Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 29.4 $Id: dreieck.tex,v 1.26 2016/04/29 12:45:52 hk Exp $ §1 Dreiecke 1.6 Einige spezielle Punkte im Dreieck Wir beschäftigen uns weiterhin mit den speziellen Punkten eines Dreiecks und haben in der letzten Sitzung die Existenz des Schnittpunkts Sw der Winkelhalbierenden und des Schnittpunkts Su der Mittelsenkrechten eingesehen. Diese Punkte waren auch der Mittelpunkt des Inkreises beziehungsweises des Umkreises des betrachteten Dreiecks. C C φ ρ R Su ρ B Su γ R B ψ R c/2 C’ φ ψ A A Der Umkreis von ABC Bestimmung des Umkreisradius Wir wollen jetzt den Radius R des Umkreises berechnen, und dies geschieht durch Betrachtung der oben rechts gezeigten Figur. Satz 1.18 (Bestimmung des Umkreisradius) Sei ∆ = ABC ein Dreieck mit Seiten a, b, c und Winkeln α, β, γ gemäß den Standardbezeichnungen. Weiter bezeichne F die Fläche von ∆ und R den Umkreisradius von ∆. Dann gilt a b c abc R= = = = . 2 sin α 2 sin β 2 sin γ 4F Beweis: Ziehe von Su aus die Verbindungen mit den drei Ecken A, B, C von ∆. Dann ist das Dreick ABSu in Su gleichschenklig, also sind die Winkel dieses Dreiecks in den Ecken A und B nach Aufgabe (9.a) gleich, und wir nennen diesen Winkel ψ. Analog sind auch die Winkel von BCSu in B und C gleich einem Winkel % und die Winkel 6-1 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 29.4 von CASu in A und C gleich einem Winkel φ. Da der Winkel α von ∆ in A in φ und ψ zerlegt wird, haben wir α = φ + ψ und analog β = ψ + %, γ = % + φ. Es folgt γ − β = φ − ψ und somit π − 2β = α − β + γ = 2φ, d.h. φ = π − β. 2 Weiter folgen ψ =α−φ=α+β− π π π π = − γ und % = β − ψ = β + γ − = − α. 2 2 2 2 Bezeichne nun C 0 den Mittelpunkt der Strecke AB und betrachte das rechtwinklige Dreieck C 0 BSu . Der Winkel in diesem Dreieck bei Su ist π − ψ = γ, 2 und bezüglich dieses Winkels haben wir die Gegenkathete c/2 und die Hypothenuse R, also gilt 1 c c sin γ = 2 und somit R = . R 2 sin γ Analog sind dann auch R = a/(2 sin α) = b/(2 sin β). Weiter ergibt sich 1 abc abc F = ab · sin γ = , d.h. R = . 2 4R 4F Dieser Beweis behandelt eigentlich nur den spitzwinkligen Fall in dem Su innerhalb des Dreiecks liegt, der Beweis im stumpf- beziehungsweise rechtwinkligen Fall ist aber analog. Im nächsten Abschnitt werden wir auch einen weiteren Beweis des Satzes kennenlernen der im spitz- und im stumpfwinkligen Fall funktioniert. Schreiben wir die Gleichung für den Umkreisradius etwas um, so wird sin α sin β sin γ 1 = = = , a b c 2R das gemeinsame Verhältnis vom Sinus jedes Winkels zu seiner gegenüberliegenden Seite aus dem Sinussatz ist also gleich dem Kehrwert des doppelten Umkreisradius. Schauen wir uns ein explizites Beispiel an und betrachten das Dreieck mit den Seiten a = 2, b = 3, c = 4. Dann sind s= 2+3+4 9 5 3 1 = , s − a = , s − b = und s − c = 2 2 2 2 2 6-2 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 29.4 also wird die Fläche von F nach der Heronschen Flächenformel Satz 15 zu r p 135 3√ F = s(s − a)(s − b)(s − c) = = 15, 16 4 der Inkreisradius ist nach Korollar 16 r= 1√ F = 15 s 6 und der Umkreisradius ist schließlich nach Satz 18 R= abc 8 8√ =√ = 15. 4F 15 15 Wir haben jetzt drei unserer speziellen Punkte behandelt, es steht nur noch der Schnittpunkt der Höhen aus. Tatsächlich folgt die Existenz dieses Schnittpunkts aus der Existenz des Schnittpunkts der Mittelsenkrechten angewandt in einem geeigneten Hilfsdreieck. Sei ∆ = ABC ein Dreieck und betrachte das bei der Behandlung der Seitenhalbierenden eingeführte Mittendreieck, also das Dreieck ∆ = A0 B 0 C 0 das von den drei Seitenmittelpunkten gebildet wird. Wir wollen uns überlegen was die Höhen in ∆0 sind, schauen wir uns etwa die Höhe hc0 auf der Seite A0 B 0 von ∆0 an. Nach Lemma 11 ist A0 B 0 parallel zur Seite AB von ∆, und da hc0 senkrecht auf A0 B 0 steht, ist hc0 auch senkrecht auf AB. Nun geht hc0 durch den Seitenmittelpunkt C 0 von AB, d.h. hc0 ist die Mittelsenkrechte von ∆ auf AB. Analog kann man für die beiden anderen Höhen schließen, d.h. die Höhen des Mittendreiecks ∆0 sind genau die Mittelsenkrechten von ∆. Damit schneiden sich die Höhen von ∆0 nach Satz 17 im Umkreismittelpunkt von ∆. c C A* B hc’ C B’ A’ C* b A a A C’ B* B Konstruktion von ∆∗ Höhe im Mittendreieck In einem Mittendreieck schneiden sich die Höhen somit immer in einem Punkt, um also zu zeigen das dies in einem allgemeinen Dreieck ∆ = ABC ebenfalls gilt, reicht es einzusehen das ∆ das Mittendreieck eines geeigneten vergrößerten Dreiecks ∆∗ ist. Um dieses zu konstruieren, ziehen wir die Parallele a zu BC durch C, die Parallele b zu AC durch B und schließlich die Parallele c zu AB durch C. Damit definieren wir dann A∗ als 6-3 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 29.4 Schnittpunkt von b und c, B ∗ als den Schnittpunkt von a und c und letztlich C ∗ als den Schnittpunkt von a und b. Diese Konstruktion liefert uns das Dreieck ∆∗ = A∗ B ∗ C ∗ und wir behaupten das ∆ das Mittendreieck von ∆∗ ist. Überlegen wir uns einmal das A der Seitenmittelpunkt von B ∗ C ∗ ist. Nach Konstruktion sind A∗ B ∗ = c und AB, B ∗ C ∗ = b und AC sowie AB ∗ = AC ∗ = a und BC jeweils parallel zueinander, wir haben also zwei Parallelogramme B ∗ ABC und AC ∗ BC. Erinnern wir uns jetzt daran, dass in einem Parallelogram gegenüberliegende Seiten gleich lang sind, so ergibt sich |AB ∗ | = |BC| = |CB| = |AC ∗ | und dies bedeutet tatsächlich das A der Mittelpunkt von B ∗ C ∗ ist. Analog sind B der Mittelpunkt von A∗ C ∗ und C der Mittelpunkt von A∗ B ∗ , d.h. ∆ = ABC ist tatsächlich das Mittendreieck von ∆∗ = A∗ B ∗ C ∗ . C α D γ β β γ B α A Die hier verwendete Tatsache über Parallelogramme ist dabei anschaulich klar, formal kann man sie beispielsweise aus dem Kongruenzsatz SWW für Dreiecke gewinnen. Geben wir uns etwa ein Parallelogram ABCD wie oben vor, so zerlegen wir dieses durch die Strecke BD in zwei Dreiecke ABD und CDB. Sind dann β der Winkel bei B in ABD und γ der Winkel bei D in ABD, so folgt mit dem Stufenwinkelsatz wegen AB||CD das der Winkel in CDB bei D auch β ist und ebenso folgt mit DA||BC das der Winkel in CDB bei B gleich γ ist. Nach Satz 9 sind die beiden Dreiecke ABD und CDB damit kongruent, also sind auch |AD| = |BC| und |AB| = |CD| wie behauptet. Satz 1.19 (Der Schnittpunkt der Höhen) Sei ∆ ein Dreieck. Dann schneiden sich die drei Höhen von ∆ in einem Punkt Sh . Beweis: Wir haben gerade gezeigt das es ein Dreieck ∆∗ mit Mittendreieck ∆ gibt und damit sind die Höhen von ∆ die Mittelsenkrechten von ∆∗ , schneiden sich also nach 6-4 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 29.4 Satz 17 in einem Punkt. Damit haben wir die Konstruktion der vier speziellen Punkte Sm , Sw , Su und Sh beendet. Die Schnittpunkte der Seitenhalbierenden, der Mittelsenkrechten und der Höhen können jetzt nicht völlig beliebig zueinander liegen, es stellt sich heraus das sie immer auf einer gemeinsamen Geraden sind, der sogenannten Euler-Geraden des Dreiecks. Dies wurde 1763 von Leonard Euler entdeckt und scheint das erste Resultat über Dreiecke zu sein das in der Antike nicht bekannt war. Bevor wir den entsprechenden Satz beweisen, müssen wir erst einmal den Randfall eines gleichseitigen Dreiecks aus dem Weg schaffen. In einem gleichseitigen Dreieck stimmen nach Aufgabe (9.a) die Seitenhalbierenden, Winkelhalbierenden, Mittelsenkrechten und Höhen überein, also ist stets Sm = Sw = Su = Sh , die vier speziellen Punkte fallen also alle zusammen. In nicht gleichseitigen Dreiecken kann dies nicht auftreten, und wir formulieren den Satz über die Eulergerade daher für nicht gleichseitige Dreiecke. Satz 1.20 (Die Eulergerade eines Dreiecks) Sei ∆ = ABC ein nicht gleichseitiges Dreieck. Dann sind der Schwerpunkt Sm von ∆, der Umkreismittelpunkt Su von ∆ und der Höhenschnittpunkt Sh von ∆ paarweise verschieden und diese Punkte liegen auf einer Geraden e, der sogenannten Eulergeraden des Dreiecks ∆. Auf dieser Geraden liegt Sm zwischen Su und Sh und trennt diese Punkte im Verhältnis 1 : 2, d.h. es gilt |Sm Sh | = 2|Sm Su |. C Sh C Sm b h a Su A B C’ A c/2 C’ c/2 B Beweis: Angenommen es wäre Su = Sm . Dann stimmen die Mittelsenkrechten und die Seitenhalbierenden in ∆ überein, und nach Aufgabe (9) wäre ∆ in allen Ecken gleichschenklig, also gleichseitig. Damit muss zumindest Su 6= Sm gelten. Sei e die Verbindunsgerade von Su und Sm und bezeichne S den Punkt auf e so, dass Sm zwischen Su und S liegt und diese Strecke im Verhältnis 1 : 2 teilt, d.h. |Sm S| = 2|Sm Su |, wie oben links eingezeichnet. Dann ist zu zeigen das S der Höhenschnittpunkt von ∆ ist, also auf allen drei Höhen liegt. Sei C 0 der Mittelpunkt der Strecke AB und nehme an das Su nicht auf der Seitenhalbierenden CC 0 liegt. Nach Satz 12 zerlegt Sm die Strecke CC 0 im Verhältnis 2 : 1, also |Sm C| = 2|Sm C 0 |. Folglich ist |Sm C| 2|Sm C 0 | |Sm C 0 | = = , |Sm S| 2|Sm Su | |Sm Su | 6-5 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 29.4 d.h. die Seitenpaare Sm C, Sm S und Sm C 0 , Sm Su in den beiden Dreiecken Sm CS und Sm C 0 Su haben dasselbe Verhältnis. Die von diesen beiden eingeschlossenen Winkel in Sm CS und Sm C 0 Su sind ebenfalls gleich, also sind die beiden Dreiecke nach dem Ähnlichkeitssatz Satz 10 ähnlich. Damit sind die Winkel dieser Dreiecke bei C beziehungsweise C 0 gleich und nach dem Stufenwinkelsatz sind SC und Su C 0 parallel. Nun ist Su C 0 senkrecht auf AB, also ist auch SC senkrecht auf AB, d.h. SC ist die Höhe von ∆ auf AB. Analog schließt man für die anderen beiden Höhen. Wegen Su 6= Sm liegt Su auf höchstens einer Seitenhalbierenden von ∆, also gehen mindestens zwei der Höhen von ∆ durch S, d.h. S = Sh ist der Schnittpunkt der Höhen von ∆. Insbesondere ist damit Sh 6= Sm , Su . Der Beweis dieses Satzes liefert uns übrigens einen zweiten Beweis für die Existenz des Höhenschnittpunkts, zumindest in nicht gleichseitigen Dreiecken. Im allgemeinen liegt der Schnittpunkt der Winkelhalbierenden, also der Mittelpunkt des Inkreises, nicht auf der Eulergeraden. Man kann einsehen das die Eulergerade genau dann durch den Inkreismittelpunkt läuft wenn ∆ gleichschenklig ist, dies wollen wir hier aber nicht behandeln. 1.7 Einige Sätze über Kreise Im vorigen Abschnitt haben wir den Inkreis und den Umkreis eines Dreiecks behandelt, und jetzt wollen wir noch etwa weiter auf das Zusammespiel zwischen Kreisen und Dreiecken eingehen. Wir beginnen dabei mit dem grundlegenden Satz über Kreise, den sogenannten Satz von Thales der besagt das alle Winkel im Halbkreis Rechte sind. Satz 1.21 (Satz von Thales) Sei AB ein Durchmesser eines Kreises k und C ein Punkt auf k aber nicht auf AB. Dann hat das Dreieck ABC in C einen rechten Winkel. C φ ψ β α A M B Beweis: Bezeichne M den Mittelpunkt des Kreises k. Dann sind die beiden Dreiecke AM C und M BC bei M gleichschenklig, also sind nach Aufgabe (9.a) die Winkel α und φ bei A und C in AM C sowie die Winkel β und ψ bei B und C in M BC jeweils gleich, also φ = α und ψ = β. Der Winkel von ABC bei C ist γ = φ + ψ = α + β und 6-6 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 29.4 da die Winkelsumme in einem Dreieck immer π ist ergibt sich γ = π − (α + β) = π − γ, also γ = π . 2 Damit ist der Satz vollständig bewiesen. Betrachten wir anstelle eines Durchmessers des Kreises k eine Sekante dieses Kreises, so liegen zwar keine rechten Winkel mehr vor, aber zumindest sind alle von der Sekante und einem weiteren Punkt auf k gebildeten Winkel gleich sofern sie auf derselben Seite der Sekante liegen. Die Winkel auf den beiden verschiedenen Seiten addieren sich dabei zu π. Satz 1.22 (Perepheriewinkelsatz) Seien k ein Kreis mit Mittelpunkt M und AB ein Sekante in k die nicht durch M geht. Weiter sei ψ der Mittelpunktswinkel der Sekante AB, d.h. der Winkel des Dreiecks ABM bei M . C C φ φ k k M ψ B B A A θ C’ Perepheriewinkel über AB Perepheriewinkel unter AB (a) Ist C ein Punkt auf k über AB, also auf derselben Seite von AB wie M , und bezeichnet φ den Perepheriewinkel von AB bei C, also den Winkel des Dreiecks ABC bei C, so gilt ψ = 2φ und insbesondere φ < π/2. (b) Ist C 0 ein Punkt auf k unter AB und θ der Perepheriewinkel von AB bei C 0 , so ist φ + θ = π und insbesondere θ > π/2. Beweis: Wir verwenden die folgenden Figuren zum Beweis: 6-7 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 29.4 C k φ γ M δ β α A k B B α β A C’ θ C’ Vorbemerkung Teil (a) Zunächst sei C 0 ein Punkt auf k unter AB und betrachte den Perepheriewinkel θ von AB bei C 0 . Da A, B, C 0 auf k liegen sind die beiden Dreiecke M AC 0 und M C 0 B beide bei M gleichschenklig, nach Aufgabe (9.a) hat also M AC 0 bei A und C 0 denselben Winkel α und M C 0 B hat bei B und C 0 denselben Winkel β. Weiter bezeichne γ den Winkel von M AC 0 bei M und δ den Winkel von M C 0 B bei M . Dann setzen sich γ und δ zum Mittelpunktswinkel ψ zusammen und α und β sind zusammen der Perepheriewinkel θ, es gelten also ψ = γ + δ und θ = α + β. Außerdem gelten 2α + γ = 2β + δ = π, also ist insgesamt π−γ π−δ γ+δ ψ θ =α+β = + =π− =π− . 2 2 2 2 (a) Nach der Vorbemerkung sind alle Perepheriewinkel von AB unter AB gleich θ = π − ψ/2, wir können also durch eventuelles Abändern von C 0 annehmen das CC 0 ein Durchmesser von k ist. Nach dem Satz von Thales Satz 21 haben die Dreiecke AC 0 C bei A und C 0 BC bei B rechte Winkel. Mit Aufgabe (2) angewandt auf das Viereck AC 0 BC folgt 2π = 2 · ψ π + θ + φ = π + θ + φ = 2π + φ − also ψ = 2φ 2 2 und insbesondere ist φ = ψ/2 < π/2. (b) Die Vorbemerkung und Teil (a) liefern φ+θ = ψ ψ + π − = π, 2 2 und insbesondere ist θ = π − φ > π/2. 6-8