Prognosen und Empfehlungen für das Digital Marketing 2020 DIGITAL MARKETING Die fortschreitende Digitalisierung der Werbung wird in den kommenden Jahren zu gewaltigen Umbrüchen führen. Wie wird das digitale Marketing im Jahr 2020 aussehen und was müssen Marktteilnehmer heute beachten, um auch 2020 erfolgreich zu sein? Jochen Witte, COO von Stailamedia, wagt einen Ausblick. Von JOCHEN WITTE* Die Digitalisierung der Werbung schreitet mit grossen Schritten voran. Wohin die Reise geht, ist alles andere als gewiss. Vor allem zwei Faktoren werden die Entwicklung des Werbemarktes in den nächsten Jahren prägen: Real Time Advertising (RTA) einerseits und IP Everywhere andererseits. Das Thema RTA dominiert seit nunmehr gut drei Jahren die teilweise sehr kontrovers geführten Diskussionen um die Zukunft der digitalen Werbung. Während vorsichtige Gemüter den mutmasslich durch RTA hervorgerufenen Preisverfall anprangern, sehen viele Branchen-Insider in dieser Technologie die Basis für grundsätzliche Veränderungen innerhalb des digitalen Marketings insgesamt. IP Every­ where, also der Anschluss von verschiedensten Geräten ans Internet, ist der zweite Anstoss 38 Digital für die Trends, welche das digitale Marketing bis ins Jahr 2020 beschäftigen werden und die im Folgenden aufgezeigt werden sollen. Grenzen zwischen klassischer und digitaler Werbung verschwinden Ob Werbung in Zukunft «klassisch» oder «digital» geplant und platziert wird, verliert zunehmend an Bedeutung – solange die gewünschte Wirkung hervorgerufen wird. Mit Bewegtbildwerbung existiert bereits heute ein gutes Beispiel für die integrierte Planung von traditionellen und digitalen Werbekanälen. Laut einer Studie von adap.tv planten 2013 bereits 50 Prozent aller europäischen Mediaagenturen ihre Be- wegtbildkampagnen kombiniert über TV und Online Video (adap. tv: State of the Video Industry Q4, 2013). In vielerlei Hinsicht ist diese Entwicklung die logische Folge aus der Art und Weise, wie Medien heute konsumiert werden. Der Medienkonsum findet immer mehr auf digitalen Plattformen statt und selbst in klassischen Mediengattungen wie dem TV oder der Out-of-Home werden zunehmend IP-basierte Technologien zur Distribution eingesetzt. Als Folge werden Werbepausen im Fernsehen in Zukunft anders aussehen: Anstatt der heute üblichen statischen Werbepausen wird auch die Fernsehwerbung auf den individuellen Benutzer ausgerichtet sein. Eine medienübergreifende Währung als Basis der Mediaplanung Einer der aktuell grössten Bremser digitaler Werbung ist, dass die ihr zugrunde liegenden Währungen keinen Bezug zu einer breit akzeptierten Nettoreichweiten-Messung aufweisen. Zwar verweisen gestandene Onliner immer wieder darauf, dass man diese gar nicht benötige, weil digitale Kanäle die Messung konkreter Ziele wie Abverkäufe, Anmeldungen usw. ermöglichen. Dabei vergessen sie jedoch, dass einerseits auch eine Welt ausserhalb des Online-Kanals besteht und andererseits sämtliche anderen Mediengattungen basierend auf Nettoreichweite und Kontaktfrequenz geplant werden. Marketing & Kommunikation 3/14 zessive gelöscht werden: Die Menge der zur Verfügung stehenden Daten ermöglicht nicht nur, Werbung zielgruppenbasiert auszusteuern, sondern lässt auch eine Individualisierung der Werbemittel selbst zu. Dies geht weit über die hinlänglich bekannten Re-Targeting Banner von -E-Commerce-Portalen hinaus. In Zukunft werden individualisierte Werbemittel basierend auf Interessen, Kontext, Vorlieben, Ort, Uhrzeit und vielen weiteren Merkmalen möglich sein, sodass letztendlich jedes Werbemittel perfekt auf den Nutzer und den Kontext, in dem sich dieser derzeit befindet, zugeschnitten ist. Dieser Schritt ist eine notwendige Voraussetzung für die Wiederherstellung des Nutzwertes In allen relevanten Märkten Ob die auf Ratings basieren- Individualisierung und klassischer Bannerwerbung. und mit unterschiedlichen An- de Währung (soziodemografische Integration von Werbung Ein weiterer Trend wird die sätzen wird deshalb daran gear- Zielgruppe, Kontaktfrequenz) al- Das klassische Banner wird es beitet, Online-GRP-Messungen lerdings langfristig Bestand ha- 2020 nicht mehr geben. Schon tiefere Integration von Werbung zu etablieren. Bereits heute bie- ben wird, bleibt anzuzweifeln. heute sehen wir Wachstumsra- in Inhalte sein. Native Adverten Anbieter wie ComScore oder Mit der Verfügbarkeit von Daten ten eher in Werbeformen, die tising, Content Marketing oder Nielsen entsprechende Systeme auf immer mehr Geräten (TV, Mo- entweder ein hohes Potenzial für Pub­lireportage – die Idee ist so an und es liegt nahe, in einem bile, Out-of-Home) wird es in Zu- den Transport emotionaler Bot- alt wie die Werbung selbst. In den nächsten Schritt eine Verein- kunft immer besser möglich sein, schaften aufweisen (Video), eine nächsten Jahren werden die plaheitlichung zum Beispiel mit konkrete Werberesultate wie z.B. tiefere Integration in den Content nerischen Herausforderungen dem TV-Messsystem zu imple- Offline-Sales oder allgemein das zulassen (Social, SEM, Native dieser Werbeformen durch Techmentieren. Die sich anbahnende «Engagement mit der Marke» zu Advertising) oder einen erwie- nologie und Marktkonsolidierung einheitliche Währung für TV messen und entsprechend zuzu- senermassen effektiven Kanal zu gemeistert werden können. Bald und Online wird ein Meilen- ordnen. Es ist zu erwarten, dass existierenden Kunden darstellen wird sich etwa Native Advertising genauso effizient planen, stein, der den Wert von digita­- auch dies einen grossen Einfluss (E-Mail). ler Werbung deutlich steigern auf die klassische MedienplaDoch das heisst nicht, dass einkaufen und messen lassen wie wird. nung haben wird. nun alle Bannerplatzierungen suk­- andere digitale Werbeformen. Auch wenn Prognosen in einer sich rasch entwickelnden Branche sehr schwerfallen: Gewiss ist, dass sich etwas verändern Was müssen Marktteilnehmer beachten, wird, und mit Veränderung geht um für 2020 bereit zu sein? immer auch ein gewisses Mass an Angst und Skepsis einher. Trotz Ziele messbar machen Umgang mit Daten der wachsenden Komplexität der Für die erfolgreiche Planung und Durchführung von Je mehr ich über meine Nutzer weiss, desto mehr Medien sieht die Mehrheit der Online-Kampagnen ist es entscheidend, die eigentist meine Leistung in der Werbe-WertschöpfungsAdvertiser und Agenturen laut eilichen Ziele einer Kampagne genau zu definieren, kette wert. Dies gilt sowohl für Werbeauftraggeber ner Studie von Forrester die Zunie aus den Augen zu verlieren und dabei immer das als auch für Publisher, denn beide verfügen potenkunft optimistisch und glaubt an ­bestmögliche Messinstrumentarium zu nutzen. Dies ziell über sich ergänzende Primärdaten (first-party eine sich verbessernde Wirkung gilt sowohl für reine Performance-Kampagnen als data). Eine zentrale Aufgabe beider Parteien wird digitaler Werbekanäle (Optimism auch für klassische Branding-Kampagnen, die sich sein, Technologien aufzubauen, welche die Nutzung Despite Unresolved Issues About zum Beispiel über GRP, Awareness-Werte oder und den Austausch von Daten mit anderen Parteien Video Advertising, Forrester DeOffline-Sales messen lassen. ermöglichen. cember 2013). Und auch auf Pub­ lisher-Seite ist die Mehrheit der Experimentieren Ganzheitliche Planung und Messung Ansicht, zukünftig über werbefiWerbeformen, Messtechniken, Medienpartner und Während Nutzer Inhalte zunehmend über verschienanzierte Vermarktungsmodelle Technologien entwickeln sich fortlaufend. Dabei ist denste Medien und Geräte konsumieren, wird es gute Inhalte produzieren und vernicht jede Entwicklung automatisch gut. Über den Sinn immer wichtiger, auf den gesamten, übergreifenbreiten zu können. n oder Unsinn neuer Trends kann nur derjenige wirklich den Kampagnen-Impact zu schauen anstatt auf die ­in­dividuelle Performance eines bestimmten Mediums. urteilen, der es selbst ausprobiert hat. Denn letztendlich ist es das Los der Werbung, eine Disziplin zu sein, Ungeachtet der noch immer existierenden techdie im Wesentlichen von Versuch und Irrtum lebt. Klar nischen Hürden ist es wichtig, bereits heute Know* Jochen Witte, COO Staila­ how und Prozesse aufzubauen, die eine ganzheitliche birgt jeder Versuch ein gewisses Risiko, das sich im media, studierte Informatik an Fall der digitalen Werbung jedoch eingrenzen lässt. Sicht erst ermöglichen. Dies gilt für Anbieter und der Humboldt Universität in Die grösste Stärke von Online-Werbung ist nämlich die Planer gleichermassen. Auch Publisher und VerBerlin. Von 2007 bis 2011 war Möglichkeit, unmittelbar und in Echtzeit zu messen, markter müssen Strukturen schaffen, welche den er als CTO und Mitgründer bei Aufbau und Betrieb medien­übergreifender Produkte zu reagieren und zu optimieren. Viel Spass also beim Spot­Rails in Berlin federführend Ausprobieren! und Dienstleistungen ermöglichen. beim Aufbau des ersten deutschen Netzwerks Die Möglichkeiten im Online-Marketing werden immer zahlreicher. Nur wer Neues ausprobiert, wird dazulernen. für Online-Video-Werbung. Marketing & Kommunikation 3/14 Digital 39