Anorexia Nervosa und Bulimia Nervosa Symptomatik und Erklärungsmodelle Anorexia Nervosa - Diagnose nach DSM IV • Weigerung, das Körpergewicht über einem Alter und Größe entsprechenden minimalen Normalgewicht zu halten; Gewicht mindestes 15% unter dem zu erwartenden Gewicht • Gewicht und Figur werden verzerrt wahrgenommen, unangemessener Einfluss des Gewichts oder der Figur auf die Selbstbewertung oder Verleugnung der Ernsthaftigkeit des aktuell niedrigen Körpergewichts • Intensive Angst, zuzunehmen oder dick zu werden, obwohl untergewichtig • Ausbleiben von mindestens 3 aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen Bulimia Nervosa - Diagnose nach DSM IV • Wiederkehrende Heißhungeranfälle: - Essen einer Nahrungsmenge, die größer ist als sie die meisten Menschen in ähnlicher Zeit und unter ähnlichen Umständen verzehren würde - Gefühl des Kontrollverlustes beim Essen • Wiederkehrend ungeeignet kompensatorisches Verhalten, um eine Gewichtszunahme zu vermeiden, wie selbst induziertes Erbrechen, Missbrauch von Laxantien, Appetitzüglern, Diuretika oder anderen Medikamenten, Fasten oder exzessive körperliche Betätigung. Bulimia Nervosa - Diagnose nach DSM IV • Heißhungeranfälle und Maßnahmen zur Gewichtsregulierung treten im Durchschnitt über 3 Monate mindestens zweimal wöchentlich auf • Die Selbstbewertung hängt phasenweise stark vom Gewicht und von der Figur ab • Die Störung tritt nicht ausschließlich während Episoden von Anorexie auf Anorexia und Bulimia Nervosa – differenzierende Merkmale Anorexie Bulimie „Anorexie“ Hyperoxie Hypophagie Zwang zum Essen Nicht aufhören können, nicht zu essen Nicht aufhören können zu essen Keine Klagen über mangelnde Nahrungsaufnahme (kein Krankheitsgefühl) Klage über viel essen müssen (oft Krankheitsgefühl) Untergewicht (BDI < 17,5) Körpergewicht im Normbereich oder (leicht) überhöht Dünnsein müssen, krankhafte Furcht vor (virtuellem) „Dicksein“ (Reales) Dicksein wird abgelehnt und vermieden Anorexia und Bulimia Nervosa – differenzierende Merkmale Anorexie Bulimie Verleugnen von Magerkeit Kein Verleugnen von evt. Dicksein Keine Anstrengung, den Zustand zu verändern Bemühung um Änderung (Appetitzügler, Diät, Selbsthilfegruppen) Trotziger Triumph Konsekutive Scham, Schuld, Selbstverurteilung Zwang zur Kontrolle Kontrollverlust Askese „Verwahrlosung“, aktiveres Sexualverhalten Mortalität (ca. 6%) - Epidemiologie und Verlauf Anorexie • • • • Prävalenz bei Frauen bis 30 Jahre: 0,3% Erkrankungsbeginn Frauen: 16 Jahre Erkrankungsbeginn Männer: 11 Jahre Mortalität: 6% Bulimie • Prävalenz bei Frauen zwischen 18 und 35 Jahren: 1-3% • Erkrankungsbeginn: Adoleszenz, frühes Erwachsenenalter • Mortalität: 0,3% Geschlechterverhältnis • Anorexie und Bulimie sind bei jungen Frauen weit mehr verbreitet als bei jungen Männern • Max. 5-15% der Erkrankten sind Jungen Psychobiologische Interaktionen bei Störungen des Essverhaltens Biologische Vulnerabilität Soziokulturelle Faktoren Individuelle psychologische Bedingungen Veränderung des Essverhaltens -Fasten -Erbrechen -Essanfälle Biologische Veränderungen Psychologische und psychosoziale Veränderungen Psychobiologische Interaktionen bei Störungen des Essverhaltens Veränderung des Essverhaltens -Fasten -Erbrechen -Essanfälle Biologische Veränderungen -metabolische und endokrine Anpassung an Mangelernährung -Neurotransmitterstörungen -Beeintächtigung gastrointestinaler Funktionen -Pseudotrophie des Gehirns Psychologische und psychosoziale Veränderungen -affektive Labilität -kognitive Störungen (z.B. Konzentrationsstörungen) -Beeinträchtigte Wahrnehmung für Hunger und Sättigung -Soziale Isolation Physiologische und psychologische Deprivation Kognitive Beeinträchtigung, affektive Labilität, mangelnde Befriedigung hedonistischer Bedürfnisse Neuroendokrine Störungen, Veränderung des Energiestoffwechsels Ignorieren viszeraler Reize, Dekonditionierungsprozesse Disinhibitorische Bedingungen z.B. Stressoren, Alkohol, Angst Störung der Regulation von Hunger und Sättigung Essanfall Gezügeltes Essverhalten Antizipierte Gewichtszunahme Erbrechen, Laxantienabusus, exzessive Bewegung Erreichen, bzw. Beibehalten eines erwünschten Gewichts Verschärfung der kognitiven Kontrolle Essanfall Die Bedeutung kognitiver Kontrolle für die Entstehung von Essanfällen Vulnerabilitätscharakteristika, z.B. niedriger Energiebedarf Umweltbedingungen, z.B. Schlankheitsideal Gezügeltes Essverhalten z.B. wiederholtes Diätieren, Verzehr kleiner Portionen, kein Erreichen eines befriedigenden Sättigungsgrades Physiologische und psychologische Deprivation Neuroendokrine Störungen, Veränderung des Energiestoffwechsels Kognitive Beeinträchtigung, affektive Labilität, mangelnde Befriedigung hedonistischer Bedürfnisse Empirische Befunde zur Bedeutung gezügelten Essverhaltens als Risikofaktor für das Auftreten von Essanfällen • Nach längeren Diätperioden treten Essanfälle häufiger auf (belegt für anorektische Patienten mit bulimischer Symptomatik und für Normalgewichtige mit Bulimia Nervosa). • Fasten führte bei Teilnehmern eines Fastenexperiments sowohl während als auch nach der Fastenperiode zu Essanfällen, die keine der Personen zuvor erlebt hatten. • Erzwungener Verzicht auf eine Mahlzeit wird durch erhöhte Nahrungsaufnahme bei der nächstmöglichen Gelegenheit ausgeglichen. • Unter Deprivationsbedingungen steigt die pro Mahlzeit aufgenommene Nahrungsmenge mit der Länge der Deprivationszeit an (im Tierversuch gezeigt). Fragebogen zum Essverhalten (Pudel & Westenhöfer, 1998) Skala „Kognitive Kontrolle des Essverhaltens“ - Beispielitems • Ich esse absichtlich kleine Portionen, um nicht zuzunehmen. • Bei den üblichen Nahrungsmitteln kenne ich ungefähr den Kaloriengehalt. • Häufig höre ich auf zu essen, obwohl ich noch gar nicht satt bin. • Bestimmte Nahrungsmittel meide ich, weil sie dick machen. • Ich zähle Kalorien, um mein Gewicht unter Kontrolle zu halten. • Wenn ich während einer Diät „sündige“, dann halte ich mich anschließend beim Essen zurück, um es wieder auszugleichen. Der „dishibition effect“ bei gezügeltem Essverhalten nach Herman & Mack (1975) • Personen, die anhand eines Fragebogens in gezügelte und ungezügelte Esser eingeteilt werden, unterscheiden sich auch im Labor in ihrem Essverhalten: • Bei einem angeblichen „Geschmackstest“ essen gezügelte Esser weniger als ungezügelte Esser. • Herman et al. untersuchten die Effekte einer erzwungenen Vormahlzeit. Der „dishibition effect“ bei gezügeltem Essverhalten Menge verzehrter Eiscreme unter verschiedenen PreloadBedingungen bei gezügelten und nicht gezügelten Essern (nach Herman & Mack, 1975) 250 200 wenig gezügelte Esser stark gezügelte Esser 150 100 50 0 s ke ha hs ilc 2M ke ha hs ilc ke 1M ha hs ilc M in ke Die Rolle psychischer Belastungen Tuschen, B., Vögele, C., Kuhnhardt, K. & Cleve-Prinz, W. (1995). Steigern psychische Belastungen das Essbedürfnis? 6 5 Essbedürfnis 4 Bulimiegruppe Kontrollgruppe 3 2 LS= Leistungsstressor 1 0 Follow-Up nach IS während IS Pause nach LS während LS Baseline IS=Interpersoneller Stressor