Strahlentherapie und Onkologie Literatur kommentiert Keine Verbesserung der Prognose durch eine Induktionschemotherapie vor einer simultanen Radiochemotherapie beim NSCLC im Stadium III Fragestellung und Hintergrund: Die simultane Radiochemotherapie hat beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) im nicht-resektablen Stadium III die Therapieergebnisse gegenüber einer alleinigen Strahlentherapie signifikant verbessert (Übersicht bei [1]). Unklar ist jedoch, ob durch eine zusätzliche Induktionschemotherapie eine weitere Verbesserung der Prognose der Patienten möglich ist. Zur Abklärung führte die Cancer and Leukemia Group B eine randomisierte Studie durch [7]. Patienten und Methodik: Zwischen Juli 1998 und Mai 2002 wurden 366 Patienten in die Studie aufgenommen. 182 Patienten erhielten eine simultane Radiochemotherapie mit einer Bestrahlungsdosis von 66 Gy sowie einer simultanen Chemotherapie mit Paclitaxel 50 mg/m2 und Carboplatin AUC (Fläche unter der Kurve) 2 einmal wöchentlich. 184 Patienten erhielten vor der identischen Radiochemotherapie zusätzlich zwei Zyklen einer Induktionschemotherapie mit Paclitaxel 200 mg/m2 und Carboplatin AUC 6. 49% der Patienten hatten einen Tumor im Stadium IIIA, 48% im Stadium IIIB. Ergebnisse: Sowohl die medianen Überlebenszeiten (simultane Radiochemotherapie 12 Monate, Induktionschemotherapie plus simultane Radiochemotherapie 14 Monate) als auch die 2-Jahres-Überlebensraten (29% vs. 31%; p = 0,03) waren nicht unterschiedlich. Ebensowenig fanden sich Unterschiede in den Toxizitätsdaten wie Ösophagitis und Dyspnoe. Im Rahmen der Induktionschemotherapie erlitten jedoch 20% der Patienten eine Grad-4-Neutropenie. In der multivariaten Analyse waren das Alter, der Performance-Status und der prätherapeutische Gewichtsverlust prognostisch signifikante Parameter, jedoch nicht der Behandlungsarm, das Geschlecht oder eine prätherapeutische Anämie. Schlussfolgerung: Die Autoren folgern, dass eine zusätzliche Induktionschemotherapie gegenüber einer alleinigen Radiochemotherapie keinen Überlebensvorteil bringt, die Patienten aber einer zusätzlichen Toxizität aussetzt. Kommentar Die Behandlung des inoperablen NSCLC im Stadium III hat sich in den letzten 20 Jahren gewandelt. Insbesondere hat die Hinzunahme einer Chemotherapie im Sinne einer sequentiellen oder simultanen Radiochemotherapie die Ergebnisse im Vergleich zur alleinigen Bestrahlung deutlich verbessert [1, 2], wobei die simultane Radiochemotherapie einer sequentiellen Behandlung bezüglich des Überlebens überlegen zu sein scheint [2]. Trotzdem wird in Deutschland an sehr vielen Zentren noch immer eine Induktionschemotherapie durchgeführt, gefolgt von einer alleinigen Bestrahlung oder einer simultanen Radiochemotherapie. Die Studie der Cancer and Leukemia Group B ist der sehr wichtigen Frage nachgegangen, wie viel Chemotherapie die Patienten brauchen, die an einem NSCLC im Stadium III erkrankt sind. Eine Chemotherapie im Rahmen einer Radiochemotherapie wird häufig als ineffektiv hinsichtlich der Fernmetastasierung angesehen. Deshalb fordern medizinische Onkologen die Intensivierung der Chemotherapie u.a. durch eine Induktionschemotherapie. Die hier besprochene Studie zeigt nun, dass eine Induktionschemotherapie die Prognose der Patienten nicht verbessern kann. Diese Aussage wird durch eine Arbeit unterstützt, die von einer koreanischen Arbeitsgruppe [4] auf dem ASCO-Kongress 2007 präsentiert wurde. Das Design der koreanischen Studie war identisch mit dem der kommentierten Studie. Die simultane Radiochemotherapie wurde mit Cisplatin/Paclitaxel durchgeführt und im experimentellen Arm durch zwei Kurse einer Induktionschemotherapie mit Cisplatin/Gemcitabin ergänzt. Auch diese Arbeitsgruppe fand durch die zusätzliche Induktionschemotherapie keinen Überlebensvorteil (medi- Strahlenther Onkol 2007 · No. 11 © Urban & Vogel ane Überlebenszeit nach simultaner Radiochemotherapie 18 Monate, nach Induktionschemotherapie plus simultaner Radiochemotherapie 12 Monate; p = 0,14). Im Gegenteil, die mediane progressionsfreie Überlebenszeit war nach Induktionschemotherapie mit 7,5 Monaten signifikant kürzer als nach einer sofortigen simultanen Radiochemotherapie (11,6 Monate; p = 0,04). Die Studie der Cancer and Leukemia Group B wirft nun zusätzlich die Frage auf, warum die mediane Überlebenszeit im simultanen Arm mit 12 Monaten kürzer war als in vergleichbaren Studien. Dies kann verschiedene Ursachen haben: Zum einen wurde als Chemotherapie ein Schema mit Carboplatin eingesetzt, während alle anderen Studien auf Cisplatin basierende Schemata verwendeten. Die koreanische Studie konnte die erreichbaren medianen Überlebenszeiten von 18 bzw. 24 Monaten nach simultaner Radiochemotherapie mit Cisplatin/Paclitaxel reproduzieren. In die Studie der Cancer and Leukemia Group B wurden zudem alte Patienten und solche in schlechtem Allgemeinzustand aufgenommen; auch dies kann ein Grund für die schlechteren Ergebnisse sein. Eigene Daten [5, 6] zeigen allerdings, dass eine simultane Radiochemotherapie auch bei Patienten im höheren Lebensalter und in reduziertem Allgemeinzustand durchführbar ist, und dies mit etwas schlechteren, aber durchaus ermutigenden medianen Überlebensraten von 14 Monaten, die im Bereich der Studie von Vokes et al. [7] liegen. Werden in einer Subgruppenanalyse der Cancer and Leukemia Group B Patienten mit Gewichtsverlust > 5% von der Analyse ausgeschlossen, entsprechen die medianen Überlebenszeiten von 16 Monaten durchaus den bekannten Literaturdaten. 645 Literatur kommentiert Fazit: Es liegen jetzt zwei Studien mit einem negativen Ergebnis für eine Induktionschemotherapie beim NSCLC vor. Außerhalb von Therapiestudien sollte daher im Stadium III bei Inoperabilität vor Radiochemotherapie keine Induktionschemotherapie mehr erfolgen. Ungeklärt bleibt, ob von einer adjuvanten Chemotherapie nach Radiochemotherapie ein Vorteil erwartet werden kann. Immerhin ergab sich auch hier in einer ersten Studie keine Verbesserung der Prognose im Vergleich zur alleinigen simultanen Radiochemotherapie [3]. Umso wichtiger ist deshalb eine Unterstützung der gegenwärtig in Deutschland laufenden Studie zur simultanen Radiochemotherapie mit/ohne adjuvante Chemotherapie (GILT-Studie). Literatur 1. Fietkau R. Concomitant radiochemotherapy of advanced non small cell lung cancer. Lung Cancer 2001;33:Suppl 1:61–72. 2. Fietkau R. Stage III NSCLC: multimodality therapy for inoperable tumours. Lung Cancer 2004;45:Suppl 2:S113–23. 3. Hanna H, Neubauer M, Ansari R, et al. Phase III trial of cisplatin (P) plus etoposide (E) plus concurrent chest radiation (XRT) with or without consolidation docetaxel (D) in patients (pts) with inoperable 4. 5. 6. 7. stage III non small cell lung cancer (NSCLC): HOG LUN 01 24/USO 023. ASCO Annual Meeting Proceedings Part I. J Clin Oncol 2007;25: Suppl:7512. Kim S, Kim M, Choi E, et al. Induction chemotherapy followed by concurrent chemoradiotherapy (CCRT) versus CCRT alone for unresectable stage III non small cell lung cancer (NSCLC): randomized phase III trial. ASCO Annual Meeting Proceedings Part I. J Clin Oncol 2007;25: Suppl:7528. Semrau S, Bier A, Thierbach U, et al. Concurrent radiochemotherapy with vinorelbine plus cisplatin or carboplatin in patients with locally advanced non small cell lung cancer (NSCLC) and an increased risk of treatment complications. Preliminary results. Strahlenther Onkol 2003;179:823–31. Semrau S, Bier A, Thierbach U, et al. Long term results of concurrent radiochemotherapy with vinorelbine plus cisplatin or carboplatin in patients with locally advanced non small cell lung cancer (NSCLC) and an increased risk of treatment complications. Strahlenther Onkol 2007;183:30–5. Vokes EE, Herndon JE 2nd, Kelley MJ, et al. Cancer and Leukemia Group B. Induction chemotherapy followed by chemoradiotherapy compared with chemoradiotherapy alone for regionally advanced unresectable stage III non small cell lung cancer: Cancer and Leukemia Group B. J Clin Oncol 2007;25:1698–704. Rainer Fietkau, Rostock Effektivität und Toxizität der postoperativen Strahlentherapie des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms Fragestellung und Hintergrund: In den USA hat die Zahl der Patienten mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) im Stadium I–IIIA, die eine postoperative Strahlentherapie (PORT) erhielten, zwischen 1998 und 2002 deutlich abgenommen [1]. Noch 19% der Patienten mit N1-Status und 37% mit N2-Status erhielten nach den Daten des SEER-Programms (Surveillance, Epidemiology, and End Results) 2002 eine solche Behandlung. Dieser Trend ist sicherlich im Zusammenhang mit einer zuvor publizierten (und oft kritisierten) PORT-Metaanalyse und deren negativen Ergebnissen bezüglich des Überlebens zu sehen. Außerdem stieg das Interesse an der Behandlung mit adjuvanten Chemotherapieprotokollen. Aktuelle Publikationen beschäftigen sich mit dem Einfluss der Feldgröße auf die Letalität nach PORT und mit der Induktion von Herzerkrankungen [4, 6]. Material und Methodik: Die Autoren einer der letztgenannten Studien [4] griffen auf SEER-Daten zurück, die ca. 26% der US-Bevölkerung abbilden und als weitgehend repräsentativ für die nationalen Verhältnisse gelten. Die NSCLC-Patienten waren zwischen 1983 und 1993 behandelt worden. Eingeschlossen wurden 3 589 mit und 2 559 ohne PORT behandelte, nodal positive Patienten (medianes Alter 64 Jahre). Alle noch lebenden Patienten hatten eine Nachbeobachtungszeit von mindestens 10 Jahren. Folgende Informationen waren nicht verfügbar: Resektionsstatus, Allgemeinzustand, adjuvante Chemotherapie 646 und Strahlendosis. Die auf Herzerkrankungen zurückgeführte Letalität wurde mittels „proportional hazards“-Modellen verglichen. Ergebnisse: Die PORT-Gruppe enthielt signifikant weniger Patienten > 70 Jahre, mit Tumorlokalisation im Unterlappen und mit Status nach Pneumonektomie. In beiden Gruppen starben jeweils 6% der Patienten an Herzerkrankungen. Dennoch war in der multivariaten Analyse, korrigiert für Kovariablen wie Alter und Geschlecht, der PORT-Einsatz ein signifikanter Risikofaktor für diesen Endpunkt (Hazard-Ratio 1,3 mit einem 95%-Konfidenzintervall von 1,04–1,61; p = 0,019). Allerdings galt diese Aussage nur für die zwischen 1983 und 1988 diagnostizierten Patienten (Hazard-Ratio 1,49), aber nicht für den Zeitraum von 1989 bis 1993 (Hazard-Ratio 1,08). In der zuerst behandelten Kohorte bestand keine Assoziation zwischen PORT und kardialer Letalität bei Patienten mit Tumorlokalisation im rechten Oberlappen, d.h. in der Gruppe mit der vermutlich geringsten Strahlendosis am Herzen. Schlussfolgerung: Die Autoren vermuten, dass neben besseren kardiologischen Behandlungen auch Verbesserungen der Strahlentherapietechnik zum Verschwinden der früher zu beobachtenden erhöhten kardialen Letalität nach PORT beigetragen haben. Nach ihrer Meinung überwiegt bei der heute verfügbaren PORT-Technik der Nutzen die Risiken. Strahlenther Onkol 2007 · No. 11 © Urban & Vogel Literatur kommentiert Kommentar Auch die 2005 publizierte PORT-Metaanalyse mit über 2 200 Patienten und komplett reseziertem NSCLC zeigte die 1998 bereits beschriebene Verschlechterung des Gesamtüberlebens (Verringerung der 2-Jahres-Überlebensrate von 58% auf 52%) [7]. Insbesondere Patienten im Stadium I/II mit N0/1-Status scheinen durch eine PORT gefährdet zu sein. Allerdings gelten weiterhin die bekannten Kritikpunkte, was z.B. die Bestrahlungstechniken, Dosisverteilungen und Einzeldosen angeht. In einer SEER-Analyse verbesserte die PORT das Überleben signifikant, wenn ein N2-Status vorlag [5]. In der neueren ANITA-1-Studie (adjuvante Chemotherapie mit Cisplatin/Vinorelbin vs. Observation bei komplett reseziertem NSCLC-Stadium IB–IIIA) konnte optional eine PORT verabreicht werden. Diese erfolgte bei 35% mit N1und 52% mit N2-Status [2]. Patienten mit N2-Status profitierten sogar in beiden Armen von der PORT, da das Überleben signifikant verlängert wurde. Bei N1-Status bestand nur im Arm ohne Chemotherapie ein positiver Effekt. Auch die Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG) schließt aus den Daten ihrer randomisierten E3590-Studie (PORT bis 50,4 Gy oder PORT plus Cisplatin/Etoposid bei Patienten mit komplett reseziertem NSCLC im Stadium II und IIIA), dass das Risiko eines Todes infolge interkurrenter Erkrankungen weder nach PORT noch nach PORT plus Chemotherapie höher liegt als bei vergleichbaren Kontrollpatienten [9]. In dieses Bild passen letztlich auch die hier näher vorgestellten SEER-Daten. Sie deuten an, dass mit den früher verfügbaren PORT-Techniken große Risiken verbunden waren, während neuere Techniken und vielleicht auch eine bessere Patientenselektion das kardiale Risiko reduzieren konnten. Man muss selbstverständlich bedenken, dass die vorgelegten Daten nicht aus einer prospektiv-randomisierten Studie stammen und keine Details der PORT mitgeteilt werden. Daher sollte die PORT weiterhin kritisch indiziert werden. Die Radikalität der Lymphknotendissektion und das Verhältnis der Zahl befallener zu derjenigen entfernter Lymphknoten können dabei hilfreich sein. Auch eine Invasion der viszeralen Pleura und der Befall mehrerer Lymphknotenstationen scheinen das lokoregionale Rezidivrisiko zu erhöhen [3]. Möglicherweise können künftig auch Genexpressionsprofile und Proteomics-basierte Signaturen eine bessere Patientenselektion für die adjuvanten Behandlung des NSCLC ermöglichen [8, 10]. Strahlenther Onkol 2007 · No. 11 © Urban & Vogel Eine Behandlung bereits bestehender Herzerkrankungen, die Ausschaltung anderer Risikofaktoren und regelmäßige kardiologische Kontrollen während der Therapie sind bei PORT-Patienten sicherlich anzuraten. Die Größe der Bestrahlungsfelder scheint für das Auftreten therapieinduzierter Todesfälle besonders kritisch zu sein [6]. Daher kommt der sorgfältigen Zielvolumendefinition große Bedeutung zu. Literatur 1. Bekelman JE, Rosenzweig KE, Bach PB, et al. Trends in the use of postoperative radiotherapy for resected non-small-cell lung cancer. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2006;66:492–9. 2. Douillard J, Rosell R, De Lena M, et al. Impact of radiation on survival after complete resection of non-small-cell lung cancer: descriptive analysis in the randomized adjuvant chemotherapy trial, ANITA 1. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2006;66:Suppl:S2.abstract. 3. Fujimoto T, Cassivi SD, Yang P, et al. Completely resected N1 non-small cell lung cancer: factors affecting recurrence and long-term survival. J Thorac Cardiovasc Surg 2006;132:499–506. 4. Lally BE, Detterbeck FC, Geiger AM, et al. The risk of death from heart disease in patients with nonsmall cell lung cancer who receive postoperative radiotherapy. Cancer 2007;110:911–7. 5. Lally BE, Zelterman D, Colasanto JM, et al. Postoperative radiotherapy for stage II or III non-small-cell lung cancer using the surveillance, epidemiology, and end results database. J Clin Oncol 2006; 24:2998–3006. 6. Miles EF, Kelsey CR, Kirkpatrick JP, et al. Estimating the magnitude and field-size dependence of radiotherapy-induced mortality and tumor control after postoperative radiotherapy for non-small-cell lung cancer: calculations from clinical trials. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2007;68:1047–52. 7. PORT Meta-analysis Trialists’ Group. Postoperative radiotherapy for non-small cell lung cancer. Cochrane Database Syst Rev 2005;A4–Apr 10(2):CD002142. 8. Potti A, Mukherjee S, Petersen R, et al. A genomic strategy to refine prognosis in early-stage non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2006;355:570–80. 9. Wakelee HA, Stephenson P, Keller SM, et al. Post-operative radiotherapy (PORT) or chemoradiotherapy (CPORT) following resection of stages II and IIIA non-small cell lung cancer (NSCLC) does not increase the expected risk of death from intercurrent disease in Eastern Cooperative Oncology Group trial E3590. Lung Cancer 2005; 48:389–97. 10. Yanagisawa K, Tomida S, Shimada Y, et al. A 25-signal proteomic signature and outcome for patients with resected non-small-cell lung cancer. J Natl Cancer Inst 2007;99:858–67. Carsten Nieder, Bodø, Norwegen 647 Literatur kommentiert Neoadjuvante Strahlen-Chemotherapie des Rektumkarzinoms: Wichtigster Prognosemarker ist der residuelle Lymphknotenstatus Hintergrund und Fragestellung: Nach den Ergebnissen der Deutschen Rektumkarzinom-Studiengruppe [9] wird die präoperative kombinierte 5-FU-basierte Strahlen-Chemotherapie bei Rektumkarzinomen der Stadien II und III empfohlen. Sie reduziert gegenüber einer postoperativen Strahlen-Chemotherapie signifikant die Lokalrezidivrate, aber nicht das Gesamtüberleben. Unbekannt ist auch der prognostische Wert der nach neoadjuvanter Therapie im Operationspräparat bestimmten, für die 5-FU-Therapie relevanten Enzyme. Ziel dieser Studie [7] war es, die Reaktion des Tumors und der intratumoralen Enzyme auf die neoadjuvante Therapie mit dem Krankheitsverlauf zu korrelieren. Patienten und Methodik: Untersucht wurden 40 Patienten mit einem Rektumkarzinom der Stadien II und III, die in der oben genannten Studie [9] in der Göttinger Klinik behandelt wurden. Nach der Erstuntersuchung wurden die Reduktion der Tumorgröße, des Tumorstadiums, die histologisch bestimmte Tumorregression und die relevanten Enzyme im Tumorpräparat mit dem krankheitsfreien und dem Gesamt-Überleben korreliert. Reduktion des Tumorstadiums gegenüber fehlendem Downstaging signifikant verbessert. Alle Patienten mit einem Rückfall gehörten zu der Subgruppe, in der durch die präoperative Behandlung keine Reduktion des Tumorstadiums zu erreichen war; eine alleinige Tumorverkleinerung war nicht mit dem weiteren Verlauf korreliert. Eine histologische Regression [4] war in zehn von elf Fällen auch in den Tumoren von Patienten mit späteren Metastasen nachweisbar. Die Rückfallrate betrug nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 49 Monaten 28,2%; drei Patienten hatten ein mit einer Fernmetastasierung verbundenes Lokalrezidiv. Bei 15 von 40 Patienten trat eine Vollremission initial befallener Lymphknoten ein. Alle Patienten mit einem Rezidiv hatten trotz der vorangegangenen Strahlen-Chemotherapie noch befallene Lymphknoten (p < 0,001) und im Vergleich zu Patienten ohne Rezidiv eine signifikant höhere Expression des intratumoralen Thymidylat-Synthase-(TS-)Gens (p = 0,035); die TS ist das Zielenzym, das von 5-FU gehemmt wird. Zudem war das TS-Gen nach neoadjuvanter Strahlen-Chemotherapie in den Tumoren signifikant geringer exprimiert als in einer primär operativ behandelten Kontrollgruppe (p = 0,001). Ergebnisse: Mit der präoperativen Strahlen-Chemotherapie wurde eine signifikante Reduktion der Tumorgröße (p < 0,001) und des Tumorstadiums (p = 0,001) erreicht. Das krankheitsfreie (p < 0,001) und das Gesamt-Überleben (p = 0,003) waren bei einer Schlussfolgerung: Nach präoperativer Strahlen-Chemotherapie des Rektumkarzinoms sind ein persistierender positiver Lymphknotenstatus und eine hohe intratumorale Thymidylat-Synthase ungünstige Prognosemarker. Kommentar In dieser Arbeit [7] gehört bereits die Verminderung des Tumorstadiums nach neoadjuvanter Therapie zu den deutlichsten prognostischen Unterscheidungsmerkmalen. Dass hierbei allen Lokalrezidiven und Fernmetastasen ein residueller Lymphknotenbefall vorausging, ist trotz der Zahl von nur elf Patienten beeindruckend. Diese Ergebnisse ähneln den Erfahrungen, die in den letzten Jahren bei anderen Tumoren gemacht wurden. So ist z.!B. eine Vollremission nach neoadjuvanter Strahlen-Chemotherapie des Ösophagus ein guter Prognosemarker [3], und das Ansprechen auf eine neoadjuvante Chemotherapie des Magenkarzinoms führte in einer kleineren Studie zu einem Fünfjahresüberleben von 90% [8]. Beim Rektumkarzinom fanden Valentini et al. [10] bei 165 Patienten eine hochsignifikante Verbesserung der Prognose bei dem nach neoadjuvanter Strahlen-Chemotherapie erreichten Stadium pT0–2, und zwar unabhängig vom initialen klinisch bestimmten Stadium. Sie schließen daraus auf eine Heterogenität der Rektumkarzinome. Obwohl im Gegensatz zum Rektumkarzinom bei den großen neoadjuvanten Mammakarzinom-Studien auf eine präoperative Bestrahlung verzichtet wurde, ist ein Vergleich interessant, denn hier sind die Fallzahlen bereits groß genug für eine stabile Beurteilung. Auch beim Mammakarzinom 648 ist die Reaktion auf die neoadjuvante Therapie ein entscheidender Prognosemarker [2] und die komplette Remission der befallenen Lymphknoten wichtiger als die des Primärtumors. Unter Patientinnen mit prätherapeutisch zytologisch gesichertem Lymphknotenbefall hatten diejenigen mit pathologisch gesicherter axillärer Vollremission nach zehn Jahren ein rückfallfreies Überleben von 87%, während ein residueller axillärer Befall diese Rate auf 38% senkte. Wenn eine axilläre Vollremission eintrat, hatte selbst ein residueller Primärtumor keine prognostische Bedeutung mehr. Letzteres wurde als eine fehlende Metastasierungsfähigkeit dieser Tumorzellen interpretiert [6]. In der referierten Arbeit [7] hatten alle Patienten mit einem späteren Rückfall einen bei der Operation persistierenden Lymphknotenbefall (fehlendes Downstaging) unabhängig von der Verkleinerung des Primärtumors (Downsizing) und der histologisch bestimmten Tumorregression. Dies deutet auf ein nach neoadjuvanter Therapie entscheidendes Prinzip hin: Nach dieser Therapie zeigt uns der Tumor seine Biologie, die aber von uns weniger beeinflusst wird, als wir annehmen. Ein Blick auf die gut gesicherten Daten beim Mammakarzinom bestätigt dies weiter. Bei diesem Tumor gilt es Strahlenther Onkol 2007 · No. 11 © Urban & Vogel Literatur kommentiert als gesichert, dass es unwichtig ist, ob wir neoadjuvant oder adjuvant therapieren: Das Ergebnis ist abgesehen von einer besseren brusterhaltenden Operabilität nach neoadjuvanter Therapie das gleiche [5]. Dabei ist eine Vollremission nach neoadjuvanter Therapie ein sehr günstiger Prognosemarker [2]. Wenn wir nun die Intensität der neoadjuvanten Therapie verstärken und z. B. nach vier Zyklen AC noch viermal Taxotere geben, verdoppeln wir die Zahl der Vollremissionen von 9,2 auf 18,9%, aber die Häufigkeit der Fernmetastasierungen bleibt trotzdem unverändert [2]. Liersch et al. [7] schlagen nun vor, dass beim Rektumkarzinom die präoperative Behandlung durch die Zugabe von Oxaliplatin intensiviert wird, da dieses in der palliativen Situation die Vollremissionsquote gegenüber einer 5-FU-Monotherapie verdoppelt. Die beim Mammakarzinom gemachten Erfahrungen lassen jedoch eher erwarten, dass sich diese Intensivierung nicht mehr auf die Heilungsrate auswirkt als die postoperative Gabe von Oxaliplatin [1]. Fazit: Es ist leicht nachvollziehbar und durch mehrere Arbeiten gesichert, dass die Reaktion auf die präoperative Therapie ein entscheidender Prognosemarker für ein Rektumkarzinom ist. Die bisher fehlende Verbesserung der Gesamtprognose durch die neoadjuvante im Vergleich zur adjuvanten Therapie des Rektumkarzinoms und Erfahrungen aus der neoadjuvanten Therapie sowohl des Rektum- als auch des Mammakarzinoms weisen aber darauf hin, dass die Reaktion auf diese Therapieform eher die Biologie eines Tumors zeigt, als dass sie ihn beeinflusst. Wir räumen also durch die Therapie die Lymphknoten und große Teile gut beeinflussbarer Tumoren ab, während die Verkleinerung der aggressiven Tumoren und ihrer Lymphknoten, die Reduzierung der Fernmetastasierung und die Verbesserung der Gesamtprognose genau so schwierig sind wie bei der adjuvanten Therapie. Literatur 1. André T, Boni C, Mounedji-Boudiaf L, et al. Oxaliplatin, fluorouracil, and leucovorin as adjuvant treatment for colon cancer. N Engl J Med 2004;350:2343–51. 2. Bear HD, Anderson S, Smith RE, et al. Sequential preoperative or postoperative docetaxel added to preoperative doxorubicin plus cyclophosphamide for operable breast cancer:National Surgical Adjuvant Breast and Bowel Project Protocol B-27. J Clin Oncol 2006; 24:2019–27. 3. Berger AC, Farma J, Scott WJ, et al. Complete response to neoadjuvant chemoradiotherapy in esophageal carcinoma is associated with significantly improved survival. J Clin Oncol 2005;23:4330–7. 4. Dworak O, Keilholz L, Hoffmann A. Pathological features of rectal cancer after preoperative radiochemotherapy. Int J Colorectal Dis 1997; 12:19–23. 5. Fisher B, Bryant J, Wolmark N, et al. Effect of preoperative chemotherapy on the outcome of women with operable breast cancer. J Clin Oncol 1998;16:2672–85. 6. Hennessy BT, Hortobagyi GN, Rouzier R, et al. Outcome after pathologic complete eradication of cytologically proven breast cancer axillary node metastases following primary chemotherapy. J Clin Oncol 2005;23:9304–11. 7. Liersch T, Langer C, Ghadimi BM, et al. Lymph node status and TS gene expression are prognostic markers in stage II/III rectal cancer after neoadjuvant fluorouracil-based chemoradiotherapy. J Clin Oncol 2006;24:4062–8. 8. Ott K, Sendler A, Becker K, et al. Neoadjuvant chemotherapy with cisplatin, 5-FU, and leucovorin (PLF) in locally advanced gastric cancer: a prospective phase II study. Gastric Cancer 2003;6:159–67. 9. Sauer R, Becker H, Hohenberger W, et al. Preoperative versus postoperative chemoradiotherapy for rectal cancer. N Engl J Med 2004; 351:1731–40. 10. Valentini V, Coco C, Picciocchi A, et al. Does downstaging predict improved outcome after preoperative chemoradiation for extraperitoneal locally advanced rectal cancer? A long-term analysis of 165 patients. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2002;53:664–74. Michael Fink, Fürth Erstmals publiziert in In|Fo|Onkologie 2006;9:482–3 (No. 6) Maligne Hämoblastosen nach Chemotherapie des Mammakarzinoms Fragestellung: Wie hoch ist das Risiko und von welchen Faktoren hängt es ab, nach der Behandlung eines Mammakarzinoms an einer akuten myeloischen Leukämie (AML) oder einem myelodysplastischen Syndrom (MDS) zu erkranken? Hintergrund: Das Mammakarzinom ist der häufigste maligne Tumor bei Frauen. Trotz steigender Inzidenz sinkt in jüngster Zeit die Mortalität. Dies hängt nicht nur mit der Änderung der Lebensführung, der Primärprävention und der Sekundärprävention zusammen, sondern auch mit den effektiven adjuvanten Behandlungsmaßnahmen. Selektiert nach Risikofaktoren werden Chemo- und Strahlentherapie immer breiter eingesetzt. Anthracycline sind seit den 1990er-Jahren fester Bestandteil adjuvanter Therapieprotokolle. Neben Adriamycin und Epirubicin wurde Strahlenther Onkol 2007 · No. 11 © Urban & Vogel und wird Mitoxantron, ein Topoisomerase-II-Inhibitor, mit einem den Anthracyclinen verwandten Wirkmechanismus genutzt. Dies auch wegen des etwas günstigeren Nebenwirkungsprofils. Nachdem schon in den 1970er-Jahren gezeigt wurde, dass Anthracycline einen nachhaltigen Effekt auf die Hämatopoese mit Minderung der Stammzellen haben, zeigen jüngere Untersuchungen ein zunehmendes Risiko, an AML und MDS zu erkranken. Es war daher von Interesse zu prüfen, inwieweit dies auch für Frauen zutrifft, die einer adjuvanten Behandlung mit Anthracyclinen unterzogen wurden. Patienten und Methodik: In der Abteilung für Biostatistik und Epidemiologie des Instituts Gustav-Roussy, Villejuif, wurde eine multizentrische Fall-Kontroll-Studie an Frauen durchgeführt, die 649 Literatur kommentiert in der Zeit von 1985–2001 wegen eines Mammakarzinoms adjuvant mit Anthracyclinen behandelt worden waren. In der Analyse wurden Parameter wie Tumorstadien, Histologie, Familienanamnese und Art der adjuvanten Interventionen berücksichtigt und nach Wahl der Medikamente, der Strahlentherapie und Dosisdichte stratifiziert. Regressionsanalysen definierten das relative Risiko (RR) eines Zusammenhangs mit dem Typ adjuvanter Maßnahmen. Zweiseitige p-Werte und die 95%-Konfidenzintervalle (95%-KI) wurden uni- und multivariat errechnet. das Risiko für AML/MDS durch eine zusätzliche Strahlentherapie um den Faktor 3,9 (95%-KI: 1,4 –10,8). Kein erhöhtes Risiko fand sich dagegen nach dem Einsatz von alkylierenden Substanzen. Patienten, die im Rahmen der adjuvanten Therapie Wachstumsfaktoren (G-CSF) erhielten, hatten ein noch höheres Risiko (RR = 6,3; 95%-KI: 1,9–21), und dies selbst nach Berücksichtigung der Chemotherapie-Dosierung. Auch wenn die Entwicklung einer AML und eines MDS separat analysiert wurden, stimmten die Daten mit den vorgenannten überein. Ergebnisse: 182 Frauen mit AML und MDS wurden mit 534 passenden Kontrollen verglichen. Das Risiko für AML/MDS war am höchsten bei den mit Mitoxantron Behandelten (p < 10–16). Bei dem Vergleich von Mitoxantron und Anthracyclinen lag das RR bei 15,6; 95%-KI: 7,1–34,2 und RR = 2,7; 95%-KI: 1,7–4,5. Nach Berichtigung für andere Behandlungskomponenten erhöhte sich Schlussfolgerungen: Das Risiko, als Folge einer adjuvanten Behandlung des Mammakarzinoms AML/MDS zu entwickeln, korreliert mit dem Einsatz von Anthracyclinen, v.a. Mitoxantron, und einer Strahlentherapie. Es wird zudem durch G-CSF erhöht, unabhängig von der Dosierung der eingesetzten Medikamente. Kommentar Dass die adjuvante Therapie bei Patientinnen mit Mammakarzinom nicht ohne Spätfolgen bleibt, ist offenkundig. Neben psychoonkologischen und intellektuellen Belastungen, die nur teilweise reversibel sind, schränkt die Entwicklung von Zweitmalignomen und Hämoblastosen auch die Lebenserwartung ein. Hinzu kommen nicht-maligne Organerkrankungen, v. a. des Herz- und Kreislaufsystems. So wird noch über zehn und 20 Jahre nach Abschluss der Primärtherapie die Lebenserwartung um Prozentpunkte und der Nutzen adjuvanter, anthracyclinhaltiger Chemotherapien signifikant gemindert. Die Aufklärung der Patientinnen, das Abwägen von Schaden und Nutzen wird dadurch noch komplizierter und bedarf Empathie und hoher fachlicher Qualifikation. Anordnungen wie „in unserem Hause empfehlen wir Schema xy“ sind obsolet. Die Bedeutung interdisziplinärer Tumorkonferenzen wird angesichts der nach 30 Jahren adjuvanter Therapie des Mammakarzinoms beobachteten Späteffekte immer wichtiger. Fazit: Der behandelnde Onkologe trägt ein hohes Maß an Verantwortung und muss sich auf die Expertise eng kooperierender Brustzentren und Schwerpunktpraxen stützen können. Dies gilt nicht nur für Patienten mit Mammakarzinom, sondern gleichermaßen auch für andere Karzinomentitäten oder zytostatisch behandelte Autoimmunerkrankungen. Literatur 1. De Deley MC, Suzan F, Cutuli B, et al. Anthracyclines, mitoxantrone, radiotherapy, and granulocyte colony-stimulating factor: Risk factors for leukemia and myelodysplastic syndrome after breast cancer. J Clin Oncol 2007;25:292–300. Ulrich R. Kleeberg, Hamburg Erstmals publiziert in In|Fo|Onkologie 2007;10:326–7 (No. 5) Die in diesem Jahr in der Rubrik „Literatur kommentiert“ erschienenen Beiträge sind online verfügbar unter www.degro.org 650 Strahlenther Onkol 2007 · No. 11 © Urban & Vogel