8. Jahrgang, 1. Ausgabe 2014, 20-39 - - - Rubrik Neue Arzneimittel - - - Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2013 Teil 2: Enzalutamid und Pertuzumab Prostatakarzinom, metastasierend Mammakarzinom, metastasierend Rezidiv nach Docetaxel Anti-Her2-Antikörper Antiandrogen Duale Anti-Her2-Therapie Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab 21 Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2013 Enzalutamid und Pertuzumab Prof. Dr. Georg Kojda Fachpharmakologe DGPT, Fachapotheker für Arzneimittelinformation Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf [email protected] *Aus einem Vortrag des Autors vom 27.01.2014 im großen Hörsaal des LFI der Universitätsklinik Köln (organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein/Apothekerverband Köln e.V./Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein Bezirksstelle Köln) Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2013? Prof. Dr. Georg Kojda Fachpharmakologe, Fachapotheker für Arzneimittelinformation Fortbildungsbeauftragter Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V. Herausgeber „Fortbildungstelegramm Pharmazie“ Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum, Düsseldorf, Fortbildungsvortrag vom 27.01.2014 organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V., Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Bezirksstelle Köln Der Autor erhielt Forschungsgelder1 sowie dienstlich genehmigte Beratungs-2 und Referentenhonorare3 von folgenden Arzneimittelherstellern: Actavis1, Boehringer3, Mundipharma3, Schwarz Pharma1, Pfizer1,2, Shire1 Wichtige Hinweise Für die Nutzung dieses Dokumentes gelten die Nutzungsbedingungen, einsehbar unter http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html Für die Angaben in diesem Dokument gilt der Disclaimer, einsehbar unter http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/impressum/Disclaimer.html Insbesondere soll hier Folgendes noch einmal betont werden (Disclaimer): „In keinem Falle stellen Informationen zu Arzneimitteln oder sonstigen medizinischen Produkten Empfehlungen oder eine Werbung für Präparate oder Produkte dar. Gleichfalls ersetzen die Informationen nicht eine individuelle fachliche Beratung durch einen Arzt oder Apotheker. Der Inhalt von www.kojda.de darf nicht dazu verwendet werden, eigenständig Diagnosen zu stellen oder Behandlungen anzufangen.“ Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 22 23 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Enzalutamid (Xtandi®) Arzneistoff Enzalutamid (Xtandi®) Indikation Zur Behandlung erwachsener Männer mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom und Progression während oder nach einer Chemotherapie mit Docetaxel Zusatznutzen Hersteller beträchtlich bis erheblich (Anhaltspunkt, IQWiG 2014) Astellas Pharma GmbH Enzalutamid (Xtandi®) Prostatakarzinom Prozentuale Inzidenz* Häufigste Krebserkrankung des Mannes Etwa 60.000 Neuerkrankungen und 12.000 Todesfälle pro Jahr in Deutschland 10,1 % der tödlich verlaufenden Tumorerkrankungen Risiko bei ca. 40 % der Männer in westlichen Industrieländern, 10 % Erkrankungen, 3 % letal bei familiärer Anamnese steigt Risiko Zahl der „Karzinomträger“ ist viel höher ist als die Zahl der Erkrankten, cave: Gefahr der Überdiagnostik und Übertherapie Brachytherapie bei Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom und niedrigem Risiko (GleasonScore < 7, PSA<10 ng/ml, cT1c bis cT2 Tumor) * Anteil an der geschätzten Zahl maligner Erkrankungen in Deutschland 2002 bei Patienten mit lokal begrenztem und lokal fortgeschrittenem Prostatakarzinom primär radikale Prostatektomie (Tod 0-2,1 %, Belastungsinkontinenz bis 50 %, erektile Dysfunktion 30-100 %) Broschüre »Krebs in Deutschland« der Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsbezogener Krebsregister in Deutschland Robert-Koch-Institut, 2006 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 24 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Enzalutamid (Xtandi®) Prostatakarzinom Androgendeprivation bei Patienten mit symptomatischem metastasiertem Prostatakarzinom Antiandrogene: GnRH – Analoga/Agonisten (Buserelin, Leuprorelin, Goserelin, Triptorelin) Androgenrezeptorantagonisten steroidal: Cyproteron nicht-steroidal: Flutamid, Bicalutamid, Nilutamid (senkt Testosteron nicht) Androgensynthesehemmer Abirateron, hemmt 17α-Hydroxylase/C17,20-lyase (CYP17, senkt Androgene bis auf Nachweisgrenze) Bei Patienten mit symptomatischer progredienter Erkrankung unter medikamentöser Kastration und in gutem Allgemeinzustand ist Docetaxel 75 mg/m2 Körperoberfläche alle drei Wochen in Kombination mit Prednisolon 5 mg zweimal täglich Mittel der Wahl aus: http://www.nlm.nih.gov/medlineplus/encyclopedia.html Enzalutamid (Xtandi®) Verbindungen zwischen der Synthese von Testosteron und Estradiol DihydroepiAndrostendion Androstendion Aromatisierung 5α-Reduktase Estron (E1) Aromatase Aromatisierung Estradiol (E2) 5-Dihydrotestosteron Testosteron (Abb. modifiziert nach: NEJM 2002;346:340) Bei Männern sind Libido und erektile Funktion sowie Fettakkumulation auch von Estradiol abhängig (nach: New Engl J Med 2013;396:1011-1022 ) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 25 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Enzalutamid (Xtandi®) Funktionen von Testosteron Entwicklung von Penis, Hodensack, akzessorischen Geschlechtsdrüsen (u.a. Prostata) und sekundären Geschlechtsmerkmalen (männlicher Phänotyp) Spermienproduktion Wachstum der Körperbehaarung und der Barthaare (nicht Kopfbehaarung*) muskelaufbauend (anabol) Testosteron Knorpel- und Knochenneubildung Steigerung von sexuellem Verlangen (Libido) Steigerung von Antrieb, Ausdauer und Lebenslust Freisetzung von Erythropoetin Ob die bei Tieren nachweisbaren Wirkungen auf das Verhalten (Aggression, Kampf etc.) für Menschen gelten ist fraglich Androgenrezeptor *androgenetische Alopezie könnte durch die Unterdrückung von Haarbildung und Haarwachstum über PGD2 vermittelt sein Nukleärer Rezeptor (NR3C4) Transkriptionsfaktor Enzalutamid (Xtandi®) Wirkung der Antiandrogene auf die hormonelle Regulation beim Mann Androgenrezeptorantagonisten Androgenrezeptorantagonisten GnRH – Analoga/Agonisten Androgenrezeptorantagonisten Abirateron Inhibin Androgenrezeptorantagonisten Sowohl endogene als auch exogene Effektorhormone reduzieren die Freisetzung von Liberinen und glandotropen Hormonen Inhibin ist ein Glykoprotein der Sertolizellen, welches durch FSH gebildet wird Bei übergewichtigen Männern kann es durch eine erhöhte Aromataseaktivität zur vermehrten Bildung von Estradiol kommen, was die Rückkopplung verstärkt und letztlich zur Verminderung des Testosteronspiegels führt. Abb. modifiziert nach Nature Clinical Practice Endocrinology & Metabolism (2008) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 26 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Enzalutamid (Xtandi®) Androgenrezeptor-Signaltransduktion Testosteron, 5-Dihydrotestosteron HSP NR Homodimer Veränderung der Zellfunktion Protein NR/Hormon Komplex Kernpore mRNA NR/HSP Komplex Ribosom Zytoplasma Ko-Aktivator Zellkernmembran mRNA RNA Polymerase NR Homodimer nukleäre DNA HRE Zielgen Zellmembran Bild nach: http://en.wikipedia.org/wiki/Nuclear_receptor#cite_note-AutoJQ-1-22 LBD=Liganden BindungsDomäne, DBD=DNA-BindungsDomäme, NR=Nukleärer Rezeptor, HSP=Hitze-Schock-Protein Enzalutamid (Xtandi®) Wirkmechanismus von Enzalutamid Testosteron, 5-Dihydrotestosteron Enzalutamid HSP Enzalutamid NR Homodimer Veränderung der Zellfunktion Protein NR/Hormon Komplex Enzalutamid Kernpore mRNA NR/HSP Komplex Ribosom Zytoplasma Ko-Aktivator Enzalutamid mRNA RNA Polymerase Zellkernmembran NR Homodimer nukleäre DNA HRE Zielgen Zellmembran Enzalutamid hemmt 1) Bindung der Androgene an NR, 2) Aktivierung des Androgen-NR-Komplexes und 3) nukleäre Translokation und die DNA Transkription Bild nach: http://en.wikipedia.org/wiki/Nuclear_receptor#cite_note-AutoJQ-1-22 LBD=Liganden BindungsDomäne, DBD=DNA-BindungsDomäme, NR=Nukleärer Rezeptor, HSP=Hitze-Schock-Protein Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 27 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Enzalutamid (Xtandi®) Klinische Effektivität von Enzalutamid 1199 Männer mit kastrations-resistentem Prostatakarzinom, Gesamtüberleben (%) Gesamtüberleben 2:1 randomisiert, placebokontrolliert Enzalutamid Placebo Patienten mit Rezidiv nach oder während Docetaxel-Therapie 160 mg/die Enzalutamid (4x40mg Kapseln) primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben Monate Bei geplanter Interimsanalyse betrug die Reduktion der Mortalität 37 % Zeit bis zur PSA-Progression Patienten ohne PSA-Progression (%) Studie wurde wegen der guten Wirksamkeit vorzeitig abgebrochen und Patienten der Placebogruppe wurde die Enzalutamid-Therapie angeboten Enzalutamid Gesamtüberleben unter Enzalutamid 18,6 Monate, unter Placebo 13,6 Monate Placebo Bei allen sekundären Endpunkten einschließlich Zeit bis zu Progression von PSA und Schmerz (wenige Studienteilnehmer) war Enzalutamid überlegen Monate Abb. Modifiziert nach: N Engl J Med 2012;367:1187-1197 *EPAR Xtandi, April 2013 Enzalutamid (Xtandi®) Warum schwankt der Zusatznutzen von beträchtlich bis erheblich? Subgruppenanalyse zum relativen Sterberisiko „mit viszeraler Metastasierung einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen“ „ohne viszerale Metastasierung gibt es einen Anhaltspunkt für einen erheblichen Zusatznutzen “ (IQWiG 2014) Eine Subgruppenanalyse hat Hypothesencharakter, d.h. diese Ergebnisse müssen prospektiv geprüft werden. Abb. Modifiziert nach: N Engl J Med 2012;367:1187-1197 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 28 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Enzalutamid (Xtandi®) Nebenwirkungen Enzalutamid Die häufigsten Nebenwirkungen waren Hitzewallungen und Kopfschmerzen. Sehr häufige unerwünschte Wirkungen (> 10%): - Kopfschmerzen - Hitzewallungen Häufige unerwünschte Wirkungen (> 1% und < 10%): - Neutropenie - visuelle Halluzinationen, Angst - kognitive Störung, Gedächtnisstörung - Hypertonie - trockene Haut, Juckreiz - Frakturen (mit Ausnahme pathologischer Frakturen) - Stürze Gelegentliche unerwünschte Wirkungen (>= 0,1% und < 1%): - Krampfanfälle traten bei 0,8% der mit Enzalutamid behandelten Patienten auf (trotz Ausschluss von Risikopatienten in der AFFIRM-Studie!). - Leukopenie - Amnesie, Aufmerksamkeitsstörung ABDA-Datenbank, Januar 2014 Enzalutamid (Xtandi®) Bislang keine Gynäkomastie unter Enzalutamid Antiandrogene wie: GnRH – Analoga/Agonisten (Buserelin, Leuprorelin, Goserelin, Triptorelin) Androgenrezeptorantagonisten steroidal: Cyproteron nicht-steroidal: Flutamid, Bicalutamid, Nilutamid (senkt Testosteron nicht) lösen sehr häufig Gynäkomastie aus. 60 Jahre alter Mann mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom, der neben einer Radiotherapie auch für 30 Monate 150 mg Bicalutamid pro Tag erhielt. Im Gegensatz zum Schmerz blieb die Größe der Brüste nach Therapiestopp erhalten, weshalb eine chirurgische Korrektur erfolgte. „Gynäkomastie infolge Therapie mit nicht steroidalen Antiandrogenen kommt in bis zu 80 % der Patienten vor, üblicherweise nach 6 bis 9 Monaten Therapie (aus: N Engl J Med 2012; 367:1449) Dies ist mit teilweise starken Schmerzen sowie psychischen Problemen verbunden, welche die Compliance herabsetzen (Oncology. 2013;84(2):92-9) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 29 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Enzalutamid (Xtandi®) Kontraindikationen von Enzalutamid Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile Frauen, die schwanger sind oder schwanger werden können (Enzalutamid ist nicht zur Anwendung bei Frauen bestimmt) Hat der Patient Geschlechtsverkehr mit einer Frau im gebärfähigen Alter, ist sowohl ein Kondom als auch eine andere zuverlässige Verhütungsmethode während der Behandlung und für 3 Monate danach erforderlich. Studien an Tieren haben eine Reproduktionstoxizität gezeigt. ABDA-Datenbank, Januar 2014 Enzalutamid (Xtandi®) Fazit Enzalutamid ist ein oral verfügbarer mehrstufiger Inhibitor der Androgenrezeptor-Aktivität. Seine gute klinische Wirksamkeit bei kastrationsresistentem Prostatakarzinom weist nicht nur auf die pathologische Bedeutung der Androgenrezeptor-Aktivität bei dieser Form des Prostatakarzinoms hin, sondern ist auch als wichtiger therapeutischer Fortschritt anzusehen. Nicht geprüft ist allerdings bislang, ob eine Kombination mit dem Androgensynthese-Inhibitor Abirateron den therapeutischen Effekt von Enzalutamid verbessern kann, denn es starben trotz Enzalutamid immer noch die Hälfte der Patienten innerhalb von 18 Monaten. Ebenfalls nicht geprüft ist die Wirkung von Enzalutamid bei Versagen von Abirateron. Eine Studie zur Wirkung bei Patienten ohne Vorbehandlung mit Docetaxel soll im September 2014 abgeschlossen sein (ClinicalTrials.gov number, NCT01212991). Wünschenswert wäre ein Vergleich gegen Bicalutamid bei weniger fortgeschrittener Erkrankung. Bei Formen des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms, die keine Androgenrezeptoren exprimieren*, kann keine Wirkung erwartet werden. Enzalutamid weist eine vergleichsweise gute Verträglichkeit auf, jedoch kann die ZNSGängigkeit Krampfanfälle verursachen. *http://emedicine.medscape.com/article/1611899-overview#a1 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 30 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Enzalutamid (Xtandi®) Beratungshinweise zu Enzalutamid Einnahme 4x40 mg einmal täglich als ganze Kapsel vorzugsweise mit Wasser Einnahme zu oder unabhängig von den Mahlzeiten Eine vergessene oder erbrochene Kapsel sollte möglichst zeitnah zur üblichen Einnahmezeit eingenommen werden, Ist die Dosis über einen gesamten Tag vergessen worden, sollte die Therapie erst am nächsten Tag mit der üblichen Tagesdosis fortgesetzt werden Keine Kombination mit Gemfibrozil (starker CYP2C8 Inhibitor), falls notwendig Enzalutamid-Dosis halbieren Vorsicht bei starken oder mäßigen CYP2C8-Induktoren (z.B. Rifampicin) Enzalutamid ist ein Induktor von u.a. CYP2C19, CYP3A4 und CYP2C9 (cave: Warfarin, Omeprazol, Opioide, Statine etc.), Interaktionscheck wichtig! Hinweis auf rechtzeitige (am besten überlappende) Folgeverordnung zur Vermeidung einer Therapieunterbrechung (Compliance!) Tagestherapiekosten: 165 € (VK) (Compliance!) Pertuzumab (Perjeta®) Arzneistoff Pertuzumab (Perjeta®) Indikation in Kombination mit Trastuzumab und Docetaxel zur Behandlung von HER2-positivem metastasiertem oder lokal rezidivierendem inoperablem Brustkrebs ohne vorherige anti-HER2-Therapie humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper gerichtet gegen die extrazelluläre HER2 Dimerisierungsdomäne (Subdomäne II) Zusatznutzen Hersteller beträchtlich bei viszeraler Metastasierung (Anhaltspunkt) Roche Pharma AG Abb. aus: http://www.nature.com/nbt/journal/v30/n7/full/nbt0712-570.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 31 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Pertuzumab (Perjeta®) Mammakarzinom der Frau Prozentuale Inzidenz* weltweit die häufigste invasive Tumorerkrankung bei Frauen, weltweit etwa 450.000 Todesfälle/Jahr 72.000 neue Fälle pro Jahr in Deutschland und ca. 17.200 Todesfälle pro Jahr, bei Diagnose 25%<55 Jahre, 10%<45 Jahre Risiken genetische Risikofaktoren, z.B. Mutationen der Tumorsupressorgene Breast-Cancer 1 (BRCA1) und BRCA2, 10-32-faches Risiko, therapeutische Bestrahlung des Brustkorbes (<30 Jahre), 7-17-faches Risiko bei sehr dichtem Brustgewebe, 5-faches Risiko familiäre Anamnese bei 1, 2 oder 3 Verwandten ersten Grades (keine Mutation), 2-, 3-, 4-faches Risiko Rauchen vor erster Geburt, 1,2-faches Risiko *Anteil an der geschätzten Zahl maligner Erkrankungen in Deutschland 2002 *Broschüre »Krebs in Deutschland« der Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsbezogener Krebsregister in Deutschland Robert-Koch-Institut, 2006, und http://www.rki.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/Brustkrebs/brustkrebs_node.html Pertuzumab (Perjeta®) The Cancer Genome Atlas (TCGA) Project Charakterisierung durch systematische Gen- und Proteinexpressionsanalyse ermöglicht eine Tumortherapie, die sich nach dem Expressionsmuster richtet 4 verschieden Haupttypen von Brustkrebs Luminal A Luminal B Her2E (ERBB2) Basaltyp (triple negativ, TNBC) mit jeweils typischen Mutationen, die das Wachstum steuern Der TNBC-Typ hat große molekulare Ähnlichkeit mit dem serös papillären Zystadenokarzinom (40 % der Ovarialmalignome) Nature. 2012 Sep 27;489(7417):519-25 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Pertuzumab (Perjeta®) Mammakarzinom der Frau Brustkerbs-spezifisches Überleben (%) Brustkrebs-spezifisches Überleben nach Subtyp Überlebensraten von 3744 Patientinnen (Erstmanifestation) nach Chirurgie und adjuvanter Chemotherapie sind abhängig vom immunohistochemischen Subtyp Luminal A Luminal B Triple-negativ Core Basal Basal/HER2+ Jahre nach Diagnose Relatives Risiko Relatives Risiko für Rezidiv mit Fernmetastasen 10-Jahres Überlebensraten: 79 % Luminal/HER260 % Luminal/HER2+ (Luminal B) 67 % Triple-negativ 62 % Core Basal (Triple-negativ/Basalmarker+) 55 % Basal/HER2+ (keine Anti-HER2-Therapie) Relatives Risiko für Rezidiv mit Fernmetastasen bei Tripel-negativem Typ starker Anstieg bis zum ersten Jahr nach Diagnose (korreliert mit starkem Abfall des Überlebens) und konsekutiver Abfall bis zum fünften Jahr nach Diagnose Jahre nach Diagnose modifiziert nach: N Engl J Med 2010;363:1938-1948 Pertuzumab (Perjeta®) Mammakarzinom der Frau Triple-negativer Brustkrebs andere Typen von Brustkrebs Lokalisation der Fernmetastasen beim ersten Rezidiv in Abhängigkeit vom Typ des Tumors Triple-negativer Brustkrebs metastasiert vorwiegend in Gehirn und Lunge Andere Typen von Brustkrebs metastasieren vorwiegend in Leber in Knochen HER2+ positiver Brustkrebs metastasiert stärker im Gehirn modifiziert nach: N Engl J Med 2010;363:1938-1948 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 32 33 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Pertuzumab (Perjeta®) Mammakarzinom der Frau Progressionsfreies Überleben (%) Chemotherapie HER2 positiver Brustkrebs spricht auf eine Kombinationstherapie mit einem Anthrazyklin besser an, als auf eine Kombinationstherapie mit Methotrexat. Dies konnte bei Patientinnen mit HER2 negativem Brustkrebs nicht beobachtet werden (nicht dargestellt). Gesamtüberleben (%) Jahre Problematisch ist jedoch die Kardiotoxizität der Anthrazykline. CEF: Cyclophosphamid, Epirubicin, Fluorouracil CMF: Cyclophosphamid, Methotrexat, Fluorouracil Jahre modifiziert nach: N Engl J Med 2006; 354:2103-2111 Pertuzumab (Perjeta®) Mammakarzinom der Frau Spezifische Therapieoptionen bei HER2 positivem Brustkrebs In Deutschland für die Therapie verfügbar: Tyrosinkinase-Inhibitoren Lapatinip und Afatinib Antikörper Trastuzumab und Pertuzumab Aber: Einige Patienten sprechen nie auf eine solche Therapie an und bei fast allen damit behandelten Patienten kommt es letztlich zu Rezidiv und Tod. Im Mittel bedeutet die Diagnose eine Verkürzung der Lebenszeit um ca. 20 Jahre. (EPAR Perjeta, 2012) fördert Wachstum, Differenzierung Überleben und Angiogenese modifiziert nach: N Engl J Med 2011;365:1273-1283 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 34 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Pertuzumab (Perjeta®) Mammakarzinom der Frau Progressionsfreies Überleben (%) Chemotherapie + anti-HER2 Therapie HER2 positiver Brustkrebs spricht auf eine Kombinationstherapie mit dem HER2 Antikörper besser an* Dabei war der Unterschied auf das progressionsfreie Überleben zwischen der Kombinationstherapie mit Doxorubicin (AC-T + Trastuzumab) und der Kombinationstherapie mit Docetaxel (TCH) gering. Mittlere Ejektionsfraktion (%) Monate Bei TCH war jedoch die Kardiotoxizität deutlich geringer ACT: Doxorubicin, Cyclophosphamid gefolgt von Docetaxel ACT+: Doxorubicin, Cyclophosphamid gefolgt von Docetaxel + Trastuzumab THC: Docetaxel + Carboplatin + Trastuzumab Monate seit Randomisierung *Bestätigung einer früheren Studie mit Trastuzumab: N Engl J Med 2001; 344:783-792 modifiziert nach: N Engl J Med 2011;365:1273-1283 Pertuzumab (Perjeta®) Wirkmechanismus von Pertuzumab Pertuzumab hemmt die Heterodimerisierung von HER2 u.a. mit EGFR (HER1), HER3 und HER4 und damit die Aktivierung der assoziierten zytosolischen Kinase sowie der weiteren intrazellulären Signalkaskaden (MAP und PI3K), die Wachstum und Proliferation der Tumorzellen anregen. Auch wenn HER3 keine Kinaseaktivität aufweist, gelten HER2:HER3 Dimere als besonders potente Signalgeber für Wachstum und Proliferation*. HER1/EGFR Pertuzumab HER2 Trastuzumab inaktiv aktives Monomer inaktives Monomer Inaktive Monomere der Rezeptortyrosinkinasen *Abb. nach: Friess T et al. Clin Cancer Res 2005;11:5300-5309 aktives Heterodimer blockiertes Heterodimer Wachstum und Proliferation der Tumorzellen Hemmung von Wachstum und Proliferation EGFR=epidermaler Wachstumsfaktorrezeptor 1 (ErBb-1), HER2=ErBb-1, HER3=ErBb-3, HER4=ErBb-1 MAP=Mitogen aktiviertes Protein PI3K=Phosphoinositid 3-kinase Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 35 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Pertuzumab (Perjeta®) Wirkmechanismus von Pertuzumab Pertuzumab trägt ebenfalls zur Apoptose von Tumorzellen über die antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität durch natürliche Killerzellen bei. natürliche Killerzelle natürliche Killerzelle natürliche Killerzelle FcγRIII Fc-Anteil HER2 Tumorzelle Tumorzelle Apoptose der Tumorzelle Pertuzumab *Abb. modifiziert nach: http://www.morphosys.de/node/1717 * FcγRIII=niedrig affiner Fc Rezeptor (CD16), bindet IgG Pertuzumab (Perjeta®) Klinische Effektivität von Pertuzumab Progressionsfreies Überleben Progressionsfreies Überleben (%) Pertuzumab (Median 18,5 Monate) Kontrolle (Median 12,4 Monate) Placebo Chemotherapie + kombinierte anti-HER2 Therapie 808 Frauen mit lokal rezidivierendem, inoperablem oder metastasierendem Brustkrebs, die für dieses Stadium keine adjuvante Chemotherapie oder biologische Therapie erhalten hatten 1:1 randomisiert, Placebo-kontrolliert primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben, d.h. die Therapie wurde bis zur Progression fortgeführt Monate CLEOPATRA-Studie Therapiearme: Placebo plus Trastuzumab plus Docetaxel (Kontrolle) Pertuzumab Trastuzumab plus Docetaxel (Pertuzumab) Abb. modifiziert nach: N Engl J Med. 2012 Jan 12;366(2):109-19 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 36 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Pertuzumab (Perjeta®) Gesamtüberleben Gesamtüberleben (%) Dargestellt sind die Ergebnisse einer Interims-Analyse, die sich nach 165 Todesfällen und damit 43 % der präspezifizierten Gesamtzahl von Todesfällen bis zur Endanalyse ergaben. Die zum Ausgleich erforderliche statistische Zusatzanalyse (O‘Brian-Fleming) erbrachte kein signifikantes Ergebnis, jedoch einen starken Trend. Pertuzumab-Arm* viszerale Metastasierung Hazard Ratio: 0,57; 95 %-KI: 0,44; 0,74 nicht viszerale Metastasierung Hazard Ratio: 1,42; 95 %-KI: 0,71; 2,84 Pertuzumab 69 Ereignisse Kontrolle 96 Ereignisse Monate Abb. modifiziert nach: N Engl J Med. 2012 Jan 12;366(2):109-19 *Daten aus EPAR Perjeta, http://www.ema.europa.eu Pertuzumab (Perjeta®) Warum ist der Zusatznutzen auf Patientinnen mit viszeraler Metastasierung beschränkt? Subgruppenanalyse zum relativen Progressionsrisiko „mit viszeraler Metastasierung einen Anhaltspunkt für einen erheblichen Zusatznutzen von Pertuzumab / Trastuzumab / Docetaxel im Vergleich zu Trastuzumab / Docetaxel.“ (IQWiG 2013) (Herabstufung auf beträchtlichen Zusatznutzen durch G-BA, 25.10.2013) Für Patienten mit HER2-postitivem metastasiertem Brustkrebs mit nicht viszeraler Metastasierung oder lokal rezidivierendem inoperablem Brustkrebs gibt es keinen Beleg für einen Zusatznutzen. Abb. Modifiziert nach: N Engl J Med 2012;367:1187-1197 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 37 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Pertuzumab (Perjeta®) Nebenwirkungen der Kombinationstherapie Die häufigsten Nebenwirkungen (> 50%) waren Diarrhö, Alopezie und Neutropenie und die häufigsten schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse waren febrile Neutropenie, Neutropenie und Diarrhö. Eine linksventrikuläre Dysfunktion trat häufig auf (5,4% Pertuzumab, 8,6% Placebo) Sehr häufige unerwünschte Wirkungen (> 10%): - Infektion der oberen Atemwege, Nasopharyngitis - Febrile Neutropenie, Neutropenie, Leukopenie, Anämie - Überempfindlichkeit/anaphylaktische Reaktion, infusionsbedingte Reaktion/ZytokinFreisetzungs-Syndrom - Verminderter Appetit - Schlaflosigkeit - Periphere Neuropathie, Periphere sensorische Neuropathie, Kopfschmerzen, Schwindel, Dysgeusie - Verstärkte Tränensekretion - Dyspnoe, Husten - Diarrhö, Erbrechen, Stomatitis, Übelkeit, Obstipation, Dyspepsie - Alopezie, Exanthem, Nagelveränderungen, Pruritus, Trockene Haut - Myalgie, Arthralgie - Mukositis / Schleimhautentzündung, Schmerzen, Ödem, Pyrexie, Fatigue, Asthenie. ABDA-Datenbank, Januar 2014 Pertuzumab (Perjeta®) Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile Schwangerschaft (Reproduktionstoxizität in tierexperimentellen Studien), effiziente Kontrazeption während Pertuzumab-Behandlung und in den 6 Monaten nach der letzten Dosis erforderlich Stillzeit ABDA-Datenbank, Januar 2014 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 38 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab Pertuzumab (Perjeta®) Fazit Pertuzumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper, der gegen die extrazelluläre HER2 Dimerisierungsdomäne (Subdomäne II) gerichtet ist und die Aktivierung von HER2 durch Hemmung der Heterodimerisierung blockiert. Gegenüber Docetaxel/Trastuzumab verlängert der Wirkstoff die Zeit des progressionsfreien Überlebens um 6,1 Monate und reduziert das Sterberisiko. Diese Effekte waren auf Patientinnen mit viszeraler Metastasierung beschränkt. Die häufigsten Nebenwirkungen der Kombinationstherapie Docetaxel/Trastuzumab/Pertuzumab (> 50%) waren Diarrhö, Alopezie und Neutropenie und die häufigsten schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse waren febrile Neutropenie, Neutropenie und Diarrhö. Eine linksventrikuläre Dysfunktion trat häufig auf (5,4% Pertuzumab, 8,6% Placebo) Nur etwa 10 % der Studienpopulation hatten eine vorherige anti-HER2-Therapie erhalten, d.h. es ist nicht bekannt, ob die o.g. klinische Wirksamkeit von Pertuzumab bei Rezidiven nach Chemotherapie/Trastuzumab Therapie (betrifft heute viele Patientinnen) erhalten bleibt. http://emedicine.medscape.com/article/1611899-overview#a1 Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39 Neue Arzneimittel 2013 – Enzalutamid und Pertuzumab 39 Hinweise 1) Die Bezeichnung Zusatznutzen bezieht sich auf das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts (AMNOG), wonach der G-BA eine Nutzenbewertung neu zugelassener Arzneimittel nach § 35 a SGB V durchführt. 2) Die Informationen zu den Arzneimitteln sind verkürzt dargestellt. Ausführlichere Informationen finden besonders interessierte Leser unter Weblink 1 und Weblink 2. 3) Eine vollständige Liste der im Jahr 2013 zugelassen Arzneistoffe mit Indikationen und und Zusatznutzen bei dieser Indikation ist unter folgendem Link erhältlich: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html Weblinks 1) wissenschaftliche Diskussion der Arzneistoffdaten einschließlich Nutzen-Risiko Einschätzung in den European Public Assessment Reports (EPARs,) der Zulassungsbehörde European Medicinal Agency (EMA), verzeichnet nach Handelsnamen, abgelegt unter Assessment History (nur in englischer Sprache) http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/landing/epar_search.jsp&murl=menus/medicines/medicines.jsp&mid=WC0b01ac058001d125&jsenabled=true 2) Webseiten des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit einer Übersicht der Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, für die der G-BA eine Nutzenbewertung nach § 35a SGB V durchführt oder bereits abgeschlossen hat. Dort sind die Gutachten des IQWiG sowie die tragenden Gründe der Beschlüsse einsehbar. http://www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/ Literatur Zitate zu Leitlinien, Phase III-Studien und anderer verwendeter Literatur sind - soweit nicht aufgeführt - auf Nachfrage beim Autor erhältlich Impressum: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2014;8(1):20-39