Zwischen Risiko und Resilienz Psychisch belastete Eltern und ihre Kinder Sozialdienstkonferenz, 3. März 2015 Dr. med. Stephan Kupferschmid Leitender Arzt Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dozent Universität Fribourg Überblick > Risiko und Resilienz > Rahmenmodell > Kinder depressiver & alkoholkranker Eltern > Kinder alkoholabhängiger Eltern > Angebote der UPD > Ausblick 56 vollstationäre Behandlungsplätze: 15 für Kinder 41 für Jugendliche 42 Tagesklinische Behandlungsplätze: 6 für Vorschulkinder 27 für Kinder 9 für Jugendliche Ambulante Versorgung im ganzen Kanton 3 4 5 6 Beispiel Kinder psychisch kranker Eltern > Um den Faktor 2-5 erhöhtes Risiko ebenfalls psychisch zu erkranken (Rutter 1984; Mattejat 2001; Vostanis et al. 2006; McLaughlin et al. 2012) > Höheres Risiko für psychische Störungen generell, nicht nur für die elterliche Erkrankung (Mattejat 2000) > Ein hoher Anteil stationärer KJP Patienten haben psychisch erkrankte Eltern – mindestens 1/3 (Mattejat 1997) Kinder psychisch kranker Eltern > Spezifische Störungen der Eltern haben einen spezifischen Einfluss auf die kindliche Entwicklung (Laucht 2002; Schneider 2002; Goodmann 2007) > Die Mehrheit der betroffenen Eltern wünschen sich Unterstützung: Information der Kinder, Elterngruppen, schriftliche Informationen (Felder et al. 2001) > Die Kinder sind besonders gefährdet durch sogenannte Typ II - Traumata (nach Schmeck 2008) Lebenszeitprävalenz für Schizophrenie in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad (Mattejat, 2008) Resilienz Kauai-Studie 700 Kinder, die im Jahr 1955 geboren wurden. Sie wurden über 40 Jahre wissenschaftlich untersucht (Werner 2001) Resilienz • Temperamentseigenschaften, die bei Sorge- und Erziehungspersonen positive Reaktionen auslösen • Fähigkeit, Hilfe zu erbitten, wenn dies erforderlich war • Überlegen und planen • Überzeugung, dass sie ihr Schicksal und ihre Lebenswelt durch eigene Handlung positiv beeinflussen können Resilienz • Enge Bindung mit mindestens einer kompetenten und stabilen Person • ethisch-religiöse Überzeugung als Schutzfaktor im Leben von Risikokindern • Lieblingslehrperson, Schule als zweite Heimat Elterliche Erkrankung Kindliche Entwicklung Elterliche Erkrankung Kindliche Entwicklung Elterliche Erkrankung Coping Soziales Netz EUK-Variablen Kindliche Entwicklung Rahmenmodell nach Mattejat/Wüthrich/Remschmidt (2000) Elterliche Erkrankung Coping Soziales Netz EUK-Variablen Kindliche Entwicklung Genetik Biologie Film Kinder depressiver Eltern Risikoerhöhung um den Faktor 2.8 bei einem erkrankten Elternteil und den Faktor 3.3 bei zwei erkrankten Elternteilen (Mattejat, 2008; McLaughlin et al., 2012 ) Dabei kommt es auch zu einem niedrigeren Erkrankungsalter und insgesamt schwereren Verläufen (Lieb et al., 2002) Insbesondere Suizidalität scheint eine „erbliche“ Komponente zu besitzen (Hawton, 2012) Wie sieht der Alltag der Kinder aus? Erleben von Hilflosigkeit und Rückzug der Eltern Unerklärliches Verhalten der Eltern Sozialer Abstieg Besondere familiäre Interaktionsstile Wie sieht der Alltag der Kinder aus? Medikamente, Behandlung, Klinik, evtl. Zwangsmassnahmen Erleben von suizidalen Gedanken und Handlungen Möglicherweise ungenügende Bindungserfahrungen Interaktionsmuster depressiver Eltern mit ihren Kindern (nach Reck et al., 2004) Passivität Weniger positiver Affekt Mehr negativer Affekt Weniger körperliche Berührung Mangelnde Kontingenz Weniger Sprache Rückzug, Vermeidung Vermeidung Blickkontakt Weniger pos. Affektausdruck Erhöhte Irritabilität Schlechtere Selbstregulation Stressparameter erhöht Kinder alkoholabhängiger Eltern Jedes vierte Kind wächst in einer Familie mit Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit auf (Klein, 2001) Direkten Schädigung durch die Noxe Alkohol und damit Symptome des fetalen Alkoholsyndroms (körperliche Fehlbildungen, Schädigung des zentralen Nervensystems) (Kodituwakku, 2009) Höhere Toleranz gegenüber Alkohol und eine geringere Wahrnehmung direkter negativer Folgen des Alkoholkonsums (Levenson et al., 1987) Wie sieht der Alltag Der Kinder aus? Unerklärliches Verhalten der Eltern, in Abhängigkeit vom Alkoholkonsum Erziehungsstil durch Inkonsistenz und durch Einsatz von strafenden und herabsetzenden Erziehungsmethoden geprägt, die beim Kind zu unzureichenden Bindungserfahrungen führen können (Brisch, 2011) Wie sieht der Alltag Der Kinder aus? Oftmals Arbeitsplatzverlust der Eltern, Trennung, sozialer Abstieg Alkoholbelastete Familien pflegen seltener Identitätsstiftende Familienrituale wie Feiertage, Geburtstage, gemeinsames Essen und Wochenendausflüge (Klein, 2001) Möglicherweise Vernachlässigung, Gefährdung des Kindeswohls Kinder schizophrener Eltern Die Relevanz genetischer Einflüsse bei der Schizophrenie (Owen MJ, 2012) zeigt sich auch daran, dass das Risiko von Kindern eines an Schizophrenie erkrankten Elternteils um den Faktor 10 höher ist als in der Allgemeinbevölkerung Wenn beide Eltern an einer Schizophrenie erkrankt sind, steigt das Risiko sogar auf 48 % (Mattejat, 2008) In einer Studie von Tienari et al. (2000) sich, dass 7% der Kinder an einer Schizophrenie erkrankten, jedoch 53 % eine andere psychiatrische Störung entwickelten Kinder schizophrener Eltern neuromotorische Defizite (McNeil 1993); neurologische Softsigns (Niemei, 2005) Kognitive Defizite wurden bei diesen Kindern sowohl in Teilbereichen wie den Exekutivfunktionen (Klemm 2006, Seidmann 2006) oder dem verbalen Gedächtnis (Erlenmeyer-Kimmling, 2000) aber auch generell bei der Aufmerksamkeitsleistung (Niemi, 2005) gefunden Im sozialen und emotionalen Bereich kommt es schon früh zu weniger sozialer Interaktion (Wan 2008) und die Bindung zur Mutter ist weniger sicher (D’Angelo, 1986). Wie sieht der Alltag der Kinder aus? Unerklärliches, möglicherweise befremdliches oder ängstigendes Verhalten der Eltern Möglicherweise Scham für als peinlich oder beschämend erlebtes Verhalten der Eltern Möglicherweise sozialer Abstieg und Verlust des Arbeitsplatzes Wie sieht der Alltag Der Kinder aus? Erleben von kognitiven Beeinträchtigungen der Eltern Medikamenteneinnahme der Eltern mit teilweise gravierenden Nebenwirkungen Behandlung in einer psychiatrischen Klinik, evtl. Zwangsmassnahmen Erleben von selbst- oder fremdaggressiven Handlungen Sorgen des Kindes, selber eine psychotische Störung zu entwickeln Miteinbezug des Kindes in psychotisches Erleben der Eltern Film Subjektive Belastungen der Kinder > > > > > > > Elterliche Erkrankung Wissen über die Erkrankung Tabuisierung Isolation und Kommunikationsverbot Soziale Unterstützung Familiärer Alltag Gefühlslage der Kinder Desorientierung: Kinder sind verängstigt und können Probleme der Eltern nicht einordnen. Eventuell werden eigene Modelle zur Entstehung der Störung entwickelt. Schuldgefühle: „Mama ist krank weil ich böse war oder mich nicht um sie gekümmert habe“ Tabuisierung und Kommunikationsverbot: Kinder sind gehemmt, finden kaum Worte, es kann dann die „Erlaubnis“ der Eltern brauchen über das Thema psychische Erkrankung zu reden Angebote der UPD Triage und Aufnahme Gruppen für Kinder und Eltern Psychisch belastete Eltern und ihre Kinder Angehörigenberatung Beratung während der Behandlung Etablierung einer Elterngruppe • Sechs Sitzungen jeweils 90 Minuten • Einbettung der Gruppe im sozialpsychiatrischen Kontext • Themen: Kommunikation über die Erkrankung, Bewätigungsstrategien, Hilfe zur Erziehung, Netzwerkkarte • Gruppe von 4-6 Eltern Schlussfolgerungen Unser Ausgangspunkt: Kooperation innerhalb der UPD Spannungsfeld: psychisch krank <-> kompetent als Eltern Notwendigkeit einer weiteren Vernetzung über die Grenzen des Gesundheitssektors hinaus Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !