Muslime in der Medienaufsicht - Evangelische Akademie Hofgeismar

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Vortrag, 18.11.07
Evangelische Akademie Hofgeismar
Meine Damen und Herren,
ich möchte mit einem Zitat von Christoph Butterwegge anfangen,
weil dies den Umgang der Medien mit den
Deutschland
beschreibt:
aus
„Für
islamischen
die
Ländern
Migrant/Innen in
kurz
Migrationsberichterstattung
und
deutlich
stellten
die
Attentate auf World Trade Center und Pentagon eine Zäsur dar.
Zumindest in Westdeutschland löst der arabische oder türkische
Moslem seither den südeuropäischen Gastarbeiter und den
schwarzen Asylbewerber als dominantes Ausländerstereotyp ab.
Gleichzeitig
ist
eine
dreifache
Migrationsberichterstattung
Veränderung
in
der
feststellbar. Erstens verschränken
sich der Migrations- und der Kriminalitätsdiskurs noch stärker als
während
der
Asyldebatte
1991/92.
Zweitens
wurde
der
Kriminalitätsdiskurs politisch-ideologisch aufgeladen, verschärfte
sich zum Terrorismusdiskurs und durch die flächendeckende
Verbreitung der Kulturkampf-Metapher zu einem global angelegten
Kriegsdiskurs. Drittens kam es zur Islamisierung des Migrationswie des Kriminalitätsdiskurses. Außenpolitisch spielten die EUBeitrittspläne der Türkei, innenpolitisch das Kopftuch, Ehrenmorde
und Zwangsheiraten eine Schlüsselrolle.“
Erlauben
Sie
mir
bitte
in
diesem
Zusammenhang
einige
grundsätzlichen Gedanken:
Wir können die Menschen mit Migrationshintergrund nicht davon
überzeugen, dass sie in unserer Gesellschaft willkommen und
gleichberechtigt sind, wenn wir Ihnen auf der anderen Seite zu
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verstehen geben, dass ihre Sprache und ihre Kultur nicht
gleichwertig, ja sogar minderwertig sind. Wer seine Herkunft
leugnet
oder
leugnen
muss,
kann
keine
gesunde
Identität
entwickeln.
Nur ein Mensch mit einer gesunden Identität und Selbstwertgefühl
ist in der Lage, sich neuen Lebensformen und Kulturen und damit
der Integration zu öffnen.
Daher ist wichtige Voraussetzung für eine gelungene Integration,
die Sprache, Religion und Kultur der Migranten gleichberechtigt
nach dem Gebot des Grundgesetzes zu behandeln und zu fördern.
Dabei ist für mich selbstverständlich, dass die demokratische
Grundordnung und Achtung der Menschenrechte für alle gelten und
nicht verletzt werden dürfen. Jede Form von Extremismus oder
demokratiefeindlicher Haltung ist daher abzulehnen und ist zu
unterbinden.
Alle Menschen in unserer Gesellschaft müssen über die Bedeutung
der Integration der Migranten für unsere gemeinsame Zukunft durch
konsequente Öffentlichkeitsarbeit sensibilisiert und aufgefordert
werden, den Integrationsprozess aktiv zu unterstützen.
Die Medien könnten dazu einen konstruktiven Beitrag leisten, wenn
sie das Thema Migration und Integration auch mit seinen positiven
Seiten herausstellen würden. Veröffentlichte Meinung wird am Ende
zur öffentlichen Meinung
Ohne Öffnungsbereitschaft der Mehrheitsgesellschaft haben die
Migranten/Innen kaum eine Chance, sich angemessen in unserer
Gesellschaft zu integrieren.
Wir dürfen nicht Integration fordern und Assimilation meinen. Keine
Probleme habe ich damit, wenn der Assimilationsprozess freiwillig
erfolgt. Dafür müssen sich die Menschen mit Migrationshintergrund
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in unserer Gesellschaft wohl und aufgenommen fühlen. Zurzeit
können wir nicht behaupten, dass dies überall der Fall ist. Leider
stellen wir immer wieder fest, dass von Migrantinnen und Migranten
erwartet wird, dass Sie die „besseren Deutschen“ sein sollen. Ich
meine, dass diese vielfach geäußerte Erwartungshaltung weder
angemessen noch gerecht oder hilfreich ist. Es gibt hier wie da
Leistungsträger, aber auch Mittelmaß, gut ausgebildete Menschen
sowie Menschen, die nicht „normale“ Anforderungen erfüllen.
Wichtig ist mir, dass wir nicht mit unterschiedlichem Maß messen,
sondern Chancengleichheit walten lassen.
Die Kulturen der Mehrheitsgesellschaft und der Migranten haben
viel
mehr
Gemeinsamkeiten
Unterschiede
bestimmen
als
zurzeit
Unterschiede.
die
Stimmung
Aber
die
für
das
Zusammenleben in unserem Land. Beispiele dafür sind die
Diskussionen um Ehrenmorde und Zwangsheirat oder die Debatte
über den Moscheebau.
Dabei kommen meines Erachtens die
Normalität des täglichen Zusammenlebens und die vielen Beispiele
gelungener und gelingender Integration viel zu kurz.
Wenn wir in unserer Stadt gut zusammenleben wollen, müssen wir
unsere Gemeinsamkeiten viel mehr betonen als die Differenzen. Als
aktuelles positives Beispiel wären hier 136 der bekanntesten
islamischen Gelehrten zu nennen, die vor vier Wochen die
Gemeinsamkeiten des Christentum und des Islam in einer
Erklärung herausgestellt haben.
Wir
dürfen
uns
nicht
für
einen
„Kampf
der
Kulturen“
instrumentalisieren lassen, sondern sollten uns für das friedliche
Miteinander der Kulturen einsetzen - sollten aber auch denjenigen
klare
Grenzen
setzen,
Miteinander verfolgen.
die
andere
Ziele
als
das
friedliche
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Jetzt zu einigen Überlegungen zum Thema „Muslime in der
Medienaufsicht“
Aus dem Thema lassen sich zwei Aspekte ableiten:
zum einen die rechtliche und medienpolitische Frage, ob Muslime
ebenso wie die Kirchen und die jüdischen Gemeinden mit Sitz und
Stimme in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks und der für den kommerziellen Rundfunk zuständigen
Landesmedienanstalten vertreten sein sollen; zum anderen, was
Menschen islamischen Glaubens in die Rundfunkgremien
einbringen und bewirken können. Die erste Frage „Sitz und
Stimme“ für Muslime in den Rundfunkgremien ist eine Fundgrube
für juristische Interpretationen. Mir liegt dazu eine interessante
Ausarbeitung vom Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Martin Stock
vor.
Er kommt zusammengefasst zum Ergebnis, dass es
einigermaßen festgefügter islamischer Religionsgemeinschaften
bedarf, die repräsentativ sind.
In diesem Zusammenhang schildert er ein vor drei Jahren von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag NRW entwickeltes
Projekt einer „Vertretung des Islam in NRW“. Die Fraktion forderte:
1 ein auf der Ebene
der Landesregierung angelegtes Moscheenregister, in das
sich alle Moscheegemeinden freiwillig eintragen können,
2 die Anerkennung
von Mindeststandards, wie Bekenntnis zum Grundgesetz und
den
Strafgesetzen,
durch
die
registrierten
Moscheegemeinden,
3 die Wahl eines Ältestenrats, der
aus seiner Mitte einen Vorstand und der wiederum seine/n
Vorsitzenden wählt.
Diese/r Vorsitzende/r wäre der/die legitimierte Vertreter/in für die
Muslime in NRW. Dieses Modell wurde im Landtag NRW und im
Bundestag debattiert. Es hat die Diskussion um eine repräsentative
Institution der Muslime vorangebracht, aber
– wie Stock feststellte – „zu keinem hinlänglich ausgearbeiteten
und realistischen Konzept geführt, aufgrund dessen in Deutschland
eine übergreifende islamische Religionsgemeinschaft entstehen
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und den allgemein religionsrechtlichen Körperschaftsstatus
erlangen könnte“.
Dies scheint aber nach deutschem
Rechtsverständnis die nachvollziehbare Voraussetzung zu sein,
auch um einen Anspruch auf Sendezeiten „zur Übertragung
gottesdienstlicher Handlungen und Feierlichkeiten sowie sonstiger
religiöser Sendungen“ geltend machen zu können, wie es zum
Beispiel das WDR-Gesetz in § 8 Abs.3 für die Evangelischen
Kirchen,
die
Katholische
Kirche
und
die
jüdischen
Kultusgemeinden vorsieht.
Nach meinem Kenntnisstand haben sich
die islamischen
Glaubensgruppen noch nicht zu einer repräsentativen Institution
zusammen gefunden.
Nur wenn Repräsentanz und demokratische Legitimation gegeben
sind, halte ich es für gerechtfertigt, dass Muslime mit Sitz und
Stimme in den
Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks vertreten sind.
Die
Letztentscheidung
über
die
Zusammensetzung
der
Aufsichtsgremien liegt jedoch bei dem Gesetzgeber, nicht bei den
Rundunkanstalten.
Der
Gesetzgeber
hat
einen
verfassungsgerichtlich bestätigten breiten Ermessenspielraum bei
der Auswahl der gesellschaftlich relevanten Gruppen.
Klar stellen möchte ich, dass die Vertretung der Muslime unter den
genannten Voraussetzungen und nur bei den religiösen
Angelegenheiten ihre Glaubensbrüder und -schwestern, aber nicht
die Belange der Menschen aus islamischen Ländern vertreten
sollen.
Das Mandat der Migrantenvertretungen wird davon nicht berührt.
Unabhängig davon umfasst das Spektrum der Migranten/Innen
nicht nur Muslime, sondern auch Christen, Angehörige anderer
Glaubensrichtungen, und solche, die sich keiner Religion zuordnen.
Das sie verbindende Element ist nicht die Religion, sondern die
Tatsache, „Zuwanderer“ zu sein, aus anderen Herkunftsländern –
seien es europäische, afrikanische, asiatische – eingewandert oder
gerufen worden zu sein, zum Beispiel weil Arbeitskräfte fehlten.
Religion ist in diesem Kontext Privatsache. Wichtig ist, die Anliegen
der Menschen aus anderen Herkunftsländern in die Mitte der
gesellschaftlichen Debatte zu bringen, und zwar überall, ob in
Parteien,
Fraktionen,
Rundfunkgremien,
Elternvertretungen,
Vereinen, schlichtweg überall.
Dies ist meine feste Überzeugung. Nach diesem Prinzip handele ich.
Dies entspricht auch meinem Auftrag als Mitglied des WDRRundfunkrats.
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Den Interessen der Allgemeinheit fühlen sich auch die von den
Kirchen, dem Sport, den Verbraucher-, Umwelt-, Familien-,
Sozialverbänden, dem Landtag, den Gewerkschaften, aus dem
Kreis der älteren und der behinderten Menschen entsandten
Mitglieder verpflichtet. Dies bedeutet nicht, stromlinienförmig zu
argumentieren. Im Gegenteil: unterschiedliche Sichtweisen müssen
zum Ausdruck gebracht werden, um einen tragfähigen Konsens zu
erreichen.
Dabei kommt es darauf an, die anderen zu überzeugen.
Und damit bin ich bei meinem zweiten Aspekt: was Menschen –
mehr oder weniger starken – islamischen Glaubens in
Rundfunkgremien einbringen und bewirken können, wenn es
gelingt,
gesellschaftliche
Multiplikatoren/innen,
politisch
Verantwortliche zu überzeugen, dass Handeln erforderlich ist, um
die Integration voranzubringen.
Im Hinblick auf meine Ziele, ein Bewusstsein für das Gemeinsame
zu wecken und nicht nur das Trennende zu sehen, die Buntheit der
Gesellschaft als Chance und nicht als Last zu sehen, auf ein
gleichberechtigtes friedliches Zusammenleben unter einem Dach,
ob Staat oder WDR, hinzuwirken. Der WDR hat als einer der ersten
öffentlich-rechtlichen
Sender
die
Integration
als
unternehmenspolitische Querschnittaufgabe von Programm und
Personalentwicklung definiert.
Seit einigen Jahren gibt es einen Integrationsbeauftragten, der die
Chancengleichheit in Personal und Programm
im Sender
weiterzuentwickeln
versucht
und
in
der
Europäischen
Rundfunkunion zusammen mit dem langjährigen WDR-Intendanten
und jetzigen EBU-Präsidenten Fritz Pleitgen weiter verfolgt.
Weitere Stichworte sind Europaforum zu Themen des Miteinanders
in Europa, CIVIS Medienpreis, mit dem insbesondere Sendungen
ausgezeichnet werden, die sich Fragen der Migration und
Integration widmen, Cosmo TV in WDR Fernsehen, Funkhaus
Europa, Glaubensportale in wdr.de.
Nicht nur die Themen, auch die Programm prägenden Köpfe sind
bunter geworden, zum Beispiel Bingül Birand kommentiert in
Tagesthemen, weiter ist die Korrespondentin aus Amman zu
nennen. Über Religionen, Werte wird informiert, diskutiert. Ziel ist,
Wissen zu vermitteln, Vorurteile zu überwinden, die seit dem 11.
September 2001
da sind
und durch Schlagzeilen über die
verheerenden gewalttätigen Auseinandersetzungen in Afghanistan,
Irak, Israel/Palästina und an anderen Brennpunkten der Welt
genährt werden.
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Die Akzeptanz für die Anliegen der Migranten/Innen beim WDR ist
nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde auch durch meine
Vorgängerinnen eingepflanzt und ist über die Jahre einher gehend
mit der gesellschaftlichen Entwicklung gewachsen.
Seit 1985 sieht das WDR-Gesetz die Vertretung der ausländischen
Mitbürger/Innen im Rundfunkrat vor. Entsender waren lange Zeit die
Wohlfahrtsverbände.
Das hat die Aktivität des jeweils entsandten Mitglieds nicht
beeinträchtigt. Einige Beispiele: 1986 wurde ein Katalog von
Anregungen zu den Hörfunk- und Fernsehsendungen für Ausländer
und
programmliche
Überlegungen
zur
Behandlung
von
Ausländerfragen eingebracht; es ging um Sendungen wie „Ihre
Heimat – unsere Heimat“, „Vom Bosporus bis Gibraltar“; seit 1988
intensiver Einsatz für muttersprachliche Sendungen, 1993 ein
umfassendes Papier „Zum Umgang mit Fremden im Programm“
und ein weiteres Papier „Zum Umgang mit dem Problem des
Rechtsextremismus im Programm“; 2003 ein Papier mit
„Einschätzungen und Empfehlungen des Rundfunkrats zum Thema
‚Interkultureller Austausch’ in den Programmen des WDR und der
ARD unter besonderer Berücksichtigung der Zielgruppe der
Migranten/Innen“ als Ergebnis von zwei Werkstattgesprächen.
Die jeweiligen Schlussfolgerungen und Empfehlungen wurden vom
Rundfunkrat einhellig unterstützt und verabschiedet. Seit 2004
obliegt die
Entsendung der Landesarbeitsgemeinschaft der
kommunalen Migrantenvertretungen (LAGA NRW).
Ich bin das erste Mitglied, das demokratisch legitimiert authentisch
die Belange und Anliegen der Menschen mit Migrationshintergrund
in den Rundfunkrat oder in den Programmausschuss, dem ich
angehöre, einbringen kann. Für den WDR kann ich feststellen: Die
Türen stehen relativ offen. Es ist noch viel zu tun, aber wir
versuchen anzupacken.
Dabei ist Karin Junker, ehemaliges Mitglied des Europäischen
Parlamentes, als Vorsitzende des Programmausschusses für das
Thema Integration und für mich eine große Hilfe. Unterstützung im
Rundfunkrat ist da. Verstärkung durch ein weiteres von der LAGA
entsandtes Mitglied wäre sinnvoll und gut. Wenn sich in NRW die
Muslime im eingangs aufgezeigten Sinn institutionalisieren und
eine/n demokratisch legitimierte/n Vertreter/in entsenden dürften,
wäre es mir recht. Religion an sich ist kein Legitimationsgrund.
Köln , den 15. November 2007
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