Vorlesung: Affektive Störungen I Michael Deuschle [email protected] Fragen zur letzten Vorlesung ? Affektive Störungen • • • • Störungen der Emotionen und Gefühle Erkrankungen der Stimmung „Gemütskrankheiten“ „mood disorders“ Depression Krankhaft niedergedrückte Stimmung > 2 Wochen Manie Krankhaft gehobene Stimmung > 1 Woche Wer versorgt ambulant psychiatrische Patienten ? 3.28 von 9.92 Millionen Versicherter von Ersatzkassen und Dt. Rentenversicherung mit psych. Erkrankungen 98 % wiesen mindestens eine somatische Diagnose auf Gaebel, Kowitz, Fritze, Zielasek; Dt. Ärzteblatt Ablauf der Vorlesung Affektive Störungen I 1. Depression erkennen 2. Verlaufstypen erkennen 3. Klinische Subtypen erkennen 4. Epidemiologie 5. Konsequenzen affektiver Störungen 6. Psychologische Aspekte bei Depressionen 7. Neurobiologische Aspekte bei Depressionen Depressionen erkennen: Beschwerden der Depression – Psalm 38 Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe und nichts Heiles an meinen Gebeinen. Hypochondrische Idee Denn meine Sünden gehen über mein Haupt. Wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden. Schuld- / Versündigungsidee Insuffizienzidee ? Energiemangel ? Somatische Symptome ? Ich gehe krumm und sehr gebückt. Den ganzen Tag gehe ich traurig einher. Den meine Lenden sind ganz verdorrt. Durchgehende Verstimmung Libidostörung Es ist nichts Gesundes an meinem Leibe. Ich bin matt geworden und ganz zerschlagen. Müdigkeit / Energieverlust Ich schreie vor Unruhe meines Herzens. Innere Unruhe / Anspannung Mein Herz erbebt, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist auch dahin Meine Lieben und Freunde scheuen zurück vor meiner Plage; meine Nächsten halten sich ferne. Die mir nach dem Leben trachten, stellen mir nach; und die mein Unglück suchen, bereden, wie sie mir schaden: sie sinnen auf Trug den ganzen Tag. Beeinträchtigungsidee ?! Ich bin wie taub und höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. Ich muss sein wie einer, der nicht hört und keine Widerrede in seinem Munde hat. Sozialer Rückzug ? Denn ich bin dem Fallen nahe und mein Schmerz ist immer vor mir. Todes- / Suizidgedanken Depressive Syndrome (ICD-10) • Gedrückte Stimmung • Interessenverlust / Freudlosigkeit • Verminderung des Antriebs • • • • • • • Konzentration / Aufmerksamkeit Selbstwertgefühl / -vertrauen Gefühl von Schuld / Wertlosigkeit Neg. / Pessimistische Perspektive Suizidgedanken / -handlungen Schlafstörung Verminderter Appetit • • • • (Libidominderung) (Insuffizienzerleben / Angst) (psychomotorische Störung) (körperliche Symptome) Was unterscheidet Depression von alltäglicher Verstimmung ? Dauer Depressionen halten mindestens zwei Wochen an. Durchgängigkeit Schlechte Laune kommt und geht – Depressionen halten durchgehend an. Alltagsbeeinträchtigung Depressionen erschweren erheblich die Alltagsbewältigung. Abgrenzung Persönlichkeitsstörung Aktueller Zustand klar abgrenzbar von früheren Zuständen = episodischer Charakter. Epidemiologie in Deutschland • Rund 5% der Bevölkerung leiden gegenwärtig unter einer depressiven Erkrankung • Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer ca. 5% • Erkrankung betrifft alle Gesellschafts- und Altersgruppen Ca. jede 4. Frau und jeder 8. Mann erkranken im Laufe des Lebens an einer Depression. Die verschiedenen Ebenen der Depression Psyche Körper Verhalten Merkmale einer Depression: Psychische Symptome Denken, Fühlen, Motivation sind beeinträchtigt Niedergeschlagenheit Gefühl der Sinnlosigkeit Interesselosigkeit Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit Gefühl der Gefühllosigkeit Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven Suizidgedanken Merkmale einer Depression: Verändertes Verhalten Sozialer Rückzug Psychomotorische Hemmung / Agitiertheit Veränderte (Körper) - Sprache Antriebslosigkeit / Apathie Suizid, Suizidversuche, Suizidankündigungen Merkmale einer Depression: Körperliche Symptome Gewichtsabnahme, verminderter Appetit Schlafstörungen: Durchschlafstörungen, Morgentief Druck- und Engegefühl im Hals und über der Brust Schweißausbrüche, Herzklopfen, rheuma-ähnliche chronische Schmerzzustände Sexuelle Lustlosigkeit Kraftlosigkeit und fehlende Frische, rasche Erschöpfbarkeit Presentation influences psychiatric diagnosis in primary care Presenting Complaint Correct Diagnosis 100 100 94% 80 Correct Diagnosis (%) Patients with Psychiatric Disorders (%) 83% 60 40 17% 20 0 80 60 50% 40 20 0 Somatic complaints Psychological complaints N=500 Bridges KW, Goldberg DP. J Psychosom Res. 1985;29:563-569. Somatic complaints Psychological complaints Beschwerdeprofil von Depressionspatienten beim Hausarzt: häufig nicht erkannt ! 31% andere 69% körperliche Beschwerden Kopfschmerz Rückenschmerz Nackenverspannungen 69% der Patienten mit Depression suchen ihren Hausarzt ausschließ-lich aufgrund von körperlichen Beschwerden im Rahmen der Depression auf Erschöpfung Herzklopfen Beklemmungen in der Brust Abdominelle Beschwerden Magenbeschwerden Schwindel Simon et al. (1999): Studie an 1146 Patienten Depression: Risiko für rezidivierenden Verlauf 1 Episode 50% 2 Episoden 80% - 90% 3 Episoden >90% Kupfer DJ. J Clin Psychiatry. 1991;52(suppl 5):28-34. Verlaufsformen: wiederkehrende depressive Störung und einzelne depressive Episode Kennzeichnend: wiederkehrende depressive Episoden Lebenszeitprävalenz: Frauen 20 %; Männer 10 % Erstmanifestation: Adoleszens - Senium Episodendauer: meist mehrere Monate Mittlere Episodenzahl: 4 - 6 Suizidalität beachten ! Rezidivprophylaxe ! Antidepressiva und / oder Verhaltenstherapie Verlaufsformen: Dysthymia Kennzeichnend ist eine chronische depressive Verstimmung Geringerer Schweregrad als bei Depression Häufige Erkrankung (ca. 5 % der Bevölkerung) Meist können noch wesentliche Alltagsanforderungen erfüllt werden. Häufig übersehene Diagnose ! Psychotherapie (Cognitive Behavioral Analysis System Psychotherapy, CBASP) und / oder Antidepressiva Anpassungsstörung Depressives Syndrom Schweregrad oder Zeitkriterium für Depression nicht erreicht In zeitlichem Zusammenhang mit Belastungssituation Krisenintervention Ggf. Einleitung von Psychotherapie Organisch und Substanz-bedingte Depression = wichtigste Differentialdiagnosen Depression als Folge anderer Erkrankung - 8 % bei Niereninsuffizienz - 25 % nach Herzinfarkt - 60 % bei Cushing-Erkrankung - bei Substanzmißbrauch - bei Demenz - bei Schilddrüsenerkrankungen - bei Infektionen Depression als Folge von Substanzen Corticoide, Reserpin, fraglich ß-Blocker... Konsequenzen: - immer Therapie der Grundkrankheit - zusätzliche antidepressive Therapie - bei Depression immer körperliche Ursachen ausschließen Haben Sie Hochphasen - oder nicht ? Verlaufsformen: bipolare Störung Kennzeichnend: wiederkehrende depressive und manische Episoden Seltenere Erkrankung (ca. 1 - 2 % der Bevölkerung bipolar I) Erstmanifestation: häufig ca. 20 Lebensjahr Mittlere Episodenzahl: 10 Frauen und Männer gleichermaßen betroffen Komplizierte Pharmakotherapie ! Gehört in die Hand des Facharztes ! Melancholischer Subtyp (DSM-IV) ...mit somatischen Symptomen (ICD-10) Konzept: „biologische“, schwer ausgeprägte Depression Biologie: recht hohe Rate von DST non-suppression Klinik (mindestens 4 der folgenden): Anhedonie Fehlende Reagibilität gegenüber angenehmen Stimuli Frühmorgendliches Erwachen > 2 h Morgentief Psychomotorische Störung: meist Hemmung Deutlicher Appetitverlust Deutlicher Gewichtsverlust > 5% Therapie: wohl „dual wirksame Antidepressiva“ (Mirtazapin, Venlafaxin, Trizyklika) wirksamer als SSRI ? Depression mit psychotischen Symptomen Konzept: Klinik, Biologie, fam. Häufung, Verlauf und TX-response: distinktes Syndrom Klinik: Wahn oder Sinnestäuschung oder depressiver Stupor Fast immer schwere Depression Psychomotorische Störungen, meist Hemmung Wahn: Versündigung / Schuld, Verarmung, Hypochondrie, bevorstehende Katastrophe Sinnestäuschung: meist diffamierende / anklagende Stimmen Therapie: Antidepressivum plus Antipsychotikum EKT Atypische Depression Ursprung: Suche nach Prädiktoren für MAO-I Patienten: junge Erstmanifestation eher Frauen Klinik: Schwingungsfähigkeit (50 % besser bei positivem Ereignis) Hypersomnie Hyperphagie „bleierne Schwere“ „Dramatischer Distress bei Verlusten“ / Empfindlichkeit gegenüber Kritik Verlauf: eher Neigung zu Chronifizierung, hohe Episodenzahl Auslöser: eher geringe Rate von Stressoren vor der Episode Therapie: gutes Ansprechen auf SSRI / MAO-I ! Heterogenität der affektiven Störungen ____________________________________________ Klinisch Biologisch Psychosozial Polarität* Genetik “early life stress” Schweregrad Biochemie Akute Stressoren Periodizität Bildgebung Unterstützung GeschlechtsElektrophysiologie verteilung Ansprechen auf Therapie Alter bei EM Komorbidität *Unipolar versus bipolar Risikofaktoren für Depression • • • • • • Frühere Episode Positive FA Belastende Lebensereignisse Fehlende soziale Unterstützung Angst in der Vorgeschichte Postpartal Zeit • • • • • • • Salazar. Med Clinics of North America. 1996;80:431-454 Substanzmißbrauch Körperliche Erkrankung Single Höheres Alter Niedrige soziale Schicht Weiblich Verlust eines Elternteils vor dem 10. Lebensjahr Wann beginnen Depressionen? Alter beim ersten Auftreten (Wittchen et al 1999) 35 Any depressive Anxiety disorders disorder 30 25 Major depression cum. 20 hazard % rate 15 10 5 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Erkrankungsbeginn 45 50 55 60 Komorbidität ist ein fundamentales Charakteristikum Prüfe immer bei einer Depression das Vorliegen anderer psychischer Störungen ! (gleichzeitige und früher bestehende) Denn Komorbidität hat einen starken Einfluß auf den Spontanverlauf ! Ätio-pathogenetische Implikationen ? Natürlicher Verlauf unbehandelter Depression 40% Remission Euthymie 20% Teilremission 40% chronische Depression Depression 1 Jahr Stahl. Essential Psychopharmacology. 1996 Verlauf von Depressionen “The Five Rs” Remission Recovery Relapse Recurrence Response x x Symptome Syndrom Behandlungsphase x Akut 6-12 Wochen Erhaltung 4-9 Monate Kupfer DJ. J Clin Psychiatry. 1991;52(suppl 5):28-34 Prophylaxe >1 Jahr Therapie von Depressionen Therapie muß „maßgeschneidert“ werden ! Wichtig ist ein „Gesamttherapie-Konzept“ mit Antidepressiva Psychotherapie Andere Verfahren: Schlafentzug, EKT, Licht, rTMS Klärung belastender Faktoren Krankheitsaufklärung Aktivierenden Maßnahmen Das Konzept orientiert sich an: Zielsymptomen Körperlichen Erkrankungen Sozialer Situation des Patienten Alter des Patienten ..... Katecholamin-Hypothese der Depression Klinische Evidenzen • Reserpin-induzierte Depressionen • Amphetamin-induzierte Manien / Psychosen • Wirkmechanismus der Antidepressiva „Some, if not all, depressions are associated with an absolute or relative deficiency of catecholamines, particularly norepinephrine, at functionally important adrenergic receptor sites in the brain. Elation conversely may be associated with an excess of such amines.“ Schildkraut, Am J Psychiatry, 1965 Wissenswertes zu Antidepressiva Wirkmechanismus Depressionen: gestörtes Gleichgewicht von Neurotransmittern. Antidepressiva gleichen dieses Ungleichgewicht aus. Antidepressiva... Kaum Effektivitätsunterschiede Unterschiedliche Nebenwirkungen Wirken zuverlässig (bei 70 % Besserung innerhalb von 2-6 Wochen) Therapieresistenz ca 10 % Machen nicht abhängig Wirken nur bei regelmäßiger Einnahme in ausreichender Dosierung Wirken auch vorbeugend Erfahrung seit über 50 Jahren Antidepressiva: bei schweren Depressionen „Standbein“ der Behandlung. ...oder doch Psychotherapie ? Psychotherapie oder Antidepressiva ? Prädiktoren ? Schweregrad ! Elkin et al., 1989 3-42 Wenn ein alleiniges Behandlungsverfahren in Betracht gezogen wird, soll bei ambulant behandelbaren Patienten mit akuten mittelschweren- bis schweren depressiven Episoden eine alleinige Psychotherapie gleichwertig zu einer alleinigen Psychotherapie oder Antidepressiva ? Prädiktoren ? Komorbidität ! Elkin et al., 1989 Shea e al., 1990 Vorteil der Psychotherapie ? Langzeit-Prognose ! Shea e al., 1990 Psychotherapie oder Antidepressiva ? Wirklatenz ! Depression +/- „early life stress“ Schulberg et al., 1996 Wirken Antidepressiva überhaupt ? • • • • Kleine, nicht repräsentative Auswahl von Antidepressiva Nur Teilmenge der Studien zu gewählten Antidepressiva Remission - nicht mittlere Besserung ist entscheidend Intensive Betreuung in Studien erhöht Placebo-Effekt Kirsch et al 2008; Kirsch PLoS etMed 5(2):PLoS e45 al., 2008; Leichte Depression S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie: Unipolare Depression (Konsultationsfassung, Juni 2009) 3-6 Bei einer leichten depressiven Episode kann, wenn anzunehmen ist, dass die Symptomatik auch ohne aktive Behandlung abklingt, im Sinne einer aktiv abwartenden Begleitung zunächst von einer depressions-spezifischen Behandlung abgesehen werden. Hält die Symptomatik nach einer Kontrolle nach spätestens 14 Tagen noch an oder hat sie sich verschlechtert, soll mit dem Patienten über die Einleitung einer spezifischen Therapie entschieden werden. (0) 3-7 Antidepressiva sollten nicht generell zur Erstbehandlung bei Psychotherapie und/oder Pharmaka S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie: Unipolare Depression (Konsultationsfassung, Juni 2009) 3-40 Zur Behandlung akuter leichter- bis mittelschwerer depressiver Episoden soll eine Psychotherapie angeboten werden. (A) 3-41 Bei akuten schweren Depressionen soll eine Kombinations-behandlung mit medikamentöser Therapie und Psychotherapie angeboten werden. (A) 3-42 Wenn ein alleiniges Behandlungsverfahren in Betracht gezogen wird, soll bei ambulant behandelbaren Patienten mit akuten mittelschweren- bis schweren depressiven Episoden eine alleinige Psychotherapie gleichwertig zu einer alleinigen medikamentösen Therapie angeboten werden. (A) Welches Antidepressivum ? APA Practice Guideline for Major Depression Hauptkriterium = Nebenwirkung “The effectiveness of antidepressant medications is generally comparable between classes and within classes of medications. Therefore, the initial selection of an antidepressant medication will largely be based on the anticipated side effects for individual patients, patient preference, quantity and quality of clinical trial data regarding the medication, and its cost.” APA Practice Guideline for Major Depressive Disorder in Adults, 2000 Welches Antidepressivum wählen ? Welches Antidepressivum ? Hauptkriterium = pharmakol. Wirkmechanismus ? Noradrenalin Bupropion Serotonin + Dopamin + + SSRIs Venlafaxin / Duloxetin + + Mirtazapin + + Desipramin / Reboxetin + Andere Trizyklika + + Antrieb Zwang Angst Anhedonie Libido Unruhe Schwitzen Übelkeit sex. Funktionsst. Schlafstör‘g Richelson. J Clin Psychiatry. 1994 + Welches Antidepressivum ? Meta-Analyse zu Wirksamkeit und Akzeptanz Cipriani et al., Lancet 2009 Cipriani et al., 2009 Ansprechen auf Antidepressiva Normale Stimmung 67% Responder Beginn Medikation 33% Nonresponder Depression 8 Wochen Stahl. Essential Psychopharmacology. 1996 Toxizität von Antidepressiva “1993-1999, Single ingestions + alcohol: England,Wales & S FTI = fatal toxicity index expressed as deaths per million prescriptions. Buckley & McManus, BMJ 2002 325 : 1332-1333 Wie lange geben wir ein AD ? S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie: Unipolare Depression (Konsultationsfassung, Juni 2009) 3-18 In den ersten 4 Behandlungswochen wird ein wöchentliches Monitoring, danach in Intervallen von 2-4 Wochen und nach 3 Monate in längeren Intervallen empfohlen. Spätestens nach 3-4 Wochen sollte eine genaue Wirkungsprüfung erfolgen und entschieden werden, ob ein Wechsel oder eine Ergänzung der Behandlungsstrategie indiziert ist oder nicht. Ist keine Verbesserung erkennbar, sollte die Mitarbeit des Patienten und … der Plasmaspiegel geprüft werden. Grundsätzlich angeraten sind Plasmaspiegelkontrollen bei … Maximaldosis, V t ä li hk it bl lti di i t d Non-response S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie: Unipolare Depression (Konsultationsfassung, Juni 2009) 3-30 Der Wechsel des Antidepressivums ist bei Nichtansprechen nicht die Behandlungsalternative erster Wahl. Jeder Wechsel sollte daher sorgfältig geprüft werden. Augmentation S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie: Unipolare Depression (Konsultationsfassung, Juni 2009) 3-25 Ein Versuch zur Wirkungsverstärkung (Augmentation) mit Lithium sollte vom erfahrenen Arzt bei Patienten erwogen werden, deren Depression auf Antidepressiva nicht angesprochen hat. (B) 3-26 … 2-4 Wochen nach Erreichen wirksamer Lithium-spiegel keine Wirkung festzustellen:…Lithium wieder abgesetzen. (KKP) 3-27 [Dauer Lithium-Augmentation]: mindestens 6 Monate (B) 3-28 Augmentation von Antidepressiva mittels Carbamazepin, Lamotrigin, Pindolol, Valproat, Dopaminagonisten, Psychostimulanzien, Schilddrüsen- oder anderen Hormonen wird als Routineeinsatz bei therapieresistenter Depression nicht empfohlen. (0) Lithium Augmentation bei Therapieresistenz: Placebo-kontrollierte Studien Response 40% 17% Crossley & Bauer Kombinationstherapie S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie: Unipolare Depression (Konsultationsfassung, Juni 2009) 3-32 Bei einem Patienten, der auf eine Antidepressivamonotherapie nicht respondiert hat, kann als einzige Antidepressivakombination die Kombination von Mianserin (unter Berücksichtigung des Agranulozytoserisikos) oder Mirtazapin einerseits mit einem SSRI oder einem TZA andererseits empfohlen werden. Nur für diese Kombination wurde in mehreren randomisierten und doppelblinden Studien gezeigt, dass sie wirksamer ist als die Monotherapie mit nur einem der Wirkstoffe. (S) EKT vs. Pharmakotherapie UK ECT Review Group 2003 EKT: Indikationen • Therapieresistenz • Depression mit psychotischen Symptomen • Schwere Depression mit psychomotorischen Störungen • Depression mit bedrohlichem Gewichtsverlust oder Suizidalität 3-50 EKT soll bei schweren, therapieresistenten depressiven Episoden als Behandlungsalternative in Betracht gezogen werden. A Schlafentzug / Wachtherapie • • • • • Total oder partiell Ansprechrate: ca. 60% Cave: Nickerchen Anhaltende Wirkung: ca. 10% Ggf. Schlafphasen-Verlegung 3-52 Wachtherapie sollte in der Behandlung depressiver Episoden als Behandlungsform erwogen werden, wenn eine rasche, wenn auch kurz anhaltende Response therapeutisch gewünscht wird oder eine andere leitliniengerechte Schlafentzug • • • • Wirksam bei ca. 60 % aller Patienten Kurze Nickerchen heben die Wirkung vollkommen auf Wirkung hält meist nur einen Tag an Durch “Schlaf-Phasen-Verschiebung” kann der Effekt über einen Tag anhalten. Folgen von Depressionen Persönliches Leid Probleme in der Familie und im sozialen Umfeld Schwierigkeiten am Arbeitsplatz Chronifizierung Mißbrauch von Alkohol und Beruhigungstabletten Gefährdung durch Suizid Prognose affektiver Störungen Meist gute Prognose = Gesundung zwischen den Episoden Medikamentöse Prophylaxe verhindert neue Episoden Aber Zunahme der Phasenfrequenz (rapid cycling, ca. 10 %) Chronizität: 10 - 20 % unvollständige Remission Suizidrisiko: ca. 10 - 15 % Daher sind Früherkennung, ausreichende Behandlung und Vorbeugung von Bedeutung Todesursachen im Vergleich: BRD 2007 9.402 Suizid 1.394 Drogen Verkehr Mord / Totschlag Aids 5.011 734 461 (Daten des Bundesamtes für Statistik/Gesundheitsberichterstattung des Bundes) Suizidraten in Deutschland 2007 80 70 Männlich Anzahl der Suizide pro 100.000 60 Weiblich 50 40 30 20 10 0 Quelle: Todesursachenstatistik, Statistisches Bundesamt Problem: Suizid http://www.kompetenznetz-depression.de Risikofaktoren für Suizid • • • • Männer Alter > 45 Kaukasier Getrennt, geschieden, single • Allein lebend • Ruhe nach Entschluss • Anamnese: Substanzmißbrauch • Frühere Suizidversuche • Suizidversuche im Umfeld • Allgemeinmedizinische Erkrankung • Psychotische Symptome Salazar. Med Clinics of North America. 1996;80:431-454 Abschätzung der Suizidalität Ausmaß der Suizidideation Nach Suizidversuch •Todesgedanken •Gedanken an eigenen Tod •Passiver Todeswunsch •Suizidgedanken •Konkrete Suizidvorstellung •Suizididee •Suizidplan •Suizidvorbereitung •Abgebrochener Suizidversuch •Todesabsicht = Suizidversuch •billigend in Kauf genommen = Parasuizid •Frühere Suizidversuche ? •Umstände / Abschiedsbrief ? •Protektive Faktoren ? •Belastende Faktoren ? •Appellativer Charakter ? Psyche statt Herz: Ursachen für Berufsunfähigkeit 100% 90% 17% 9% 70% 8% 28% 32% 6% 50% 40% 37% Psychische Erkrankungen Neubildungen 14% 30% 15% 5% 13% 4% 11% 20% 10% 21% Sonstiges 80% 60% 18% 23% 22% 1983 2002 Stoffwechsel/Verdauung Herz/Kreislauferkrankungen Skelett/Muskeln/Bindegewebe 17% 0% Alte Länder 2006 Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund 2007, S. 74f Alter bei Erstmanifestation von Depression Depression ist mit erhöhter KHK-Mortalität assoziiert Penninx BW, et al. Arch Gen Psychiatry. 2001;58:221-227. Depression und ihre Folgen viszerale Adipositas - Umverteilung des Körperfettes Stresshormone normal Fett %: 15 ± 3 Stresshormone erhöht Fett %: 25 ± 5 Hamann et al.,Psychosom Med, 2002 Erklärungsmodelle für affektive Erkrankungen Hintergrund Erklärungsansatz Psychoanalyse Frühe Störungen Psychodynamik Ich-Struktur Defekte Soziologie Schicht- und Desintegrationsannahmen Neurobiologie Transmitter / Hormone / Genetik Neuroanatomie / pathologie Neuronale Schädigung / „Netzwerk“-Theorien Lerntheorie Psychische Störungen werden gelernt Dysfunktionale Einstellungsmuster Psychophysiologie ... Gestörte Regelkreise ... Verstärker-Verlust Modell (Lewinsohn) Modell der erlernten Hilflosigkeit (Seligman) Modell der dysfunktionalen Kognitionen und Schemata Neurobiologische Ansätze 1. Nervensignale / Neurotransmission 2. Hirnstoffwechsel 3. Gehirnstruktur 4. Psychotrope / toxische Stoffe 5. Kandidatengene 6. Aktivierung von StressSystemen 7. Funktionelle Bildgebung Neurotransmission und -modulation “Mangel”-Hypothesen “Exzess”-Hypothesen Serotonin Acetylcholine Noradrenalin Substance P Dopamin CRH GABA Brain-derived neurotrophic factor (BDNF) Somatostatin Bedeutung der Depletionsstudien Untersuchtes Kollektiv Gesunde Früher depressiv, remittiert, derzeit ohne Medikation Depressiv, ohne Medikation Remittiert, SSRI Remittiert, NRI Remittiert, NaSSA SerotoninDepletion KatecholaminDepletion - +/- +++ +++ - - ++++ + + ++++ ++++ ++++ nach Delgado et al., 1997 Befunde zur Noradrenalin / Serotonin bei Depression CSF: erniedrigtes 5-HIAA CSF: erhöhtes MHPG Neuroendokrine Tests: Prolaktinantwort auf Fenfluramin, Tryptophan, CMI Neuroendokrine Tests: alpha-2 adrenerge Antworten Thrombozyten: 5-HT2A Rezeptor: erhöhte Dichte Thrombozyten: alpha2-Rezeptor: erhöhte Dichte “Tryptophan-Depletion”: Depression bei SSRI-remittierten Patienten Depletion mit AMPT: Depression bei nor-adrenerg-behandelten, rem. Patienten Postmortem Gehirne: Transporter PFC 5-HT2A Rezeptoren im PFC Transporter & 5-HT1a Autorezeptoren im Hirnstamm Postmortem Gehirne: alpha2-Rezeptoren im Cortex (Meana et al., 1992; Callado et al., 1998) (Mallison et al., Drevets et al.) Kandidatengene: Transporter, Trpt Hydroxylase, Rezeptoren Kandidatengene: TH, COMT & MAO Heritabilität psychiatrischer Störungen = Anteil der genetisch determinierten Varianz Phänotyp Heritabilität* Bipolar disorder Schizophrenia Cigarette smoking Divorce Social phobia Neuroticism Novelty Seeking Panic disorder Major depression Extraversion Generalized anxiety disorder Religious affiliation .62 .60 .60 .52 .52 .52 .45 .42 .40 .38 .35 .00 Erheben Sie die Familienanamnese ! Konkordanzrate bei Depression: ein- vs. zwei-eiige Zwillinge “Genetik-Dominanz”: I.T. > F.T. <100 %: Umweltfaktoren Hypercortisolämie bei Depression „StressHypothese“ der Depression hippocampal volume declarative memory GR regulation Modelle der Depression: „neuronale Plastizität“ Altar, TIPS, 1999 Wie regulieren Antidepressiva BDNF ? • Chronisch gestresste Tiere (forced swim) zeigen reduziertes BDNF und hippocampale Atrophie. • Antidepressiva normalisieren BDNF bei chronischem Stress und BDNF schützt vor hippocampaler Atrophie. • Chronische Gabe von Antidepressiva: hochreguliertes cAMP • hochregulierte CREB mRNA im Hippocampus • Trophische Wirkungen: z.B. BDNF für serotonerge Neurone Duman, Malberg, Thome, Biol Psychiatry, 1999 Fazit Depressionen: - sehr häufige Erkrankungen - auch im nicht-psychiatrischen setting - schwerwiegend und oft tödlich - gut behandelbar ? - Klären wir in der nächsten Vorlesung ! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ! Haben Sie Fragen ?