Proseminar Zahlen Die Eindeutigkeit der reellen Zahlen Prof. Dr. Mark Groves WS 2016/17 11. Januar 2017 1 Einleitung 1 Einleitung Wir beginnen mit der Definition eines vollständig geordneten Körpers. Definition Ein vollständig geordneter Körper ist eine mit zwei binären Verknüpfungen ‘+’ (Addition) und ‘·’ (Multiplikation) sowie einer binären Aussageform ‘<’ (Ordnung) versehene Menge, die die folgenden Eigenschaften haben. Axiome der Arithmetik (A1) x + (y + z) = ( x + y) + z für alle x, y, z ∈ K (Assoziativgesetz der Addition) (A2) x + y = y + x für alle x, y ∈ K (Kommutativgesetz der Addition) (A3) Es existiert genau ein Element 0 ∈ K mit der Eigenschaft x + 0 = 0 + x = x für alle x ∈ K (Existenz der additiven Identität) (A4) Zu jedem x ∈ K existiert genau (Existenz additiver ein Element − x ∈ K mit der Eigenschaft Inverser) x + (− x ) = − x + x = 0 (A5) x · (y · z) = ( x · y) · z für alle x, y, z ∈ K (Assoziativgesetz der Multiplikation) (A6) x · y = y · x für alle x,y ∈ K (Kommutativgesetz der Multiplikation) (A7) Es existiert genau ein von 0 verschiedenes Element 1 ∈ K mit der Eigenschaft 1 · x = x · 1 = x für alle x ∈ K (Existenz der multiplikativen Identität) (A8) Zu jedem x ∈ K \ {0} existiert genau ein Element x −1 ∈ K mit der Eigenschaft x · x −1 = x −1 · x = 1 (Existenz multiplikativer Inverser) (A9) x · (y + z) = x · y + x · z für alle x, y, z ∈ K (Distributivgesetz) 2 1 Einleitung Axiome der Ordnung (O1) Für alle x, y ∈ K gilt genau eine der Beziehungen x = y, x < y, y < x (Trichotomiegesetz) Für alle x, y ,z ∈ K gilt x < y, y < z ⇒ x < z (O3) Für alle x, y, z ∈ K gilt x<y ⇒ x+z<y+z (O4) Für alle x, y, z ∈ K gilt x < y, 0 < z ⇒ xz < yz. (O2) (Transitivität) (Monotoniegesetze) Vollständigkeitsaxiom (V) Es sei M sei eine nichtleere, bezüglich der Ordnung nach oben beschränkte Teilmenge von K. Die Menge aller oberen Schranken für M hat ein kleinstes Element bezüglich der Ordnung. Wir definieren auch einige wichtige Teilmengen eines vollständig geordneten Körpers. Definition Es sei (K, + , · , <) ein vollständig geordneter Körper. 1. Eine Teilmenge M von K heißt induktiv, falls 1 ∈ M; x∈M ⇒ x + 1 ∈ M. Die Menge N der natürlichen Zahlen ist die Schnittmenge aller induktiven Teilmengen von K. 2. Die Menge der ganzen Zahlen ist durch Z := N ∪ {0} ∪ −N definiert. 3. Die Menge der rationalen Zahlen ist durch n o Q := mn−1 : m ∈ Z, n ∈ N definiert. 3 2 Konstruktion des Isomorphismus Bemerkung Mit diesen Definitionen gelten alle Eigenschaften der natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen, die man durch eine auf den Peanoschen Axiomen basierende Konstruktion erhält. Wir werden nun zeigen, dass es – bis auf Isomorphie – nur einen vollstandig geordneten Köper gibt. Diese Aussage wird im folgenden Satz präsize formuliert. Satz Es seien (K1 , + , · , <) und (K2 , + , · , < ) vollständig geordnete Körper. Dann gibt es einen Isomorphismus f : K1 → K2 , d.h. eine Bijektion f : K1 → K2 , die mit der Arithmetik und Ordnung der Köper verträglich ist, sodass f( x · y) = f( x ) · f(y) f ( x + y ) = f ( x ) + f ( y ), und x<y ⇒ f( x ) < f(y) für alle x, y ∈ K1 . 2 Konstruktion des Isomorphismus In diesem Abschnitt seien (K1 , + , · , <) und (K2 , + , · , < ) vollständig geordnete Körper. Wir bezeichnen die respektiven Teilmengen der natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen mit N1 , Z1 , Q1 bzw. N2 , Z2 , Q2 . Definition Die Funktion f : N1 → N2 wird induktiv durch f (1) : = 1 und f(n + 1) = n + 1, n∈N definiert. Die nächste Proposition wird durch vollständige Induktion bewiesen. 4 2 Konstruktion des Isomorphismus Proposition Die Funktion f ist eine Bijektion N1 → N2 , die mit der Arithmetik und Ordnung von K1 und K2 verträglich ist. Definitionen 1. Die Funktion f : Z1 → Z2 wird durch die Formel n ∈ N1 , f ( n ), n = 0, f(n) = 0, −f(−n), n ∈ −N1 . definiert. 2. Die Funktion f : Q1 → Q2 wird durch die Formel f ( m · n −1 ) = f ( m ) · f ( n ) − 1 , m ∈ Z, n ∈ N definiert. Proposition Die Funktion f ist eine Bijektion Z1 → Z2 und Q1 → Q2 , die mit der Arithmetik und Ordnung von K1 und K2 verträglich ist. Bemerkung Aus m · ` = k · n und folgt f(m) · f(`) = f(k ) · f(n). Somit impliziert m · n−1 = k · `−1 eben f(m · n−1 ) = f(k · `−1 ), so dass f auf Q1 wohl definiert ist. Proposition Für jedes x ∈ Q1 gilt f( x ) = sup A x , wobei A x = {f(q) : q ∈ Q1 , q < x } (A x ist nichtleer und nach oben beschränkt, denn für jedes y ∈ Q1 mit x < y gilt f(q) < f( x ) < f(y) für alle q ∈ Q1 .) 5 2 Konstruktion des Isomorphismus Beweis Es sei q ∈ Q1 und q < x, sodass f(q) < f( x ). Folglich ist sup A x ≤ f( x ). Nun nehmen wir an, dass sup A x < f( x ). Dann gibt es r ∈ Q2 mit sup A x < r < f( x ) und folglich r ∈ Q1 mit sup A x < f(r ) < f( x ). Daraus folgt auch r < x, sodass f(r ) ∈ A x , und dies ist ein Widerspruch. Somit ist unsere letzte Funktion wohl definiert. Definition Die Funktion f : K1 → K2 wird durch die Formel f( x ) = sup A x , wobei A x = {f(q) : q ∈ Q1 , q < x } definiert. Schließlich beweisen wir in drei Schritten, dass f : K1 → K2 ein Isomorphismus ist. Satz Die Funktion f : K1 → K2 ist mit der Ordnung von K1 und K2 verträglich. Beweis Es seien x, y ∈ K1 mit x < y. Somit ist A x ⊂ Ay und folglich sup A x ≤ sup Ay , d.h. f( x ) ≤ f(y). Es bleibt nun zu zeigen, dass die Ungleichung strikt ist. Es gibt aber r, s ∈ Q1 mit x < r < s < y und daher f( x ) ≤ f(r ) < f(s) ≤ f(y). 6 2 Konstruktion des Isomorphismus Satz Die Funktion f : K1 → K2 ist bijektiv. Beweis Die Injektivität von f folgt aus ihrer Verträglichkeit mit der Ordnung. Falls f( x ) = f(y) ist, führt nämlich x < y zum Widerspruch f( x ) < f(y) und y < x zum Widerspruch f(y) < f( x ). Nun seien x ∈ K2 und x = sup B, wobei B = {q ∈ Q1 : f(q) < x}. (B ist nichtleer, denn es gibt r ∈ Q1 , r ∈ Q2 mit f(r ) = r < x, und nach oben beschränkt, denn es gibt s ∈ Q1 , s ∈ Q2 mit f(s) = s > x > f(q) für alle q ∈ B und daher s > q für alle q ∈ B.) Nun zeigen wir, dass x = f( x ), so dass f surjektiv ist. – Ist f( x ) < x, so gibt es r ∈ Q1 mit f( x ) < f(r ) < x. Daraus folgt auch x < r und r ∈ B, und dies ist ein Widerspruch. – Ist x < f( x ), so gibt es r ∈ Q1 mit x < f(r ) < f( x ). Daraus folgt auch r < x. Es gibt s ∈ B mit r < s < x und daher f(r ) < f(s) < x, und dies ist ein Widerspruch. Satz Die Funktion f : K1 → K2 ist mit der Arithmetik von K1 und K2 verträglich. Beweis Es seien x, y ∈ K1 . Nun zeigen wir, dass f( x + y) = f( x ) + f(y). Ist f( x + y) < f( x ) + f(y), so gibt es r ∈ Q1 mit f( x + y) < f(r ) < f( x ) + f(y) und folglich x + y < r. 7 2 Konstruktion des Isomorphismus Nun gibt es r1 , r2 ∈ Q1 mit r = r1 + r2 und x < r1 , y < r2 . Somit gilt f (r ) = f (r1 + r2 ) = f (r1 ) + f (r2 ) > f ( x ) + f ( y ), und dies ist ein Widerspruch. Ein ähnliches Argument zeigt, dass f( x + y) > f( x ) + f(y) ebenfalls zum Widerspruch führt. Die Gleichung f( x · y) = f( x ) · f(y) wird in ähnlicher Weise bewiesen. 8