Marketingorganisation der Zukunft Dirk Bathen und Jörg Jelden, Experten für Ausblicke und Aufbrüche BathenJelden Deutscher Marketing Verband Die Neugestaltung der Marketingorganisation ist ein undankbares Thema. Es ist komplex und anstrengend, steckt voller Untiefen und braucht Zeit. Man kann keine schnellen Erfolge verbuchen – und man kann viel falsch machen. Gleichzeitig stoßen Marketingverantwortliche in vielerlei Hinsicht an die Grenzen ihrer gegenwärtigen Marketingorganisation. Mit den heutigen Strukturen, Prozessen und Kompetenzen werden sie den Herausforderungen, den an sie gestellten Erwartungen und ihrem eigenen Gestaltungsanspruch immer weniger gerecht. Der Leidensdruck ist inzwischen für viele hoch genug, dieses unbequeme Thema anzugehen. Groß ist aber auch die Orientierungslosigkeit. Es gibt Unklarheiten über die eigene Rolle und darüber, welche Aufgaben und Zuständigkeiten das Marketing im eigenen Unternehmen hat. Daraus folgen viele offene Fragen bezüglich neuer Strukturen, Prozesse und Kompetenzen. Fast alle Marketer stehen vor ähnlichen Herausforderungen, aber die richtigen Antworten lassen sich nur individuell finden. Sie sind abhängig von Branche, Größe und Kultur des Unternehmens. Es gibt keine Blaupause für die perfekte Marketingorganisation. Wir haben daher den Think-Tank „Marketingorganisation der Zukunft“ ins Leben gerufen, um einen Diskurs über das Selbst- und Zukunftsverständnis des Marketings anzustoßen. Denn als Zukunftsforscher und Organisationsentwickler fasziniert uns, wie sich Organisationen im 21. Jahrhundert aufstellen. Dieses Projekt war nur aufgrund vielfältiger Unterstützung möglich. Unser Dank gilt daher allen, die uns Türen geöffnet haben, ihr Wissen und ihre Expertise eingebracht haben und unsere Arbeit unterstützt haben. Mit dieser Studie wollen wir allen Marketern, die in ihrer eigenen Organisation Gestaltungsambitionen haben, Inspirationen geben und Mut machen. Die Fragen am Ende eines jeden Kapitels sollen helfen, erste Ideen für die eigene Zukunft zu entwickeln. Wir wünschen Ihnen mit den Ausblicken in dieser Studie viele neue Impulse und gutes Gelingen für Ihre persönlichen Aufbrüche. Marketingorganisationen stecken inmitten grundlegender Veränderungen: die lange heiß ersehnte bidirektionale, massenhafte und personalisierte Interaktion mit dem „Social Media-gestärkten“ Kunden erweist sich als wahrhafter und nachhaltiger Paradigmenwechsel. Für die Marketingfunktion entsteht u.a. hieraus eine Vielzahl neuer Herausforderungen: die systematische Nutzung neuer IT-Technologien und Prozesse, die Etablierung einer konsistenten Kundenerfahrung über alle Kunden-„Touchpoints“ hinweg oder auch die Neuausrichtung des Marketings inklusive des Aufbaus der erforderlichen Kompetenzen. Doch welche Strukturen, Prozesse und Kompetenzen braucht eine Marketingorganisation, um gut aufgestellt für aktuelle und kommende Herausforderungen zu sein? Mit dem Auftakt der neuen Studienreihe des Deutschen Marketing Verbands e. V., „Marketingorganisation der Zukunft“, können wir Antworten auf diese Kernfrage geben. Persönlich freue ich mich sehr, dass wir mit „Marketingorganisation der Zukunft“ den 14.000 Clubmitgliedern – bestehend aus Führungskräften und marktorientierten Unternehmen – erneut exklusiven und hochaktuellen Zugang zu Fachwissen bieten können. Als Berufsverband des Marketing-Managements nutzen wir die Möglichkeit, uns unabhängig und aus einem übergeordneten Blickwinkel mit relevanten Themen auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Zum einen bei den Initiatoren des Think-Tanks, Dirk Bathen und Jörg Jelden. Außerdem bei allen Partnern, die inhaltlich und operativ an diesem Projekt mitgearbeitet haben. Zum anderen sage ich unseren Marketing Clubs ein herzliches Dankeschön für die Unterstützung der Studie. Diese waren von Beginn an involviert und haben uns maßgeblich dabei geholfen, die Befragung unter den Mitgliedern auszurollen, sodass wir mit einer Vielzahl von qualitativ hochwertigen Befragungsergebnissen in dieser Auftaktstudie aufwarten können. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und inspirierende Erkenntnisse bei der Lektüre. Hamburg, Mai 2014 Hamburg, Mai 2014 Prof. Dr. Ralf Strauß Präsident Inhalt Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite Seite 4 6 16 26 44 58 73 78 105 Executive Summary Vier große Herausforderungen Neue Strukturen Neue Prozesse Neue Kompetenzen Erste Schritte Vier Szenarien für die Marketingorganisation 2020 Set-Up, Methodik und Projektpartner 5 Executive Summary Technologischer, soziokultureller und ökonomischer Wandel verändern Unternehmen. Themen wie Digitalisierung, Netzwerkgesellschaft, neue Arbeitswelten und PostWachstumswirtschaft stellen auch die Marketingorganisation vor große Herausforderungen. Gleichzeitig gibt es viele Fragezeichen, was genau diese Entwicklungen bedeuten und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Daraus resultieren eine große Unklarheit mit Blick auf die unternehmensinterne Rolle des Marketings und eine Orientierungslosigkeit über zukünftige Strukturen, Prozesse und Kompetenzen. Ein erhoffter Relevanzgewinn der Marketingorganisation steht im Widerspruch zu dem Ergebnis, dass nicht einmal ein Viertel der für diese Studie befragten Mitarbeiter in Unternehmen der Meinung sind, ihre Marketingabteilung sei gut für die Zukunft aufgestellt. Diese Studie liefert keine Patentrezepte, sondern gibt Denkanstöße und zeigt Optionen für die Gestaltung zukünftiger Marketingorganisationen auf. Think-Tank und Studie: Vorgehen Welche neuen Strukturen, Prozesse und Kompetenzen brauchen Marketingabteilungen zukünftig, um den vielfältigen Herausforderungen, den hohen Erwartungen der Unternehmensleitung und den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden? Um Antworten zu finden, initiierten Dirk Bathen und Jörg Jelden einen Think-Tank und diskutierten diese Frage gemeinsam mit den sechs Unternehmenspartnern E-Plus Gruppe, Görtz, INGDiBa, Postbank, T-Systems und Yello Strom. Für die vorliegende Studie „Marketingorganisation der Zukunft“ wurden knapp 40 Einzelinterviews mit Unternehmensvorständen und Marketingverantwortlichen sowie Vordenkern und Wissenschaftlern durchgeführt. Im Rahmen einer Online-Befragung mit insgesamt 810 Teilnehmern aus dem Marketing-Umfeld wurden quantitativ belastbare Ergebnisse erhoben. Die Studienteilnehmer wurden überwiegend aus den Mitgliedern des Deutschen Marketing Verbands sowie der CMO-Community rekrutiert. 72% der Befragungsteilnehmer stammen aus Unternehmen (n=582), davon die Mehrheit aus Geschäftsführungs- und Leitungsebene. 28% der Teilnehmer kommen aus Agenturen (n=184) oder sind sonstige Externe wie z.B. Wissenschaftler (n=44). Die Ergebnisse wurden im Rahmen zweier Workshops mit den Unternehmenspartnern, auf der Kuratoriumssitzung des Deutschen Marketing Verbands sowie eines Treffens der CMO-Community vorgestellt, diskutiert, vertieft und verfeinert. Diese vom Deutschen Marketing Verband herausgegebene Studie stellt die wichtigsten Ergebnisse vor. Wenn im Folgenden von Marketingabteilungen oder -organisationen die Rede ist, sind damit organisatorische Einheiten mit Marketingund Kommunikationsaufgaben gemeint, dies können Abteilungen, Bereiche oder auch einzelne Teams sein. 6 7 Die Marketingorganisation zwischen externem Anpassungszwang und internem Effizienzdruck Die Marketingabteilung muss sich auf eine Welt mit sehr vielen unterschiedlichen Medienkanälen, hoher Geschwindigkeit und umfassenden Daten einstellen. Sie braucht neue Kompetenzen des Netzwerkens, Filterns, Experimentierens und Lernens. Gleichzeitig steigt der Erfolgsdruck und Mitarbeiter sehnen sich nach neuen Arbeitsmodellen. Keine Marketingabteilung wird allen Anforderungen gerecht werden können. Es ist wenig verwunderlich, dass es Marketingverantwortlichen derzeit an Orientierung mangelt. Diese Situation geht mit einem Verlust an interner Glaubwürdigkeit einher. Unternehmensintern geraten Marketingabteilungen unter Effizienz- und Legitimationsdruck. Immer mehr Abteilungen übernehmen eigenständig Marketingaufgaben und konkurrieren um Zuständigkeiten. Mehrfach wurde in den Interviews die Daseinsberechtigung einer eigenständigen, funktionalen Fachabteilung für Marketing in Frage gestellt. Schließlich laufen Zukunftsaufgaben wie Kundenerlebnisse, digitale Transformationen oder Geschäftsmodellinnovationen quer zu heutigen Linienstrukturen. Und auch innerhalb des Marketingsilos haben sich weitere Silos entwickelt, beispielsweise durch eine Aufteilung nach Kanälen, sodass ein erfolgreiches Gesamtmarketing immer schwerer wird. Marketing sieht sich klassischerweise als „Kundenversteher“, Medienexperte und Impulsgeber für neues Wachstum. Aber das in der Vergangenheit Praktizierte funktioniert in den heutigen Zeiten immer weniger. Vier wichtige Herausforderungen sorgen dafür, dass die Anforderungen an das Marketing immer größer werden – und tragen damit auch zu einer wachsenden Unsicherheit bei, wie man auf diese Herausforderungen richtig reagieren soll: Digitalisierung, Netzwerkgesellschaft, Neue Arbeitswelten und Post-Wachstumswirtschaft. Zu jeder dieser vier Herausforderungen wurden in der quantitativen Befragung fünf Teilaspekte hinsichtlich ihres Einflusses auf Strukturen, Prozesse und Kompetenzen bewertet. Die Ergebnisse zeigen: Dem Thema Digitalisierung wird insgesamt der größte Einfluss zugeschrieben. Drei der vier Aspekte mit dem größten Einfluss kommen aus diesem Bereich. Top-7-Herausforderungen (Digitalisierung) Explosion der Kanäle: Personal Media (social, mobile, local, wearable), Relevanzverlust der Massenmedien, Vielzahl neuer Kommunikations-/Vertriebskanäle, unklare Resonanzen 79 (Neue Arbeitswelten) Neue Kompetenzen: Netzwerk nutzen, digitale Werkzeuge kennen, Überblick behalten, Informationen filtern, Neues schnell ausprobieren, aus Fehlern lernen 79 (Digitalisierung) Umfassende Daten: mehr Insights, andere Kennzahlen, neues Differenzierungspotenzial, persönliche Kommunikation und individuelle Services 77 (Digitalisierung) Höhere Geschwindigkeiten: Echtzeitorientierung, kürzere Lebenszyklen von Technologien und Produkten, schnell veraltende Inhalte und Wissen 73 (Post-Wachstum): Steigender Erfolgszwang: verschärfter Wettbewerb, höherer Effizienz- und Verkaufsdruck 72 (Netzwerkgesellschaft) Steigende Konsumentenmacht: anpruchsvollere und vernetzte Bürger, Vertrauensverlust gegenüber Unternehmen und Marken, überprüfbare Leistungsversprechen (Neue Arbeitswelten) Gestiegene Ansprüche vs. Leistungsdruck: Work-Life-Balance, Sinnhaftigkeit, Selbstverwirklichung, Eigenverantwortung, Freiheiten 71 67 Unklarheit über die zukünftige Aufstellung bei gleichzeitig hohem Geltungsanspruch Die Unklarheit über die zukünftige Ausrichtung der Marketingorganisation zeigt sich auch in den Umfrageergebnissen: Nur 23% der Befragungsteilnehmer aus Unternehmen glauben, dass die Marketing-/Kommunikationsabteilung in ihrer jetzigen Form gut für die Zukunft aufgestellt sei. Insgesamt sehen 77% der Befragten aus Unternehmen Handlungsbedarf: Dabei ist fast jeder Dritte (29%) sogar der Meinung, dass sich die Abteilung grundlegend neu aufstellen müsse. Knapp die Hälfte (48%) glaubt, man könne mit kleineren Korrekturen schon viel bewirken. Zugleich sind 60% der Befragten aus Unternehmen der Meinung, dass die Marketingabteilung zukünftig an Relevanz gewinnen wird. Ein Drittel (33%) geht davon aus, dass sie die gleiche Relevanz haben wird wie heute. Lediglich 7% rechnen mit einem Relevanzverlust. Diese Ergebnisse müssen als klarer Call-to-Action verstanden werden. Um im Unternehmen relevant zu bleiben oder bedeutungsvoller zu werden, muss sich die Marketingorganisation verändern. Die Beschäftigung mit dem unliebsamen Thema „Organisation“ kostet Zeit und Nerven, aber nur wer Komfortzonen verlässt und versucht, Strukturen, Prozesse und Kompetenzen zu erneuern, kann für einen Relevanzgewinn der Marketingorganisation sorgen. Basis: n=810, Top-2-Box auf 5er-Skala „großer/ sehr großer Einfluss auf Strukturen, Prozesse, Kompetenzen“ 8 9 Selbsteinschätzung: Gut für die Zukunft aufgestellt? Ein neues Rollenverständnis ist notwendig 67 Marketingabteilungen sind in der jetzigen Form gut aufgestellt 48 43 39 Mit kleineren Korrrekturen kann man schon viel bewirken 31 29 Marketingabteilungen müssen sich grundlegend neu aufstellen 23 18 Heute gibt es keine einheitlichen Vorstellungen davon, wie Marketing sich neu aufstellen muss. Häufig fehlt ein klares Bild, welche Rolle das Marketing zukünftig spielen wird. Sowohl unternehmensintern als auch innerhalb der Marketingorganisation gibt es oftmals kein geteiltes Verständnis über die zukünftigen Aufgaben des Marketings im Unternehmen. Marketingverantwortliche, die ihre eigene Zukunft gestalten und verbessern wollen, sind zunächst gefordert, sowohl für sich selbst neue Klarheit zu schaffen als auch im Unternehmen ein Verständnis hierfür zu bekommen. Erst wenn Aufgaben und Rolle des Marketings gemeinsam definiert sind, lassen sich die richtigen Ableitungen für neue Strukturen, Prozesse und Kompetenzen treffen. Vier Szenarien sollen Marketingverantwortlichen helfen, das eigene Rollenverständnis und die entsprechenden Strukturen, Prozesse und Kompetenzen zu ordnen, Denkrichtungen verdeutlichen und Orientierung für eine Neuausrichtung bieten. Ausblicke auf vier Marketingabteilungen der Zukunft 3 Unternehmen (n=582) Gesamt Agentur und Externe (n=228) Basis: n=810, Summe ungleich 100 durch Rundung Zukünftige Relevanz der Marketingabteilung 60 Wird an Relevanz gewinnen Wird die gleiche Relevanz haben wie heute 33 Wird an Relevanz verlieren 7 Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen) 10 Im Rahmen des Think-Tanks wurden vielfältige Einflüsse und Entwicklungsrichtungen in vier Szenarien für das Jahr 2020 gebündelt. Dabei handelt es sich um zugespitzte und idealtypische Entwürfe einer zukünftigen Marketingorganisation. Diese werden am Ende dieser Studie als fiktive Erfahrungsberichte präsentiert. Ihre Plausibilität zeigt sich auch an den Befragungsergebnissen. Das Szenario „Neustart“ stellt ein zukünftiges Unternehmen ohne klassische Abteilungen vor. Es beleuchtet neue Formen der Zusammenarbeit im Kontext eines radikalen Strukturwandels der Gesamtorganisation. Immerhin sind 29% der Befragten aus Unternehmen der Meinung, dass sich Marketingabteilungen grundsätzlich neu aufstellen müssten. Dieses Szenario korrespondiert mit der Herausforderung neuer Arbeitsmodelle und -kulturen: Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann prägte hierfür den Begriff „New Work.“ Unternehmen beginnen, auf Selbstmotivation und Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter statt auf Anweisungen und Kontrolle zu setzen. Vielfach schaffen diese Unternehmen Abteilungen, Hierarchien, Statussymbole und konventionelle Budgetierungen ab. Führungskräfte werden von den Teams gewählt. Projekte müssen intern Zustimmung finden, um realisiert zu werden. Entsprechend gibt es in diesem Szenario auch keine funktionalen Marketingabteilungen mehr, sondern nur noch einen offenen Arbeitskreis. Es geht in dem Szenario um folgende Fragen: Wie schafft man ein Arbeitsumfeld, in dem die Mitarbeiter eigenmotiviert arbeiten? Welche Rolle kann die Marketingabteilung im Rahmen einer Neustrukturierung der Gesamtorganisation übernehmen? Wie muss man Marketingaufgaben in so einem Arbeitssystem neu definieren? 11 Das Szenario „Koordinierung“ widmet sich der Frage, wie eine Marketingorganisation dezentral und netzwerkartig im Unternehmen aufgestellt werden kann, jenseits klassischer Abteilungsstrukturen. Eine kleine Stabsstelle kümmert sich um die strategische Arbeit und koordiniert die Vielzahl der Marketingbotschafter, die dezentral in den einzelnen Fachbereichen arbeiten. Die Marketingdenkweise wird als Grundhaltung in die Gesamtorganisation getragen. Die Marketingbotschafter verfügen nicht nur über Marketing-Know-how, sondern auch über tiefes Fachwissen ihrer Abteilung. Marketing übernimmt die Rolle des internen Vernetzers und Vermittlers. 41% aller Befragten, die die offene Frage zu den Zukunftskompetenzen ausgefüllt haben, sind der Meinung, dass Vernetzungskompetenz – also ganzheitliches, integratives und bereichsübergreifendes Denken und Handeln und eine koordinierende, moderierende und vermittelnde Arbeitsweise – zukünftig eine wichtige Kompetenz darstellt. Das Szenario orientiert sich an der Herausforderung der Netzwerkgesellschaft und behandelt folgende Fragen: Wie kann man alle Abteilungen, in denen Marketing gemacht wird, einbinden? Welche Marketingaufgaben liegen nicht mehr oder noch nicht im Verantwortungsbereich der Marketingabteilung – und wie kann man einen stärkeren Einfluss auf diese Aufgaben bekommen? Das Szenario „Wachablösung“ geht der Frage nach, welche Rolle die Marketingorganisation hat, wenn sich neue interne Akteure (wie zum Beispiel der Chief Digital Officer) quer zu klassischen Funktionsbereichen etablieren und die Lufthoheit über die digitalen Transformationen übernehmen. Es greift die Digitalisierung als zentrale Herausforderung auf und zeigt eine Marketingabteilung, die durch einen Chief Digital Officer (CDO) geprägt wird, der den digitalen Wandel des Unternehmens vorangetrieben hat und zum Innovationstreiber für die Gesamtorganisation geworden ist. Insgesamt fast jeder dritte Befragte aus Unternehmen (31%) glaubt, dass es 2020 einen solchen CDO geben wird. Dabei scheinen heutige Marketingleiter diese Entwicklung eher zu unterschätzen: Während nur 24% die Implementierung eines CDO für (sehr) wahrscheinlich halten, sind es auf Ebene der Unternehmensführung immerhin 39%. Bereits heute zeigt sich in einigen Unternehmen, dass Chief Digital Officer das Mandat der Unternehmensleitung haben, quer zu bisherigen Strukturen zu arbeiten, um schneller Innovationen voranzutreiben, Geschäftsmodelle zu entwickeln oder die eigenen Kunden anhand von Verhaltensdaten besser zu verstehen. Derzeit schaffen es viele Marketingorganisationen aber offensichtlich noch nicht gut genug, die Herausforderungen rund um das Thema Digitalisierung in entsprechende Kompetenzprofile umzusetzen, denn nur 23% aller Befragten, die die offene Frage zu den Zukunftskompetenzen ausgefüllt haben, sind der Meinung, das Technologiekompetenz – also Technologieaffinität, Datenverständnis oder IT-Wissen – zukünftig eine wichtige Kompetenz für Marketingmitarbeiter darstellt. In dem Szenario geht es um folgende Fragen: Wie können Marketingverantwortliche den Wandel so gestalten, dass man nicht durch andere Akteure (wie z.B. den CDO) überholt wird? Wie kann die Marketingorganisation die Führungsrolle bei den (digitalen) Transformationen des Unternehmens bekommen? 12 Das Szenario „Nachweisbarkeit“ beschreibt die Dominanz der Vertriebsorientierung und die Fokussierung auf operative Aufgaben unter den Bedingungen von Messbarkeit und Abverkaufsdruck. Strategische Fragestellungen und weiche, nicht messbare Aspekte des Marketings verlieren an Relevanz oder wandern in andere Abteilungen. Die Marketingorganisation agiert operativ, optimiert die Mikro-Kaufprozesse und fokussiert auf Vertriebsunterstützung. Effizienzprogramme und KPI-Berechnungen bestimmen Budgetallokationen und Maßnahmenpläne. 81% der Befragten aus Unternehmen halten es für (sehr) wahrscheinlich, dass Marketing im Jahr 2020 näher an den Vertrieb gerückt sein wird. 60% glauben, dass der Return-on-Marketing-Invest im Jahr 2020 ganzheitlich messbar geworden sein wird. Diese Marketingeinheiten werden sich stärker an messbarem Mikroverhalten von Kunden ausrichten und versuchen, die kleinen Stellschrauben zu identifizieren, die den Absatz erhöhen. Dafür entwickeln sie eine deutlich höhere Kompetenz in der Analyse von Kundendaten und dem schnellen Testen von Kommunikationsmaßnahmen. Das Thema Marke spielt in diesem Szenario eine untergeordnete Rolle. Strategische Fragestellungen sind keine Aufgabe der Marketingorganisation (mehr). Auffällig ist jedoch auch hier, dass eine solche Effizienzorientierung nur von wenigen als Zukunftskompetenz angesehen wird. Nur 11% aller Befragten haben in der offenen Frage zu den Zukunftskompetenzen Aspekte der Effizienzorientierung genannt. In dem Szenario geht es um folgende Fragen: Welchen Stellenwert hat die Marketingorganisation im Rahmen der Effizienzorientierung und „KPI-isierung“? Wie kann man einerseits die Anforderungen der Erfolgsmessung erfüllen und gleichzeitig die Bedeutung von strategischer, nicht-messbarer Arbeit herausstellen? Akteure des Wandels: Neue Helden gesucht Wer ist angesichts dieser breiten Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten in der Lage, eine Neuausrichtung der Marketingabteilung voranzutreiben? Die Ergebnisse der quantitativen Befragung zeigen: Es gibt keine klare Gruppe, der man die Verantwortung für Veränderung zuschreiben kann. Die Sicht auf die Akteure ist uneindeutig. Das bedeutet auch: Die Gestaltung der Marketingabteilung von morgen hängt mehr denn je von mutigen Initiativen Einzelner ab. Auffällig ist, dass der Marketingleitung (Chief Marketing Officer) am wenigsten Veränderungskraft zugeschrieben wird. Nur 14% aller Befragten aus Unternehmen glauben, dass der CMO die Neuausrichtung der Marketing-/Kommunikationsabteilung vorantreiben kann. Im Gegensatz dazu sehen 24% der Befragten junge Talente und neue Mitarbeiter als wesentlichen Treiber für Veränderung – vielleicht auch deswegen, weil man sich von jungen Talenten zugleich neue (digitale) Kompetenzen erhofft. Gerade wenn den neuen Mitarbeitern eine wichtige Rolle bei der Neuausrichtung der Marketingorganisation zugeschrieben wird, muss man sich fragen: Was tue ich, um für neue Mitarbeiter attraktiv zu werden? Für viele junge und gut qualifizierte Mitarbeiter kommt ein Arbeiten in einer nicht mehr zeitgemäßen Organisation häufig gar nicht erst in Frage oder sie verlassen nach kurzer Zeit das Unternehmen 13 wieder. Mit Blick auf die wichtigsten Veränderungsbarrieren wird „fehlende Zeit“ als Hauptgrund angegeben (50%), gefolgt von „widerstrebenden Mitarbeitern“ (46%) und „Konsenslähmung“ (39%). Die befragten Teilnehmer aus Agenturen sehen hier mit 57% den „fehlenden Mut in der Führungsetage“ als wichtigste Veränderungsbarriere. Insgesamt sind diese Zahlen ein Beleg für die Orientierungslosigkeit, die Überforderung und die Machtlosigkeit, die Marketingverantwortliche derzeit spüren, sei es durch fehlende unternehmensinterne Akzeptanz oder zunehmende Unsicherheit aufgrund eines sich rasant verändernden Umfeldes. Aber wie bekommen Marketingverantwortliche wieder mehr Gestaltungsmacht und können damit die unternehmensinterne Relevanz ihrer Organisation erhöhen? Erste Schritte: Neue Pfade betreten statt nach Königswegen zu suchen Es gibt keinen Königsweg für die Marketingorganisation der Zukunft. In dieser Studie werden viele Gestaltungsansätze vorgestellt – so abstrakt wie nötig und so konkret wie möglich. Die Herausforderungen sind für viele ähnlich, aber die Lösungen sind individuell und abhängig von Branche, Unternehmen und Führungskultur. Die Antworten sind stark vom Engagement Einzelner und vom Mitwirken vieler abhängig. Denn die Neuausrichtung der Marketingorganisation ist immer auch eine Frage der Gesamtorganisation, in die sie eingebettet ist. Als abschließende Empfehlung für Marketingverantwortliche werden sieben Schritte präsentiert, die den Aufbruch erleichtern sollen. Dabei geht es zunächst darum, Platz für Neues zu machen und Ballast abzuwerfen, um ein mutiges und positives Wunschbild der eigenen Marketingorganisation von morgen zu entwerfen. Diese Vision gilt es dann auf Realisierbarkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Mit der Suche nach versteckten Ressourcen beginnt die Umsetzung des eigenen Wunschbildes. Hier braucht es erste Erfolge anhand von Pilotprojekten, um eine Dynamik zu erzeugen. Daraus entwickeln sich idealerweise ein offizielles Mandat für die Neuausrichtung und eine Ausweitung der Aktivitäten. Aufbruch in sieben Schritten 1. Freiräume schaffen 7. Das neue Bild prägen Welche Aufgaben oder Aktivitäten können Sie standardisieren, reduzieren, eliminieren oder auslagern, um zusätzliche Zeit und Ressourcen zu gewinnen? Wie können wir mehr werden und die neue Marketing-Mission festigen? 6. DIe Lizenz zum Wandel 2. Mutig das eigene Wunschbild schärfen Wann ist der richtige Moment, um ein Mandat für die eigene Gestaltungsidee zu lancieren? Wie soll Ihre ideale Marketingorganisation zukünftig aussehen? 5. Erste Erfolge vorweisen 3. Wunsch und Wirklichkeit überprüfen Welche Projekte eignen sich, damit Sie schnell ins Handeln kommen und das Neue ausprobieren? Nach welcher Logik funktioniert Ihr Unternehmen? Ist Ihr Wunschbild kompatibel? 4. Versteckte Ressourcen ausfindig machen 14 Wer hat Interesse, sich einzubringen? 15 Vier große Herausforderungen Um die Marketingorganisation der Zukunft zu gestalten, müssen Marketingverantwortliche die technologischen, soziokulturellen und ökonomischen Herausforderungen der Gegenwart verstehen: Digitalisierung, Netzwerkgesellschaft, neue Arbeitswelten und Post-Wachstum verändern Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmen und haben auch Auswirkungen auf die zukünftige Gestaltung der Marketingorganisation. Als Ausgangspunkt für diese Studie werden im Folgenden die zentralen Herausforderungen und wesentlichen Einflussfaktoren auf Strukturen, Prozesse und Kompetenzen in aller Kürze skizziert, ohne eine Detaildiskussion der einzelnen Aspekte vorzunehmen. Digitalisierung: Die Explosion der Daten „Wir müssen uns digitaler aufstellen“ ist ein allgegenwärtiger Satz. Der Begriff „Digitalisierung“ ist eine Metapher für eine Welt, die mehr und mehr von digitalen Medien und Technologien durchdrungen wird. Eine Welt, in der Informations- und Kommunikationsprozesse datenbasiert gesteuert werden und in der autonome Algorithmen und lernfähige Systeme sich zunehmend selbst steuern. Wir können uns ein Leben ohne digitale Medien nicht mehr vorstellen. Technologie ist sozial und mobil, wir sind weder an Zeit noch an Orte gebunden, um zu kommunizieren oder Informationen abzurufen. Die Kraft der exponentiellen Sprünge, mit der die Digitalisierung unsere Welt, die Menschen und Organisationen verändert, lässt sich mit den Worten des Ökonomen Joseph Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“ bezeichnen. Die Digitalisierung rüttelt an der bestehenden Ordnung, sie zerstört alte Strukturen und schafft in immer kürzeren Abständen neue. Für die Marketingorganisation ergeben sich folgende Herausforderungen: Umfassendere Daten: Die Datenspuren, die Menschen im Netz hinterlassen, bieten dem Marketing die Möglichkeit, umfassende Consumer-Insights zu gewinnen und die Customer-Journey zu tracken. Daraus lassen sich Kennzahlen ableiten und messen. Die technologische Infrastruktur bietet viele Anknüpfungspunkte für Wettbewerbsdifferenzierungen und zur individuellen Gestaltung von Kommunikation und Services. Gleichzeitig wächst durch die neuen Möglichkeiten auch der unternehmensinterne Druck auf die Marketingabteilung, diese Daten zielführend zu analysieren und andere Abteilungen zu unterstützen. Explosion der Kanäle: Produktion und Konsum von Medieninhalten werden persönlicher und individueller. Personal Media verbindet soziale Medien mit mobilen Technologien, lokalen Angeboten und individuellen Stimmungen und Befindlichkeiten. Massenmedien müssen sich das knappe Aufmerksamkeitsbudget mit anderen Medien und Kanälen 16 teilen und übernehmen eine neue Rolle. Die Vielzahl der Touchpoints und Kommunikations-/Distributionskanäle sorgt für unklare und kaum berechenbare Resonanzen. Automatisierung von Kommunikationsprozessen: Softwarelösungen und Algorithmen ermöglichen die Automatisierung von Wissensarbeit und Kommunikationsprozessen. Intelligente Systeme sind lernfähig und passen sich dem Verhalten der Nutzer an. Vernetzte Objekte und M2M-Anwendungen (machine-to-machine-communication) helfen dabei, Daten zu sammeln und Kommunikation individueller und effizienter zu machen. Höhere Geschwindigkeiten: Technologisch macht die Welt exponentielle Sprünge und verschiebt in immer kürzeren Abständen die Grenze des technisch Machbaren. Damit werden die Lebenszyklen von Produkten und Technologien immer kürzer. Wissen und Inhalte veralten immer schneller. Gleichzeitig sorgen mobile Technologien bei den Menschen für eine ausgeprägte Echtzeit- und Erlebnisorientierung sowie eine Erwartungshaltung der Sofortbelohnung. Geringere Markt-Eintrittsbarrieren: Die technologische Infrastruktur macht es neuen Wettbewerbern wie Start-Ups, Inkubatoren und anderen Innovatoren leichter, in den 17 Markt zu drängen (z.B. durch Crowdfunding-Projekte) und mit neuer Agilität die gängigen Geschäftsmodelle etablierter Großunternehmen anzugreifen. den Alltag. Es fehlt an Zusammenhalt und Gesamtverständnis. Die Gesamtkoordination wird erschwert, die Steuerungsfähigkeit von Organisationen sinkt. Einfluss auf Marketing-/Kommunikationsabteilungen Explosion der Kanäle: Aufstieg von Personal Media (social, mobile, local, wearable), Relevanzverlust und neue Rolle der Massenmedien, Vielzahl neuer Kommunikationsund Vertriebskanäle, unklare Resonanzen, multiple Touchpoints 79% Umfassendere Daten: mehr Insights, andere Kennzahlen, neues Differenzierungspotenzial, persönliche Kommunikation und individuelle Services 77% Höhere Geschwindigkeiten: Echtzeitorientierung, kürzere Lebenszyklen von Technologien und Produkten, schnell veraltende Inhalte und Wissen 73% Automatisierung von Kommunikationsprozessen: intelligente Software, autonome Algorithmen, vernetzte Objekte, lernfähige Systeme Geringere Markt-Eintrittsbarrieren: Start-Ups, Inkubatoren und andere Innovatoren, Angriff auf etablierte Geschäftsmodelle 55% 41% (n=810, Angabe der Top-2-Box auf 5er Skala: „sehr großer/großer Einfluss auf Strukturen, Arbeitsweisen und Kompetenzen) Netzwerkgesellschaft: Neue Gemeinschaften in einer fragmentierten und fragilen Welt Zygmunt Baumann nannte es „liquid modernity”: Institutionen, die lange Zeit das gesellschaftliche Leben organisiert haben, verflüchtigen sich. Selbstverantwortung und Eigeninitiative sind das Mantra der individualisierten Leistungsgesellschaft. Beziehungen werden flexibler, lockerer und prekärer. Sie sind wählbarer und weniger belastbar. Beruflich wie privat haben wir mehr Optionen, mehr Informationen, mehr Komplexität und mehr Risiken. Gleichzeitig gibt es weniger Orientierung, Zeit, Verlässlichkeit und Stabilität. Gerade weil Individualisierung und funktionale Differenzierung die Menschen vereinzeln, gewinnen Netzwerke an Bedeutung. Soziale Technologien erleichtern Kommunikation, Austausch und Teilhabe, sie ermöglichen demokratische Prozesse und Selbstgestaltung jenseits klassischer Hierarchien. Sie helfen uns bei der Konstitution temporärer Wahlgemeinschaften, beim Aufbau und bei der Pflege von Netzwerken, die Sicherheit geben, Zugehörigkeit definieren und Raum für Anerkennung bieten. Kontinuierliche Beziehungspflege erhöht den Koordinationsaufwand einzelner Akteure und die Informationsvielfalt erfordert neue Qualitäten der Wissensaufnahme und -verarbeitung. Für die Marketingorganisation ergeben sich folgende Herausforderungen: Steigende Fragmentierung: Durch Vielfalt der Informationen differenzieren sich Wissen und Funktionen weiter aus. Die Welt wird immer kleinteiliger, Silodenken beherrscht 18 Steigende Konsumentenmacht: Bürgerinnen und Bürger sind vernetzter und haben die Möglichkeit, die Leistungsversprechen der Unternehmen – wie z.B. Preise, Qualität oder Herstellungsbedingungen – genau zu überprüfen. Die Ansprüche steigen, Fehltritte der Unternehmen werden umgehend öffentlich gemacht und geahndet. Das Vertrauen in Unternehmen und Marken sinkt. Neues Konsumverständnis: Das Wissen über die Bedingungen und Folgen unseres Konsumverhaltens nimmt zu. Dem neuen Bewusstsein folgt ein Handeln, das auf Basis von Netzwerktechnologien organisiert ist und die Kraft des Kollektiven ins Zentrum rückt: C2C-Angebote und Sharing-Kultur geben dem Nutzen einen höheren Stellenwert als dem Besitzen. Do-It-Yourself setzt auf das Selbermachen jenseits industriell produzierter Massenware. Neue Umgangsformen mit externen Stakeholdern: Machtverhältnisse verschieben sich, es etablieren sich neue Umgangsformen zwischen den einzelnen Akteuren. Netzwerktechnologien ermöglichen mehr Austausch und mehr Ko-Kreationen. Es erfordert höhere Reaktionsgeschwindigkeiten. Mehr Dialog erhöht die Gefahr potenzieller Konflikthaftigkeit zwischen Akteuren. Der Missbrauch persönlicher Daten bringt eine neue (Daten-) Sensibilität hervor. Komplexe Ökosysteme: Fragmentierung und Arbeitsteilung verlängern Wertschöpfungsketten. Aufgrund der komplexen Vernetzung vielfältiger Akteure werden Abstimmungsprozesse aufwändiger, sowohl innerhalb von (hybriden) Organisationen als auch zwischen Unternehmen und neuen externen Dienstleistern. Einfluss auf Marketing-/Kommunikationsabteilungen Steigende Konsumentenmacht: anspruchsvollere und vernetzte Bürger, Vertrauensverlust gegenüber Unternehmen und Marken, überprüfbare Leistungsversprechen 71% Steigende Fragmentierung: Spezialisierung von Wissen, Ausdifferenzierung von Funktionen, kleinteiligere Silos, fehlende Gesamtkoordination, sinkende Steuerungsfähigkeit von Organisationen 57% Neue Umgangsformen mit externen Stakeholdern: mehr Ko-Kreationen, Dialog und Austausch, höhere Reaktionsgeschwindigkeiten, zunehmende Konflikthaftigkeit, neue (Daten-)Sensibilität 57% Komplexe Ökosysteme: längere Wertschöpfungsketten, neue Dienstleister, hybride Organisationen, aufwändigere Abstimmungsprozesse 45% Neues Konsumverständnis: Do-It-Yourself, C2C-Angebote, Sharing-Kultur, Rekollektivierungen (z.B. Genossenschaften, Verstaatlichung) 43% (n=810, Angabe der Top-2-Box auf 5er Skala: „sehr großer/großer Einfluss auf Strukturen, Arbeitsweisen und Kompetenzen“) 19 Neue Arbeitswelten: Die Flexibilisierung des Unternehmens In den vergangenen 20 Jahren trieben Politik und Unternehmen die Flexibilisierung der Mitarbeiter voran. Nun folgt die Flexibilisierung der Unternehmen. Die Arbeitswelten wandeln sich, Unternehmen spüren Veränderungsdruck, ihre Strukturen und Arbeitsweisen zu erneuern. Starre Hierarchien, vorgegebene Reportingstrukturen, Silodenken, vorgezeichnete Karrierepfade, feste Berufsbilder oder vorgeschriebene Präsenzzeiten passen immer weniger in die Zeit und verlieren bei Mitarbeitern, Managern und Medien an Relevanz. Der Logik der sozialen Netzwerke folgend werden Arbeitsprozesse und Organisationsstrukturen virtueller, durchlässiger und vernetzter. Statt Konkurrenz und Kontrolle gewinnen Kooperation und Werte an Bedeutung für Führungskräfte. Sie sind die Schmierstoffe, die Netzwerke lebendig und produktiv halten. Klassische Strukturen sind nur dann noch attraktiv, wenn sie ausreichend Möglichkeiten für autonomes Arbeiten und persönliche Lernerfahrung bieten. Angesichts eines allgemeinen Fachkräftemangels können die jungen Talente der Generation Y – also die nach 1980 Geborenen –, ihre Vorstellungen einer neuen Arbeitswelt verwirklichen. Als Kompensation für ihre Leistung werden neue Anreizstrukturen jenseits von Geld und Macht, Statussymbolen und Karriere wichtiger. Für die Marketingorganisation ergeben sich folgende Herausforderungen: Andere Karrierewege: Früher arbeitete man ein Leben lang als Festangestellter beim gleichen Unternehmen. Lebenslange Loyalität zum Arbeitgeber ist für junge Talente ein Auslaufmodell. Heute sind Berufsbiographien verschlungener, schneller, unterbrochener oder teilzeitiger und finden nicht selten auch nebeneinander statt. In einer pluralisierten Gesellschaft wird individuell definiert, was Karriere bedeutet. Gestiegene Ansprüche versus Leistungsdruck: Während der Leistungsdruck für die Beschäftigten zunimmt, steigen zugleich die Ansprüche an die Arbeit. Ein hohes Gehalt und ein imposanter Jobtitel sind nicht mehr die allein bestimmenden Faktoren. Andere Aspekte werden wichtiger: eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Freizeit, die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, persönliche Freiheiten, Lernerfahrungen und Weiterentwicklung, Selbstverwirklichung und Eigenverantwortung. Neue Kompetenzen: Die Mehrheit der heutigen Grundschüler wird später in einem Job arbeiten, den es heute noch gar nicht gibt. Der Wandel der Arbeitswelt erfordert von den Beschäftigten neue Fähigkeiten: Netzwerke nutzen, digitale Werkzeuge kennen, in der Informationsvielfalt den Überblick behalten und Informationen filtern, Neues schnell ausprobieren und aus Fehlern lernen. Neue Vorbilder: Start-Ups und Internet-Stars sind die neuen Vorbilder der Generation der nach 1980 Geborenen (auch Generation Y oder Millenials genannt). Angesichts der großen globalen Herausforderungen versuchen junge Unternehmer zunehmend, Ökonomie und Moral zusammen zu denken (Social Entrepreneure). Für die jungen Wirtschaftsakteure zählen Leistung und Selbstentfaltung, nicht Herkunft oder klassische Geschlechterrollen. Einfluss auf Marketing-/Kommunikationsabteilungen Neue Kompetenzen: Netzwerke nutzen, digitale Werkzeuge kennen, Überblick behalten, Informationen filtern, Neues schnell ausprobieren und aus Fehlern lernen 79% Gestiegene Ansprüche versus Leistungsdruck: Work-Life-Balance, Sinnhaftigkeit, Selbstverwirklichung, Eigenverantwortung, Freiheiten 67% Virtualisierung von Arbeit und Wissen: virtuelle Teamarbeit, kurzfristigere Beziehungen, projektweise Kooperationen, neues Wissensmanagement (Enterprise 2.0) Andere Karrierewege: verschlungener, schneller, unterbrochener, teilzeitiger, parallel Neue Vorbilder: Gründer, Social Entrepreneure, Wandel der Geschlechterrollen, weibliche Führungskräfte 60% 43% 35% (n=810, Angabe der Top-2-Box auf 5er Skala: „sehr großer/großer Einfluss auf Strukturen, Arbeitsweisen und Kompetenzen“) Virtualisierung von Arbeit und Wissen: Technologisch ermöglicht die Digitalisierung neue Arbeitsformen und Arbeitsweisen: von virtueller Teamarbeit, projektweisen Kooperationen, höherer Durchlässigkeit des Wissens (Enterprise 2.0) bis hin zu globalem ExpertenSourcing in Echtzeit. Wissensarbeit entkoppelt sich von Zeit und Ort und ist nicht mehr an lokal verfügbare Ressourcen gebunden. 20 21 Post-Wachstum: Dem kurzfristigen Effizienzdruck begegnen Konsum ist der Motor des Wirtschaftswachstums. Aber wenn die sozialen und ökologischen Kosten für Wachstum höher sind als der Nutzen, wenn Unternehmenserfolge sich vom gesellschaftlichen Wohlstand entkoppeln, wenn ökonomische Krisen in immer kürzeren Zyklen auftreten und nicht mehr von Konjunkturentwicklungen abhängen, zeigt sich, dass die Logik der permanenten Steigerung an ihre Grenzen stößt. Das Ende der Dominanz des rein quantitativen Wachstums stellt Unternehmen vor die Herausforderung, jenseits kurzfristiger Kostenminimierungen und Effizienzerhöhungen die aktuellen Geschäftsmodelle und Prozesse für die Zukunft zu hinterfragen. Früher arbeiteten viele Firmen mit Fünfjahresplänen, heute brauchen sie Pläne für die nächsten zwei Wochen. Kurzfristigkeit dominiert das auf Abverkauf orientierte Unternehmenshandeln. Unsicherheit und operative Hektik bestimmen das Tagesgeschäft. Schnelle Erfolge feiert man nicht mit Markenaufbau, sondern mit messbaren Maßnahmen. Für Selbstreflexion und langfristiges Handeln bleibt in dieser schnell drehenden Welt kaum noch Platz. Manchmal ist die Jahresbudgetverhandlung die einzige Gelegenheit, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Für die Marketingorganisation ergeben sich folgende Herausforderungen: Ende der Steigerungslogik: Eine auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaft kennt nur ein „Mehr“, aber kein „Weniger.“ Mit Blick auf die Knappheit natürlicher Rohstoffe, die psychischen und physischen Folgen der Arbeitsbelastung, sinkende Reallöhne und daraus resultierender sozialer Polarisierung ist aber absehbar, dass ein „Weiter, höher, schneller, mehr“ keine zukunftsfähige Strategie ist. Die Logik der Leistungsgesellschaft lässt sich nicht weiter steigern. Zukünftiges Wachstumsdenken braucht einen größeren Rahmen als nur den ökonomischen und profitorientierten. Steigender Erfolgszwang: Verschärfter Wettbewerb und höherer Effizienz- und Verkaufsdruck fördern die Kurzfristigkeit unternehmerischer Entscheidungen. Dieser dauerhafte Renditedruck wird an die Mitarbeiter weitergegeben: Einzelne Abteilungen – und jeder Beschäftigte – sollen mit weniger Ressourcen mehr Leistung erbringen, um auch zukünftig sein Geld wert zu sein. Dauerhafte Krisen: In hochgradig vernetzten Wirtschaftssystemen steigen Abhängigkeiten und Komplexität. Die Zusammenhänge und möglichen Domino-Effekte werden immer undurchsichtiger. Mit der Sensibilität und Volatilität der Märkte steigt auch die Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen. Neue Märkte: Unternehmen wandern in die Emerging Markets, da sich in gesättigten Märkten Wachstum nur sehr schwer realisieren lässt. Anstatt Geschäftsmodelle und Kernprozesse zu hinterfragen, wird in neuen Märkten Bekanntes angeboten. Gleichzeitig differenzieren sich die Massenmärkte aus, abseits der Massenproduktion entstehen globale Nischenmärkte. Sinnmärkte, die auf ethisch korrekten, sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Konsum zielen, gewinnen an Bedeutung. Neue Konkurrenten: Unternehmen müssen sich im harten Wettbewerb behaupten und 22 ihre Strategien daran ausrichten, dass sich irgendwo im globalen Markt andere Akteure etablieren – Unternehmen, Start-Ups, Einzelkämpfer –, die ähnliche Angebote billiger, besser, virtueller, schneller, einfacher oder direkter bedienen können. Einfluss auf Marketing-/Kommunikationsabteilungen Steigender Erfolgszwang: verschärfter Wettbewerb, höherer Effizienz- und Verkaufsdruck 72% Neue Konkurrenten: billiger, besser, virtueller, schneller, einfacher, direkter 59% Neue Märkte: Emerging Markets, Sinnmärkte („ethischer Konsum“), Ausdifferenzierung der Massenmärkte, globale Nischenmärkte Dauerhafte Krisen: steigende Komplexität, undurchsichtige ökonomische Zusammenhänge, wachsende Unsicherheiten Ende der Steigerungslogik: stagnierendes Wachstum in Europa, sinkende Reallöhne, zunehmende soziale Polarisierung 50% 49% 46% (n=810, Angabe der Top-2-Box auf 5er Skala: „sehr großer/großer Einfluss auf Strukturen, Arbeitsweisen und Kompetenzen“) Vielfältige Herausforderungen – Großer Einfluss auf die Marketingorganisation Den Herausforderungen rund um die Digitalisierung wird derzeit der größte Einfluss auf Strukturen, Prozesse und Kompetenzen von Marketing- und Kommunikationsabteilungen zugesprochen. Aus den insgesamt 20 abgefragten Herausforderungen gibt es sieben, deren Einfluss jeweils von mehr als zwei Dritteln aller Befragungsteilnehmer als groß bzw. sehr groß erachtet wird. Dabei kommen drei aus dem Bereich der Digitalisierung, zwei aus dem Umfeld neuer Arbeitswelten und je eine aus dem Bereich Netzwerkgesellschaft und Post-Wachstum. Diese sieben Top-Herausforderungen sind vor allem solche, deren Konsequenzen schon heute deutlich spürbar sind und denen medial große Aufmerksamkeit zuteil wird. Es liegt daher nahe, dass diesen Herausforderungen ein großer Stellenwert zugeschrieben wird, unabhängig von Unternehmen oder Branche. Den übrigen Herausforderungen räumen jeweils zwischen 35% und 66% aller Befragten einen (sehr) großen Einfluss ein. In diesen nicht eindeutigen Bewertungen spiegelt sich auch die Unsicherheit vieler Marketingverantwortlicher wider: Es ist nicht klar, welches Gewicht diese Herausforderungen zukünftig haben werden. Marketingverantwortliche sollten ihr Handeln nicht ausschließlich auf die Top-Herausforderungen konzentrieren. Gerade die Herausforderungen, die in der Bewertung als nicht so einflussreich angesehen werden, können eine große Quelle für Unsicherheit darstellen. Hier lauern weitere Bedrohungen, aber auch Chancen. Daher sollten auch diese Unsicherheitszonen aktiv erkundet werden. 23 Der Connected Consumer: Herausforderung für CMOs Selbstreflexion „Herausforderungen“ Joachim Bader, Vice President und Member of the Board von SapientNiro DACH Bar rier e n: „ W as m ac Ve r e die s er, Implikationen für Prozesse: dies ränderungen anzugehen e Ve ?” Implikationen für Strukturen: er , Fazit Um den Connected Consumer zu erreichen, brauchen Unternehmen langfristig einen Chief Marketing Technology Officer (CMTO), der die Bereiche Marketing, Commerce und IT nicht nur versteht, sondern in sich vereint und gleichermaßen verantwortet. n en?” geh u anz hw Marketing und IT werden Partner Auf dem Weg zu einem integrierten und einheitlichen Markenerlebnis ist die SiloOrganisation vieler Unternehmen ein Hindernis. Dabei ist es in Zeiten der digitalen Disruption entscheidend, dass Marketing und IT in Unternehmen und mit Agenturen kollaborativ zusammenarbeiten, um die komplexen Anforderungen an das Marketing zu meistern. ru de n ä e ng „Was passiert, wenn man nicht reagiert?” sc Kommunikation und Transaktion verschmelzen Mit der Digitalisierung rücken Kommunikation und Vertrieb zusammen: In der Customer Experience verschmelzen Kommunikation und Transaktion, denn der Connected Consumer unterscheidet nicht zwischen Erleben und Kaufen. Er kauft immer häufiger dort, wo er zuvor kommuniziert hat. Die Transaktion ist nur einen Klick entfernt. „Was passiert, wenn man nicht reagiert?” es Zielperson statt Zielgruppe Relevant sind für den Connected Consumer vor allem passgenaue Kommunikationsund Produktangebote. Die Daten, um Konsumenten individuell anzusprechen, sind in den Unternehmen vorhanden, werden aber oft nicht genutzt. Dabei ist das Potenzial groß: Jeder einzelne Konsument kann identifiziert und adressiert werden. Beharrungskosten: ht Customer Experience als neues Markenerlebnis Der Connected Consumer erlebt die Marke längst nicht mehr allein durch Markenkommunikation: Für ihn ist das Markenerlebnis das Ergebnis einer umfassenden Kommunikations- und Produkterfahrung, der Customer Experience. Diese wird zum entscheidenden Maßstab für erfolgreiches Marketing: Unternehmen und Agenturen müssen an jedem Touchpoint einen positiv erlebbaren Markenzugang schaffen und in Dialog treten. Das gelingt, indem sie mehr denn je Inhalte und Mehrwerte bieten, die für den Konsumenten in jedem Stadium des Markenkontakts relevant sind. Beharrungskosten: ren: „Was macht es Barrie sch w Dank digitaler Kommunikationswege hat der Connected Consumer heute deutlich mehr Berührungspunkte mit einer Marke als früher. Dies hat Folgen für die inhaltliche Ausrichtung der Marketingkommunikation – und für CMOs. „Wie müssten sich Strukturen ändern?” „Wie müssten sich Prozesse ändern?” Herausforderung: „Wählen Sie eine der 20 Herausforderungen” Implikationen für Kompetenzen: „Wie müssten sich Kompetenzen ändern?” Ba rr i ere n: „ nz Wa na e g sm run ach ände t es r e V schwer, diese ?” en h e ug Beharrungskosten: „Was passiert, wenn man nicht reagiert?” 24 25 Neue Strukturen „Sind Sie heute schon umstrukturiert worden?“ Reorganisationen sind zu einem dauerhaften Begleiter in vielen Unternehmen geworden. Wer umstrukturiert, will neue Dynamik schaffen und veraltete Zuständigkeiten, Abläufe und Denkweisen erneuern. Häufige Strukturänderungen sind Ausdruck interner Machtkämpfe und einer Suche nach richtigen Antworten. Denn es handelt sich um permanente Änderungen der Spielregeln einer Organisation. Es wird an den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen gearbeitet und gezerrt. Man will die Entscheidungsspielräume von Führungskräften und Mitarbeitern neu festlegen. Aber Strukturen lassen sich nicht so einfach verändern. Sie wirken häufig im Hintergrund und überleben nicht selten ihren ursprünglichen Zweck. Auch viele Marketing- und Kommunikationsabteilungen sind Teil von Dauerumstrukturierungen – oder ihnen stehen große Umbrüche bevor. Für Marketingverantwortliche bietet eine Auseinandersetzung mit ihren Strukturen die Chance, auf die Bedingungen der eigenen Arbeit und des zukünftigen Erfolgs einwirken zu können. Auch, wenn diese Entscheidungen in der Regel außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. In der Regel können Marketingverantwortliche die Strukturen der Gesamtorganisation kaum mitgestalten. Aber sie sollten sich fragen, nach welcher Logik ihr Unternehmen arbeitet und nach welcher sie selbst arbeiten und agieren wollen. Wer anweisen, kontrollieren und steuern will, ist in klassischen Strukturen besser aufgehoben. Wer dagegen sein Potenzial und das seiner Mitarbeiter entfalten will und darüber die Wertschöpfung steigern und neue Chancen wahrnehmen will, sollte versuchen, auf neue Strukturmodelle hinzuwirken und Reformen nach innen voranzutreiben. Strukturen am Scheideweg Moderne Organisationen wurden im Zusammenhang mit Kriegsführung und Industrialisierung entwickelt und verfeinert. Ihre Aufgaben: den Einfluss des Menschen mit all seiner Sprunghaftigkeit, Emotionalität, Subjektivität und Unzuverlässigkeit zu mindern und der Organisation Stabilität, Rationalität, Verantwortlichkeiten und Effizienz zu geben. Kopf (Denken, Planen, Entscheiden) und Hand (Arbeit, Umsetzung, Ausführung) wurden voneinander getrennt. Diese Organisationsstrukturen stammen aus einer Zeit stabiler Märkte. Sie basieren auf der Annahme, dass sich die Verhältnisse grundlegend regeln lassen und man menschliches Verhalten steuern kann und optimieren muss. Es ist jedoch fraglich, inwieweit dies für eine hochdynamische, komplexe, vernetzte, individuelle Welt noch zutrifft. Daraus ergeben sich zwei fundamental unterschiedliche Denkmodelle für zukünftige Organisationsstrukturen. Auf der einen Seite steht ein immer komplexeres System an Vorschriften und Überwachungen, um die Maschine am Laufen zu halten. Mittels großer Umstrukturierungen sollen Organisationen schrittweise an veränderte Umfeldbedingungen angepasst werden. Auf der anderen Seite stehen vorund postindustrielle Organisationsformen, die auf Eigenverantwortlichkeit und Eigenmotivation der Mitarbeiter setzen. Sie verstehen sich als agile Gebilde, die sich schnell anpassen können und keine großen, kostspieligen Restrukturierungen benötigen. 26 27 Klassische vs. neue Strukturen Klassische Strukturen Neue Strukturen Sicherheit & Verlässlichkeit Freiheiten & Flexibilität Stabilität & Beständigkeit Anpassung & Veränderung Hierarchien & Positionen Netzwerke & Rollen Anweisungen & Kontrolle Eigeninitiative & Vertrauen „Die Möglichkeiten, die Marketingorganisation auszurichten, sind stark von der existierenden Unternehmenslogik und der Marketinglogik abhängig. Diese Logiken lassen sich nur ganz schwer und langfristig ändern.“ Prof. Dr. Christian Belz, Universität St. Gallen Feste Vorgaben & harte Ziele Weiche Vorgaben & Werte Marketing als Silo Kosten & Effizienz Potenzial & Wertbeitrag Marketingabteilungen sind funktionale Aufteilungen. Dahinter steht die Idee, durch eine fachliche Bündelung von Experten Spezialwissen aufzubauen. Der Preis funktionaler Fachabteilungen ist die Silobildung. Marketingabteilungen haben eigene Zielvorgaben und Budgetverantwortlichkeiten, entwickeln ihre eigene Sicht auf das Unternehmen und entkoppeln sich von anderen Abteilungen. Aber: Der Auf- und Ausbau eigenständiger Marketing-Kompetenz wird von einigen Interviewpartnern infrage gestellt. Denn es geht eher um die Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen, die möglichst schnelle Realisierung neuer Geschäftsmöglichkeiten oder die optimale Gestaltung von Kundenerlebnissen über alle Kanäle und Touchpoints hinweg. Diese Fragen lassen sich im Marketingsilo nicht beantworten und brauchen andere Zuschnitte. So halten 81% der befragten Mitarbeiter aus Unternehmen es für (sehr) wahrscheinlich, dass die Marketingabteilung bis zum Jahr 2020 noch näher an den Vertrieb rückt. Marketing operiert dann auf einer konkret beobachtbaren und messbaren Ebene des Mikroverhaltens und nicht auf abstrakt-emotionaler Markenebene. Der Einfluss des CEOs und die Logik des Unternehmens Die Art der Marketingorganisation wird sehr stark von den Vorstellungen der Unternehmens-Verantwortlichen und den Logiken des Unternehmens geprägt. Die Vorstellungen des Top-Managements von der Rolle der Marketingabteilung bestimmen beispielsweise, welche Zuständigkeiten und Aufgabenbereiche zugeteilt und welche Zielvorgaben und KPIs vergeben werden. Ein Marketing, das Wachstumsimpulse geben soll, ist anders organisiert als ein Marketing, das der interne Anwalt des Kunden sein soll. Ein Marketing, das strategisch die Marken pflegen und entwickeln soll, ist anders organisiert als eine Abteilung, die „nur“ der Vertriebsunterstützung dient. Marketingverantwortliche sollten überprüfen, inwieweit die an sie gestellten Erwartungen und Rollenbilder, ihre eigenen Ansprüche und Gestaltungsideen sowie die alltägliche Unternehmenspraxis zusammenpassen. Wo dies nicht zusammenpasst, existieren Konflikte mit zukünftiger Sprengkraft. „Im Zuge des technologischen und ökonomischen Wandels muss auch ein Wandel der Organisationsstrukturen erfolgen. Welche Strukturen oder Lösungen die besten sind, hängt davon ab, in welcher Branche ich mich bewege und wie das Unternehmen aufgestellt ist. Die Frage ist immer: Was lässt die Organisation zu?“ Dr. Uwe Stuhldreier, CosmosDirekt 28 „Die klassischen Strukturen einer Marketingabteilung sind überholt. In modernen Unternehmen stellt man diese strengen Strukturen nicht mehr fest. Zukünftig wird es wohl noch einen kleinen Marken- und Strategiebereich geben, der unter dem Vorstand aufgehängt ist, aber man braucht vielleicht keine eigene Marketingabteilung mehr.“ Dr. Rainer Hillebrand, Otto Group Marketingverantwortliche sollten überprüfen, inwieweit der heutige Zuschnitt ihrer Abteilung zu den eigenen Ansprüchen und den Erwartungen der Geschäftsführung passt. 81% Marketing und Vertrieb rücken zusammen: Es wird nur das gemacht, was einen direkten nachweisbaren Effekt auf das tatsächliche Kaufverhalten von Kunden hat. Das Marketing analysiert die vielen kleinen Schritte innerhalb des Kaufprozesses. Marketer optimieren das Kauferlebnis über alle Touchpoints, steigern Conversion Rates und entwickeln das Geschäft weiter. Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ 29 „Wenn Unternehmen in unbekannte Gewässer geraten, reagieren sie reflexartig: Verantwortlichkeit benennen, Budget vergeben, neue Abteilung aufbauen. Das Neue ist delegiert und stört den Regelbetrieb nicht mehr. Das Problem daran ist, dass sich solche Strukturen überleben und später nur schwer wieder ändern lassen.“ Prof. Dr. Manfred Bruhn, Universität Basel „Die Aufgaben von Marketing und Sales gleichen sich immer mehr an. Diese Überlappungen müssten sich eigentlich auch in der Organisationsstruktur zeigen, denn in Prozessen und Schnittstellen funktioniert diese Zusammenarbeit nur bedingt, da gibt es immer Konflikte.” Jürgen Griebsch, BSH Bosch und Siemens Hausgeräte Die Silos im Silo Als Reaktion auf die digitale Kanalexplosion der letzten Jahre haben sich viele Marketingabteilungen nach Kanälen aufgestellt. Es gibt Verantwortliche für Online, Social, Mobile oder Werbung. Alle haben eigene Budgets und individuelle Zielvorgaben zu erfüllen. Diese Verantwortlichen können Fachexpertise entwickeln, sind nah an den Entwicklungen in ihren Bereichen und haben begrenzte Entscheidungsbefugnisse. Der Trade-Off: Die Zusammenarbeit und der Zusammenhalt im Marketing und die Koordination der jeweiligen Maßnahmen werden schwierig. Und es wird schwerer, Gestaltungsideen zu realisieren, die über den eigenen Verantwortungsbereich hinausgehen oder sogar die Mitarbeit anderer Abteilungen benötigen (z.B. ganzheitliches Kundenerlebnis). Was zu Beginn gedacht war, um neue Kompetenzen und Expertise aufzubauen, wird so mit der Zeit zum Korsett und erzeugt Stillstand. Marketingabteilungen zersplittern zu immer kleineren Silos. Fast jeder dritte Befragte hält es für (sehr) wahrscheinlich, dass das Silodenken bis 2020 weiter zunehmen wird. Für Marketingverantwortliche stellt sich die Frage, ob sie die Kanal-Logik ausbauen oder hinter sich lassen wollen. Wer ausbauen will, kann – ähnlich wie Red Bull dies gemacht hat –, ganz eigene Medienkanäle aufbauen, ausgliedern und bewirtschaften. Alternativ zu Kanälen bieten sich eine interne Aufstellung nach thematischen Schwerpunkten oder nach Kundenerlebnissen an sowie eine Rezentralisierung der Budgethoheiten, um Marketing wieder ganzheitlicher betreiben zu können. 31% Neues Silodenken: Mit der weiteren Ausdifferenzierung der Funktionen und Abteilungen hat das Silodenken zugenommen. Es gibt mehr Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Abteilungen und Zuständigkeitsbereichen. Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ 30 „Viele Organisationen sind nach Kanälen strukturiert, und die Mitarbeiter denken auch in Kanälen. Viel wichtiger ist aber ein Denken in Endprodukten und Kundennutzen. Die Aufteilung in Kanäle ist obsolet. Das Zusammenspiel verschiedener Bereiche wird wichtiger.“ Jürgen Lieberknecht, Targobank „Vieles was heute unter „Vernetzung” läuft, ist Silodenken mit Social-Media-Anstrich. Das ist ein großer Schwachpunkt. Enterprise 2.0 ist mehr als nur Intranet und Social Media. Es bedeutet eine komplette Transformation der Organisation hin zu einem flexiblen Konstrukt. Das ist keine Frage von Kanälen, sondern einer neuen Kultur. Aber diese Einsicht hat sich noch nicht überall durchgesetzt.“ Stephan Grabmeier, Innovation Evangelists „Derzeit diffundieren die Verantwortlichkeiten in viele Bereiche. Dieses Denken in Kanälen muss man über Bord werfen, damit Aktivitäten zusammengeführt werden und alle Marketingthemen in einer Hand liegen.“ Tanja Schäfer, Axel Springer Unklare Zuständigkeiten Es gibt eine Vielzahl von Mini-Abteilungen, die sich mit Marketing-Fragen beschäftigen, ohne zwangsläufig im Marketing angesiedelt zu sein. Employer Branding, Shopper Marketing, Affiliate Marketing, SEO, Developer Relations, Investor Relations, Inkubatoren oder Accelerator-Programme sind nur einige Beispiele. Jede größere Abteilung betreibt heute eine eigene Kommunikation. Budgets werden zerfasert und immer stärker aufgeteilt. Deren Aktivitäten sind heute wenig bis gar nicht synchronisiert und aufeinander abgestimmt. Daraus entstehen viele Reibereien, Zuständigkeitsgerangel und Konflikte mit der Marketingabteilung. Braucht es zukünftig überhaupt noch eine eigenständige Marketingabteilung? Wird Marketing zu einer Aufgabe, die dezentral in allen Unternehmensbereichen erbracht wird? Wie werden diese Aktivitäten zukünftig koordiniert und aufeinander abgestimmt? Schon heute berichten Marketingverantwortliche, dass sie stärker an Gremien teilnehmen und sich darüber mit anderen Fachabteilungen wie Personal, Unternehmenskommunikation oder Forschung & Entwicklung abstimmen. Damit steigt der interne Abstimmungs- und Koordinationsaufwand. Beispiel Unternehmenskommunikation: Je nach Unternehmen nähern sich Arbeitsweisen und Zielgruppen von Marketing und Unternehmenskommunikation immer weiter an. Marketing arbeitet redaktioneller, die Unternehmenskommunikation adressiert vermehrt auch Endkunden und nicht nur Multiplikatoren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass 79% aller befragten Mitarbeiter in Unternehmen von einer Zusammenlegung dieser beiden Abteilungen ausgehen. 31 Marketingverantwortliche brauchen eine Position zu diesen neuen Fach-Kommunikatoren. Sie sollten klären, inwiefern ihre Arbeit einen übergeordneten Unternehmensanspruch hat und einer koordinierenden Funktion bedarf und welchen Mehrwert diese Koordination tatsächlich hat. Hier steht ein ganzheitliches Markenauftreten im Gegensatz zu dezentraler Organisation mit schnellen Reaktionszeiten. „Marketing wird zukünftig noch stärker in andere Abteilungen vernetzt sein müssen oder es wird weiter auseinandergerissen und auf unternehmerische Kernprozesse wie Produktentwicklung, Vermarktung oder Beschaffung aufgeteilt. Dies wäre dann das Ende einer konsequenten Markenführung.“ Jürgen Herrmann, Ritter Sport So wie andere Abteilungen Marketing-Know-how aufbauen, baut auch das Marketing Parallelstrukturen auf. Das IT-Beratungsunternehmen Gartner prognostiziert, dass CMOs im Jahr 2017 über ein größeres Technologiebudget verfügen als die IT-Leiter. Im Unternehmen werden damit doppelte Strukturen aufgebaut, damit einzelne Abteilungen unabhängiger entscheiden und schneller agieren können. Eine ähnliche Diskussion gibt es zwischen Marketing- und Personalabteilungen. Dass Unternehmen aber auch nach ganz anderen Zuschnitten suchen, zeigt die aktuelle Entwicklung der Chief Digital Officer. Laut Gartner sollen bis 2015 bereits 25% aller Unternehmen einen eigenen CDO haben. Als Generalbevollmächtigte berichten diese direkt an den Vorstand und haben große Gestaltungsspielräume mit Blick auf Budget oder Mitarbeiter. Ihre digitalen Themen liegen häufig quer zu bisherigen Zuständigkeiten und Funktionen oder sind sogar ganz außerhalb der Organisation angesiedelt. Beispiele sind Inkubatoren wie Plug & Play (Axel Springer), Hub:raum (Deutsche Telekom), You Is Now (Immobilienscout24) oder Digital Labs wie Beeone (Erste Group). Diese neuen Abteilungen passen nicht in die alten funktionalen Denkraster von Vertrieb, Marketing, IT, HR oder UK. Immerhin jeder Dritte der 582 befragten Mitarbeiter in Unternehmen hält es für (sehr) wahrscheinlich, dass sich bis zum Jahr 2020 Chief Digital Officer durchgesetzt haben und damit die Gestaltungsbereiche des Marketings reduziert werden. Unter den Geschäftsführern ist dieser Anteil deutlich höher als unter Marketingabteilungsleitern. Diese scheinen die Entwicklung derzeit nicht ausreichend ernst zu nehmen. „Marketing ist für uns eine Haltung. Bei dm machen alle Mitarbeiter Marketing. Alle haben Kundenkontakt: Egal ob dies Verbraucher, Vermieter oder Lieferanten sind. Wenn Marketing nur an eine Abteilung delegiert wird, machen sich Solisten breit, die abgehoben vom Unternehmen agieren und in Scheinwelten laborieren.“ Christoph Werner, dm-drogerie markt Die Chief Digital Officer könnten die nächste Generation von Marketingverantwortlichen werden. Heutige Marketingverantwortliche sind hier in einer Zwickmühle: Einerseits sollen sie stabile Marken pflegen und aufbauen, andererseits sollen sie möglichst schnell digitale Transformationen vorantreiben und neue Geschäftsmodelle aufgreifen. Statt der heutigen Entweder-oder-Taktik ist ein Sowohl-als-auch zielführender. Andernfalls droht ein weiterer Verlust von Aufgaben und Zuständigkeiten. 79% Zusammenlegung von Unternehmenskommunikation und Marketing: Die Aufgaben von Marketing und Unternehmenskommunikation sind noch weiter zusammengerückt. Direkte Kundenbeziehungen bilden die neue Geschäftsbasis. Immer mehr Unternehmen legen beide Abteilungen zusammen, um effizienter zu arbeiten. Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ „Marketing ist eine Einstellung und Werthaltung im Unternehmen, die man nicht an eine Abteilung binden kann. Ich denke, dass das Marketing in Zukunft nicht mehr abteilungsmäßig organisiert sein wird, sondern sich im Unternehmen entlang der gesamten Prozesskette verankert.“ Dr. Rainer Hillebrand, Otto Group „Auch wenn es sich der Grandseigneur und Papst des Marketings, Professor Meffert, immer gewünscht hat: Marketing ist nie richtig Chefsache geworden. So bleibt die Rolle des Marketings auf der Führungsebene oft unklar.“ Dr. Uwe Stuhldreier, CosmosDirekt 32 Die Suche nach neuen Zuschnitten 31% CDOs setzen sich durch: Der „Chief Digital Officer“ ist der neue starke Akteur im Unternehmen. Er treibt die digitale Transformation voran, optimiert Kundenerlebnisse und entwickelt neue Angebote (CRM, Service-Design, Geschäftsmodell-Innovationen). Die Marketingabteilung wird auf operative Kommunikationsarbeit beschränkt. Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ 33 Ziele vorgeben, Leistung erwarten Viele Unternehmen und Führungskräfte arbeiten nach dem Prinzip: Einer sagt an, die anderen setzen um. In klassischen Unternehmen wird viel über Zielvorgaben und die besten Wege der Zielerreichung gesprochen. Notorisch unterbelichtet sind dagegen die Ziele hinter den Zielen und die Aussagen hinter den Zahlen. Warum soll ein Ziel erreicht werden? Was sagt uns diese Zahl? Simon Sinek zeigt in seinem Buch „Start with Why“ auf, wie große Führungspersönlichkeiten ihre Visionen und Motivationen herausstellen und ihre Zielvorgaben erklären. Unternehmen wie z.B. Google arbeiten auf breiter Basis mit der Objective-Key-Result-Methode (OKR). So wird zunächst ein möglichst inspirierendes, zugleich herausforderndes und erreichbares Ziel qualitativ definiert. Anschließend werden unterschiedliche, quantitativ messbare Zielgrößen festgelegt. Google hat beispielsweise OKRs für das Unternehmen, für jede Abteilung und für jeden Mitarbeiter. Zudem hat jeder Mitarbeiter eine OKR mit Jahres- und mehrere mit Quartalsfrist. Sämtliche OKRs sind intern einsehbar, inklusive dem Grad der Zielerreichung. Marketingverantwortliche sollten überprüfen, inwiefern Strategien bis auf die unterste Ebene bekannt sind, damit Zielvorgaben und KPIs die erdachte Wirkung entfalten können und Mitarbeiter wissen, inwiefern ihr Verhalten auf die Zielvorgaben einzahlt. Gefragt sind aber vor allem neue Wege, wie Zielvorgaben inspirieren und Menschen motivieren können. Der Glaube an die vollständige Messbarkeit Leistungsnachweis durch neue Kennzahlen: Der ROI von Marketing- und Kommunikationsaktivitäten ist ganzheitlich messbar geworden. Es gibt einheitliche Kennzahlen, die den Wirkungsbeitrag einzelner Maßnahmen und Kanäle für den Gesamterfolg des Unternehmens nachweisen. Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ Einerseits verschärfen Gesetzgeber als Reaktion auf Wirtschaftskrisen und -skandale Vorschriften oder erlassen neue. Andererseits bauen laut einer Studie von A.T. Kearney (2013) viele Unternehmen ihre Compliance-Systeme aus, um sich gegen verschärfte Haftungsbedingungen abzusichern. Zudem versuchen Unternehmen, ihre Abteilungen, Führungskräfte und Mitarbeiter enger zu führen, um besser sicherzustellen, dass sie die Unternehmensziele umsetzen. In der Konsequenz schränkt die Fülle der Regelungen die Handlungsspielräume von Führungskräften und Mitarbeitern ein und mindert die ohnehin knappen Ressourcen. Denn sie müssen verstärkt regelkonformes Agieren nachweisen. Diese Bürokratisierung hat damit als indirekte Nebeneffekte eine Zementierung des Statusquo und eine verminderte Kapazität für Umfeldbeobachtungen und Reaktionsschnelligkeit. In vielen Unternehmen wird heute alles gemessen und versucht, Maßnahmen und Menschen über Key Performance Indicator (KPIs) zu steuern. Die vorgegebenen Ziele haben großen Einfluss auf die Ausgestaltung der Arbeit. Früher wurden Marketingverantwortliche an Markenkennzahlen wie Bekanntheit oder Reichweite oder an unterschiedlichen kanalspezifischen Kennzahlen gemessen. In vielen Unternehmen werden Kennzahlen wichtiger, die näher am Geschäft und an den Kunden sind. Hierzu zählen einerseits Vertriebsmetriken (Leads, Customer Lifetime Value), andererseits geht es um Zahlen zu Weiterempfehlungen von Produkten und Marken wie z.B. dem Net Promoter Score. 60% der 582 Mitarbeiter aus Unternehmen halten es für (sehr) wahrscheinlich, dass neue Kennzahlen bis 2020 bessere Leistungsnachweise ermöglichen. Diese alte Forderung nach einer einheitlichen, kanalübergreifenden „Marketingwährung“ ist zwar nach wie vor präsent. Allerdings fehlt es weiterhin an konkreten Ideen und praxistauglichen Ansätzen, die zudem intern akzeptiert und anerkannt werden. Für Marketingführungskräfte, die abseits ausgetretener Wege gehen und neue Chancen nutzen wollen, entstehen neue Hürden. Denn man weiß nicht, welche Maßnahmen mit welchen Regelungen, Zielvorgaben und KPIs kollidieren oder welche möglichen Folgewirkungen daraus resultieren können. Man muss sich permanent (rechtlich) rückversichern. Der zahlenmäßige Nachweis des eigenen Erfolgs wird immer mehr zur Pflicht. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bedingungen des Erfolgs (z.B. Geschäftssinn, Mut, Innovationen) mehr denn je qualitativer Art sind. Gerade bei großen Vorhaben und Veränderungen sind Marketingverantwortliche gut beraten, sich anzuschauen, wer intern Anerkennung genießt, wer wen aus anderen Abteilungen kennt, wem Projekte zugetraut werden und wem nicht. Um Licht in dieses Dickicht zu bringen, hilft es, sich die wichtigsten Akteure, deren Interessen und Einfluss vor Augen zu führen und zu überlegen, wie man ihr Vertrauen gewinnen kann. Dabei gelten die Faustregeln: Gewinne Verbündete, die informell über Einfluss verfügen. Gewinne die Unentschiedenen. Arbeite dich nicht an den Blockierern ab. Die Bürokratisierung der Unternehmen Die Zahl der internen Regeln, Leitlinien, Vorschriften, Vorgaben, KPIs, Reportings oder Dokumentationspflichten nimmt zu. Viele Unternehmen sind heute überformalisiert. 34 60% Die informellen Strukturen berücksichtigen Jede erfahrene Führungskraft kennt die Macht des Flurfunks und der informellen Rollen. Nicht selten werden hier informell Vorentscheidungen über Erfolg und Misserfolg von Strategien, Maßnahmen oder Kampagnen getroffen. Je größer und abteilungsübergreifender die Vorhaben, desto unüberschaubarer werden diese internen Netzwerke und Zusammenhänge. Auch wenn digitale Kommunikationswege (E-Mail, interne Chats, Projektplattformen) diese Zusammenhänge zukünftig etwas transparenter machen, so wird diese Sphäre der Mikropolitik undurchsichtig bleiben. 35 Erfolgsgeschichten schreiben Umstrukturierungen sind mit großen Kraftanstrengungen verbunden und dauern häufig sehr lange. Viele Führungskräfte wollen schneller agieren und Neues ausprobieren können, ohne langwierig und grundlegend die Strukturen verändern zu müssen. Sie treiben Neues über Projekte voran. Mit kleinen Budgets wird versucht, Themen voranzubringen und schnelle Erfolge zu erzielen, um dann größere Projektaufträge zu erlangen. Projektmitglieder arbeiten häufig zusätzlich zum Tagesgeschäft daran, um sich intern zu profilieren und für den nächsten Karriereschritt zu empfehlen. Marketingverantwortliche richten zum Teil eine feste Projektabteilung für besondere Aufgaben ein. Dies ist quasi die schnelle Eingreiftruppe, die gezielt mit neuen Vorhaben betraut wird, Fachabteilungen entsprechend hinzuzieht und steuert. Von anderen Abteilungen werden diese Einheiten äußerst kritisch beurteilt, da sie über deutlich größere Freiheiten und Durchgriffsrechte verfügen. Marketingverantwortliche können über „Spezialprojekte“ ihre Gestaltungsmacht ausleben und demonstrieren, dass sie strategisch wichtige Themen betreuen und umsetzen können. Projekte sind jedoch immer temporär. Wer über Projekte die Organisation dynamisieren will, läuft Gefahr, dass diese Initiativen mittelfristig verpuffen, nicht nachgehalten werden können und im Zweifelsfall gestrichen werden. „Wir brauchen zukünftig mehr Strukturen und Prozesse, die sich selbst steuern. Als Marketingleiter müssen wir zukünftig noch stärker die strategischen Leitplanken dafür setzen.“ Jürgen Herrmann, Ritter Sport Neue Organisationsformen Während klassische Strukturen jeweils auf einen Statusquo ausgerichtet und optimiert werden, versuchen neue Organisationsformen, Veränderung und Anpassungsfähigkeit zum strukturellen Herzstück zu machen und die maximale Innovationskraft zu entfalten. Dabei handelt es sich um Innovationen im Bereich des Managements und der Organisationsstrukturen. Gary Hamel hat mit „Management Innovation Exchange“ dazu eine eindrucksvolle Initiative gestartet und John Hagel III. erkundet für die Deloitte University diese Themen. Solche Unternehmen sind in der Regel dezentral organisiert, damit diejenigen mit der größten Sachkompetenz schnell und fachgerecht Entscheidungen treffen können. Sie setzen stark auf intrinsische Motivation der Mitarbeiter, Selbstorganisation, hohe Eigenverantwortung, Werteorientierung, kleine Schritte und schnelles Handeln. Unternehmen, die auf solche Strukturen setzen, haben entweder visionäre oder stark Werte-getriebene Inhaber oder kommen aus hochspezialisierten und wissensintensiven Bereichen wie Professional Services, Technologie oder Gaming. Sie operieren in disruptiven Märkten mit großen Unsicherheiten, hohen Investitionen, kurzen Zeiträumen für die Gewinnerwirtschaftung und intensivem Wettbewerb um Talente. 36 Marketingverantwortliche, die einen anderen Umgang mit Unsicherheiten, Innovationen oder Führung suchen, sollten sich intensiver mit neuen Organisationsformen beschäftigen. Von diesen Unternehmen lassen sich spannende Argumentationsketten übernehmen, die in heutigen internen Auseinandersetzungen helfen können. Zudem lassen sich deren Ideen und Konzepte teilweise auf die eigene Organisation übertragen und helfen so, bestehende Strukturen von innen heraus zu reformieren. „In vielen Marketingabteilungen herrscht noch ein hierarchisches und auf das Produkt bezogenes Denken. In der Netzwerkgesellschaft gilt es aber, vom Menschen aus zu denken. Das beschränkt sich nicht auf den Kunden. Es geht darum, spirituelle Sehnsüchte, Werte und Sinnstiftung ins Unternehmen zu tragen. Wofür existiert das Unternehmen abseits der Absicht, Gewinne zu machen? Die Antwort darauf wirkt nach innen und lässt sich dann auch leicht nach außen kommunizieren.“ Prof. Peter Wippermann, Trendforscher Agile Organisation In einer unsicheren, komplexen und dynamischen Welt ändern sich die Realitäten schnell und machen Pläne und Planungen obsolet. Agiles Arbeiten bedeutet, sich auf diese Unsicherheiten und Umfeldveränderungen einzulassen und anpassungsfähig zu bleiben. Dieses Denken in kleinen Schritten – kontinuierliches Ausprobieren, Anpassen und das Arbeiten in kleinen interdisziplinären Teams –, gehört im Bereich der SoftwareEntwicklung heute zum Mainstream. Aber „agil“ lässt sich auch größer denken. Unternehmen wie Spotify bauen ihre ganze Unternehmensstruktur auf Basis agiler ScrumTeams auf. Zudem gibt es mit „Path to Agility“, „Large Scale Scrum“ und „Scaled Agile Framework“ erste Ansätze, agile Arbeitsweisen auf Großprojekte und zentrale Unternehmensprozesse zu übertragen, ohne die Wendigkeit und Produktivität kleiner Teams anzutasten. Damit wird auch großflächig an der Steuerungsfunktion des mittleren Managements gerüttelt. Agile Mitarbeiter sollen schneller, erfolgreicher, sachbezogener und selbstbestimmter handeln und sich weniger mit Planen, Steuern und Überwachen beschäftigen. Marketer aus Unternehmen, in denen nach Scrum oder Kanban gearbeitet wird, stellen fest, dass Mitarbeiter verstärkt in agilen Projekten gebunden sind. Sie fragen sich, welchen Sinn und Zweck eine Marketingabteilung zukünftig noch haben kann. Sie erleben die Vorteile des agilen Arbeitens und fördern Bestrebungen, das agile Arbeiten auf andere Teile des Unternehmens auszuweiten. 37 Ein neues Organisations-Betriebssystem Ende 2013 überraschte der US-Online-Schuhhändler Zappos die Welt mit der Ankündigung, zukünftig alle Titel und Hierarchien abschaffen und fortan ohne Vorgesetzte und Führungskräfte agieren zu wollen. Stattdessen wolle man sich holakratisch aufstellen: Die Mitarbeiter organisieren sich in thematischen Kreisen statt in Abteilungen, sie erarbeiten hier Vorschläge und treffen Entscheidungen. Diese Kreise werden dynamisch gegründet und wieder aufgelöst. Angestellte können in mehreren Kreisen mitarbeiten. Die aktuellen Themen und Arbeitsstände der Kreise sind für alle Mitarbeiter einsehbar. Kreise sind hierarchisch angelegt. Es gibt einen sogenannten Board Circle, allgemeine Kreise und spezielle Kreise. Innerhalb der Kreise werden Rollenverantwortungen vergeben bzw. Rollenverantwortliche gewählt. Dabei ist eine Rolle nicht mit einer Job-Position zu verwechseln, denn Mitarbeiter können in verschiedenen Kreisen verschiedene Rollen einnehmen. In Deutschland ist z.B. das IT-Schulungsunternehmen Oose nach holakratischen Prinzipien strukturiert. Basis intrinsischer Motivation. Projekte werden intern über einen Marktplatz gepitcht. Sie kommen nur zustande, wenn sich intern Personen finden, die Lust an der Umsetzung haben. Das deutsche IT-Unternehmen Synaxon nutzt die Liquid-Feedback-Software, um intern Projekte vorzustellen und über sie abzustimmen. Diese Projekte können sowohl von der Geschäftsleitung kommen als auch von Mitarbeitern. Das deutsche Beratungsunternehmen Partake und die Brandschutzingenieure von hhp Berlin arbeiten nach ähnlichen Prinzipien. Nach diesem Prinzip wird es keine Marketingverantwortliche im herkömmlichen Sinne geben. Es besteht die Möglichkeit, einen Marketingkreis zu leiten. Diese Kreis-Leitungen sind aber keine Vollzeitstellen. Den Kreisen sind keine Budgets, keine klaren Zuständigkeiten und keine festen Mitarbeiter zugeordnet. Leiter der Marketingkreise würden eigenständig Themen im Unternehmen aufgreifen, setzen und umsetzen – solange andere Kreise keinen Widerspruch erheben. Sie müssten zudem Interessierte aus dem Unternehmen gewinnen, im Marketingkreis mitzuwirken. Insourcing oder Outsourcing? „Bei Oose haben wir uns holakratisch in Kreisen und nicht in Abteilungen organisiert. Damit treffen wir bessere Entscheidungen, und Mitarbeiter können sich freier entfalten. Abteilungen sind exklusiv. Als Mitarbeiter gehört man immer zu einer Abteilung. Kreise sind offen für alle, die daran mitarbeiten wollen. Wichtig dafür ist, dass jeder Mitarbeiter seine Kreise priorisiert und sich die Mitarbeit in den Kreisen nicht laufend ändert. Damit Kreise eigenständig entscheiden können, müssen sie wissen, welchen Wertbeitrag sie zur wirtschaftlichen Gesamtsituation beitragen.“ Bernd Oestereich, oose Von autokratischen zu demokratischen Unternehmen Unternehmen haben sich den breiten Demokratisierungsbewegungen in vielen Bereichen weitgehend entzogen. Noch immer werden Vorgesetzte ernannt und Regeln für Untergebene festgelegt. Aber es gibt durchaus Unternehmen, die dies anders handhaben. W. Gore, Hersteller von Goretex, ist so ein Unternehmen. Führungskräfte werden dort intern gewählt. „Leaders have followers“ ist das Motto. Mitarbeiter bewerten sich gegenseitig, inwieweit sie zum Erfolg des Unternehmens beigetragen haben und die Werte des Unternehmens leben. Der Spielehersteller Valve operiert vollkommen auf 38 Marketingverantwortliche sollten sich fragen, ob sie „Untergebene“ haben oder „Follower“. Sie sollten sich fragen, wie gewichtig ihr Wort wäre, wenn ihr Titel nicht mehr zählen würde. Auch ohne große Strukturänderungen können Marketer ihre Mitarbeiter an strategisch wichtigen Fragen mehr mitdenken lassen und so für mehr Zusammenhalt und Verständnis sorgen. Zudem könnten sie mehr Freiräume eröffnen für Vorschläge von der Basis. Über die Zusammenarbeit mit Partnern und externen Dienstleistern hat man die Möglichkeit, schnell und flexibel auf breitere und tiefere Kompetenzen zurückzugreifen. Outsourcing ist vor allem dann ein Thema, wenn man sicher ist, dass andere die Arbeit schneller und besser erledigen können. Als Organisation bleibt man schlank und kann die Fixkosten reduzieren. Angesichts schnell veraltenden Wissens und permanenter Medienumbrüche bietet die Zusammenarbeit mit spezialisierten Dienstleistern zudem den Vorteil, Neues ausprobieren zu können, ohne dafür eigene Kapazitäten aufbauen zu müssen. Gerade wenn die Anforderungen steigen und vielfältiger werden, lassen sich nicht alle benötigten Kompetenzen integrieren. Vor diesem Hintergrund gehen fast zwei Drittel der Befragten (62%) davon aus, dass es zukünftig vermehrt Kooperationen mit Externen geben wird. Andererseits können Marketingorganisationen aber auch gerade dadurch an Geschwindigkeit gewinnen, dass man bestimmte Spezialkompetenzen in der eigenen Abteilung hat. Das erfordert zwar ein kontinuierliches Wissens-Update, allerdings reduziert man auch die Abhängigkeit von einzelnen Dienstleistern. Aber selbst wenn Tätigkeiten ausgelagert werden, so hat man doch den internen Aufwand, um diese Experten zu steuern und deren Tätigkeiten in die eigene Arbeit zu integrieren. Es braucht, wie DB-Marketingchef Ulrich Klenke sagt, eine „interne Intelligenz, um das alles zu verstehen und zu koordinieren“. Marketingverantwortliche können über die Dienstleister Leistungssprünge vollziehen und schnell erste Erfahrungen sammeln. Denn es braucht Zeit, neue Mitarbeiter zu finden oder vorhandene Mitarbeiter fortzubilden. Die zentrale Frage ist jedoch, welche strategische Relevanz ein Thema hat – und wie wichtig es ist, spezielle Kompetenzen und entsprechende Prozesssicherheit im eigenen Haus zu haben. 39 62% Mehr externe Kooperationen: Marketingabteilungen arbeiten deutlich mehr mit Externen (Agenturen und freien Mitarbeitern) zusammen, statt selbst Spezialwissen aufzubauen. Die Marketingabteilung übernimmt vermehrt koordinierende Aufgaben. Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ „Zukünftig wird es keine Marketingabteilung in der klassischen Funktion mehr geben. Es wird einen Markenverantwortlichen geben und einen Koordinator, der externe Teams zusammenstellt und steuert. Die meisten Unternehmen können es sich gar nicht leisten, sämtliches Fachwissen ins Haus zu holen. Wichtig ist nur das Markenwissen. Wenn das an der falschen Stelle aufgehängt ist – in Agenturen oder beim Vertrieb –, dann hat man ein Problem.“ Johannes Mauss, Haus Rabenhorst „Heute muss man sich sehr schnell auf neue Bedürfnisse und Marktentwicklungen einstellen. Dafür braucht man intern viel digitales Know-how und Prozesssicherheit. Wenn man das alles über Externe regelt, verliert man Zeit.” Jürgen Griebsch, BSH Bosch und Siemens Hausgeräte Wir machen‘s gerne etwas besser. Sven Krüger, Leiter Markenkommunikation, T-Systems International In Zeiten zunehmend digitalisierter Geschäftsmodelle wird das Kriterienset für Kundenzufriedenheit komplexer und der Faktor Geschwindigkeit bekommt noch mehr Bedeutung. Marketingorganisationen bekommen das bei der Maßnahmenumsetzung zu spüren: Gefordert sind mehr Maßnahmen im gleichen Zeitraum, höhere Qualität, schneller messbare Ergebnisse und Steigerung der Ressourceneffizienz. Bei T-Systems zeigte sich die gestiegene Anspruchshaltung zunächst in Form höherer inhaltlicher Erwartungen, z.B. an Events. Das Eventmanagement sollte nicht mehr nur die Organisation des gesamten Eventrahmens wie Location, Einladungen, Catering, Ausstattung usw. leisten, sondern auch die passende Agenda und die notwendigen Speaker buchen und diese inhaltlich briefen und steuern. Außerdem sollten alle Maßnahmen kanalübergreifend eng abgestimmt und in ein synchrones Messaging eingebunden sein. In Konsequenz habe ich in meinem Bereich einen neuen Organisationsansatz mit flexiblen Pools umgesetzt. Dabei werden die fachlichen Expertisen der Mitarbeiter homogen sortiert und in Abteilungen geformt. Eine dieser neuen Abteilungen konzentriert sich ausschließlich auf die Fähigkeiten Projektmanagement, Koordination, Konzeption, Networking etc. Der Gegenentwurf wäre eine Unit-Organisation, in der alle mixed skills parallel vertreten sind, also im Grunde eine Anzahl gleich qualifizierter Teams, die in unterschiedlichen Projekten einsatzfähig wären. Die Entscheidung für flexible Pools erlaubt uns heute, schnell und professionell koordiniert, Multichannel-Projekte bereichs- und sogar unternehmensübergreifend erfolgreich umzusetzen. Last but not least haben wir quasi „nebenbei“ aus einer operativen Umsetzungstruppe einen strategisch-konzeptionellen Bereich mit mehr Einfluss und Business-Impact im Marketing gemacht. 40 41 Selbstreflexion „Neue Strukturen“ Erwartung der (Unternehmens)-Führung Mehr Fragen als Antworten: Organisation hört nicht an der Unternehmensgrenze auf Eigener Anspruch Organisationale Wirklichkeit Margret Dreyer, Abteilungsleiterin Marken und Marketingkommunikation, Deutsche Postbank Marketingorganisationen arbeiten traditionell mit externen Partnern zusammen, deren Bandbreite heute über das übliche Agenturtableau weit hinausgeht. Geblieben ist häufig das intern kritische Beäugen, da die Know-how-Schnittstellen, Arbeitsprozesse und damit letztlich die Wertschöpfung den jeweils Beteiligten nicht klar zugeordnet werden können. Höchste Zeit, hier für mehr Transparenz zu sorgen. Denn die Notwendigkeit, auf externen Sachverstand zuzugreifen, wird größer. Zum Beispiel wegen der Übertrends Digitalisierung und Big Data: Sind die Mitarbeiterqualifikationen und internen Rahmenbedingungen wirklich ausreichend, um bei diesen hochdynamischen Themen dauerhaft wettbewerbsfähig zu sein? Wie viele Generalisten und Spezialisten werden hierfür überhaupt benötigt – permanent und/oder projektbezogen? Ist trotz demographischen Wandels sichergestellt, genügend Generation-Y-Angehörige im Unternehmen zu haben, die interne Veränderungen anstoßen? Vieles spricht also dafür, dass interne Ressourcen künftig noch zielgerichteter mit externen Einheiten verstärkt und optimiert werden müssen. Umso wichtiger wird deshalb die Frage nach dem organisatorischen Ansatz. Kann man interne und externe Fachleute in tief verzahnten Organisationsstrukturen und Prozessketten führen? Sind zum Beispiel Agenturen und Großunternehmen flexibel genug, sich übergreifend aufzustellen bzw. agile Teams so arbeiten zu lassen? Welche rechtlichen Aspekte sind dabei zu klären und last but not least: Ist für beide Seiten die Wirtschaftlichkeit gegeben? Die kritische Größe dabei: der intern zu leistende Koordinationsaufwand und die zwingend erforderliche fachliche Expertise, ohne die Führung und Controlling der „internen Externen“ inhaltlich wie wirtschaftlich nicht leistbar ist. Und die Ausbalancierung von Erfahrung und Kontinuität (eher intern) und häufigeren fresh ups durch Fluktuation (eher extern). Moderne Arbeitsformen in Unternehmen beweisen aber schon heute, wie atmend und damit flexibel man sich organisieren kann (wenn man muss und will). Die systematische Verzahnung von Innen- und Außenarbeitswelt ist der logische nächste Schritt. 42 Rolle des Marketings „Zukünftig sind Marketer diejenigen im Unternehmen, die ...“ Aufgaben des Marketings „Um welche Aufgaben kümmert sich das Marketing morgen?“ Zuständigkeiten des Marketings „Welche konkreten Zuständigkeiten verantwortet das Marketing morgen?“ Zielvorgaben & KPIs „Welche Ziele sind dem Marketing zukünftig gesetzt? Woran werden Sie dann gemessen?“ Zeithorizont „Inwiefern hat Marketing morgen eher eine langfristige oder kurzfristige Mission?“ Umbrüche „Wie kann das Marketing zukünftig besser auf den Wandel von Märkten, Medien und Kundenverhalten reagieren?“ Abstimmungen „Mit welchen anderen Abteilungen muss das Marketing zukünftig besonders eng zusammenarbeiten?“ 43 Neue Prozesse „Wir haben keine Zeit für Neues“. Viele Marketingabteilungen ächzen unter dem Druck des Tagesgeschäfts. Die Aufrechterhaltung des Statusquo erfordert alle Aufmerksamkeit. Aber eine Marketingorganisation, die für mehr als operative Kommunikationsaufgaben zuständig sein will und den Wertbeitrag für das Unternehmen steigern will, braucht neue Freiräume und Arbeitsweisen. Es braucht Gestaltungsspielräume, Zeit, Budget und Manpower, um sich an die erhöhte Wandlungsgeschwindigkeit von Märkten und Medien anzupassen. Dies wird nur möglich sein, wenn Marketingabteilungen einerseits die bestehenden Aufgaben deutlich effizienter, standardisierter und möglicherweise auch automatisierter erbringen. Andererseits müssen Marketingverantwortliche unter Beweis stellen, dass ihr neues Arbeiten aktiv die Wertschöpfung des Unternehmens steigert. Dies ist nicht nur eine Frage der quantitativen Zielerreichung. Es geht auch darum, unternehmensintern ein gemeinsames Verständnis für die Rolle des Marketings zu schaffen und für (abteilungsübergreifende) Initiativen im Unternehmen die notwendige Dringlichkeit zu erzeugen. 44 45 Sich zu Tode sparen Angesichts explodierender Kanäle und geringer Aufmerksamkeit der Konsumenten sinkt die Wirkung, die einzelne Maßnahmen entfalten können. Gleichzeitig steigen die Optionen, Möglichkeiten und Anforderungen an Marketer. Effizienzsteigerungen werden somit auch zukünftig dauerhafter Begleiter sein. Das gilt sowohl für die eigene Abteilung als auch für Partner. Nach dem Motto „Ein bisschen was geht doch immer“ drückt die Einkaufsabteilung externe Dienstleister. Der Effizienzdruck wird zudem über harte und teilweise unrealistische Zielvereinbarungen an die Mitarbeiter weitergegeben. Je operativer die Ausrichtung des Marketings ist, desto höher wird der Effizienzdruck sein. Denn operative Tätigkeiten sind leichter überprüfbar und messbar. Diese Logiken führen dazu, dass man aus Kostengründen Investitionen unterlässt und Gefahr läuft, Marktchancen den Wettbewerbern zu überlassen und langsam, aber sicher ins Hintertreffen gerät. Marketingverantwortliche reagieren mit allgemeinen Kürzungen nach der RasenmäherMethode. Zusätzlich versuchen sie, „alte Zöpfe“ abzuschneiden und Aktivitäten in einzelnen Bereichen ganz einzustellen. Wie interne Dienstleister werben sie aus anderen Abteilungen Budgets und Projektaufträge ein. Marketingverantwortliche, die unter extremem Effizienzdruck stehen, können mit Effizienzinnovationen punkten, indem sie weiter Prozesse und Abläufe standardisieren und automatisieren. „Die Budgets steigen nicht in dem Maße wie die Anforderungen. Heute braucht man das Dreifache des Budgets wie vor 20 Jahren, um eine vergleichbare Werbewirkung zu bekommen. Und wenn Geld eingespart wird, dann oft im Marketing – das ist der einfachste und leichteste Weg, da die Budgets schneller zu kürzen sind als Konditionen, Infrastrukturkosten etc.“ Johannes Mauss, Haus Rabenhorst „In Marketingabteilungen lassen sich viele Aufgaben und Abläufe standardisieren oder automatisieren. Aber noch scheuen viele Marketer davor zurück und lassen Potenziale ungenutzt. Der Effizienzdruck in deutschen Unternehmen ist wohl noch nicht hoch genug, denn es geht ihnen noch gut.“ Dr. Rene Steiner, Dr. Steiner & Carretero Standardisierung von Prozessen und Maßnahmen Unter dem Deckmantel von Marke und Konsumenten konnte sich das Marketing als einer der wenigen Unternehmensbereiche bislang oftmals Rationalisierungen und tief greifenden Effizienzinnovationen entziehen. Marketer verstehen sich als der kreative Kern des Unternehmens und Wächter über Kundenerlebnisse und -emotionen. Es gibt vielfältige Aufgaben, aber vergleichsweise wenig klar definierte und standardisierte Arbeitsabläufe und Kommunikationsmaßnahmen. Ihrem Selbstbild entsprechend verstehen sich viele Marketer als kreative Menschen und wollen sich nicht durch Standardisierung von Abläufen und Kommunikationsmaßnahmen einengen lassen. In 46 der Konsequenz führt dies zu hohen Kosten. Neue Mitarbeiter brauchen länger, um sich einzuarbeiten. Vorhandene Mitarbeiter können weniger flexibel eingesetzt werden. Es existieren viele Intransparenzen, die machtpolitisch genutzt werden. Auf Seiten der Kommunikationsmaßnahmen wird das Rad zu häufig neu erfunden, angefasst und angepasst. In der Konsequenz beschäftigen sich Marketer zu viel mit der Verwaltung des Bestehenden anstatt mit der Gestaltung des Kommenden. Marketingverantwortliche sollten sich gezielter um Standardisierungen von Abläufen und Aktivitäten kümmern. Dies macht zwar kurzfristig mehr Arbeit und wird nicht allen gefallen. Mittelfristig zahlt sich dies aus, weil mehr Freiräume und Flexibilität entstehen, die notwendig sind, um strategische Aufgaben wahrzunehmen und an Relevanz zu gewinnen. „Damit das Marketing eine führende Funktion im Unternehmen einnehmen oder vorgeben kann, wo die Reise hingehen soll, brauchen Marketer mehr Zeit für ihre eigene Arbeit. Heute verbringen sie zu viel Zeit mit administrativen Tätigkeiten, unklaren Rollenverteilungen und Verantwortungen. Im Rahmen unserer Marketing-Exzellenz-Initiative haben wir anhand von sieben Marketing-Kernkompetenzfeldern unsere Erwartungen an die Marketers vorgegeben und auch die verschiedenen Aufgaben und Abläufe genau beschrieben.“ Dirk Lange, 3M Automatisierung des Marketings Im Rahmen eines Tests gewann 2011 der IBM-Superrechner Watson die Wissenssendung Jeopardy gegen Ken Jennings, den 74-maligen Sieger der Sendung. Watson hat semantische Analysefähigkeiten und ist in der Lage, aus großen Informationsmengen eigene Antworten abzuleiten. Die zukünftige Aufgabe von Watson liegt im Servicebereich, um eigenständig Kundenfragen zu beantworten. Schon heute gibt es Bots (z.B. Weavr), die Social-Media-Profile aufbauen und pflegen. Sie fügen Follower hinzu und posten in einem ähnlichen Duktus wie man selbst. Viele CRM-intensive Marketingabteilungen in Online-Unternehmen haben ihre direkte Kundenkommunikation automatisiert und verschicken Newsletter, die individuelle Vorschläge und Angebote auf Basis der Verhaltenshistorie machen. Im B2B-Bereich werden schon heute produktlastige Kataloge vielfach automatisch erstellt und aktualisiert. Alle Produktinformationen sind im Warenwirtschaftssystem hinterlegt und können von Dienstleistern und Händlern über Schnittstellen ausgelesen werden. Noch steht diese Entwicklung am Anfang und viele Befragte messen dieser Entwicklung nur eine eher geringe Bedeutung zu. Nur 39% der 582 befragten Mitarbeiter aus Unternehmen halten eine Automatisierung des Marketings bis 2020 für (sehr) wahrscheinlich. McKinsey wertet die Automatisierung von Wissensarbeit dagegen als eine der wichtigsten disruptiven Technologien (McKinsey Global Institute, 2013). Mit fortschreitender Digitalisierung auch der bislang analogen Medienkanäle (z.B. TV) wird im nächsten Jahrzehnt vieles mehr möglich werden: Individualisierte Massenkommunikation, sich selbst optimierende Kampagnen oder intelligente Serviceroboter sind nur der Anfang. 47 Marketingverantwortliche sollten beobachten, welche Bereiche ihrer Arbeit sich sinnvoll automatisieren lassen. Für CRM-lastige Bereiche können bereits heute Anstoß- und Reaktionsketten gut beschrieben werden, die sich entsprechend automatisieren lassen. Die übrigen Bereiche für Automatisierungen stecken noch in den Kinderschuhen. Hier können Marketingverantwortliche sich durch spannende Experimente profilieren und wichtige Erfahrungen sammeln. Die Etablierung einer neuen Denklogik liegt außerhalb des Gestaltungsbereichs von Marketingverantwortlichen. Es lässt sich jedoch versuchen, den internen Diskurs stärker in Richtung Wertbeiträge und -steigerungen zu entwickeln und die eigene Abteilung anders zu führen. Um die nötige Rückendeckung für diesen alternativen Führungsstil zu haben und nicht in Rechtfertigungsnöte zu kommen, sind sie allerdings noch stärker auf regelmäßige Erfolge angewiesen. Die Beobachtung neuer Wettbewerber 39% Automatisiertes Marketing: Die Digitalisierung erfasst das Marketing wie einst die Industrialisierung die Produktion. Analysen, Abläufe, Planungen und Kommunikation laufen größtenteils automatisiert ab. Marketingmitarbeiter haben starke Kompetenz in statistischen Analyseverfahren und müssen in den Daten verändertes Konsumentenverhalten erkennen und Algorithmen darauf abstimmen können. Basis: n=582 (Mitarbeiter Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ „Dialog und Austausch sind eine große Chance. Wir haben die Möglichkeit, direkt Feedback von unseren Kunden zu bekommen. Das erfordert eine Ressourcenveränderung und eine Verlagerung von Schwerpunkten. Damit sind wir bei der Frage: Was kann ich automatisieren, um mehr Zeit für andere Tätigkeiten zu haben?“ Tanja Schäfer, Axel Springer In Wertbeiträgen denken Im Gegensatz zu solch Effizienz-getriebenen Ansätzen operieren Unternehmen wie z.B. die dm Drogeriemärkte oder die Hotelgruppe Upstalsboom nach einem gänzlich anderen Prinzip. Sie betonen nicht die Kostenseite des Arbeitens, sondern die Potenzialförderung der Mitarbeiter. Im internen Diskurs geht es darum, welchen Wertbeitrag Aktivitäten haben. Auf den ersten Blick scheint der Perspektivwechsel kaum einen Unterschied zu machen. Denn auch Effizienz-getriebene Marketer argumentieren über ihren Wertbeitrag. Sie haben aber häufig eine andere Definition des Begriffs im Sinne ihrer eigenen monetären Kennzahlen und KPIs – und nicht im Sinne eines übergeordneten Unternehmenswertbeitrags. Der mittelfristige Effekt eines Denkens in Wertbeiträgen ist, dass sich Führungskräfte stärker Gedanken machen, was gut für das Unternehmen als Ganzes ist, wie sie ihr eigenes Potenzial besser entfalten können – und nicht, wie sie kontinuierlich die Kosten minimieren können. Diese Denkhaltung fördert eine positive Weiterentwicklung des Geschäfts im Gegensatz zu einer limitierenden Sichtweise voller Leistungsdruck. Unternehmen, die entsprechend agieren, sind mittelfristig erfolgreicher und haben zufriedenere Kunden und Mitarbeiter (Harvard Business Manager, 12/2013). 48 Immer mehr Branchen stehen vor massiven Umbrüchen. Neue Wettbewerber machen es etablierten Unternehmen durch neue Geschäftsmodelle schwer. Innerhalb von Monaten können neue Konkurrenten stark werden und Geschäftsmodelle radikal umkrempeln. Das hat Zalando im Schuh- und Fashionmarkt deutlich aufgezeigt. Aber wer ist intern verantwortlich, diese Marktänderungen und neuen Wettbewerber zu beobachten, zu antizipieren und darauf zu reagieren? Marketer erheben Anspruch auf diesen vergleichsweise neuen Zuständigkeitsbereich, der sich deutlich von der klassischen Wettbewerberanalyse und Benchmarkings unterscheidet. Man muss stärker über Branchen- und Marktgrenzen hinausdenken und stärker Nischenunternehmen und Start-Ups beobachten. Das erfordert einen Blick für Disruptionen und schnelle Dynamiken. Die Herausforderungen liegen hier jedoch nicht vorrangig darin, die neuen Wettbewerber für sich zu identifizieren, sondern intern Aufmerksamkeit und Dringlichkeit zu schaffen und ein Mandat zum Handeln zu erhalten. Die Gefahr solch neuer Angreifer wird intern meist unterschätzt: überschaubares Risiko, verkraftbare Verluste, kein Handlungsdruck. Vorausschauende Marketer, die sich der Beobachtung neuer Wettbewerber annehmen wollen, werden im Unternehmen zu Einäugigen unter Blinden. Aber wenn diese Weitsicht intern keine Resonanz findet, wird man kein Mandat zum Handeln bekommen. Oder wie Marshall McLuhan es so trefflich ausdrückt: Unter den Blinden ist der Einäugige ein halluzinierender Spinner. Marketingverantwortliche, die die neue Form von Wettbewerbsbeobachtung ernst nehmen, sind aufgefordert, deutlich stärker nach innen zu arbeiten. Sie müssen ihrer Organisation zum „Sehen“ verhelfen. Hierfür empfiehlt sich ein übergeordnetes Verständnis für zentrale Herausforderungen, für offene Flanken und Schwachpunkte. Ein solches Verständnis lässt sich beispielsweise über die Arbeit mit Szenarien oder einem Frühwarnsystem entwickeln. Dies hilft, einzelne Ereignisse direkt mit möglichen Chancen und Risiken zu verknüpfen und schneller ins Handeln zu kommen. „Viele etablierte Unternehmen orientieren sich nur an ihren alteingesessenen Wettbewerbern. Sie bemerken erst sehr, sehr spät, dass viele neue, kleine Player aktiv geworden sind, die nach gänzlich anderen Regeln spielen, Märkte verändern und oft deutlich näher an den Kunden sind. Diese Gründer sind Unternehmer und denken daher ganz anders als Konzernmanager, die sich hinter Hierarchien, Zahlen und Analysen verstecken.“ Lena Schiller Clausen, Autorin und Unternehmerin 49 „Wenn Marketing bzw. Markenführung neue Wachstumsimpulse geben soll, langfristige Kundenbeziehungen aufbauen soll, den Wettbewerb fest im Blick behalten soll, sprich Auge, Mund und Nase eines Unternehmens sein soll, dann muss es – neben aller selbstverständlichen Orientierung an Effizienz und Digitalisierung – stärker in die strategischen Entscheidungen eines Unternehmens involviert werden, d.h. als wichtiger Teil der Unternehmensführung verstanden werden. Marketing muss unternehmensintern die Rolle des Anwalts des Kunden wahrnehmen, damit Unternehmen sich wirklich am Markt und ihren Kunden orientieren und folglich ihre Zukunftsfähigkeit sicherstellen können.“ Dr. Karoline Haderer, ehemals HSE/Entega Entwicklung neuer Geschäftsmodelle „Wie sollen wir erfolgreich Marketing betreiben, wenn die Geschäftsmodelle immer weniger funktionieren?“ Diese Frage warfen einige der interviewten Marketingverantwortlichen wiederholt auf. Ein Drittel der Unternehmen, die seit dem Jahr 2000 neu in die Fortune-500-Liste der umsatzstärksten Unternehmen aufgestiegen sind, taten dies durch Geschäftsmodell-Innovationen (Mark W. Johnson, Seizing The White Space, 2010). Aber wer ist im Unternehmen die Spürnase für zukünftige Geschäftsmodelle? Wer ist dafür zuständig? Diese stark strategischen Themen sind häufig Chefsache oder werden von der Strategie- oder Innovationsabteilung beansprucht. Aber wäre es nicht eigentlich die Aufgabe des Marketings, diese Zuständigkeit für sich zu beanspruchen? Dabei geht es nicht zwangsläufig um den im Detail durchgeplanten großen Wurf. Vielmehr geht es zukünftig auch viel stärker darum, neue Geschäftsmodelle im Kleinen auszuprobieren, anzupassen und zu skalieren. Etablierte Organisationen tun sich damit schwer, weil dies Unruhe in die auf Effizienz getrimmten Abteilungen bringt. Nicht zuletzt deshalb gründen so viele Unternehmen derzeit Inkubatoren und setzen Accelerator-Programme auf. Sie wollen sich außerhalb bestehender Strukturen früh an Geschäftsmodell-Innovationen beteiligen. Marketingverantwortliche, die größere strategische Relevanz und eine Führungsrolle des Marketings beanspruchen, sollten sich stärker der Denkweise von Geschäftsmodellen und Geschäftsmodell-Innovationen zuwenden. Geschäftsmodell-Denkweisen sind intern akzeptiert und näher am „Geschäft“ als Marken. Sie bieten ein umfassenderes Denkkonstrukt und damit im Vergleich zum „Denken in Marken“ größere Gestaltungsspielräume an. „Um Innovationen schneller voranzutreiben, müssen Mitarbeiter verschiedenster Abteilungen projektweise in flexiblen Teams zusammenarbeiten und Neues ausprobieren können. Wir haben dies z.B. bei der Gestaltung des Sennheiser Innovation Campus berücksichtigt.“ Daniel Sennheiser, Sennheiser 50 „Heutige Marketer verstecken sich zu oft hinter ihren eigenen Schwächen. Sie setzen auf weiche Zahlen, reklamieren ein schwieriges Marktumfeld und wundern sich, wenn niemand sie ernst nimmt. Wir brauchen weniger controllinglastige und angstgetriebene Marketer, sondern mehr kreative Unternehmer, die unterschiedliche Branchenerfahrung mitbringen, Risiken eingehen und neue Wege gehen. Denn das Marketing hat morgen mehr denn je die Aufgabe, sinnvolle Wachstumsimpulse zu setzen.“ Frank Schübel, Berentzen 65% Neue strategische Relevanz: Die Marketingabteilung hat intern an Bedeutung gewonnen. Sie übernimmt nicht nur die Kommunikation, sondern kümmert sich verstärkt auch um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und die Weiterentwicklung der Unternehmensstrategie. Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ Lernende Marketingorganisation Technologie und Medienwelt wandeln sich in rasender Geschwindigkeit. Hypes und Trends entstehen. Nutzungs- und Kaufgewohnheiten verändern sich. Neue Konkurrenten greifen an. Marketingabteilungen sind kaum in der Lage, diese Entwicklungen in der adäquaten Geschwindigkeit zu begreifen, Maßnahmen zu entwickeln und neue Kommunikationsformen zu erkunden. Es fehlt an Lernroutinen: beobachten, interpretieren und analysieren, experimentieren, reflektieren. Je dynamischer die Märkte werden, desto stärker werden solche Prozesse zur Überlebensnotwendigkeit. Je kurzfristiger, unsicherer und komplexer das Umfeld wird, desto wichtiger wird es, im Krisenfall schnell reagieren zu können. Dafür ist es jedoch nötig, entsprechende Situationen vorzudenken, regelmäßig plausible Zukünfte zu explorieren und die eigenen Strategien, Geschäftsmodelle, Markenwerte sowie die Strukturen, Prozesse und Kompetenzen zu überprüfen. Diese Prozesse des „Sensemakings“ können nicht ausgelagert werden und es hilft, zentrale Mitarbeiter oder auch Dienstleister als Mitdenker zu gewinnen. So können die (Marketing-)Organisation und ihre Mitarbeiter relevante Veränderungen im Bereich Technologien, Markt oder Kunden besser wahrnehmen und schneller reagieren. Airbnb fordert z.B. Mitarbeiter aktiv auf, Gründe für den eigenen Niedergang zu benennen und darüber wichtige Schwächen und Risiken zu identifizieren. Das Team des Produktivitätstools Asana arbeitet mit sogenannten Pre-Mortems und Pre-Celebrations: Man begibt sich mit seinem Team auf Zukunftsreisen. Im Pre-Mortem-Setting ist das Vorhaben (z.B. Projekt, Strategie, Unternehmen) gerade gescheitert und man entwickelt 51 gemeinsam mögliche Ursachen und Entwicklungsverläufe (Wie ist es dazu gekommen?). Im Pre-Celebrations-Setting feiert man in der Zukunft einen überragenden Erfolg und sucht anschließend die Erfolgsrezepte und -wege. Damit lassen sich schnell und günstig große Lerneffekte schaffen und etablieren. Marketingverantwortliche sollten sich regelmäßige Freiräume im Alltag schaffen, um in eigenen Projekten zu experimentieren. Ihre Mitarbeiter und sie selbst brauchen regelmäßige Termine, um Neues zu denken, Unsicherheitszonen zu erkunden, ein gemeinsames Zukunftsverständnis zu entwickeln, über Projekterfahrungen nachzudenken sowie offen über Fehler und Misserfolge zu reflektieren. Hierbei hilft es, mehrmals im Jahr auch die Dienstleistungspartner einzubeziehen und gemeinsam mit allen Partnern zu lernen. Bei vielen Marketingverantwortlichen erfordert agiles Arbeiten einen Bewusstseinswandel. Marketing ist heute noch stark von den subjektiven Meinungen, Einschätzungen oder Vorlieben der Verantwortlichen geprägt. Marketingleiter sind häufig die größten Flaschenhälse ihrer Abteilung, weil alles über ihren Schreibtisch muss. Sie haben das letzte Wort und machen nicht selten einen kompletten Strich durch alles, nachdem lange und für viel Geld an dem Projekt gearbeitet wurde. Sie müssen ihren Mitarbeitern und den agilen Teams mehr Gestaltungsspielräume und Handlungsfreiheiten einräumen. 64% „Es geht nicht nur um lernende und anpassungsfähige Organisationen, sondern um lernende Wertschöpfungsketten. Wir beobachten vermehrt, dass Unternehmen, Dienstleister und Zulieferer einer Wertschöpfungskette gemeinsam in die Zukunft denken, Konsequenzen ableiten und Maßnahmen definieren.“ Dr. Heiko von der Gracht, Institute of Corporate Education „Constant beta is the new normal. Wenn man dieses Motto in Organisationen verankert und zum Leben erwecken kann, hat man gute Chancen, Funktionen und Prozesse zukunftsorientiert aufzustellen und dem Wettbewerb ein Schnippchen zu schlagen. Es wird nicht den einen großen Wurf, sondern viele kleine Schritte des Ausprobierens und Justierens geben.“ Patricia Hohendorf, E-Plus Agiles Arbeiten Die Marketingorganisation wird zukünftig schneller Neues ausprobieren, lernen und skalieren müssen. Sie wird sich stärker auf unbekanntem Terrain bewegen müssen. Hier helfen Meinungen, Erfahrungen, Intuition und klassisches Projektmanagement nur noch begrenzt. Zum einen sind sie das Kondensat bekannter Situationen, man bewertet das Neue auf Basis vergangener Erlebnisse. Zweitens sind sie oftmals geprägt durch HiPPOs: Highest Paid People Opinions. Hilfreich können jedoch agile Arbeitsweisen sein, die ihren Ursprung im Bereich der Web- und Software-Entwicklung haben. Denn auch Marketing-Kommunikation und -Innovation werden immer stärker durch Software geprägt. Bei agilen Methoden wie Scrum, Kanban oder Lean geht es darum, auf Basis kleiner, kostengünstiger Experimente neue Daten und Erfahrungen zu sammeln, Neues schneller zu entwickeln, Kosten und Timings realistischer einschätzen zu können, Hypothesen und Prototypen schnellstmöglich und laufend zu testen, zu lernen und Fehler möglichst früh zu erkennen und zu korrigieren. Der Erfolg vieler kleiner Schritte soll schneller weiterbringen als der große Masterplan. Anstelle von Kontrolle und Steuerung von Mitarbeitern setzen agile Methoden in der Regel auf Teams, die sich selbst steuern. 52 Agiles Arbeiten: Die Marketingabteilung übernimmt die agilen Arbeitsmethoden der IT. Kampagnen und Kommunikationsmaßnahmen werden kontinuierlich getestet und modifiziert. Neues wird in kleinen Experimenten ausprobiert. Organisationen können schneller reagieren. Strukturen werden durchlässiger. Temporäre Projektteams formieren sich abteilungsübergreifend. Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ Kundenerlebnisse gestalten In vielen Marketingabteilungen verschieben sich Schwerpunkt und Mandat in Richtung Kundenerlebnisse. Es geht um den Aufbau und die Pflege langfristiger Kundenbeziehungen. Die Gestaltung der Kundenerlebnisse über die verschiedenen Kontaktpunkte folgt einer grundsätzlich anderen Logik als eine Produkt- und Kampagnenkommunikation. Es gilt, alle Beteiligten – Einkauf, Vertrieb, Marktforschung, Kundenservice und andere relevante Akteure – entsprechend einzubeziehen, neu zu synchronisieren und deren Einfluss auf das Kundenerlebnis aufzuzeigen. Es erfordert, die Erlebnisse dynamisch zu beobachten, Datenbank-gestütztes Detailwissen über einzelne Kunden und deren Kaufhistorien zu entwickeln und in zusätzliches Geschäft übertragen zu können. Marketingverantwortliche müssen vermehrt Prozesse gestalten, die quer zu vielen bisherigen Strukturen liegen. Dafür müssen sie ein klares Mandat seitens der Geschäftsführung einfordern und gleichzeitig jenseits von Zuständigkeiten und über Bereichsgrenzen hinweg führen, verschiedene Perspektiven unterschiedlicher Abteilungen zusammenbringen, Budgets und Ressourcen anderer Abteilungen „einwerben“. Perspektivisch wird ihre Arbeit verstärkt von Kundenbeziehungen und tatsächlich messbarem Kundenverhalten geprägt sein und deutlich weniger von kurzfristigem Kampagnendenken und abstrakten Zielgruppen. „Marketing braucht eine neue Aufgabe. Die Identifikationswelten von Konsumenten sind überschätzt. Statt bunter Bilder muss sich das Marketing stärker auf die Handlungsebene des Kunden und auf die Stellschrauben auf Mikro-Verhaltens-Ebenen konzentrieren.“ Prof. Dr. Christian Belz, Universität St. Gallen 53 Kunden integrieren Das Management der Kundenerlebnisse ist jedoch nur ein erster Schritt. Unternehmen mit intensiven Kundenbeziehungen werden noch stärker als bisher dazu übergehen, Fans aktiv einzubeziehen, ihnen Plattformen anzubieten, sie als Multiplikatoren oder Beta-Tester zu nutzen oder Kleinstaufgaben an diese auszulagern. Unternehmen wie Lego oder SAP unterhalten intensive Fan- bzw. Nutzer-Beziehungen und binden diese aktiv in die Kommunikationsarbeit ein. Es ist sogar vorstellbar, dass Marketingabteilungen ihr eigenes Budget nach dem Crowdfunding-Prinzip direkt von ihren Fans einwerben. Diesen radikalen Wandel bis zum Jahr 2020 hält immerhin jeder Zehnte von den 582 befragten Unternehmensmitarbeitern für (sehr) wahrscheinlich. Marketingverantwortliche müssen einerseits den Rahmen vorgeben und Themen setzen, Communities und Netzwerke jenseits von Werbung und Gewinnspielaktionen entwickeln und pflegen und sich zugleich für die Vorschläge und Diskurse aus der Fan-Basis öffnen. Sie müssen die verschiedenen Reaktionsgeschwindigkeiten von Communities berücksichtigen und gute Vorschläge aus dem Netzwerk in die Organisation tragen. „Der Vertrieb denkt den Handel als Kunden, das Marketing den Endverbraucher. Ich glaube, wir müssen gemeinsam den Endverbraucher als Kunden denken und uns daran orientieren.” Jürgen Griebsch, BSH Bosch und Siemens Hausgeräte „Marketingbotschaften stehen vermehrt in Konkurrenz zu Botschaften von Kunden. Unternehmen und Marketer brauchen neue Schnittstellen, um Kundenwünsche zu erfassen, und neue Prozesse, um diese Kundenwünsche umzusetzen. Marketingabteilungen verantworten das Kundenwissen. Sie haben neue Möglichkeiten, ihre interne Relevanz zu steigern.“ Jonathan Imme und Jan Bathel, Ignore Gravity „Eine der großen Herausforderungen der Marketingabteilungen ist es, die Dialoghaftigkeit neu zu entdecken. Die meisten Unternehmen beschäftigen sich mit Digitalisierung, nicht mit Vernetzung. Man nutzt die technischen Möglichkeiten lediglich dazu, Altes in neue Kanäle zu bringen. Vernetzung bedeutet aber Austausch. Damit entstehen völlig neue Dynamiken, die sich mit den Organisationsstrukturen der Industrieökonomie nicht auffangen lassen.” Prof. Peter Wippermann, Trendforscher 10% Ende der Marketingbudgets Viele Unternehmen haben kein Marketingbudget mehr. Um Kommunikationsprojekte zu realisieren und/oder neue Produkte zu entwickeln, werben diese Unternehmen auf Crowdfunding-Plattformen für eine Finanzierung ihrer Maßnahmen durch ihre Fans. Wer verstehen will, muss zuhören Birgit Spors, Leiterin Werbung und Kommunikation, ING-DiBa Kundenerlebnisse (pro-)aktiv zu managen oder neudeutsch Customer-Experience-Management ist das neueste Buzzword im Marketing. Doch vor dem Erlebnis steht zunächst einmal die Erwartung. Aber wer kennt schon die Erwartungen seiner Kunden? Haben wir uns als Marketingexperten nicht jahrzehntelang darüber identifiziert, dass wir DIE Kundenversteher schlechthin sind? Und weil wir wissen, was der Kunde will und erwartet, richten wir seine Erlebnisse mit unserer Marke danach aus. Erwartungen im Vorfeld abzuklopfen, können wir uns also sparen. Wir wissen, was der Kunde will. Denkste! Wer sich mal die Mühe macht und den Kunden zu seinen Erwartungen befragt, wird sich wundern. Ungeahnte Schmerzgrenzen nach unten, verblüffende Wow-Effekte bei Übererfüllung und auch Optimierungsfelder, die man sich schenken kann, weil sie gar keine Effekte beim Kunden haben, zeigen uns auf, wie Kundenerlebnisse endlich im Sinne des Kunden gesteuert werden können. Wir müssen ihn einfach nur fragen und in die Gestaltung der Erlebnisprozesse aktiv einbinden. Einfacher gesagt als getan. Denn damit entwickelt sich das Marketing von einer zentralen Unternehmenseinheit hin zur Unternehmensführung aus Kundensicht. Heißt das dann auch, „alle machen jetzt Marketing“ oder eher „Marketing ist jetzt überall dabei und redet mit“? Was bedeutet das für die Anforderungen an Mitarbeiter im Marketing und die Organisation des Marketings? Fragen, auf die es vermutlich mehr als nur eine Antwort gibt. In der ING-DiBa nähern wir uns den Antworten in kleinen Schritten und mit unterschiedlichsten Versuchsballons. Fehler machen und lernen ausdrücklich erwünscht. Aber nicht im Alleingang, sondern zusammen mit den Kollegen und Abteilungen, die das Kundenerlebnis letztendlich prägen. Das fördert nicht nur echte Customer-Experience-Denke bei allen Beteiligten, es motiviert auch den Veränderungs- und Gestaltungswillen. Und der stellt bekanntlich eine der größten Hürden für den Wandel dar. Wo uns die Reise hinführen wird, wissen wir noch nicht. Aber wir haben uns auf den Weg begeben und die Stimmung steigt von Tag zu Tag. Basis: n=582 (Mitarbeiter in Unternehmen), Top-2-Box auf 5er-Skala „halte ich für sehr wahrscheinlich/wahrscheinlich“ 54 55 Selbstreflexion „Neue Prozesse“ Mit Klarheit neue Wege gehen Björn Simon, Leiter Marketing, Kommunikation & Marke, Yello Strom Die digitale Transformation bestimmt die Zukunft der Marketingbereiche. Die Zahlen dieser Befragung zeigen, dass Mitarbeiter und Führungskräfte wie bei nahezu jedem Wandel nur schwer zu bewegen sind. Mitarbeiter scheinen an Vertrautem festzuhalten und Führungskräften der nötige Mut zu fehlen. Vermutlich fällt es allen schwer, alte Verhaltensmuster abzulegen, Freiräume zu gewähren oder selber Neues auszuprobieren. Um aber auf die schnelllebigen Anforderungen professionell reagieren zu können, ist die Veränderung hin zu modernen, agilen Arbeitsweisen unablässig. Sie sollten von den Führungskräften aktiv gefördert und vorgelebt und von Mitarbeitern eingefordert und genutzt werden. „Think big, start small“ und „fail fast and cheap“ – fördert die Innovationskraft und Kreativität der Marketingbereiche. Welche Abläufe, Routinen oder Arbeitsweisen wollen Sie erneuern? Ein Beispiel: TV-Kampagnen werden noch immer mit großem Aufwand und hohem Mediabudget entwickelt. Wir wissen aber, dass sich das Mediennutzungsverhalten verändert und technische Möglichkeiten im TV-Umfeld rasant Fahrt aufgenommen haben. Wir sollten daher neue Erfahrungen und Erkenntnisse zu Formaten, technischen Möglichkeiten und Nutzerverhalten sammeln. „Experimentieren“ ist in diesen dynamischen Zeiten ein strategisches Instrument. Wir dürfen das Neue nicht dem Zufall oder primär technikorientierten Bereichen überlassen. Wir müssen uns selbst das Verständnis für die technischen Themen aneignen, uns und unsere Mitarbeiter entsprechend ausbilden und fördern. Nur so können wir neue Entwicklungen adaptieren und mit der Wettbewerbs- und Kundenbrille marktfähig machen. Worin besteht der Erfolg konkret? Es muss uns gelingen, den klassischen Marketingbereich mit entsprechenden Strukturen und Instrumenten zu einem modernen, innovativen Fachbereich zu verändern: Neben unserem ausgeprägten Kommunikationsverständnis müssen auch das Wissen und die Anwendungspraxis moderner Technologien ins Fleisch und Blut der Marketingbereiche übergehen. Es ist also an der Zeit, sich neu zu erfinden! 56 Vorhaben Pre-Celebration Pre-Mortem Im Jahr _ _ _ _ feiern Sie dank neuer Prozesse einen überragenden Erfolg. Im Jahr _ _ _ _ sind Sie aufgrund der neuen Prozesse in erheblichen Schwierigkeiten. Woran machen Sie das Scheitern fest? Was waren die wichtigsten Schritte? Welche wichtigen Ereignisse haben zum Misserfolg geführt? Auf welche Hindernisse sind Sie gestoßen? Welche wichtigen Schritte haben Sie im Nachhinein unterschätzt/unterlassen? 57 Neue Kompetenzen Die zehn gefragtesten Jobs im Jahre 2010 haben im Jahre 2004 noch nicht existiert (Bitkom, 2013). Bereits vor 14 Jahren kam eine Studie des US-amerikanischen Arbeitsministeriums zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Grundschüler später in einem Job arbeiten würden, den es damals noch gar nicht gab. Wir befinden uns mitten in diesem Umbruch, und er ist längst noch nicht abgeschlossen. Diese Entwicklung lässt sich auch auf die Marketingorganisation übertragen. Neben einem Kunden-, Markt- und Medienverständnis sowie einer analytisch-strategischen Arbeitsweise spielen zukünftig auch andere Eigenschaften und Fähigkeiten eine wichtige Rolle. Das Arbeitsspektrum des Marketings ist schon heute vielfältig. Angesichts neuer Herausforderungen und technologischer Entwicklungen wird es sich jedoch noch weiter ausdifferenzieren. Es werden neue Rollen und Arbeitsbereiche entstehen. Diese ergeben sich aus der internen Ausrichtung der Marketingabteilung sowie den externen Herausforderungen. Aber neue Talente stellen auch andere Anforderungen an Unternehmen und zwingen diese, sich mit anderen Strukturen und Prozessen auseinanderzusetzen. zu werden? So bedeutet beispielsweise eine analytisch-strategische Arbeitsweise nicht mehr nur Interpretationsstärke, das Erkennen und Verdichten von Zusammenhängen oder strukturiert zu arbeiten. Unter den Bedingungen von Informationsvielfalt wird es auch zunehmend wichtiger, Filter- und Selektionsmechanismen zu entwickeln, um mit steigender Komplexität und höheren Unsicherheiten umzugehen sowie Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Für Marketingverantwortliche wird es wichtig zu sondieren, welche neuen Mitarbeiterkompetenzen für die operative und vor allem strategische Arbeit zentral sind. Gleichzeitig brauchen die Verantwortlichen selbst ein breiteres Kompetenzprofil, um sich Grundwissen in neuen Aufgabenbereichen anzueignen. Marketingmitarbeiter sind aufgefordert, sich stärker mit der Erweiterung ihres Wissens zu beschäftigen, neue Fähigkeiten zu lernen und neue Möglichkeiten auszuprobieren. Marketingverantwortliche sollten die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter aktiver als bisher fördern und einfordern. Strukturen bedingen Kompetenzen Die Frage, welche Kompetenzen und Fähigkeiten die im Marketing Beschäftigten zukünftig mitbringen müssen, steht in engem Zusammenhang mit der Frage, welche Rolle die gesamte Marketingorganisation zukünftig innerhalb des Gesamtunternehmens spielen wird. Gewinnt das Marketing an Bedeutung, weil es verstärkt eine integrierende Gesamtkoordination übernimmt? Oder verliert die Abteilung an Relevanz, weil klassische, vormals dem Marketing zugeschriebene Zuständigkeiten und Kompetenzbereiche in andere Abteilungen wandern? Hat die Marketingorganisation wirklich eine unternehmensstrategische Rolle? Oder sind die Aufgaben eher taktisch im Sinne von Vertriebsunterstützung und Umsetzung verkaufsfördernder Maßnahmen? Die Antworten sind stark unternehmens- und branchenabhängig. Letztlich wirken die Abteilungskompetenzen, also die Verantwortungsbereiche und Zuständigkeiten, auf die zukünftig relevanten Kompetenzen der Beschäftigten. Mehr Anforderungen, neue Aufgaben, breiteres Skill-Set Mit der Ausdifferenzierung der Anforderungen und Aufgaben steigt die Vielfalt des Wissens und der Fähigkeiten, die zukünftige Mitarbeiter mitbringen müssen. Je größer und spezialisierter der Fachbereich und die jeweiligen Aufgaben sind, umso mehr Detailwissen ist bei den Mitarbeitern gefragt. Auch zukünftig gilt: Wer im Marketing arbeitet, muss sein Handwerkszeug verstehen. Auch zukünftig gehört es zum Basis-Know-how, Märkte, Menschen und Medien zu verstehen. Aber wie wird dieses Know-how in einer dynamischen und digitalen Zeit aktualisiert und neu interpretiert? Und welcher neuen Kompetenzen bedarf es darüber hinaus, um den veränderten Anforderungen gerecht 58 59 „Das, was Marketing im Kern ausmacht, wird sich nicht substanziell ändern: Marketing hat die Aufgabe, Marken erfolgreich zu führen und weiterzuentwickeln.“ Joachim Schütz, OWM „Für Marketingleiter wird es immer schwieriger. Sie brauchen ein viel größeres Skill-Set als früher, ein breiteres Datenverständnis und Technologiewissen sowie mehr Kompetenzen im Bereich Vernetzung und Koordination. Die Position als Kunden- und Marktversteher ist nicht mehr ausreichend.“ Jürgen Lieberknecht, Targobank Vernetzung und Koordination nach innen und außen Die klassische Marketingorganisation hat eine Schnittstellenfunktion im Unternehmen und muss nach innen wie nach außen über- und vermitteln. Je individueller die Welt wird, umso spezialisierter werden die Aufgaben und Anforderungen. Je komplexer die Organisation, desto fragmentierter die Arbeitsteilung. Immer kleinteiligere Silos entstehen, und der Blick und die Verantwortung für das Ganze gehen verloren. Gerade in hochdynamischen Zeiten, in denen Wissen immer schneller veraltet und man schneller reagieren muss, wird es wichtiger, Netzwerke zu verstehen, aufzubauen und zu pflegen, multiple Verlässlichkeiten zu organisieren, Kooperationen anzuschieben und Partner zu suchen, mit denen man für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten kann: intern wie extern. Auf persönlicher Ebene muss man die Fähigkeit und Bereitschaft zu aktiver Netzwerkarbeit mitbringen: mit Leuten sprechen, zuhören, ihre Interessen und ihren Einfluss verstehen, moderieren, Konflikte lösen. Das setzt ein hohes Maß an sozialer Kompetenz und Empathie voraus, ein kleines Ego und ein gutes Händchen im Umgang mit Menschen. Zukünftig wird die Marketingorganisation noch stärker integrativ nach innen arbeiten müssen: erklären, vermitteln und Akteure in anderen Abteilungen unterstützen. Statt eines Denkens in Funktionsbereichen und Zuständigkeiten wird es stärker darum gehen, in Brücken und Überlappungen zu denken, denn die Gräben zwischen einzelnen Abteilungen werden tiefer, während gleichzeitig die thematischen Grenzen zwischen ihnen verschwimmen. Diese Mitverantwortung für das Ganze betrifft alle Organisationseinheiten im Unternehmen. Aber die Marketingabteilung hat aufgrund ihrer Schnittstellen- und Querschnittsfunktion die besten Karten, diese Vermittlungsrolle als integrierender Gesamtkoordinator zu übernehmen, Brücken zwischen einzelnen Abteilungen zu bauen und für Verständigung zu sorgen. Marketingverantwortliche müssen ihre Rolle neu definieren und sich stärker als Vernetzer verstehen denn als Feldherr. Agieren im Netzwerk ist nicht gleichbedeutend mit der Abwesenheit von Entscheidungen, es erfordert nur andere Kompetenzen. Dafür muss man loslassen können. Vertrauen wird dabei wichtiger als Kontrolle. Moderieren wird wichtiger als direktive Vorgaben. 60 „In Organisationen wird viel über Zuständigkeiten gesprochen. Damit ist auch klar geregelt, wer legitimiert nicht zuständig ist. Aber auch wenn wir nicht zuständig sind, tragen wir immer auch eine Mitverantwortung für das Ganze.“ Prof. Dr. Theo Wehner, ETH Zürich „Die Marketingfunktion braucht eine Vernetzungskompetenz und ein neues internes Selbstverständnis als Knotenpunkt zwischen Kunden nach außen und verschiedenen Abteilungen nach innen. Das setzt Dialog- und Kooperationsfähigkeit voraus. Dabei ist es wichtig, dass das Marketing die Sprache der einzelnen Abteilungen versteht und spricht und ein Verständnis für die gesamte Prozesskette im Unternehmen hat. In Zukunft wird sich die Marketingabteilung eher durch diese Prozesskompetenz auszeichnen: die Fähigkeit, die richtigen Leute zusammenzubringen, zu koordinieren und zwischen Abteilungen zu moderieren und zu gestalten – und das alles aus dem Blickwinkel des Kunden und des Marktes.” Thorsten Stradt, Marken- und Strategie-Experte „Die Aufgabe der Führungskräfte hat sich verändert. Der Manager sollte sich nicht mehr als Feldherr verstehen, sondern vielmehr als Vernetzer. Das Management hat die Aufgabe, die richtigen Leute ins Unternehmen zu holen, intern zu vernetzen und ihnen den Rücken frei zu halten, um Themen zu entwickeln.” Dr. Rainer Hillebrand, Otto Group Die Generalisten kommen Die Fähigkeit, vernetzt zu denken und zu vernetzen, gilt umfassend. Auch Themen und Inhalte, Prozesse und Kanäle müssen zusammenhängend gedacht und zusammengebracht werden. Gerade weil vielfach mehr Tiefenwissen gefordert ist, wird das Überblickswissen insbesondere für die Marketingleitung relevanter. Je mehr Spezialisten und Experten Detailwissen haben, umso mehr braucht es auch ganzheitlich denkende Personen. Diese Generalisten brauchen ein Grundverständnis für die jeweiligen Anwendungsbereiche, aber ihre Hauptaufgabe besteht darin zu entscheiden, welche Experten man wann wie zusammenbringen muss, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Dies können auch marketingfremde Personen sein. Marketingverantwortliche berichten darüber, dass vermehrt Mitarbeiter mit einem allgemeinen Managementdenken im Marketing arbeiten. Sie bringen Erfahrung aus verschiedenen Ausbildungen, Abteilungen und Tätigkeiten mit. Marketingverantwortliche sind doppelt gefordert: Einerseits brauchen sie ein höheres Grundverständnis in einer Vielzahl von Fachthemen, um den richtigen Überblick zu behalten. Andererseits sind sie stärker denn je gefordert, den Gesamtüberblick zu behalten, die Marketingorganisation zu gestalten und komplexere Teams zu führen. Dies bedeutet in der Konsequenz auch, sich weiter aus operativen Fragen zurückzuziehen und diese den „Fachleuten“ zu überlassen. 61 „Marketing ist Eckpfeiler einer marktorientierten Unternehmensführung. Das erfordert Menschen, die das Geschäft verstehen und nicht nur in traditionellen Marketingkategorien denken. Im Marketing gibt es mehr und mehr Menschen aus anderen Abteilungen und Marketingfremden Ausbildungen. Klassische Schornsteinkarrieren innerhalb einer bestimmten Fachabteilung sind weniger gefragt.“ Dr. Steven Althaus, BMW Group Von „T-shaped“-zu „Pi-shaped“-Spezialisten Bei steigenden Anforderungen und zunehmend fragmentiertem Expertenwissen reicht es heute vielfach nicht mehr aus, nur in einem Bereich Expertise zu haben. In diesem Zusammenhang findet derzeit eine Diskussion über die „Pi-Persönlichkeiten“ statt; eine Bezeichnung, die auf das mathematische Symbol verweist. Im Gegensatz zu den „T-shaped-people“ zeichnen sich „Pi-Persönlichkeiten“ dadurch aus, dass sie neben dem Überblickswissen und sozialen Kompetenzen Detailwissen in zwei Fachbereichen mitbringen oder zwei verschiedene Denkweisen zusammenbringen. Jobtitel wie Creative Technologist, Marketing Technologist oder Growth Hacker verkörpern dieses doppelte Fachwissen ebenso wie spezielle Zuständigkeiten: Mitarbeiter, die für Employer Branding, Developer Relations oder Shopper Marketing zuständig sind, müssen auch mehrere Perspektiven zusammen denken. Diese Personen sind nicht nur heiß begehrt, sondern auch extrem rar. Noch mangelt es an adäquaten Ausbildungen, Studiengängen oder Fortbildungen. Marketingverantwortliche sind aufgefordert, Mitarbeiter zu finden, die mehr als nur Marketing beherrschen, sondern zudem auch andere Kompetenzen mitbringen. Hierzu zählen z.B. Technologie-, Analyse-, Sales-, Finance- oder HR-Verständnis – oder auch eigene unternehmerische Erfahrungen. „Es sind mehr Spezialisten gefragt, weil mehr Fachwissen benötigt wird. Man muss aufpassen, dass das Generalistentum dabei nicht verloren geht. Das ist die Aufgabe der Leitungsebene: den Überblick über das Ganze zu behalten.“ Jürgen Lieberknecht, Targobank Technologische Kompetenzen zwingend erforderlich Immer mehr Arbeitsbereiche erfordern technologische Kompetenzen. Marketingmitarbeiter werden sich in Zukunft mehr denn je mit digitalen Technologien und Daten(analysen) auseinandersetzen müssen. Aspekte rund um das Thema Digitalisierung werden von den Teilnehmern der quantitativen Befragung insgesamt als wichtigste Herausforderungen angesehen. Umso überraschender ist, dass diese He- 62 rausforderungen sich nicht entsprechend in den Anforderungen an zukünftige Marketingmitarbeiter widerspiegeln. Lediglich 23% aller Befragten erwähnten in der offenen Frage nach den Zukunftskompetenzen Aspekte rund um Technologiekompetenz und Digitalisierung: Technologieaffinität, ein Grundverständnis des digitalen Lifestyles, der Umgang mit digitalen Kanälen oder die Fähigkeit zur Analyse großer Datenmengen. Derzeit scheint unklar, wie viel technologische und datenanalytische Kompetenz Marketingmitarbeiter zukünftig brauchen bzw. inwiefern andere Abteilungen oder Dienstleister diese Aufgaben übernehmen. Wer technologische Themen allerdings nicht selbst besetzt, läuft Gefahr, dass andere Abteilungen im Unternehmen die Lufthoheit über diese Themen bekommen. Marketing muss zukünftig deutlich stärker auf Technologien und Analysen fokussieren. Dies erfordert zum einen Mitarbeiter, die technische Anforderungen, Systeme und Gestaltungsspielräume verstehen. Zum anderen werden Mitarbeiter benötigt, die aus Daten auch (neue) Insights, Wissen und Maßnahmen ableiten können. Datenanalysten, Statistiker und Programmierer sind in vielen Marketingorganisationen noch keine wichtigen Akteursgruppen. Derzeit werden diese Kompetenzen entweder vernachlässigt oder über externe Dienstleister hinzugekauft. Marketingverantwortliche sollten alles daransetzen, die technologische Vorherrschaft im Unternehmen zu erlangen und die neuen Möglichkeiten und Chancen, die die Digitalisierung mit sich bringt, nicht den bestehenden Akteuren (CIO/CTO) oder neuen Führungskräften (Chief Digital Officer) überlassen. Als Marketingverantwortlicher muss man nicht alle Tools und Technologien beherrschen, aber über ein breiteres technologisches Grundverständnis verfügen und Mitarbeiter mit marketingtechnologischem Fachwissen einstellen. Allen technischen Möglichkeiten zum Trotz sollten Marketingverantwortliche das Thema Big Data nicht überschätzen. Daten und Algorithmen werden nicht die Lösung aller Probleme sein. Sie bieten keine messbare Wirkung auf Knopfdruck und keine 100%-igen Verlässlichkeiten. Dafür sind die Welt, der Mensch und die Wertschöpfungskette zu komplex. „Durch die Digitalisierung gewinnt das Marketing deutlich an Relevanz. Wir können unsere Kunden heute direkt erreichen, und mit vernetzten Geräten wird auch das Nutzungsverhalten entlang des gesamten Product Lifecycle sichtbar. Das sind wichtige Informationen für Kommunikation und Produktentwicklung.” Jürgen Griebsch, BSH Bosch und Siemens Hausgeräte „Wenn man sich zu sehr auf die Daten verlässt, verliert man den Menschen immer mehr aus dem Blick. Die Vorstellung, dass man durch immer mehr Daten den Kunden besser verstehen kann, ist eine Illusion. Die Entscheidungs- und Handlungswege der immer auch irrational agierenden Kunden wird man auch mit umfangreicher Datenanalyse nicht entschlüsseln. Außerdem sind diese Daten nicht zwangsläufig objektiv, sondern immer offen für Interpretationen. Wer Selbstbestätigung sucht, wird sie finden.” Prof. Dr. Theo Wehner, ETH Zürich 63 „Big Data ist eine Chance, um das Wissen zu verbessern und Consumer Insights zu gewinnen. Aber Kunden versteht man nicht durch reine Datenanalysen, damit kann man keine Emotionalität erfassen.“ Joachim Schütz, OWM „Marketing hat mehr denn je die Chance, die richtige Wertschätzung seitens der Geschäftsführung zu bekommen. Dafür muss es sich emanzipieren und zeigen, dass es mehr als die Gestaltung bunter Bilder ist. Als Marketeer brauchen wir ein besseres Verständnis für Zahlen, Technologien und Menschen.“ Sven Hildebrandt, Marketeer Club Europe Effizienzorientierung und vertriebsorientiertes Arbeiten Die Diskussion um die Messbarkeit von Marketingmaßnahmen wird derzeit intensiv geführt. Das Thema ROMI-Messung und „KPI-isierung“ steht bei vielen Marketingverantwortlichen ganz oben auf der Tagesordnung. Laut einer Studie von forsa und Adobe Systems („Image des Marketings“, 2013) ist die Vertriebsorientierung für viele Marketer wichtiger geworden als die Markenstärkung. Ist der Marketer von morgen noch „brand champion“ oder wird er zu einem datengetriebenen Effizienzoptimierer? Ähnlich wie beim Thema Technologiekompetenz wird auch der steigende Erfolgszwang als eine wichtige Herausforderung angesehen, jedoch spielt die Effizienzorientierung mit Blick auf die Zukunftskompetenzen nur eine untergeordnete Rolle. Lediglich 11% der Befragten geben an, dass Aspekte wie Vertriebsorientierung, Marketing-Controlling oder KPI-Management wichtige Zukunftskompetenzen darstellen. Neue Technologien eröffnen dem Marketing neue Möglichkeiten, die eigenen Prozesse und Arbeitsweisen zu standardisieren und zu verschlanken. Dies ist dringend notwendig, um z.B. der Explosion der Medienkanäle zu begegnen. Erfolge und Return on Investments müssen genauer nachgewiesen werden. Dies erfordert eine Bereitschaft von Marketingverantwortlichen und -mitarbeitern, größeren Wert auf Effizienz und Prozessoptimierung sowie analytisches Denken und Arbeiten zu legen. Diese „kalten“ Kompetenzen brechen vielfach mit dem Selbstverständnis vieler Marketer als Kreative. Um die an sie herangetragenen Erwartungen zu erfüllen, müssen Marketingverantwortliche eine deutlich stärkere Kennzahlenorientierung und größeres betriebswirtschaftliches Wissen mitbringen. Unternehmerisches Denken und ein Effizienzverständnis wird auch für die Mitarbeiter relevanter. Mit Blick auf die stärkere Effizienzorientierung bewegen sich Marketingverantwortliche in einem Spannungsfeld: Wie lassen sich einerseits operative Erfolge nachweisen, und wie bleibt man andererseits der strategisch denkende Akteur im Unternehmen? Wie wird es zukünftig möglich sein, kreativ und jenseits des Messbaren nach vorne zu denken, wenn alles der Erfolgsmessung und Effizienz unterworfen ist? 64 „Nur wer vertriebsorientiert denkt und mit Blick auf ROI-Messung handelt, kann an Bedeutung gewinnen. Die Positionierung des Marketings als Kundenversteher ist 90er-JahreDenken. Heute ist Marketing – leider – kein strategisches Führungskonzept mehr, sondern vielfach nur ein taktisches Maßnahmenbündel für die Unterstützung des Abverkaufs.“ Dr. Uwe Stuhldreier, CosmosDirekt „Man ist als Marketer heute in einer permanenten Defensivhaltung. Das hat auch damit zu tun, dass man nicht mehr die Bedeutung hat wie früher und sich vermehrt rechtfertigen muss für alle Handlungen. Aus diesem Grund scheuen viele, aktiv Innovationen anzuschieben, da diese per se ein höheres Risiko bergen. Beim Scheitern der Innovation wird dieses Scheitern gerne als Fehler ausgelegt und nicht als ein Versuch, etwas Neues zu gestalten.“ Johannes Mauss, Haus Rabenhorst Visionäres Denken: Kreativität neu leben Viele Marketingverantwortliche befürchten im Zuge der Technologie-, Zahlen- und Vertriebsorientierung einen Verlust von Emotionen, Leidenschaft, Kreativität und strategischen Fragestellungen. Diese auf den ersten Blick unterschiedlichen Aspekte müssen jedoch nicht zwangsläufig im Widerspruch stehen. Vielmehr geht es darum, statistischanalytisches Know-how für fundierte Erkenntnisse zu nutzen, neue technologische Möglichkeiten kreativ zu übersetzen und insgesamt wieder näher an Menschen und Märkten zu arbeiten. Zudem sollte Kreativität größer gedacht werden. Mehr als jeder Vierte der für diese Studie Befragten (27%) nennt Aspekte wie Kreativität, visionäres Denken oder Querdenken als wichtige Zukunftskompetenzen. Dabei ist Kreativität nicht nur auf innovative und mutige Werbung reduziert. Kreatives Denken bedeutet auch, neue Impulse zu setzen und sowohl für die Marketingorganisation als auch für das gesamte Unternehmen vorausschauend zu agieren und Entwicklungsfelder zu identifizieren. Dafür brauchen Marketingmitarbeiter allerdings auch neue Techniken des Creative Business Modellings (z.B. Service Design oder Business Model Generation) oder Routinen der Umfeldbeobachtung wie z.B. Szenario-Planung. Marketingverantwortliche müssen ihr Verständnis von Marke und Kreativität aktualisieren. Sie sind weniger in der Optimierung und Ausgestaltung von Kommunikation gefordert als in der Entwicklung neuer Geschäftsperspektiven und strategischer Möglichkeiten. Es gilt wieder, visionärer zu denken und für sich neu zu bestimmen, wo „vorne“ ist. Es ist nötig, diesen neuen Geschäftsperspektiven und Möglichkeiten intern zu Akzeptanz und Zustimmung zu verhelfen. Zudem müssen auch Mitarbeiter zu vorausschauendem Denken und Experimentieren ermutigt werden. 65 „Wir brauchen wieder Bauch und Seele. Emotionale Werte zu spüren und zu vermitteln ist doch die Uraufgabe des Marketings. Wenn man nur ROI-Experten und zahlenorientierte Werbeingenieure hat, dann gerät die Marke aus dem Blickfeld. Diese Entwicklung ist sehr „deutsch”.” Ulrich Klenke, Deutsche Bahn „Wer von neuen Emotionen und Leidenschaft für die Marke spricht, hat eine sozialromantische Vorstellung vom Marketing. Das ist nicht falsch, aber das ist nicht mehr das, was Marketingmitarbeiter in Zukunft auszeichnen wird. Im Vordergrund steht die handfeste Expertise.” Dr. Rainer Hillebrand, Otto Group „Früher war man im Marketing viel mutiger und hat auf kreative Ideen gesetzt. Aber heute findet man kaum noch diese „schrägen Vögel” in der Branche. Alles ist stromlinienförmig geworden, es gibt keinen Spielraum für Visionäre und Querdenker. Alles wird gemessen und getestet und dann nüchtern umgesetzt.“ Dr. Uwe Stuhldreier, CosmosDirekt Mutig sein und Haltung zeigen Viele Marketingverantwortliche befinden sich gegenwärtig in einer Defensivhaltung. Sie stehen unter permanentem Rechtfertigungsdruck. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Eigenschaften wie Geradlinigkeit, Überzeugungskraft, Durchsetzungsstärke oder Widerstandsfähigkeit wichtiger werden. Für fast jeden fünften Teilnehmer der quantitativen Befragung (18%) wird diese klare Haltung zukünftig zu einer wichtigen Eigenschaft. Für immerhin die Hälfte dieser Personen – also insgesamt für fast jeden zehnten Befragungsteilnehmer – spielt Mut dabei eine wichtige Rolle. Das heißt, es geht nicht nur darum, Anforderungen und Erwartungen zu erfüllen. Vielmehr geht es auch um die Fähigkeit, vorhandene Erwartungen zu unterbrechen und neue Erwartungen zu setzen: Mut, neue Wege zu gehen und Neues auszuprobieren. Mut, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen. Mut, Risiken einzugehen. Mut, auch jenseits des Messbaren zu agieren und sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Mut bedeutet Abweichung. Man muss ihn immer dann beweisen, wenn die Freiheitsgrade klein und die Gestaltungsspielräume eng sind. Es ist der Versuch, strukturelle oder prozessuale Defizite individuell auszugleichen. Je mehr Freiräume es gibt, um Dinge auszuprobieren, und je mehr das „Regeln-Brechen“ zu einem Teil der Organisationskultur wird, umso weniger Mut muss man aufbringen, um neue Wege zu gehen. Marketingverantwortliche sollten offensiver und weniger angstgetrieben agieren. Sie benötigen selbst Klarheit, um auch anderen Klarheit vermitteln zu können. Sie müssen von ihrer Aufgabe begeistert sein und andere begeistern können. Sie sollten stärker für ihre Vision und ihre Zielvorstellung im Unternehmen streiten und kämpfen. Wer Ambition auf eine strategische Führungsrolle hat, muss zum Manager des „Corporate Why“ werden und formulieren, 66 wofür das Unternehmen abseits der reinen Gewinnerzielungsabsicht existiert. Das setzt voraus, dass man den Wertbeitrag, den das Marketing leistet, intern präzise vermittelt. Positiver Nebeneffekt: Eine klare Haltung zu haben, steigert das Ansehen. Aber für so eine klare Haltung braucht es auch die Rückendeckung der Unternehmensspitze und ein klares Mandat für die Marketingorganisation. Beweglich bleiben, das Neue umarmen und aus Fehlern lernen Wissen und Technologien haben eine immer kürzere Halbwertzeit und werden spezialisierter. Innovations- und Produktlebenszyklen werden kurzfristiger, während die Komplexität steigt. Für Marketer wird es daher wichtiger, sich schnell in veränderte Umfeldbedingungen einzuarbeiten sowie Unsicherheiten und Unwägbarkeiten stärker zu berücksichtigen. Flexibel, schnell und entschlossen zu handeln und sich anzupassen, ohne in vorschnellen Aktionismus und Opportunismus zu verfallen, ist eine wichtige Fähigkeit für zukünftige Mitarbeiter. Neben agilen Prozessen und Strukturen ist Beweglichkeit im Kopf und Denken gefragt. Es erfordert die Fähigkeit zur Selbstkritik und die Bereitschaft, etablierte Prozesse, Denkweisen und Fähigkeiten kontinuierlich zu hinterfragen. „Drop your tools, or you will die“, schrieb der US-amerikanische Organisationsforscher Karl E. Weick. Er versuchte zu verstehen, warum bei einem Waldbrand mehrere Feuerwehrleute ums Leben kamen. Trotz expliziter Aufforderung ihrer Vorgesetzten warfen die Männer ihre schweren Werkzeuge nicht weg, um sich schneller in Sicherheit zu bringen. Für dieses Vorgehen hatte Weick folgende Erklärung: Sie konnten nicht anders. Denn warum sollten sie genau auf das verzichten, was ihnen bisher immer das Überleben sicherte? Dieses Beispiel zeigt: Es fällt uns schwer, unsere vertrauten „Werkzeuge” über Bord zu werfen, selbst wenn sie sich als unwirksam und hinderlich erweisen. Wer sich immer nur darauf verlässt, was ihm bisher den Erfolg sicherte, kann durch unvorhergesehene Ereignisse allzu leicht negativ überrascht werden. Wer sich hinterfragt, Neues adaptiert, auf Vorrat denkt und flexibel bleibt, der erhöht die Widerstandsfähigkeit und ist auf Veränderungen und Störimpulse besser vorbereitet. Vor allem im Umgang mit veränderten Medien- und Marktbedingungen heißt dies auch, Unwissen und Unsicherheiten offenzulegen, statt diese mit Meinungen und profundem Halbwissen zu überspielen. Wer kurzfristiger reagieren muss, neue Wege geht und experimentiert, macht zwangsläufig Fehler. Entsprechend braucht es eine neue Fehlertoleranz, oder wie es ein Teilnehmer der quantitativen Befragung formulierte, die „Lust an schönen Fehlern“. In vielen Organisationen gibt es aber keine Kultur des „Failing Forward“, des „Sich-voran-Irrens.“ Vielmehr regieren Angst und übertriebenes Sicherheitsbedürfnis, Risiken werden um jeden Preis vermieden. Und wenn etwas schiefläuft, beginnt nicht selten das große „Blame Game“. Um eine neue Fehlerkultur zu etablieren, ist es wichtig zu lernen. Ganz praktisch funktioniert dies z.B. über Retrospektiven. Das Reflektieren nach einem Projekt oder einer Kampagne hilft, Fehler zukünftig zu vermeiden und besser zu werden. Die Grundfrage ist: Machen wir das Richtige, und wenn ja: Machen wir es richtig? 67 Marketingverantwortliche müssen zwar von dem überzeugt sein, was sie machen. Aber Überzeugung ist nicht mit Dogmatismus zu verwechseln. Um anderen die Möglichkeit zu geben, Dinge auszuprobieren und die produktive Kraft von Fehlern einzugestehen, braucht es ein kleines Ego und eine starke Persönlichkeit. Beweglichkeit im Denken und Handeln ist der Schlüssel, um die Unsicherheit, die sich aus dem kontinuierlichen gesellschaftlichen Wandel ergibt, in einen Vorteil für die Organisation zu verwandeln. Wer die Fähigkeit zur Selbstreflexion und gleichzeitig eine klare Vorstellung davon hat, wohin die Reise der Abteilung und des Gesamtunternehmens geht, kann Verantwortung übernehmen und Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter fördern. „Häufig fehlen noch der Mut und die Vision. Veränderung bedeutet, die eigene Komfortzone zu verlassen, zu experimentieren und Fehler zu machen. Wenn der Vorstand einem diese Freiheit aber nicht gibt, sondern nur in Risikominimierungen denkt, dann kann man weder eine Veränderung erwarten noch eine antreiben.“ Stephan Grabmeier, Innovation Evangelists „Vielfach ist die Kultur in Organisationen noch auf Risikovermeidung ausgelegt. Es gibt keinen Raum zum Experimentieren, auch weil die Angst vor Fehlern so groß ist. Hier braucht es eine neue Fehlerkultur und die Erlaubnis, Dinge ergebnisoffen auszuprobieren zu können.“ Tanja Schäfer, Axel Springer Kontinuität und Verlässlichkeit ins Unternehmen bringen Bei aller Offenheit und Bereitschaft, neue Wege zu gehen: Kontinuität und Verlässlichkeit sind gerade in Zeiten des Wandels oft vergessene Aspekte. Diese beziehen sich nicht nur auf Beständigkeit in Markenaufbau und -pflege, um im Markt Orientierung zu bieten. Es geht auch um Identifikation und Kommunikation der täglich gelebten Werte des Unternehmens. Gerade für Mitarbeiter, die stark eigenverantwortlich arbeiten und sich schnell verändernde Umfelder beobachten müssen, sind klare Werte und Haltungen wichtige Leitplanken. Sie bieten Verlässlichkeit für das Handeln auf unsicherem Terrain, sie rahmen die Offenheit für Neues und das Experimentieren. Es ist oftmals leichter, immer wieder etwas Neues auszuprobieren, als für eine Sache zu stehen und zu kämpfen. Gerade diese Kontinuität nach innen fällt immer schwerer. Nicht nur, weil das gesamte Unternehmenshandeln stärker auf kurzfristige Erfolge ausgelegt ist und operative Hektik und Ungeduld das Tagesgeschäft bestimmen. Ein wesentlicher Grund ist auch die Unbeständigkeit auf Seiten des Personals. Die Verweildauer in Führungspositionen sinkt, von den Führungskräften werden schnelle Erfolge erwartet, und sie selbst sind daran interessiert, ihren Fußabdruck zu hinterlassen. Das geht zu Lasten der langfristigen, strategischen Perspektive und fördert ein Handeln, das sich an kurzfristigen Maßnahmen orientiert. Auf der anderen Seite wechseln auch junge Arbeitnehmer häufiger den Job, das macht den Aufbau und die Weitergabe von Erfahrungswissen schwer. Vor diesem Hintergrund klingt die Forderung nach mehr Gelassenheit und Geduld, nach einer neuen 68 Kultur der Langsamkeit in Zeiten zunehmender Hektik, nahezu realitätsfern. Allerdings ist es genau diese Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, die Mitarbeiter zukünftig mitbringen müssen: die Fähigkeit, auch mal das Tempo rauszunehmen, neue Maßnahmen und Ideen zu hinterfragen, anstatt kurzfristig den Hypes hinterherzulaufen. Insbesondere Marketingverantwortliche sind hier in der Pflicht, einerseits den Wandel zu kuratieren, andererseits für Orientierung und Verlässlichkeit zu sorgen – nicht nur mit Blick auf den Außenauftritt von Marken, sondern vor allem nach innen, in die eigene Abteilung und die Vernetzung mit anderen Abteilungen. Voraussetzung ist eine klare Position und Vision in der Gesamtorganisation: Es reicht nicht zu erkennen, dass sich die Welt verändert, man muss auch vermitteln können, welche Rolle die Marketingorganisation in dieser Veränderung spielt. „Die kürzere Halbwertszeit von Informationen führt zu beschleunigten Veränderungsprozessen. Und dieser Veränderungsdruck erhöht wiederum die Unsicherheit. Das lähmt dann stellenweise, weil man nicht weiß, was als Nächstes kommt.“ Joachim Schütz, OWM „Marketing sollte von kurzfristigen Entwicklungen unabhängig sein. Denn Marketing hat immer auch die Aufgabe, für Stabilität in unsicheren Zeiten zu sorgen.“ Per Ledermann, Edding Höhere Erwartungen an Mitarbeiter – Neue Ansprüche von Mitarbeitern In der Marketingorganisation der Zukunft werden viele Kompetenzen der Mitarbeiter neu definiert. Aber sie muss auch den sich verändernden Ansprüchen heutiger und potenzieller Mitarbeiter gerecht werden, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Gut ausgebildete Arbeitnehmer mit den gesuchten Kompetenzen sind zukünftig in einer starken Verhandlungsposition. Sie wissen, dass sie jederzeit problemlos woanders einen besseren Job bekommen könnten. Sie werden sich nur bedingt in die heutigen Strukturen und Prozesse einfügen. Wenn die Balance zwischen eigenen Ansprüchen und der Erwartungshaltung ihrer Vorgesetzten nicht stimmt, werden sie sich über kurz oder lang anderweitig nach Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und sinnhaften Tätigkeiten umschauen. Neben diesen wenigen Top-Talenten auf der einen Seite des Kontinuums gibt es auch Mitarbeiter, die innerlich bereits gekündigt haben und Dienst nach Vorschrift machen. Diese Mitarbeiter bedrohen durch ihr Verhalten die Innovationsfähigkeit von Unternehmen. Das Marktforschungsunternehmen Gallup berichtet in seinem „Engagement Index“ davon, dass schon heute jeder vierte Mitarbeiter in Deutschland keine emotionale Bindung an seinen Arbeitgeber mehr hat, weitere 61% haben nur eine geringe Bindung. Unternehmen mit hoch engagierten Mitarbeitern sind dagegen deutlich erfolgreicher. Laut Harvard Business Manager (12/2013) verzeichnen diese Unternehmen – im Vergleich zu Unternehmen mit desinteressierter Belegschaft – ein 400% höheres Umsatzwachstum und eine um 89% höhere Kundenzufriedenheit. Vor diesem Hintergrund gilt es, Talententwicklung neu zu denken. Diesen engagierten Mitarbeitern 69 neue Gestaltungsspielräume zu geben, anstatt ihr Verhalten mit Kontrollen, Anweisungen und Vorgaben zu maßregeln, ist die Hauptmotivation vieler Führungskräfte und Unternehmer, sich mit neuen Strukturen und Prozessen zu beschäftigen. Marketingverantwortliche, die eine Führungsrolle im Unternehmen anstreben, sind mehr denn je auf engagierte Mitarbeiter und die richtigen Kompetenzen angewiesen. Sie müssen müde Mitarbeiter wieder neu anregen und mit Begeisterung erfüllen, oder die Zusammenarbeit beenden, auch wenn dies teuer und konfliktbeladen sein sollte. Hierbei können Career-Broadening-Maßnahmen (z.B. regelmäßige Job-Rotationen) helfen. Andererseits sind Führungskräfte auch gefordert, neue Talente und Personen mit neuen Kompetenzen einzustellen. Diesen Personen müssen sie andere Gestaltungsspielräume und Entwicklungsmöglichkeiten bieten und sie weniger restriktiv führen. Zudem gilt es zu verhindern, dass im Zuge von PersonalabbauMaßnahmen nicht diese Talente zuerst wieder gehen müssen. Die Zusammenarbeit mit der Personalabteilung hat mehr denn je eine strategische Relevanz für Marketingverantwortliche. Mehr Mut, bitte Michael Jacobs, Bereichsleiter Marketing und Kommunikation, Görtz „Das Grundproblem vieler Unternehmen ist, dass die großen Herausforderungen, allen voran die Digitalisierung, nur mit dem Marktblick gesehen werden. Aber wenn man nach außen was macht und das nicht nach innen lebt, wird man scheitern. Man muss diese Herausforderungen ganzheitlich sehen, das gilt für alle Abteilungen: Wie kann ich glaubwürdig bei Facebook auftreten, wenn mir die private Internetnutzung am Arbeitsplatz untersagt wird? Wie werde ich für Talente attraktiv, wenn der Inhalt des Unternehmens nicht der schönen Hülle entspricht?“ Stephan Grabmeier, Innovation Evangelists Zukünftige Kompetenzen von Marketingmitarbeitern 48 Marketing-Know-how: fundiertes Basiswissen und spezielles Fachwissen 41 Vernetzungskompetenz: ganzheitlich, integrativ, bereichsübergreifend Das Neue umarmen: offen, neugierig, lernbereit 28 Inspirierender Querdenker: kreativ, visionär, innovativ 27 Soziale Kompetenz: Teamfähigkeit, Empathie, Achtsamkeit 24 Kunden- und Marktwissen: Konsumenten, Märkte, Wettbewerber verstehen 24 Analytisch-strategische Kompetenz: komplexes Denken, strukturiert arbeiten 23 Technologiekompetenz: Technologieaffinität, Datenverständnis, IT-Wissen 23 Beweglichkeit: agil, anpassungsfähig und bereit zur Selbstkritik 19 Klare Haltung: Überzeugungskraft, Durchsetzungsstärke und Mut 18 Sonstige persönliche Eigenschaften: (z.B. belastbar, engagiert, multilingual …) 70 Ein Reset ist notwendig: mutig, radikal, kreativ. Der Kunde entwickelt sich dank umfassender Informationen, mobiler Konsumzugänge und satter Wohlstandsreserven zum agilen und kompetenten Marktakteur – und fühlt sich zunehmend von etablierten Versorgungsorganisationen nicht verstanden. Mit Recht. Denn ist der Kunde längst im 3. Jahrtausend angekommen und in der Lage, sein Konsumverlangen potent und lustvoll zu orchestrieren, da verharren die Marketingprofis in den Organisationen in den Verteilungsdiskursen der Vergangenheit: Marketing mit oder ohne Unternehmenskommunikation, Marketing mit, gegen oder ohne Vertrieb – Autismus pur! Also: Wir Marketingchefs sind aufgefordert, das Mandat unserer Kunden anzunehmen und unsere Organisation auf Augenhöhe deren Agilität zu trimmen. Das wird nur jenseits gelebter Organisationsformen, hierarchischer Riten und betonierter Budgets gehen. Flachste Hierarchien, dezentrale, flexible Teams, kontinuierliches Zero-base-budgeting sind Ansätze, die das Marketing von morgen mobilisieren können. Kunden ernst nehmen, bedeutet Organisationsformen zu entwickeln, die ganz nah dran eine kontinuierliche, inspirierende Durchlässigkeit zwischen Kunde und Organisation managen und Freiräume schaffen für die wertschöpfende Innovationskraft und dynamische Grundkultur der Organisation. 15 Führungsqualitäten: motivierend, begeisternd, gestaltend 11 Effizienzorientierung: vertriebsorientiert, kostenbewusst, lösungsorientiert 11 Basis: n=664; Zusammenfassung der offenen Nennungen, Mehrfachnennungen möglich, daher Summe > 100 71 Selbstreflexion „Neue Kompetenzen“ Welche neuen Kompetenzen müssen Sie als Marketingverantwortliche(r) zukünftig beherrschen und was tun Sie, um sich diese neuen Kompetenzen anzueignen? Erste Schritte Ja, die Marketingorganisation wird relevanter werden. Aber sie muss es auch schaffen, sich neu aufzustellen. Davon sind die Befragten überzeugt. Aber wie kann sich diese Neuausrichtung vollziehen? Welche Hürden und Barrieren gilt es zu überwinden? Und wer soll den Wandel maßgeblich vorantreiben? Auffällig ist, wie groß die gegenwärtige Orientierungslosigkeit ist und wie unklar die zugeschriebenen Verantwortlichkeiten für eine Neugestaltung der Marketingabteilung sind. Damit die Marketingorganisation der Zukunft aus der Taufe gehoben werden kann, braucht es daher mutige Helden und engagierte Vorreiter. Unklarheit über zukünftige Aufstellung … Welche neuen Kompetenzen beherrscht Ihre Marketingorganisation nicht ausreichend? Inwiefern gibt es Mitarbeiter, die sich diese Kompetenzen aneignen wollen? Inwiefern können neue Mitarbeiter mit entsprechender Kompetenz eingestellt werden? Inwiefern können Sie diese Kompetenzen über Dienstleister (kurzfristig) abdecken? Wie strategisch wichtig sind diese Kompetenzen, sodass Sie diese nicht auslagern wollen? Wie gehen Sie mit denjenigen um, deren Kompetenzen Sie zukünftig nicht mehr benötigen? Aktuell wird heiß diskutiert, wie Marketing morgen organisiert sein wird. Dabei herrscht große Unklarheit darüber, wie gut die Marketingorganisation schon heute für die Zukunft aufgestellt ist und welche Änderungen nötig wären. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die keinen Veränderungsbedarf sehen. Nur knapp jeder Vierte (23% der 582 befragten Mitarbeiter in Unternehmen) glaubt, dass Marketingabteilungen in ihrer jetzigen Form gut aufgestellt sind. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die einen aktuellen Handlungsbedarf sehen (77%). Aber auch hier herrscht Unklarheit über das Ausmaß der nötigen Änderungen. 48% der 582 Befragten glauben, dass man schon mit kleinen Korrekturen viel bewirken könne. Knapp jeder Dritte (29%) glaubt, dass Marketing- und Kommunikationsabteilungen sich grundlegend neu aufstellen müssen. Bei den Befragungsteilnehmern, die einen Außenblick auf die Marketing- und Kommunikationsabteilungen haben, fällt dieses Bild noch dramatischer aus. 67% der insgesamt 228 Externen und Agenturen glauben, dass die Abteilung sich grundlegend neu aufstellen müsse. … bei gleichzeitig hohem Geltungsanspruch Weitgehende Einigkeit besteht dagegen darin, dass die Marketing- und Kommunikationsabteilung zukünftig an unternehmensinterner Relevanz gewinnen wird (60%) bzw. die gleiche Relevanz haben wird wie heute (33%). Nur 7% der befragten Mitarbeiter in Unternehmen rechnen mit einem Relevanzverlust. Bei Agenturen/Externen sind dies 10%. Aber wie kann eine Marketingorganisation an Relevanz gewinnen, wenn man heute glaubt, nicht gut für die Zukunft aufgestellt zu sein? Um im Unternehmen relevanter zu werden oder relevant zu bleiben, muss die Marketingorganisation sich erneuern. Aber warum scheitert diese Veränderung heute? Es fehlt an Zeit und veränderungswilligen Mitarbeitern Jeder zweite Befragte (51%) gibt an, dass im Tagesgeschäft keine Zeit bleibe, sich mit Veränderungen zu beschäftigen. Dies heißt im Umkehrschluss jedoch auch, dass der Leidensdruck noch nicht hoch genug ist und man lieber weitermacht wie bisher, statt 72 73 den Neuanfang in Angriff zu nehmen. 48% sehen in widerstrebenden Mitarbeitern eine Veränderungsbarriere. Möglicherweise haben viele Abteilungen und Mitarbeiter bereits einige Umstrukturierungen hinter sich und sind müde, vielleicht ist es auch „nur“ die Angst vor dem Ungewissen. Es fehlt an Mut und Vertrauen Der CMO (Marketingleiter), der im Rahmen seines Verantwortungsbereichs neue Strukturen und Prozesse etabliert. Keiner von denen, sondern jemand anderer 11 23 14 8 12 13 Basis: n=810, single choice Die Befragten, die „keiner von denen” gewählt haben, haben in der teiloffenen Antwort überwiegend keinen neuen Akteur genannt, sondern darauf verwiesen, dass Veränderung nur im Zusammenspiel aller Akteure gesehen werden kann. 50 55 Neue Helden gesucht 46 Widerstrebende Mitarbeiter: Mitarbeiter halten an Vertrautem fest, anstatt das Neue mitzugestalten. 52 39 Konsenslähmung: Veränderungen sind oft weichgespült und beschränkt auf „den kleinsten gemeinsamen Nenner”. 54 Fehlender Mut in der Führungsetage: keine Bereitschaft in der Führungsebene, die Abteilung neu auszurichten. 36 Zu groß denken: Veränderung wird „zu groß” gedacht, im Detail geplant und abgestimmt. Den ersten Schritt zu gehen fällt schwer. 37 57 42 Veränderungsrichtung unklar: Angesichts der Vielzahl an Herausforderungen unklar, wie eine Neuausrichtung aussehen soll. 32 45 33 Kein Budget: Für Veränderungsprozesse fehlt das Geld. 37 Folgen nicht abschätzbar: unklar, was ich mir durch eine Veränderung einhandele, ob das Neue erfolgreicher ist als das Alte. 74 19 10 Dienstleister wie z.B. Agenturen, die neue Methoden und Prozesse ins Unternehmen tragen und damit für ein neues Handeln sorgen. Agenturen/Externe (n=228) Keine Zeit: Arbeiten am Rande der Auslastung. Im Tagesgeschäft keine Zeit, sich mit Veränderungen zu beschäftigen. Agenturen/Externe (n=228) 20 22 Langjährige und erfahrene Mitarbeiter, die die Kraft haben, neue Denkmuster und Handlungsweisen intern durchzusetzen. Unternehmen (n=582) Veränderungsbarrieren Unternehmen (n=582) 24 24 Neue Mitarbeiter/junge Talente, die die traditionellen Strukturen und Arbeitsweisen aufbrechen. Der CEO, der eine klare Richtung für das Unternehmen vorgibt und die Veränderung bestimmt. Die Dienstleister und die Externen schätzen sämtliche Barrieren deutlich höher ein. Auffällig ist, dass unter ihnen der fehlende Mut in der Führungsetage am höchsten rangiert (57%). Mangelnder Aufbruch und die zukunftsfähige Gestaltung der Marketingorganisation liegen also nicht nur an fehlender Zeit oder widerstrebenden Mitarbeitern, sondern auch an fehlender Courage seitens der Verantwortlichen. Zugleich zeigen die Einschätzungen, wie zerrüttet das Verhältnis vieler Agenturen und ihrer Marketingabteilungen ist: Zum einen halten die Dienstleister die Marketingverantwortlichen für mutlos, konsensorientiert und unklar in ihrer Ausrichtung. Zum anderen ist nur jeder Zehnte der befragten Mitarbeiter in Unternehmen (11%) der Ansicht, dass Dienstleister wie z.B. Agenturen zur Veränderung der Marketingorganisation beitragen können. Kein Anlass für Veränderung: Wir sind gut aufgestellt. Es gibt überhaupt keinen Anlass für eine Neuausrichtung. Akteure der Veränderung 20 35 17 26 Basis: n=810, Top-2-Box auf 5er-Skala „stimme voll und ganz zu/stimme zu” Befragte in Agenturen bzw. Externe wurden hier gebeten, die Situation in Unternehmen als Außenstehende einzuschätzen. Die Unsicherheit und die Orientierungslosigkeit über die Marketingorganisation der Zukunft setzen sich auf der Akteursebene fort. Es gibt keine Einigung, wer die notwendige Neugestaltung initiieren und das Heft des Handelns in die Hand nehmen soll. Es gibt nicht die eine Gruppe, der die Verantwortung für Veränderung zugeschrieben wird. Wenn überhaupt, kann man sich auf neue Mitarbeiter und junge Talente als Agenten des Wandelns einigen (24%). Bemerkenswert ist die schwache Rolle der Marketingleitung über alle Befragungsgruppen hinweg. Wäre es nicht ihre Aufgabe, die eigene Abteilung zukunftsfähig zu machen? Nur 14% der Befragten in Unternehmen sehen im CMO (Chief Marketing Officer) den Akteur für Veränderung. Schaut man sich die Teilstichprobe der befragten Geschäftsführer an, sehen nur 9% den CMO in dieser Rolle. Aber auch die Selbstwahrnehmung der befragten Abteilungsleiter mit Marketingverantwortung fällt nicht deutlich positiver aus: Lediglich 22% der Marketingabteilungsleiter und damit noch nicht einmal jeder Vierte hält den CMO für den zentralen Change Agent. In der Konsequenz bedeutet dieses Orientierungsvakuum, dass die anstehenden Neugestaltungen individualisiert werden. Es hängt an herausragenden Einzelpersonen, egal ob dies junge Talente, erfahrene Mitarbeiter, der CEO selbst oder auch der CMO sind. Gesucht werden Helden, die es für einen richten. 75 Aufbruch in sieben Schritten Insgesamt sind diese Zahlen ein Beleg für die derzeitige Orientierungslosigkeit und Machtlosigkeit. Aber wie bekommen Marketingverantwortliche wieder mehr Gestaltungsmacht und können damit die unternehmensinterne Relevanz ihrer Organisation erhöhen? Die folgenden sieben Schritte sollen den Aufbruch erleichtern. 1. Freiräume schaffen. Der Alltag lässt schon heute kaum Zeit und Kraft für Neues. Wie soll angesichts dieser hohen Auslastung vorgedacht und experimentiert werden? Marketingverantwortliche mit Gestaltungsambitionen sind daher in der Pflicht, sich Freiräume zu erkämpfen, z.B. indem sie überflüssig gewordenen Ballast über Bord werfen, Aufgaben intern delegieren oder extern auslagern, Prozesse standardisieren oder automatisieren und Zeitfresser wie Meetings und internen E-Mail-Verkehr minimieren, „Welche Aufgaben oder Aktivitäten können Sie standardisieren, reduzieren, eliminieren oder auslagern, um zusätzliche Zeit und Ressourcen zu gewinnen?“ 2. Mutig das eigene Wunschbild schärfen. Was derzeit auf breiter Basis fehlt, sind klare Vorstellungen, wie die eigene Marketingabteilung zukünftig aussieht, was ihre Aufgaben sind und wie sie diese erfüllen soll. Hierfür gibt es kein Patentrezept. Der erste Schritt für Marketingverantwortliche liegt darin, mutig ihr eigenes Wunschbild einer zukünftigen Marketingabteilung zu entwickeln. Denn nur, wenn man weiß, was man will, kann man die Zukunft aktiv gestalten. Wer kein explizites Zukunftsbild entwickelt, agiert implizit mit einem mentalen Marketing-Modell der Vergangenheit. „Angenommen Sie bekommen die Gelegenheit, in einem Unternehmen das Marketing komplett neu aufzusetzen und auszurichten. Wie würde Ihre Marketingorganisation aussehen?“ 3. Wunsch und Wirklichkeit überprüfen. Die Vision einer zukünftigen Marketingabteilung muss sich mit der Logik des Unternehmens in Einklang bringen lassen. Gibt es hier große Brüche, so wird es sehr schwer, die neue Marketingorganisation Wirklichkeit werden zu lassen. Marketingverantwortliche können entweder ihre Vision adaptieren oder ihre eigenen Gestaltungsansprüche aufgeben. „Nach welcher Logik funktioniert Ihr Unternehmen? Ist Ihr Wunschbild dazu kompatibel?“ 76 4. Versteckte Ressourcen ausfindig machen. Neues entsteht jenseits des Etablierten. Es beinhaltet viele Möglichkeiten, aber auch Gefahren. Marketingverantwortliche brauchen für ihr Vorhaben neue Unterstützer. Diese können aus allen relevanten Bereichen des Marketings oder aus anderen Abteilungen kommen. Häufig sind es gerade nicht die Führungskräfte, sondern die Ebenen darunter. Diese lassen sich am ehesten über gute Fragen und aufmerksames Zuhören gewinnen. Denn es gilt Vertrauen aufzubauen und herauszufinden, in welchen Bereichen diese Mitarbeiter ausgeprägte Selbstmotivation und Ambitionen haben. Diese Gespräche haben einen informellen Charakter und werden vorrangig beim Mittagessen oder in der Kaffeeküche stattfinden. Marketingverantwortliche können sich zudem interne Netzwerkeffekte zu Nutze machen, indem sie ihre Gesprächspartner fragen, mit wem man für die Neuausrichtung der Marketingorganisation noch sprechen sollte. „Wer hat Interesse, sich einzubringen?“ 5. Erste Erfolge vorweisen. Damit das Neue in die Welt kommt, braucht es regelmäßige Erfolge. An dieser Stelle gilt: Wer handelt, kann Kompetenz zeigen, Vertrauen aufbauen und Kritiker umgehen. Marketingverantwortliche sollten ihre Vision kleindenken, in pragmatische Schritte übersetzen und Prototypen starten. Die Verbesserung von Prozessen und die Erweiterung von Kompetenzen sind hier die zentralen Betätigungsfelder. Die ersten Experimente werden sicherlich noch unter dem allgemeinen Radar laufen. Wer Erfolg hat, kann beginnen, darüber zu reden und ein Mandat für größere Veränderungen zu erlangen. „Welche Projekte eignen sich, damit Sie schnell ins Handeln kommen und das Neue ausprobieren?“ 6. Die Lizenz zum Wandel. Marketingverantwortliche, die ihre Organisation grundsätzlich erneuern wollen, brauchen dafür einen Auftrag oder Rückendeckung seitens der Geschäftsführung. Denn größere Struktur- und Prozessanpassungen liegen in der Regel außerhalb des Gestaltungsbereichs der Marketingverantwortlichen. Die Situationen, in denen sie ein Mandat für Gestaltung bekommen können, sind jedoch rar und beschränken sich klassischerweise auf folgende: ÏNeuer CEO: Jeder neue Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzende will eine eigene Duftmarke hinterlassen und beginnt damit umgehend. Wer vorbereitet ist, kann diesen Moment für sich nutzen und mitgestalten. ÏNeuer CMO: Ein neuer Marketingleiter kann Zuständigkeiten, Aufgabenbereiche, Zielvorgaben oder KPIs neu verhandeln. Nicht selten werden dann auch abteilungsintern die Karten neu gemischt. ÏUnternehmens- oder Sinnkrise: Alle sind sich einig, dass es so nicht weitergehen kann. Nach der Krise ist vor der Restrukturierung. ÏExtremwachstum: Ob durch Zusammenschlüsse, Zukäufe oder eigenes Wachstum - wer schnell stark wächst, bekommt Wachstumsschmerzen und muss sich anders organisieren. „Wann ist der richtige Moment, um ein Mandat für die eigenen Gestaltungsideen zu lancieren?“ 7. Das neue Bild prägen. Sind die ersten Erfolge gefeiert und der Stein ins Rollen gebracht, geht es darum, das Verständnis auf eine breitere Basis zu stellen. Dafür braucht es Verbündete (intern wie extern) und Anlässe, das neue Bild vorzustellen und zu prägen. Sicherlich wird es auch Gegner geben. Ihre Argumente, Sichtweisen und Machtressourcen zu kennen, ist eine Pflichtaufgabe. „Wie können wir mehr werden und die neue Marketing-Mission etablieren?“ 77 Vier Szenarien für die Marketingorganisation 2020 Je instabiler die Gegenwart ist und je unsicherer die Zukunft wird, umso mehr sehnen wir uns nach Verlässlichkeit und Vorhersagbarkeit. Deswegen sind Zukunftsprognosen beliebter denn je, auch wenn sie oft daneben liegen. Auch die Marketingorganisation der Zukunft lässt sich nicht vorhersagen, es gibt nicht die eine Zukunft. Sie ist immer vom Handeln vieler Akteure abhängig, von neuen Konstellationen, Situationen und nicht vorhersehbaren Ereignissen. Gerade in einer von Unsicherheit geprägten Umwelt macht es Sinn, sich auf mehrere Entwicklungspfade einzustellen: lieber ungefähr richtig liegen als genau falsch. Ein solcher Prozess ist aufwändig und erfordert die Bereitschaft, sich auf einen offenen Diskurs über zukünftige Entwicklungen einzulassen. Der Ausblick auf die Marketingorganisation 2020 erfolgt in Form von unterschiedlichen, plausiblen Zukünften und wird anhand von vier fiktiven Erfahrungsberichten illustriert. Die vorgestellten Szenarien sind idealtypisch, keines davon wird je in seiner Reinform eintreten, keines davon beschreibt die Aufgaben der Marketingorganisation vollumfänglich. Aber alle sind herausfordernd und zeigen relevante Entwicklungsrichtungen auf. Das Ziel ist nicht, Wahrheiten zu präsentieren, sondern eine Diskussion in Gang zu setzen über Strukturen, Arbeitsweisen und Kompetenzen der Marketingorganisation von morgen – und des Unternehmens, dessen Teil sie sind. Marketingverantwortliche können diese (fiktiven) Ausblicke nutzen, um sich inspirieren zu lassen, um Schwachstellen zu erkennen, Maßnahmen zu ergreifen und sich bereits heute auf zukünftige Entwicklungen vorzubereiten. 78 Angelehnt an die großen Herausforderungen wurden vier Szenarien entwickelt. Das Szenario „Neustart“ beleuchtet neue Formen der Zusammenarbeit im Kontext eines Strukturwandels der Gesamtorganisation, von der die Marketingabteilung letztlich nur ein Teilsystem ist. Das Szenario „Koordinierung“ widmet sich der Frage, wie eine Marketingorganisation dezentral und netzwerkartig im Unternehmen aufgestellt werden kann, jenseits klassischer Abteilungsstrukturen. Das Szenario „Wachablösung“ geht der Frage nach, welche Rolle die Marketingorganisation hat, wenn sich neue interne Akteure (wie zum Beispiel der Chief Digital Officer) quer zu klassischen Funktionsbereichen etablieren und die Lufthoheit über die digitale Transformationen übernehmen. Das Szenario „Nachweisbarkeit“ beschreibt die Dominanz der Vertriebsorientierung und die Fokussierung auf operative Aufgaben unter den Bedingungen von Messbarkeit und Abverkaufsdruck. 79 „Neustart: Unternehmen ohne Abteilungen“ „Koordinierung: Überall und nirgends“ Das Unternehmen stellt sich nach holakratischen Prinzipien grundlegend neu auf und gibt sich ein neues, organisationales Betriebssystem. Statt exklusiver Abteilungen gibt es dynamische Arbeitskreise. Statt in Effizienz und Kosten wird in Potenzialen und Wertbeiträgen gedacht. Dieser Wandel geht nicht von der Marketingorganisation aus, betrifft sie aber genauso wie andere Abteilungen. Marketing wird nicht mehr als Abteilung organisiert. Eine kleine Stabsstelle kümmert sich um die strategische Arbeit und koordiniert die Vielzahl der Marketingbotschafter, die dezentral in den einzelnen Fachbereichen arbeiten. Die Marketingabteilung verliert an Größe und gewinnt an Relevanz, indem eine Marketingdenkweise als Grundhaltung in die Gesamtorganisation getragen wird. Grundhaltung: Sinnhaftigkeit – die Marketingorganisation als selbstorganisierte Unternehmenseinheit Hintergrund: Neue Arbeitswelten und Arbeitskulturen; Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber; Fachkräftemangel und gestiegene Ansprüche der Mitarbeiter; Suche nach Sinnhaftigkeit, Eigenverantwortung und Freiheit Attribute: eigenverantwortlich, ganzheitlich, dynamisch, werteorientiert Struktur: evolvierende Strukturen („responsive organizations“); Spielregeln statt starrer Vorgaben; Abschaffung funktionaler Silos; Arbeitskreise statt Abteilungen; dynamische und lose gekoppelte Teams statt Bürokratie und Linienorganisation; distribuierte Autorität; keine singulären Kennzahlen/KPIs Prozesse: hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit; agiles Arbeiten, iteratives Lernen, transparente und nachvollziehbare Prozesse; Selbstorganisation und Autonomie („self-managed teams“) Kompetenzen: eigenverantwortliche Mitarbeiter mit Blick für das Ganze; Lernbereitschaft und Weiterentwicklung; Vertrauen und Empathie; Führungsarbeit statt Führungskräfte; Enabling statt Kontrolle („non-dominant leadership“) Problematik: Handlungslähmung durch konfligierende Kreise und Interessen; keine Eskalation auf höhere Hierarchieebene möglich Wie schafft man ein Arbeitsumfeld, in dem die Mitarbeiter eigenmotiviert arbeiten? Welche Rolle kann die Marketingabteilung im Rahmen einer Neustrukturierung der Gesamtorganisation übernehmen? Wie muss man Marketingaufgaben in so einem Arbeitssystem neu definieren? 80 Grundhaltung: Diffusion der Denkweise – die Marketingorganisation als unternehmensinternes Netzwerk Hintergrund: zunehmende Fragmentierung und Ausdifferenzierung von Funktionen; Silodenken; fehlendes Gesamtverständnis; erschwerte Koordination und sinkende Steuerungsfähigkeit von Organisationen Attribute: abteilungsübergreifend, integrativ, netzwerkartig, koordinierend Struktur: dezentrale Organisation der operativen Marketingarbeit in den einzelnen Fachbereichen und an allen relevanten Kundenkontaktpunkten; zentrale Stabsstelle mit strategischen Aufgaben Prozesse: ausgeprägte Gremien- und Abstimmungsarbeit; abteilungsübergreifende Synchronisation von Prozessen, Arbeitsweisen und Tools Kompetenzen: integrative und ganzheitliche Denkweise; Moderations- und Vermittlungskompetenz; „Pi-shaped-people“; durchsetzungsstarke Persönlichkeiten; Führungskräfte als Vernetzer statt Feldherren Problematik: Synchronisation und Integration unterschiedlicher Prozesse und Sichtweisen; unzureichende Durchsetzungsstärke der Marketingbotschafter in den einzelnen Fachbereichen Wie kann man alle Abteilungen, in denen Marketing gemacht wird, einbinden? Welche Marketingaufgaben liegen nicht im Verantwortungsbereich der Marketingabteilung – und wie kann man einen stärkeren Einfluss auf diese Aufgaben bekommen? „Wachablösung: Sich verändern oder verändert werden“ Die Marketingorganisation, die es schafft, die digitalen Transformationen des Unternehmens voranzutreiben, gewinnt an Relevanz und übernimmt zentrale Funktionen im Unternehmen. Die Marketingorganisation wird damit zum Innovationstreiber für die Gesamtorganisation, kümmert sich um neue Geschäftsmodelle und hat Einfluss auf die Unternehmensstrategie. Grundhaltung: Transformation und Innovation– die Marketingorganisation als Beschleuniger Hintergrund: Explosion der (digitalen) Kanäle; umfassendere Daten; höhere Geschwindigkeiten; kürzere Innovationszyklen von Technologien und Produkten Attribute: technologiegetrieben, strategisch, visionär, wachstumsorientiert Struktur: Integration von Themen und Verantwortungsbereichen, die quer zu heutigen Funktionsbereichen/Abteilungen liegen Prozesse: Automatisierung von Prozessen und Abläufen; Knotenpunkt für den (digitalen) Wandel des Unternehmens; Freiräume für Veränderung und für innovatives/strategisches Arbeiten Kompetenzen: Mut und Kreativität; Offenheit und Eigenverantwortlichkeit; Agilität und Beweglichkeit; Fehlertoleranz und Selbstkritik; Growth Hacker und Creative Technologists („Pi-shapedpeople“) Problematik: Dynamik und Veränderungsbeschleunigung im Kontext einer (trägen) Gesamtorganisation; Übersehen von Risiken durch zu starken Fokus auf Möglichkeiten Wie können Marketingverantwortliche den Wandel so gestalten, dass man nicht durch andere Akteure (wie z.B. den CDO) überholt wird? Wie kann die Marketingorganisation die Führungsrolle bei den (digitalen) Transformationen des Unternehmens bekommen? „Nachweisbarkeit: Nur die Zahlen zählen“ Sales-Marketing gewinnt an Bedeutung. Strategische Fragestellungen und weiche, nicht messbare Aspekte des Marketings verlieren an Relevanz oder wandern in andere Abteilungen. Die Marketingorganisation agiert operativ und fokussiert auf Vertriebsunterstützung. Effizienzprogramme und KPI-Berechnungen bestimmen Budgetallokationen und Maßnahmenpläne. Grundhaltung: Effizienz – die Marketingorganisation als Verkaufsoptimierer Hintergrund: Ökonomische Unsicherheit und steigende Komplexität; verschärfter Wettbewerb; steigender Erfolgszwang und höherer Verkaufsdruck; stagnierendes Wachstum Attribute: zahlenorientiert, technologiegetrieben, produktbezogen, kurzfristig Struktur: starke Orientierung am Vertrieb; klassische Marketingaufgaben wie Markenführung, Innovation oder Strategie finden nur noch „bei Bedarf“ statt; höherer Leistungsdruck durch Zurechenbarkeit von Erfolgen Prozesse: Umsetzungsorientierung; Fokus auf kurzfristigen Erfolgen; Ausrichtung am MikroKundenverhalten; Automatisierung von Prozessen und Abläufen; Messbarkeitsfokus; Orientierung an KPI-Systemen; Effizienzinnovationen Kompetenzen: betriebswirtschaftliche Orientierung; Effizienzdenken; Data-Scientists, MarketingController, Statistiker und Analysten, Ingenieure statt Philosophen Problematik: Erfolgsnachweise als Chance für Gewinn an interner Akzeptanz und Relevanz; Gefahr, in die Rolle des internen Service-Dienstleisters ohne strategische Relevanz gedrängt zu werden Welchen Stellenwert hat die Marketingorganisation im Rahmen der Effizienzorientierung und „KPIisierung“? Wie kann man einerseits die Anforderungen der Erfolgsmessung erfüllen und gleichzeitig die Bedeutung von strategischer, nicht-messbarer Arbeit herausstellen? 81 Szenario „Neustart: Unternehmen ohne Abteilungen“ Das Unternehmen stellt sich nach holakratischen Prinzipien grundlegend neu auf und gibt sich ein neues, organisationales Betriebssystem. Statt exklusiver Abteilungen gibt es dynamische Arbeitskreise. Statt in Effizienz und Kosten wird in Potenzialen und Wertbeiträgen gedacht. Dieser Wandel geht nicht von der Marketingorganisation aus, betrifft sie aber genauso wie andere Abteilungen. Mein Name ist Elisa Wichert. Ich bin Inhaberin eines Unternehmens, das Komponenten für die Automobilindustrie und andere Mobilitätsdienstleister liefert. Ich weiß gar nicht mehr genau, wann mir die Idee gekommen ist, das muss so 2016 gewesen sein, also vier, fünf Jahre ist das mindestens schon her. Frau Zärbel, unsere Personalleitung, hat mir damals berichtet, dass es immer schwieriger wird, geeignete Fachkräfte zu finden. Ganz einfach weil wir als Arbeitgeber immer unattraktiver wurden oder weil die jungen Leute eine andere Anspruchshaltung mitbringen. Wahrscheinlich beides. Parallel hatte unser VP Marketing, Herr Braun, den Vorschlag gemacht, seine Abteilung kundenzentrierter aufzustellen und alle Prozesse an der Steigerung des „Client Well-Being“ auszurichten. Er hat mir damals eine spannende Studie vorgelegt, aus der klar hervorging, dass es sehr viele Unternehmen gibt, die vor gleichen Herausforderungen stehen wie wir. Ich weiß noch, dass ich zu dieser Zeit „Delivering Happiness“ gelesen habe, das Buch von Tony Hsieh, Gründer des Modehandels Zappos. „Customer Service isn‘t just a department“ ist einer der Sätze, die mir im Kopf geblieben sind. Sie sehen, da kam einiges zusammen. Man hätte also wieder mal die Unternehmensberater durchs Haus jagen und zu viel Geld in irgendwelche Effizienzinnovationen und Benchmarkings stecken können, aber mir war klar, dass das nichts bringen würde, dass es unsere Probleme nur hinauszögern, aber nicht lösen würde. Sie glauben nicht, wie viele Restrukturierungen ich schon mitgemacht habe. Irgendwann kommen Sie zu einem Punkt, da wird Ihnen klar: Das bringt alles nichts. Das ist alles nur kurzfristiger Zeitgewinn. Und wenn neue Strukturen oder Prozesse eingeführt sind, können Sie eigentlich wieder von vorne anfangen, weil die Umfeldbedingungen sich schon wieder verändert haben. Da fühlt man sich ein bisschen wie ein Fensterputzer in einem großen Bürogebäude. Man kommt gar nicht mehr hinterher. In der Zeit, in der Sie eine Strategiepräsentation in Powerpoint zaubern, haben andere schon ein Produkt entwickelt oder eine neue Firma gegründet. Die machen einfach. Wie will man da mithalten? Menschen, Medien und Märkte verändern sich deutlich schneller als die Unternehmensorganisationen. Wie will man sich auf etwas vorbereiten, auf das man sich nicht vorbereiten kann? Bestimmt nicht mit andauernden Restrukturierungen, mit denen Sie versuchen, mit Antworten aus dem 20. Jahrhundert den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Da habe ich mir gesagt: Elisa, es muss was passieren. Aber 82 richtig, nicht wieder so eine Schmerztablette, die nur die Symptome betäubt. Also habe ich mich mit Frau Zärbel und Herrn Braun zusammengesetzt und wir haben gesprochen, nächtelang. Uns war klar, dass wir wieder Unruhe ins Unternehmen bringen würden, wir würden neue Unsicherheiten schüren. Wir haben sehr radikal gedacht, aber als wir recherchierten, welche Unternehmen bereits so aufgestellt sind, wie wir das planten, waren wir erstaunt, wie viele es schon gab, die in irgendeiner Weise nach holakratischen Prinzipien organisiert waren. Holakratie, das war damals ein Fremdwort für mich. Im Grunde geht es um die Verteilung von Autorität. Statt Führungskräfte gibt es Führungsarbeit, und die kann jeder übernehmen. Das Unternehmen wird von gleichrangigen Mitarbeitern geführt, eigenmotiviert und selbstverantwortlich, mit größtmöglichen Freiheitsgraden ausgestattet. Wir haben im Dreierteam damals sehr intensiv und konstruktiv diskutiert. Um sich für einen solchen Ansatz zu öffnen, müssen Sie erst mal alles, was Sie über Führung und Management gelernt haben, über Bord werfen und sich neu öffnen. Dafür haben wir uns auch einen externen Begleiter geholt, alleine war uns das viel zu riskant. Schließlich ging es auch darum, sich von eigenen Komfortzonen und Interessen zu verabschieden. Was man wissen muss: Holakratie ist weder Top-Down- noch Bottom-Up-Management. Es ist beides. Und wenn man bedenkt, vor welchen Problemen wir damals standen, dann hatten wir alle, Frau Zärbel, Herr Braun und ich, den Eindruck, dass es ein Modell ist, das für uns passen könnte. Niemand hat gesagt, dass es leicht werden würde. Aber es war richtig. Nur das zählt, und das haben uns die anderen Leute, die wir sukzessive mit in die Planung genommen haben, auch bestätigt. Wenn ich mir die ersten drei Jahre nach der Umstrukturierung anschaue, dann war da relativ viel Sand im Getriebe, vieles lief wenig effizient, wir waren stellenweise mehr mit uns selbst beschäftigt als mit unseren Kunden. Und wenn man ehrlich ist, haben wir die Transitionsphase immer noch nicht abgeschlossen. Meine größte Sorge war und ist immer noch, dass wir in dieser Übergangszeit Fehler machen, die uns die Existenz kosten. Dieser Wunsch von Herrn Braun damals, die Marketingabteilung am Kundenwohlbefinden und der Customer Experience auszurichten, war ja grundsätzlich richtig, allerdings haben wir schnell herausgefunden, dass es aus zwei Gründen nicht ausreichen würde: Erstens, wir hätten immer noch Abteilungen gehabt, strukturell hätte sich also kaum etwas verbessert. Im Gegenteil: Was machen Sie denn mit den anderen Abteilungen, wenn sich nur die Marketingabteilung ändert? So eine Neuausrichtung kann nur im Rahmen des Gesamtunternehmens vollzogen werden. Zweitens hätten wir wieder nur auf den Markt und die Außenseite des Unternehmens geschaut und nicht nach innen. Natürlich ist es wichtig, seine Kunden zu begeistern, schließlich zahlen die unsere Gehälter. Aber denken Sie mal einen Schritt weiter. Wer ist denn dafür verantwortlich, die Kunden zu begeistern? Das sind Ihre Mitarbeiter – und zwar nicht nur die, die Sie 83 haben, sondern auch die, die Sie gerne hätten. Unsere Ausgangsthese war, dass wir das Mitarbeiterwohlbefinden in den Fokus stellen müssen. Wenn die Mitarbeiter begeistert sind, dann ist es doch nur die logische Konsequenz, dass auch die Kunden begeistert sind. Dann färbt das Innen auf das Außen ab. Die Frage war also: Wie schaffen wir ein Arbeitsumfeld, das die Mitarbeiter begeistert? Da landen Sie ganz schnell bei Antworten wie Selbstbestimmung, Eigenmotivation und Sinnhaftigkeit der Arbeit. Traditionelle Organisationsformen stecken Menschen in Schubladen, Funktionen, Arbeitsbereiche. Und einzelne Gruppen werden dann zu Silos zusammengefasst. Kommunikation und Austausch, Weiterentwicklung und vor allem Zufriedenheit bleiben dabei gerne mal auf der Strecke. In so einem Umfeld bekommen Sie keine Motivation hin. Und wie wollen Sie in so einem Umfeld „kundenzentriert“ agieren? Sie können nun auch nicht einfach hingehen und sagen: So, liebe Leute, wir ändern jetzt die Unternehmenskultur. Man kann die Unternehmenskultur nicht direkt ändern, aber man kann Strukturen und Prozesse ändern und darüber eine Kulturveränderung erreichen. Genauso wenig kann man Mitarbeiter fremdmotivieren, die Menschen müssen sich selbst motivieren. Also haben wir die Frage umformuliert: Wie können wir ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem die Menschen sich selbst motivieren? Und dabei spreche ich nicht von einer hübschen Lounge-Ecke auf dem Flur, wöchentlichem Umsonst-Sushi für alle oder einer kostenlosen Mitgliedschaft im Fitnessclub. Das sind vielleicht Anreize, um kurzfristig die Produktivität zu erhöhen, aber für die Motivation ist das relativ unwichtig. Da müssen Sie schon größer denken. Wir haben also im ersten Schritt die Menschen aus den klassischen Strukturen befreit. Wir haben nach und nach die Strukturelemente entfernt, die Freiheit und Eigenverantwortlichkeit behindern, und haben neue Elemente eingezogen, die genau das fördern. Hört sich groß an? Ist es nicht unbedingt. Wir haben beispielsweise Dienstwagen und eigene Parkplätze für Führungskräfte abgeschafft. Wir haben die repräsentativen Büros verlassen und uns im Haus verteilt, sind mit in die Basis gegangen. Wir haben Abteilungsstrukturen aufgelöst, denn wenn Sie im Gebäude auf jedem Flur eine eigene Abteilung sitzen haben, dann ist es doch logisch, dass da kaum Austausch stattfindet. Manche Unternehmen sind dabei sogar so weit gegangen, alle Positionstitel abzuschaffen, die haben gar kein Org-Chart mehr. Der Gedanke ist, Führungskräfte im Sinne einer dauerhaften Vollzeitposition abzuschaffen, die einzelnen Teams bestimmen selbst, wer in welchem Kontext die Führungsarbeit übernimmt. Wichtig ist nur, dass verantwortungsvoll entschieden wird – im Sinne der eigenen Person, des Teams, der Firma und der Kunden. Als wir das den Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen vorgestellt haben, gab es viel Zustimmung, aber auch viel Skepsis. Was ja auch völlig verständlich war. Mir ging es damals genauso. Das war ein Experiment, keine Frage. Aber manchmal ist der Leidensdruck größer als das Sicherheitsbedürfnis, da muss man einfach mal etwas wagen. Ist es nicht das, was einen Unternehmer im Kern auszeichnet? Herr Braun hat damals bei 84 der Vorstellung des neuen Modells einen Satz gesagt, den ich sehr bemerkenswert fand: „Wenn diese Umstellung klappt, dann wird das die letzte Umstrukturierung sein, die wir alle in dieser Firma mitmachen, denn ab dann wird das Prinzip Veränderung so in unseren Alltag übergehen, dass wir davon gar nichts mehr mitbekommen.“ Warum dieses Experiment – trotz aller Probleme – bislang erfolgreich war, lässt sich nur verstehen, wenn man den Menschen nicht als Humanressource begreift, sondern als ein selbstbestimmtes, lernendes und nach Sinn suchendes Wesen. Ich will nicht übertreiben, aber eigentlich ist das ein Paradigmenwechsel, weg von der Kostenseite und der Ressourcenausnutzung hin zum Wertbeitrag und zur Potenzialentfaltung. Klassisches Management schafft zwar Gefolgschaft, und wenn Sie Glück haben, wird die Arbeit auch erledigt, aber das ist noch lange kein Garant für engagierte und motivierte Mitarbeiter. Sie müssen den Leuten die Freiheit geben, eigenverantwortlich zu entscheiden und nicht nur Befehle auszuführen. Wir sagen unseren Angestellten nicht, was sie tun müssen, sondern fördern die Bereitschaft, selbst Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Dafür muss man natürlich loslassen können. Das fiel besonders uns als Führungskräften anfangs gar nicht so leicht. Man muss den Mitarbeitern auch erst mal klarmachen, dass sie komplett frei entscheiden dürfen, was das Beste in ihrem Sinne, im Sinne der Kunden und im Sinne der Firma ist. Vor allem Frau Zärbel hat damals vermutet, dass das dazu führe, dass alle nur auf sich achten und die Belange der Firma hinten überfallen. Das ist nicht so gewesen, und das war eigentlich die größte Überraschung dabei. Es klappt wirklich. Jeder weiß, dass der eigene Erfolg vom Erfolg der anderen abhängt. Das hat weniger mit sozialer Kontrolle zu tun als mit einem verantwortungsvollen Blick fürs Ganze. Ich war damals sehr erstaunt darüber, dass die Leute den Freiraum wirklich aktiv gefüllt haben, um Entwicklungen zu gestalten und Dinge zu verbessern. Ein paar Beispiele: Mitarbeiter werden in alle Entscheidungen einbezogen, die sie betreffen. Urlaub gewährt nicht der Vorgesetzte, sondern das Team selbst, denn schließlich muss das die Mehrarbeit während der Abwesenheit des Kollegen erledigen. Gerade überlegen wir auch, wie Mitarbeiter ihre Gehälter selbst festlegen können. Es gibt keine festen Abteilungsbudgets, weil es ja auch keine Abteilungen mehr gibt, sondern selbstständig agierende Arbeitskreise. Es ist doch so: Wenn die Mitarbeiter frei entscheiden können, was sie machen und wofür sie Geld brauchen, dann haben sie auch keine Ausrede mehr, hinterher zu sagen „Ich hätte es besser machen können, wenn Sie mir nur erlaubt hätten, dass …“ Alleine so eine Maßnahme trägt enorm dazu bei, dass die Leute verantwortungsbewusst und im Sinne der Firma mit Budgets umgehen. Aber gerade weil es keine kleinteiligen Kennzahlen und Budgets gibt, ist es umso wichtiger, dass wirklich alle Mitarbeiter volle Transparenz haben und wissen, wie viel ihr Kreis und andere dem Unternehmen kosten und welchen Wertbeitrag sie leisten. Man kann nur im Sinne der Gesamtverantwortung handeln, wenn man weiß, wo man gerade steht und welches Risiko man eingeht. 85 Wir haben gemerkt, wie sehr starre Strukturen und enge Reglementierungen uns behindern. Eigentlich brauchen Sie nur ein paar Spielregeln. Sie kennen den Kategorischen Imperativ von Kant? Den kann man wunderbar auf Unternehmen übertragen: Behandeln Sie Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer genau so, wie Sie selbst gerne behandelt werden würden. Im Grunde bedeutet das nichts anderes als Respekt, Anstand und Fairness. Normalerweise leere Floskeln, die sich jedes Unternehmen in seinen Leitbildern oder Kernwerten auf die Fahnen schreibt. Wir haben aber festgestellt, dass man diese Werte nur leben kann, wenn wir uns als Unternehmen komplett neu aufstellen. Anders funktioniert das nicht. Natürlich werden diejenigen sanktioniert, die gegen diese Spielregeln verstoßen. Autoritäre Personen mit großem Ego haben bei uns keine Zukunft. Da sind wir knallhart, aber das erwarten die Leute auch, dass es Hüter der Kultur gibt. Das ist der Job der Geschäftsführung: die Kultur zu bewachen, in der die einzelnen Teams eigenständig agieren. Unsere Mitarbeiter haben in einer eigenen Arbeitsgruppe Spielregeln entwickelt, die unsere Arbeit nach innen und außen steuern sollen. Darin sind beispielsweise auch die Freiheitsgrade jedes einzelnen Mitarbeiters beschrieben oder dass man immer auch einen eigenen Lösungsvorschlag parat haben sollte, bevor man jemand anderen um Rat fragt. Oder ein Satz wie: „Ein verantwortlicher Mitarbeiter ist derjenige, der nicht darauf wartet, dass ihm gesagt wird, was er tun soll.“ Diese Verschlankung der Strukturen und Prozesse hat uns insgesamt schneller und wendiger gemacht. Herr Braun hatte Recht mit seinem Satz: Wir merken die Veränderungen gar nicht mehr, weil wir sie täglich in unsere Arbeitsweise integrieren. Je freier die Menschen agieren, umso mehr setzt das natürlich voraus, dass wirklich jedem klar ist, welche Werte, Vision und Strategie wir hier verfolgen. Wenn das nicht klar ist, kommen Sie auch mit Spielregeln nicht weiter. Es ist ein Leichtes, eine Vision aufzustellen, aber die viel härtere Arbeit ist es, diese Vision so mit den Mitarbeitern zu teilen, dass diese sie nicht nur kennen, sondern sich auch emotional aneignen. Sie glauben gar nicht, wie wenig Mitarbeiter früher bei uns wussten, wofür das Unternehmen abseits der reinen Gewinnerzielungsabsicht existiert. Kennen Sie das Buch „Start with Why?“ von Simon Sinek? Das ist zwar schon zehn Jahre alt, aber es ist immer noch aktuell. Die meisten Unternehmen können die Fragen, was sie machen und wie sie es machen, relativ leicht beantworten. Aber bei der Frage nach dem „Warum“ stehen fast alle auf dem Schlauch. Gerade wenn Sie für neue Mitarbeiter attraktiv werden wollen, ist das essenziell. Und damit meine ich nicht nur die teflonbeschichteten Business-Kens und -Barbies, die brav das Hochschulwissen ins Unternehmen tragen. Mit Geld alleine können Sie keine fähigen Fachkräfte an sich binden. Erfüllung, Sinn und die Möglichkeit, mitgestalten zu können, das sind Aspekte, die Sie mit Geld nicht kaufen können. Organisationen wollen Profit maximieren, aber die Menschen in ihnen wollen vor allem Sinn maximieren. Fragen Sie sich mal, was Ihre Mitarbeiter dazu bringt, morgens auch dann zur Arbeit zu kommen, wenn sie am Vortag zehn Millionen im Lotto gewonnen haben. 86 Können Sie darauf eine Antwort geben? Natürlich haben wir uns die Frage gestellt, ob wir die Leute damit nicht überfordern, ob einige Mitarbeiter nicht nur bereit, sondern auch fähig sind, so eigenverantwortlich zu arbeiten. Wir haben viel Geld in Schulungen und Seminare gesteckt, zur fachlichen, aber vor allem auch zur persönlichen Weiterbildung. Im ersten halben Jahr haben knapp fünf Prozent das Unternehmen verlassen. Die anderen haben die neue Arbeitsweise akzeptiert. Und wir haben Mitarbeiter gewonnen, für die wir vorher als Arbeitgeber wahrscheinlich nicht attraktiv gewesen wären. Wir glauben, dass jeder ein Talent für etwas hat, jeder hat Stärken und Interessen. Wir haben die Leute also gefragt, ob sich die Mitarbeiter da, wo sie eingesetzt werden, auch gut aufgehoben fühlen, oder ob sie lieber in einem anderen Bereich arbeiten würden. Da gab es dann einige Wechsel und wir haben den Leuten Trainings finanziert und sie durch interne Mentoren begleitet, damit sie neue Fähigkeiten aufbauen können. Die Menschen haben einen ganz anderen Drive, Dinge zu lernen, wenn es sie persönlich weiterbringt. Die Leute können zwar je nach Interesse in verschiedenen Kreisen Mitglied sein, aber jeder muss auch einen prioritären Kreis haben. Und man sollte diesen festen Kreis nicht beliebig oft wechseln, denn sonst kriegen sie ja überhaupt keine Kontinuität hin und sind nicht mehr arbeitsfähig. Aber so eine Kreishüpfermentalität gibt es bei uns nicht, die Leute wissen schon sehr gut, wo sie am besten sind. Wie gesagt, wir haben keine exklusiven Abteilungen mehr, sondern verschiedene Arbeitskreise, die unabhängig voneinander agieren. Die sind lose gekoppelt, das heißt, Mitarbeiter können in mehreren Arbeitskreisen sitzen. Und einzelne Kreise definieren für bestimmte Aufgaben Rollen und Zuständigkeiten und schicken Vertreter in andere Kreise, wenn es gilt, gemeinsam etwas zu bearbeiten. Das ist wichtig: Man kann nicht einfach eine Entscheidung treffen, die Auswirkungen auf andere Kreise hat. Nehmen wir mal das Beispiel Kundenerlebnisse, das ist ein Marketingthema. Aber wenn wir beispielsweise auditiert werden und da Leute durch die Produktion gehen, muss man da auch ein Kundenerlebnis gestalten. Bei solchen Sachen arbeiten dann die Kreise eng zusammen. Das gilt natürlich auch für die Marketingarbeit. Entsprechend haben wir keine Marketingverantwortlichen im herkömmlichen Sinne mehr. Herr Braun, unser ehemaliger VP Marketing, hat damals sehr viel dazu beigetragen, dass wir uns als gesamtes Unternehmen neu aufgestellt haben. Manchmal bezeichne ich ihn noch als „Manager of the Corporate Why“ – aber wir haben ja formal keine Manager mehr. Sie wissen aber, was ich meine. Wir haben uns anfangs gefragt: Ist das Marketing für uns so wichtig, dass wir da einen eigenen Kreis für benötigen? Oder reicht es, wenn in den anderen Kreisen wie Vertrieb, Produktion oder Personal jeweils eine Person die Verantwortlichkeit für Marketingaufgaben hat. Das ist eine Grundsatzentscheidung, aber wir haben uns damals angesichts der vielfältigen Kundenkontaktpunkte schnell entschieden, einen eigenen Marketingkreis zu etablieren. Das war ja auch das ursprüngliche Anliegen von Herrn Braun: die Kundenerlebnisse zu verbessern. 87 Wissen Sie, eigentlich mag ich den Begriff Marketing nicht, aber das geht mir bei Vertrieb und HR genauso. Letztlich ist ja alles, was wir tun, Marketing. Alles, was wir machen und wie wir es machen – Webseite, Mail-Antworten, Telefonate, Kundenbesuche, Produktentwicklung –, sagt etwas über uns. Dafür brauchen wir keine Hochglanzbroschüren oder Werbeversprechen. Wie wir im Unternehmen miteinander umgehen, ist im Grunde auch Marketing nach draußen. Deswegen legt Herr Braun auch viel Wert auf die Arbeit nach innen. Und das macht er gut, es melden sich immer mehr Leute, die im Marketingkreis mitmachen wollen. Und was die Inhalte angeht, da fragen Sie lieber Herrn Braun, der kann Ihnen am besten erklären, welche Aufgaben im Marketingkreis konkret erledigt werden. Ich habe da durch meine morgendlichen Rundgänge nur einen groben Überblick. Herr Braun ist übrigens nicht nur im Marketingkreis aktiv, er engagiert sich – genau wie ich – auch im Strategiekreis. Dort beschäftigen wir uns mit Fragen zu Innovationen, Stakeholder-CoCreation, Geschäftsfeldentwicklung und Unternehmensstrategie. Im Grunde haben wir ein Unternehmen aufgestellt, das sich um die Menschen herum organisiert, nicht umgekehrt. Es gibt keine Leistungsbereitschaft und keine Produktivität ohne Glück. Und Glück bedeutet, etwas zu tun, das für einen selbst Bedeutung hat. Wir haben mehr Erfolg durch mehr Menschlichkeit. Das hätte ich vor 20 Jahren auch nicht gedacht. Wir haben deutlich weniger Krankheitstage, weniger Fluktuation, eine bessere Kundenbindung und eine traumhaft hohe Weiterempfehlungsrate. Und den Fachkräftemangel spüren wir auch nicht mehr. Es braucht eine lange Zeit des Wandels, und es ist kein leichter Weg, wir sind immer noch mittendrin. Es ist schwer, das alte Denken aus den Köpfen zu bekommen. Das, was wir gemacht haben, mag nicht nur revolutionär klingen, sondern für viele vielleicht auch paradox. Aber ich lade Sie ein, mal die Perspektive zu wechseln. Umarmen Sie das Paradoxe, denn wenn Sie ganzheitlich denken, dann gibt es kein „Entwederoder“, sondern nur ein „Sowohl-als-auch“. Ich weiß nicht mehr wer es war, aber der Satz ist mir noch sehr präsent: „People don‘t resist change, they resist being changed.“ Darum geht es doch: Nicht der Stärkste oder Schnellste wird überleben, sondern der, der sich am besten an die Veränderungen anpassen kann. Und so etwas muss aus einem selbst kommen, das kann man keinem aufzwingen. 88 Szenario „Koordinierung: Marketing ist überall und nirgends“ Marketing wird nicht mehr als Abteilung organisiert. Eine kleine Stabsstelle kümmert sich um die strategische Arbeit und koordiniert die Vielzahl der Marketingbotschafter, die dezentral in den einzelnen Fachbereichen arbeiten. Die Marketingabteilung verliert an Größe und gewinnt an Relevanz, indem eine Marketingdenkweise als Grundhaltung in die Gesamtorganisation getragen wird. Mein Name ist Jonas Spengler. Ich bin Marketingbotschafter in der Designabteilung eines großen Textilunternehmens. Wenn ich das anderen Leuten erzähle, ist die erste Reaktion: „Arbeitest du jetzt im Marketing oder im Design?“ Sowohl als auch, ist dann meine Antwort. Bei uns gibt es nämlich seit zwei Jahren keine eigenständige Marketingabteilung mehr. Frau Dr. Schneider, unser CEO, hat die Abteilung 2018 aufgelöst und in alle anderen Abteilungen entlang der Prozesskette integriert. Alles, was Marketing ist, wird auch von der Marketingorganisation koordiniert. Seitdem sind wir ein Netzwerk im Unternehmen. Das Ziel war es, die Marketingarbeit stärker in die Arbeit der einzelnen Abteilungen zu integrieren und dort die Marketingdenkweise zu stärken. „Marketing ist überall“, sagte Frau Dr. Schneider damals in einer mitreißenden Rede, als sie das Diffusionsmodell offiziell vorstellte. Vielleicht fand ich die Rede auch nur so gut, weil ich selbst Marketer bin. Aber sie hatte Recht, es war nicht mehr zeitgemäß, Marketing als Abteilung zu organisieren. Nur durch diese Neuausrichtung konnten wir dem Anspruch der Unternehmensführung aus Kundensicht wirklich gerecht werden. Heute hat ja fast jede Abteilung im Unternehmen in irgendeiner Weise Kontakt zum Kunden. Schauen Sie sich doch mal die ganzen Kontaktpunkte an. Auf viele davon hat das klassische Marketing doch überhaupt keinen Einfluss mehr. Was macht es da noch für einen Sinn, die Marketingaufgaben in einem isolierten Silo zu organisieren und darauf zu hoffen, dass die Schnittstellen zwischen den Zuständigkeiten und den Verantwortungsbereichen sauber funktionieren? Schnittstellen funktionieren nie sauber. Da findet keine Überlappung statt, keiner trägt die Gesamtverantwortung. Alle denken und handeln nur in der Logik ihres jeweiligen Fachbereichs. Mit der Ausrichtung des Marketings entlang der Touchpoints sind wir viel näher am Kunden. Es ist nur logisch, dass das Marketing da sitzt, wo die Kunden mit dem Unternehmen in Berührung kommen. Unsere Kunden denken doch auch nicht in Zuständigkeiten. Denen ist es herzlich egal, wie wir aufgestellt sind, die wollen einfach nur Antworten und Lösungen – und gute Produkte. „Wenn wir Kundenorientierung ernst nehmen und nicht nur als leere Floskel ansehen, müssen wir uns auch als Organisation ganzheitlicher aufstellen.“ Als Frau Dr. Schneider das sagte, holte sie unseren damaligen Marketingleiter Herrn Volkmer auf das Podium und ernannte ihn vor versammelter Belegschaft zum neuen Marketingkoordinator. 89 Es wird berichtet, dass Herr Volkmer sich damals mit unserem Vertriebsleiter hinter den Kulissen ein kleines Gemetzel geliefert hat. „Wenn das Marketing überall ist, dann ist es auch irgendwie nirgends“, soll der Vertriebsleiter damals zu Volkmer gesagt haben. Er hätte es sicher gerne gesehen, wenn der Fokus stärker in Richtung Sales-Marketing gegangen wäre. Aber wenn die Führungsetage Marketing zur Leitdisziplin erklärt, verspürt der Vertrieb einen Stich im Herzen, deswegen soll er angeblich noch ironisch hinterhergeschoben haben, dass er dem neuen „Chief Coordination Officer“ viel Spaß mit seinem Mini-Team wünsche. Das war eine Anspielung darauf, dass Volkmer als Marketingkoordinator in der Stabsstelle nur noch fünf Leute hatte. Laut Flurfunk hat Volkmer darauf nur knapp geantwortet, dass Teamgröße für Führungskräfte doch schon längst kein Status mehr sei. Und dann soll er den Vertriebsleiter einfach so stehen gelassen haben. Wie auch immer das genau gewesen ist, es ist eine nette Anekdote. In der Theorie ist das Modell des Marketingnetzwerks denkbar einfach. Wenn Sie sich unser Organigramm anschauen, finden Sie keine vertikale Linienstruktur mehr, sondern ein Netzwerkdiagramm. Es gibt in jeder Abteilung mindestens einen Marketingbotschafter. Deren Job ist es, in ihrem jeweiligen Bereich die Kundeninteraktionen zu managen, also Kundenverhalten analysieren und dann entsprechende Maßnahmen initiieren. Über uns Botschaftern gibt es den zentralen Marketingkoordinator, der mit einem kleinen Team direkt unter dem Vorstand angesiedelt ist und die einzelnen Marketingbotschafter im Unternehmen steuert und zusammenbindet. Diese Stabsstelle kümmert sich auch um das Strategische wie Markenführung. Wir Marketingbotschafter nennen Herrn Volkmer gerne auch den „Dompteur“, weil er eine ganze Menge damit zu tun hat, die verschiedenen Botschafter aus den Abteilungen zusammenzuhalten und einen Gesamtüberblick zu behalten. Das ist oft gar nicht so einfach, wenn die meisten Mitarbeiter über das Unternehmen verstreut sind. Am Anfang hat es da ganz schön geruckelt. Wenn die Abstimmungen zwischen uns Botschaftern und auch nach oben mit der Stabsstelle nicht sauber funktionieren, dann landet man schnell im Chaos und jeder macht seins. Für ein Arbeiten im Netzwerk ist so etwas katastrophal. „Schlimmer als ein Sack Flöhe“, hat Volkmer dann immer geschimpft. Bei uns gibt es wöchentliche Treffen zwischen allen, die im Unternehmen verstreut Marketingaufgaben übernehmen, aber die wichtigen Abstimmungen finden eigentlich jenseits dieser Meetings statt, auf dem kurzen Dienstweg quasi. Einige arbeiten enger zusammen, andere nur sporadisch je nach Thema, aber es ist wichtig, dass alle immer einen Überblick haben – und voneinander lernen. Gerade überlegen wir, wie man untereinander eine Job-Rotation hinbekommt. Das wäre die nächste Stufe eines ganzheitlichen Unternehmens- und auch Marketingverständnisses. Gefühlt hat sich unser Abstimmungsaufwand verdoppelt. Wir haben extrem viel Arbeit nach innen: Gremien- und Projektarbeit, Meetings, kontinuierliches Netzwerken. Alles nur, um den Menschen da draußen eine nahtlose Customer Experience zu ermöglichen. 90 Hinzu kommt die Netzwerkkomponente nach außen: Dialog in Konsumentenforen, Social Media, mit Zulieferern, dem Handel, Logistikunternehmen. Die Steuerung wird nun mal komplexer, wenn Kommunikation kleinteiliger wird. Aber mein Eindruck ist trotzdem, dass dieser Abstimmungsaufwand in der alten Struktur auch schon da war, nur versteckt. Jetzt tritt er offen zu Tage, weil er institutionalisiert ist. Zugegeben, das nervt manchmal, aber wenigstens ist es produktiv. Was uns bei der ganzen Arbeit enorm hilft, ist die Plattform, die wir für unsere Koordination nutzen. Zum Glück läuft das jetzt alles rund, das ist auch noch nicht lange so. Die Synchronisierung der technischen Infrastruktur nach der ganzen Umstrukturierung war die Hölle, ganz ehrlich. Jede Abteilung hat zunächst auf unterschiedlichen Anwendungen gearbeitet, die Zugriffsrechte waren beschränkt, die IT konnte oder wollte nicht so, wie es eigentlich am sinnvollsten gewesen wäre. Wie soll man sich da effizient austauschen? Wie soll man da vernünftiges CRM machen? Jetzt macht es jedenfalls Spaß, wir haben ein transparentes System und sofort Zugriff auf alle relevanten Kundeninformationen, egal in welcher Abteilung die eingelaufen sind. Und wir haben Zugriff auf alle laufenden Maßnahmen in jedem Fachbereich. Auch wenn der Vertrieb komplett auf die Barrikaden ging und sich lange geweigert hat, die Daten da einzupflegen. Dieser Kampf um Exklusivwissen war ziemlich lächerlich, aber die hatten halt Angst um ihr größtes Kapital, die Hoheit über ihre Kontakte war für die immer die Existenzberechtigung. Mit dieser Netzwerkorganisation ist das Marketing zu einem Knotenpunkt zwischen außen und innen geworden. Das erfordert ein hohes Maß an Moderations- und Vernetzungskompetenz. Und klar ist auch, dass jeder Marketer, der in einem speziellen Fachbereich arbeitet, die Sprache der einzelnen Abteilung verstehen und sprechen muss. Wenn das nicht so ist, bekommt man keine Verständigung hin. Dann bleibt man ein Marketing-Fremdkörper in einer Nicht-Marketing-Abteilung. Da braucht man schon viel soziale Intelligenz und Empathie, um als „einer der Ihren“ akzeptiert zu werden. Aber nicht nur das. Wenn Sie bei uns Marketingbotschafter werden wollen, müssen Sie nicht nur hervorragende Marketingkenntnisse mitbringen, sondern auch ein perfektes Verständnis und spezielles Wissen über den jeweiligen Fachbereich, in dem Sie eingesetzt werden. Die Anforderungen sind entsprechend hoch. Genau wie die Schwierigkeit, gute neue Leute zu finden. Ich zum Beispiel habe zwei Brillen auf: die Kundenbrille und die Produktentwicklungsbrille. Da helfen mir die vier Semester Bekleidungstechnik und mein Grundstudium in Modedesign. Ich bin zwar später auf Wirtschaftspsychologie umgeschwenkt, aber ich habe immer gewusst, dass diese drei Jahre nicht verschwendet waren. Aber wie gesagt: Fachliche Kompetenz ist nur das eine. Die Rolle des Marketingbotschafters lebt von starken Persönlichkeiten. Schließlich hat man eine Doppelfunktion und muss auch Konflikte aushalten können. Wenn Sie da jemanden sitzen haben, der zurückhaltend und wenig durchsetzungsstark ist, dann kann es wirklich passieren, dass 91 das Marketing verwässert und eigentlich gar nicht stattfindet. Die Botschafter brauchen Rückgrat und müssen auch Gegenwind aushalten. Problemlösefähigkeiten und Mediationskompetenz werden da schnell wichtiger als die Kenntnis von Marktforschungstools. Das ist übrigens auch ein Grund, warum wir verstärkt mit Externen zusammenarbeiten. Wir können nur flexibel bleiben und uns auf die Arbeit nach innen konzentrieren, wenn wir uns nicht mit zu viel operativem Kleinkram aufhalten. Wir haben es dabei nicht immer leicht. Wie sagte einer der damaligen Organisationsentwickler: „Nichts ist schwerer, als es den Menschen einfach zu machen.“ Natürlich läuft es bei uns nicht an jeder Ecke rund, aber das ist ganz normal. Diese schöne, heile Hochglanzwelt gibt es doch nirgendwo wirklich. Das fing schon damit an, dass wir Marketingbotschafter anfangs zwischen den Stühlen saßen. Wenn mein Fachabteilungsleiter ein anderes Ziel verfolgte als mein Marketingkoordinator – was glauben Sie, in welche Loyalitätskonflikte mich das gebracht hat? Der eine ist mein disziplinarischer Vorgesetzter, der andere mein fachlicher. Das konnte doch nicht gut gehen. Und dann diese doppelte Reportinglinie. Das war ziemlich belastend. Herr Volkmer hat dann die Weisungslinie neu geregelt. Jetzt berichten wir nur noch an ihn, dafür hat der jeweilige Fachabteilungsleiter uns nicht mehr auf der Kostenstelle. Das heißt aber auch, dass wir noch mehr Präsenz in der Fachabteilung zeigen müssen, sonst nehmen die uns da nicht wirklich ernst. Apropos Kosten. Das mit der Budgetverantwortung haben wir mittlerweile auch ganz gut hinbekommen. Direkt nach der Umstrukturierung war es noch so, dass jede Abteilung über ihr eigenes Budget frei verfügen konnte. Aber Sie können sich vorstellen, was es da für ein Durcheinander gab. Man kann noch so viel von Gesamtverantwortung sprechen, am Ende ist der eigene Bereich für jeden der wichtigste. Auch wenn der Teamgeist gut ist, gibt es doch in jeder Mannschaft einen Wettbewerb um die besten Plätze. So ist das nun mal. Um dieses Ego-Denken ein wenig abzufedern, hat Herr Volkmer die Budgets wieder zentralisiert und für Maßnahmen, die mehrere Abteilungen betreffen, ein Pitch-System eingeführt. In diesen Pitches geht es nicht darum, den Vorteil für die eigene Abteilung darzulegen, sondern den Mehrwert der Maßnahme gerade für die anderen Abteilungen zu präsentieren. Das ist ein ungemein hilfreicher Perspektivwechsel und mein Gefühl ist, dass das für mehr Austausch und Fairness gesorgt hat. Und wer anhand von konkreten Business Cases Erfolge nachweisen kann, hat eine größere Chance auf neues Budget. arbeitsteilige Organisation von Aufgaben bringen ja auch Vorteile und Synergieeffekte mit sich. Aber der Erfolg gibt uns Recht. Wir haben eine gute Wiederkaufsrate und einen enorm hohen Net Promoter Score. Unser Kundenservice rankt in jeder Untersuchung ganz weit oben. Aber der Weg dahin war hart -und es ist noch längst nicht alles perfekt. Ich stehe noch immer 100% hinter dieser Ausrichtung, vor allem wenn man sich anschaut, wie viele neue Touchpoints durch die Ausweitung der Kanäle entstanden sind, war es komplett richtig, die Organisation den veränderten Realitäten anzupassen und die Marketingorganisation neu zu definieren, indem man sie nicht mehr als Abteilung lebt. Am meisten beeindruckt hat mich eigentlich, dass damals zwar die Marketingorganisation neu strukturiert wurde, dass sich aber eigentlich der Rest des Unternehmens viel mehr geändert hat. Wir haben insgesamt an Relevanz gewonnen, obwohl es keine große Abteilung mehr gibt. Wir haben es geschafft, den „Marketing-Virus“ in die Organisation zu tragen. Herr Volkmer hört das gar nicht gerne, weil er Virus immer mit Krankheit verbindet. Aber ich finde, diese Metapher trifft es ganz gut. Und auch seine große Sorge, dass etablierte Teams gestört werden und sich erst neu finden müssen, hat sich zum Glück nicht bewahrheitet. Klar gab es einige aus dem Marketing, die mit ihrer neuen Rolle nicht so ganz zurechtgekommen sind. Und na klar gibt es Personen in anderen Abteilungen, die die Marketingbotschafter immer noch nicht ganz akzeptiert haben. Und genau das stört mich auch am meisten: dass eine kundenorientierte Denkweise auch nach zwei Jahren noch nicht bei jedem angekommen ist. Herr Volkmer meinte neulich, dass es wohl doch einer anderen Verbindlichkeit bedarf. Er sprach davon, dass die Marketingstrategie den gleichen Stellenwert haben muss wie die Rechtsprechung, „wie die Zehn Gebote“, sagte er. So weit sind wir bei uns noch lange nicht. Leider. Oder zum Glück, denn sonst wäre mein Job ja überflüssig. Sie sehen, die große Hürde bei dem ganzen Vorgehen war eher strukturell. Inhaltlich waren sich alle im Kern schnell einig. Bis auf unseren Vertriebsvorstand, aber auch der hat sich mittlerweile an die neuen Strukturen gewöhnt. Ich möchte nicht wissen, wem da was hinter den Kulissen zugeschoben wurde, aber das ist mir auch egal. Im Rückblick war das ein ganz schön mutiger Schritt. Man verabschiedet sich ja nicht mal eben so von den Modellen, die bislang ganz erfolgreich waren. Die Zentralisierung und die 92 93 Szenario „Wachablösung: Sich verändern oder verändert werden“ Die Marketingorganisation, die es schafft, die digitalen Transformationen des Unternehmens voranzutreiben, gewinnt an Relevanz und übernimmt zentrale Funktionen im Unternehmen. Die Marketingorganisation wird damit zum Innovationstreiber für die Gesamtorganisation, kümmert sich um neue Geschäftsmodelle und hat Einfluss auf die Unternehmensstrategie. Mein Name ist Katrin Scholz. 2015 bin ich als Chief Digital Officer in einem Handelskonzern eingestiegen. Fünf Jahre ist das erst her, es kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit. „Das alte Geschäftsmodell für das digitale Zeitalter aufstellen“, so lautete damals mein Auftrag, und den habe ich anscheinend so gut gemacht, dass ich den Titel vor fast zwei Jahren wieder abgegeben habe. Wenn „digital“ zur Kerndisziplin des Unternehmens geworden ist, dann braucht man keinen eigenständigen CDO mehr. Meine letzte große Tat in dieser Funktion war, diese Abteilung wieder mit dem Marketing zusammenzubringen. Nun bin ich also Marketingleiterin, und seit fünf Monaten bin ich zudem Co-Head Corporate Strategy. Mit der Entscheidung unseres CEOs, für die digitale Transformation des Unternehmens einen eigenen Funktionsbereich zu schaffen, hat er einen Prozess angestoßen, der das gesamte Unternehmen kräftig durcheinandergewirbelt hat. Im Rückblick wird mir immer noch ganz schwindelig. Aber der Reihe nach. Als ich damals ins Unternehmen gekommen bin, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich mal Marketingleiterin werden würde. Nicht etwa, weil es ein zu hohes Ziel gewesen wäre, nein. Die Aufgabe war damals einfach hochgradig unattraktiv. Ich kenne Marketingleiter aus anderen Unternehmen, die haben es geschafft, unter sich einen „Chief Marketing Technologist“ zu etablieren und selber die Hoheit über das Digitale zu behalten. Aber das sind eben solche Marketingleiter, die von sich aus den digitalen Wandel angeschoben haben und damit auch einen großen Einfluss auf die Transformation des Unternehmens hatten. Unser damaliger Marketingleiter gehörte leider nicht dazu. Er war eher Getriebener und ist der technologischen Entwicklung eigentlich immer hinterhergelaufen. Dass ich jetzt das gesamte Marketing verantworte, hat sich Herr Faller im Grunde selbst zuzuschreiben. Er hat die gestiegenen Erwartungen anderer Abteilungen nur unzureichend erfüllt. Er hat keine digitale Strategie geliefert, keine Ziele formuliert, nach innen keine Klarheit gegeben. Was dann dazu führte, dass jede Abteilung ihre eigene Strategie gemacht hat. Und er hat es nicht ausreichend geschafft, Kundenerlebnisse zu optimieren und Geschäftsmodell-Innovationen voranzutreiben. Wenn er das alles geschafft hätte, wäre ich wohl gar nicht erst ins Unternehmen gekommen. Dabei hatte er die besten Karten: Er hatte die Hoheit über die Consumer Insights und hätte die vielfältigen Daten sehr gut nutzen können, um das Unternehmen voranzutreiben und die Führungsrolle für andere Abteilungen zu übernehmen. Als ich dann 2018 seinen Job übernommen habe, war das für ihn natürlich ein Riesenschock. Später, als sich die Wogen etwas geglättet hatten, hat er mir einmal gesagt, dass er die Diskussionen um das Thema CDO absolut unterschätzt hat. Für ihn sei es damals ein Hype-Thema gewesen, ein schicker neuer Bullshit-Bingo-Begriff, ähnlich wie „Collaboration Officer“, „Reputation Officer“ oder „Customer Experience Officer.“ Alter Wein in neuen Schläuchen. Er meinte, dass er die Einrichtung eines CDO in einem sehr technikgetriebenen Unternehmen noch verstanden, aber es nie für möglich gehalten hätte, dass es auch für FMCG oder Handel relevant werden würde. Ein bisschen naiv war das schon, finde ich. Gerade für Unternehmen aus einem technologiefernen Umfeld war das Thema extrem relevant. Aber nach unserem Gespräch wusste ich auch, dass es nicht allein an ihm lag. Er hat damals eine Menge versucht, um die Marketingabteilung digitaler aufzustellen und im Unternehmen besser zu positionieren, aber er ist auf viele Widerstände gestoßen. Manchmal lassen sich Neuerungen innerhalb der bestehenden Strukturen eben nur sehr schwer umsetzen. Oder man schafft es nicht gut genug, die Relevanz für Veränderungen ins Unternehmen zu tragen. Ich habe zum Start ein Riesenbudget für den Aufbau der neuen Abteilung bekommen. Ich hatte freie Hand, ein eigenes Team aufzubauen, und ich hatte die volle Rückendeckung der Geschäftsführung. Da musste ich schon ein bisschen schlucken. Zuerst habe ich dann alle Funktionen, die in verschiedenen Abteilungen angesiedelt waren, unter meine Obhut genommen. Was macht es denn bitte schön für einen Sinn, wenn Social Media in der UK und im Marketing liegt? Bei Search oder Affiliate oder haben sich Vertrieb und Marketing zu sehr um Zuständigkeiten gestritten, als das Thema produktiv voranzubringen. Beim Thema CRM oder Developer Relations war sogar die IT noch mit beteiligt. Können Sie sich vorstellen, was das für ein Durcheinander war? Ich glaube, unser CEO war damals schon überzeugt, dass er diese Streitereien nur auflösen konnte, wenn er eine Abteilung implementiert, die quer zu allen Funktionsbereichen liegt. Ganz einfach weil das Thema Digitalisierung alle Funktionsbereiche betrifft. Nach und nach wanderten also Verantwortungsbereiche aus fast allen Abteilungen zu mir und Herrn Fallers Abteilung war am stärksten betroffen. Als wir dann das Geschäft auf gesunde, digitale Füße gestellt hatten, als ich meine Mission sozusagen erfüllt hatte, wurde ich vom CDO zum CMO und habe die verbliebenen Bereiche von Herrn Fallers Abteilung noch mit verantwortet. Das war nie so geplant, das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben, vor allem, weil es in den Jahren eine Vielzahl disruptiver Innovationen gab, die einige der etablierten Unternehmen einfach so vom Markt weggefegt hatten. Herr Faller war in diesem Übergang eigentlich sehr kooperativ. Das hat mich überrascht und das rechne ich ihm hoch an, denn er hatte allen Grund, mir Steine in den Weg zu legen. Unser CIO war da schon widerspenstiger. Als der gemerkt hat, dass er die Hoheit über die IT-Systeme zu verlieren drohte, war Schluss mit lustig. Ich glaube, Herr Faller hat sich auch auf meine Seite geschlagen, weil er unserem IT-Leiter eins auswischen Als ich dann 2018 seinen Job übernommen habe, war das für ihn natürlich ein Riesen- 94 95 wollte. Die hatten sich schon damals ständig in der Wolle, wenn es um Budgets für die technische Infrastruktur ging. Es muss zwischen den beiden ewige Diskussionen über Zuständigkeiten und Prioritäten gegeben haben. Da ging es dann irgendwann mehr um persönliche Befindlichkeiten als um die Sache. Diese Mikropolitik muss die Hölle gewesen sein. Der eine informiert den anderen nicht, der andere kauft lieber extern ein, anstatt nach internen Lösungen zu suchen. Furchtbar. Da kann ich den Chef schon verstehen, dass er durch das Installieren eines CDO diese Konflikte beseitigen wollte. Letztlich gibt es andere Konflikte. „Today‘s solutions give birth to tomorrow‘s problems“, sagt mein Mann immer so treffend. einen halben Tag in der Woche an eigenen Ideen zu arbeiten. Als wir die 10%-Regel eingeführt haben, haben viele der Älteren nur gelacht und gefragt, woher sie diese Zeit denn nehmen sollen? Natürlich sind wir auch Effizienz-getrieben, und für all die Aufgaben, die wir erledigen, reicht die Zeit vorne und hinten nicht. Aber wir haben das CRM-System vereinheitlicht, und wir haben einen guten Überblick über alle digital erfassbaren Kundenkontaktpunkte. Damit haben wir genug Daten, um einige Prozesse und Abläufe zu automatisieren. Unser Predictive Behavioral Targeting funktioniert schon ganz gut. Die Algorithmen nehmen uns eine Menge Arbeit ab. Das schafft uns die Freiräume und die Zeit, um andere Projekte und Ideen voranzutreiben. Unser IT-Leiter ist ein Alphatier, und er konnte es nicht verkraften, dass das Marketing damals fast mehr Budget für IT hatte als die IT selbst. Herr Faller hat es aber eben nicht so gut geschafft, mit diesem Geld das Business auf digital umzustellen, er hat es mehr für singuläre digitale Kampagnen ausgegeben. Und heute? Unser IT-Leiter hat den Kampf verloren. Was nicht unbedingt heißt, dass er mich jetzt unterstützt. Er kümmert sich um die technische Infrastruktur, Geräte, Netzwerke, Sicherheit, Cloud Services oder technische Schnittstellen zu Partnern. Aber um die digitalen Innovationen kümmere ich mich, das ist mein Mandat von oben. Stichwort „vorantreiben“: Eine meiner ersten Entscheidungen als CDO war es damals, eine Spezialeinheit mit Growth Hackern zu etablieren. Den beiden habe ich die gleiche Narrenfreiheit gegeben, wie ich sie damals hatte. Die haben den ganzen Tag nichts anderes gemacht als zu coden, testen, analysieren, in die Datenbanken einzutauchen. Ihre einzige Aufgabe war und ist es, für Wachstum zu sorgen. Die denken dabei nicht an Marke oder Unternehmensstrategie, die denken auch nicht in Risikoplanung, die kümmern sich einfach nur um Wachstumsmöglichkeiten. Dabei sind sie manchmal sogar mir zu experimentell. Aber genau dafür sind sie ja da. Das sind unfassbare Allrounder, die kommen heute mit einem neuen Service oder einer Usability-Verbesserung und morgen mit einer neuen Geschäftsidee. Früher hätte man so jemanden als Nerd bezeichnet, aber eigentlich sind das ganz normale Jungs und Mädels, die einfach nur Nullen und Einsen im Blut haben. So wie diese Growth Hacker eine Beschleunigerrolle für meine Abteilung haben, hat die gesamte Abteilung eine Beschleunigerrolle für das Unternehmen. Ich habe das Glück, dass ich nur Leute in meiner Abteilung sitzen habe, die mit den neuen Technologien groß geworden sind. Die Kollegen bei uns sind im Durchschnitt 33 Jahre alt. Da fühlt man sich manchmal schon ein bisschen alt. Das sind hoch engagierte Leute, die enorm flexibel und selbstorganisiert arbeiten. Natürlich muss man denen auch etwas bieten. Sobald das Umfeld nicht mehr passt, wechseln die in andere Unternehmen oder machen sich selbstständig. Und mit „etwas bieten“ meine ich nicht Dienstwagen oder horrende Boni, sondern mehr Freiheitsgrade: beispielsweise flexibles und ortsunabhängiges Arbeiten. Die Ansprüche haben sich eben geändert, davon kann die Personalabteilung ein Lied singen. Wir arbeiten in einem hoch dynamischen und wissensintensiven Umfeld. Da darf man nicht ständig am Anschlag arbeiten, sondern braucht auch mal etwas Abstand. Wir haben allen Mitarbeitern die zeitlichen und räumlichen Kapazitäten gegeben, um an eigenen Ideen zu arbeiten. Autonomes Arbeiten im Sinne des eigenen Könnens, Wollens und Dürfens wird bei uns groß geschrieben. Einmal pro Quartal gibt es bei uns zusätzlich noch eine sogenannte Projektwoche, da können alle Mitarbeiter drei Tage am Stück an eigenen Projekten arbeiten. Anschließend werden die Ergebnisse im Rahmen eines zweitägigen Innovation-Jams dem gesamten Unternehmen vorgestellt. Aus diesen Projekten haben wir schon so manche ungeplante Innovation ins Unternehmen gebracht, sowohl neue Produkte als auch Maßnahmen zur Verbesserung von Prozessen. Und selbst die Ideen, die gescheitert sind, haben uns hilfreiche Informationen für weitere Entwicklungsschritte gegeben. Auch Fehler können produktiv sein. Jetzt ist es aber rein kapazitär gar nicht so leicht, den Leuten einfach mal zu erlauben, 96 Und genau das wird uns manchmal auch zum Problem. Wir sind in unserer Arbeit oftmals schon zwei Schritte weiter als das Unternehmen. Wir sind ein kleines Schnellboot, das agil über die Meere braust und sich jeder Welle gut anpassen kann. Aber das Unternehmen ist ein großes Kreuzfahrtschiff. Das ändert nicht mal eben schnell seinen Kurs. Wir müssen uns immer wieder erden, um aus dem Elfenbeinturm rauszukommen und den Bezug zur Lebensrealität des Unternehmens nicht zu verlieren. Und die ist nun einmal träge, das meine ich gar nicht abwertend, es ist einfach so. Das Unternehmen kommt häufig mit Anpassung und Umsetzung gar nicht hinterher. Um das etwas abzufedern, haben wir vor einiger Zeit beispielsweise einen eigenen Raum in unserer Firmenzentrale eingerichtet. Den bespielen wir immer mit aktuellen Beobachtungen und laden die Mitarbeiter regelmäßig zu Ausstellungen und Veranstaltungen ein. So bekommen wir auch informelles Feedback auf unsere Arbeit und stärken den Austausch untereinander. Morgen haben wir das nächste „Update Digital“ – da haben sich diesmal knapp 90 Leute aus allen Abteilungen angemeldet, um einen Überblick über die neuesten technologischen Entwicklungen und Chancen für unser Unternehmen zu bekommen. 97 Wir müssen unsere Arbeit präsent machen und im Unternehmen dafür werben. Letztlich haben alle etwas davon. Die Kunst ist, nicht in Grenzen zu denken: analog versus digital, stationär versus mobile, E-Commerce versus Ladengeschäft. Wer in Grenzen denkt, denkt Gräben mit, und die muss man immer überbrücken. Wir sind doch ein Unternehmen. Diese Sicht auf die Dinge hat mir immer sehr geholfen. Es ging von Anfang an nie darum, nur die Prozesse zu digitalisieren oder alte Werbung und PR einfach auf neue Kanäle zu spielen. Das wäre wirklich alter Wein in neuen Schläuchen gewesen. Man darf Vernetzung nicht mit Digitalisierung gleichsetzen. Mein Auftrag war von vornherein auch, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und dabei auch Partner mit ins Boot zu holen. Vor einem halben Jahr hat mich der Chef in die Unternehmensstrategie geholt, die ich jetzt zusammen mit Frau Kluivert leite. Das ist nur konsequent. Wenn man einen klaren Innovationsauftrag hat, verantwortlich ist für die Kundendaten und die Wettbewerbsbeobachtung, dann muss man das in enger Absprache mit der Unternehmensstrategie machen. Und umgekehrt sollte die Unternehmensstrategie auch Marken, Produkte und Services mitdenken. Wenn man sich Kundenzufriedenheit auf die Fahnen schreibt, muss man doch auch das Unternehmen daran ausrichten. Eigentlich sind wir jetzt da, wo uns die alten Lehrbücher immer gesehen haben. Wir haben die Verantwortung für die vier klassischen P‘s des Marketings. Hätten Sie mir vor fünf Jahren gesagt, dass ich als CDO anfange und 2020 Marketingleiterin und Co-Head Corporate Strategy sein würde, ich hätte Ihnen den Vogel gezeigt. Und dass meine Abteilung jetzt so groß ist, obwohl ich eigentlich als Silosprenger eingestellt wurde, ist schon irgendwie komisch. Aber es macht Spaß, gerade weil die Welt morgen wieder anders aussehen wird. Warten Sie mal ab, in ein paar Wochen gehen wir mit einem neuen Service online. Da werden Sie noch viel von uns hören. Durch die Digitalisierung ist es zum einen schwieriger geworden, die Kundenbeziehung zu pflegen und Kunden zu halten. Darüber hinaus hat sich auch das Wettbewerberumfeld enorm geändert. Es ändert sich noch immer rasant, und damit meine ich nicht nur die klassischen Wettbewerber, sondern vor allem neue Unternehmen, die in die Branche drängen. Das muss man schon genau im Blick behalten, um nicht irgendwann eine böse Überraschung zu erleben. Da braucht es jemanden, der sich mit unsicheren Märkten und den neuen Wettbewerbern beschäftigt. Und es braucht jemanden, der ein Frühwarnsystem installiert und im Blick behält, um schnell zu reagieren und Neues auszuprobieren. Meine Aufgabe in dieser Position als Co-Head Corporate Strategy ist es übrigens auch, mich um potenzielle Beteiligungen an neuen Start-Ups zu kümmern, abseits der eigenen Organisation die Fühler auszustrecken und dadurch Testfelder für zukünftige Geschäftsbereiche zu identifizieren. „Market share is less important than market creation“, habe ich neulich noch gelesen. In Zeiten disruptiver Innovationen helfen Effizienzinnovationen nicht wirklich weiter. Da muss man größer denken und Mut beweisen. Wo etablierte Unternehmen Risiken und Bedrohungen sehen, erkennen Start-Ups Möglichkeiten. So muss man denken, und diesen Perspektivwechsel habe ich bei uns ganz gut hinbekommen, denke ich. Meinen bislang einzigen richtigen Streit mit unserem CEO hatte ich übrigens, als es um die Budgetplanungen ging. Man kann doch nicht versuchen, die Organisation zu flexibilisieren, und dann immer noch mit festen Jahresbudgets arbeiten. Also haben wir die Budgets flexibilisiert. Das schätze ich so an meinem Chef, er lässt mit sich reden und gibt einem den Spielraum, Dinge auszuprobieren. Als wir nach einem Jahr den Review gemacht haben, hat er selbst gesehen, dass die Arbeit mit flexiblen Budgets viel effizienter war als nach strengen Vorgaben. 98 99 Szenario „Nachweisbarkeit: Nur die Zahlen zählen“ Sales-Marketing gewinnt an Bedeutung. Strategische Fragestellungen und weiche, nicht messbare Aspekte des Marketings verlieren an Relevanz oder wandern in andere Abteilungen. Die Marketingorganisation agiert operativ und fokussiert auf Vertriebsunterstützung. Effizienzprogramme und KPI-Berechnungen bestimmen Budgetallokationen und Maßnahmenpläne. Mein Name ist Kai Baumann, ich bin Geschäftsführer Marketing und Vertrieb in einem Versicherungsunternehmen. Im Jahre 2016 bin ich als Vertriebsleiter ins Unternehmen gekommen, und ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, in der ich mich ständig mit unserem damaligen Marketingleiter Dr. Becker in die Haare bekommen habe. Für ihn war das Marketing eine heilige Kuh. „Wir bringen den Ball in den Strafraum und der Vertrieb macht das Tor“, sagte er damals zu mir. Ich hatte da schon den Eindruck, dass die Zusammenarbeit nicht ganz leicht werden würde. Nicht nur, weil ich Fußball nicht ausstehen kann. Mal ehrlich, in unserer Branche geht es darum, Abschlüsse zu machen. Da spielt das Marketing naturgemäß die zweite Geige. Aber Dr. Becker hatte seinen Tanzbereich, und der wurde auch von unserem damaligen Hauptgeschäftsführer geschützt. Als zwei Jahre später der neue CEO kam, sah die Sache anders aus. Rosiger für mich, düsterer für Dr. Becker. Nach ein paar Monaten richtete Frau Kalker das gesamte Unternehmen konsequent auf Sales-Marketing aus; eine Maßnahme, um dem steigenden Kosten- und Effizienzdruck entgegenzuwirken. Das Marketing wurde in den Vertrieb integriert. Dr. Becker verlor seine Abteilung. Ihm wurde zwar angeboten, ein kleines Team für Markenkommunikation zu leiten, aber er zog es vor, das Unternehmen zu verlassen. Das hätte ich an seiner Stelle auch getan. „Wenn das jetzt die neue Aufgabe ist, bunte Bildchen aufzuhübschen, dann bitte ohne mich“, hat er damals gesagt. Persönlich tat mir das damals leid, aber sachlich war das die vollkommen richtige Entscheidung. Die Zeiten haben sich eben geändert, und Frau Kalker hat das früh begriffen. Nur durch eine konsequente ROMI-Fokussierung konnten wir uns zukunftsfähig aufstellen und sind zu einem florierenden Unternehmen geworden. Seitdem der Return von Marketinginvestitionen umfangreich messbar geworden ist, sind wir viel effizienter geworden. Wir haben Kennzahlen, die den Wirkungsbeitrag der Maßnahmen auf den Gesamterfolg des Unternehmens belegen. Wenn man Renditewachstum will, muss man die Wirtschaftlichkeit erhöhen. Und dafür müssen wir die Budgets da einsetzen, wo die Wirkung unmittelbar gemessen werden kann. Völlig richtig, sich von dem kostenintensiven Schnickschnack zu verabschieden, den das Marketing vorher stellenweise veranstaltet hat. Nichts gegen Dr. Becker, aber da spielte manchmal Selbstverwirklichung eine größere Rolle als die eigentliche Aufgabe der Verkaufsförderung. Wenn ich 100 mich so unter Marketern in anderen Unternehmen umhöre, dann ist diese Antihaltung den neuen Möglichkeiten der Messbarkeit gegenüber zumeist aus einer Angst geboren: nämlich der Angst festzustellen, dass das, was man macht, eigentlich überhaupt nichts bringt. Wer einen guten Job macht und meint, dass sein Handeln erfolgreich ist, der muss doch auch keine Angst vor Erfolgskontrolle haben, oder? Der Marketing-Guru Philip Kotler hat vor Jahren einmal gesagt „Marketing ist das Gegenteil von Verkauf. Verkauf bringt die Produkte zum Kunden, Marketing bringt die Kunden zum Produkt.“ Aber das stimmt nicht. Ich meine, ja, wir bringen die Produkte zum Kunden. Aber wir bringen auch die Kunden zum Produkt, und zwar weil wir genau wissen, was sie benötigen und wie wir sie ansprechen müssen. Dr. Becker hat das nie verstanden. Seine sozialromantische Vorstellung von Marketing als Grundhaltung im Unternehmen, das Konzept von Unternehmensführung aus Kundensicht, es war nie mehr als ein schön formulierter Anspruch. Ich werde heute noch ganz nervös, wenn ich das höre. Becker hat ständig das Wort „Customer Centricity“ benutzt. Aber wenn dem so wäre, warum sitzen dann immer weniger Marketer in den Vorständen der großen Unternehmen? Ganz ehrlich: Wir brauchen keine Marketingabteilung der alten Schule mehr. Wir haben selbst die Möglichkeiten, Leads zu generieren und Kontakte zu evaluieren. Der Vertrieb ist nun mal die Abteilung, die am nächsten am Kunden dran ist, da kann das Marketing noch so sehr darauf bestehen, das bessere Marktverständnis zu haben. „Überblickswissen“, hatte Becker das immer genannt und unserer Abteilung fehlende Weitsicht vorgeworfen. Da muss man sich doch mal fragen, wie viel so eine Weitsicht noch wert ist in einer Zeit, in der alles immer kurzfristiger wird. Viel wichtiger ist es doch, in der Gegenwart eine Kontinuität ins Handeln zu bringen. Das meine ich jetzt weniger mit Blick auf eine stringente Markenführung, wie Dr. Becker immer betonte, das gilt vor allem für die interne Arbeit. Alles wird schneller, die Leute haben immer mehr Aufgaben und weniger Zeit. Da muss man einfach auch mal ein bisschen Ruhe reinbringen, um den Überblick nicht zu verlieren. In diesem nervösen Dauerrauschen bieten uns die Zahlen eine sehr gute Orientierung. Wir können durch das CRM-System sehr genau sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Die Optimierung unserer Kundendatenbank war zwar nicht ganz günstig, aber die Investition hat sich schnell bezahlt gemacht. Heute können wir klare Erfolgszahlen vorweisen und haben einen nahezu perfekten Überblick über Kaufprozesse und Kundenverhalten. Wir haben eine viel bessere Vergleichbarkeit und können Maßnahmen viel besser steuern. Von Frau Kalker stammt der Satz: „PoS heißt nicht Point of Sale, sondern People of Sale.“ Ich komme ja ursprünglich aus dem B2B-Bereich und gerade da kann man ein persönliches Vieraugengespräch nicht zu 100 Prozent durch automatisierte Lösungen ersetzen. Insofern hat Frau Kalker Recht, aber was sie auch sehen muss: Je sauberer unsere Daten sind, umso leichter wird die Arbeit. Und zudem machen wir auch unsere Kunden effizienter, wenn wir ihnen helfen, Zeit zu sparen. Das ist doch ein riesiger Vorteil. 101 Was doch am Ende zählt, sind Zahlen. Und ein Kosten-Nutzen-Verhältnis der Maßnahmen. Das haben die meisten Mitarbeiter verstanden. Nicht das Marketing ist die Grundhaltung des Unternehmens, sondern die Effizienzsteigerung unserer Maßnahmen. Ich will ja gar nicht abstreiten, dass auch das, was wir heute nicht messen können – noch nicht messen können –, in irgendeiner Weise zum Unternehmenserfolg beiträgt. Dr. Becker wurde nicht müde zu erwähnen, dass die Arbeit an der Marke gerade deswegen wichtig sei, damit man besonders bleibt und nicht austauschbar wird. Ich habe nie verstanden, warum er der Marke so eine wichtige Bedeutung zugesprochen hat. Am Ende geht es doch um das Produkt, Marken sind ein Konzept der Erlebnisgesellschaft. Gucken Sie doch mal in andere Branchen: Die Aufgabe des Marketings liegt schon lange nicht mehr in der Verführung, sondern in der Überzeugung. Gerade wenn die Kunden anspruchsvoller sind, muss man sich doch von emotionalen Markenwelten verabschieden und sich ganz auf den Verkaufsprozess konzentrieren. Unsere Analysten versuchen, auf der Ebene des Mikro-Kaufverhaltens die kleinen Stellschrauben zu identifizieren, die den Unterschied machen und Abschlüsse generieren. Was man messen kann, kann man auch managen. Und wenn es gut gemanagt wird, ist es auch effektiv und effizient. Man kann immer etwas verbessern, immer. Und genau aus dem Grund haben wir die „Soft Facts“ wie Markenbekanntheit oder Servicezufriedenheit der Kunden nicht in die KPIBerechnung einbezogen. Sie mögen ja vielleicht ein diffuser Werttreiber sein, aber in der quantifizierten Erfolgskontrolle sind diese weichen Faktoren nicht abbildbar. Wie wollen Sie denn da Anhaltspunkte für Optimierungen bekommen? Und kommen Sie mir nicht mit so etwas Unkonkretem wie Bauchgefühl. Immer, wenn ich Dr. Becker gesagt habe, dass der Verkauf im Vordergrund steht, hat er nur müde gelächelt und dem Vertrieb unterstellt, dass es uns überhaupt nicht um das Produkt ginge, sondern nur um Zahlen und Vertriebserfolge. „Wo bleiben denn da die Emotionen?“, hat er mich einmal fast angebrüllt. Früher hätte der Vertrieb noch über Begeisterung verkauft, aber heute sei die Leidenschaft durch Zahlengläubigkeit ersetzt worden. Entschuldigung, aber was wollen Sie denn darauf sagen? Ich glaube, ich werde diesen Romantiker nie verstehen. Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht: So ganz aufgegeben haben wir das Thema Marke nicht. Dass der Fokus unserer Marketingarbeit auf der Vertriebsoptimierung liegt, heißt ja nicht, dass wir uns überhaupt nicht mehr um Markenführung kümmern. Unter der Leitung von Frau Kalker gibt es ein virtuelles Markenteam. Das wird immer dann einberufen, wenn es mal wieder Zeit ist, über Positionierungen und Strategien nachzudenken und grobe Leitplanken für unsere Arbeit festzulegen. Oder wenn konkrete Maßnahmen anstehen, die außerhalb des Tagesgeschäfts laufen, wie zum Beispiel Messeauftritte oder Events, die Überarbeitung von Imagebroschüren oder Webseiten, hier und da mal ein paar Anzeigen oder Content. Bei solchen Projekten ist meist jemand 102 aus der Unternehmenskommunikation federführend. Wenn wir Kapazitäten haben, bieten wir da dann gerne auch unsere Unterstützung an. Gleiches gilt für Zukunftsthemen und unternehmensstrategische Aspekte. Wir haben in unserem Unternehmen zwar keine eigene Abteilung dafür, aber Themen wie neue Geschäftsmodelle, Wachstumsstrategien oder Investitionen besprechen wir bei Bedarf in den Sitzungen der Geschäftsführer. Mit unserem Produktentwickler treffe ich mich auch öfter mal zwischendurch. Da muss man schon sagen, dass wir im Grunde einer Meinung sind, aber manchmal kommt der mit Ideen um die Ecke, da kann man nur den Kopf schütteln und muss sich fragen, wieso die in ihrer Abteilung ihre Zeit mit Entwicklungen verschwenden, die sich niemals verkaufen lassen. Da machen die dann statistische Analysen und Risikoberechnungen, die vielleicht ein sinnvolles Produkt ergeben, aber definitiv am Markt vorbeigehen. Ich will ja gar nicht bestreiten, dass eine Ausrichtung nach Kennzahlen auch Probleme mit sich bringt. Ich musste Frau Kalker mehrfach darauf hinweisen, dass es eben nicht so einfach ist, eine klare und einfache Performance zu berechnen. Wenn alles immer kleinteiliger wird, kriegen sie einfach das Zusammenspiel verschiedener Aktivitäten nicht sauber abgebildet. Es gibt einfach Grenzen, das muss man sich eingestehen. Ein einheitliches, ganzheitliches und valides Messkonzept wird es nie geben. Hinzu kommt das Problem, dass manche KPIs sich auch widersprechen, und ja, dann gibt es Konflikte, wo welches Budget eingesetzt werden soll und welche Kennzahl Priorität hat. Aber unterm Strich überwiegen die Vorteile: Wir haben mehr Vergleichbarkeit und bessere Planungen, mehr Gewinn und sinkende Kosten. Nur durch unsere Fokussierung auf explizites Vertriebsdenken haben wir die Bedeutung erlangt, die wir heute im Unternehmen haben. Wir haben das Marketing nicht abgeschafft, wie Dr. Becker in seinen letzten Tagen sagte, wir haben es neu definiert. Da kann Becker noch so davon reden, dass die Faszination komplett verloren gegangen sei. Der Erfolg gibt uns Recht. Projektentscheidungen finden auf Basis von Benchmarks, Markt- und Kundendaten sowie Forecasting-Analysen statt. Das ist die Basis für den optimalen Marketing-Mix. Nur mit dem Wissen um den zukünftigen Nutzen können wir ruhigen Gewissens Marketingausgaben als Investment betrachten, nicht als Geldverbrennungsmaschine. Die Arbeit mit prädiktiven Analysen und persönlichem Targeting hat vieles erleichtert. Die Mitarbeiter haben damals schnell gemerkt, dass eine Automatisierung von Tätigkeiten nicht zwangsläufig zu Arbeitsplatzabbau führen muss, sofern die Fähigkeit und die Bereitschaft da sind, sich in andere Themen einzuarbeiten. Denn was man festhalten muss ist, dass sich die Arbeitsbereiche geändert haben. Die Kompetenzen sind andere geworden. Data-Analysten, Statistiker und Programmierer spielen bei uns heute eine große Rolle, wenn es darum geht, die „People of Sale“ zu unterstützen. Dafür haben wir uns dann auch die entsprechenden Spezialisten ins Haus geholt, die die Prozesse weiter optimieren. Dauerhaft mit Externen zu arbeiten wäre viel zu teuer. Wir wissen genau, 103 Set-Up, Methodik und Projektpartner wie unsere Kunden ticken, und haben immer gute Anlässe für individuelle Ansprachen. Da kann man dann wunderbar an den kleinen Hebeln ansetzen und braucht keine Kampagnen und Inszenierungen. Und wenn wir schon von Kosteneffizienz sprechen: Ja, auch meine Abteilung steht unter Druck, wir haben ja keine Sonderstellung im Unternehmen. Sinkende Budgets bei steigenden Anforderungen. Da müssen Sie schon kämpfen. Und wenn Sie Mitarbeiter nach Sozialplan abbauen müssen, dann sind es ja immer die Langgedienten, die bleiben. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich halte Sozialpläne für äußerst sinnvoll, aber versuchen Sie mal, ältere Mitarbeiter in Suchmaschinenoptimierung oder Big-Data-Analysen fit zumachen. Wenn wir da ein paar mehr jüngere Statistiker hätten, für die der Umgang mit neuen Technologien selbstverständlich ist, wäre einiges leichter. Wobei ich jetzt nicht jammern möchte, insgesamt überwiegen die Vorteile. Ein positiver Aspekt ist beispielsweise, dass Sie auch die Mitarbeiter über KPIs steuern können. Heute sind die Ziele viel kleinteiliger und konkreter als früher. Damit kann man sie auch auf die einzelnen Mitarbeiter runterbrechen. Jeder Mitarbeiter hat über sein KPI-Dashboard sofort Zugriff auf die eigenen Erfolgszahlen und kann entsprechend handeln. Dr. Becker hat uns mal vorgeworfen, durch diese individuelle Zurechenbarkeit von Erfolgen würden der Druck und die Belastung bei den Mitarbeitern steigen. Da kann ich nur sagen: Ja, und? Was ist daran schlecht? Ein bisschen Wettbewerb ist doch nie verkehrt. Auch das trägt zum Erfolg des Unternehmens bei. Aber von einer Kultur des „survival of the fittest“ sind wir weit entfernt. Neulich habe ich Dr. Becker auf einem Kongress getroffen. Er sagte, er verfolge die Strategie unseres Unternehmens aus der Distanz mit großem Interesse. Aber er glaube trotzdem nicht, dass diese Form des technokratischen Marketings der richtige Weg sei. Eine rein rationale Herangehensweise verlöre den Kunden aus dem Blick. Wir würden uns nur hinter Zahlen und Analysen verstecken. Er verstehe nicht, wie man sich so vom Messbarkeitsfieber hat anstecken lassen können; wie man es schaffe, Wahrheit aus Zahlen abzuleiten, Zahlen, die genauso anfällig für Fehlinterpretationen seien wie altbekannte Marktforschungsstatistiken. Ich fand es interessant, ihn reden zu hören. Er sprach wie jemand, der sich immer noch nicht an die neuen Zeiten gewöhnt hat. Es hat mich eigentlich nur darin bestätigt, dass wir uns noch viel mehr an den „hard facts“ orientieren müssen. Wenn man sich nur auf die Zahlen verlasse, so sagte Dr. Becker, stecke man den Rahmen, in dem man agieren könne, immer enger. Je mehr man sich auf dieses Spiel einlasse, umso irrelevanter mache man sich. Meine Güte, so kann auch nur ein Marketer der ganz alten Schule argumentieren. Die Gefahr sehe ich bei uns nicht. Wenn ich mir unsere Zahlen anschaue, also die Renditezahlen, dann muss ich sagen: Alles richtig gemacht. Als Dr. Becker dann noch sagte, diese ganze Messbarkeitsideologie bringe den Stillstand nur auf die nächste Ebene, bin ich gegangen. Wie kann so ein kluger Kopf nur so verbohrt sein? 104 Der kollaborative Think-Tank „Marketingorganisation der Zukunft“ konnte nur dank des Engagements vieler Beteiligter in einem Prozess des gemeinsamen Lernens und Arbeitens realisiert werden. Diese Studie ist das Ergebnis eines umfassenden Researchs sowie einer intensiven Zusammenarbeit mit allen Partnern. Think-Tank-Initiatoren und Studien-Autoren BathenJelden – Experten für Ausblicke und Aufbrüche Als unabhängige Zukunftsforscher, Organisationsentwickler und Innovationsberater begleiten Dirk Bathen und Jörg Jelden Unternehmen im Übergang. Kunden unterschiedlicher Branchen kommen zu ihnen, um in unsicheren Zeiten besser zu entscheiden, über ein gemeinsames Zukunftsverständnis besser zusammenzuarbeiten, neue Chancen zu identifizieren und schneller vom Wissen ins Handeln zu kommen. Dirk Bathen und Jörg Jelden sind erfahrene Think-Tank-Leiter, Moderatoren, Autoren diverser Zukunftsstudien und halten regelmäßig Vorträge. 2012 leiteten sie bereits den Think-Tank zu „Agenturen der Zukunft“. www.bathenjelden.com Studien-Herausgeber Deutscher Marketing Verband Der Deutsche Marketing Verband (DMV) ist der Berufsverband des Marketing-Managements und die Dachorganisation der 65 Marketing Clubs in Deutschland und Österreich. Er vertritt die Interessen von über 14.000 Führungskräften und marketingorientierten Unternehmen. Seit 1956 sorgt der Verband für die Verbreitung des Marketingbewusstseins in Wirtschaft und Gesellschaft und sieht sich als die Institution für praxisnahe Weiterbildung und Know-how-Transfer. www.marketingverband.de 105 Think-Tank-Partner Leistungspartner Sechs Unternehmenspartner haben den Think-Tank finanziell möglich gemacht und inhaltlich mitgewirkt. Vier Leistungspartner haben den Think-Tank durch Sachleistungen unterstützt. Patricia Hohendorf, Abteilungsleiterin Communication Services Michael Jacobs, Bereichsleiter Marketing und Kommunikation Die CMO-Community ist eine Plattform für den Austausch zu Best Practices und Trends im Marketing ebenso wie für das Networking im Kollegenkreis von Marketingleitern und -vorständen. Die 50 Marketingverantwortlichen der CMO-Community haben aktiv an der Befragung teilgenommen und im Rahmen einer Workshop-Session im April 2014 die Studien-Ergebnisse diskutiert und verfeinert. www.cmocommunity.info (r) Birgit Spors, Leiterin Werbung und Kommunikation evolution bietet als Full-Service-Institut das volle Spektrum der strategischen Marktforschung sowie der Produkt- und Dienstleistungsforschung: qualitativ und quantitativ. Für die quantitative Expertenbefragung hat (r)evolution die Programmierung und das Hosting des Fragebogens sowie Tabellierung und Datenanalyse übernommen. www.evolution-online.net Margret Dreyer, Abteilungsleiterin Marken und Marketingkommunikation Sven Krüger, Leiter Markenkommunikation Björn Simon, Leiter Marketing, Kommunikation und Marke Die Good School ist eine Schule für digitalen Wandel. Ihr Ziel: Wissen und Fähigkeiten in neuen Medien und innovativem Marketing zu vermitteln. Die Good School hat den Think-Tank durch Bereitstellung der Räumlichkeiten und Kontakte zu Marketingverantwortlichen unterstützt. www.good-school.de NAMENAME ist eine Design- und Beratungsagentur, durch deren Arbeit Strategien sichtbar werden. NAMENAME hat den Think-Tank beim Layout der Website, Infografiken und Arbeitsmaterialien geholfen. www.namename.eu 106 107 Studien-Partner Interviewte Experten SapientNitro ist die Agentur mit der DNA für das ‚„Always-on”-Zeitalter. SapientNitro erzählt einzigartige Geschichten, die sämtliche Ebenen der Markenkommunikation, der Digital Experience sowie des Omnichannel-Marketing und -Commerce umfassen. So entsteht eine neue Intensität der lückenlosen Zielgruppen-Ansprache. www.sapientnitro.de Dr. Steven Althaus, Senior Vice President Brand Management BMW, BMW Group Prof. Dr. Christian Belz, Geschäftsführender Direktor, Institut für Marketing, Universität St. Gallen Prof. Dr. Manfred Bruhn, Marketing und Unternehmensführung, Universität Basel Stephan Grabmeier, Geschäftsführer, Innovation Evangelists Dr. Heiko von der Gracht, Leiter Think-Tank für Zukunftsmanagement, Institute of Corporate Education e.V. (incore) Jürgen Griebsch, Executive Vice President Corporate Marketing, BSH Bosch und Siemens Hausgeräte Jonathan Imme/Jan Bathel, Co-Founder, Ignore Gravity Dr. Karoline Haderer, ehemalige Leiterin Marketing, Markenführung, Sponsoring, HSE/ Entega Jürgen Herrmann, Geschäftsführer Marketing, Ritter Sport Sven Hildebrandt, CEO, Marketeer Club Europe e.V. Dr. Rainer Hillebrand, stellvertretender Vorstandsvorsitzender & Vorstand Konzernstrategie, E-Commerce und Business Intelligence, Otto Group Dr. Barbara Hüppe, Head of European Communications, Mozilla Ulrich Klenke, Leiter Konzernmarketing (GM), DB Mobility Logistics Dirk Lange, Country Business Leader, Safety & Graphics, 3M Germany Per Ledermann, Vorstandsvorsitzender, Edding Jürgen Lieberknecht, Vorstand Produktmanagement und Marketing, Targobank Johannes Mauss, Marketingleiter, Haus Rabenhorst Prof. Dr. Eckhard Minx, Gründer und Partner, Die Denkbank Bernd Oestereich, Gründer, oose Innovative Informatik Tanja Schäfer, General Manager BILD NRW, Axel Springer Lena Schiller-Clausen, Autorin „New Business Order“ und Unternehmerin Frank Schübel, Vorstandsvorsitzender, Berentzen Joachim Schütz, Geschäftsführer, Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) Daniel Sennheiser, CEO, Sennheiser Dr. Rene Steiner, Partner, Dr. Steiner & Carreto Thorsten Stradt, Marken- und Strategie-Experte Dr. Uwe Stuhldreier, Leiter Marketing, CosmosDirekt Ingo Tanger, Marketing Director Germany, Beiersdorf Prof. Dr. Theo Wehner, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie, ETH Zürich Christoph Werner, Geschäftsführer Marketing und Beschaffung, dm-drogerie markt Prof. Peter Wippermann, Trendforscher, Gründer Trendbüro Methodisches Set-Up und Vorgehen Desk Research: Existierende Studien, Artikel, Vorträge und Bücher zum Thema wurden recherchiert und ausgewertet. Qualitative Einzelinterviews: Insgesamt wurden mehr als 30 Interviews mit Vordenkern und Marketingverantwortlichen sowie mit den sechs Marketingverantwortlichen der Unternehmenspartner geführt. Die Einzelinterviews boten die Möglichkeit, Selbstverständnisse und Erwartungen besser zu verstehen, Hypothesen und Annahmen zu testen sowie insgesamt Einblicke aus der Praxis zu erhalten. Zudem konnten so neue Themen und deren Konsequenzen exploriert werden. Quantitative Expertenbefragung: Von Dezember 2013 bis Februar 2014 haben 810 Personen an der quantitativen Online-Befragung teilgenommen. Die Teilnehmer stammen aus den Netzwerken aller Studien- und Think-Tank-Partner, überwiegend aus den 65 regionalen Marketing Clubs in Deutschland und Österreich. Leadership Circles: Im Rahmen von einem zweitägigen und einem eintägigen Workshop haben die Marketingverantwortlichen der Unternehmenspartner des Think-Tanks inhaltlich zu neuen Strukturen, Prozessen und Kompetenzen gearbeitet, eigene Problemstellungen vorgebracht und Lösungsansätze diskutiert. Dabei wurden u.a. heutige Strukturen, Prozesse und Kompetenzen dekonstruiert und die Szenarien erarbeitet und verfeinert. Die Studien- und Think-Tank-Ergebnisse wurden zudem am 12. März 2014 im Rahmen der Kuratoriumssitzung des Deutschen Marketing Verbands mit neun Marketing- und Kommunikations-Verantwortlichen diskutiert. Am 9. April 2014 fand eine Workshop-Session im Rahmen des Treffens der CMO-Community statt. Daran nahmen 45 Marketingverantwortliche teil. 108 109 Geschlecht und Alter Stichprobe der quantitativen Befragung Männlich Für diese Studie wurden insgesamt 810 komplettierte Online-Fragebögen ausgewertet. 72% der Befragungsteilnehmer stammen aus Unternehmen (n=582), davon die Mehrheit aus Geschäftsführungs- und Leitungsebene. 28% der Teilnehmer kommen aus Agenturen (n=184) oder sind sonstige Externe wie z.B. Wissenschaftler (n=44). 30% der Befragungsteilnehmer sind weiblich, 70% männlich. Zwei Drittel der Teilnehmer sind zwischen 40 und 59 Jahre alt. Knapp drei Viertel aller Teilnehmer haben mehr als elf Jahre Berufserfahrung, 51% haben sogar mehr als 16 Jahre Berufserfahrung. 67% aller Teilnehmer haben einen Schwerpunkt im Marketing oder kümmern sich um Marketing und Unternehmenskommunikation gleichermaßen. 30 Weiblich 70 Basis: n=810; Summe ungleich 100 durch Rundung 9 Arbeitsschwerpunkt Marketing 33 19 26 32 Anderer Schwerpunkt (Unternehmenskommunikation, Vertrieb, Business Development …) 18 – 29 Jahre 30 – 39 Jahre 40 – 49 Jahre Marketing und Unternehmenskommunikation gleichermaßen 35 6 40 50 – 59 Jahre 60 + Basis: n=810; Summe ungleich 100 durch Rundung Basis: n=810; Summe ungleich 100 durch Rundung Position Berufserfahrung Unternehmen Agentur/Externe 2 10 15 51 < 2 Jahre 28 2 – 5 Jahre 23 6 – 10 Jahre 11 – 15 Jahre 72 16 + Jahre Basis: n=810; Summe ungleich 100 durch Rundung 110 Basis: n=810; Summe ungleich 100 durch Rundung Unternehmen: 72 % 24 % Geschäftsführung 30 % Abteilungsleiter 9 % Leiter Unterabteilung 9 % Junior/Senior Agentur/Externe: 28 % 14 % Geschäftsführung/Inhaber 3 % Angestellter (Junior/Senior) 6 % selbstständig/freiberuflich 5 % Externe (weder in Unternehmen noch für Angestellte) 111 Impressum Herausgeber: DMV Service GmbH, Lindemannstraße 82, 40237 Düsseldorf (im Auftrag des Deutschen Marketing Verbands e.V.) [email protected] Autoren: BathenJelden, Experten für Ausblicke und Aufbrüche Dirk Bathen: [email protected] Jörg Jelden: [email protected] Copyright © 2014 Die Studien-Inhalte dürfen unter Nennung von Herausgeber (Deutscher Marketing Verband) und Autoren (BathenJelden) verwendet werden. Illustration der Szenario-Portraits: Magdalena Vollmer Satz, Layout, Gestaltung, Illustrationen: Storch Design GbR, Nürnberger Straße 21, 91207 Lauf a.d. Pegnitz Foto: Fotolia Bilddatenbank LLC, 41 East, 11th Street, 11th Floor, New York Druck: Fahner GmbH, Hans-Bunte-Straße 43, 90431 Nürnberg ISBN: 978-3-9816652-2-2 · 1. Auflage, Mai 2014 www.marketingorganisation-der-zukunft.de 112