Architekturtheorie - Thiel - Architekten und Stadtplaner

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Architekturtheorie
Zwölf Thesen über gute Architektur
1
Form und Gestalt :
Formgebung darf nicht das zufällige Ergebnis des kleinsten gemeinsamen Nenners aller
anderen Einflussfaktoren sein. Gebäudegestalt ist kein Abfallprodukt aus Funktion und
Konstruktion.
Diese Ideologie hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unsere Städte mit einer
Unzahl gestaltloser Allerweltsbauten übersät, die unsere Stadtbilder vielerorts in völliger
Konturlosigkeit überformt hat. Dabei macht das nicht einmal ökonomisch irgendeinen
Sinn, denn ungestaltete Bauwerke kosten nicht weniger als gut gestaltete.
Jedes Haus muss eine, seiner Nutzung und städtebaulichen Situation angemessene Gestalt haben. Gebäudegestalt ist Ergebnis eines aktiven Entwurfsprozesses, also der bewussten Suche nach Form. Nur willentlich gestaltete Gebäude haben Identität und einen hohen Wiedererkennungswert. Solche Häuser zieren eine Stadt und ehren den Besitzer.
2
Bildhaftigkeit :
Wir alle tragen Bilder, Archetypen, in uns. Wir denken nicht nur logisch (was wir erst mit
dem Erwachsenwerden lernen) sondern immer auch anschaulich (was wir schon seit
Kindertagen tun).
Architektur, die Menschen nicht nur im Kopf, sondern auch in ihrem Inneren, ansprechen will, muss deshalb bildhaft sein. Anschauliche Architektur weckt Assoziationen und
bewegt jenseits des rein rationalen.
(Mit Klischees oder Kitsch hat das übrigens nichts zu tun).
3.
Kontext :
Jede Architektur ist ortsgebunden. Architektur (als Qualitätsbegriff verstanden) ohne
Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Ortes gibt es nicht. Architektur ist immer
in einen größeren Kontext eingebunden. Orte haben unterschiedliche Bedingungen:
Topographie, Klima, Landschaft, Nachbarschaft, Geschichte, also jeweils einen ganz
speziellen Genius loci. Architektur muss sich in den vorgefundenen Kontext einfügen,
sich aus den Bedingun- gen des Ortes heraus entwickeln.
Das bedeutet nicht, dass sich neue Architektur unterordnen muss; sie muss aber in Dialog mit ihrer Umgebung treten. Das kann sogar, etwa zur positiven Veränderung eines
Ortes, auch der bewusste Kontrast sein. Architektur, die keine Interdependenz schafft,
die Auseinandersetzung mit dem Ort ignoriert, ist immer schlecht. Das gilt nicht nur für
gebaute Konfektionsware, auch an sich gute Architektur, am falschen Ort, ist schlechte
Architektur.
4.
Proportion :
Gebäude müssen stimmig sein, im Ganzen wie in ihren Teilen. Alles muss zueinander in
harmonischen Verhältnissen stehen. Maßstab dafür ist der Mensch.
Proportion ist unabdingbare Voraussetzung für gute Architektur (und wieder ein Gestaltungselement das kein Geld, nur Denkarbeit, kostet).
5.
Geometrie :
Gute Architektur hat immer ein klares, stringentes Ordnungssystem. Gute Architektur
basiert, bereits seit der Antike, auf klaren geometrischen Strukturen. Sie leiten sich von
den geometrischen Grundfiguren Kreis, Rechteck und Dreieck ab. Bewusst im Gegensatz dazu, kann durchaus eine natürliche freie Form stehen, was immer ein reizvoller
Kontrast ist.
So entstehen klare räumliche Strukturen, die Orientierung bieten und schnell "begriffen"
werden. Geschmäcklerische Aufgeregtheiten und kurzlebige Architekturmoden, wie
sich bizarr und in willkürlichen Winkeln durchschneide Flächen und Konstruktionen
("Mikado-Architektur") lehnen wir ab.
6.
Licht :
Eine der wichtigsten Gaben die wir haben. Ohne Licht gäbe es kein Wahrnehmen
durch Sehen.
Licht beeinflusst die menschliche Wahrnehmung entscheidend. Je nach Helligkeit, Richtung und Farbe, lässt es beschiene Flächen ganz unterschiedlich erscheinen, erzeugt es
verschiedene Stimmungen. Das gilt auch für den ständigen Begleiter des Lichtes, den
Schatten, der die Plastizität der Oberflächen erlebbar macht.
Deshalb muss Licht, Lichteinfall, Lichtführung, Schattenwurf in jedem Entwurf Berücksichtigung finden. Das gilt nicht nur für das natürliche Licht, sondern erst recht für künstliche Beleuchtung; Illumination kann ein und demselben Gebäude eine gänzlich andere Nachtwirkung geben. Licht ist ein zentraler Aspekt der Architektur.
7.
Farbe :
Sie transportiert Stimmungen und spricht die anschauliche Wahrnehmungsebene unmittelbar an. Kinder lieben Farbe, Farbigkeit gilt als Synonym für Lebensfreude.
Farben steigern sich durch ihren Kontrast gegenseitig, erzeugen räumliche Tiefe und betonen Formen. Farbe, richtig eingesetzt, steigert die Wirkung guter Form. Sie kann sogar
eine vorgefundene unbefriedigende Situation nachhaltig verbessern.
Farbe ist auch - innen wie außen - ein wichtiges, und noch dazu ganz billiges, Gestaltungselement: Dabei ist farbig nicht mit bunt zu verwechseln, auch hier gilt "weniger ist
mehr". Farbe ist für uns ein unverzichtbares Mittel guter Architektur. Weil wir mit unseren
Häusern Menschen Freude machen wollen, bau en wir auch keine blutleere "weiße Architektur", sondern farbige Häuser.
8.
Material :
Jeder Baustoff hat seinen individuellen Charakter, verlangt nach materialgerechtet Verarbeitung.
Sichtbar und fühlbar hat jedes Material andere Oberflächeneigenschaften, Stein reflektiert Licht anders als Putz, Holz oder Glas. Material symbolisiert verschiedene Werte: Stein
ist Metapher für Beständigkeit, Holz für Natürlichkeit, Glas für Transparenz. Ge- schickt
kombiniert steigern Materialkontraste die Wirkung der Materialien um ein viel- faches.
Uns ist wichtig, dass diese Phänomene in unsere Architektur einfliesen: Wir wollen Häuser
bauen, die mit Würde altern können, keine modischen Effektbauten deren antiseptische kalte Pracht bereits nach ein paar Jahren vergeht. Deshalb legen wir Wert auf
Materialien die haptische Qualitäten haben und natürlich altern können.
Manche Materialien gewinnen durch Patina sogar noch zusätzliche Ästhetik: Naturstein,
Kupfer, richtig verarbeitetes Holz, Sichtbeton. Anderes wirkt nach wenigen Jahren nur
noch schäbig: Kunststoffe, Spiegelglas, synthetische Putze.
Langlebige und schöne Gebäude verlangen nach sorgfältiger Materialauswahl.
9.
Raum :
Architektur definiert Räume. Im engeren Sinne als Innenräume eines Hauses und, im
übertragenen Sinne, als Platz- und Straßenräume, die ein Gebäude im Kontext mit den
benachbarten Architekturen schafft.
Damit Räume Verweilqualitäten haben und das Wohlbefinden der Menschen fördern
müssen bestimmte konzeptionelle Grundregeln befolgt werden. Dieses Wissen um die
Bedingungen der Räume bezeichnet die fernöstliche Philosophie mit Feng Shui. Im alten Europa war das zwar nicht zu einem geschlossenen Gedankengebäude entwickelt
aber über Grundsätze der Raumkomposition bestand ein allgemeiner Konsens, bevor
die Ideologie der Moderne damit Schluss machte und angeborene Grundbedürfnisse
der Menschen ignorierte.
Wir wollen mit Architektur Lebensräume schaffen. Einfache und gutproportionierte Räume, große und kleine (im engeren und im übertragenen Sinne) Räume in denen man
sich wohlfühlt und gerne verweilt.
10 .
Funktionalität :
Dass ein Gebäude funktioniert, also seinem Zweck entsprechend konzipiert sein muss, ist
eine Selbstverständlichkeit. Als Elementarvoraussetzung ist das an sich so banal, dass es
nicht erwähnt werden müsste, wäre das nicht über lange Zeit ideologisiert worden.
Die Ideologie des Funktionalismus (Credo "form follows function"), die die Funktion zum
alles bestimmenden Faktor erhob, gab für viele Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts die
billige Rechtfertigung für die verheerende Vernachlässigung jedweder Gestaltung und
die ästhetische Verarmung unserer gebauten Umwelt her.
Dabei galt die Gleichstellung von "zweckmäßig", "gut" und "schön" ohne Einschränkung von jeher nur für einfache Gebrauchsgegenstände mit eindimensionaler Funktion. Ästhetik in der Architektur artikuliert sich nicht über den Bestimmungsfaktor der
Funktion. Funktionalität ist ein Qualitätsmaßstab für den Gebrauchswert eines Gebäudes, nicht für seinen Gestaltwert. Der Funktionalismus war ein Irrweg.
11 .
Konstruktion :
Gute Architektur bedingt, fast automatisch, klare und logische Konstruktionsstrukturen.
Das ist so, weil gute Architektur auf einer klaren Ordnung aufbaut. Konstruktion ist logische Folge von Gestaltvorstellung und Entwurfsgeometrie. Die Konstruktion dient der
Form, nicht umgekehrt.
Der Primat der Konstruktion, die im Konstruktivismus dogmatisierte "ehrliche Konstruktion", ist eine intellektuelle Scheintugend. Kaum ein normalveranlagter Mensch macht
sich, beim Anblick eines anderen Menschen, Gedanken, wie dessen Skelett konkret beschaffen sein mag. Warum soll dann beim Anblick eines Hauses unbedingt zu erkennen
sein, wie es konstruiert ist? Tragkonstruktion, und vielmehr gilt dies noch für Haustech- nik,
sind dienende Elemente, die als Selbstverständlichkeiten nicht exhibitionistisch herausgestellt werden müssen. Ein Haus ist ein Haus und keine Maschine.
12 .
Detailqualität :
Gute Architektur gelingt schlussendlich erst, wenn die Gestaltung konsequent bis auf die
Detailebene durchgehalten wird.
Der beste Entwurf bleibt zwangsläufig unbefriedigend, gewissermaßen eine halbe
Sache, wenn die Umsetzung im Detail mangelhaft ist.
Zu guter letzt:
Es ist nicht einfach, diese Leitsätze im Alltag umzusetzen, den selbstgesetzten Ansprüchen gerecht zu werden. Für gute Architektur gibt es keine Rezeptur, sie muss - Aufgabe
für Aufgabe - immer wieder neu erarbeitet werden. Das ist ein schwieriger Weg, manchmal ist es sogar ein Balanceakt.
Das Wagnis im Einzelfall einen Widerspruch zwischen theoretischem Anspruch und der
praktischen Realität offen- zulegen, müssen wir deshalb eingehen. Als Architekten stellen
wir uns auch uns der Kritik derer, die andere Auffassungen vertreten.
Wir wollen gute Häuser bauen. Im Sinne dieser 12 Thesen, die unsere subjektiven Wertvorstellungen spiegeln, wollen wir für Sie arbeiten. Wir freuen uns darauf!
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04.09.2006
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