Klinisch-psychologische Diagnostik und Klassifikation DIPS

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Klinisch-psychologische Diagnostik und
Klassifikation
DIPS-Seminar
21.11.14 & 05.12.14
Dr. Esther Biedert
Universität Freiburg Schweiz
Übersicht DIPS-Seminar
Inhalt der Sitzungen
} 
Übersicht Klassifikation und Multiaxialität
} 
Störungsbilder und deren Diagnosekriterien
} 
Übungen zur Durchführung des DIPS
Folie 2
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Leistungsnachweis
} 
Regelmässige Teilnahme & bestandene Prüfung
} 
} 
3 CP
Prüfung
} 
} 
} 
DIPS-Fallbeispiel (schriftlich) -> Diagnosen stellen
Anforderungen: DIPS-Durchführung (inkl. „Sprungregeln“ und
Diagnosekriterien des DSM-IV-TR kennen)
Interviewleitfaden und Handbuch dürfen verwendet werden
Folie 3
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Lernziele
} 
Heutige Vorgehensweise der klinisch-psychologischen
Diagnostik kennen
} 
Vor- und Nachteile der klassifikatorischen Diagnostik
kennen
} 
Vertraut sein mit den Kriterien der klinischen Störungen
} 
DIPS durchgeführt und ausgewertet haben
Folie 4
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Klassifikation
psychischer Störungen
Inhalt Klassifikation
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Was verstehen wir unter Klassifikation?
} 
Wie klassifizieren wir?
} 
Gründe pro und contra Klassifikation?
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Inhalt Klassifikation
} 
Kriterien für die Auswahl von Klassifikationssystemen
} 
Relevanz
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Reliabilität
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Validität
Folie 7
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Definition Klassifikation
Ihre Definition:
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Was ist Klassifikation?
} 
Im Bereich psychischer Störungen wird der Begriff
Klassifikation nicht einheitlich verwendet:
} 
Mindestens 2 Bedeutungen:
} 
Die Einteilung einer Vielfältigkeit (z.B. Menge von Personen,
Merkmalen etc.) in ein nach Klassen gegliedertes System.
D.h. eine Gesamtmenge wird unter bestimmten
Gesichtspunkten in Teilmengen aufgeteilt (Systematik).
} 
Zuordnung von Personen oder Merkmalen zu vorher
festgelegten Klassen (Diagnostik).
Folie 9
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Wie kann man klassifizieren? (1)
} 
Kategorialer versus dimensionaler Ansatz
} 
Bei der Klassifikation psychischer Störungen sind derzeit
kategoriale Systeme vorherrschend
} 
Zugrunde liegende Annahmen kategorialer Klassifikation:
}  Sinnvolle Gruppierungen der beobachteten Phänomene
(z.B.überzufällig gemeinsames Auftreten bestimmter
Symptome)
}  Es bestehen hinreichend qualitative Unterschiede
zwischen den Gruppen, die die Einteilung in diskrete
Klassen oder zumindest Typen rechtfertigen.
Folie 10
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Wie kann man klassifizieren? (2)
} 
Prinzipiell sind verschiedene Klassifikationsgesichtspunkte
und somit unterschiedliche Klassifikationssysteme
psychischer Störungen vorstellbar,
z.B. bezüglich:
}  Erscheinungsbild
}  Verlauf
}  Ansprechen auf Behandlungsmassnahmen
}  Pathogenese
Folie 11
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Argumente pro und contra Klassifikation
Folie 12
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Argumente pro Klassifikation
} 
Erleichterte Kommunikation durch klar definierte Nomenklatur
} 
Sinnvolle Informationsreduktion
} 
Ökonomische Informationsvermittlung, da von Diagnose auf
Störungsmerkmale geschlossen werden kann
} 
Überzufällig gemeinsames Auftreten von bestimmten Symptomen
} 
Förderung von wissenschaftlicher Wissensakkumulation
} 
Handlungsanleitung
} 
Empirisch überprüfbar ➜ führt zu Weiterentwicklung
Folie 13
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Argumente contra kategoriale Klassifikation
} 
Diagnostische Etiketten (Labels) fördern / bewirken Stigmatisierung
} 
Informationsverlust durch ungenügende Beschreibung des Einzelfalls
} 
Verwechslung von Deskription und Erklärung
} 
Klassen / Typologien verdecken zugrunde liegende Dimensionen
} 
Mangelnder praktischer Nutzen, da keine spezifische Therapie aus Diagnose
folgte
} 
Mangelnde Reliabilität und Validität der Diagnosen
Folie 14
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Klassifikation hat sich durchgesetzt, weil: (1)
} 
} 
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Wachsendes Störungswissen hat zur Entwicklung von
störungsspezifischen Therapien geführt. Somit sind
vermehrt direkte therapeutische Konsequenzen aus der
Klassifikation ableitbar.
Die Zuverlässigkeit von klassifikatorischen Diagnosen ist
durch die Einführung von operationalisierten
Diagnosekriterien und standardisierten Verfahren zur
Befunderhebung deutlich verbessert.
Die Krankenkassenabrechnung erfordert das Vergeben
einer klassifikatorischen Diagnose.
Folie 15
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Klassifikation hat sich durchgesetzt, weil: (2)
} 
Menschen bilden andauernd Hypothesen und suchen aktiv
nach konformen Informationen („confirmation bias“),
wohingegen gegensätzliche Informationen nicht aktiv verfolgt
oder sogar ignoriert werden.
➜ Wenn wir ohnehin klassifizieren, dann ist eine explizite
Vorgehensweise einer impliziten vorzuziehen, da erstere
überprüfbar ist.
Folie 16
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Reliabilität (Zuverlässigkeit) (1)
} 
Wie hoch ist das Ausmass an diagnostischer
Übereinstimmung?
➜ Mangelnde Reliabilität der klassischen psychiatrischen
Diagnosen
Folie 17
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Reliabilität (Zuverlässigkeit) (2)
Störungsklasse
Anzahl Studien
Mittlere Reliabilität
___________________________________________________________
Schizophrenie
Neurotische Depression
8
5
.54
.21
Psychotische Depression
1
.19
Persönlichkeitsstörungen
Neurosen
7
7
.29
.36
Alkoholismus
4
.71
___________________________________________________________
(Spitzer & Wilson, 1975)
Folie 18
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Reliabilität (Zuverlässigkeit) (3)
} 
Mit Ausnahme vom Alkoholismus, bei dem üblicherweise klare externe
Hinweise auf die Diagnose vorliegen, war es häufiger der Fall, dass zwei
Diagnostiker bei derselben Patientin zu unterschiedlichen
Diagnosen kamen, als dass sie übereinstimmten.
Auch bei anerkannten Experten (vier Psychiater) aus derselben Einrichtung,
waren die Ergebnisse nicht befriedigend:
➜ Bei einer zufällig ausgewählten Stichprobe von 153 neu überwiesenen
Patienten erzielten sie eine Übereinstimmung von nur 54%!!! (Beck et
al. 1962)
} 
Folie 19
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Gründe unzureichender Übereinstimmung
} 
Subjektvarianz: Patient wird in verschiedenen Krankheitszuständen
untersucht.
} 
Situationsvarianz: Patient wird zu verschiedene Phasen / Stadien einer
Störung untersucht.
} 
Informationsvarianz: Verschiedenen Untersuchern stehen
unterschiedliche Informationen zur Verfügung.
} 
Beobachtungsvarianz: verschiedene Untersucher gewichten und
bewerten die vorliegenden Symptome unterschiedlich.
} 
Kriterienvarianz: unterschiedliche Diagnostiker benutzen verschiedene
Kriterien für die Diagnose derselben Störung.
Folie 20
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Validität (Gültigkeit)
} 
Wie genau bilden diagnostische Kategorien reale
Krankheitseinheiten ab?
} 
Reliabilität bewirkt nicht automatisch Validität!!!
} 
Beispiel.:
„Leer“, „hohl“ und „plop“: Ein Fall für die Psychiatrie?
(Rosenhan, 1973)
1. 
Folie 21
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Validität (Gültigkeit): Rosenhan, 1973 (1)
} 
} 
} 
} 
...Bei der Aufnahme sollten sie berichten, dass sie Stimmen hören, die (in dt.
Übersetzung) „leer“, „hohl“ und „plop“ sagen.
Ansonsten völlig zutreffende Angaben über sich und ihre Lebensumstände
machen.
Unmittelbar nach der Aufnahme, berichteten die ´Patienten´ nicht mehr
von diesem Symptom und verhielten sich völlig normal
Alle wurden als psychotisch diagnostiziert (11x als schizophren und
1x als manisch-depressiv!!!)
Folie 22
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Validität (Gültigkeit): Rosenhan, 1973 (2)
Hohes Ausmass an diagnostischer Übereinstimmung, dennoch
alle Diagnosen falsch
➜ hohe Reliabilität aber mangelnde Validität!
} 
} 
Klassifikation sehr stabil!
Die Diagnose war kaum wieder abzuschütteln. So hiess es bei
der Entlassung nicht etwa, es habe keine Störung vorgelegen,
die typische Diagnose lautete vielmehr „Schizophrenie in
Remission“.
Folie 23
DIPS Seminar HS_2014 Blockveranstaltung 21.11.14 & 05.12.14
Fazit: Take home message
} 
} 
} 
} 
Klassifikation bringt viele Vorteile, ist aber nicht ungefährlich
Klassifikation ist notwendig, aber im Kontext der individuellen
Therapie nicht hinreichend
Wenn wir schon klassifizieren, dann lieber explizit
Für sinnvolle Klassifikation brauchen wir:
} 
} 
Empirisch fundierte Kriterien nach denen Klassen gebildet werden
Gute Erhebungsinstrumente, um Informationen adäquat zu erfassen um
sie dann in einem weiteren Schritt in bestehende Klassen einzuordnen
Folie 24
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Klassifikationssysteme
ICD und DSM
Klassifikationssysteme (1)
Die beiden wichtigsten und
international gebräuchlichsten Klassifikationssysteme:
} 
Das Kapitel V (F) über psychische Störungen der „ International
Classification of Diseases, Injuries and Causes of Death“ (ICD) der World
Health Organization (WHO)
} 
Das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“(DSM) der
American Psychiatric Association (APA).
Folie 26
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Klassifikationssysteme (2)
In unregelmässigen Abständen Neuauflagen
}  Neuauflagen durch hinzugefügte Nummerierung
gekennzeichnet
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} 
} 
} 
Die ICD ist derzeit in der 10. Auflage erschienen (ICD-10;
WHO, 1992)
Das DSM ist in der 5. Auflage erschienen (DSM-5; APA, 2013)
Aktuellste deutschsprachige Version: DSM-IV-TR (Textrevision)
(2000; dt.Version 2003)
Folie 27
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Klassifikationssysteme (3)
} 
} 
} 
} 
} 
Unterschiedliche Fassungen des ICD
Grösste Bedeutung:
}  klinisch-diagnostischen Leitlinien (WHO, 2002)
➜ Für allgemeinen klinischen Gebrauch, die Gesundheitsdienste und für
Ausbildungszwecke bestimmt
Forschungskriterien (WHO, 2002)
➜ Für den wissenschaftlichen Gebrauch gedacht
ICD-10 gilt offiziell für die psychiatrische Versorgung in Österreich, der
Schweiz und Deutschland
DSM weltweit häufiger eingesetzt
Folie 28
DIPS Seminar HS_2014 Blockveranstaltung 21.11.14 & 05.12.14
Annäherung beider Systeme (1)
} 
DSM-III (1980): Operationalisierung führt zu erhöhter
Diagnosereliabilität
} 
} 
DSM-III gilt als das international am häufigsten eingesetzte
Klassifikationssystem (Maser, Kaelber und Weise, 1991).
ICD-10 (1992) und DSM-5 (2013):
} 
starke Annäherung der Systeme (kriterienorientierte
Beschreibung einzelner Störungen und genaue Definition der
Symptome)
Folie 29
DIPS Seminar HS_2014 Blockveranstaltung 21.11.14 & 05.12.14
Annäherung beider Systeme (2)
} 
Vergleichsstudie zwischen ICD-10 und DSM-IV Diagnosen
(Andrews, Slade und Peters, 1999):
} 
} 
Diagnosekriterien der ICD-10 im Vergleich zu DSM-IV
weicher
} 
} 
Konkordanzrate von 68% über alle Störungskategorien.
d.h. mit dem ICD-10 wurden mehr Personen als „Fälle“
identifiziert
Aber immer noch unterschiedliche Akzentsetzung
Folie 30
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Prinzipien der operationalisierten Diagnostik in
ICD-10 & DSM-5 (1)
1) Atheoretischer Ansatz: Definitionen der Störungen beruhen
auf Beschreibungen der klinischen Merkmale
2) Kriterienorientierter Ansatz: Störungsdefinitionen orientieren
sich an beobachtbarem und explorierbarem Verhalten
3) Ausreichende Reliabilität: nur solche diagnostischen
Kategorien werden berücksichtigt, die eine
Mindestanforderung an die Reliabilität erfüllen
Folie 31
DIPS Seminar HS_2014 Blockveranstaltung 21.11.14 & 05.12.14
Prinzipien der operationalisierten Diagnostik in
ICD-10 & DSM-5 (2)
4) Komorbiditätsprinzip
5) Konzept der Multiaxialität (in DSM-5 nicht mehr verwendet)
Folie 32
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