Menge Beispiel 3 ∈ {1, 3, 6} 3 6∈ {2, 4, 6} {1, 3, 6} ∪ {2, 4, 6} = {1, 2, 3, 4, 6} {1, 3, 6} ∩ {2, 4, 6} = {6} {1, 3, 6} ⊂ {1, 2, 3, 4, 6} {1, 3, 6} \ {2, 4, 6} = {1, 3} Die Aussage X = Y bedeutet X ⊂ Y und Y ⊃ X . Wichtig in der Mengenlehre sind die Axiome über die Eigenschaften solcher Symbole. Die werden Sie in den Ergänzungen zur linearen Algebra oder in anderen spezialisierten Vorlesungen sehen. Solange man nur mit endlichen Mengen arbeitet ist die Theorie eigentlich sehr intuitiv und trivial.