Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Dr. Andreas Wünsche TU Bergakademie Freiberg Institut für Stochastik 13. April 2017 Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 1 Eigenschaften bedingter Wahrscheinlichkeiten I Im Allgemeinen gilt P(A|B) 6= P(B|A) ! I Bei fester Bedingung B kann man wie mit (unbedingten) Wahrscheinlichkeiten rechnen, z.B. P(A|B) = 1 − P(A|B) ; P(A1 ∪ A2 |B) = P(A1 |B) + P(A2 |B) − P(A1 ∩ A2 |B) . I Multiplikationsregeln I Es gilt P(A ∩ B) = P(A|B) · P(B) = P(B|A) · P(A) . I Sind A1 , . . . , An zufällige Ereignisse mit P(A1 ∩ . . . ∩ An−1 ) > 0 , dann gilt P(A1 ∩ A2 ∩ . . . ∩ An ) = P(A1 ) · P(A2 |A1 ) · P(A3 |A1 ∩ A2 ) · . . . · P(An |A1 ∩ A2 ∩ . . . ∩ An−1 ) . Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 2 Übungsbeispiel In einer Urne befinden sich 10 Kugeln (7 rote und 3 schwarze). Es werden 4 Kugeln rein zufällig ohne Zurücklegen entnommen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis A , dass alle 4 gezogene Kugeln rot sind ? Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 3 Formel der totalen Wahrscheinlichkeit I Berechnung der totalen (unbedingten) Wahrscheinlichkeit aus den bedingten Wahrscheinlichkeiten: als gewichtetes Mittel. I Sei B1 , . . . , Bn eine Zerlegung von Ω mit P(Bi ) 6= 0, i = 1, . . . , n ein vollständiges Ereignissystem, eine Fallunterscheidung, d.h. n [ Bi = Ω , Bi ∩ Bj = ∅ für i 6= j . i=1 Dann lautet die Formel der totalen Wahrscheinlichkeit: für ein beliebiges zufälliges Ereignis A ⊂ Ω gilt P(A) = = n X i=1 n X P(A ∩ Bi ) P(A|Bi )P(Bi ) . i=1 Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 4 Formel von Bayes I Unter den Bedingungen des Satzes der totalen Wahrscheinlichkeit gilt die Formel von Bayes P(Bi |A) = = P(A|Bi )P(Bi ) P(A ∩ Bi ) = P(A) P(A) P(A|Bi )P(Bi ) . n P P(A|Bj )P(Bj ) j=1 I I P(Bi ) heißen auch a-priori“-Wahrscheinlichkeiten. ” P(Bi |A) heißen auch a-posteriori“-Wahrscheinlichkeiten, ” sie liefern eine Korrektur der ursprünglichen Wahrscheinlichkeiten, wenn bekannt ist, dass das zufällige Ereignis A eingetreten ist. Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 5 Übungsbeispiel Drei Zulieferer liefern eine Komponente zur Produktion eines Erzeugnisses im Anzahlverhältnis 5 : 3 : 2. Die Fehlerquote betrage bei Komponenten der 1. Zulieferfirma 7%, bei Komponenten der 2. Zulieferfirma 4% und bei Komponenten der 3. Zulieferfirma 2% . 1. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine aus der Gesamtliefermenge rein zufällig ausgewählte Komponente defekt ist ? 2. Es werde eine Komponente aus der Gesamtzuliefermenge rein zufällig ausgewählt und überprüft. Dabei stellt man fest, dass die Komponente defekt ist. Mit welcher Wahrscheinlichkeit wurde diese Komponente von der 1., 2., bzw. 3. Zulieferfirma geliefert ? Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 6 Partielle“ totale Wahrscheinlichkeit, Simpson-Paradox ” I Partielle totale Wahrscheinlichkeit P(A|C ) bei Zerlegung B1 , . . . , Bn ; A, C sind Ereignisse, P(C ) > 0 : P(A|C ) = n X P(A|Bi ∩ C ) · P(Bi |C ) . i=1 I Simpson-Paradox: z.B. Zerlegung B, B , Ereignisse A, C1 , C2 . Es kann sein, dass gilt P(A|C1 ) < P(A|C2 ) aber P(A|C1 ∩ B) > P(A|C2 ∩ B) , I P(A|C1 ∩ B) > P(A|C2 ∩ B) . Das Phänomen basiert darauf, dass Einzelergebnisse unterschiedlich gewichtet in das Gesamtergebnis eingehen. Bei statistischen Auswertung kann es so passieren, dass die Bewertung von Teilgruppen anders ausfällt als die der zusammengefassten Daten. Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 7 Beispiel für Simpson-Paradox I I I Betrachte folgende Ereignisse: A StudentIn bricht Studium ab, G1 StudentIn ist weiblich, G2 StudentIn ist männlich, F1 StudentIn studiert Fach 1, F2 StudentIn studiert Fach 2. Gegeben sind folgende bedingte Wahrscheinlichkeiten P(A|G1 ∩ F1 ) = 0.1 > P(A|G1 ∩ F2 ) = 0.05 , P(A|G2 ∩ F1 ) = 0.2 > P(A|G2 ∩ F2 ) = 0.15 , P(G1 |F1 ) = 0.9 ⇒ P(G2 |F1 ) = 0.1 , P(G1 |F2 ) = 0.2 ⇒ P(G2 |F2 ) = 0.8 . Daraus folgt (aus der Formel für partielle totale Wahrscheinlichkeit): P(A|F1 ) = P(A|G1 ∩ F1 ) · P(G1 |F1 ) + P(A|G2 ∩ F1 ) · P(G2 |F1 ) = 0.1 · 0.9 + 0.2 · 0.1 = 0.11 < P(A|F2 ) = P(A|G1 ∩ F2 ) · P(G1 |F2 ) + P(A|G2 ∩ F2 ) · P(G2 |F2 ) = 0.05 · 0.2 + 0.15 · 0.8 = 0.13 . Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 8 1.4 Stochastische Unabhängigkeit I Es kann vorkommen (und tut es in wichtigen Situationen auch), dass das Eintreten des Ereignisses B nichts an der Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Ereignisses A ändert, d.h. es gilt P(A|B) = P(A) . I Definition: Zwei zufällige Ereignisse A und B zu einem Zufallsversuch heißen (stochastisch) unabhängig, wenn gilt P(A ∩ B) = P(A) · P(B) . I In diesem Fall gelten dann auch P(A|B) = P(A) bzw. P(B|A) = P(B) (falls P(B) > 0 bzw. P(A) > 0), d.h. die bedingten Wahrscheinlichkeiten sind gleich den unbedingten Wahrscheinlichkeiten der beiden Ereignisse. Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 9 Unabhängigkeit von mehr als 2 Ereignissen I Zufällige Ereignisse A1 , . . . , An zu einem Zufallsversuch heißen paarweise unabhängig, falls alle Paare von ausgewählten Ereignissen unabhängig sind, d.h. P(Ai ∩ Aj ) = P(Ai ) · P(Aj ) für alle i 6= j . I Diese Ereignisse heißen in Gesamtheit oder total oder vollständig (stochastisch) unabhängig, falls eine entsprechende Formel für alle möglichen Auswahlen (nicht nur von Paaren) gilt, d.h. für alle 2 ≤ k ≤ n, 1 ≤ i1 < . . . < ik ≤ n gilt P(Ai1 ∩ . . . ∩ Aik ) = P(Ai1 ) · . . . · P(Aik ) . I Aus der totalen Unabhängigkeit der Ereignisse A1 , . . . , An folgt die paarweise Unabhängigkeit der Ereignisse, aber die Umkehrung gilt im Allgemeinen nicht. Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 10 Beispiel, Eigenschaften unabhängiger Ereignisse I Beispiel: (Zweifacher Münzwurf mit symmetrischer Münze) A = {1. Wurf Zahl}, B = {2. Wurf Zahl} . I Satz: A und B seien unabhängige Ereignisse zu einem zufälligen Versuch. Dann sind auch die zufälligen Ereignisse A und das Komplement von B, also B , unabhängig. Ebenso sind in diesem Fall A und B sowie auch A und B jeweils unabhängige Ereignisse. I Summenformel für unabhängige Ereignisse A1 , . . . , An : P(A1 ∪ . . . ∪ An ) = 1 − (1 − P(A1 )) · . . . · (1 − P(An )) . I Die Unabhängigkeit von Ereignissen wird der Einfachheit halber häufig vorausgesetzt, oft auch dann, wenn sie sachlich schwer begründbar ist. Oft beziehen sich unabhängige Ereignisse auf Versuchswiederholungen etc., die sich (scheinbar) nicht gegenseitig beeinflussen. Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 11 Anwendung in Zuverlässigkeitstheorie Betrachten die Serien- und Parallelschaltung von Bauteilen, Teilsystemen (z.B. in Produktionslinien) etc., die unabhängig voneinander ausfallen oder funktionstüchtig sind. I I 2 Bauteile T1 , T2 , Fi = {Bauteil Ti funktioniert}, P(Fi ) = pi , Fi stochastisch unabhängig (i = 1, 2) . Serien- oder Reihenschaltung funktioniert, wenn sowohl T1 als auch T2 funktionieren: P(F1 ∩ F2 ) = P(F1 )P(F2 ) = p1 p2 . I Parallelschaltung funktioniert, wenn T1 oder T2 oder beide Bauteile funktionieren (also mindestens eines der Bauteile funktioniert): P(F1 ∪ F2 ) = P(F1 ) + P(F2 ) − P(F1 ∩ F2 ) = p1 + p2 − p1 p2 . I n Bauteile T1 , . . . , Tn , Fi = {Bauteil Ti funktioniert} Fi vollständig stochastisch unabhängig (i = 1, . . . , n) . Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 12 Serien- oder Reihenschaltung Serien- oder Reihenschaltung I funktioniert (Ereignis S), wenn alle Bauteile T1 , T2 , . . . , Tn funktionieren: S =⇒ I = F1 ∩ F2 . . . ∩ Fn P(S) = P(F1 ) · P(F2 ) · . . . · P(Fn ). Serien- oder Reihenschaltung funktioniert nicht, wenn mindestens eines der Bauteile T1 , T2 , . . . , Tn nicht funktioniert: S = F1 ∪ F2 ... ∪ Fn P(S) = 1 − P(S) = 1 − P(F1 ) · P(F2 ) · . . . · P(Fn ) = 1 − (1 − P(F 1 )) · (1 − P(F 2 )) · . . . · (1 − P(F n )) . Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 13 Parallelschaltung I Parallelschaltung funktioniert (Ereignis S), wenn mindestens ein Bauteil T1 , T2 , . . . , Tn funktioniert: S =⇒ Dr. Andreas Wünsche = F1 ∪ F2 . . . ∪ Fn P(S) = 1 − ((1 − P(F1 )) · (1 − P(F2 ))) · . . . · (1 − P(Fn ))) . Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 18. April 2017 14 Parallelschaltung I Parallelschaltung funktioniert nicht, wenn alle Bauteile T1 , T2 , . . . , Tn nicht funktionieren: S =⇒ = F1 ∩ F2 ... ∩ Fn P(S) = P(F 1 ) · P(F 2 ) · . . . · P(F n ) = (1 − P(F1 )) · (1 − P(F2 )) · . . . · (1 − P(Fn )). I Bei komplizierteren Schaltungen Zerlegung in einfachere Teilsysteme (reine Serien- und Parallelschaltungen). Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 15 Übungsbeispiel Ein System besteht aus vier Komponenten. Dabei sei Fi (i = 1, . . . , 4) das Ereignis, dass die i-te Komponente des Systems nicht ausfällt. Diese Ereignisse sind vollständig unabhängig und haben folgende Wahrscheinlichkeiten: P(F1 ) = 0.95 , P(F2 ) = 0.85 , P(F3 ) = 0.9 und P(F4 ) = 0.9. Das System funktioniert, falls von den Komponenten 1 und 2 und von den Komponenten 3 und 4 mindestens jeweils eine Komponente funktioniert. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das System funktioniert? Dr. Andreas Wünsche Statistik I für Betriebswirte Vorlesung 2 Version: 11. April 2017 16