Prof. Dr. Thorsten Raabe unter Mitwirkung von Dr. rer. pol. Sandra Haas Dipl. Ök. Simon Thomas Dipl. Ök. Karsten Uphoff Innovation und Marketing Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 2014 Impressum Autor: Prof. Dr. Thorsten Raabe unter Mitwirkung von Dr. rer. pol. Sandra Haas, Dipl. Ök. Simon Thomas, Dipl. Ök. Karsten Uphoff Herausgeber: Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Center für Lebenslanges Lernen (C3L) Auflage: 4. Auflage, Erstausgabe 2010], z.B.: Redaktion: Willi Gierke Layout: Andreas Altvater; Franziska Buß-Vondrlik Copyright: Vervielfachung oder Nachdruck auch auszugsweise zum Zwecke einer Veröffentlichung durch Dritte nur mit Zustimmung der Herausgeber, 2014 ISSN: 1869-2958 Oldenburg, Oktober 2014 Prof. Dr. Thorsten Raabe geb. 1955, Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover; anschließend ab 1982 wissenschaftlicher Assistent im Rahmen des DFG-Forschungsprojektes „Konsumentenbeteiligung an der Produktentwicklung“, Universität Hannover; 1991 Promotion; 1999 Habilitation (Universität Hannover, venia legendi für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing), 2000 Berufung auf die Professur „allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Absatz und Marketing“, an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Im Mittelpunkt der Forschung von Prof. Dr. Raabe stehen Fragestellungen der Wechselwirkungen zwischen Marketing und Gesellschaft (Makromarketing), die Markenforschung sowie Ansätze des Cultural- and Sustainable Marketing-Research (Markenkulturforschung, Forschung zum Beitrag des Marketing zur Nachhaltigen Entwicklung in den Bedürfnisfeldern Mobilität, Energie und Ernährung). Er ist u. a. Gesellschafter des An-Instituts ecco GmbH sowie Mitglied des Vorstands von CENTOS. Dr. rer. Pol. Sandra Haas Sandra Haas ist Jahrgang 1975. Seit Frühjahr 2010 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Absatz und Marketing. Akademischer Werdegang:2005-2009: Externer Doktorand an der C. v. Ossietzky University Oldenburg und A-schluss mit der Arbeit: Markenportfoliobereinigung: Entwicklung eines Planungsprozesses zur Strategieformulierung. 1997-2003: Studium der Diplom-Betriebswirtschaftslehre an der J.W. Goethe Universität Frankfurt und Abschluss mit der Arbeit: Marketing für Biohandelsmarken im Lebensmitteleinzelhandel Sie sammelte rund 9 Jahre Erfahrung als Beraterin im Bereich Marketing, Marktforschung, Vertrieb und Personalrekrutierung und war während ihres Studiums u.a. als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Frankfurt, als Researcher bei ACNielsen und Angestellte im Bereich PR bei Lufthansa Airplus beschäftigt. Dipl. Ök. Simon Thomas Simon Thomas ist Jahrgang 1980. Seit 2008 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Absatz und Marketing. Akademischer Werdegang: Simon Thomas absolvierte eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei der HanseMerkur VVaG in Hamburg. Anschließend studierte er von 2003-2008 Wirtschaftswissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg sowie an der University of Abertay Dundee, Schottland und schloss das Diplomstudium ab mit der Arbeit: „Habitus und Markenführung“. Neben der Lehrtätigkeit bearbeitet er Drittmittelprojekte im Bereich Marktforschung (u. a. für die Oldenburger Tourismus und Marketing GmbH). Dipl. Ök. Karsten Uphoff Karsten Uphoff ist Jahrgang 1971 und seit Juni 2007 Berater bei der ecco Unternehmensberatung – einem An-Institut der Universität Oldenburg. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Marktforschung und die strategische Marketingberatung. Akademischer Werdegang: Karsten Uphoff erhielt eine Ausbildung als Kaufmann im Groß- und Außenhandel bei der J. Bünting Handels- und Beteiligungs-AG und studierte ab 1996 Wirtschaftswissenschaften an der Universität Oldenburg. Seit 2001 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Absatz und Marketing sowie am Lehrstuhl für Unternehmensführung und betriebliche Umweltpolitik tätig. Dort arbeitete er in verschiedenen Projekten – unter anderem im Projekt „OSSENA – Ernährungsqualität als Lebensqualität“ und im Forschungsverbund Agrar- und Ernährungswissenschaften Niedersachsen. INHALTSVERZEICHNIS 1 EINFÜHRUNG IN DAS HANDLUNGSFELD INNOVATION UND MARKETING ................................ 8 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN .................................... 13 2.1 Phänomenologie der betrieblichen Leistungsinnovation ....................................................... 13 Objektbezogene Dimension der Innovationen (Gegenstand) ...13 Prozessbezogene Dimension der Innovationen (Ablauf) .............15 Subjektbezogene Dimension der Innovationen (Adressat) ......15 Differenzierung nach Grad und Höhe von Innovationen ...........17 Aufgaben des Marketing in Innovationsprozessen ....... 20 Beschaffung marktseitiger Informationsgrundlagen ................22 Marktorientierte Koordination des Innovationsprozesses............24 Vermarktung von Leistungsinnovationen .................................27 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 3 STRATEGISCHE EBENE DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN .................................... 32 3.1 Anlässe für den Marketingeinsatz in Innovationsprozessen .................................................... 32 Identifizierung latent vorhandener Bedürfnisse (Demand Pull).33 Suche nach Vermarktungsperspektiven für neue Technologien (Technology Push) .............................................34 Innovationsanlässe aus der strategischen Geschäftsfeldplanung ..............................................................35 Anpassung an veränderte Umfeldbedingungen ......................38 Innovationsrate als strategische Vorgabe ................................39 Marketingstrategische Ziele in Innovationsprozessen ................................................ 39 Innovation als Marketingstrategie ................................. 43 Innovationen im Rahmen von Marktfeldstrategien...................43 Innovationen im Rahmen von Marktteilnehmerstrategien .......45 Innovationen im Rahmen von Markenstrategien .....................50 Strategische Erfolgsfaktoren marktorientierter Innovationsprozesse ...................................................... 52 Competitive Innovation Advantage (CIA)..................................53 3.Erfolgsfaktor Innovationsmarktforschung ..............................55 Erfolgsfaktor Lead-User Beteiligung und Open Innovation.......61 Erfolgsfaktor Innovationskultur .................................................64 Erfolgsfaktor Markteintrittszeitpunkt ........................................71 Timingstrategien ......................................................................73 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 4 MARKTORIENTIERTE GESTALTUNG VON INNOVATIONSPROZESSEN .................................... 78 4.1 4.2 Die Phasen des Innovationsprozesses ......................... 78 Beitrag des Marketing an der Innovationsgestaltung nach Phasen .................................................................. 81 Ideengenerierung .....................................................................81 Ideenkonkretisierung ................................................................90 Produktionsvorbereitung und Konzeptdefinition.......................97 Ideenbewertung/Projektselektion .............................................98 Marktorientiertes Management von Innovationsprozessen .................................................. 108 Prozesspromoting ..................................................................109 Prozesscontrolling ..................................................................112 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.2 5 VERMARKTUNG VON LEISTUNGSINNOVATIONEN ................................. 117 5.1 5.4 5.4.1 5.4.2 Übernahmebedingungen von Innovationen im Markt ....................................................................... 117 Die konsumentenseitige Übernahme von Innovationen im Markt .................................................................................120 Die Übernahme von Innovationen im Handel .........................120 Die Übernahme durch Institutionelle Kunden (Das Buying-Center Konzept).................................................122 Zielgruppenplanung vor der Markteinführung ............. 124 Identifikation der Zielgruppen.................................................125 Beschreibung der Zielgruppen ...............................................127 Marketing-Mix in der Einführungsphase...................... 128 Preispolitik: Skimming vs. Penetration ...................................128 Kommunikationspolitik in der Markteinführung ......................129 Distributionspolitik: handelsgerichtetes Marketing im Rahmen der Innovationseinführung .................................. 134 Controlling der Markteinführung .................................. 137 Kennzahlen des Markteinführungscontrollings ......................137 Instrumente des Markteinführungscontrollings ......................139 6 GLOSSAR ............................................................. 146 7 VERZEICHNIS DER VERWENDETEN LITERATUR .. 154 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 KAPITEL 1: EINFÜHRUNG IN DAS HANDLUNGSFELD INNOVATION UND MARKETING 1 EINFÜHRUNG IN DAS HANDLUNGSFELD INNOVATION UND MARKETING 1 EINFÜHRUNG IN DAS HANDLUNGSFELD INNOVATION UND MARKETING Wie kommt „das Neue“ in die Welt? Diese Frage erlaubt sicherlich eine Vielzahl von Antworten und lässt sich im Zusammenhang der betrieblichen Produkt- bzw. Dienstleistungsinnovation u. a. mit einem Kernzusammenhang beantworten: die Vielfalt von Erscheinungsformen und Akteuren eint unter anderem das Ziel der wirtschaftlichen Verwertung des „Neuen“. Innovation als betriebliches Handlungsfeld ist unmittelbar mit der Sicherung der betrieblichen Existenz- und Ertragsziele verbunden, wobei der Wettbewerb zwischen Marktanbietern den Antrieb zur Rivalisierung um die besseren Leistungen und Angebote schafft. Betriebliche Innovation zielt somit auf zukünftige Transaktionen in Märkten (oder auch innerhalb von und zwischen Organisationen), was die Frage nach der Bedeutung des Marketing im Innovationskontext grundlegend beantwortet. Mit dem vorliegenden Lehrskript „Innovation und Marketing“ wird das Thema Innovation als betriebliches Handlungsfeld in seinen vielfältigen Bezügen zur marktlichen und weiteren Umwelt rekonstruiert. Betriebliche Innovationstätigkeit wird aus einer isolierten Betrachtung herausgelöst und in den strategischen und operativen Bedingungsrahmen der marktorientierten Unternehmensführung eingebunden. So wird verdeutlicht, dass die Innovationstätigkeit von Unternehmen – unabhängig davon, ob der Anstoß aus dem Unternehmen oder aus dem Markt kommt – stets mit Austauschprozessen kommunikativer sowie ökonomischen Art (Transaktionen) verbunden ist. Innovationserfolg setzt somit eine aktive und begründete Gestaltung dieser Austauschbeziehungen im Prozess der Innovation wie auch in der anschließenden Marktphase voraus. Betriebliche Innovationsprozesse lassen sich im Kern als Prozesse der Formulierung, Evaluation und Umsetzung von Hypothesen kennzeichnen, nämlich Annahmen über den Zusammenhang zwischen zu gestaltenden Leistungsmerkmalen einerseits und manifesten oder latenten Bedürfnissen bzw. Bedarfen der Adressaten der Innovation andererseits. Dieser Hypothesencharakter des Innovationsgeschehens begründet auch ihr Risikopotenzial: die in der Literatur kommunizierten z. T. exorbitanten Flopraten belegen, dass es selbst höchst professionell geführten Unternehmen nicht gelingt, den spekulativen Charakter von Innovationsprozessen gänzlich abzuwenden. Wenn in diesem Skript in der Folge Rollen und Ansätze der Einbindung des Marketing im Innovationsgeschehen vorgestellt werden, dann geschieht dies bewusst nicht unter der Überschrift des „Innovationsmarketing“. Mit diesem Begriff wird (z. T. auch in der Fachliteratur) häufig nur eine mögliche Rolle des Marketing konnotiert – der Einsatz des Marketing bei der Markteinführung, also bei der Vermarktung der Innovation. Sollen Innovationsprozesse wirtschaftlich erfolgreich gestaltet werden, ist der Einsatz des Marketing am Ende des Prozesses zur Sicherung der „Leistungsverwertung“ sicherlich förderlich, doch stößt das Marketing bei nicht marktgerecht gestalteten Produkten schnell an seine (Wirkungs-)Grenzen. Aus diesem Grund ist es angezeigt, das Marketing als Funkti- INNOVATION UND MARKETING 8 1 EINFÜHRUNG IN DAS HANDLUNGSFELD INNOVATION UND MARKETING onsbereich frühzeitig – also schon bei der „Leistungsbegründung“ einzubeziehen, um die Marktfähigkeit des innovativen Leistungsangebots früh in den Phasen der Ideengewinnung und Leistungskonzeption sicherzustellen. Form und Intensität der Einbindung des Marketing sind dabei maßgeblich davon abhängig, welchen Grad der Marktorientierung die Bedingungen der jeweiligen Branche erzwingen. Marketing leitet sein Selbstverständnis als marktorientiertes Unternehmensführungskonzept aus der Voraussetzung ab, dass der Markt (und nicht z. B. die Produktion) den zentralen Engpassfaktor für die Unternehmensführung darstellt. Gerade in Konsumgütermärkten herrscht eine Käufermarktsituation vor, die ein Primat der Marktorientierung auch in der Innovationspolitik begründet. Unter diesen Bedingungen übernimmt das Marketing in der Praxis nicht nur eine „dienende“ Funktion im Innovationsgeschehen (z. B. durch die Lieferung von Marktdaten und Forecasts oder die Gestaltung der Markteinführung als „Verlängerung“ des Innovationsprozesses), sondern zeichnet häufig für die Initiierung und Koordination des gesamten Innovationsprozesses verantwortlich. Das Skript gliedert sich in vier weitere Kapitel, welche die unterschiedlichen Perspektiven und Erfolgsbedingungen des Marketingeinsatzes in Innovationsprozessen beleuchten: zunächst werden im zweiten Kapitel die Grundlagen des Marketing in Innovationsprozessen in Form einer phänomenologischen Systematisierung des Gegenstandsbereichs Innovation sowie einer Systematisierung der Aufgaben des Marketing in Innovationsprozessen gelegt. Das anschließende dritte Kapitel ist den marketingstrategischen Perspektiven von betrieblichen Innovationsprozessen gewidmet: hier wird präzisiert, dass (und wie) Innovationstätigkeiten in der unternehmerischen Praxis in der Regel in die strategische Unternehmens- und Marketingplanung eingebettet sind. Innovationsaktivitäten werden so als Ausdruck langfristiger Verhaltenspläne zur Umsetzung von Rentabilitäts-, Marktstellungs- und Marktleistungszielen erklärt und damit „Innovation als Marketingstrategie“ begründet und präzisiert. Ein Überblick über relevante Erfolgsfaktoren schafft die strategische Grundlegung für eine begründete Ausgestaltung des Marketing bei der Planung, Implementierung und Durchführung betrieblicher Innovationsprozesse. Mit dem Kapitel vier wird das engere Handlungsfeld der Produktinnovation aufgabenorientiert behandelt. Orientiert am Prozessmodell der Innovation stellt das Kapitel Ansätze und Methoden seiner Gestaltung durch das Marketing vor und präzisiert damit seinen operativen Beitrag. Im abschließenden Kapitel fünf steht im Kontext der Markteinführung schließlich die Aufgabe der Innovationsverwertung im Vordergrund. Das Kapitel stellt zunächst den Stand des Wissens zu Übernahmeentscheidungen auf Seiten der Konsumenten, des Handels sowie durch institutionelle Abnehmer (in Business-to-Business Märkten) vor. Auf dieser Grundlage werden vorbereitende Fragestellungen der Zielgruppenformulierung sowie anschließend die instrumentellen Perspektiven des Marketing-Mix in der Markteinführung einschließlich des Controlling diskutiert. Die Darstellungen in diesem Lehrskript erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Zu umfänglich ist das Themenfeld, das insbesondere durch eine Vielfalt an weiteren Spezifizierungen in unterschiedlichen Anwendungsfeldern (z. B. im Dienstleistungssektor oder dem Handel) gekennzeichnet ist; auch können INNOVATION UND MARKETING 9 1 EINFÜHRUNG IN DAS HANDLUNGSFELD INNOVATION UND MARKETING nicht alle Markt- und Branchenbesonderheiten umfassend abgehandelt werden. Der Schwerpunkt des Lehrskripts liegt auf der grundsätzlichen Klärung und Vermittlung des Marketingbeitrags zu betrieblichen Innovationsprozessen, wobei die Darstellung über weite Strecken den Gegenstand der Leistungsinnovation, also der Innovation von physischen Produkten wie auch der Innovation von Dienstleistungen gewidmet ist. Der Marktbezug ist primär im Konsumgütermarkt zu verorten, wenngleich mehrfach auch Besonderheiten in Investitionsgütermärkten thematisiert werden. Das Modul hat folgenden didaktischen Aufbau: Vorangestellt sind jedem Kapitel bzw. Abschnitt die Lernziele. Sie beschreiben, welche Kenntnisse und Fähigkeiten Sie nach dem Durcharbeiten des jeweiligen Kapitels erworben haben sollten. Die Darstellung des Themas erfolgt in einem Basistext mit Grafiken, Tabellen und Praxisbeispielen, die die grundlegenden Zusammenhänge anschaulich machen und das Verständnis erleichtern. Schlüsselworte finden Sie am Ende des Skripts im Glossar erläutert, da diese im Text den Lesefluss stören würden. Sie sollten sich diese Fachbegriffe bei der Durcharbeitung der Texte erarbeiten, weil sie sich von der Alltagssprache unterscheiden. Gleiche Begriffe können in unterschiedlichen Kontexten/ wissenschaftlichen Disziplinen eine andere Bedeutung aufweisen. Die Kenntnis beider Sprachstile (Fach- und Alltagssprache) vermeidet Verständigungsschwierigkeiten und vermittelt Sicherheit. Aufgaben zur Lernkontrolle am Ende jedes inhaltlichen Abschnitts helfen Ihnen zu kontrollieren, ob Sie das Gelesene verstanden und gelernt haben. Aufgaben mit Bezug zur eigenen Berufstätigkeit haben hier nochmals die Funktion, Ihre beruflichen Erfahrungen im Kontext des Themas zu reflektieren. Sie sollen einen Bezug zum Gelernten herstellen und es soll Ihnen so ermöglicht werden, sich kritisch und praxisnah mit der Thematik auseinander zu setzen. Literatur zur Vertiefung. Dabei handelt es sich um: Literatur (Lehrbücher), die Sie sich ggf. anschaffen oder in der UNIBibliothek ausleihen können, Hinweise auf Aufsätze, die speziellere Themen und Aspekte behandeln. Internetrecherchen. Verzeichnis der zitierten Literatur. Im Anhang des Moduls finden Sie ein vollständiges Verzeichnis der zitierten Literatur. Auf die dort angegebenen Quellen sollten Sie zurückgreifen, wenn Sie bestimmte Aspekte oder Fragestellungen, die im Basistext angesprochen wurden, eigenständig weiter vertiefen möchten. INNOVATION UND MARKETING 10 1 EINFÜHRUNG IN DAS HANDLUNGSFELD INNOVATION UND MARKETING Online-Aufgaben. Auf der Lernplattform finden Sie Online-Aufgaben zur Überprüfung des Gelernten. Die Aufgaben sollen Ihnen helfen, verbliebene Wissenslücken sowie Unsicherheiten aufzudecken und Ihr weiteres Lernen zu orientieren. Sie erhalten auf Ihre Antworten ein Feedback des Mentors bzw. der Mentorin. Die Bearbeitung dieser Aufgaben wird benotet. INNOVATION UND MARKETING 11 KAPITEL 2: GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN Lernziele dieses Abschnitts Der Abschnitt soll Ihnen einen Überblick über die grundsätzlichen Aufgaben des Marketing im Innovationsprozess geben. Sie sollen in die Lage versetzt werden, Innovationen nach den jeweiligen Objektbereichen und Innovationsgraden zu differenzieren. Sie sollen die Rolle des Marketing beim Schnittstellenmanagement im Innovationsprozess sowie die grundsätzlichen Anforderungen an die Vermarktung von Leistungsinnovationen kennenlernen. 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN Das Thema Innovation beschäftigt die Marketingwissenschaft besonders intensiv und dauerhaft. Ein zentrales Motiv ist das Erkenntnisziel, Zusammenhänge zwischen Innovationstätigkeit und betriebswirtschaftlichen Erfolgsgrößen aufzuklären. Vor allem der Zusammenhang zwischen Unternehmenswachstum und Leistungsinnovation erfordert komplexe Erklärungsansätze, um begründete Handlungsempfehlungen für Innovationsakteure formulieren zu können. Vor diesem Hintergrund hat es sich die Marketingwissenschaft seit einigen Jahren zur Aufgabe gemacht, Marketingaktivitäten sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene am Innovationsprozess auszurichten und diesen gleichzeitig aktiv und gestalterisch aus einem Selbstverständnis konsequenter Marktorientierung zu beeinflussen. Dieser Teil des Skripts liefert zunächst eine Einführung in die zentralen Begriffe und Phänomene des Problembereichs marktorientierter Innovation (2.1). Anschließend bietet das Kapitel einen Überblick über die Bedeutung und die Aufgaben des Marketing in Innovationsprozessen (2.2). Hier werden die Verantwortungsbereiche der Beschaffung marktseitiger Informationsgrundlagen (2.2.1), der marktorientierten Koordination des Innovationsprozesses (2.2.2) sowie der Vermarktung von Leistungsinnovationen (2.2.3) vorgestellt. Das Kapitel hat somit primär die Zielsetzung, in die Aufgaben des Marketing im Innovationsgeschehen einzuführen und ein grundlegendes Verständnis für das Beziehungsfeld Innovation und Marketing zu schaffen. 2.1 Phänomenologie der betrieblichen Leistungsinnovation Zum Begriff ‚Innovation’ existiert in der Literatur eine Vielzahl an unterschiedlichen Ansätzen. Dabei basieren die unterschiedlichen Ansätze auf unterschiedlichen Blickwinkeln, aus denen heraus die Begriffsdefinitionen vorgenommen wurden (vgl. Steinhoff, 2006, S. 15; Talke, 2005, S. 22). Insbesondere unterscheidet man eine objekt-, prozess- und subjektbezogene Betrachtungsweise, die nachfolgend in Bezug auf spezifische Marketingbezüge dargestellt werden sollen. 2.1.1 Objektbezogene Dimension der Innovationen (Gegenstand) Bei der objektbezogenen Dimension des Innovationsverständnisses steht das Innovationsobjekt und damit die Frage ‚Was ist neu?’ im Mittelpunkt (vgl. Hofbauer et al., 2009, S. 35; Steinhoff, 2006, S. 16). Das Neue kann sich dabei sowohl auf Produkte als auch Prozesse beziehen. Unter Produktinnovationen versteht man die erfolgreiche Einführung neuer oder verbesserter Produkte, die Kunden einen kaufentscheidenden Nutzen stiften (Vgl. Disselkamp, 2005, S. 20). Produkte umfassen hierbei nicht nur materielle, INNOVATION UND MARKETING 13 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN sondern auch immaterielle Leistungen des Unternehmens (vgl. Weishart, 2008, S. 57). Die Bestrebungen zur Entwicklung neuer Produkte können sowohl aus einer strategischen Notwendigkeit (Abwendung von Schrumpfungsphasen durch den Austausch alter Produkte) als auch aus einer proaktiven Erschließung von Wachstumsmöglichkeiten erwachsen (vgl. Brockhoff, 1995, S. 987). Der Bedeutung von Produktinnovationen für den Unternehmenserfolg stehen allerdings hohe Entwicklungsaufwendungen und beachtliche Scheiterrisiken gegenüber. Im Konsumgüterbereich überleben nur ca. 10-30% der Produktinnovationen das erste Lebensjahr (vgl. Kuhn, 2007, S. 3). Dem Marketing kommt zur Verbesserung der Erfolgsraten eine tragende Rolle zu. Das Marketingaufgabenfeld erstreckt sich bspw. über die Bereitstellung relevanter Markt-, Wettbewerber- und Zielgruppeninformationen, die Schaffung einer kaufrelevanten und wettbewerbsdifferenzierten Marktpositionierung oder die effiziente Planung und Ausführung des Einführungsmarketings. Beispiel: 1897 erfindet Felix Hoffmann ein weißes Pulver – Acetylsalicylsäure – der Beginn eines Siegeszuges der Firma Bayer gegen den Schmerz. Heute ist das unter der Marke Aspirin geführte Medikament das meist verkaufte Präparat (vgl. Deutsche Stars: 50 Innovationen, die jeder kennen sollte, o.J., S. 8). Prozessinnovationen bezeichnen Neuerungen im betrieblichen Leistungserstellungsprozess. Mit diesen Innovationen wird eine kostengünstigere, qualitativ hochwertigere, sichere oder schnellere Erstellung anvisiert (vgl. Hofbauer et al., 2009, S. 35; Trommsdorff/Steinhoff, 2007, S. 27; Benkenstein, 2002, S. 150). Die Optimierung von Leistungsprozessen beruht hierbei auf veränderten Faktorkombinationen, die es erlauben, Geschäftsprozesse effizienter und/oder effektiver zu gestalten. Auch die Entwicklung neuer Management- oder Organisationsmethoden wird als Prozessinnovationen bezeichnet (vgl. Steinhoff, 2006, S. 16f.). Beispiel Prozessinnovationen: Tabelle 1: Prozessinnovationen; Quelle: imatec, Vortrag am Tag der offenen Labore, Hochschule Regensburg, 2009, o.S. INNOVATION UND MARKETING 14 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN Produkt- und Prozessinnovationen stehen oft in Wechselbeziehung zueinander und bedingen sich häufig gegenseitig, so dass Innovationserfolg nicht selten nach einer Verknüpfung beider Innovationsformen verlangt (vgl. Hofbauer et al., 2009, S. 36). So haben Produktinnovationen in vielen Fällen Fertigungsinnovationen zur Folge, damit das neue Produkt überhaupt erst zu marktfähigen Kosten erstellt werden kann. Durch neue Prozesse wiederum können erst neue Produkte hergestellt werden. Als Beispiel lässt sich hier die Entwicklung der ersten „echten“ Digitalkamera für den Consumer-Bereich von Casio anführen. Die Entwicklung der digitalen Bildverarbeitung und Speicherung für die professionelle Anwendung bewirkte nicht nur die Entwicklung neuer Fertigungsprozesse; durch Erweiterung des Anwendungsbereichs auf private Nutzer in Form der Digitalkamera ließen sich neue Märkte erschließen mit der Folge weitreichender Umwälzungen und Machtverschiebungen innerhalb einer gesamten Branche (vgl. Hofbauer et al., 2009, S. 36 und Weishart, 2008, S. 58f.). 2.1.2 Prozessbezogene Dimension der Innovationen (Ablauf) Aus einer prozessbezogenen Perspektive beschreibt der Innovationsbegriff den Ablauf betrieblicher Innovationen, der üblicherweise in Phasen abgebildet wird (vgl. Trommsdorff, 1991, S. 179). In der Literatur existieren hierzu unterschiedliche Phasenschemata, wobei die Mehrzahl der diskutierten Schemata den Innovationsprozess als Planungsprozess verstehen, der über 3 sequentiell ablaufende Phasen verläuft (s. Abb. 1). Dabei stellen die einzelnen Phasen jeweils unterschiedliche Anforderungen an das Marketing, auf die in Kapitel 4 und 5 näher eingegangen wird. Prozessphase 1. Phase (s. Kap. 4) 2. Phase (s. Kap. 4) 3. Phase (s. Kap. 5) Phaseninhalt Initiierung des Innovationsvorhabens Ideengewinnung und -konkretisierung Identifizierung und Analyse technischer und marktseitiger Anwendungsmöglichkeiten Entwicklung und Test von innovativer Lösungen Bewertung von Innovationsalternativen Festlegung Produktdesign und -funktion Planung und Durchführung von Markteinführungsaktivitäten Abbildung 1: Phasen des Innovationsprozesses; Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Talke, K. (2005), S. 23. 2.1.3 Subjektbezogene Dimension der Innovationen (Adressat) Neben der Unterscheidung des Innovationsgegenstands und des Ablaufs von Innovationsprozessen können Innovationen auch nach dem Subjekt – d.h. für wen ist die Innovation neu – differenziert werden. Diese Perspektive ist für das Marketing naturgemäß besonders bedeutsam, lässt sie doch wichtige Aufschlüsse INNOVATION UND MARKETING 15 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN über spezifische Bedürfnisorientierungen und Zielgruppenansprache im Rahmen der Innovationsgestaltung und -vermarktung zu. Aus Unternehmenssicht liegt eine Innovation dann vor, „wenn Produkte oder Verfahren grundsätzlich neu sind und/oder erstmalig eingeführt wurden, unabhängig davon, ob sie von anderen bereits in vergleichbarer Form angeboten und/oder verwendet werden“ (Hofbauer et al., 2009, S. 36). Aus Managementsicht ist es dabei unerheblich, ob man vom Wettbewerber auch als innovativ wahrgenommen wird oder nicht. Entscheidend ist die Wahrnehmung der Nachfrager, da sie mit ihren Kaufentscheidungen den Erfolg und Misserfolg der Innovation beeinflussen. Aus Nachfragersicht definiert sich Innovation über den Grad der wahrgenommenen Neuartigkeit einer Leistung in Bezug auf Umfang und Qualität seines Problemlösungspotenzials und Nutzenstiftung für bestehende oder neue Nutzungszusammenhänge. So können z. B. Innovationen somit als Fortschritt bei der privaten Haushaltsführung durch effizientere oder effektivere Haushaltsgeräte begründet sein, wie auch gleichermaßen durch ihr Potenzial, neue, bisher unbekannte Konsummöglichkeiten und Nutzen zu erschließen (wie die Einführung der Datenverarbeitung im Haushalt durch Personal Computer). Der Maßstab für die Beurteilung der Neuartigkeit liegt somit nicht in der technologischen Novität begründet, sondern basiert auf der subjektiven Wahrnehmung des jeweiligen Individuums. So kann ein Teil der Nachfrager die neue Leistung als Innovation auffassen, während für einen anderen Teil die Leistung bereits bekannt ist oder lediglich als Leistungsverbesserung wahrgenommen wird (vgl. Hofbauer et al., 2009, S. 36). Verknüpft man die Beurteilung der Innovation aus Unternehmenssicht mit der aus Nachfragersicht, lassen sich 6 Innovationsformen unterscheiden, die jeweils spezifische Herausforderungen an das Marketing stellen (s. Abb. 2). Abbildung 2: Systematisierung von Produktinnovationen; Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hofbauer et al. 2009, S. 37. INNOVATION UND MARKETING 16 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN Aufbauend auf die gewonnenen Erkenntnisse stellt sich die Frage, wie der Grad der Innovation systematisch erfasst werden kann. Der folgende Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über die verschiedenen Ansätze zur Bestimmung des Innovationsgrades. 2.1.4 Differenzierung nach Grad und Höhe von Innovationen Der Innovationsgrad beschreibt das Ausmaß der Unterschiedlichkeit einer Leistungsinnovation im Vergleich zu bisherigen Produkten und angewandten Verfahren (vgl. Schlaak 1999, S.33). Für die empirische Ermittlung des Innovationsgrads wird die Innovation mit bereits existierenden Leistungen verglichen (vgl. Schlaak 1999, S.16). Der Grad der Innovation wird im einfachsten Falle nominal über die Ausprägungen „inkrementelle Innovation“ und „radikale Innovation“ abgebildet. Tatsächlich wird der Innovationsgrad jedoch im Allgemeinen als ein multidimensional bestimmtes, graduelles Maß aufgefasst, so dass er als Kontinuum abgebildet werden muss, für den es nachvollziehbare Messwerte zu entwickeln gilt (vgl. Hauschildt 2004, Schlaak 1999; Garcia/Calantone 2001). Eine verbreitete Möglichkeit zur Definition des Innovationsgrades bietet eine Differenzierung in Markt- und Technologieinnovationen. Produkte oder Leistungen, die durch einen hohen Marktinnovationsgrad (etablierte Mittel für neue Zwecke/Bedarfe) gekennzeichnet sind, führen nicht selten zu Verschiebungen der Konstellationen und Kräfte auf den betroffenen Märkten (bspw. die Nutzung von Telefonleitungen zur Datenübertragung). Technologieseitige Innovationen werden häufig durch den Einsatz neuer Technologien hervorgerufen (neue Mittel für bestehende Zwecke/Bedarfe) (bspw. Elektroauto). Bei radikalen Innovationen findet eine Kombination neuer Bedarfe und neuer Mittel statt. Sie sind sowohl marktseitig als auch technologieseitig absolut neuartig und müssen nach Dahlin und Behrens drei Kriterien genügen: Die Innovation ist absolut neuartig und weist keinerlei Ähnlichkeit zu bereits am Markt eingeführten Innovationen auf. Die Innovation muss absolut einzigartig sein und darf keinerlei Ähnlichkeit zu früheren Innovationen aufweisen. Die Innovation muss vom Konsumenten adoptiert werden (vgl. Dahlin/Behrens 2005). Die Markteinführung radikaler Innovationen kann bestehende Wertschöpfungsketten zerstören und gleichzeitig neue erschaffen (bspw. Digitalkamera) (Vgl. Trommsdorff/Steinhoff 2007, S.33). In der Literatur lassen sich weitere Ansätze zur Bestimmung des Innovationsgrades finden. Diese unterscheiden sich hauptsächlich nach der Bezugseinheit, aus deren Sicht der Innovationsgrad bestimmt werden soll. Unterschieden wird in diesem Zusammenhang üblicherweise zwischen einer Mikro- und einer Makroperspektive. Garcia und Calantone beschreiben Innovationen auf Mikroebene als INNOVATION UND MARKETING 17 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN unternehmenssubjektive Neuerungen, während auf der Makroebene Neuerungen aus Sicht des Marktes (Konsumenten) bzw. der Wettbewerber abgebildet werden (Vgl. Hauschildt 2004, S.22). Weiterhin integrieren Garcia und Calantone die Frage, ob eine Innovation neues Marktwissen und/oder Technologiewissen erforderlich macht. Inkrementell sind demnach Innovationen, die nur für das Unternehmen bzw. dessen Konsumenten neu sind. Radikale Innovationen führen sowohl auf der Mikroebene zu Marketing- und Technologiediskontinuitäten als auch zu Veränderungen auf der Makroebene, d. h. nicht nur die innovative Leistung löst bestehende Angebote im Markt ab, sondern auch leistungsbegleitende Prozesse wie z. B. das Marketing und auch Märkte wandeln sich signifikant (Vgl. Garcia/Calantone 2002, S.117ff.). „Nur wenige Innovationen, wie z.B. das World Wide Web, führen zu nachhaltigen Veränderungen in allen Kriterien.“(Trommsdorff/Steinhoff 2007, S.35). Innovationstypen Level Makro Mikro Marketing Diskontinuität Technologische Diskontinuität Marketing Diskontinuität Technologische Diskontinuität Inkrementale Innovation Echte Innovation (wirklich neu) Typ I Typ I Typ II Typ III Typ II Typ III x x Typ IV x x x „Health Foods“ Beispiele x x x Bordcomputer im Automobil BMW M5 Diesellokomotive Concorde x x x x x x x x Hummer Jeep Sony Walkman Faxgerät Internet Telefon Elektronen Mikroskop Telegraph Düsengetriebene Passagierflugzeuge x x Laserdrucker Abbildung 3; Quelle: Trommsdorff 2007, S. 35. Ein weiteres Konzept zur Messung des Innovationsgrades, das in der empirischen Forschung häufig Verwendung findet, stammt von Schlaak und orientiert sich stark an der Innensicht des innovativen Unternehmens (Mikroperspektive). Schlaak misst den Innovationsgrad in seinem Modell anhand der Dimensionen Technik/Produktion, Absatz/Ressourcen und Struktur durch sieben Faktoren mit 245 Indikatoren (siehe auch Schlaak/ Hauschild 2001). (Vgl. Abb. 4). INNOVATION UND MARKETING Radikale Innovation Typ I 18 Dampfmaschine 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN Dimen_sionen Faktoren Produkttechnologie Technik und Produktion Produktionsprozess Beschaffungsbereich Absatzmarkt Absatz und Ressourcen Kapitalbedarf Formale Organisation Struktur Informale Organisation Indikatoren Verkürzte Skala Technologisches Wissen Produkttechnologie Produkttechnik “Die in die Produktneuheit eingegangene Technologie ist für unser Unternehmen sehr neu gewesen.” (Technologisches Wissen) Technische Komponenten Produktionsanlagen Produktionsmontageverfahren Produktionsverfahren Lieferantenverhalten Materialien Lieferbeziehungen Vertrieb Kunden Kommunikation Marketing-Kosten F&E-Kosten Investitionen im Produktionsprozess Bildung einer Organisationseinheit Produktmanager Unternehmenskultur Soziales Verhalten Soziale Fähigkeiten Managementwissen Wertvorstellungen Strategie Produktbereich “Die benötigten Produktionsanlagen waren unserem Unternehmen weitestgehend nicht vorhanden.” (Produktionsanlagen) “Das Verhalten der Lieferanten, die die Materialien für die Produktneuheit liefern, ist sehr schlecht vorhersagbar gewesen.” (Lieferantenverhalten) “Die Produktneuheit hat den Einsatz von Vertriebskanälen verlangt, mit denen wir zuvor wenig Erfahrungen hatten.” (Vertrieb) “Die Marketing-Kosten für die Produktneuheit haben neue, bisher nicht gekannte Kosten erreicht.” (Marketing-Kosten) “Die Notwendigkeit, für die Produktneuheit eine eigenständige Abteilung oder Gruppe zu bilden, ist sehr groß gewesen.” (Bildung einer Organisationseinheit) “Die Entwicklung, die Einführung und der Verkauf der Produktneuheit hat die bisher in der Firma vorhandene Kultur sehr stark verändert.” (Unternehmenskultur) Abbildung 4: Operationalisierung des Innovationsgrades; Quelle: Schlaak 1999. Der Grad der Innovation kann zudem durch Verhaltensänderungen in der Nutzung oder geistigen Anstrengung, bedingt durch die Komplexität der Innovation, gemessen werden. In diesem Fall können qualitative Messmethoden eingesetzt werden, wie bspw. Beobachtungen durch Videoaufzeichnungen und anschließende Befragungen des Konsumenten (eine Übersicht neuerer Ansätze zur Ermittlung des Innovationsgrades findet sich bei Billing 2003, S.23). INNOVATION UND MARKETING 19 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Innovationsgrad allgemein mit dem Umfang der Neuartigkeit der Leistung und der damit verbundenen Änderungen im Markt steigt. „Bei einer radikalen Innovation sind alle Dimensionen höchst neuartig. Bei einer inkrementalen Innovation sind die technologische und die Kundengruppendimension nur unwesentlich verändert. Die Innovation besteht dann allenfalls in einer neuen Kombination von Zweck und Mittel oder in einem verbesserten Zweck/Mittel-Verhältnis.“ (Trommsdorff/Steinhoff 2007, S.36). Grad der Neuigkeit Objektiv inkrementale Produktinnovation Produktinnovation mit mittlerem Innovationsgrad Variation Erweiterung der Produktlinie Neues Produkt in bestehender Linie Leichte Modifikation Objektiv radikale Produktinnovatio n Revolutionäre Entdeckung Produktinnovation im weiteren Sinne Abbildung 5: Innovationsgrade; Quelle: Trommsdorff/Steinhoff 2007, S.37. In Anbetracht der unterschiedlichen Messmethoden zur Feststellung des Innovationsgrades ist es zwangsläufig, dass Messergebnisse voneinander abweichen und durch die Wahl der Vorgehensweise beeinflussbar sind. Dies ist bei dem Vergleich von konkreten Aussagen über Innovationsgrade stets zu berücksichtigen. Die Bestimmung des Innovationsgrades ist vor allem bedeutsam, weil der Zusammenhang zwischen Grad der Innovation und Innovationserfolg empirisch nachgewiesen ist (vgl. hierzu Kapitel 5.4). 2.2 Aufgaben des Marketing in Innovationsprozessen Die Rolle des Marketing für innovative Produkte und Leistungen umfasst die zielgerichtete und aktive Gestaltung aller Marketingaktivitäten im Rahmen des Bezugs, der Erstellung und Vermarktung von Innovationen. Die folgenden Ausführungen sind genereller Art und vor allem an den Bedingungen der Innovation im Konsumgüterbereich orientiert. Der Stellenwert des Marketing im Innovationsprozess wurde in den letzten Jahrzehnten in der Literatur kontrovers diskutiert. Mittlerweile herrscht jedoch weitestgehend Konsens darüber, dass die Integration des Marketing eine unverzichtbare Voraussetzung für Innovationserfolge ist. Verschiedene empirische Studien konnten den Ein- INNOVATION UND MARKETING 20 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN fluss des Marketing auf den Innovationserfolg nachweisen (Vgl. hierzu grundlegend Hausschild 1997). Der Einsatz des Marketing kann sich dabei zum einen an der Erfüllung genereller Innovationsziele orientieren. Zentrales Ziel des Marketing in Innovationsprozessen ist aus dieser Sicht die Ausrichtung absatzmarktorientierter Maßnahmen an den generellen strategischen Innovationszielen. Diese Rolle des Marketing ist abgeleitet aus dem Innovationsprojekt und prinzipiell unterstützender Art: das Marketing zeichnet verantwortlich für die Verwertung des Innovationsergebnisses im Markt (z. B. durch den Marketingeinsatz bei der Markteinführung, siehe auch Kapitel 5). Empirisch lässt sich zeigen, dass dieses Verständnis des Marketingeinsatzes in Innovationsprojekten insbesondere in klein- und mittelständischen Unternehmen stark technologiegetriebener Märkte vorherrscht. Inzwischen hat sich allerdings in vielen Branchen die Erkenntnis durchgesetzt, dass der angestrebte Innovationserfolg vor allem in einer konsequenten Marktorientierung des Innovationsprozesses begründet ist. Mit anderen Worten sind aus dieser Perspektive die Rollen des Marketing und der Innovationspolitik umzukehren: die Innovationstätigkeiten der Unternehmen werden konsequent aus Marktbedingungen und -zielen abgeleitet, d. h. das strategische Marketing definiert maßgeblich Anlässe, Ziele und Maßnahmen im Rahmen der Innovationstätigkeit und verantwortet die marktorientierte Koordination der Innovationsprozesse. Marktbezogene Ziele können u. a. die Gewinnung von Marktanteilen und Markentreue oder die Entwicklung eines Produktimages sein. Generell stehen im Mittelpunkt dieser Rollenbeschreibung des Marketing sowohl die Evaluation und Gestaltung der Außenbeziehung (bspw. zu Kunden und Lieferanten) als auch die Steuerung der internen Aktivitäten (bspw. Schnittstellenmanagement) (vgl. Sattler/ Schrader 1995, S.996; Song et al. 1998, S.289). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Innovationsmarketing nicht nur die Markteinführung des neu erstellten Produktes oder Leistung umfasst, sondern als unternehmensübergreifende Querschnittsfunktion den gesamten Innovationsprozess begleitet (Vgl. Trommsdorff/Steinhoff 2007, S.4). Die Aktivitäten des Marketing können sich sowohl auf die Entwicklung als auch die Vermarktung der Innovation beziehen. Je nachdem für welches Subjekt eine Innovation neu ist, kann man unterschiedliche Bedeutung der Marketing-Aktivitäten im Innovationsprozess ableiten (Abbildung 6). Neu für Hersteller Neu für Kunden Nein Ja nein Kein Innovationsmarketing notwendig Beschaffung und Entwicklung von Innovationen ja Vermarktung von Innovationen Beschaffung, Entwicklung und Vermarktung von Innovationen Abbildung 6: Schwerpunkte des Innovationsmarketing in Abhängigkeit vom Neuigkeitsgrad der Innovation; Quelle: Sattler/Schrader 1995, S.998. INNOVATION UND MARKETING 21 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN Studien zeigen, dass weder die Konzentration auf den Bereich Forschung und Entwicklung, noch eine alleinige Ausrichtung auf die Vermarktung der Innovation erfolgversprechend scheint. Vielmehr erhöht die Integration der verschiedenen Teilbereiche (bspw. Marktforschung, Produktentwicklung, Kommunikation, Controlling) die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Innovationsprozesses (Vgl. Köhler 1993). „Das Innovationsmarketing beschränkt sich also nicht nur auf die Einführung von Innovationen am Markt, sondern erfolgt begleitend zum gesamten Innovationsprozeß.“(Sattler/Schrader 1995, S.996). Im Rahmen des technologischen Innovationsparadigmas wird bis heute in weiten Teilen der Theorie und Praxis die Position vertreten, dass erfolgreiche Innovationen durch technologische Inventionen generiert werden („technology-push“). Gegner dieser Position setzen genau an dieser Stelle an und werfen die Frage auf, ob nicht vielmehr vorhandene Bedürfnisse im Markt der Auslöser für Innovation seien („need-pull“). Im Rahmen dieser klassischen Push-Pull-Diskussion hat sich die empirische Innovationsforschung intensiv mit der Sicherung von Markt- und Kundenorientierung im Innovationsprozess beschäftigt. Konsens besteht heute darüber, dass erfolgreiche Innovationen das Ergebnis einer Kombination von „technology-push“ und „need-pull“ in Form einer „balanced strategy“ sind (Vgl. Haedrich/ Tomczak 1996). In den folgenden Abschnitten werden die wesentlichen Aufgaben des Marketing in Innovationsprozessen gegliedert nach den Aufgaben „Beschaffung marktseitiger Informationsgrundlagen“, „Marktorientierte Koordination von Innovationsprozessen“ und „Vermarktung von Leistungsinnovationen“ einführend erläutert. 2.2.1 Beschaffung marktseitiger Informationsgrundlagen Das zentrale Problem des Innovationsprozesses ist die Unbestimmtheit der zu entwickelnden Innovation im Hinblick auf die Kunden- bzw. Marktbedürfnisse. Aus diesem Grund ist die Generierung marktseitiger Informationsgrundlagen von besonderer Bedeutung für die Entwicklung von Leistungsinnovationen. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, während des gesamten Innovationsprozesses marktseitige Informationsgrundlagen bereitzustellen und Entscheidungen im Rahmen des Innovationsprozesses an die jeweilige Marktsituation anzulehnen. Idealtypisch durchlaufen Märkte bzw. Marktsegmente (ähnlich wie Produkte) einen Lebenszyklus, bestehend aus den Phasen Einführung, Wachstum, Reife, Sättigung und Degeneration. Abhängig von der Phase des Marktes bestehen unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen, die einen erheblichen Einfluss auf das realisierbare Marktpotenzial haben. Das Marktpotenzial lässt sich dabei als die Bedürfnisse definieren, die mit Kaufkraft versehen sind und die eine Unternehmung durch Leistungsinnovationen befriedigen kann. Junge Märkte sind in der Regel gekennzeichnet durch hohe Wachstumspotenziale, wohingegen reife Märkte ein wesentlich geringeres Wachstumspotential bieten. Allerdings ist das FlopRisiko in jungen Märkten meist größer, da hier i.d.R. wenig belastbare Informationen und Erfahrungen zu technologischen, strategischen und kaufverhaltensbe- INNOVATION UND MARKETING 22 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN zogenen Handlungsansätzen vorhanden sind. In etablierten Märkten ist diese Informationsunsicherheit naturgemäß geringer, dafür müssen sich Unternehmen in dieser Marktphase mit den Abwehr- und Verdrängungsstrategien der Konkurrenten stellen (vgl. Meffert et al. 2008 S.54). Die Generierung von Informationen bzw. der Aufbau von Informationssicherheit über Bedürfnisse und Marktbedingungen erfolgt durch den Einsatz unterschiedlicher Verfahrensweisen und Methoden (näheres in den Kapiteln drei und vier). In der Regel reicht eine alleinige Kundenorientierung nicht aus, um die marktseitige Wissensbasis angemessen sicherzustellen. Neben der Bedarfs- und Akzeptanzforschung zählt deshalb die Konkurrenz- und Umfeldforschung zu den weiteren Aktionsfeldern der Innovationsmarktforschung. In vielen Unternehmen sind dafür die eigene Marktforschungsabteilung oder externe Marktforschungsinstitute zuständig. „Die Analyse der – offenkundigen, latenten und zu weckenden oder gar neu zu prägenden – Marktbedürfnisse, deren Wichtigkeit und Nutzenhöhe ist Aufgabe der Innovationsmarktforschung.“ (Trommsdorff/Steinhoff 2007, S.46). Allerdings werden im Rahmen der Marktforschung häufig nur aktuelle Bedürfnisse aufgedeckt. Für die Entwicklung innovativer Leistungen ist jedoch das Wissen um die potenziellen Bedürfnisse und Erwartungen der Konsumenten in der nahen Zukunft von Bedeutung. Verbraucher sind i. d. R. aber nicht in der Lage, Auskunft über ihre zukünftigen Präferenzen zu geben. Auch im Hinblick auf das zukünftige Wettbewerbsverhalten stellen sich für die Innovationsmarktforschung massive methodische Probleme: Innovationsstrategien der Konkurrenten – insbesondere wenn sie Ausdruck langfristiger Marktstrategien sind – werden in der Regel geheim gehalten. Das Wettbewerberverhalten kann deshalb nur auf Indikatoren gestützt prognostiziert werden und bleibt deshalb stets mit schwer einzuschätzenden Fehlerraten verbunden. Zusätzlich stellt die Marktstruktur eine wesentliche Herausforderung für die Generierung marktseitiger Informationen dar: bestehende Macht- und Beziehungsstrukturen zwischen den Marktakteuren, wie bspw. Lieferanten, Absatzmittlern, Endkunden und Konkurrenten müssen bei der Beschaffung von Informationsgrundlagen beachtet werden (Vgl. Porter 1998). Die Generierung marktseitiger Informationen ist daher grundsätzlich mit großen Unsicherheiten verbunden. Aus diesem Grunde bedarf es zukunftsorientierter Forschungskonzepte der Innovationsbedarfs- und der Trendforschung. Hierbei setzen Unternehmen häufig komplexe Methoden ein, die ihre Ursprünge in den sozialwissenschaftlichen bzw. sozio-psychologischen Wissenschaftsdisziplinen haben. Trommsdorff fordert in diesem Zusammenhang, dass die „Marktforschung […] sich daher nicht allein auf standardisierte Anwendungen des klassischen Methodenarsenals verlassen [soll], wie es in Lehrbüchern der Marktforschung dargestellt wird. Dazu ist der zu erforschende Markt für ein neues Produkt meist noch zu diffus, besteht vielleicht noch gar nicht.“ (Trommsdorff/ Steinhoff 2007, S.210). INNOVATION UND MARKETING 23 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN 2.2.2 Marktorientierte Koordination des Innovationsprozesses Bei Innovationsprozessen handelt es sich um komplexe Querschnittsaufgaben, für deren Bearbeitung eine übergreifende Zusammenarbeit verschiedener Funktionsbereiche notwendig ist. Diese funktionale Aufteilung der verschiedenen Aufgaben im Innovationsprozess führt je nach Komplexität und Unsicherheit der Innovationsaufgabe zu einem hohen Koordinationsaufwand. Das Ziel der koordinativen Maßnahmen ist dabei die effiziente Durchführung des Innovationsprozesses (vgl. Song et al. 1998, S. 290). In hoch kompetetiven Märkten verbindet sich diese Koordinationsaufgabe mit der Anforderung, Marktorientierung als Imperativ im gesamten Prozess der Innovationsplanung und -gestaltung sicherzustellen, weshalb hier dem Marketing die zentrale Koordinationsverantwortung zugemessen wird. Dem institutionellen Ansatz folgend, werden Funktionsbereiche als Akteure verstanden, denen bestimmte Aufgaben zugeordnet werden. Der Funktionsbereich Forschung und Entwicklung (F&E) übernimmt im Innovationsprozess die systematische Generierung von Wissen, welches zur Entwicklung und Einführung von innovativen Leistungen nötig ist (Vgl. Benkenstein 1987, S.12). Dabei können sich die F&E-Aktivitäten sowohl auf die Produkt- als auch auf die Prozessentwicklung konzentrieren. Der Unternehmensbereich Produktion umfasst alle Aktivitäten und Maßnahmen, die die Planung, Umsetzung und Herstellung der Innovation im Rahmen eines Produktionsprogrammes beinhalten. Hierzu zählen u.a. die Planung von Fertigungskapazitäten, die Entwicklung fertigungstechnischer Lösungen, die Qualitätssicherung und die Entwicklung von Prototypen (vgl. Song et al. 2001, S.259). Der Funktionsbereich des Marketing lässt sich in strategische und operative Aufgabenfelder unterteilen. Auf strategischer Ebene soll das Marketing neue Produkt-Markt-Kombinationen evaluieren, um darauf aufbauend strategische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Die Ausgestaltung des Marketing-Mix erfolgt dann entsprechend der gewählten Marketingstrategie. Für den Innovationsprozess spielt hier die Produktpolitik eine besondere Rolle, da sie sich mit der marktorientierten Entwicklung von Produkten und Produktprogrammen, der Ideengewinnung, Produktgestaltung, Produkttests und der Produkteinführung beschäftigt (Vgl. Homburg/Krohmer 2006, S.459 ff.). Abbildung 7 zeigt die möglichen Interdependenzen der vorgestellten Funktionsbereiche im Innovationsprozess. Dem Innovationsmanagement kommt dabei die Aufgabe zu, die Ausgestaltung und Intensität der funktionsübergreifenden Integration zu koordinieren, um die Erfolgswahrscheinlichkeit innovativer Leistungsentwicklungsprozesse zu erhöhen. INNOVATION UND MARKETING 24 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN Abbildung 7: Interdependenzen zwischen den Funktionsbereichen; Quelle: Neubauer 2008, S.33. Die Zusammenarbeit der Bereiche Marketing und F&E ist eine wichtige Voraussetzung für den Innovationserfolg, da sie die stützenden Pfeiler des Innovationsmanagement bilden. Das Marketing stellt nicht nur die Schnittstelle zu den Kunden des Unternehmens dar, sondern identifiziert gleichzeitig Absatzmärkte, evaluiert das Potential innovativer Produkte, analysiert das Konsumverhalten potentieller Kunden und arbeitet eng zusammen mit dem Vertrieb (vgl. Brockhoff 1995, S.444). Die Kooperation der beiden Bereiche hilft Unsicherheiten abzubauen und die Wahrscheinlichkeit eines ökonomischen Erfolgs der Innovation zu erhöhen. Die technischen Ziele des F&E-Bereichs müssen regelmäßig mit den absatzmarktbezogenen Zielen des Marketing abgestimmt werden, um eine Marktorientierung bei der Innovationsentwicklung zu garantieren. Gleichzeitig müssen die technologischen Spezifika des innovativen Produktes im Hinblick auf ihre Vermarktungsmöglichkeit untersucht werden (vgl. Song et al. 1998, S. 292). Dennoch kann es bei Innovationsprozessen auch zu kontraproduktiven Effekten kommen, wenn sich der Bereich F&E zwar an den Ergebnissen der Marktforschung orientiert, diese sich jedoch als ungenau oder nicht valide herausstellen (vgl. Billing 2003, S.137). Eine weitere Abhängigkeit lässt sich zwischen den Bereichen Marketing und Produktion identifizieren, da die marktseitige Analyse von Kundenbedürfnissen einen maßgeblichen Einfluss auf die produktionstechnischen Anforderungen hat. Eine Zusammenarbeit scheint daher für diese Funktionsbereiche im Hinblick auf eine erfolgreiche Produktentwicklung und Markteinführung zielführend. Insbesondere der Bereich Produktion profitiert von einer frühzeitigen Integration in den Produktentwicklungsprozess, da so die benötigte Vorlaufzeit für die Bereitstellung von Ressourcen und effizienten Produktionsprozessen gewährleistet werden kann. Eine Koordination scheint zudem besonders wichtig im Hinblick auf kommunizierte Liefertermine und die Berechnung der Stückkosten (vgl. Song et al. 1998, S. 292). Die beiden Funktionsbereiche weisen jedoch nicht nur Synergiepotenziale auf, sondern auch interfunktionale Konflikte sind häufig verantwortlich für die Ent- INNOVATION UND MARKETING 25 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN stehung innovationshemmender Konstellationen. Das Marketing nimmt dabei eine kunden- und wettbewerbsorientierte Sichtweise ein, um Kundenbedürfnisse zu befriedigen und die angestrebten Umsatzziele zu erreichen. Die Produktion hingegen konzentriert sich auf die interne Perspektive mit dem Fokus auf die Kapazitätsplanung und die Effizienz des Herstellungsprozesses, um die vorgegebenen Kostenziele einzuhalten. Gerade vor dem Hintergrund großer Unsicherheiten aufgrund fehlender Erfahrungswerte bei innovativen Produktentwicklungen ist die Berücksichtigung des geschilderten Effektes von weitreichender Bedeutung für eine erfolgreiche Projektabwicklung. Auch die Zusammenarbeit der Bereiche F&E und Produktion stellt eine erfolgswirksame Determinante für den Innovationsprozess dar. Die von der F&E entwickelten Produkte und ihre technologischen Spezifika machen oftmals die Entwicklung neuer prozess- und verfahrenstechnischer Lösungen in der Produktion notwendig. Gleichzeitig schränken die vorhandenen Produktionsressourcen und Verfahrenstechnologien oftmals die Entwicklungsspielräume für die F&E ein, so dass eine frühzeitige Kooperation der beiden Funktionsbereiche eine spätere Revision der entwickelten Produktkonzepte vermeiden hilft. Zudem ist die Auswirkung der entwickelten Produktinnovation auf Produktionskosten und -qualität zwingend zu berücksichtigen (vgl. Urban/Hauser 1993, S. 33). Negative innovationshemmende Effekte an der Schnittstelle zwischen F&E und Produktion lassen sich aber auch bei einer zu starken Ausrichtung der F&E an den gegebenen Produktionsressourcen identifizieren. Die vorgestellten Synergie- aber auch Konfliktpotenziale sind bei der Integration innerbetrieblicher Funktionsbereiche im Innovationsprozess aktiv zu berücksichtigen. Zur Realisation einer effektiven marktorientierten Koordination des Innovationsprozesses liefert die Diskussion zu innovationsförderlichen sowie innovationshemmenden Managementsystemen1 wichtige Orientierungshilfen. Den Ursprung dieser Diskussion lieferte eine Studie von Burns und Stalker aus dem Jahre 1961, in der 20 britische Industriebetriebe empirisch untersucht wurden. Im Ergebnis konnten die Autoren ihre Hypothese bestätigen, dass „organische Systeme“ Innovationen begünstigen, wohingegen „mechanische Systeme“ Innovationsprozesse behindern. Organische Systeme eignen sich zur Bearbeitung von Nicht-Routine Aufgaben, da sie evolutions- und anpassungsfähig sind. Organische Systeme sind gekennzeichnet durch flache und dezentrale Strukturen. Mechanische Systeme hingegen sind durch stark hierarchische Strukturen geprägt. Sie eignen sich i.d.R. für die Bearbeitung stark repetitiver Aufgaben und Abläufe und neigen zur Inflexibilität (vgl. hierzu Burns/Stalker 1961). Diese von Stalker und Burns entwickelte Hypothese wurde als „Organisatorisches Dilemma“ be- 1 In Anlehnung an Brockhoff wird unter Managementsystem die Kombination aus Struktur, Kultur und Führung einer Unternehmung verstanden, die sich als erfolgversprechend und anderen Systemen gegenüber als überlegen herauskristallisiert haben (vgl. Brockhoff 1995). Eine engere Definition findet sich bei Bleicher: „Managementsysteme unterstützen und füllen die Rahmenbedingungen der durch die Organisation festgelegten strukturellen und prozessualen Regelungen. Durch sie werden kommunikative Beziehungsnetze zur Kooperation und Kommunikation zwischen organisatorischen Einheiten […] entwickelt.“(Bleicher 1999). INNOVATION UND MARKETING 26 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN kannt und von Wilson dahingehend theoretisch-konzeptionell erweitert, dass für die verschiedenen Phasen des Innovationsprozesses unterschiedliche Organisationsstrukturen notwendig bzw. zielführend seien (vgl. Wilson 1966). Zudem teilen viele Autoren die Überzeugung, dass Strukturen, die die Initiierung von Innovationen fördern (u.a. flache Hierarchien, geringe Formalisierung der Kommunikation) jenen zuwiderlaufen, die die Implementierung fördern (ausgeprägte Hierarchisierung, hohe Formalisierung) und umgekehrt (vgl. hierzu Holbek 1988; Wicher 1985). Shepard entwickelte in diesem Zusammenhang 1967 die so genannte „loose-tight-Hypothese“, die einen systematischen Wechsel von verschiedenen Führungsformen während der einzelnen Phasen des Innovationsprozesses propagiert (vgl. Shepard 1967). Vieles spricht für eine Kombination organischer und mechanistischer Managementsysteme im Innovationsprozess. „Da Unternehmen in der Lage sein sollten, verschiedene Arten von Innovationen zu realisieren, müssen sie also auch fähig sein, situationsabhängig unterschiedlichen Anforderungen an die Organisation beziehungsweise an das Managementsystem zu genügen.“(Doutreval 2002). Aufbauend auf diese Erkenntnis beschreibt der Ansatz des „innovationsbewussten Unternehmens“ die Herausforderung für Unternehmen, veraltete bürokratische Prozesse und Strukturen aufzuweichen und innovationsfördernde Verhaltensstrukturen, wie bspw. System- und Kommunikationsoffenheit sowie Konfliktbewusstsein und Verantwortung der Mitarbeiter, zu implementieren (vgl. Hauschildt 1997). Gerade im Hinblick auf die Erschließung unterschiedlicher Innovationspotenziale sowie die Koordination marktseitiger Informationen und unternehmensseitiger Ressourcen ist die Herausforderung des Überwindens organisatorischer Dilemmata von höchster Aktualität. 2.2.3 Vermarktung von Leistungsinnovationen Wie bereits eingangs erwähnt, wird mit dem Ansatz des Innovationsmarketing im Sinne der Rolle des Marketing in Innovationsprozessen häufig zunächst die Vermarktung innovativer Leistungen verbunden (eine Perspektive, die hier um die zielgerichtete und aktive Gestaltung aller Marketingaktivitäten im Rahmen des Bezugs und der Erstellung von Innovationen erweitert wurde). Trotzdem ist diese Aufgabe – quasi in der Verlängerung der betrieblichen Innovationsentwicklung – ein zentrales Aufgabenfeld des Marketing. Auf operativer Ebene beinhaltet die Vermarktung von Leistungsinnovationen alle Maßnahmen und Aktivitäten, die eine (erfolgreiche) Einführung am Markt unterstützen. Dabei ergeben sich besondere Herausforderungen für die Planung des Marketing-Mix. Die Kommunikationspolitik spielt im Rahmen der Innovationsvermarktung eine wichtige Rolle. Ihre Aufgabe ist es, den Konsumenten über die Eigenschaften und Vorteile der Leistungsinnovation zu informieren und gleichzeitig ein positives Markenimage aufzubauen (vgl. Sattler/Schrader 1995, S. 1003). Dabei übernimmt die Werbung als Kommunikationsinstrument vor und während der Innovationseinführung die Funktion, Innovatoren und Meinungsführer anzusprechen bzw. zu erreichen. Meinungsführer (opinion leader) übernehmen in INNOVATION UND MARKETING 27 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN ihrem Marktsegment die Rolle eines Kommunikators und können potenzielle Zielkunden bei ihrer Kaufentscheidung beeinflussen. Das Phänomen der Meinungsführerschaft ist ein fester Bestandteil sozialer Beziehungen und obwohl sich Meinungsführer in allen Berufsgruppen und sozioökonomischen Schichten identifizieren lassen, wird Meinungsführerschaft als Rolle von Individuen heute eher als Ergebnis spezifischer Interessensausprägungen, Involvementgrade und Kommunikationskompetenzen gedeutet. Für das Marketing spielen Meinungsführer eine entscheidende Rolle, da sie als produktspezifische Vermittler zwischen Massenmedien und ihrer Bezugsgruppe fungieren. Der Begriff des Meinungsführers wurde erstmals 1940 durch eine Studie von Lazarsfeld im Rahmen der US-Präsidentschaftswahl publik gemacht (vgl. Trommsdorff/Steinhoff 2007, S. 419). Die Ansprache von Meinungsführern und Innovatoren kann maßgeblich für die Adoption bzw. die Diffusion und im Ergebnis für den Erfolg der Innovation verantwortlich sein. Die Identifizierung von Meinungsführern gestaltet sich jedoch als sehr aufwendig, so dass diese nur schwer direkt beworben werden können. Es wird versucht, spezifische Werbemaßnahmen für Meinungsführer in der Einführungsphase von Leistungsinnovationen gezielt durch Mediaselektion zu adressieren (Fachmagazine, Messen, Foren im Internet, etc.). Zur Ansprache von Meinungsführern kann in diesem Zusammenhang zudem auf das Prämarketing zurückgegriffen werden. Ziel dabei ist es, bereits vor der Markteinführung ein starkes Produktinteresse und einen hohen Bekanntheitsgrad bei den zukünftigen Konsumenten aufzubauen. Als typische Beispiele hierfür lassen sich u.a. der Pkw-Markt (Mercedes-Benz S-Klasse) oder der Strommarkt (eon) anführen (vgl. Berndt 2005, 198f.). Häufig werden Werbemaßnahmen von verkaufsfördernden Aktivitäten begleitet, die bspw. in Form von Produktproben das wahrgenommene Kaufrisiko senken können. Besonders wichtig sind informative Kommunikationsformen bei komplexen erklärungsbedürftigen Technikprodukten (vgl. Sattler/ Schrader 1995, S. 1003). Die Möglichkeit direkter Kommunikation verbindet sich mit dem Instrument des persönlichen Verkaufs im Rahmen der Distributionspolitik. Der direkte Kontakt zum Konsumenten kann besonders bei stark erklärungsbedürftigen Innovationen helfen Konsumbarrieren abzubauen (vgl. Sattler/Schrader 1995, S.1004). Absatzmittler bzw. Absatzhelfer können zudem über Anreizsysteme wie bspw. höhere Provisionen oder Verkaufswettbewerbe angesprochen werden. Eine besondere Herausforderung stellt die Distribution über den Handel dar, da dessen Listungsentscheidung maßgeblich ist für die Entwicklung einer hohen und dauerhaften Distributionsrate (für eine genauere Betrachtung der Distribution über den Handel siehe Kap.5.1.2). Im Rahmen der Preispolitik kann zwischen einer Skimming- (hoher Einführungspreis zur Abschöpfung der Preise, die Innovatoren und Early-Adopters bereit sind zu bezahlen) oder einer Penetrationsstrategie (niedriger Einführungspreis zum Aufbau einer starken Marktposition und hoher Markteintrittsbarrieren) gewählt werden (vgl. Kap. 5.3.1). Die verbraucherseitig nicht vorhandenen Produkterfahrungen und Vergleichsmöglichkeiten bei echten Marktinnovationen erlauben einen relativ großen Preissetzungsspielraum. Dies kann preisstrategisch INNOVATION UND MARKETING 28 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN genutzt werden, indem z. B. durch einen hohen Einstiegspreis die Qualitätswahrnehmung des Konsumenten positiv beeinflusst wird (vgl. Sattler/Schrader 1995, S.1004 f.). Die Produktpolitik soll an dieser Stelle nicht gesondert behandelt werden, da sie während des gesamten Entwicklungsprozesses von Leistungsinnovationen im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Aus Sicht der Vermarktung von Leistungsinnovationen sei an dieser Stelle noch auf die Wirkung enger Interaktionsbeziehungen zwischen innovierendem Unternehmen und Konsumenten in der Produktentwicklung hingewiesen, die sich empirisch als adaptionsfördernd erwiesen hat (vgl. Sattler/Schrader 1995, S.1005f.). Verschiedene Verfahren und Methoden zur Integration den Konsumenten in den Innovationsentwicklungsprozess werden an anderer Stelle des Skripts vorgestellt (vgl. hierzu Kap.3.4.3). Schlüsselwörter: Leistungsinnovation, Produktinnovation, Prozessinnovation, Marktpotenzial, Innovationsgrad, Innovationsmanagement, Organisatorisches Dilemma, Meinungsführer Aufgaben zur Lernkontrolle: 2.1 Welche Entwicklungen sind aus Ihrer Sicht als Auslöser für die gestiegene Bedeutung von Leistungsinnovationen zu betrachten? 2.2 Geben Sie die Ansätze der objekt-, prozess- und subjektbezogene Betrachtungsweise von Innovationen wieder! Sind diese Ansätze aus Ihrer Sicht konsistent und erschöpfend? 2.3 Schildern Sie kurz die verschiedenen Ansätze zur Messung des Innovationsgrades! Welchen Kriterien müssen radikale Innovationen genügen? 2.4 Schreiben Sie kurz die kurz die Besonderheiten bei der Planung des Marketing-Mix für Leistungsinnovationen. Aufgaben mit Bezug zur Berufstätigkeit 2.5 Welche Rolle spielen Leistungsinnovationen bzw. wie hoch ist der Grad der Innovationsorientierung in Ihrem Unternehmen? Um welche Art von Innovation handelt es sich bei diesen Leistungen? Vertiefende Literatur: Hauschildt, J. (2004): Innovationsmanagement, 3. völlig überarb. u. erw. Aufl., München. Hauschildt, J., Schlaak, T. (2001): Zur Messung des Innovationsgrades neuartiger Produkte, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 71 Jg., S. 161-182. Hofbauer, G./Körner, R. A./Nikolaus, U./Poost, A. (2009): Marketing von Innovationen, Stuttgart. INNOVATION UND MARKETING 29 2 GRUNDLAGEN DES MARKETING IN INNOVATIONSPROZESSEN Homburg, Chr./Krohmer, H. (2006): Marketingmanagement: Instrumente – Umsetzung – Unternehmensführung, 2. Aufl., Wiesbaden. Sattler, H./Schrader, S. (1995): Innovationsmarketing, in: Handwörterbuch des Marketing, 2. völlig überarb. Aufl., Stuttgart, S.996-1008. Trommsdorff, H.; Steinhoff, F. (2007): Innovationsmarketing, München. INNOVATION UND MARKETING 30