Völlig neue Therapieprinzipien

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PLATTENEPITHELKARZINOME DER LUNGE
Völlig neue Therapieprinzipien
Die hohe genetische Komplexität von Plattenepithelkarzinomen der Lunge ist vermutlich
Ursache für die oft geringe Sensibilität dieser Karzinome gegenüber systemischen
Therapien. Zu den innovativen Strategien gehören Substanzen, die der tumorinduzierten
Immunsuppression entgegenwirken.
ei den nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen
(„NSCLC“) sind für Patienten mit fortgeschrittener, metastasierter Erkrankung vor allem bei
den „drüsigen Tumoren“ (Adenokarzinome = ADCA)
in den letzten zehn Jahren einige wichtige und praxisrelevante Fortschritte erzielt worden. Außer den
„Anti-Tumorgefäßtherapien“ (anti-angiogene Medikamente) mit dem monoklonalen Antikörper Bevacizumab und der sogenannten „Erhaltungschemotherapie“ mit dem Multitarget-Antifolat Pemetrexed hat
vor allem die gezielte Therapie bei Vorliegen von für
das Tumorwachstum bedeutenden „Treibermutationen“ (EGFR-Mutation, Eml4-ALK Translokation
und ROS1-Mutation/Alteration) einen signifikanten
klinischen Benefit für die jeweilige Patientengruppe
gebracht (1).
Werden circa 50 Prozent der Lungenkarzinome als
ADCA typisiert, so machen 30 bis 35 Prozent die
Plattenepithelkarzinome (PECA) aus. Charakteristisch für sie ist eine hohe Wachstumsfraktion an
Tumorzellen, ein häufig eher lokal-fortschreitendes
Wachstum und ein geringerer Anteil an kumulativ
sich entwickelnden Hirnmetastasen (2). Molekulargenetisch finden sich bei dieser Entität interessanterweise deutlich mehr somatische Mutationen pro individueller Tumorzelle. Die häufigsten molekularen
Veränderungen sind p53-Mutationen, FGF-R-Amplifikationen und -Mutationen, PTEN-Verlust oder
PI3K-Amplifikationen/Mutationen und DDR-2-Mutationen. Weitere Gene mit auffälligen Veränderungen bei diesen Tumoren sind SOX2, RB1, LKB11,
MET, HER2, BRAF und p16/CDKN2A (3). Leider
sind allerdings in den letzten Jahren noch keine Medikamente bei den PECA der Lunge in Phase-IIIStudien so weit entwickelt worden, dass in Europa
eine offizielle Arzneimittelzulassung speziell für diese Entität erteilt werden konnte.
B
Neues Taxan bei NSCLC in Prüfung
Dennoch gibt es einzelne erste positive Signale, dass
auch bei dieser Tumorentität in Zukunft für bestimmte Patientensubgruppen die Entwicklung von
innovativen Therapien durchaus gelingen könnte.
Die Taxane als Inhibitoren der Mitose sind beim
PECA der Lunge mit ihrem hohen Anteil proliferierender Zellen im Tumor sehr wirksame Chemotherapeutika. Aktuell wird im Rahmen von großen rando-
8
misierten Studien ein neues Nanopartikel-Albumingebundenes Taxan (Abraxane) geprüft. Erste randomisierte Studien in den USA haben sehr vielversprechende Ergebnisse erbracht, die dort zu einer formalen Zulassung für Patienten mit metastasierten,
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen geführt haben (4). In Europa laufen derzeit große Studien beim
PECA der Lunge, deren Ergebnisse gilt es abzuwarten (5).
Beim PECA der Lunge ist der EGF-Rezeptor auffällig stark exprimiert. Schon bei den Untersuchungen zu Cetuximab – einem chimären, monoklonalen
Antikörper vom Typ IgG1 gegen den EpithelialenWachstumsfaktor-Rezeptor (EGF-R) – im Rahmen
einer großen prospektiv-randomisierten Studie beim
NSCLC („FLEX“-Studie) zeigte sich, dass sich mit
der Kombination einer konventionellen Chemotherapie aus Cisplatin plus Vinorelbin und Cetuximab ein
signifikant günstigeres Gesamtüberleben erzielen
ließ als mit Chemotherapie alleine. Die Behandlungsverbesserungen waren allerdings sehr moderat
und wurden von den Zulassungsbehörden als nicht
ausreichend klinisch relevant bewertet (6, 7).
Suche nach spezifischen Therapien
Bei der diesjährigen Tagung der American Society
for Clinical Oncology (ASCO) in Chicago sind erste
Daten einer prospektiv-randomisierten Studie bei
den PECA der Lunge mit dem komplett humanisierten Anti-EGF-R-Antikörper Necitumumab vorgestellt worden, die als sehr vielversprechend bewertet
wurden (8). In der Erstlinientherapie von Patienten
mit fortgeschrittenem PECA wurde mit der Kombination Gemcitabin/Cisplatin plus Antikörper ein
Gesamtüberleben von 11,5 Monaten erzielt versus
9,9 Monate mit Chemotherapie allein (p = 0,012).
Nun wird versucht, Patientengruppen zu definieren,
bei denen der Benefit durch die zusätzliche Gabe
Necitumumab von entscheidender klinischer Relevanz ist. Damit könnte vielleicht in Zukunft für bestimmte Patientensubgruppen mit PECA der Lunge
eine spezifische neue Behandlungsoption zur Verfügung stehen.
Die Gabe des antiangiogenetisch wirksamen Antikörpers Bevacizumab wurde bei den PECA der
Lunge frühzeitig wegen Blutungskomplikationen
verlassen (9). Aktuell sind Kinaseinhibitoren mit
Perspektiven | Deutsches Ärzteblatt | 7. November 2014
Wirksamkeit im VEGF (vascular endothelial growth
factor)- und PDGF (platelet derived growth factor)System bei denen, die mit Anti-VEGF-Antikörpern beschriebenen Blutungsnebenwirkungen bisher
nicht beobachtet worden sind, in klinischer Prüfung.
Für Nitendanib als Pan-VEGF, -PDGF und -FGF
(fibroblast growth factor) sind die ersten Daten klinischer Studien vielversprechend (10). Allerdings ist
auch hier noch nicht klar, bei welchen Subgruppen
der Benefit dieser Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) relevant ist.
Komplexe Molekularpathologie
Die molekulare Pathologie der PECA scheint insgesamt komplexer zu sein als die der ADCA (11). So
haben sich bisher nur wenige klare Treibermutationen identifizieren lassen. Dazu gehören DDR2-Mutationen und Amplifikationen von FGF-R1
(12). Es gibt Daten erster klinischer Studien, die die
Wirksamkeit der TKI bei DDR-2-Mutation belegen,
allerdings ist die Toxizität vergleichsweise hoch, so
dass eine klare Therapieempfehlung derzeit nicht
gegeben werden kann (13). In der Rekrutierungsphase sind auch Studien bei Patienten mit FGFR1-Amplifikation (Phase-I/II). Erste Daten mit Patienten, die mindestens drei Vortherapien hatten,
waren mit einem medianen Gesamtüberleben von,
je nach Dosis, 9,2 bis 14,9 Monaten positiv bewertet worden. Die Remissionsdauer scheint aber nicht
so anhaltend zu sein wie bei ADCA mit EGF-R-Alterationen (14).
Für Nitendanib ist eine partielle Wirksamkeit auch
am FGF-Rezeptor nachgewiesen. Ob die Ergebnisse
bei Patienten mit NSCLC in den randomisierten Studien mit diesem TKI deshalb so günstig waren, ist
unklar. Genauere Daten zu Mutationen beim PECA
sind notwendig, um prospektiv begleitend in klinischen Studien molekulare Biomarker daraufhin zu
prüfen, ob sich Subgruppen für zielgerichtete Therapien selektieren lassen. PECA der Lunge genetisch
TABELLE
Neue Ansatzpunkte der medikamentösen Therapie
bei Plattenepithelkarzinomen der Lunge
biologischer Ansatzpunkt
Medikamentengruppe
hohe Wachstumsfraktion im Tumor
innovative Taxane
hohe EGF-R-Expression
Anti-EGF-R-Antikörper
DDR-2-Genmutation
Tyrosinkinaseinhibitoren
FGF-R1-Genmutation
Tyrosinkinaseinhibitoren
FGF-R1-Amplifikation
Tyrosinkinaseinhibitoren
PTEN-Verlust
mTOR-Inhibitoren, TKI
PI3K-Amplifikation
Tyrosinkinaseinhibitor
HER2-Überexpression
Anti-HER2 Antikörper
PD-1L-Expression
Anti-PD-1- oder PD1-L Antikörper
TKI = Tyrosinkinaseinhibitoren
10
zu „kartieren“, ist Ziel eines großen nationalen Konsortiums in den USA (15). Diese Ergebnisse werden
sicher unsere zukünftige Sicht und Behandlung dieser Tumoren entscheidend weiter mitbeeinflussen.
Für die Weiterentwicklung der Therapie des
NSCLC werden Inhibitoren der Proteine PD1 (programmed cell death 1) und PD1-Ligand-Inhibitoren
klinisch geprüft, vor allem monoklonale Antikörper
(16, 17). Ziel dieser sogenannten Immun-checkpoint-Inhibitoren ist die Aufhebung einer Inhibition
der Immunreaktion durch das Tumorgewebe (18).
Offenbar ist der Effekt dieser Medikamente besonders bei PECA ausgeprägt (18). Ob die Expression
von PD-1L prädiktiv für die Wirksamkeit von PD1oder PD1-L-Antikörpern ist, wird noch untersucht
(16). Allerdings scheint mit diesem neuen Therapieprinzip tatsächlich eine Gruppe von Medikamenten
entwickelt worden zu sein, die zumindestens auch
bei PECA eine klinisch relevante Wirksamkeit bei
akzeptabler Toxizität besitzt. Obwohl erste Langzeitdaten mit solchen Antikörpern sehr vielversprechend
zu sein scheinen (19), bleiben doch die Ergebnisse
von Phase-III-Studien mit Immun-checkpoint-Inhibitoren abzuwarten.
Fortschritte in der systemischen Therapie von Patienten mit NSCLC sind vor allem bei den Adenkarzinomen erzielt worden. Dennoch gibt es aktuell
auch für Patienten mit Plattenepithelkarzinomen der
Lunge Entwicklungen, die realistisch in den nächsten zwei bis drei Jahren zur Verfügbarkeit von neuen
systemischen Therapieansätzen führen dürften. Dies
ist auch dringend notwendig, denn seit der Einführung von Gemcitabin und der Taxane Paclitaxel und
Docetaxel in den 90er-Jahren hat es für die Behandlung dieser Entität keine neuen Medikamentenzulassungen gegeben: eine klare „unmet-need“-Situation
für diese Patientengruppen.
Mit besonderer Aufmerksamkeit werden die Ergebnisse der klinischen Studien zu den neuen innovativen Immuntherapien mit PD1- und PD1-L-Antikörpern beobachtet, die vom Pathomechanismus her
und von ihren ersten noch präliminären Daten bei
den PECA sehr vielversprechend erscheinen. Molekulare Untersuchung der Signaltransduktion der
PECA-Tumorzellen dürften ebenfalls für einzelne
Patienten mit klarer genetischer „Treiberalteration“
zu neuen innovativen Therapieoptionen führen. Angesichts der bei den PECA im Gegensatz zu den
ADCA wohl häufigeren und ausgeprägteren Raucheranamnese dürfte allerdings die Komplexität der
molekulargenetischen Aberrationen bei diesen Tumoren durch die langanhaltende Karzinogenbelastung deutlich höher und damit therapeutisch mögli▄
cherweise schwieriger zu beeinflussen sein.
Dr. med. Wilfried Ernst Erich Eberhardt
Martin Metzenmacher
Innere Klinik (Tumorforschung), Westdeutsches Tumorzentrum Essen,
Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen
@
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4514
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PLATTENEPITHELKARZINOM DER LUNGE
Völlig neue Therapieprinzipien
Die hohe genetische Komplexität von Plattenepithelkarzinomen der Lunge ist vermutlich Ursache für
die oft geringe Sensibilität dieser Karzinome gegenüber systemischen Therapien. Zu den innovativen
Strategien gehören Substanzen, die der tumorinduzierten Immunsuppression entgegenwirken.
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Perspektiven | Deutsches Ärzteblatt | 7. November 2014
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