Diskrete Strukturen Sebastian Thomas RWTH Aachen https://www2.math.rwth-aachen.de/DS17/ Mathematische Logik Aussagen Begriff Aussage: Ausdruck“, welcher entweder wahr oder falsch ist ” Beispiele I I I I I Die RWTH Aachen hat eine Mensa.“ ” Es gibt unendlich viele Primzahlen.“ ” 2 + 3 = 6.“ ” Zu jeder reellen Zahl y gibt es eine reelle Zahl x mit y = x 2 .“ ” Jede gerade Zahl, welche größer als 2 ist, ist eine Summe aus ” zwei Primzahlen.“ Gegenbeispiele I I Es ist kalt.“ ” a2 + b 2 = c 2 .“ ” Aussagen (Forts.) Beispiel Wenn es regnet oder schneit, dann ist die Straße nass.“ ” ist zusammengesetzt aus I I I Es regnet.“ ” Es schneit.“ ” Die Straße ist nass.“ ” Umformulierung mit besser erkennbarer logischer Struktur: Wenn es regnet‘ oder es schneit‘, dann die Straße ist nass‘.“ ” ’ ’ ’ Aussagen (Forts.) Beispiel Wenn du ein Smartphone oder ein Tablet besitzt, so kannst du ” mobil im Internet surfen.“ hat dieselbe Formalisierung (A ∨ B) ⇒ C Hypothese Wahrheitswert von zusammengesetzten Aussagen hängt ab von I logischer Struktur der zusammengesetzten Aussage I Wahrheitswerte der Einzelaussagen I nicht von den Einzelaussagen selbst Aussagenlogik Aussagenlogische Formeln Definition I Alphabet der Aussagenlogik: I I I I A1 , A2 , A3 , . . . 0, 1, ¬, ∧, ∨, ⇒, ⇔ (, ) Sprache der Aussagenlogik: sinnvoll“ aus dem Alphabet zusammengesetzte Wörter: ” I I A1 , A2 , A3 , . . . sind Wörter 0, 1 sind Wörter und für Wörter F und G haben wir Wörter I I I I I ¬F F ∧G F ∨G F ⇒G F ⇔G Aussagenlogische Formeln (Forts.) Beispiel aussagenlogische Formeln: I A I 1 I ¬B I A∧B I 0∨1 I A ∨ (B ∧ (¬C )) keine aussagenlogische Formeln: I I ∨D A⇒B⇒C Aussagenlogische Formeln (Forts.) (formalsprachliche) Junktoren entsprechen (ugs.) Konnektoren: I I I I I ¬ entspricht nicht“ ” ∧ entspricht und“ ” ∨ entspricht oder“ ” ⇒ entspricht aus . . . folgt . . .“ ” entspricht wenn . . . , dann . . .“ ” entspricht nur dann . . . , wenn . . .“ ” ⇔ entspricht genau dann . . . , wenn . . .“ ” entspricht . . . genau dann, wenn . . .“ ” entspricht . . . ist äquivalent zu . . .“ ” Aussagenlogische Formeln (Forts.) Anwendungsbeispiel Modellierung: I I I I I I I I Es regnet.“ ” Es schneit.“ ” Die Straße ist nass.“ ” Es regnet oder es schneit.“ ” Die Straße ist trocken.“ ” Es gibt unendlich viele Primzahlen.“ ” 2 + 3 = 6.“ ” Zu jeder reellen Zahl x gibt es ” eine reelle Zahl y mit x + y = 0.“ entspreche A entspreche B entspreche C entspreche D entspreche E entspreche F entspreche G entspreche H Aussagenlogische Formeln (Forts.) I A∨B ⇒C I D⇒C I A∨B ⇒E I A ∨ B ⇒ ¬C I A⇒F Aussagenlogische Formeln (Forts.) Definition n nicht-negative ganze Zahl, F aussagenlogische Formel F ist aussagenlogische Formel in A1 , . . . , An : an keiner Stelle von F kommt ein Ai für ein i > n vor Beispiel I A ∧ B ⇒ C: aussagenlogische Formel in A, B, C I A ∧ B ⇒ D: aussagenlogische Formel in A, B, C , D I A ∧ B ⇒ C: aussagenlogische Formel in A, B, C , D I A ∧ B ⇒ D: keine aussagenlogische Formel in A, B, C Wahrheitswerte Definition Interpretation der Aussagenvariablen A1 , . . . , An : für jedes j mit 1 ≤ j ≤ n: eindeutige Zuordnung“ von Wahrheitswert vj zu Aj : ” entweder 0 (falsch) oder 1 (wahr) Notation: v1 . . . vn Beispiel Interpretationen der Aussagenvariablen A, B, C : Wahrheitswerte (Forts.) Definition Interpretation sei gegeben Wahrheitswert einer aussagenlogischen Formel rekursiv gemäß folgender Wahrheitstafeln: F 1 1 0 0 F 1 0 1 1 0 0 G 1 0 1 0 F ∧G 1 0 0 0 F ∨G 1 1 1 0 ¬F 0 1 F ⇒G 1 0 1 1 F ⇔G 1 0 0 1 Wahrheitswerte (Forts.) Beispiel Wahrheitswert von A ∨ B ⇒ C unter 101: Beispiel Wahrheitswerte von A ∨ B ⇒ A ∧ C : A 1 1 1 1 0 0 0 0 B 1 1 0 0 1 1 0 0 C 1 0 1 0 1 0 1 0 A∨B ⇒A∧C Tautologien und Kontradiktionen Definition I Tautologie: AF, die unter jeder Interpretation den Wahrheitswert 1 hat I Kontradiktion: AF, die unter jeder Interpretation den Wahrheitswert 0 hat Beispiel I A ∨ ¬A ist Tautologie I A ∧ ¬A ist Kontradiktion Tautologien und Kontradiktionen (Forts.) Bemerkung F aussagenlogische Formel genau dann ist F Tautologie, wenn ¬F Kontradiktion ist Logische Äquivalenz Definition F , G aussagenlogische Formeln F ist logisch äquivalent zu G , geschrieben F ≡ G : unter jeder Interpret. sind die Wahrheitswerte von F und G gleich Beispiel A ⇒ B ≡ ¬A ∨ B Logische Äquivalenz (Forts.) Proposition F , G aussagenlogische Formeln genau dann gilt F ≡ G , wenn F ⇔ G Tautologie ist Bemerkung F aussagenlogische Formel I genau dann ist F Tautologie, wenn F ≡ 1 ist I genau dann ist F Kontradiktion, wenn F ≡ 0 ist Logische Äquivalenz Beispiel I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I A ∧ (B ∧ C ) ≡ (A ∧ B) ∧ C A ∨ (B ∨ C ) ≡ (A ∨ B) ∨ C A∧1≡A A∨0≡A A∧B ≡B ∧A A∨B ≡B ∨A A∧A≡A A∨A≡A A ∧ ¬A ≡ 0 A ∨ ¬A ≡ 1 A ∧ (B ∨ C ) ≡ (A ∧ B) ∨ (A ∧ C ) A ∨ (B ∧ C ) ≡ (A ∨ B) ∧ (A ∨ C ) A ∧ (A ∨ B) ≡ A A ∨ (A ∧ B) ≡ A Logische Äquivalenz (Forts.) Beispiel I ¬(¬A) ≡ A Beispiel (De Morgansche Gesetze) I ¬(A ∨ B) ≡ ¬A ∧ ¬B I ¬(A ∧ B) ≡ ¬A ∨ ¬B Semantische Implikation Definition F , G aussagenlogische Formeln F impliziert G semantisch, geschrieben F |= G : für jede Interpret.: wenn F Whw. 1 hat, dann hat G Whw. 1 Beispiel A ∧ B |= A ∨ C Semantische Implikation (Forts.) Proposition F , G aussagenlogische Formeln genau dann gilt F |= G , wenn F ⇒ G Tautologie ist Proposition F , G aussagenlogische Formeln genau dann gilt F ≡ G , wenn F |= G und G |= F gilt Direkter Beweis Ziel zeige Aussage der Form A ⇒ B Methode finde und verwende I Aussage der Form A1 ⇒ A2 I Aussage der Form A2 ⇒ A3 .. . I Aussage der Form An−1 ⇒ An für eine natürliche Zahl n mit I A = A1 I B = An Direkter Beweis (Forts.) Beispiel I (A ⇒ B) ∧ (B ⇒ C ) |= (A ⇒ C ) Beispiel (modus ponens) I A ∧ (A ⇒ B) |= B Beispiel I A ∧ B |= A I A |= A ∨ B Beispiel I A⇒B ≡A⇒A∧B Direkter Beweis (Forts.) Anwendungsbeispiel für jede ganze Zahl n: wenn n gerade ist, dann ist auch n2 gerade Kontraposition Beispiel A ⇒ B ≡ ¬B ⇒ ¬A Anwendungsbeispiel für jede ganze Zahl n: wenn n2 gerade ist, dann ist auch n gerade Indirekter Beweis Beispiel A ⇒ B ≡ ¬(A ∧ ¬B) Anwendungsbeispiel Jede reelle Zahl x mit x 3 + x = 1 ist irrational. Beweis einer Äquivalenz Beispiel A ⇔ B ≡ (A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A) Anwendungsbeispiel für jede ganze Zahl n: genau dann ist n2 gerade, wenn n gerade ist Disjunktive und konjunktive Normalform Definition n nicht-negative ganze Zahl potentielle Wahrheitstafel für A1 ,. . . , An : eindeutige Zuordnung“ von entweder 0 oder 1 ” zu jeder Interpretation von A1 , . . . , An Disjunktive und konjunktive Normalform (Forts.) Beispiel potentielle Wahrheitstafel für A, B, C : A B C 1 1 1 1 1 1 0 0 1 0 1 1 1 0 0 0 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 Disjunktive und konjunktive Normalform (Forts.) Definition n nicht-negative ganze Zahl, F AF in A1 , . . . , An F ist in (kanonischer ) disjunktiver Normalform (DNF): es gibt eine nicht-neg. ganze Zahl k und versch. AFen F1 , . . . ,Fk : I F = F1 ∨ . . . ∨ Fk I für 1 ≤ i ≤ k: für 1 ≤ j ≤ n: Beispiel A ∧ B ∨ A ∧ ¬B ist in DNF Fi = Xi,1 ∧ . . . ∧ Xi,n Xi,j = Aj oder Xi,j = ¬Aj Disjunktive und konjunktive Normalform (Forts.) Definition n nicht-negative ganze Zahl, F AF in A1 , . . . , An F ist in (kanonischer ) konjunktiver Normalform (DNF): es gibt eine nicht-neg. ganze Zahl k und versch. AFen F1 , . . . ,Fk : I F = F1 ∧ . . . ∧ Fk I für 1 ≤ i ≤ k: wobei für 1 ≤ j ≤ n: Fi = Xi,1 ∨ . . . ∨ Xi,n Xi,j = Aj oder Xi,j = ¬Aj Beispiel (A ∨ B ∨ ¬C ) ∧ (A ∨ ¬B ∨ C ) ∧ (¬A ∨ B ∨ C ) ∧ (¬A ∨ ¬B ∨ ¬C ) ist in KNF Disjunktive und konjunktive Normalform (Forts.) Ziel potentielle Wahrheitstafel sei gegeben finde aussagenlogische Formel in DNF mit dieser Wahrheitstafel Methode I arbeite zeilenweise I zu jeder Zeile (d.h. zu jeder Interpretation) gehört ein Disjunkt dieses Disjunkt taucht in der AF entweder auf oder nicht Disjunktive und konjunktive Normalform (Forts.) Definition n nicht-negative ganze Zahl, v1 . . . vn Interpretation zu v1 . . . vn gehöriges Disjunkt: Dis(v1 . . . vn ) = X1 ∧ . . . ∧ Xn wobei für 1 ≤ j ≤ n: ( Aj , Xj = ¬Aj , Beispiel Dis(1011) = falls vj = 1, falls vj = 0 Disjunktive und konjunktive Normalform (Forts.) Bemerkung n nicht-negative ganze Zahl, v1 . . . vn , w1 . . . wn Interpretationen äquivalent: I Dis(w1 . . . wn ) hat unter v1 . . . vn den Wahrheitswert 1 I w1 . . . wn = v1 . . . vn Disjunktive und konjunktive Normalform (Forts.) Proposition n nicht-negative ganze Zahl, potentielle Wahrheitstafel sei gegeben F sei Disjunktion über alle Disjunkte zu Interpretationen, welche in der potentiellen Wahrheitstafel 1 zugewiesen bekommen F ist eindeutige AF in DNF, welche die Wahrheitswerte der gegebenen potentiellen Wahrheitstafel annimmt Disjunktive und konjunktive Normalform (Forts.) Beispiel potentielle Wahrheitstafel für A, B, C : A B C 1 1 1 1 1 1 0 0 1 0 1 1 1 0 0 0 0 1 1 0 0 1 0 0 0 0 1 1 0 0 0 1 Disjunktive und konjunktive Normalform (Forts.) Satz F aussagenlogische Formel F ist zu genau einer AF in DNF logisch äquivalent (bis auf Reihenfolge der Disjunkte) Beispiel A ∨ B ⇒ A ∧ C ist logisch äquivalent zu: Prädikate Begriff I Prädikat über Individuenbereich: Eigenschaft“ oder Beziehung“, welche ” ” für Individuen entweder gilt oder nicht I Prädikat von konkreten Individuen ergibt Aussage Beispiel Aussage Anne speist mit Christian.“ entsteht aus: ” I . . . speist mit . . .“ zweistelliges Prädikat ” I Anne“ und Christian“ Individuen aus ” ” Individuenbereich Freundeskreis“ ” Prädikatenlogische Formeln Formalisierung I I Aussagenlogik: Aussagen Prädikatenlogik: I I Prädikate Individuen Aussagenvariablen Prädikatvariablen Individuenvariablen Beispiel I I I I . . . speist mit . . .“ ” Anne“ ” Christian“ ” Anne speist mit Christian.“ ” entspreche P entspreche x entspreche y entspricht dann P(x, y ) Prädikatenlogische Formeln (Forts.) Alphabet der Prädikatenlogik I P1 , P2 , P3 , . . . I x1 , x2 , x3 , . . . I 0, 1, ¬, ∧, ∨, ⇒, ⇔ I ∃, ∀ I (, ) Notation I schreibe ∃x : P(x) statt (∃x)(P(x)) I schreibe ∀x : P(x) statt (∀x)(P(x)) Prädikatenlogische Formeln (Forts.) Beispiel I ∃x : ∃y : P(x, y ) I ∃x : ∀y : P(x, y ) I ∀x : ∃y : P(x, y ) I ∀x : ∀y : P(x, y ) Wahrheitswerte prädikatenlogischer Formeln I Interpretation: I I I I Festlegung eines Individuenbereichs für jede Prädikatvariable: Zuordnung eines Prädikats für jede Individuenvariable: Zuordnung eines Individuums Wahrheitswert einer prädikatenlogischen Formel: rekursiv als Wahrheitswert der erhaltenen Aussage Wahrheitswerte prädikatenlogischer Formeln (Forts.) Beispiel I prädikatenlogische Formel: F (x) = P(x) = (x > 0) I I I Individuenbereich: natürliche Zahlen P und > 0 werde wie üblich“ interpretiert ” x werde beliebige natürliche Zahl zugeordnet Wahrheitswert: Wahrheitswerte prädikatenlogischer Formeln (Forts.) Beispiel I prädikatenlogische Formel: F (x) = P(x) = (x > 0) I I I I Individuenbereich: reelle Zahlen P bzw. > 0 werde wie üblich“ interpretiert ” Fall: x werde 12 zugeordnet Wahrheitswert: prädikatenlogische Formel: F (x) = P(x) = (x > 0) I I I Individuenbereich: reelle Zahlen P bzw. > 0 werde √ ”wie üblich“ interpretiert Fall: x werde − 2 zugeordnet Wahrheitswert: Wahrheitswerte prädikatenlogischer Formeln (Forts.) I prädikatenlogische Formel: G = (∀x : x > 0) I I I Individuenbereich: natürliche Zahlen P bzw. > 0 werde wie üblich“ interpretiert ” Wahrheitswert: prädikatenlogische Formel: H = (∃x : x > 0) I I Individuenbereich: natürliche Zahlen P bzw. > 0 werde wie üblich“ interpretiert ” Wahrheitswert: Wahrheitswerte prädikatenlogischer Formeln (Forts.) I prädikatenlogische Formel: G = (∀x : x > 0) I I I Individuenbereich: reelle Zahlen P bzw. > 0 werde wie üblich“ interpretiert ” Wahrheitswert: prädikatenlogische Formel: H = (∃x : x > 0) I I Individuenbereich: reelle Zahlen P bzw. > 0 werde wie üblich“ interpretiert ” Wahrheitswert: Wahrheitswerte prädikatenlogischer Formeln (Forts.) Beispiele I prädikatenlogische Formeln: I I I I I G = (∀y : ∃x : y = x 2 ) H = (∃x : ∀y : y = x 2 ) K = (∀x : ∃y : y = x 2 ) L = (∃y : ∀x : y = x 2 ) Individuenbereich: reelle Zahlen I 2 werde wie üblich“ interpretiert ” Wahrheitswerte: Logische Äquivalenz prädikatenlogischer Formeln definieren Begriff der logischen Äquivalenz für präd.log. Formeln Beispiele I ¬(∀x : P(x)) ≡ ∃x : ¬P(x) I ¬(∃x : P(x)) ≡ ∀x : ¬P(x) Verwendung von logischen Symbolen I in mathematischen Texten: I I I keine logische Symbole, ausschließlich Umgangssprache Ausnahme: zur Präzisierung komplexer logischer Situationen in Vorträgen: I Symbole zur Abkürzung Sprachliche Konventionen I erste Aussage oder zweite Aussage gilt“: ” beide Aussagen können gelten I Existenz eines Objekts“: ” Existenz mindestens eines Objekts I Eigenschaft gilt für gewisse Objekte“: ” Eigenschaft gilt für alle diese Objekte I Eigenschaft gilt für eines der Objekte“: ” es gibt ein Objekt mit der Eigenschaft I Objekt sei gegeben“: ” das danach Dargestellte gilt für jedes solche Objekt I Objekt sei gewählt“: ” ein solches Objekt existiert