Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Altersdepression Prof. Dr. Andreas Fellgiebel Gerontopsychiatrie Rheinhessen-Fachklinik Alzey Leiter Forschungsschwerpunkt Normales Altern, Neurodegeneration, Demenz Universitätsmedizin Mainz Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Altersabhängigkeit der Suizide in Deutschland (2014) Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Übersicht Altersdepression: Begriff, Ursachen Gängige Definitionen: Erste Depression mit 60 J. oder später (Late Onset D.) oder alle Depressionen ab dem 65. Lebensjahr (Late Life D.) Ursächliche Faktoren Genetik Persönlichkeit (- traits, Achse II –Störung) Allgemeine psychosoziale Faktoren Lebensereignisse Ko-Morbidität (psychisch, somatisch, zerebrale Läsionen) Körperliche Funktionseinschränkung, Behinderung Alter (kognitives Altern, spezifische psychosoziale Faktoren) Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Übersicht Altersdepression: Häufigkeit, Klinik Prävalenz 3.0 – 6 % ab dem 65. Lebensjahr McCall&Kinziger 2013 4,6 - 9,3% ab dem 75. Lebensjahr (Frauen 4 – 10,3%; Männer 2,8-6,9%) M. Luppa et al. 2012 18 - 36,8 % in Gruppe mit Multimorbidität („gebrechliche“ geriatrische Patienten) z.B. Linden 1998 Klinische Charakteristika im Vergleich zur Depression bei Jüngeren Schlafstörung ↑ Kognitive Störung ↑ Stimmungsstörung ↓ Negatives Selbstbild ↓ Gewichtsverlust ↑ Anhedonie ↑ Somatische Symptome ↑ Suizidgedanken ↓ (Suizidversuche gleich, vollendete Suizide ↑) Multimorbidität und Depression Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Frailty – Gebrechlichkeitssyndrom in der Geriatrie Definition Frailty: ≥ 3 der folgenden Symptome: ■ unfreiwilliger Gewichtsverlust (über 10 % in einem Jahr oder mehr als 5 % in sechs Monaten) ■ objektivierte Muskelschwäche (beispielsweise durch Handkraftmessung bestimmt) ■ subjektive Erschöpfung (mental, emotional, physisch) ■ Immobilität, Instabilität, Gang- und Standunsicherheit mit Sturzneigung ■ herabgesetzte körperliche Aktivität (hinsichtlich basaler und/oder instrumenteller Alltagsaktivitäten) Versteckte Depressionen? Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Frailty – Gebrechlichkeitssyndrom in der Geriatrie “The consistency of our findings across conceptually discordant frailty models suggests that frailty and depression, as commonly defined in epidemiologic research, may describe similar concepts. Despite focus on physical and functional indicators of vulnerability frequent in frailty models, our results indicate that psychological vulnerability, as reflected by depression, may be an inherent component of what it means to be frail.” Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Beschwerdeprofil von Depressionspatienten in der Hausarztpraxis 69% körperliche Beschwerden 31% andere 69% der Patienten (n=1146) mit Depression suchen ihren Hausarzt ausschließlich aufgrund von körperlichen Beschwerden im Rahmen der Depression auf. Kopfschmerz Erschöpfung Rückenschmerz Herzklopfen Nackenverspannungen Beklemmungen in der Brust Abdominelle Beschwerden Magenbeschwerden Schwindel Simon et al (1999) An international study of the relation between somatic symptoms and depression. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zerebrale Durchblutungsstörungen im Alterungsprozess stellen einen Risikofaktor für psychische Erkrankungen im Alter dar Schlaganfall Kognitiven Abbau (bis hin zur Demenz) Depression Vaskuläre Risiken erkennen und behandeln!! Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Befunde in der MRTund Depression bei Älteren J Neurol Neurosurg Psychiatry 2008;79:619–624 Arch Gen Psychiatry. 2010;67(3):277-285 Int J Geriatr Psychiatry 2010; 25: 1–8 Vaskuläre Läsionen sind ein deutlicher Risikofaktor für Depression bei Älteren Vaskuläre Veränderungen finden sich dabei eher frontal Vaskuläre Läsionen gehen einher mit stärkeren Störungen des planenden Denkens und Handelns (exekutive Funktionsstörung) Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Assoziation Apathie und Depression Kontrolliert für Apathie zeigte sich keine Assoziation von mikroangiopathisch bedingter Konnektivitätsstörung und Depression. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Befunde in der MRTund Depression bei Älteren J Neurol Neurosurg Psychiatry 2008;79:619–624 Arch Gen Psychiatry. 2010;67(3):277-285 Int J Geriatr Psychiatry 2010; 25: 1–8 Vaskuläre Gehirnveränderungen gehen mit schlechterem Ansprechen auf Therapie einher Die Remission auf Escitaloprambehandlung (12 Wochen) war negativ assoziiert mit WML. Remitter zeigten WML-Ausmass wie nicht-depressive altersgleiche Kontrollen. J Affect Disord 2010 Nov;126(3):395-401 Patienten ohne Remission (N=23) hatten niedrigere FA-Werte in unterschilichen frontalen Arealen: anteriores Cingulum, dorso-lateraler präfrontaler Kortex, Genu des Corpus Callosum relativ zu den Remittern (n=25). Am J Psychiatry 2008 Feb;165(2):238-44 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Assoziation Demenz und Depression Depression ist ein Risikofaktor für eine spätere Demenzentwicklung. Möglicherweise reduzieren häufige depressive Episoden die neuronale Plastizität des Gehirngewebes und schwächen somit die Widerstandsfähigkeit des Gehirns vor krankmachenden Prozessen, die zu einer Demenz führen können (z.B. Amyloidablagerungen). Depressionen treten im Rahmen von Demenzentwicklungen reaktiv auf. Depressivität und Angst sind frühe, nicht-kognitive Symptome und Prädiktoren einer Demenzentwicklung. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Therapie der Altersdepression Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Wer behandelt die Patienten mit Depression? Angaben in %, aus: S3-Leitlinie unipolare Depression 2015, Langfassung S. 52 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie „Niederschwellige“, „hausarztbasierte“ Therapie!! „Colloberative Care Management“: leitliniengerechte Versorgung, die sich auszeichnet durch 1. eine besondere Vernetzung von Hausarzt, Psychotherapeut, Psychiater, Pflege, oft durch Implementierung eins Case Managements 2. eine verbesserte Patientenbeteiligung, Psychoedukation und Selbstmanagement JAMA 2002 71,2 ± 7,5 Jahre (65% Frauen); Mittelschwere-schwere Depression; im Mittel 3,2 relevante KoMorbiditäten; 46% vorbehandelt in den 3 Monaten vor TAU Studieneinschluss IMPACT Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Hausarzt: stellt Diagnose, initiiert Behandlung, Steht in kontinuierlichem Austausch mit CM Kontaktiert Pat. regelmäßig: Monitoring Verlauf, fördert Adhärenz, macht Psychoedukation, positive Aktivitäten Für schwierige DD, Beratung, supervidiert Intervention Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Medikamentöse Therapie oder Psychotherapie? Patientenpräferenzen! Verfügbarkeit! Symptomatik! Informationsgespräch über therapeutische Möglichkeiten! (Adhärenzproblem) Therapieangebot nach Schweregrad und (psychischen) Komorbiditäten ICD-10 Schweregrad der Depression Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Akutbehandlung: Medikamentöse Therapie, Psychotherapie, Kombinationsbehandlung? Leichte depressive Episode: watchful waiting! (Z.B. Aufklärung über Krankheitsbild, Beratung zu Selbstmanagement, WV nach 2 Wochen) Mittelgradige depressiven Episode: Pharmakotherapie oder Psychotherapie Schwere depressive Episode: Pharmakotherapie und Psychotherapie Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Altersdepression: Monotherapie oder Kombinationstherapie? Kombinationstherapie bei alten Patienten möglicherweise auch bei der mittelschweren Depression ein Vorteil! Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Depression - Behandlung nach Remission Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Pharmakotherapie Altersdepression Erste Wahl: Sertralin (50-100mg) Evtl. Kombination Mirtazapin Cave. Hyponatriämie! CYP2D6! ggfls. TDM Bei Nichtansprechen: evtl. TDM (Serumspiegel) Umstellen auf Venlafaxin (Nortriptylin) Augmentation: Lithium (Aripiprazol) rTMS? evtl. EKT Dtsch Arztebl Int 2010; 107(40): 700–8 Dosis ≥ 150mg/d! (CYP2D6! ggfls. TDM) Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erhöhtes Suizidrisiko unter antidepressiver Therapie auch bei älteren Patienten? Wachsamkeit ist immer geboten! Die Studiendaten zeigen zusammenfassend allerdings , dass das Antidepressiva-assoziierte Suizidrisiko mit zunehmendem Alter eher abnimmt. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychotherapie der Altersdepression… Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Assoziation Demenz und Depression epidemiologisch Depression als Risikofaktor einer späteren Demenzentwicklung Rotterdam-Studie (508 Personen, 6-jähriges follow-up): Demenzentwicklung ist stärker assoziiert mit early onset als mit late-onset. Geerlings et al., Neurology 2008 neuropathologisch Erhöhte Konzentrationen von Plaques und Tangles bei AD Patienten mit der Lebenszeitdiagnose Majore Depression Rapp et al., Arch Gen Psych 2006 Patienten mit AD und Depression zeigen höhere NeurofibrillenKonzentrationen als Patienten ohne komorbide Depression. Rapp et al., Am J Geriatr Psychiatry 2008 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Klinisch Reduzierte abeta42-Konzentrationen im Liquor korrelieren mit Depression bei Älteren (> 60 Jahre) Wei Qiao Qiu et al., Arch Gen Psych 2007 Hypothese der Amyloid-assoziierten Depression (mit deutlicheren kognitiven Defiziten) als Vorstadium der AD Sun et al., Arch Gen Psych 2008 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ALZHEIMER PATHOLOGIE Amyloidpathologie Resilienz! Mechanismen der Kompensation: „passiv“ • Bildung • Intelligenz ?Vulnerabilität! neben Genetik und Alter: vaskuläre Risikofaktoren! Psych. Komorbiditäten (Depression) ALZHEIMER KLINIK Kognitiver Abbau „aktiv“ • “Hemispheric asymmetry reduction in older adults” (HAROLD) • “Scaffolding Theory of Cognitive Aging” (STAC) (auch kognitive und körperliche Aktivität) Demenz Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Neuropsychologische Differentialdiagnose (Milde)Alzheimer-Demenz Gedächtnis Freier verzögerter Wiederabruf Wiedererkennen FTD* () () () Aufmerksamkeit () () Exekutivfunktionen verbale Flüssigkeit kognitive Flexibilität Problemlösen * Frontotemporale Demenz Depression Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Beispiel 62jährige Hausfrau Altersdepression, Befürchtung „Alzheimer“ Vask. Risikofaktoren: Art. Hypertonie, Hypercholesterinämie Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Beispiel 62jährige Hausfrau, Altersdepression, Befürchtung „Alzheimer“ Neuropsychologie Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie DD Pseudodemenz Fellgiebel A.: Minimales kognitives Defizit; in: Gedächtnisstörungen: Diagnostik und Rehabilitation T. Bartsch und P. Falkai (Hrsg.); Thieme 2014 31