AHG KLINIK BERUS Zwänge und Zwangslagen - Wege in die Freiheit Rolf Keller, Ltd. Psychologe Remscheid, 14.04.2011 AHG Klinik Berus Europäisches Zentrum für Psychosomatik und Verhaltensmedizin Orannastraße 55, D-66802 Überherrn-Berus, Tel.: 0049/6836/39/0 Zwänge und Zwangslagen – Wege in die Freiheit Inhalt • Definition und Erscheinungsbild • Häufigkeit und Verlauf • Diagnostik • Erklärungsmodelle • Behandlung - Behandlung im Überblick - Konfrontationstherapie - Kognitive Therapie - Systemische Therapie-Perspektive - Fallbeispiele und Übungen • Literatur und Anlaufstellen Definition der Zwangsstörung (1) „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Gewohnheiten geben uns Sicherheit und erübrigen es, jeden Handlungsschritt täglich neu entscheiden zu müssen... Erst wenn solche Gewohnheiten ‚entgleisen‘, d.h. erhebliches Leid verursachen, viel Zeit in Anspruch nehmen und den normalen Tagesablauf, die Berufstätigkeit oder soziale Aktivitäten beeinträchtigen, spricht man von einer Zwangsstörung.“ Willi Ecker (2000) Definition der Zwangsstörung (2) „Zwangsgedanken sind lästige und aufdringliche Gedanken, bildhafte Vorstellungen und dranghafte Impulse. Personen, die solche Intrusionen erleben, betrachten sie in der Regel als abstoßend, unannehmbar, sinnlos und schwer zu verscheuchen. Zwangsgedanken können durch eine Vielzahl von auslösenden Reizen provoziert werden.“ (Salkovskis & Kirk, 1996) Definition der Zwangsstörung (3) „Zwanghafte und neutralisierende Verhaltensweisen ... sind in der Regel stereotyp oder folgen idiosynkratisch“ (= aus der persönlichen Entwicklungsgeschichte) „definierten ‚Regeln‘ “; „sie sind mit vorübergehender Erleichterung oder der Vorstellung verbunden, dass die Angst ansteigt, wenn das Ritual noch nicht ausgeführt worden wäre.“ (Salkovskis & Kirk, 1996) Definition der Zwangsstörung (4) „So betrachtet sind Zwangsgedanken unwillkürliche, aufdringliche Gedanken, Vorstellungen oder Impulse, die von zunehmender Angst begleitet werden.“ „Demgegenüber ist die Neutralisierung durch offene“ (= beobachtbares Neutralisierungsverhalten) „und verdeckte Zwangshandlungen“ (= Neutralisierungsgedanken) „willkürliches Verhalten“, das „mit dem Ziel“ ausgeführt wird, „die Angst oder das Risiko eines Unglücks zu vermindern.“ (Salkovskis & Kirk, 1996) Definition der Zwangsstörung (5) „Von einer Zwangsstörung wird dann gesprochen, wenn wiederholt Zwangsverhalten oder Zwangsgedanken auftreten. Beide sind so gravierend, dass sie erhebliches Leid verursachen, zeitraubend (mehr als eine Stunde pro Tag) und sie beeinträchtigen den normalen Tagesablauf, die berufliche Leistung oder die sozialen Aktivitäten.“ (Hoffmann, 2000) Häufige Zwangsformen • Zwangshandlungen - Wasch-, Putz-, Reinigungszwänge, z.B. Händewaschen, Putzen, Desinfizieren - Kontrollzwänge z.B. Türen, Fenster, Herd kontrollieren - Wiederholungszwänge, Zählzwänge, Ordnungszwänge - Zwanghaftes Horten und Sammeln • Zwangsgedanken - Zwangsgedanken i. e. S. z.B. jemandem etwas anzutun - zwanghafte Vorstellungen/Bilder/Impulse z.B. gegen ein soziales Tabu verstoßen (Lakatos, 2004) 80 % der Fälle Zwangshandlungen und Zwangsgedanken gemischt (Emmelkamp & van Oppen, 2000) Zwangsstörung Diagnosekriterien nach DSM IV aufdringliche Wiederkehrende oder anhaltende Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die zeitweise während der Störung als aufdringlich und unangemessen empfunden werden und die ausgeprägte Angst oder Unbehagen hervorrufen ... diese sind nicht nur übertriebene Sorgen über reale Lebensprobleme Gedanken ... der Betroffene versucht, diese zu ignorieren, unterdrücken oder neutralisieren ... der Betroffene erkennt sie als ein Produkt des eigenen Geistes Zwangshandlungen übertrieben belastend nicht anderweitig bedingt Wiederholte Verhaltensweisen (z.B. Händewaschen, Ordnen, Kontrollieren) oder gedankliche Handlungen (z.B. Beten, Zählen, Wörter leise Wiederholen), zu denen sich der Betroffene als Reaktion auf einen Zwangsgedanken oder aufgrund von streng zu befolgenden Regeln gezwungen fühlt ... diese dienen dazu, Unwohlsein zu verhindern, zu reduzieren oder gefürchteten Ereignissen oder Situationen vorzubeugen, und stehen in keinem realistischen Bezug zu dem, was sie zu neutralisieren oder verhindern versuchen, sind deutlich übertrieben Der Betroffene (Erwachsene) erkennt die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen zu irgendeinem Zeitpunkt als übertrieben oder unbegründet Die Zwänge verursachen erhebliche Belastung, sind zeitaufwendig (mind.. 1 Stunde pro Tag) oder beeinträchtigen deutlich die normale Tagesroutine Die Zwänge sind nicht ausschließlich durch ein anderes Störungsbild erklärbar (z.B. Essstörung,Trichotillomanie, Drogen, Medikamente) Häufigkeit und Verlauf von Zwangsstörungen ohne adäquate Behandlung •Häufigkeit - 2 bis 3 % leiden einmal im Leben an einer Zwangsstörung - Frauen : Männer = 1 : 1 (Lakatos, 2004) •Verlauf ohne Behandlung - Beginn der Störung: in der Regel in der Adoleszenz oder dem frühen Erwachsenenalter (im Mittel mit 23 Jahren), Kontrollzwänge beginnen i. d. R. schleichend, Waschzwänge meist abrupt) (Reinecker, 2009) - Prognose ohne Behandlung ungünstig, Selbstheilung selten, meist Verschlimmerung, v.a. bei längerer Dauer als 1 Jahr, vgl. Skoog & Skoog (1999): nach 40 Jahren sind 25 % remittiert, 25 % subklinisch ausgeprägt und 50 % chronifiziert Verlauf und Prognose von Zwangsstörungen bei adäquater Behandlung •Erfolgsquoten bei Verhaltenstherapie und / oder Psychopharmakotherapie - 60 bis zu ca. 80 % bei Verhaltenstherapie (VT) (z.B. Hand, 1992; Foa & Kozak, 1996; Ballenger, 1999; Wetzel et. al., 1999) - 50 bis zu 75% bei Psychopharmakotherapie mit Antidepressiva: Clomipramin oder SSRI, v.a. Fluoxetin (Hand et al., 2001), hohe Effektstärken bei SSRI (Meta-Analyse von Eddy et al., 2004) aber extrem hohe Rückfallquote bei Psychopharmaka ohne VT: bis zu ca. 90 % •Prognose abhängig von Symptomatik und Behandlungsmethode - Kognitive Verhaltenstherapie (incl. Konfrontationsbehandlung mit Reaktionsverhinderung) Methode der Wahl für Patienten mit überwiegenden Zwangshandlungen ohne zusätzlich starke depressive Symptomatik - Kombination von Verhaltenstherapie und Psychopharmakotherapie günstiger beim Überwiegen von Zwangsgedanken sowie bei Zwangshandlungen mit zusätzlich starker depressiver Symptomatik Häufige Begleiterkrankungen von Zwangsstörungen (Komorbidität) • Depressionen 28-38% haben gleichzeitig eine depressive Episode (Steketee, 1993) häufig gleichzeitig auch dysthyme Störung (Anthony et al., 1998) • Angststörungen 58% haben irgendwann einmal im Leben eine spezifische Pobie, Sozialphobie oder Panikstörung (Rasmussen & Tsuang, 1986) • Somatoforme Störungen 8-37% gleichzeitig mit der Zwangsstörung (Brown, 1998) • Persönlichkeitsstörungen ca. 50 % der Zwangspatienten (Lakatos, 2004) z. B. Selbstunsichere Persönlichkeit, Abhängige Persönlichkeit, Histrionische Persönlichkeit • Essstörungen Magersucht in der Vorgeschichte Bulimie irgendwann einmal im Leben Diagnostik bei Zwangsstörungen (1) Strukturierte klinische Interviews Fragebögen • DIPS Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen (Margraf et al., 1994) • MOCI Maudsley Obsessive-Compulsive Inventory (Hodgson & Rachman , 1977) (übers. v. Kallinke, Lutz & Ramsey (1979) • Y-BOCS Yale-Brown-Obsessive Compulsive Scale (Goodman et al., 1989) (übers. v. Hand & Büttner-Westphal, 1991) • Padua Zwangsfragebogen Padua Inventory (Sanavio, 1988) (übers. als Padua-R, van Oppen, Hoekstra & Emmelkamp, 1995) • HZI Hamburger Zwangsinventar (Zaworka et al., 1983) Systematische Selbstbeobachtung • Zwangsprotokolle / Zwangstagebuch (z.B. Emmelkamp & van Oppen, 2000) Weitere psychologische Fragebögen im Hinblick auf Komorbidität - BDI (Beck & Steer, 1967; übers. v. Hautzinger et al., 1995) - SCL-90-R (Derogatis et al., 1973; übers. v. Franke, 1995) Diagnostik bei Zwangsstörungen (2) Zwangsprotokoll Auslöser (Datum) Aufdringliche negative Gedanken Bewertung der aufdringlichen Gedanken Konflikt mit Mutter in der Küche, Frust und Wut beim Thema: "schon wieder zu spät heimgekommen!" Ich könnte sie umbringen - mit diesem Messer da! Das darf ich auf keinen Fall denken, sonst passiert es! Erneuter Konflikt mit Mutter, wieder Enttäuschung, Wut und Verletztheit beim Thema: "Dein Freund ist ein Taugenichts!" Ich könnte sie wieder umbringen - egal womit! Dieser Gedanke ist normal und kommt auch bei anderen vor, wenn sie sich (zu recht) so ärgern wie ich Gefühl (Unbehagen) 0-100 % Angst / Schuldgefühle 90 % Ärger auf die Mutter 70 % Bewältigung a) Gedanken b) Verhalten Konsequenz (Bewertung) +/-/0 Gedanke: Ich muss mir dringend die Hände waschen! Verhalten: Rückzug ins Bad, Hände waschen 5 x 3 Min. Kurzfristig Erleichterung (+), dann erneut Ärger und Traurigkeit (); keine richtige Lösung auf Dauer! (-) Verhalten: ich sage ihr, dass ich schon 18 (Jahre) bin und selbst entscheiden kann, mit wem ich befreundet sein will! Kurzfristig Anstieg der Spannung (-), dann lang anhaltender Ärger, der nur langsam nachlässt (-), aber ich habe mich erfolgreich abgegrenzt! (+) Diagnostik bei Zwangsstörungen (3) Verhaltensanalyse S1Auslöser Ärger auf Mutter und Anblick des Messers in der Küche R1kognitiv „ich könnte sie umbringen!“ „ich darf das nicht denken, sonst passiert es!“ R1emotional Angst, Schuldgefühle R1physiologisch Herzrasen, Schwitzen C1kurzfristige Konsequenz hohe Anspannung = S2Auslöser R2kognitiv „ich muss mir dringend die Hände waschen!“ R2motorisch ins Bad gehen und die Hände mehrfach waschen (Ritual) C2kurzfristige Konsequenz nachlassende Anspannung, Erleichterung C2langfristige Konsequenz Aufrechterhaltung der Problematik Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (1.1) Das Zwei-Faktoren-Modell Das lerntheoretische Zwei-Faktoren-Modell nach Mowrer, in Emmelkamp & van Oppen (2000) - Entstehung durch Klassische Konditionierung - Aufrechterhaltung durch Operante Konditionierung Wichtige Unterscheidung: - aktive Vermeidung zur Neutralisierung - passive Vermeidung von Situationen, die Zwangsgedanken oder -verhalten auslösen können Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (1.2) Das Zwei-Faktoren-Modell 1. Faktor: Zwang-Entstehung durch Klassische Konditionierung UCS z.B. Ansteckung durch Krankheitskeime UCR aversive Reaktion z.B. Angst vor Krankheit CS z.B. Türklinke CR z.B. Angst vor Krankheit 2. Faktor: Zwang-Aufrechterhaltung durch Operante Konditionierung CS = SD z.B. Türklinke CER konditionierte emotionale Reaktion: Angst R Vermeidungsreaktion Händewasch-Ritual C/negative Verstärkung Erleichterung/Angstrückgang Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (2.1) Das kognitive Modell Kognitives Modell für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Zwangsstörungen Salkovskis, 1985 (in Reinecker, 2009) Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (2.2) Das kognitive Modell Das kognitive Modell - Überschätzung der Bedeutung der Zwangsgedanken (R) - Überschätzung der Wahrscheinlichkeit (S) - Überschätzung der eigenen Verantwortung (S) - Bedürfnis nach Perfektion (C) - Falsches Einschätzen der Konsequenzen der Angst (C) Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (3.1) Psychophysiologische/psychobiologische Modelle - Erhöhte genetische Anfälligkeit (Zwangsstörungen bei eineiigen Zwillingen häufiger als bei zweieigen Zwillingen) -Neuropsychologische Auffälligkeiten im Bereich des Frontalhirns (Basalganglien) in Bildgebenden Verfahren (PET=Positronenemissionstopographie und SPECT=Single-Photon-Emissions-Computertomographie): Überaktivierung des orbito-frontalen Cortex (direkt über der Augenhöhle liegendes Frontalhirn) und Nucleus caudatus (eine Struktur der Basalganglien); Hyperaktivität nach erfolgreicher Therapie wieder normalisiert (sowohl bei medikamentöser als auch bei Verhaltenstherapie) Häufig Zwangsphänomene bei Schädigungen im Bereich der Basalganglien (z.B. unfallbedingten Gehirnschädigungen) Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (3.2) Psychophysiologische/psychobiologische Modelle - Dysregulation mehrerer Serotonin-Subsysteme als Vulnerabilität: hohe Konzentration serotonerger Nervenfasern im Gehirn (v.a. im Striatum) passt zur Wirksamkeit bestimmter Medikamente: Antidepressivum Clomipramin (Anafranil); Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) bzw. selektive SSRI: Fluoxetin (z.B. Fevarin) und Paroxetin (z.B. Seroxat, Tagonis) ähnlich wirksam, aber nebenwirkungsärmer - Hinweise auf Gedächtnisstörungen bei Beeinträchtigung des Verhaltens-Hemm-Systems: durch chronische Überaktivierung des Fehlermelde-Systems „entgleist“ das Hemm-System durch dauernde Warnsignale (Reinecker, 2009) Bei Wiederholungshandlungen zur Neutralisierung scheint oft die Gewissheit zu fehlen, die Handlung wirklich selbst ausgeführt zu haben („Unvollständigkeitsgefühl“), Wiederholungshandlungen dienen dazu, die „Gewissheit“ zu erhalten; ersatzweise werden Kontrollhandlungen auch von Zählen begleitet Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (3.3) Psychophysiologische/psychobiologische Modelle Psychobiologisches Modell für Zwangsstörungen, Reinecker (2009) Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (4.1) Zusammenfassende Erklärung für Patienten • Zwänge sind gelernt und können wieder „verlernt“ werden (siehe lerntheoretisches Zwei-Faktoren-Modell) • Dysfunktionale Kognitionsmuster spielen dabei eine Rolle und sollten gemeinsam überprüft bzw. geändert werden • Vermeidung (auf Gedankenebene und/oder Verhaltensebene) trägt zur Aufrechterhaltung der Problematik bei und kann durch Konfrontation mit Reaktionsveränderung abgebaut werden • Für die Therapie ist es wichtig, den Zusammenhang zwischen der Zwangssymptomatik und der auslösenden bzw. aufrechterhaltenden Hinterproblematik (z.B. familiäre Konflikte) zu verstehen und zu bearbeiten Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (4.2) Konfrontationsrational Angststärke Auslöser Vermeidung Katastrophenphantasien z.B. „ich halt`s nicht mehr aus!“ Unterdrückung bzw. dagegen Ankämpfen Vermeidung durch Ablenkung Erfolgreiche Konfrontation Zeit Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (4.3) Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Modell Angemessene Bewertung „Der Gedanke ist normal, ich lasse ihn vorbeiziehen!“ Auslöser z.B. Ärger über das Kind Automatische aufdringliche Gedanken mit Unbehagen z.B. „Ich könnte mit das Kind mit dem Küchenmesser verletzen!“ Zwangsgedanken/ -handlungen zur Neutralisierung = aktive Vermeidung „Ich muss etwas tun, sonst passiert etwas Schlimmes...!“ Unangemessene Bewertung „Ich darf das nicht denken, sonst passiert es!“ z.B. Schublade mit Küchenbesteck kontrollieren Überblick zur Behandlung von Zwangsstörungen (1) • VT: Konfrontation mit Reaktionsverhinderung • VT: Kognitive Therapie - Verstehen von Zusammenhängen - Neubewertung der Stimuli, Reaktionen, Konsequenzen • Medikamentöse Behandlung (v.a. SSRI) • Ergänzung: Systemische Therapie-Perspektive Überblick zur Behandlung von Zwangsstörungen (2) Effektivität der Behandlung von Zwängen (Reinecker, 2009): •Prä-Post-Vergleiche bei VT: 80 – 90% Erfolg (was heißt das?) hohe Effektstärken (bis 1,4) stabile Langzeiteffekte: 70% Rückfälle nach 1-4 Jahren: 20-30% • Medikamentöse Behandlung: SSRI deutlich besser als Trizyklische Antidepressiva, MAO-Hemmer, Anxioloytika • Sonstige Psychotherapie (auch Systemische Therapie) keine kontrollierten Studien (?) Verhaltensmedizinische Behandlung von Zwangsstörungen (AHG Klinik Berus) Symptome Zwang Vorbeugen Hintergrundebene „Zwangslage“ Auslöser - Folgen Bewältigen Therapie am Symptom: Therapieziele (Bewältigen) • Abbau der automatischen, aufdringlichen Zwangsgedanken Bewältigen Symptome Zwang Hintergrundebene „Zwangslage“ • Abbau der Zwangshandlungen zur Neutralisierung • Abbau des passiven Meideverhaltens Therapie am Symptom: Therapiemethoden (Bewältigen) • Konfrontation mit Reaktionsverhinderung (Gewöhnung = Habituation) Bewältigen Symptome Zwang Hintergrundebene „Zwangslage“ • Neubewertung / Einstellungsänderung (kognitive Verhaltenstherapie) • Ggf. medikamentöse Therapie (Psychopharmaka) Therapie am Symptom: Kognitive Vorbereitung (Bewältigen) • Diagnostik Bewältigen Symptome Zwang - Fragebogen - Problemanalyse / Verhaltensanalyse - Erklärungsmodell • Therapiezielerstellung Hintergrundebene „Zwangslage“ - Veränderungsmodell - Konfrontationsrational - Hierarchie Konfrontationsübungen - Vorbereitung der Konfrontation in der Vorstellung • Ggf. medikamentöse Therapie mit Antidepressiva (Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer) Teufelskreis der Zwangsstörung Reaktion R 2: „Unangemessene Bewertung“ Reaktion R 3: „Unbehagen“ Die aufdringlichen Gedanken werden nicht toleriert Negative Gefühle infolge der aufdringlichen Gedanken z. B. Angst, Unsicherheit, Ekel, Abscheu z.B. „das darf ich auf keinen Fall tun, auch nicht denken!“ Reaktion R 1: „Aufdringliche Gedanken“ Symptome z.B. „Ich könnte mein Kind töten!“ „Das Haus könnte abbrennen!“ Reaktion R 5: „Kurzfristige Beruhigung“ Reaktion R 4: „Bewältigungsversuche“ Zwangsrituale (z.B. Kontrollieren, Ordnen, Waschen, Putzen, Zählen) und passives Meideverhalten z.B. „Tür gar nicht erst anfassen“ Vorübergehendes Nachlassen des Unbehagens, anschließend erneute Beunruhigung bei anhaltenden Zweifeln Hintergrundebene Auslöser Folgen z.B. Ärger-/Konfliktsituation, Leistungssituation z.B. Freiheitsverlust, Depression, Probleme mit der Umwelt Auswege aus dem Teufelskreis der Zwangsstörung Reaktion R 2*: „Angemessene Bewertung“ Reaktion R 3*: „Unbehagen“ Die aufdringlichen Gedanken werden toleriert Rückgang der negativen Gefühle und Anspannung z.B. „das ist normal, ich darf das denken, ich werde es deswegen nicht tun!“ Reaktion R 1: „Aufdringliche Gedanken“ Reaktion R 4*: „Konfrontation“ Symptome Konfrontation mit Reaktionsverhinderung d.h. Aushalten des Unbehagens ohne Ritual oder Meideverhalten z.B. „Ich könnte mein Kind töten!“ „Das Haus könnte abbrennen!“ Reaktion R 5*: „langfristige Beruhigung“ Langfristiges Nachlassen des Unbehagens durch die positive Erfahrung, daß die Katastrophe nicht eingetreten ist Hintergrundebene Auslöser z.B. Ärger-/Konfliktbewältigung, Selbstsicherheitstraining Folgen z.B. Wiedergewinn an Lebensqualität, Aufbau eines sozialen Stützsystems Strategien zum Spannungsabbau (1) Äußere Ablenkung: Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf Folgendes in meiner Umwelt richte, kann ich gut entspannen (z.B. ich höre Radio oder lese Zeitung): Innere Ablenkung: Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf folgende Gedanken oder inneren Bilder richte, kann ich gut entspannen (z.B. ich stelle mir den nächsten Urlaub vor): Muskelentspannungsübung: Die Entspannung folgender Muskelgruppen ist für mich besonders wichtig und diese Übung nenne ich wie folgt (z.B. Nackenmuskelübung): Sonstige Entspannungsform: So kann ich mich gut entspannen (z.B. mit Musik hören): Positives Denken: Mit folgendem Satz bzw. folgender Einstellung im Umgang mit der Belastung kann ich mich selbst beruhigen, ermutigen, mir helfen (z.B. „immer langsam, eins nach dem anderen“): Strategien zum Spannungsabbau (2) Atemtechniken: Mit folgender Atemübung kann ich gut entspannen (z.B. Bauchatmung): Körperliche Bewegung: Mit folgender Art an Bewegung kann ich Spannung gut abbauen (z.B. Gymnastik bei offenem Fenster, schnelles Gehen oder Laufen): Hilfreiche Gespräche: Es hilft mir, mit folgenden Personen über das, was mich belastet, zu sprechen: Aufschreiben/Ausdrücken belastender Gedanken: So kann ich meine belastenden Gedanken sonst noch ausdrücken (z.B. Tagebuchschreiben, Briefschreiben, Malen) Sonstige Strategie zum Spannungsabbau: Folgendes hilft mir sonst noch Spannung abzubauen: Konfrontation mit Reaktionsverhinderung (1) •Ziel der Konfrontation mit Reaktionsverhinderung - Positive Erfahrung des Ausbleibens der befürchteten Katastrophe - Spannungsrückgang ohne Neutralisierungsversuche (Meideverhalten) Wichtige Unterscheidung: - passives Vermeiden (im vorhinein) ≠ aktives Vermeiden (Neutralisierungsversuche) - gedankliches Vermeiden ≠ Vermeiden im beobachtbaren Verhalten •Kognitive Vorbereitung - Konfrontationsrational - Hierarchie von Konfrontationsübungen - Konfrontation in der Vorstellung (in sensu) - Motivationsprüfung - Verhalten in der Übungssituation vorbesprechen Wichtigste Regel: Sich solange mit der Situation ohne gedankliches Vermeiden bzw. Vermeiden im Verhalten konfrontieren, bis die Erregung von alleine wieder abgeklungen ist Konfrontation mit Reaktionsverhinderung (2) •Durchführung der Konfrontation mit Reaktionsverhinderung - Durchführung in der Realität (in vivo) - Konfrontation mit den Auslösern und Zwangsgedanken ohne Neutralisierungsversuche (Reaktionsverhinderung) - Am wirkungsvollsten massierte Konfrontation: beginnend mit der schwersten Situation, aber: gute Vorbereitung notwendig (sonst Abbruchgefahr!) andernfalls graduierte Konfrontation: beginnend mit Situationen, die nur leichte Angst auslösen, mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad - Definition eines konkret überprüfbaren Erfolgskriteriums z.B. Erregung auf den Ausgangswert vor der Übung zurückgegangen - Wiederholtes Üben, bis die Situation ohne Schwierigkeiten bewältigt wird - Häufigkeit und Dauer: individuell festzulegen (z.B. 10 - 15 mal, meist 1 bis 2 Stunden wöchentlich) - Zunächst in therapeutischer Begleitung, dann in Eigenregie •Kognitive Nachbereitung - Analyse günstiger / ungünstiger Umweltbedingungen - Analyse von Erfolg und Misserfolg (Lernen aus Lösungen und Fehlern) - Reflexion von Ursachenzuschreibungen (z.B. „was habe ich gut gemacht?“) - Selbstverstärkung („Wie belohne ich mich nach der Übung?“) Therapeutenaufgaben bei der Durchführung von Zwangskonfrontation mit Reaktionsverhinderung (Lakatos & Reinecker, 2001) • Verstärkung und Ermutigung • Fokussieren auf die Angstkomponenten, Unterstützen der emotionalen Prozesse • Modell-Funktion • Optimale Nutzung der Erfahrungen aus der Exposition zur Erreichung kognitiver Veränderungen 7 Schritte bei Konfrontationsübungen mit Reaktionsverhinderung • Kognitive Vorbereitung - Konfrontationsrational - Regeln für Konfrontation mit Reaktionsverhinderung • Sammlung von zwangauslösenden bzw. -verstärkenden Situationen • Entscheidung und Auswahl - welche Situationen will ich üben? - realistische, selbst erreichbare Zielsetzung • Hierarchie für den jeweiligen Situationstyp nach Schweregrad • Vorbereitungsblatt für Konfrontationsübungen - nächste Übung - Vermeidungsstrategien (aktives und passives Vermeiden / Neutralisierungsversuche) - Abbruch- bzw. Erfolgskriterium • Durchführung - in Begleitung von Therapeuten - allein ohne Begleitung • Nachbesprechung - Erkennen und Bewerten von Erfolg / Misserfolg - Verstärkung / Selbstverstärkung Liste passiv vermiedener Situationen Was vermeide ich von vornherein ? z.B. keine Türklinken mehr in öffentlichen Gebäuden anfassen (bei Waschzwang) z.B. den Herd gar nicht erst anstellen (bei Kontrollzwang) z.B. keine öffentliche Toilette mehr aufsuchen (bei Zwangsgedanken, an AIDS zu erkranken) Liste von Neutralisierungsversuchen Wie versuche ich, aufdringliche Gedanken und Unbehagen zu neutralisieren? Gedankliche Strategien z.B. Zählen, Kopfrechnen, beten oder andere Form der gedanklichen Ablenkung Verhaltens-Strategien z.B. Hände waschen, Wäsche im Schrank ordnen, Herd kontrollieren Hierarchie von Übungssituationen Ordnen Sie bitte Ihre Übungssituationen dem Schwierigkeitsgrad nach Reihenfolge Übungssituation wann, wo, wie genau, wer dabei? Erwarteter Schwierigkeitsgrad 0 - 100 % (min.- max.) Übungserfolg (Begründung) ++ / + / 0 / - / -- AHG KLINIK BERUS Vorbereitungsblatt für Zwangskonfrontationsübungen mit Reaktionsverhinderung Vorname, Name: Team: Datum: • Folgendes übe ich als Nächstes: - wann: - wo: - wie: • So vermeide ich üblicherweise: - Passives Meideverhalten (von vornherein): - Gedankliche Neutralisierungsversuche: - Neutralisierungsversuche im Verhalten: • Folgende goldene Regel ist bei dieser Übung für mich wichtig: - • Ich kann meine Übung erfolgreich beenden - wenn: © AHG Klinik Berus 2010 Mögliche Übungen zur Zwangskonfrontation mit Reaktionsverhinderung (1) Zwangsform Zwänge allgemein Mögliche Übung Länger dauernde Zwangskonfrontation mit Reaktionsverhinderung Mögliches Ziel/Erfolgskriterium Deutlicher Spannungsabfall bis auf ein moderates, stabiles Niveau Bemerkungen Dauer der Sitzung abhängig vom Einzelfall, in der Regel 1,5 bis 2 Stunden Spannungsabfall möglicherweise nicht ganz bis auf das Ausgangsniveau, sollte aber deutlich wahrnehmbar und stabil sein Kontrollzwänge Waschzwänge/ Kontaminierungsängste Haus verlassen ohne Tür, Fenster, Situation ohne Kontrolle aushalten Licht, Herd zu kontrollieren bzw. sich so verhalten, wie es NichtZwängler in dieser Situation In der Klinik: Lehrküche verlassen normalerweise tun würden (z.B. Tür nach An- und Ausschalten des nicht kontrollieren, Geld einmal kurz Herdes, selbst anschließen nachzählen, Abrechnung einmal kurz kontrollieren) Verantwortungsabgabe an andere muss verhindert werden! „unsaubere“ oder „verseuchte“ Dinge anfassen ohne anschließendes Händewaschen bzw. Reinigen/Dekontaminieren, z.B. Türen, Geländer, Geld, Toilettendeckel Das strikteste, gerade noch tolerierbare Vorgehen wählen, Anspannung aushalten und für den Rest des Tages bis zum nächsten Morgen das Waschen/Duschen/Reinigen unterlassen (z.B. Wasserhaupthahn abstellen) Genaue Definition von Notwendigkeit und Ausmaß der Kontrolle! bei unvermeidlichem Reinigen die Waschmittelmenge, Häufigkeit und Dauer des Waschens erfragen und das Ziel genau definieren Mögliche Übungen zur Zwangskonfrontation mit Reaktionsverhinderung (2) Zwangsform Mögliche Übung Mögliches Ziel/Erfolgskriterium Bemerkungen Ordnungszwang Putzzwang Zimmer/Wohnung in Unordnung Spannung ohne Aufräumen/Putzen bis bringen und anschließend bis zum nächsten Morgen aushalten zum nächsten Morgen nicht aufräumen/putzen Vorher genau erfragen, wo der Zwang auftritt und nur diese Situationen üben (Verantwortungsübernahme) Zwangsgedanken Aufdringliche Gedanken Klar definierte Übungszeit, z. B. 1,5 aufschreiben, auf ein Endlosband Stunden am Stück täglich sprechen, sich täglich wiederholt ohne Neutralisierungsversuche anhören Ersatzweise mehrfaches lautes Aufsagen in Gegenwart anderer Wichtig: nicht nur in den Therapiesitzungen sollte geübt werden sondern gerade auch dazwischen bei therapeutischen Hausaufgaben (je ca. 1,5 bis 2 Stunden am Stück, mehrmals pro Woche) Kognitive Therapie von Zwangsstörungen (1) (nach Emmelkamp & van Oppen, 2000) •Vermittlung eines Erklärungsmodells Umbewertung durch Verstehen der Zusammenhänge Methode: - Information über Zwangsstörungen Situation ⇒ Gedanken ⇒ Gefühl ⇒ Verhalten Wichtige Unterscheidung: Intrusionen (normal) ≠ automatische negative Gedanken (änderbar) z.B. „ich könnte das Kind mit dem Küchenmesser erstechen ich darf das nicht denken, sonst passiert es!“) •Identifikation und Selbstbeobachtung von Zwangsgedanken und-verhalten Gedankenänderung erst durch Bewusstmachen möglich Methode: - Zwangsprotokolle ⇒ Verhaltensanalyse Kognitive Therapie von Zwangsstörungen (2) (nach Emmelkamp & van Oppen, 2000) •Korrektur der Fehlinterpretationen durch Neubewertung Unrealistische Interpretationen z.B. „Wenn ich den Herd nicht kontrolliert habe, bevor ich das Haus verlasse, brennt es ab! Methoden: - Diskutieren mit geleitetem Entdecken („sokratischer Dialog“): Pro-Contra-Liste - Zwei-Spalten-Technik ⇒ alternative Bewertungen entdecken - Hypothetische Fragen („angenommen, dass ...“) - Verhaltensexperimente ⇒ Erfahrung bei Konfrontation mit Reaktionsverhinderung •Korrektur der Bewertungen der Zwangsgedanken Unangemessene Bewertung der eigenen aufdringlichen Gedanken als „unnormal“ Methode: - Information über Häufigkeit und Art sich aufdrängender Gedanken bei Menschen ohne Zwängen z.B. bei fast 90% nicht-klinischer Vergleichsgruppen fanden sich aufdringliche Gedanken (im Überblick Emmelkamp & van Oppen, 2000) Kognitive Therapie von Zwangsstörungen (3) (nach Emmelkamp & van Oppen, 2000) •Korrektur der Überschätzung von Katastrophen Überschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe Überschätzung der Konsequenzen der Gefahr Methode: - Wahrscheinlichkeitsprüfung (Summe der Einzelwahrscheinlichkeiten) •Korrektur der Überschätzung der eigenen Verantwortung Überschätzung des Ausmaßes der Verantwortung Überschätzung der Konsequenzen des Ausmaßes der Verantwortung Methoden: - Tortendiagramm der Verantwortlichkeiten - Sokratischer Dialog mit Erläuterung der Folgen des Verantwortlichseins - Verhaltensexperimente mit Angabe der Verantwortlichkeit Kognitive Therapie von Zwangsstörungen (4) (nach Emmelkamp & van Oppen, 2000) •Korrektur des Bedürfnisses nach Perfektion Perfektionismus Methoden: - Vor- und Nachteile perfektionistischen Verhaltens (Pro-Contra-Liste) - Zwangsprotokolle ⇒ Identifikation und Änderung der zentralen Grundannahmen z.B. „Ich bin nichts wert, wenn ich einmal einen Fehler mache“ - Eindimensionales versus mehrdimensionales Denken z.B. „was zeichnet eine schlechte versus gute Mutter aus?“ •Korrektur des falschen Einschätzens der Konsequenzen der Angst Angst vor der Angst Methoden: - Informationen sammeln über Konsequenzen der Angst - Verhaltensexperimente („Angst haben ist normal ...“) Pro- und Contra-Liste für negative Gedanken Negativer Gedanke Pro z.B. Wenn ich nicht mindestens 10 mal kontrolliere, ob die Haustür auch wirklich abgeschlossen ist, bevor ich weggehe, könnte jemand einbrechen und alles ausräumen! Typisches Gedankenmuster (irrationale Überzeugung) Contra Ich muss hundertprozentig sicher sein, dass nichts Schlimmes passiert! Immer auf 100 % Sicherheit gehen (Bedürfnis nach Perfektion) Es gibt kein Leben ohne Risiko bzw. mit hundertprozentiger Sicherheit – ich will lernen, damit umzugehen! Wenn jemand in unser Haus einbricht, wäre das eine Katastrophe! Überschätzung von Katastrophen Wir haben eigentlich nichts besonders Wertvolles, was einen Einbrecher interessieren könnte; außerdem sind wir versichert! Wenn ein Einbrecher kommt und in unser Haus eindringt, bin ich ganz alleine schuld! Überschätzung der eigenen Verantwortlichkeit Wenn bei unseren Nachbarn eingebrochen worden wäre, würde ich in jedem Fall immer den Einbrecher und nicht unseren Nachbarn für den Hauptschuldigen halten (zweierlei Maßstab)! Die Haustür muss immer verschlossen sein, sonst kommt ein Einbrecher ins Haus! Überschätzung negativer Konsequenzen Ein Einbrecher hätte auch andere Möglichkeiten, ins Haus zu kommen, selbst wenn die Haustür verschlossen wäre! Ich muss wiederholt kontrollieren und sehen, ob die Haustür auch wirklich verschlossen ist, sonst kann ich nicht sicher sein, dass es auch so ist! Mangelndes Vertrauen in das eigene Gedächtnis Wenn ich abschließe, genügt das; blinde Menschen müssen auch damit zurecht kommen! Neubewertung der Situation mit Änderung des negativen Gedankens z.B. Wenn ich das Haus verlasse, schließe ich wie immer ab und gehe weg, ohne weiter zu kontrollieren; ich will lernen, meinem Gedächtnis wieder zu vertrauen und mit Risiken zu leben, um endlich wieder ohne Zwänge leben zu können! Wahrscheinlichkeitsprüfung für negative Gedanken (modifiziert nach Ecker, 2000) Automatischer negativer Gedanke Wahrscheinlichkeit, mit Befürchtung eines negativen Ereignisses dass das negative Ereignis tatsächlich eintritt Wenn ich nicht mindestens 10 mal überprüft habe, ob der Herd auch wirklich aus ist, bevor ich das Haus verlasse, könnte das Haus niederbrennen! 20 % Handlungs- / Ereigniskette Einzelwahrscheinlichkeit 1. Herd nicht richtig aus 1/10 2. Etwas Brennbares, z.B. Küchenhandtuch, liegt auf dem Herd und fängt Feuer 1/10 3. Funkenflug entzündet Dunstabzugshaube bzw. Küchenschrank 1/10 4. Es wird nicht gleich bemerkt 1/100 5. Niemand ruft die Feuerwehr, alles ist zu spät 1/100 Gesamtwahrscheinlichkeit = Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten Neubewertung der Situation mit Änderung des negativen Gedankens 1/10 x 1/10 x 1/10 x 1/100 x 1/100 = 1/10 000 000 Ich nehme das äußerst geringe Risiko für meine (Zwangs-) Freiheit in Kauf und verzichte auf die Kontrollen – eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht! Verhaltensexperiment (nach Emmelkamp und van Oppen, 2000) Vor dem Versuch ausfüllen 1 Schilderung automatischer Gedanken vor dem Experiment: 2 Beschreibung des Versuchs: 3 Glaubwürdigkeit der automatischen Gedanken vor dem Versuch: 0 10 20 30 40 50 60 70 4 Beschreibung alternativer Gedanken vor dem Versuch: 5 Glaubwürdigkeit der alternativen Gedanken vor dem Versuch: 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 80 90 100 90 100 90 100 Nach dem Versuch ausfüllen 6 Wie ist der Versuch verlaufen? 7 Glaubwürdigkeit der automatischen Gedanken nach dem Versuch: 0 8 10 20 30 40 50 60 70 80 Glaubwürdigkeit der alternativen Gedanken nach dem Versuch: 0 10 20 30 40 50 60 70 80 Tortendiagramm: Verantwortlichkeit (Beispiel: KFZ-Mechaniker-Lehrling bei Reparatur einer Bremsanlage) Endkontrolleur: übersieht Fehler bei Endkontrolle 33% Kunde: fährt ohne Testung sofort los 2% Materialfehler 2% Ich selbst (Lehrling): mangelde Erfahrung 5% Meister: überprüft Ergebnis nicht 33% Kollege / Geselle: arbeitet unzuverlässig 25% Verantwortlichkeitsprüfung (modifiziert nach Emmelkamp und van Oppen, 2000) Automatischer negativer Gedanke mit Zuschreibung der Verantwortlichkeit auf die eigene Person Einschätzung der eigenen Verantwortlichkeit (vor Überprüfung und Korrektur) % Tortendiagramm: Verantwortlichkeit (%) Neubewertung der Situation mit Änderung des negativen Gedankens Einschätzung der eigenen Verantwortlichkeit (nach Überprüfung und Korrektur) % Eindimensionales versus mehrdimensionales Denken (nach Emmelkamp und van Oppen, 2000) Ich Renate Mutter Gisela ------------X----------------------X-----------------------X---------------- -----X------------------- schlechte Hausfrau 0% gute Hausfrau 100 % Ich Renate Gisela Mutter -------X------------X-----------X----------------X--------------------------------------------------- schmutziges Haus sauberes Haus Ich Gisela Mutter Renate --------------X-------X------------------X---------------------X------------------------------------- ungemütlich gemütlich Mutter Renate Ich Gisela ----------X--------------X-------X----------------------------X-------------------------------------- schlecht kochen gut kochen Gisela Mutter Ich Renate --------------X------------X---------X----------- -X-------------------------------------------------- keine Zeit für die Kinder Zeit für die Kinder Ich Renate Mutter Gisela ---------------------X------X------------X--------- --X----------------------------------------------- Therapie am Symptom vorbei: Therapieziele (Vorbeugen) • Befreiung aus der subjektiven „Zwangslage“ - Abbau der Grundanspannung - Lösung der Alltagsprobleme auf der Hintergrundebene in Beruf, Partnerschaft und Familie, Sozialkontakten, Freizeit, Finanzen Symptome Zwang Vorbeugen • Ressourcenausbau - Auf- und Ausbau persönlicher Stärken und Kompetenzen - Auf- und Ausbau der Umweltressourcen in Beruf, Partnerschaft und Familie, Sozialkontakten, Freizeit, Finanzen Hintergrundebene „Zwangslage“ Therapie am Symptom vorbei: Therapiemethoden (Vorbeugen) • Verbesserter Spannungsabbau (z.B. Entspannungsverfahren, Sport) Symptome Zwang Vorbeugen • Verbesserte Selbstsicherheit und Problemlösefähigkeit (z.B. Selbstsicherheits- und Problemlösetraining) • Ressourcenausbau (z.B. Genusstraining, Aktivitätsplanung, Ausbau des sozialen Stützsystems) Hintergrundebene „Zwangslage“ Waagemodell der seelischen und körperlichen Gleichgewichts Ist Soll Belastungen Ressourcen Suche nach Entlastungsmöglichkeiten Ausbau der Ressourcen Befreiung aus der „Zwangslage“, Bearbeitung der Hintergrundprobleme Ausbau persönlicher Stärken Ausbau des Stützsystems Präventions-Plan (Langfristiges Vorbeugen) Worauf will ich bei meiner zukünftigen Lebensplanung achten, um nicht wieder in eine Zwangslage zu geraten? • Beruf: • Partnerschaft/Familie: • Kontakte: • Freizeit: • Finanzen: • Wohnsituation: • Gesundheit: Rückfall- oder Krisenbewältigungs-Plan An folgenden Warnsignalen merke ich, wenn ich einen Rückfall habe oder in eine Krise gerate: Auslöser dafür könnten in der nächsten Zeit sein: Folgende Gedanken könnten mir hilfreich sein, wenn es mir wieder schlechter geht: Folgende Krisenbewältigungsstrategien haben mir in der Regel gut geholfen: Bei folgenden Anlaufstellen kann ich mir Hilfe holen: Wenn ich einen Rückfall oder eine Krise gut bewältigt habe, sage ich mir: Systemische Therapie-Perspektive (1) Funktionalität der Symptome und „IP“ Bewältigen Symptome Zwang Hintergrundebene „Zwangslage“ • Klinische Erfahrung: Zwang als Versuch, eine Zwangslage im sozialen System (meist Partnerschaft, Familie) zu lösen • Zwangspatient/in als „Identifizierte/r Patient/in“ bzw. als Symptomträger/in eines dysfunktionalen und emotional belasteten sozialen Systems Systemische Therapie-Perspektive (2) Familienkonstellationen: Triaden und Konflikte V + + V M + V + - M + V - + + K K K - - - - M + K V + M - K V M - M - K Systemische Therapie-Perspektive (3) Beispiele für Funktionalität der Symptome • Rückversicherung bei geringer Risikobereitschaft (P) u. starker Sanktionierung von Fehlern (U) • Konfliktvermeidung bei hoher Ärgerbereitschaft (P) u. sozialen Konfliktpotentialen (U) • Macht-Gewinn bei Selbstunsicherheit (P) u. „Unterdrückung“ (U) • Macht-Gewinn bei hohem Anspruch/geringer Frustrationstoleranz (P) u. Beziehungskonflikten (U) • Zuwendung bzw. Aufmerksamkeit bei hohem Anerkennungsbedürfnis (P) und emotionaler Vernachlässigung (U) • Nähe-Distanz-Regulation bei Abgrenzungsschwierigkeiten (P) u. sozialem Druck (U) Systemische Therapie-Perspektive (4) Familienbotschaften und „innere Antreiber“ • Der Perfektionist: „Mache immer alles perfekt!“ • Der Starke: „Sei stark und zeige keine Schwäche!“ • Der Siegertyp: „Sei immer der Beste!“ • Der Pflichtbewusste: „Erst die Arbeit und dann das Vergnügen!“ • Der Helfer: „Sei immer für die anderen da!“ • Der Soziale: „Mache es den anderen recht!“ • Der Kompromissbereite: „Nimm Rücksicht und sei kein Egoist!“ Systemische Therapie-Perspektive (5) Lerngeschichte der „inneren Antreiber“ • Positive Verstärkung (Belohnung) in der Eltern-Kind-Beziehung z.B. Lob, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Zuwendung • Bestrafung oder Drohungen in der Eltern-Kind-Beziehung z.B. Tadel, Schimpfen, Schweigen, Liebesentzug, Gewalt • (Positive) Modelle wie Eltern, Großeltern, ältere Geschwister usw. „So will ich mal werden!“ • (Negative) Anti-Modelle wie Eltern, Großeltern, ältere Geschwister usw. „So werde ich auf keinen Fall!“ • Erfahrungen in Schule, Ausbildung, Beruf und sonstigem Umfeld • usw. Häufige Probleme von Menschen mit Zwängen („Zwangslagen“ auf der Hintergrundebene) • Selbstunsicherheit und Selbstwertprobleme • Perfektionismus, hohes Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis • Starke Normorientierung, mangelnde Ablösung von der Ursprungsfamilie • Schwierigkeiten mit Ärgerbewältigung und Konfliktlösung bei Partner- und familiären Konflikten • Traumata wie sexueller Missbrauch, Misshandlung • Ausgeprägte Persönlichkeitsstile Literaturbeispiele für Fachleute (1) Büttner-Westphal, H. & Hand, I. (1991). Die Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS): Ein halbstrukturiertes Interview zur Beurteilung des Schweregrades von Denk- und Handlungszwängen. Verhaltenstherapie, 1, 226-233. Ecker, W. (1994). Stationäre Verhaltenstherapie bei Zwangsneurosen. In: M. Zielke & J. Sturm (Hrsg.), Handbuch stationäre Verhaltenstherapie (511-519). Weinheim: Beltz/PVU. Emmelkamp, P.M.G. & van Oppen, P.(2000). Zwangsstörungen. Göttingen: Hogrefe. Goodman, W.K., Price, L.H., Rasmussen, S.A., Mazure, D., Delgado, P., Heninger, G.R. & Charney, D.S. (1989). The Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale – I. Developmant, use and reliability. Archieves of General Psychiatry, 46, 1012-1016. Hoffmann, N. (2000). Zwangsstörungen. In: M. Hautzinger (Hrsg.), Kognitive Verhaltenstherapie bei psychischen Störungen (147-176). Weinheim: Beltz/PVU. Hoffmann, N. (2005). Zwangsstörungen. In: M. Hautzinger & M. Linden (Hrsg.), Verhaltenstherapiemanual. Heidelberg: Springer. Literaturbeispiele für Fachleute (2) Reinecker, H. (2009). Zwangshandlungen und Zwangsgedanken. Göttingen: Hogrefe. Lakatos, A. (2004). Zwangsstörungen. In: E. Leibing, W. Hiller, S.K.D. Sulz (Hrsg.), Lehrbuch der Psychotherapie, Bd. 3 Verhaltenstherapie (273-283). München: CIPMedien. Lakatos, A. & Reinecker, H. (2001). Kognitive Verhaltenstherapie bei Zwangsstörungen. Ein Therapiemanual. Göttingen: Hogrefe. Ruhmland, M. & Margraf, J. (2001). Effektivität psychologischer Therapien von spezifischer Phobie und Zwangsstörung: Meta-Analysen auf Störungsebene. Verhaltenstherapie, 11, 14-26. Salkovskskis, P.M. & Kirk, J. (1996). Zwangssyndrome. In: J. Margraf (Hrsg.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Bd. 2: Störungen - Glossar (61-85). Berlin: Springer. Voderholzer, U. & Külz, A.K. (2007). Zwangsstörungen. Psychiatrie und Psychotherapie up2date 1/2007, 197-212. Literaturbeispiele für Betroffene und Angehörige Baer, L. (1993). Alles unter Kontrolle. Zwangsgedanken und Zwangshandlungen überwinden. Bern: Verlag Hans Huber. Ciupka, B. (2001). Zwänge – Hilfe für ein oft verheimlichtes Leiden. Düsseldorf: Walter-Verlag. Ecker, W. (2000). Die Krankheit des Zweifelns. Wege zur Überwindung von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. München: CIP-Medien. Fricke, S. & Hand, I. (2010). Zwangsstörungen verstehen und bewältigen. Hilfe zur Selbsthilfe. Bonn: Balance Buch- und Medienverlag. Hoffmann, N. (1996). Wenn Zwänge das Leben einengen. Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Ursachen, Behandlungsmethoden und Möglichkeiten der Selbsthilfe. Mannheim: PAL Verlag. Klepsch, R. & Wilcken, S. (1998). Zwangshandlungen und Zwangsgedanken: Wie Sie den inneren Teufelskreis durchbrechen. Stuttgart: Trias. Reinecker, H. (2006). Ratgeber Zwangsstörungen. Informationen für Betroffene und Angehörige. Göttingen: Hogrefe. Rufer, M. & Fricke, S. (2009). Der Zwang in meiner Nähe. Rat und Hilfe für Angehörige zwangskranker Menschen. Bern: Verlag Hans Huber. Anlaufstelle Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen Geschäftsstelle der DGZ Postfach 70 23 34 22023 Hamburg Tel.: (040) 689 13 700 Fax: (040) 689 13 702 Email: [email protected] Internet: http//www.zwaenge.de/dgz