Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 1 I. Überblick © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 2 Synonyma Affektive Störungen = umfangreiche Krankheitsgruppe Gesamte Gruppe: • manisch-depressive Erkrankung oder Psychose (Irresein) • Zyklothymie (selten Zyklophrenie) oder Affektpsychose Elemente: • endogene oder endomorphe (unipolare oder bipolare) Depression • Major Depression, Melancholie • Manie • reaktive (psychogene oder neurotische) Depression © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 3 Charakteristika • • • • • • • • • • • häufiges Vorkommen Schwankungen der Grundstimmung in beide Richtungen Veränderungen des allgemeinen Aktivitätsniveaus formale, seltener auch inhaltliche Denkstörungen regelhaft episodischer Verlauf mit Rückfällen weitere Biorhythmusstörungen allgemein gute Prognose Kombination mit anderen psychischen Störungen Hinweise auf Abwandlungen der neuronalen Transmission gehäuftes familiäres Auftreten Beobachtung in allen Kulturen und zu allen Zeiten © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 4 Prognose • gute Prognose der Einzelerkrankung auch bei schweren Krankheitsepisoden aber • oft lebenslanger episodischer Verlauf • Chronifizierung in 20% (bes. bei Altersdepressionen) • Patientengruppe mit schwereren Depressionen weist die höchste bekannte Suizidrate (bis 15%) auf © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 5 disability in medical conditions © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 6 Behandlung Die Behandlung affektiver Störungen hat sich in den letzten 40 Jahren durch die stürmische Entwicklung der Psychopharmaka und Anwendungen weiterer somatischer Verfahren stark differenziert in eine antidepressive, antimanische und rezidivprophylaktische Therapie, zu deren Flankierung Psychotherapie und Soziotherapie unverzichtbar sind. © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 7 Kraepelin (1893) Emil Kraepelin (1893): erstmals Abgrenzung der manischdepressiven Erkrankung von der später als Schizophrenie bezeichneten Krankheitsgruppe Wesentliche Unterscheidungsmerkmale: • remittierender und rezidivierender, aber prognostisch günstiger Verlauf • zeitlich versetztes Auftreten von gehobener und gesenkter Stimmungslage © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 8 ‚psychogen‘ und ‚endogen‘ Später im europäischen Raum, vor allem in Deutschland, Differenzierung herausgearbeitet in • reaktive oder psychogene Depression entsteht als psychische Reaktion auf belastende Ereignisse oder pathogene Entwicklungen • endogene (zyklothyme) Depression gilt als im wesentlichen anlagebedingt und ist definiert über eine endomorphe bzw. vitale Symptomatik: Gefühl der Gefühllosigkeit, Vitalstörungen, Hemmung, phasischer Verlauf © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 9 Einteilung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 10 ICD-10: F30-39 F30 - F39 Affektive Störungen F30 F31 F32 F33 F34 F38 F39 © manische Episode bipolare affektive Störung depressive Episode rezidivierende depressive Störungen anhaltende affektive Störungen sonstige affektive Störungen nicht näher bezeichnete affektive Störungen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 11 ICD-10: F30-39 F30 - F39 Affektive Störungen F30 F31 F32 F33 F34 F38 F39 © manische Episode bipolare affektive Störung depressive Episode rezidivierende depressive Störungen anhaltende affektive Störungen sonstige affektive Störungen nicht näher bezeichnete affektive Störungen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 12 ICD-10: F30 F30 manische Episode F30.0 Hypomanie F30.1 Manie ohne psychotische Symptome F30.2 Manie mit psychotischen Symptomen ( ... ) F30.8 sonstige manische Episoden F30.9 nicht näher bezeichnete manische Episode © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 13 ICD-10: F30-39 F30 - F39 Affektive Störungen F30 F31 F32 F33 F34 F38 F39 © manische Episode bipolare affektive Störung depressive Episode rezidivierende depressive Störungen anhaltende affektive Störungen sonstige affektive Störungen nicht näher bezeichnete affektive Störungen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 14 ICD-10: F31 F31 bipolare affektive Störung F31.0 F31.1 bipolare affektive Störung, gegenwärtig hypomanische Episode bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode, ohne psychotische Symptome bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode, mit psychotischen Symptomen ( ... ) bipolare affektive Störung, gegenwärtig mittelgradige oder leichte depressive Episode ( ... ) bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode, ohne psychotische Symptome bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode mit psychotischen Symtomen ( ... ) bipolare affektive Störung, gegenwärtig gemischte Episode bipolare affektive Störung, gegenwärtig remittiert sonstige bipolare affektive Störungen nicht näher bezeichnete bipolare affektive Störung F31.2 F31.3 F31.4 F31.5 F31.6 F31.7 F31.8 F31.9 © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 15 ICD-10: F30-39 F30 - F39 Affektive Störungen F30 F31 F32 F33 F34 F38 F39 © manische Episode bipolare affektive Störung depressive Episode rezidivierende depressive Störungen anhaltende affektive Störungen sonstige affektive Störungen nicht näher bezeichnete affektive Störungen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 16 ICD-10: F32 F32 depressive Episode F32.0 leichte depressive Episode ( ... ) F32.1 mittelgradige depressive Episode ( ... ) F32.2 schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome F32.3 schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen ( ... ) F32.8 sonstige depressive Episoden F32.9 nicht näher bezeichnete depressive Episode © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 17 ICD-10: F30-39 F30 - F39 Affektive Störungen F30 F31 F32 F33 F34 F38 F39 © manische Episode bipolare affektive Störung depressive Episode rezidivierende depressive Störungen anhaltende affektive Störungen sonstige affektive Störungen nicht näher bezeichnete affektive Störungen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 18 ICD-10: F33 F33 rezidivierende depressive Störungen F33.0 rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode( ... ) F33.1 rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode ( ... ) F33.2 rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome F33.3 rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen ( ... ) F33.4 rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert F33.8 sonstige rezidivierende depressive Störungen F33.9 nicht näher bezeichnete depressive Störung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 19 ICD-10: F30-39 F30 - F39 Affektive Störungen F30 F31 F32 F33 F34 F38 F39 © manische Episode bipolare affektive Störung depressive Episode rezidivierende depressive Störungen anhaltende affektive Störungen sonstige affektive Störungen nicht näher bezeichnete affektive Störungen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 20 ICD-10: F34 F34 anhaltende affektive Störungen F34.0 Zyklothymia F34.1 Dysthymia F34.8 sonstige anhaltende affektive Störungen F34.9 nicht näher bezeichnete anhaltende affektive Störung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 21 ICD-10: F30-39 F30 - F39 Affektive Störungen F30 F31 F32 F33 F34 F38 F39 © manische Episode bipolare affektive Störung depressive Episode rezidivierende depressive Störungen anhaltende affektive Störungen sonstige affektive Störungen nicht näher bezeichnete affektive Störungen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 22 ICD-10: F38/F39 F38 sonstige affektive Störungen F38.0 sonstige einzelne affektive Störungen ( ... ) F38.1 sonstige rezidivierende affektive Störungen ( ... ) F38.8 sonstige näher bezeichnete affektive Störungen F39 © nicht näher bezeichnete affektive Störungen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 23 II. Depressive Störungen © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 24 Episode Episode im Sinne der ICD-10: • zeitlich eingrenzbarer manischer, depressiver oder gemischter Krankheitszustand unabhängig von der Intensität (synonym: Phase, Attacke) • dauert im Mittel 4-5 Monate an, manische Episoden eher kürzer, depressive Episoden eher etwas länger Die depressive Episode ist eine • klinisch relevante Senkung der Stimmungslage • mit oder ohne begleitende Angst • in Verbindung mit einer Minderung des allgemeinen körperlichen und psychischen Aktivitätsniveaus • von durchgehend mindestens 2 Wochen Dauer © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 25 Depressives Syndrom Hauptsymptome © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 26 ICD-10 Kriterien Depressive Episode … leidet die betreffende Person gewöhnlich unter gedrückter Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit und einer Verminderung des Antriebs. Die Verminderung der Energie führt zu erhöhter Ermüdbarkeit und Aktivitätseinschränkung. Deutliche Müdigkeit tritt oft nach nur kleinen Anstrengungen auf. Andere häufige Symptome sind: 1. Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit 2. Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen 3. Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit (sogar bei leichten depressiven Episoden) 4. Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven 5. Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen 6. Schlafstörungen 7. Verminderter Appetit © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 27 diagnosis © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 28 Symptomatik: Affektstörungen (1) • Veränderungen im emotionalen Gefüge • negative Gestimmtheit, gesenkte Gesamtstimmungslage („depressive Verstimmung“) • freudlos, lustlos, „Gefühl der Gefühllosigkeit“, nicht einmal mehr traurig sein können, „erlebte Leblosigkeit“, Hoffnungslosigkeit, Wertlosigkeit • nicht mehr in der Lage situativ mitzuschwingen, emotionale Reagibilität oder Resonanzfähigkeit erheblich eingeschränkt oder aufgehoben („Affektstarre“) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 29 Symptomatik: Affektstörungen (2) • diffuse, frei flottierende ziellose Angst vor allem, selbst vor kleinsten Anforderungen • organ- oder leibnahe Ängste, im Herz, in der Brust, in der Enge des Halses („Vitalstörungen“), in der Atmung, hörbar für den Beobachter in Stoßseufzern … bis hin zum Ausspruch, selbst Angst zu sein • Angst auch zeitbezogen als Angst vor der Vergangenheit und vor der Zukunft © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 30 Symptomatik: Antriebsstörungen (1) • Veränderungen des Wollens, des Triebes, des Handelns, der psychischen und körperlichen Aktivität, die als Antrieb zusammengefasst werden • Hemmung der Entschlusskraft (Ambivalenz), Kreativität, des Interesses, der sogenannten Lebensenergie und Spontaneität • Eindruck von Willenlosigkeit, Durchhalteschwäche und Handlungsfragmentierung, die im Extremfall in Handlungsunfähigkeit und Reglosigkeit einmündet (= „depressiver Stupor“) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 31 Symptomatik: Antriebsstörungen (2) In anderen Fällen: • eigenartige ziellose Unruhe und Getriebenheit • Agitiertheit, als Ausdruck von ängstlicher Ratlosigkeit • „Was wird aus mir, wie geht es weiter, es geht überhaupt nicht weiter“ • leeres Klagen, körperliche Rastlosigkeit und psychomotorische Unruhe, die nicht nur den Patienten, sondern auch sein Umfeld belasten kann © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 32 Symptomatik: Denkstörungen Das Denken des Depressiven weist • formale und bei schwereren Ausprägungsgraden • inhaltliche Störungen auf © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 33 Symptomatik: Formale Denkstörung • Typisch: formale Denkverlangsamung, • Patient wirkt schwerfällig, aspontan, einförmig in seinen Gedanken („Denkhemmung“, „Denkverlangsamung“, „Einengung“), • Gedankenkreisen gelegentlich auch drängend immer um gleiche Inhalte („Grübeln“), • Patient fühlt sich deshalb als konzentrationsunfähig • Ein verlangsamtes Sprechtempo spiegelt objektiv die allgemeine Hemmung wider © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 34 Symptomatik: Inhaltliche Denkstörung Überwertige Vorstellung der Wertlosigkeit, nichts mehr zu können, für andere einen Hemmfaktor darzustellen und vielleicht unheilbar krank zu sein Bei besonders schwerer Ausprägung depressiver Wahn mit den Inhalten • Schuld • Armut • Krankheit nach K. Schneider (1950) die drei Urängste des Menschen. © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 35 Symptomatik: Schuldwahn • Schuldwahn etwa bei 20% der Patienten • unkorrigierbare Gewissheit des persönlichen Versagens in der Vergangenheit, das zu seinem jetzigen Zustand geführt hat, schweres vermeintliches Leid über ihm Nahestehende gebracht hat, Unglück für die ganze Menschheit heraufbeschwört oder gar zum Weltuntergang führt • In solchen schweren Fällen wähnen sich die Patienten als Verbrecher, die sich verfolgt fühlen können, um ihre gerechte Strafe zu empfangen („Verfolgungswahn“). • Ein Suizid kann hier motivational Selbstjustiz bedeuten. © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 36 Symptomatik: Verarmungswahn Im Verarmungswahn teilweise noch lebensnahe existentielle Sorgen: • „ich kann meine Miete nicht mehr bezahlen" auch merkwürdig hyperkonkret anmutende Inhalte: • „meine gesamte Wäsche ist mir gestohlen worden" schließlich auch extreme Vorstellungen: • „ich habe kein Gehirn mehr" • „ich habe nie Kinder gehabt„ • auch als „nihilistischer Wahn“ bezeichnet © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 37 Symptomatik: Hypochondrischer Wahn Inhalte beim Krankheitswahn (hypochondrischen Wahn): noch rückbezügliche Krankheitsbefürchtungen • „chronischer Husten“ wahngewisse bösartige Krankheiten • „Prostatakrebs“ fließende Übergänge zum nihilistischen Wahn möglich • „ich habe keine Verdauung mehr; mein Bauch ist nur noch ein Eitersack, in den das Essen fällt, verfault und dann verloren geht“ © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 38 Symptomatik: Stimmungskongruenz • Die beschriebenen Wahnformen lassen sich aus der depressiven Gestimmtheit herleiten • stimmungskongruenter (synthymer, holothymer) Wahn • In seltenen Fällen auch kurzzeitig stimmungsinkongruente (dysthyme, katathyme) Wahnformen möglich © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 39 Symptomatik: veget. und somat. Störungen • Appetitstörungen (Appetitverlust, in seltenen Fällen atypischerweise auch Appetitvermehrung), • Gewichtsverlust • deutlicher Libidoverlust • Sistieren von Menstruation und Potenz © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 40 Symptomatik: Biorhythmusstörungen • herausragendes Kennzeichen für den endomorphen Charakter affektiver Störungen • Funktionsabwandlungen der normalen biologischen Zeitgeber, mit denen alle seelischen und körperlichen Abläufe verkoppelt sind • Modelle, die manisch-depressiven Psychosen als biologische Rhythmusstörung definieren Einzelne Störungen folgen -> © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 41 Symptomatik: Schlafstörungen • müssen genau erfragt werden • charakteristische Abwandlungen des gewohnten Schlafmusters • regelhaft gut einschlafen, • aber nachts häufig aufwachen und wieder einschlafen („zerhackter Schlaf“) • oder frühzeitig (gegen 4.00 Uhr) erwachen bzw. beides. • nach dem Erwachen meist sofort hellwach • größere REM-Schlaf-Variabilität im EEG © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 42 Symptomatik: Tagesschwankungen • Nach dem vorzeitigen Erwachen ist die gesamte Symptomatik am stärksten ausgeprägt (Morgentief) • „es sind die schlimmsten Stunden am Tage“ • Suizide Depressiver häufig am Morgen • häufig Stimmungsumschwung zwischen dem späten Vormittag und dem frühen Nachmittag • „abends denke ich immer, ich hab es überwunden“ © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 43 Tagesschwankung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 44 Symptomatik: Zeitempfinden • häufig subjektiv aufgehobenes Zeitempfinden in der Depression • die Vergangenheit ist ganz herangerückt • Zukunft gibt es keine • „die Zeit steht stille“ • äußerst quälendes Gefühl © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 45 Symptomatik: intraphasische Schwankungen • Während des Ablaufs einer Krankheitsepisode häufig starke intraphasische Schwankungen • Vermeintliche Besserungen des Befindens über Tage lassen auf ein Phasenende hoffen, plötzlich aber kann eine neuerliche Verschlechterung - manchmal über Nacht - eintreten © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 46 Symptomatik: Suizidalität • höchste suizidale Gefährdung überhaupt • mindestens gelegentliche Suizidgedanken bei fast allen Patienten zu irgendeinem Zeitpunkt • Suizidversuche sehr häufig in depressiver Verstimmung, aber nicht zwangsläufig bei affektiver Störung • Suizide oft in tiefer Depressivität • sehr konsequent, violent • im Handlungsablauf wenig berechenbar (raptus melancholicus) • äußerst selten: erweiterter Suizid © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 47 Symptomatik: Wahrnehmungsstörungen • Intensitätsminderungen der Empfindungen: Essen schmeckt schal, Umwelt erscheint unplastisch oder grau in grau • innere Stimme des Gewissens als akustische Halluzination • Stimmen des Jüngsten Gerichts, Hilferufe der eigenen, gequälten Kinder, Hahnenschrei vor dem eigenen Todesurteil oder ähnliche Lautausmalungen depressiver Szenerie • Geruchshalluzinationen in Form von Fäulnis und Verwesung als Todesanzeichen © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 48 Symptomatik: Ich-Störungen • Depersonalisationserleben und Derealisationserleben • bei anhaltendem nihilistischen Wahn völliger „Verlust des Existenzgefühls“ • Körpergefühlsstörungen allgemeiner Art: Kraftlosigkeit, Schweregefühl, Mattigkeit, allgemeines Krankheitsgefühl • Körpergefühlsstörungen lokalisierter Art: Kopf: Schmerzen, Druck, Leere, Rauschen; Augen: Druck, Flimmern, Stechen; Hals: zugeschnürt, dick, Schluckbeschwerden; Thorax: Brennen, Herzjagen, Reifengefühl; Abdomen: Druck, Unruhe, Hitze usw. • somatische Fehldiagnosen möglich © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 49 Symptomatik: Schweregrade • leichte depressive Episode • mittelgradige depressive Episode • schwere depressive Episode • Zahl und Intensität der bestehenden Symptome • Auswirkungen auf berufliche, soziale und häusliche Aktivitäten © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 50 Psychotische Symptome © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 51 Somatisches Syndrom © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 52 Depressive Syndrome (1) • herkömmliche, klinisch bewährte Syndrome • ohne Eingang in die moderne Klassifikation des ICD-10 oder anderer Diagnosemanuale • spezielle Ausprägungen von Symptomkonstellationen • oder auch multi- oder komorbide Störungen © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 53 Depressive Syndrome (2) • gehemmt-depressives Syndrom • agitiert-depressives Syndrom • wahnhafte Depression, meist dringend stationär behandlungsbedürftig • hypochondrisch-depressives Syndrom: ängstliche Klagsamkeit krank zu sein • anankastische Depression • vegetative Depression (auch larvierte Depression) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 54 Depressive Syndrome (3) • Jammerdepression: extreme Klagsamkeit auf der Grundlage von schwerer diffuser Angst und Krankheits-, Zukunfts- oder anderer Furcht • Involutionsdepression: evtl. mit klimakterischen Symptomen gemischt • Altersdepression: mit multiplen Altersbeschwerden und Hang zu Chronifizierung • organische Depression: bei primären oder sekundären Hirnaffektionen nicht selten auftretende symptomatische Depression © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 55 Depressive Syndrome (4) Pharmakogene Depression: • unter der Behandlung schizophrener Störungen mit Neuroleptika auftretende symptomatische Depression • Abgrenzung zum beginnenden, neuroleptikabedingten Parkinson-Syndrom wie auch • zum depressiven Syndrom bei unbehandelter Schizophrenie im Prodromal- oder im postpsychotischen Zustand • Auch andere Medikamente L-DOPA, Bromocriptin und Kortikosteroide; eher zweifelhaft bei lbuprofen, Sulfonamiden, ACE-Hemmern, Clomethiazol u. a. © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 56 III. Rezidivierende depressive Störung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 57 Charakterisika • charakterisiert durch wiederholte depressive Episoden • unabhängig vom Schweregrad • Auftreten von Hypomanie sofort nach einer depressiven Episode zulässig • Zwischen den Episoden typischerweise vollständige Remission • Krankheitsepisode plus nachfolgendes Intervall = Zyklus © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 58 Verlauf rez. depr. Störung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 59 Differentialdiagnose © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 60 comorbidity © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 61 Erkrankungsalter • erste Episode oft abgeschwächt, verkürzt, reaktive Züge • Erkrankungsalter lässt sich oft nur ungenau bestimmen • Median bei Bipolaren um 25 Jahre • Median bei Unipolaren um 35 Jahre © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 62 Diagnosestabilität • Unipolare sind bis zu 1/3 „noch nicht“ bipolare Verläufe • Stabil ist eigentlich nur die Diagnose einer bipolaren Störung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 63 Episoden- und Zyklusdauer • Episodendauer durchschnittlich 5 Monate • Unipolare länger, Bipolare kürzer • keine sichere Verkürzung durch Antidepressiva • Verkürzung durch EKT und Lithium • Episodendauer im Lebens- bzw. Krankheitsverlauf durchschnittlich gleich • Zyklusdauer verkürzt sich im Lebens- bzw. Krankheitsverlauf durch zeitliche Abnahme des Intervalls Rapid cycling >= 4 affektive Episoden pro Jahr © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 64 Prognose und Prädiktion Allgemeine Prognose ist gut Einschränkungen durch: • Suizid (15%) • Herz-Kreislauf-Mortalität • Chronifizierung (15-30%) • Rezidivneigung • • Prädiktion schwierig, allenfalls Risikofaktoren Episodenrezidiv: Hauptprädiktor ist der bisherige Verlauf © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 65 Epidemiologie Depression = häufigste psychische Störung Risikofaktoren: • Geschlecht (w: x 2-3) • soziale Faktoren • Familienanamnese • prämorbide Persönlichkeit („typus melancholicus“) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 66 Epidemiologie © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 67 epidemiology © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 68 Ätiopathogenese (1) Multikausales Bedingungsgefüge aus: • endogenen Faktoren • psychogenen Faktoren • sozialen Faktoren • life events • chronische Streßsituationen © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 69 Ätiopathogenese (2) Biochemisches Korrelat an zentralen Synapsen: • verminderte Aktivität noradrenerger und serotonerger synaptischer Transmission • verringerte Sensitivität postsynaptischer Rezeptoren • Transmitter-Balancestörung \ Biorhythmusstörungen zentrale Bedeutung bei Entstehung und Unterhaltung der Krankheit © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 70 Familienuntersuchungen Empirische Befunde aus Familienuntersuchungen: • Erkrankungsrisiko unter Verwandten • Typus melancholicus als pramorbide Persönlichkeit bei unipolaren Depressiven • Stressbedingungen durch psychische und körperliche Stressoren • Wechselwirkung zwischen genetischen und sozialen Faktoren mit unterschiedlicher zeitlicher Dimension • Verlustmodell, Modell der gelernten Hilflosigkeit verlieren im Lebenslauf an Bedeutung durch „Einebnung“ im zeitlichen Verlauf; priming © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 71 Epidemiologie - Genetik © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 72 Ätiopathogenese (3) • Konstitutionelle (genetische) Faktoren + (frühkindliche) psychologische und/oder körperliche Traumatisierungen biologisches „priming", latente Überempfindlichkeit für erregende Neurotransmitter • spätere erneute psychische oder körperliche Belastungen Reaktivierung der biologischen Narbe, Einleitung einer Überstimulation aus zentralen Hirnstrukturen © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 73 Ätiopathogenese (4) • Auslösung einer erhöhten Stressbereitschaft und -reaktion via Störung der Reagibilität/Signaltransduktion von Glukokortikoidrezeptoren • umfangreiche, mehrheitliche Störungen von feed-backMechanismen in der HPA-Achse (hypothalamic-pituitaryadrenocortical-/Hypothalamus-Hypophyse-NebennierenrindenAchse) • pathologische psycho-biologische Stressreaktion mit Störungen im Kortisolsystem und der Transmitterbalance (Depression) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 74 Ätiopathogenese (5) • Erste depressive Episoden: stärkere reaktive (umweltbedingte) Auslösemechanismen, • Rezidive: zunehmende Automatisierung („Endogenisierung“) des nächsten Rezidivs, • Tendenz zur Verselbständigung der Episoden, Verkürzung der symptomfreien Intervalle ( Rapid cycling und evtl. bipolarer Verlauf = Pathomechanismus des Kindling-Phänomens (Anbrenn-Phänomen, d.h. „Erlernen“ der Krankheit). • Rezidivprophylaktisch wirksame Psychopharmaka: Profil einer Antikindling-Wirkung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 75 Therapie (1) • Hinweise auf erhebliche diagnostische und therapeutische Defizite bei depressiven Patienten: • 52% gehen nicht zum Arzt, • 25% werden fehldiagnostiziert, • 15% werden zu kurz oder unterdosiert therapiert • 5-8% werden „lege artis“ behandelt. • Untersuchung von Dilling et al. (1984): fast alle depressiven Psychosen, aber nur die Hälfte der sogenannten „depressiven Neurosen“ wurde behandelt © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 76 Therapie (2) • Multikausales ätiopathogenetisches Bedingungsgefüge mehrdimensionaler Ansatz der Therapie • Somatische Therapie: Psychopharmaka (Antidepressiva, Tranquilizer, Neuroleptika, Rezidivprophylaktika), Schlafentzug, Elektrokrampftherapie, Lichttherapie, in Erprobung auch transkranielle Magnetstimulation und die Vagusnerv-Stimulation • Psychotherapie: Kognitive Verhaltenstherapie u.a. • Soziotherapie: Ergotherapie, Angehörigenarbeit, Tagesklinik, sozialpsychiatrischer Dienst, berufliche Rehabilitation, Musiktherapie u.a. © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 77 Therapie (3) • Gewichte werden unterschiedlich verteilt, auch bei einem Patienten zu unterschiedlichen Zeiten. • Die somatische Therapie steht bei den rezidivierenden Depressionen im Vordergrund, oft Langzeitbehandlung mit Höhen und Tiefen und erheblicher Bedeutung psychologischer und psychotherapeutischer Faktoren • Gefahren bei der Therapie Depressiver: nicht nahe genug am Patienten sein, der sich oft anlehnen möchte, in großer Angst aber Distanz sucht oder innerlich vereinsamt bis erstarrt - Verkennung von Suizidgefahr © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 78 Therapie Allgemeine Regeln Allgemeine Regeln der Therapie • Beziehungsaufbau: Empathie zeigen • Stützung: supportives Basisverhalten • Information (Edukation): Grundwissen über Krankheit und Therapiearten • Behandlungsplan: Setting, symtomorientierte Hierarchie © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 79 Episoden- und Therapieverlauf © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 80 Medikamentöse Therapie (1) • Vorrang neuerer Antidepressiva • Neuere (moderne) Antidepressiva • tri- und tetrazyklische AD • chemisch andersartige AD • irreversible MAO-Hemmer • Phytotherapeutika © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 81 Moderne Antidepressiva © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 82 Klassische vs. moderne Antidepressiva © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 83 Medikamentöse Therapie (2) Wirkungslatenz: grundsätzlich 1-3 Wochen Weitere Medikamente bei • Angst, Suizidalität? - Tranquilizer • Wahn? - Neuroleptika • Erhaltungstherapie: 3-6 Monate • Beziehungen zwischen Akuttherapie, Erhaltungstherapie, Dauerbehandlung (Rezidivprophylaxe); Response, Rückbildung; Relapse und Recurrence © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 84 Medikamentöse Therapie (3) Non-Response: Therapieänderung • Medikamentenwechsel • Schlafentzug • Lichttherapie • Elektrokrampftherapie • repetitive transkranielle Magnetstimulation © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 85 Medikamentöse Therapie (4) Chronifizierung: > 2 Jahre, kontrolliertes Vorgehen: • Augmentation mit Lithium (Carbamazepin, Valproat) • Schilddrüsenhormone • Eisenstoffwechsel • Nootropika • Absetzversuch • Psychotherapie • Vagusnerv-Stimutation © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 86 Medikamentöse Therapie (5) Rapid cycling • Behandlung schwierig • Antidepressiva allein genügen nicht • Provokation manischer Phasen möglich • Kombination mit einem Phasenprophylaktikum oder dessen alleinige Gabe • Carbamazepin gegenüber Lithium zu bevorzugen • Erfahrungen mit Valproat beschränken sich auf bipolares Rapid cycling © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 87 Psychotherapie Supportive Psychotherapie Spezifische antidepressive Psychotherapieformen: • Depressionsbewältigungstraining • Selbstsicherheitstraining • Selbstkontrolltherapie • kognitive Verhaltenstherapie • psychodynamische Kurzzeittherapie • Interpersonale Therapie © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 88 Lithiumbehandlung (1) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 89 Lithiumbehandlung (2) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 90 Carbamazepinbehandlung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 91 Antidepressiva Langzeitbehandlung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 92 Weitere Möglichkeiten der Rezidivprophylaxe • L-Thyroxin • Lichttherapie • Erhaltungs-EKT • Spezialambulanzen für Rückfallprophylaxe bewährt • Psychotherapie © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 93 IV. Bipolare affektive Störungen © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 94 ICD-10: F31 F31 bipolare affektive Störung F31.0 F31.1 F31.2 F31.3 F31.4 F31.5 F31.6 F31.7 F31.8 F31.9 © bipolare affektive Störung, gegenwärtig hypomanische Episode bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode, ohne psychotische Symptome bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode, mit psychotischen Symptomen ( ... ) bipolare affektive Störung, gegenwärtig mittelgradige oder leichte depressive Episode ( ... ) bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode, ohne psychotische Symptome bipolare affektive Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode mit psychotischen Symtomen ( ... ) bipolare affektive Störung, gegenwärtig gemischte Episode bipolare affektive Störung, gegenwärtig remittiert sonstige bipolare affektive Störungen nicht näher bezeichnete bipolare affektive Störung Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 95 ICD-10: F30 F30 manische Episode F30.0 F30.1 F30.2 F30.8 F30.9 Hypomanie Manie ohne psychotische Symptome Manie mit psychotischen Symptomen ( ... ) sonstige manische Episoden nicht näher bezeichnete manische Episode © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 96 Geschichte (1) • Hippokrates (460-377 v. Chr.): Beschreibung der Melancholie mit Essensverweigerung, Schlaflosigkeit, Gereiztheit und Ruhelosigkeit • Galen (201-131 v. Chr.): Manie und Melancholie sind chronische, wiederkehrende Erkrankungen. • Aretaeus von Cappadocia (2. Jhd v. Chr.): Zusammenhang zwischen den Krankheitsbildern Manie und Melancholie • Falret und Baillarger (Frankreich 19. Jhd.) beschrieben unabhängig voneinander Manie und Depression als Ausprägung derselben Krankheit („La folie a double forme“ und „folie circulaire“) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 97 Geschichte (2) • Griesingers Beschreibungen (1845) von jahreszeitlichen Verlaufsveränderungen und rascher Phasenabfolge erinnern sowohl an die „saisonal abhängigen Störungen“, als auch an das „rapid cycling“. • Kraepelin (1899): dichotome Aufteilung in „manischdepressives Irresein“ (zirkuläre Psychosen und einfache Manien) und „Dementia praecox“ (schizophrene Verläufe). Diese Dichotomie beeinflusste die psychiatrische Klassifikation über Jahrzehnte. © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 98 Geschichte (3) • Eugen Bleuler (1924) sah „Die Gruppe der Schizophrenien" als einen Pol eines Kontinuums, dessen anderes Ende „manischdepressive Erkrankungen“ darstellten. • Leonhard (1957) führte aufgrund von Verlaufs- und Familienuntersuchungen die Trennung zwischen unipolaren und bipolaren Verläufen ein. • Jules Angst und Carlo Perris belegten unabhängig von einander 1966, dass zwei Krankheitsbilder mit den unipolaren und den bipolaren affektiven Störungen bzw. Erkrankungen vorliegen. © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 99 Symptomatik Allgemein Beeinträchtigung von: • Befindlichkeit • Antrieb • Affizierbarkeit • Biorhythmus In der Manie: • Euphorische/dysphorische Stimmung • Hyperaktivität • Rededrang • vermindertes Schlafbedürfnis • Belastung für Familie und soziale Beziehungen © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 100 Hypomanie • • leichtere Ausprägung als die Manie keine Halluzinationen oder Wahn • anhaltende leicht gehobene Stimmung (wenigstens einige Tage hintereinander) gesteigerter Antrieb und Aktivität auffallendes Gefühl von Wohlbefinden körperliche und seelische Leistungsfähigkeit Häufig gesteigerte Geselligkeit, Gesprächigkeit, übermäßige Vertraulichkeit, gesteigerte Libido und vermindertes Schlafbedürfnis meist keine Beeinträchtigung der Berufstätigkeit • • • • • © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 101 Manie • • Stimmung situationsinadäquat gehoben Schwanken zwischen sorgloser Heiterkeit und unkontrollierbarer Erregung • • • • • • vermehrter Antrieb (Überaktivität, Rededrang) vermindertes Schlafbedürfnis verminderte Aufmerksamkeit, erhöhte Ablenkbarkeit Verlust von sozialen Hemmungen überhöhte Selbsteinschätzung, maßloser Optimismus evtl. synthymer Wahn Episode muss mindestens eine Woche anhalten © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 102 Bipolare affektive Störung • mindestens 2 affektive Episoden (Manie bzw. Hypomanie oder Depression) • Frauen und Männer gleich häufig betroffen • depressive Phasen dauern länger (ca. 6 Monate) • manische Episoden beginnen eher abrupt • Rezidivierende manische Episoden sehr selten (werden ebenfalls als bipolare affektive Störung diagnostiziert) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 103 bipolare affektive Störung – DSM-IV DSM-IV • unterscheidet auch zwischen unipolar und bipolar • eine manische Phase bipolare Störung • Bipolar l (Vollbild der Manie und Vollbild der Depression) • Bipolar II (Vollbild der Depression und nur Hypomanie) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 104 Zyklothymia Kennzeichen: • anhaltende Stimmungsinstabilität • zahlreiche Perioden leichter Depression • zahlreiche Perioden leicht gehobener Stimmung • Keine dieser Perioden darf ausreichend schwer oder lang genug gewesen sein, um die Kriterien für bipolare affektive Störungen oder rezidivierende depressive Störungen zu erfüllen © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 105 gemischte affektive Episode Kennzeichen: rascher Wechsel (innerhalb weniger Stunden) von • hypomanischen, • manischen oder • depressiven Symtomen © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 106 Differentialdiagnose (1) Manische Episode: • organische Ursachen (MS, Gehirntumore, Hyperthyreose etc.) • psychotrope Substanzen (Amphetamine, Kokain etc.) Bipolare Erkrankung: • gemischte affektive Episode • Schizophrenie (massive Wahnideen, unverständliche Sprache und Aggressivität können die grundlegende Störung des Affekts verdecken) • Schizoaffektive Störung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 107 Differentialdiagnose (2) Hypomane Episode: • Hypomane Phase während AD-Therapie ist ein Hinweis auf bipolare Erkrankung • hyperkinetisches Syndrom („Attention-Deficit Disorder“ ADDF90, früher Beginn in der Kindheit und keine abgesetzten Phasen). Depressive Episode im Rahmen der bipolaren Erkrankung: • Abgrenzung von rezidivierenden unipolaren Depressionen wegen unterschiedlicher Rückfallprophylaxe wichtig © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 108 Differentialdiagnose (3) Bipolare Erkrankungen: • Zyklothymie (deutliche Stimmungsschwankungen in beide Richtungen ohne Vollbild von Manie oder Depression) • Bipolar-II-Störung (kein Vollbild einer Manie im Verlauf) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 109 Psychotische Symptome • in der manischen oder depressiven Form möglich • gleichzeitig oder nur durch wenige Tage getrennt eindeutig schizophrene und eindeutig affektive Symptome innerhalb derselben Krankheitsepisode -> schizoaffektive Störung © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 110 Verlauf und Prognose (1) • Ersterkrankungsalter 25. bis 30. Lebensjahr (zehn Jahre vor den unipolaren affektiven Störungen) • Häufig fünf bis zehn Jahre zwischen Ersterkrankung und Erstbehandlung • Bei Männern ist die erste Krankheitsphase häufig manisch, bei Frauen meist depressiv • Oft haben die Patienten mehrere depressive Phasen, bevor die erste manische Phase auftritt • Unbehandelt lebenslang über zehn Krankheitsepisoden © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 111 Verlauf und Prognose (2) • Massive psychosoziale Probleme • Scheidungsraten sind zwei- bis dreifach erhöht • Suizidrate 15% (30-fach erhöht) • Lebenszeitprävalenz der Bipolar-I-Störungen: 1% • Lebenszeitprävalenz der Bipolar-ll-Störungen: 0,5% • Mit leichten (subsyndromalen) Formen: bis zu 5% • „Rapid cycling“ - f : m = 3 : 1 © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 112 Verlauf und Prognose (3) • Bipolar-II-Störungen: Überwiegen der Frauen • Prognose im Einzelfall schwer, insgesamt Tendenz zu häufigeren Krankheitsphasen und kürzeren freien Intervallen • Extremfall: freie Intervalle verschwinden gänzlich, Patient schwankt chronisch zwischen beiden Polen der Erkrankung • Frühzeitige Einstellung auf „Mood Stabilizer“ kann diese Entwicklung abmildern bzw. verzögern © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 113 Verlaufskurven © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 114 Ätiologie multifaktoriell • biologisch (gestörte noradrenerge Funktion im ZNS) • psychosozialen Faktoren angenommen genetische Komponente stärker als bei unipolarer Depression • Verwandte 1. Grades zehnfach höheres Erkrankungsrisiko • beide Elternteile bipolare Störung -> Risiko für Kinder 50% • Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen: 80% (bei unipolaren affektiven Störungen 50%) © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 115 Therapie Ziel der Behandlung bipolarer Störungen: • Senkung der Morbidität und Mortalität • Häufigkeit, Schweregrad und psychosoziale Folgen der Krankheitsphasen reduzieren © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 116 Therapie: Akute Manie • meist keine Krankheitseinsicht, stationäre Behandlung sinnvoll • Kein ideales Medikament für die Manie • Lithium (14 bis 21 Tage), Valproat (3 bis 10 Tage) • atypische Neuroleptika • Benzodiazepine • Abwägen zwischen den einzelnen Behandlungsalternativen im Hinblick auf Wirkungseintritt, Nebenwirkungen und notwendige Compliance © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 117 Therapie: Akute Depression • Prinzipiell kein Unterschied zur Behandlung der unipolaren Depression • Induktion eines raschen Wechsels (innerhalb von Stunden) aus der Depression in die Manie möglich („Kippen in die Manie“). • „Switch-Rate“ bei trizyklischen Antidepressiva deutlich höher als bei SSRI © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 118 Therapie: „Phasenprophylaxe“ • Akuttherapie • Erhaltungstherapie (im ersten Jahr nach Abklingen der Akutphase, Ziel: Symptomfreiheit) • prophylaktische Therapie • Meist langjährige, oft auch lebenslängliche medikamentöse Phasenprophylaxe notwendig • vor allem plötzliches Absetzen kann zu schweren Rückfällen führen, Compliance daher besonders wichtig © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 119 Indikation zur Prophylaxe © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 120 „Mood Stabilizer“ © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 121 Therapie: Lithium Indikation (1. Wahl): • euphorische Manie • positive Familienanamnese • freies Intervall • Suizidalität Nebenwirkungen • feinschlägiger Tremor • Struma (euthyreot) • Polydipsie • Polyurle • Gewichtszunahme © • Bei ca. 40% der Patienten keine oder keine ausreichende Wirkung • Gabe in der Schwangerschaft nur nach sorgfältiger Risikoabwägung Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 122 Therapie: Carbamazepin Indikation: • Lithium non responder, z. B. schizoaffektive Störung • Lithium partial responder Nebenwirkungen: • Appetitlosigkeit • Übelkeit • Schwindel • dermatologische Reaktionen • Wechselwirkung mit anderen Medikamenten (z. B. Herabsetzung der Wirkung hormoneller Kontrazeptiva • Teratogenität. © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 123 Therapie: Valproinsäure Indikation: Phasenprophylaxe bei • dysphorischer Manie • rapid cycling direkte antimanische Wirkung Nebenwirkungsprofil günstig Teratogenität -> in der Schwangerschaft kontraindiziert © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 124 Therapiekontrolle © Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/Main Vorlesung Affektive Störungen SS 2005 – B. Weber 06.07.2005 Folie 125