Konstruktion der hyperreellen Zahlen Inhaltsverzeichnis §1 Einleitung

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Konstruktion der hyperreellen Zahlen
Vortrag zum Seminar zur Analysis, 07.11.2012
Stefan Brando
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1
2 Warum konstruieren?
2
3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
3.1 Der Ring der reellwertigen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 ∗ R als Quotientenkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Der Körper ∗ R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
4
5
8
4 Fazit
12
§ 1 Einleitung
Über Jahrhunderte war es unter Mathematikern üblich mit sogenannten infinitesimalen, d. h. unendlich kleinen, und infiniten, d. h. unendlichen, Zahlen zu arbeiten.
Diese haben ihren Ursprung schon in der Antike. So ist überliefert, dass diese Art
von Zahlen bereits von Archimedes für geometrische Ideen zu Kreisen benutzt wurden.1 Auch wenn die Beweise des Archimedes meist über Widersprüche und fast
nie direkt geführt wurden, so finden sich dennoch Hinweise auf den Gebrauch der
heute fast ausgestorbenen Zahlen.
Eines der bedeutendsten mathematischen Gebiete, nämlich die Differential- und Integralrechnung, wurde hauptsächlich über die Benutzung der hyperreellen Zahlen
erschlossen, woher auch der heute weniger gebräuchliche Terminus Infinitesimalrechnung herrührt. Denn obgleich wir heute wie selbstverständlich den modernen
Grenzwertbegriff nutzen, zeigt die Historie, dass die Urheber Sir Isaac Newton und
Gottfried Wilhelm Leibniz sehr wohl mit dieser Art von Zahlen gearbeitet haben.
Newton entwickelte in diesem Zusammenhang sogar die Begriffe der Fluenten und
Fluxionen.
1 Anm.
des Autors: natürlich nicht in der heutigen Ausprägung
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
§ 2 Warum konstruieren?
Einer der letzten, die diese Zahlen noch verwendeten, war Leonhard Euler, der
nachweislich unter Zuhilfenahme der hyperreellen Zahlen die Exponentialreihe entwickelte und e berechnete. Mit der Definition des modernen Grenzwertbegriffs durch
Augustin Louis Cauchy Ende des 18. bzw. Anfang des 19. Jahrhunderts gerieten
die hyperreellen Zahlen bisweilen in Vergessenheit. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts
beschäftigte sich Abraham Robinson wieder genauer mit der Materie und unternahm den Versuch, ein mathematisches Fundament zur Nutzung dieser außergewöhnlichen Zahlen zu schaffen. Wir wollen uns in dieser Ausarbeitung nun damit
beschäftigen, wie man bei der Konstruktion eines hyperreellen Zahlkörpers vorgehen kann.
§ 2 Warum konstruieren?
Zunächst wollen wir uns darüber klar werden, was wir uns unter unendlich kleinen
und großen Zahlen überhaupt vorstellen. Dazu geben wir die folgende
(2.1) Charakterisierung
Wir nennen ε infinitesimal oder unendlich klein genau dann, wenn gilt
0<ε<
1
n
∀ n ∈ N.
Umgekehrt nennen wir eine Zahl ω unendlich genau dann, wenn gilt
∀ n ∈ N.
ω>n
Daraus abgeleitet ergibt sich unmittelbar die folgende Konsequenz: Ist ε infinitesimal, so ist der Reziprokwert 1ε unendlich bzw. ist ω unendlich, so ist dessen Reziprokwert ω1 infinitesimal.
Obgleich uns die obige Charakterisierung eine genaue Vorstellung zu geben scheint,
was wir uns unter unendlichen und infinitesimalen Zahlen vorstellen, so stehen wir
dennoch vor einem Problem, denn keiner der Körper, die wir bisher kennen, enthält
solche Zahlen, insbesondere nicht R.
Es stellt sich also die Frage, ob überhaupt ein Körper existiert, welcher die obigen
Zahlentypen enthält, und wie sich dieser verhalten soll. Euler stellte sich zum Beispiel vor, dass sich die hyperreellen Zahlen wie gewöhnliche reelle Zahlen verhalten
sollten. Dazu schrieb er:
2
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
§ 2 Warum konstruieren?
Let ω be an infinitely small number, or a fraction so small that, although
not equal to zero, still aω = 1 + ψ, where ψ is also an infinitely small
number . . . we let ψ = kω. Then we have aω = 1 + kω, and with a as
the base for the logarithms, we have ω = log(1 + kω ) . . . If now we let
j = ωz , where z denotes any finite number, since ω is infinitely small, then
j is infinitely large. Then we have ω = zj , where ω is represented by a
fraction with an infinite denominator, so that ω is infinitely small, as it
should be.2
Wenn man allerdings genau hinschaut, nutzt Euler bei der Definition von j bereits
das Eingangs als unendlich klein angenommene ω und stellt am Ende gerade dies
wieder fest. Man könnte vielleicht salopp formulieren, dass sich die Katze selbst in
den Schwanz beißt.
Wir können also nicht notwendigerweise davon ausgehen, dass die hyperreellen Zahlen den selben Gesetzmäßigkeiten folgen wie die gewöhnlichen reellen Zahlen. Betrachten wir hier einige Denkanstöße:
• Wenn ω unendlich ist, ist 2ω dann größer?
In der Intuition mutet die Frage seltsam an, ist aber legitim, da sowohl 2 wie
auch ω Elemente von ∗ R sind. Dennoch können wir die Frage nicht zur Zufriedenheit beantworten.
• Gegeben sei die Funktion f : ∗ R → ∗ R, f ( x ) = ε2 x, wobei ε infinitesimal sei.
Wie verhält sich diese Funktion?
Man könnte sich beispielhaft folgendes ansehen: Sei ω unendlich groß. Welchen Wert nimmt die Funktion an der Stelle ω an? Dass wir keine Antwort
auf diese Frage finden werden zeigen die folgenden drei x-Werte: 1ε , ε12 , ε13 . Wir
setzen diese in f ein.
– f 1ε = ε2 1ε = ε (unendlich klein)
– f ε12 = ε2 ε12 = 1 (endlich)
– f ε13 = ε2 ε13 = 1ε (unendlich)
Obwohl wir jedes Mal eine unendliche Zahl eingesetzt haben, ist das Ergebnis
für beliebige unendliche Größen offenbar nicht vorhersagbar. Wir können die
Frage nach f (ω ) also zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten.
2 vgl.
Goldblatt, Robert (1998): Lecture on the hyperreals. An Introduction to nonstandard analysis,
Graduate Texts in Mathematics, S. 8
3
§ 3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
Wir müssten also ein Axiomensystem schaffen, das in sich widerspruchsfrei ist. Dies
wäre jedoch eine nicht triviale Aufgabe.3 Nähern wir uns dem gewünschten Körper
also auf eine andere Weise.
§ 3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
Ziel dieses Abschnittes soll es also sein, einen Körper ∗ R so zu konstruieren, dass
dieser nicht nur R als Teilkörper enthält, sondern natürlich auch die Zahlen, die
wir in der obigen Charakterisierung beschrieben haben. Dazu greifen wir auf eine
bereits bekannte Menge zurück, nämlich den Ring der reellwertigen Folgen.
Der Ring der reellwertigen Folgen
Im Rückblick auf die Vorlesungen Analysis I und II sind uns die reellwertigen Folgen,
deren Gesamtheit wir RN nennen, ein Begriff. Analog zu diesen Veranstaltungen
schreiben wir eine Folge ( a1 , a2 , a3 , . . . ) = ( an )n∈N .4 Allerdings ergänzen wir:
(3.1) Bezeichnungen
Sei ( a1 , a2 , a3 , . . . ) = ( an )n∈N eine reellwertige Folge. Dann bezeichnen wir diese
Folge mit
a : = ( a n ) n ∈N .
Man beachte, dass a in diesem Zusammenhang die Bezeichnung der Folge als Element des RN ist und nicht ihr Grenzwert.
Weiterhin geben wir das
(3.2) Lemma ((Ring der reellen Folgen))
RN ist mit den beiden folgenden Verknüpfungen
⊕:
:
RN × RN → RN ,
RN × RN → RN ,
( a, b) 7→ a ⊕ b := ( an + bn )n∈N
( a, b) 7→ a b := ( an · bn )n∈N
ein kommutativer Ring mit 1.
3 vgl.
4 vgl.
Krieg, Aloys (2007): Analysis I, S. 18
Krieg, Aloys (2007/08): Analysis I/Analysis II
4
§ 3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
Beweis
1. (RN , ⊕) ist eine abelsche Gruppe, denn 0 = (0)n∈N ist neutrales, − a :=
(− an )n∈N das zu a inverse Element. Assoziativ- und Kommutativgesetz folgt
direkt aus der gliedweisen Addition in R.
2. Es ist 1 = (1)n∈N 6= 0 das neutrale Element der Multiplikation. Die Assoziativität ist wieder klar aus der gliedweisen Multiplikation in R.
3. Aufgrund der gliedweisen Definition der Verknüpfungen folgen die Distributivgesetzte aus R.
Wohlgemerkt handelt es sich hierbei jedoch noch nicht um den von uns gewünschten
Körper. Genauer gesagt, handelt es sich nicht einmal um einen Körper. Betrachtet
man den Ring nämlich genauer, so finden sich Beispiele für Nullteiler, so z. B.:
(
(
0 falls n ≡ 0 ( mod2)
0 falls n ≡ 1 ( mod2)
a :=
und
b :=
1 sonst.
1 sonst.
Es ist schnell ersichtlich, dass nach obiger Definition gilt: a b = 0. Somit lässt sich
zu diesen beiden Elementen kein multiplikatives Inverses finden. In der Tat ist es
sogar so, dass jede Folge, die nur eine 0 enthält, kein multiplikatives Inverses haben
kann, da ein Produkt an dieser Stelle immer zu 0 werden wird. Somit kann sich die
1 in RN nicht als Produkt ergeben.
∗R
als Quotientenkörper
Wir haben bereits gesehen, dass es möglich ist, R aus Q zu konstruieren, indem
man eine Äquivalenzrelation auf dem Ring der rationalen Cauchyfolgen, kurz C(Q),
definiert.5 Wir werden uns unserem Problem ähnlich nähern. Wir haben im letzen
Vortrag bereits gesehen, dass ein freier Ultrafilter6 F auf den natürlichen Zahlen N
existiert. Also geben wir die folgende
(3.3) Definition
Sei F ein freier Ultrafilter auf N. Dann sei ≡ als Relation so definiert, dass
a≡b
⇔
{ n ∈ N : a n = bn } ∈ F .
5 vgl.
Plesken, Wilhelm (2012): Mathematische Grundlagen, Vorlesung WS 2011/12, S. 109 ff.
letzten Vortrag war hier von nicht prinzipal die Rede. Dies ist lediglich eine andere Übersetzung
dafür, dass F kein Hauptfilter ist.
6 Im
5
§ 3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
Man sagt auch, die Folgen a und b sind gleich modulo F bzw. die Folgen a und b
stimmen auf fast ganz N überein.
Wir folgern daraus das
(3.4) Lemma
Sei ≡ definiert wie in (3.3). Dann gilt
1. ≡ ist eine Äquivalenzrelation auf RN .
2. ≡ ist eine Kongruenz auf RN .
6≡ 0
3. n1
n ∈N
Beweis
1. Die Reflexivität ist klar, denn N ist als Menge, über welcher der Filter F gegeben ist, immer ein Element des Filters und eine Folge stimmt mit sich selbst
offenbar in jedem Index überein. Die Symmetrie ist trivial, da sie nach Definition direkt aus der Symmetrie von = in R folgt. Also beschränken wir uns auf
die Transitivität. Seien a, b, c ∈ RN , sodass a ≡ b und b ≡ c. Dann folgt
a≡b
⇔
⇔
b≡c
A := {n ∈ N, an = bn } ∈ F
und
B := {n ∈ N, bn = cn } ∈ F
Aufgrund der Filtereigenschaft von F folgt dann, dass {n ∈ N, an = bn =
cn } = A ∩ B ∈ F . Da aber weiter A ∩ B ⊆ C := {n ∈ N, an = cn } folgt C ∈ F ,
also a ≡ c.
2. Seien r, r 0 , s, s0 ∈ RN und es gelte
r ≡ r 0 ⇔ A := {n ∈ N, rn = rn0 } ∈ F
0
s ≡ s ⇔ B := {n ∈ N, sn =
s0n }
∈ F.
und
Dann ist A ∩ B = {n ∈ N, rn = rn0 ∧ sn = s0n ∧ rn + sn = rn0 + s0n } ⊆ {n ∈
N, rn + sn = rn0 + s0n } ∈ F , also r ⊕ s ≡ r 0 ⊕ s0 . Multiplikation folgt analog.
1
6≡ 0.
3. Es ist {n ∈ N, n = 0} = ∅ 6∈ F , also n1
n ∈N
Um ein bisschen einfacher mit den Mengen arbeiten zu können, führen wir folgende
Notation ein:
1. Jr = sK := {n ∈ N, rn = sn }
6
§ 3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
2. Jr < sK := {n ∈ N, rn < sn }
3. Jr > sK := {n ∈ N, rn > sn }
Nun können wir die Äquivalenz einfacher schreiben als
r ≡ s ⇔ Jr = sK ∈ F .
Für viele mag diese Definition von Gleichheit befremdlich und unintuitiv wirken,
denn normalerweise erwarten wir bei der Aussage r = s boolesche Werte. Stattdessen erhalten wir eine Menge von Indizes, die man als Messwert für die Übereinstimmung zweier Folgen verstehen kann. Ist Jr = sK ∈ F , so sagt man, dass r = s fast
überall gilt.
Als Vorbereitung auf den Hauptsatz dieses Themas geben wir zunächst noch folgendes
(3.5) Lemma
Seien r, r 0 , s, s0 ∈ RN . Dann gelten die folgenden Aussagen
1. Jr = sK ∩ Js = tK ⊆ Jr = tK,
2. Jr = r 0 K ∩ Js = s0 K ⊆ Jr ⊕ s = r 0 ⊕ s0 K ∩ Jr s = r 0 s0 K,
3. Jr = r 0 K ∩ Js = s0 K ∩ Jr < sK ⊆ Jr 0 < s0 K.
4. Gilt r ≡ r 0 und s ≡ s0 , dann ist Jr < sK ∈ F genau dann, wenn Jr 0 < s0 K ∈ F .
Beweis
1. Siehe (3.4) 1.
2. Es ist
Jr = r 0 K ∩ Js = s0 K = {n ∈ N, rn = rn0 ∧ sn = s0n }
= {n ∈ N, rn = rn0 ∧ sn = s0n ∧ (rn + sn = rn0 + s0n ∧ rn sn = rn0 s0n )}
⊆ {n ∈ N, rn + sn = rn0 + s0n ∧ rn sn = rn0 s0n }
= Jr ⊕ s = r 0 ⊕ s0 K ∩ Jr s = r 0 s0 K.
Damit ist die Behauptung gezeigt.
3. Es gilt
Jr = r 0 K ∩ Js = s0 K ∩ Jr < sK = {n ∈ N, rn = rn0 ∧ sn = s0n ∧ rn < sn }
= {n ∈ N, rn = rn0 ∧ sn = s0n ∧ rn0 < s0n }
⊆ {n ∈ N, rn0 < s0n } = Jr 0 < s0 K.
Damit ist die Behauptung gezeigt.
7
§ 3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
4. „⇒“ Es sei r ≡ r 0 , s ≡ s0 und es ist Jr < sK ∈ F . Wir haben in 3. gezeigt, dass
Jr = r 0 K ∩ Js = s0 K ∩ Jr < sK ⊆ Jr 0 < s0 K. Ist also Jr < sK ∈ F , so folgt aus den
Filtereigenschaften Jr = r 0 K ∩ Js = s0 K ∩ Jr < sK ∈ F und damit ist auch die
Obermenge Jr 0 < s0 K ∈ F .
„⇐“ Sei nun r ≡ r 0 , s ≡ s0 und Jr 0 < s0 K ∈ F , dann folgt aus den Filtereigenschaften nun Jr = r 0 K ∩ Js = s0 K ∩ Jr 0 < s0 K ∈ F . Vertauscht man bei 3. die
Rollen von r und s mit denen von r 0 und s0 , so ist Jr < sK als Obermenge der
Schnittmenge diese wieder in F .
Nun haben wir alle Vorbereitungen getroffen, um uns dem Kern des Themas zu
widmen.
Der Körper ∗ R
Durch die Verwendung des Ultrafilters F haben wir aus RN eine Restklassenring
konstruiert7 , auf welchem wir die folgenden Bezeichnungen festlegen:
(3.6) Bezeichnungen
1. Sei r ∈ RN . Dann bezeichne
[ r ] = { s ∈ RN : s ≡ r }
die Äquivalenzklasse von r modulo ≡.
2. Wir bezeichnen den Restklassenring selbst als
∗
R := {[r ] : r ∈ RN }.
Zusätzlich geben wir die folgende
(3.7) Definition
Seien [r ], [s] ∈ ∗ R, so definiere
[r ] + [ s ] : = [r ⊕ s ]
[r ] · [ s ] : = [r s ]
und
[r ] < [ s ]
⇔
Jr < sK ∈ F .
7 Dass
es sich bei dieser Konstruktion tatsächlich um einen Ring handelt, zeigen wir im Beweis des
Hauptsatzes; vgl. dazu (3.10).
8
§ 3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
Wir haben in (3.4) und (3.5) gezeigt, dass diese Definitionen wohldefiniert sind und
nicht vom Vertreter abhängen.
Zur unmittelbaren Vorbereitung des Beweises von (3.10) benötigen wir noch die
Definitionen:
(3.8) Definition
Sei R ein kommutativer Ring mit 1. Eine Teilmenge I ⊆ R heißt Ideal von R, falls
(I.1) I 6= ∅
(I.2) ∀ a, b ∈ I
⇒
(I.3) ∀ r ∈ R, a ∈ I
a + b ∈ I.
⇒
r·a ∈ I
(3.9) Definition
Sei K ein Körper. Eine Teilmenge O ⊆ K × K heißt eine Anordnung auf K, falls gilt:
(O.1) Für alle a, b ∈ K tritt genau einer der drei folgenden Fälle ein:
a = b,
( a, b) ∈ O ,
(b, a) ∈ O .
(O.2) (Transitivität) Für alle ( a, b) ∈ O und (b, c) ∈ O gilt ( a, c) ∈ O .
(O.3) (Monotonie) Für alle ( a, b) ∈ O und c ∈ K gilt ( a + c, b + c) ∈ O .
(O.4) (Monotonie) Für alle ( a, b) ∈ O und (0, c) ∈ O gilt ( ac, bc) ∈ O .
Man nennt dann K bzw. (K, O) einen angeordneten Körper.8
Man schreibt in diesem Zusammenhang auch a < b statt ( a, b) ∈ O .
Nun bleibt uns zu zeigen, dass dieses Konstrukt, dass wir auch Ultrapotenz von R9
nennen, auch der gewünschte Körper ist:
(3.10) Hauptsatz
(∗ R, +, ·, <) ist ein angeordneter Körper.
Beweis
1. Zunächst zeigen wir, dass die Ringeigenschaft in ∗ R erhalten bleibt. Dazu zeigen wir, dass ∗ R = R/IF mit IF := {r ∈ RN : r ≡ 0}, wobei letzteres ein Ideal
von RN ist. Um dies zu verifizieren, rechnen wir die drei Eigenschaften nach:
8 vgl.
Krieg, Aloys (2007): Analysis I, S. 12
nennt RN auch eine direkte Potenz von R. Ein Restklassenring, der auf einer solchen direkten Potenz durch eine von einem Ultrafilter definierte Kongruenz basiert, nennt man dann eine
Ultrapotenz.
9 Man
9
§ 3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
(I.1) Sicherlich ist 0 ∈ RN ein Element von IF . Also IF 6= ∅.
(I.2) Seien a, b ∈ IF , also Ja = 0K, Jb = 0K ∈ F . Aus der Filtereigenschaft folgt
dann Ja = 0K ∩ Jb = 0K ⊆ Ja ⊕ b = 0K ∈ F , also a ⊕ b ∈ IF .
(I.3) Sei a ∈ IF und r ∈ RN . Dann ist A := {n ∈ N : an = 0} ∈ F und für alle
n ∈ A gilt an · rn = 0. Somit folgt A ⊆ {n ∈ N : an rn = 0} ∈ F . Damit gilt
r a ∈ IF .
Es handelt sich also bei IF um ein Ideal. Bleibt zu zeigen, dass die durch IF
erzeugten Restklassen den Äquivalenzklassen von oben entsprechen.
Dazu betrachten wir die Folgen a, b ∈ RN mit a ≡ b, d. h. B := {n ∈ N :
an = bn } ∈ F . Nun betrachten wir die Differenzenfolge a − b := ( an − bn )n∈N
und zeigen, dass diese im Ideal liegt. Allerdings gilt nach Voraussetzung für
alle n ∈ B an − bn = 0, also {n ∈ N : an − bn = 0} = B ∈ F . Somit ist
a + IF = b + IF .
Andererseits seien a, b ∈ RN gegeben mit a + IF = b + IF , das heißt, es existiert
ein c ∈ IF derart, dass a ⊕ c = b und C := {n ∈ N : cn = 0} ∈ F . Für alle
n ∈ C gilt dann aber auch an = bn , also folgt damit bereits a ≡ b ( mod F ).
Damit haben wir gezeigt, dass die Ringeigenschaften für ∗ R erhalten bleiben.
2. Weiter ist zu zeigen, dass jedes Nichtnullelement ein multiplikatives Inverses
hat. Sei also [r ] ∈ ∗ R mit [r ] 6= [0], also r 6≡ 0, das heißt J := {n ∈ N : rn 6=
0} ∈ F .10 Nun definiere ein Element s wie folgt:
(
1
falls n ∈ J
s n = rn
0 sonst.
Dann gilt offenbar Jr s = 1K = J, also ist Jr s = 1K ∈ F . Also ist r s ≡ 1
und damit
[r ] · [ s ] = 1
gemäß Definition. Somit gilt [s] = [r ]−1 .
Wir haben damit gezeigt, dass ∗ R ein Körper ist.
3. Was noch zu zeigen bleibt, ist die Anordnung von ∗ R. Dazu rechnen wir die
vier Eigenschaften eines angeordneten Körpers für ∗ R nach.
ist eine direkte Folgerung aus der Ultrafiltereigenschaft: r 6≡ 0 ⇔ J c = Jr = 0K 6∈ F , also liegt
J im Filter.
10 Dies
10
§ 3 Die Konstruktion von ∗ R aus R
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
(O.1) Seien [r ], [s] ∈ ∗ R. Dann reicht zu zeigen, dass genau eine der drei Mengen
Jr = sK, Jr < sK, Jr > sK
ein Element des Filters F ist. Nun ist aber Jr = sK ] Jr < sK ] Jr > sK =
N ∈ F , da F ein Filter auf N ist. Im letzten Vortrag haben wir gesehen,
das aus dieser Tatsache bereits die Behauptung folgt.11
(O.2) Seien [ a], [b], [c] ∈ ∗ R gegeben mit [ a] < [b] und [b] < [c], also seien
Ja < bK, Jb < cK ∈ F . Dann folgt aufgrund der Filtereigenschaft Ja <
bK ∩ Jb < cK = {n ∈ N : an < bn < cn } ∈ F , damit auch {n ∈ N : an <
cn } = Ja < cK ∈ F . Also ist die Anordnung transitiv.
(O.3) Seien wieder [ a], [b], [c] ∈ ∗ R gegeben und es gelte [ a] < [b], das heißt
A := {n ∈ N : an < bn } ∈ F . Dann folgt aus der Anordnung von R
bereits {n ∈ N : an + cn < bn + cn } = A ∈ F . Damit gilt also [ a] + [c] <
[ b ] + [ c ].
(O.4) Gegeben [ a], [b], [c] ∈ ∗ R mit [ a] < [b] und [0] < [c]. Dann gilt Ja < bK, J0 <
cK ∈ F und damit auch Ja < bK ∩ J0 < cK = {n ∈ N : an cn < bn cn ∧ cn >
0} ∈ F , denn die Multiplikation liegt gliedweise in R. Damit gilt also
[ a][c] > [b][c].
Also ist ∗ R ein angeordneter Körper.
Insgesamt folgt also die Behauptung.
Damit haben wir die hyperreellen Zahlen aus den gewöhnlichen reellen Zahlen konstruiert. Was uns noch zu tun bleibt, ist zu zeigen, dass R als Teilkörper in ∗ R
eingebettet werden kann. Dazu identifizieren wir eine reelle Zahl a ∈ R mit der konstanten Folge ( a)n∈N . Wir schreiben dafür dann auch ∗ a. Trivialerweise erfüllt diese
Konstruktion die folgenden Eigenschaften:
∗
( a + b) = ∗ a + ∗ b,
∗
( a · b) = ∗ a · ∗ b,
∗
a < ∗ b ⇔ a < b,
∗
a = ∗ b ⇔ a = b.
Damit folgt dann das
11 ]
bezeichnet die disjunkte Vereinigung.
11
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
§ 4 Fazit
(3.11) Korollar
Die Abbildung
R ,→ ∗ R, r 7→ ∗ r
ist ein ordnungserhaltender Körpermonomorphismus.
Dies erlaubt uns also, jede reelle Zahl r mit einer hyperrellen Zahl ∗ r zu identifizieren
und somit ist auch klar, dass unser neu geschaffener Körper eine Erweiterung zum
reellen Zahlkörper darstellt.
§ 4 Fazit
Wir haben also gezeigt, dass das, was wir konstruiert haben wirklich ein Körper ist,
der R enthält. Was zunächst noch zu zeigen bleibt, ist die Frage, ob dieser Körper
auch weiter die von uns gewünschten infinitesimalen und infiniten Zahlen enthält.
Dies zu klären, wird die Aufgabe der folgenden Sitzung sein. Es sei jedoch erlaubt,
so viel vorwegzunehmen, dass dies der Fall sein wird. Wir haben also einen großen
Schritt hin zu einem neuen Zahlensystem gemacht, dem bereits vor Jahrhunderten
die Menschen vertrauten, obgleich sie im Gegensatz zu uns keinen konstruktiven
Ansatz verfolgten.
12
Konstruktion der hyperreellen Zahlen
§ 4 Fazit
Literaturverzeichnis
• Goldblatt, Robert (1998): Lecture on the hyperreals. An Introduction to nonstandard analysis, Graduate Texts in Mathematics, 188. New York: Springer-Verlag.
• Krieg, Aloys (2007): Analysis I. Aachen: RWTH Aachen.
• Krieg, Aloys (2008): Analysis II. Aachen: RWTH Aachen.
• Plesken, Wilhelm (2012): Mathematische Grundlagen, Vorlesung WS 2011/12.
Aachen: RWTH Aachen.
13
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