Zwänge und Zwangslagen – Wege in die Freiheit!

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AHG KLINIK BERUS
Zwänge und Zwangslagen - Wege in die Freiheit
Rolf Keller, Ltd. Psychologe
Remscheid, 14.04.2011
AHG Klinik Berus
Europäisches Zentrum für Psychosomatik und Verhaltensmedizin
Orannastraße 55, D-66802 Überherrn-Berus, Tel.: 0049/6836/39/0
Zwänge und Zwangslagen – Wege in die Freiheit
Inhalt
• Definition und Erscheinungsbild
• Häufigkeit und Verlauf
• Diagnostik
• Erklärungsmodelle
• Behandlung
- Behandlung im Überblick
- Konfrontationstherapie
- Kognitive Therapie
- Systemische Therapie-Perspektive
- Fallbeispiele und Übungen
• Literatur und Anlaufstellen
Definition der Zwangsstörung (1)
„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Gewohnheiten geben uns Sicherheit
und erübrigen es, jeden
Handlungsschritt täglich neu
entscheiden zu müssen...
Erst wenn solche Gewohnheiten
‚entgleisen‘, d.h. erhebliches Leid
verursachen, viel Zeit in Anspruch
nehmen und den normalen
Tagesablauf, die Berufstätigkeit oder
soziale Aktivitäten beeinträchtigen,
spricht man von einer Zwangsstörung.“
Willi Ecker (2000)
Definition der Zwangsstörung (2)
„Zwangsgedanken sind lästige und
aufdringliche Gedanken, bildhafte
Vorstellungen und dranghafte Impulse.
Personen, die solche Intrusionen
erleben, betrachten sie in der Regel als
abstoßend, unannehmbar, sinnlos und
schwer zu verscheuchen.
Zwangsgedanken können durch eine
Vielzahl von auslösenden Reizen
provoziert werden.“
(Salkovskis & Kirk, 1996)
Definition der Zwangsstörung (3)
„Zwanghafte und neutralisierende
Verhaltensweisen ... sind in der Regel
stereotyp oder folgen idiosynkratisch“
(= aus der persönlichen
Entwicklungsgeschichte) „definierten
‚Regeln‘ “;
„sie sind mit vorübergehender
Erleichterung oder der Vorstellung
verbunden, dass die Angst ansteigt,
wenn das Ritual noch nicht ausgeführt
worden wäre.“
(Salkovskis & Kirk, 1996)
Definition der Zwangsstörung (4)
„So betrachtet sind Zwangsgedanken
unwillkürliche, aufdringliche Gedanken,
Vorstellungen oder Impulse, die von
zunehmender Angst begleitet werden.“
„Demgegenüber ist die Neutralisierung
durch offene“ (= beobachtbares
Neutralisierungsverhalten) „und
verdeckte Zwangshandlungen“
(= Neutralisierungsgedanken)
„willkürliches Verhalten“, das „mit dem
Ziel“ ausgeführt wird, „die Angst oder
das Risiko eines Unglücks zu
vermindern.“
(Salkovskis & Kirk, 1996)
Definition der Zwangsstörung (5)
„Von einer Zwangsstörung wird dann
gesprochen,
wenn wiederholt Zwangsverhalten oder
Zwangsgedanken auftreten.
Beide sind so gravierend, dass sie
erhebliches Leid verursachen,
zeitraubend (mehr als eine Stunde pro
Tag) und
sie beeinträchtigen den normalen
Tagesablauf, die berufliche Leistung
oder die sozialen Aktivitäten.“
(Hoffmann, 2000)
Häufige Zwangsformen
• Zwangshandlungen
- Wasch-, Putz-, Reinigungszwänge,
z.B. Händewaschen, Putzen, Desinfizieren
- Kontrollzwänge
z.B. Türen, Fenster, Herd kontrollieren
- Wiederholungszwänge, Zählzwänge,
Ordnungszwänge
- Zwanghaftes Horten und Sammeln
• Zwangsgedanken
- Zwangsgedanken i. e. S.
z.B. jemandem etwas anzutun
- zwanghafte Vorstellungen/Bilder/Impulse
z.B. gegen ein soziales Tabu verstoßen
(Lakatos, 2004)
80 % der Fälle Zwangshandlungen und Zwangsgedanken gemischt (Emmelkamp & van Oppen, 2000)
Zwangsstörung
Diagnosekriterien nach DSM IV
aufdringliche
Wiederkehrende oder anhaltende Gedanken, Impulse oder Vorstellungen,
die zeitweise während der Störung als aufdringlich und unangemessen
empfunden werden und die ausgeprägte Angst oder Unbehagen hervorrufen
... diese sind nicht nur übertriebene Sorgen über reale Lebensprobleme
Gedanken
... der Betroffene versucht, diese zu ignorieren, unterdrücken oder neutralisieren
... der Betroffene erkennt sie als ein Produkt des eigenen Geistes
Zwangshandlungen
übertrieben
belastend
nicht anderweitig
bedingt
Wiederholte Verhaltensweisen (z.B. Händewaschen, Ordnen, Kontrollieren)
oder gedankliche Handlungen (z.B. Beten, Zählen, Wörter leise Wiederholen),
zu denen sich der Betroffene als Reaktion auf einen Zwangsgedanken
oder aufgrund von streng zu befolgenden Regeln gezwungen fühlt
... diese dienen dazu, Unwohlsein zu verhindern, zu reduzieren oder
gefürchteten Ereignissen oder Situationen vorzubeugen, und
stehen in keinem realistischen Bezug zu dem, was sie zu neutralisieren
oder verhindern versuchen, sind deutlich übertrieben
Der Betroffene (Erwachsene) erkennt die Zwangsgedanken oder
Zwangshandlungen zu irgendeinem Zeitpunkt als übertrieben oder unbegründet
Die Zwänge verursachen erhebliche Belastung, sind zeitaufwendig
(mind.. 1 Stunde pro Tag) oder beeinträchtigen deutlich die normale Tagesroutine
Die Zwänge sind nicht ausschließlich durch ein anderes Störungsbild erklärbar
(z.B. Essstörung,Trichotillomanie, Drogen, Medikamente)
Häufigkeit und Verlauf von Zwangsstörungen
ohne adäquate Behandlung
•Häufigkeit
- 2 bis 3 % leiden einmal im Leben an einer Zwangsstörung
- Frauen : Männer = 1 : 1 (Lakatos, 2004)
•Verlauf ohne Behandlung
- Beginn der Störung: in der Regel in der Adoleszenz
oder dem frühen Erwachsenenalter (im Mittel mit 23 Jahren),
Kontrollzwänge beginnen i. d. R. schleichend, Waschzwänge meist abrupt)
(Reinecker, 2009)
- Prognose ohne Behandlung ungünstig,
Selbstheilung selten, meist Verschlimmerung,
v.a. bei längerer Dauer als 1 Jahr,
vgl. Skoog & Skoog (1999): nach 40 Jahren sind 25 % remittiert,
25 % subklinisch ausgeprägt und 50 % chronifiziert
Verlauf und Prognose von Zwangsstörungen
bei adäquater Behandlung
•Erfolgsquoten bei Verhaltenstherapie und / oder Psychopharmakotherapie
- 60 bis zu ca. 80 % bei Verhaltenstherapie (VT)
(z.B. Hand, 1992; Foa & Kozak, 1996; Ballenger, 1999; Wetzel et. al., 1999)
- 50 bis zu 75% bei Psychopharmakotherapie mit Antidepressiva:
Clomipramin oder SSRI, v.a. Fluoxetin (Hand et al., 2001),
hohe Effektstärken bei SSRI (Meta-Analyse von Eddy et al., 2004)
aber extrem hohe Rückfallquote bei Psychopharmaka ohne VT: bis zu ca. 90 %
•Prognose abhängig von Symptomatik und Behandlungsmethode
- Kognitive Verhaltenstherapie (incl. Konfrontationsbehandlung mit
Reaktionsverhinderung) Methode der Wahl für Patienten mit überwiegenden
Zwangshandlungen ohne zusätzlich starke depressive Symptomatik
- Kombination von Verhaltenstherapie und Psychopharmakotherapie
günstiger beim Überwiegen von Zwangsgedanken sowie
bei Zwangshandlungen mit zusätzlich starker depressiver Symptomatik
Häufige Begleiterkrankungen von Zwangsstörungen
(Komorbidität)
• Depressionen
28-38% haben gleichzeitig eine depressive Episode (Steketee, 1993)
häufig gleichzeitig auch dysthyme Störung (Anthony et al., 1998)
• Angststörungen
58% haben irgendwann einmal im Leben eine spezifische Pobie,
Sozialphobie oder Panikstörung (Rasmussen & Tsuang, 1986)
• Somatoforme Störungen
8-37% gleichzeitig mit der Zwangsstörung (Brown, 1998)
• Persönlichkeitsstörungen
ca. 50 % der Zwangspatienten (Lakatos, 2004)
z. B. Selbstunsichere Persönlichkeit, Abhängige Persönlichkeit,
Histrionische Persönlichkeit
• Essstörungen
Magersucht in der Vorgeschichte
Bulimie irgendwann einmal im Leben
Diagnostik bei Zwangsstörungen (1)
Strukturierte klinische Interviews
Fragebögen
•
DIPS
Diagnostisches Interview bei psychischen
Störungen
(Margraf et al., 1994)
•
MOCI
Maudsley Obsessive-Compulsive
Inventory (Hodgson & Rachman , 1977)
(übers. v. Kallinke, Lutz & Ramsey (1979)
•
Y-BOCS
Yale-Brown-Obsessive Compulsive Scale
(Goodman et al., 1989)
(übers. v. Hand & Büttner-Westphal, 1991)
•
Padua Zwangsfragebogen
Padua Inventory (Sanavio, 1988)
(übers. als Padua-R, van Oppen,
Hoekstra & Emmelkamp, 1995)
•
HZI
Hamburger Zwangsinventar
(Zaworka et al., 1983)
Systematische Selbstbeobachtung
•
Zwangsprotokolle / Zwangstagebuch
(z.B. Emmelkamp & van Oppen, 2000)
Weitere psychologische Fragebögen im Hinblick auf Komorbidität
- BDI (Beck & Steer, 1967; übers. v. Hautzinger et al., 1995)
- SCL-90-R (Derogatis et al., 1973; übers. v. Franke, 1995)
Diagnostik bei Zwangsstörungen (2)
Zwangsprotokoll
Auslöser
(Datum)
Aufdringliche
negative
Gedanken
Bewertung der
aufdringlichen
Gedanken
Konflikt mit
Mutter in der
Küche, Frust und
Wut beim Thema:
"schon wieder zu
spät
heimgekommen!"
Ich könnte sie
umbringen - mit
diesem Messer da!
Das darf ich auf
keinen Fall
denken, sonst
passiert es!
Erneuter Konflikt
mit Mutter,
wieder
Enttäuschung,
Wut und
Verletztheit beim
Thema: "Dein
Freund ist ein
Taugenichts!"
Ich könnte sie
wieder umbringen
- egal womit!
Dieser Gedanke ist
normal und
kommt auch bei
anderen vor, wenn
sie sich (zu recht)
so ärgern wie ich
Gefühl
(Unbehagen)
0-100 %
Angst /
Schuldgefühle
90 %
Ärger auf die
Mutter 70 %
Bewältigung
a) Gedanken
b) Verhalten
Konsequenz
(Bewertung)
+/-/0
Gedanke: Ich
muss mir dringend
die Hände
waschen!
Verhalten:
Rückzug ins Bad,
Hände waschen
5 x 3 Min.
Kurzfristig
Erleichterung (+),
dann erneut Ärger
und Traurigkeit (); keine richtige
Lösung
auf Dauer! (-)
Verhalten: ich
sage ihr, dass ich
schon 18 (Jahre)
bin und selbst
entscheiden kann,
mit wem ich
befreundet sein
will!
Kurzfristig Anstieg
der Spannung (-),
dann lang
anhaltender Ärger,
der nur langsam
nachlässt (-), aber
ich habe mich
erfolgreich
abgegrenzt! (+)
Diagnostik bei Zwangsstörungen (3)
Verhaltensanalyse
S1Auslöser
Ärger auf Mutter und Anblick des Messers in der Küche
R1kognitiv
„ich könnte sie umbringen!“
„ich darf das nicht denken, sonst passiert es!“
R1emotional
Angst, Schuldgefühle
R1physiologisch
Herzrasen, Schwitzen
C1kurzfristige Konsequenz
hohe Anspannung = S2Auslöser
R2kognitiv
„ich muss mir dringend die Hände waschen!“
R2motorisch
ins Bad gehen und die Hände mehrfach waschen (Ritual)
C2kurzfristige Konsequenz
nachlassende Anspannung, Erleichterung
C2langfristige Konsequenz
Aufrechterhaltung der Problematik
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (1.1)
Das Zwei-Faktoren-Modell
Das lerntheoretische Zwei-Faktoren-Modell
nach Mowrer, in Emmelkamp & van Oppen (2000)
- Entstehung durch Klassische Konditionierung
- Aufrechterhaltung durch Operante Konditionierung
Wichtige Unterscheidung:
- aktive Vermeidung zur Neutralisierung
- passive Vermeidung von Situationen,
die Zwangsgedanken oder -verhalten auslösen können
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (1.2)
Das Zwei-Faktoren-Modell
1. Faktor: Zwang-Entstehung durch Klassische Konditionierung
UCS
z.B. Ansteckung
durch Krankheitskeime
UCR
aversive Reaktion
z.B. Angst vor Krankheit
CS
z.B. Türklinke
CR
z.B. Angst vor Krankheit
2. Faktor: Zwang-Aufrechterhaltung durch Operante Konditionierung
CS = SD
z.B. Türklinke
CER
konditionierte emotionale
Reaktion: Angst
R
Vermeidungsreaktion
Händewasch-Ritual
C/negative Verstärkung
Erleichterung/Angstrückgang
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (2.1)
Das kognitive Modell
Kognitives Modell für die Entstehung und Aufrechterhaltung
von Zwangsstörungen
Salkovskis, 1985 (in Reinecker, 2009)
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (2.2)
Das kognitive Modell
Das kognitive Modell
- Überschätzung der Bedeutung der Zwangsgedanken (R)
- Überschätzung der Wahrscheinlichkeit (S)
- Überschätzung der eigenen Verantwortung (S)
- Bedürfnis nach Perfektion (C)
- Falsches Einschätzen der Konsequenzen der Angst (C)
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (3.1)
Psychophysiologische/psychobiologische Modelle
- Erhöhte genetische Anfälligkeit
(Zwangsstörungen bei eineiigen Zwillingen häufiger als bei zweieigen Zwillingen)
-Neuropsychologische Auffälligkeiten im Bereich des Frontalhirns (Basalganglien)
in Bildgebenden Verfahren (PET=Positronenemissionstopographie und
SPECT=Single-Photon-Emissions-Computertomographie):
Überaktivierung des orbito-frontalen Cortex (direkt über der Augenhöhle liegendes
Frontalhirn) und Nucleus caudatus (eine Struktur der Basalganglien);
Hyperaktivität nach erfolgreicher Therapie wieder normalisiert
(sowohl bei medikamentöser als auch bei Verhaltenstherapie)
Häufig Zwangsphänomene bei Schädigungen im Bereich der Basalganglien
(z.B. unfallbedingten Gehirnschädigungen)
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (3.2)
Psychophysiologische/psychobiologische Modelle
- Dysregulation mehrerer Serotonin-Subsysteme als Vulnerabilität:
hohe Konzentration serotonerger Nervenfasern im Gehirn (v.a. im Striatum)
passt zur Wirksamkeit bestimmter Medikamente:
Antidepressivum Clomipramin (Anafranil);
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI)
bzw. selektive SSRI: Fluoxetin (z.B. Fevarin) und
Paroxetin (z.B. Seroxat, Tagonis) ähnlich wirksam,
aber nebenwirkungsärmer
- Hinweise auf Gedächtnisstörungen bei Beeinträchtigung des
Verhaltens-Hemm-Systems: durch chronische Überaktivierung des
Fehlermelde-Systems „entgleist“ das Hemm-System durch dauernde
Warnsignale (Reinecker, 2009)
Bei Wiederholungshandlungen zur Neutralisierung scheint oft
die Gewissheit zu fehlen, die Handlung wirklich selbst ausgeführt
zu haben („Unvollständigkeitsgefühl“),
Wiederholungshandlungen dienen dazu, die „Gewissheit“ zu erhalten;
ersatzweise werden Kontrollhandlungen auch von Zählen begleitet
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (3.3)
Psychophysiologische/psychobiologische Modelle
Psychobiologisches Modell für Zwangsstörungen, Reinecker (2009)
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (4.1)
Zusammenfassende Erklärung für Patienten
• Zwänge sind gelernt und können wieder „verlernt“ werden
(siehe lerntheoretisches Zwei-Faktoren-Modell)
• Dysfunktionale Kognitionsmuster spielen dabei eine Rolle und
sollten gemeinsam überprüft bzw. geändert werden
• Vermeidung (auf Gedankenebene und/oder Verhaltensebene)
trägt zur Aufrechterhaltung der Problematik bei und kann durch
Konfrontation mit Reaktionsveränderung abgebaut werden
• Für die Therapie ist es wichtig, den Zusammenhang zwischen der
Zwangssymptomatik und der auslösenden bzw. aufrechterhaltenden
Hinterproblematik (z.B. familiäre Konflikte) zu verstehen und zu
bearbeiten
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (4.2)
Konfrontationsrational
Angststärke
Auslöser
Vermeidung
Katastrophenphantasien
z.B. „ich halt`s nicht mehr aus!“
Unterdrückung bzw.
dagegen Ankämpfen
Vermeidung durch
Ablenkung
Erfolgreiche
Konfrontation
Zeit
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen (4.3)
Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Modell
Angemessene
Bewertung
„Der Gedanke ist normal,
ich lasse ihn vorbeiziehen!“
Auslöser
z.B.
Ärger über das
Kind
Automatische aufdringliche
Gedanken mit Unbehagen
z.B. „Ich könnte mit das Kind
mit dem Küchenmesser verletzen!“
Zwangsgedanken/
-handlungen
zur
Neutralisierung
= aktive Vermeidung
„Ich muss etwas tun,
sonst passiert
etwas Schlimmes...!“
Unangemessene
Bewertung
„Ich darf das nicht denken,
sonst passiert es!“
z.B. Schublade mit
Küchenbesteck kontrollieren
Überblick zur Behandlung von Zwangsstörungen (1)
• VT: Konfrontation mit Reaktionsverhinderung
• VT: Kognitive Therapie
- Verstehen von Zusammenhängen
- Neubewertung der Stimuli, Reaktionen, Konsequenzen
• Medikamentöse Behandlung (v.a. SSRI)
• Ergänzung: Systemische Therapie-Perspektive
Überblick zur Behandlung von Zwangsstörungen (2)
Effektivität der Behandlung von Zwängen (Reinecker, 2009):
•Prä-Post-Vergleiche bei VT:
80 – 90% Erfolg (was heißt das?)
hohe Effektstärken (bis 1,4)
stabile Langzeiteffekte: 70%
Rückfälle nach 1-4 Jahren: 20-30%
• Medikamentöse Behandlung:
SSRI deutlich besser als
Trizyklische Antidepressiva,
MAO-Hemmer, Anxioloytika
• Sonstige Psychotherapie
(auch Systemische Therapie)
keine kontrollierten Studien (?)
Verhaltensmedizinische Behandlung
von Zwangsstörungen (AHG Klinik Berus)
Symptome
Zwang
Vorbeugen
Hintergrundebene
„Zwangslage“
Auslöser - Folgen
Bewältigen
Therapie am Symptom: Therapieziele
(Bewältigen)
• Abbau der automatischen, aufdringlichen
Zwangsgedanken
Bewältigen
Symptome
Zwang
Hintergrundebene
„Zwangslage“
• Abbau der Zwangshandlungen
zur Neutralisierung
• Abbau des passiven Meideverhaltens
Therapie am Symptom: Therapiemethoden
(Bewältigen)
• Konfrontation mit Reaktionsverhinderung
(Gewöhnung = Habituation)
Bewältigen
Symptome
Zwang
Hintergrundebene
„Zwangslage“
• Neubewertung / Einstellungsänderung
(kognitive Verhaltenstherapie)
• Ggf. medikamentöse Therapie
(Psychopharmaka)
Therapie am Symptom: Kognitive Vorbereitung
(Bewältigen)
• Diagnostik
Bewältigen
Symptome
Zwang
- Fragebogen
- Problemanalyse / Verhaltensanalyse
- Erklärungsmodell
• Therapiezielerstellung
Hintergrundebene
„Zwangslage“
- Veränderungsmodell
- Konfrontationsrational
- Hierarchie Konfrontationsübungen
- Vorbereitung der Konfrontation
in der Vorstellung
• Ggf. medikamentöse Therapie
mit Antidepressiva
(Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer)
Teufelskreis der Zwangsstörung
Reaktion R 2:
„Unangemessene Bewertung“
Reaktion R 3:
„Unbehagen“
Die aufdringlichen Gedanken
werden nicht toleriert
Negative Gefühle infolge
der aufdringlichen Gedanken
z. B. Angst, Unsicherheit,
Ekel, Abscheu
z.B. „das darf ich auf keinen Fall tun,
auch nicht denken!“
Reaktion R 1:
„Aufdringliche Gedanken“
Symptome
z.B. „Ich könnte mein Kind töten!“
„Das Haus könnte abbrennen!“
Reaktion R 5:
„Kurzfristige Beruhigung“
Reaktion R 4:
„Bewältigungsversuche“
Zwangsrituale (z.B. Kontrollieren,
Ordnen, Waschen, Putzen, Zählen)
und passives Meideverhalten
z.B. „Tür gar nicht erst anfassen“
Vorübergehendes Nachlassen
des Unbehagens,
anschließend erneute Beunruhigung
bei anhaltenden Zweifeln
Hintergrundebene
Auslöser
Folgen
z.B. Ärger-/Konfliktsituation,
Leistungssituation
z.B. Freiheitsverlust, Depression,
Probleme mit der Umwelt
Auswege aus dem Teufelskreis der Zwangsstörung
Reaktion R 2*:
„Angemessene Bewertung“
Reaktion R 3*:
„Unbehagen“
Die aufdringlichen Gedanken
werden toleriert
Rückgang der negativen Gefühle
und Anspannung
z.B. „das ist normal, ich darf das denken,
ich werde es deswegen nicht tun!“
Reaktion R 1:
„Aufdringliche Gedanken“
Reaktion R 4*:
„Konfrontation“
Symptome
Konfrontation mit Reaktionsverhinderung
d.h. Aushalten des Unbehagens
ohne Ritual oder Meideverhalten
z.B. „Ich könnte mein Kind töten!“
„Das Haus könnte abbrennen!“
Reaktion R 5*:
„langfristige Beruhigung“
Langfristiges Nachlassen
des Unbehagens
durch die positive Erfahrung,
daß die Katastrophe nicht eingetreten ist
Hintergrundebene
Auslöser
z.B. Ärger-/Konfliktbewältigung,
Selbstsicherheitstraining
Folgen
z.B. Wiedergewinn an Lebensqualität,
Aufbau eines sozialen Stützsystems
Strategien zum Spannungsabbau (1)
Äußere Ablenkung:
Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf Folgendes in meiner Umwelt richte, kann ich gut
entspannen (z.B. ich höre Radio oder lese Zeitung):
Innere Ablenkung:
Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf folgende Gedanken oder inneren Bilder richte, kann ich
gut entspannen (z.B. ich stelle mir den nächsten Urlaub vor):
Muskelentspannungsübung:
Die Entspannung folgender Muskelgruppen ist für mich besonders wichtig und diese Übung
nenne ich wie folgt (z.B. Nackenmuskelübung):
Sonstige Entspannungsform:
So kann ich mich gut entspannen (z.B. mit Musik hören):
Positives Denken:
Mit folgendem Satz bzw. folgender Einstellung im Umgang mit der Belastung kann ich mich
selbst beruhigen, ermutigen, mir helfen (z.B. „immer langsam, eins nach dem anderen“):
Strategien zum Spannungsabbau (2)
Atemtechniken:
Mit folgender Atemübung kann ich gut entspannen (z.B. Bauchatmung):
Körperliche Bewegung:
Mit folgender Art an Bewegung kann ich Spannung gut abbauen
(z.B. Gymnastik bei offenem Fenster, schnelles Gehen oder Laufen):
Hilfreiche Gespräche:
Es hilft mir, mit folgenden Personen über das, was mich belastet, zu sprechen:
Aufschreiben/Ausdrücken belastender Gedanken:
So kann ich meine belastenden Gedanken sonst noch ausdrücken (z.B. Tagebuchschreiben,
Briefschreiben, Malen)
Sonstige Strategie zum Spannungsabbau:
Folgendes hilft mir sonst noch Spannung abzubauen:
Konfrontation mit Reaktionsverhinderung (1)
•Ziel der Konfrontation mit Reaktionsverhinderung
- Positive Erfahrung des Ausbleibens der befürchteten Katastrophe
- Spannungsrückgang ohne Neutralisierungsversuche (Meideverhalten)
Wichtige Unterscheidung:
- passives Vermeiden (im vorhinein) ≠ aktives Vermeiden (Neutralisierungsversuche)
- gedankliches Vermeiden ≠ Vermeiden im beobachtbaren Verhalten
•Kognitive Vorbereitung
- Konfrontationsrational
- Hierarchie von Konfrontationsübungen
- Konfrontation in der Vorstellung (in sensu)
- Motivationsprüfung
- Verhalten in der Übungssituation vorbesprechen
Wichtigste Regel: Sich solange mit der Situation
ohne gedankliches Vermeiden bzw.
Vermeiden im Verhalten konfrontieren,
bis die Erregung von alleine wieder abgeklungen ist
Konfrontation mit Reaktionsverhinderung (2)
•Durchführung der Konfrontation mit Reaktionsverhinderung
- Durchführung in der Realität (in vivo)
- Konfrontation mit den Auslösern und Zwangsgedanken
ohne Neutralisierungsversuche (Reaktionsverhinderung)
- Am wirkungsvollsten massierte Konfrontation:
beginnend mit der schwersten Situation,
aber: gute Vorbereitung notwendig (sonst Abbruchgefahr!)
andernfalls graduierte Konfrontation: beginnend mit Situationen,
die nur leichte Angst auslösen, mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad
- Definition eines konkret überprüfbaren Erfolgskriteriums
z.B. Erregung auf den Ausgangswert vor der Übung zurückgegangen
- Wiederholtes Üben, bis die Situation ohne Schwierigkeiten bewältigt wird
- Häufigkeit und Dauer: individuell festzulegen
(z.B. 10 - 15 mal, meist 1 bis 2 Stunden wöchentlich)
- Zunächst in therapeutischer Begleitung, dann in Eigenregie
•Kognitive Nachbereitung
- Analyse günstiger / ungünstiger Umweltbedingungen
- Analyse von Erfolg und Misserfolg (Lernen aus Lösungen und Fehlern)
- Reflexion von Ursachenzuschreibungen (z.B. „was habe ich gut gemacht?“)
- Selbstverstärkung („Wie belohne ich mich nach der Übung?“)
Therapeutenaufgaben bei der Durchführung von
Zwangskonfrontation mit Reaktionsverhinderung
(Lakatos & Reinecker, 2001)
• Verstärkung und Ermutigung
• Fokussieren auf die Angstkomponenten,
Unterstützen der emotionalen Prozesse
• Modell-Funktion
• Optimale Nutzung der Erfahrungen aus der Exposition
zur Erreichung kognitiver Veränderungen
7 Schritte bei Konfrontationsübungen
mit Reaktionsverhinderung
• Kognitive Vorbereitung
- Konfrontationsrational
- Regeln für Konfrontation mit Reaktionsverhinderung
• Sammlung von zwangauslösenden bzw. -verstärkenden Situationen
• Entscheidung und Auswahl
- welche Situationen will ich üben?
- realistische, selbst erreichbare Zielsetzung
• Hierarchie für den jeweiligen Situationstyp nach Schweregrad
• Vorbereitungsblatt für Konfrontationsübungen
- nächste Übung
- Vermeidungsstrategien (aktives und passives Vermeiden /
Neutralisierungsversuche)
- Abbruch- bzw. Erfolgskriterium
• Durchführung
- in Begleitung von Therapeuten
- allein ohne Begleitung
• Nachbesprechung
- Erkennen und Bewerten von Erfolg / Misserfolg
- Verstärkung / Selbstverstärkung
Liste passiv vermiedener Situationen
Was vermeide ich von vornherein ?
z.B. keine Türklinken mehr in öffentlichen Gebäuden anfassen (bei Waschzwang)
z.B. den Herd gar nicht erst anstellen (bei Kontrollzwang)
z.B. keine öffentliche Toilette mehr aufsuchen (bei Zwangsgedanken, an AIDS zu erkranken)
Liste von Neutralisierungsversuchen
Wie versuche ich, aufdringliche Gedanken und Unbehagen zu neutralisieren?
Gedankliche Strategien
z.B. Zählen, Kopfrechnen, beten oder andere Form der gedanklichen Ablenkung
Verhaltens-Strategien
z.B. Hände waschen, Wäsche im Schrank ordnen, Herd kontrollieren
Hierarchie von Übungssituationen
Ordnen Sie bitte Ihre Übungssituationen dem Schwierigkeitsgrad nach
Reihenfolge
Übungssituation
wann, wo, wie genau, wer
dabei?
Erwarteter
Schwierigkeitsgrad
0 - 100 %
(min.- max.)
Übungserfolg
(Begründung)
++ / + / 0 / - / --
AHG KLINIK BERUS
Vorbereitungsblatt für Zwangskonfrontationsübungen
mit Reaktionsverhinderung
Vorname, Name:
Team:
Datum:
• Folgendes übe ich als Nächstes:
- wann:
- wo:
- wie:
• So vermeide ich üblicherweise:
- Passives Meideverhalten (von vornherein):
- Gedankliche Neutralisierungsversuche:
- Neutralisierungsversuche im Verhalten:
• Folgende goldene Regel ist
bei dieser Übung für mich wichtig:
-
• Ich kann meine Übung erfolgreich beenden
- wenn:
© AHG Klinik Berus 2010
Mögliche Übungen zur Zwangskonfrontation
mit Reaktionsverhinderung (1)
Zwangsform
Zwänge allgemein
Mögliche Übung
Länger dauernde
Zwangskonfrontation mit
Reaktionsverhinderung
Mögliches Ziel/Erfolgskriterium
Deutlicher Spannungsabfall
bis auf ein moderates, stabiles Niveau
Bemerkungen
Dauer der Sitzung abhängig vom
Einzelfall, in der Regel 1,5 bis 2
Stunden
Spannungsabfall möglicherweise
nicht ganz bis auf das
Ausgangsniveau, sollte aber
deutlich wahrnehmbar und stabil
sein
Kontrollzwänge
Waschzwänge/
Kontaminierungsängste
Haus verlassen ohne Tür, Fenster, Situation ohne Kontrolle aushalten
Licht, Herd zu kontrollieren
bzw. sich so verhalten, wie es NichtZwängler in dieser Situation
In der Klinik: Lehrküche verlassen normalerweise tun würden (z.B. Tür
nach An- und Ausschalten des
nicht kontrollieren, Geld einmal kurz
Herdes, selbst anschließen
nachzählen, Abrechnung einmal kurz
kontrollieren)
Verantwortungsabgabe an andere
muss verhindert werden!
„unsaubere“ oder „verseuchte“
Dinge anfassen ohne
anschließendes Händewaschen
bzw. Reinigen/Dekontaminieren,
z.B. Türen, Geländer, Geld,
Toilettendeckel
Das strikteste, gerade noch
tolerierbare Vorgehen wählen,
Anspannung aushalten und für den
Rest des Tages bis zum nächsten
Morgen das
Waschen/Duschen/Reinigen
unterlassen (z.B. Wasserhaupthahn
abstellen)
Genaue Definition von
Notwendigkeit und Ausmaß der
Kontrolle!
bei unvermeidlichem Reinigen die
Waschmittelmenge, Häufigkeit und
Dauer des Waschens erfragen und
das Ziel genau definieren
Mögliche Übungen zur Zwangskonfrontation
mit Reaktionsverhinderung (2)
Zwangsform
Mögliche Übung
Mögliches Ziel/Erfolgskriterium
Bemerkungen
Ordnungszwang
Putzzwang
Zimmer/Wohnung in Unordnung Spannung ohne Aufräumen/Putzen bis
bringen und anschließend bis
zum nächsten Morgen aushalten
zum nächsten Morgen nicht
aufräumen/putzen
Vorher genau erfragen, wo der
Zwang auftritt und nur diese
Situationen üben
(Verantwortungsübernahme)
Zwangsgedanken
Aufdringliche Gedanken
Klar definierte Übungszeit, z. B. 1,5
aufschreiben, auf ein Endlosband Stunden am Stück täglich
sprechen, sich täglich wiederholt
ohne Neutralisierungsversuche
anhören
Ersatzweise mehrfaches lautes
Aufsagen in Gegenwart anderer
Wichtig:
nicht nur in den Therapiesitzungen sollte geübt werden sondern gerade auch dazwischen bei
therapeutischen Hausaufgaben
(je ca. 1,5 bis 2 Stunden am Stück, mehrmals pro Woche)
Kognitive Therapie von Zwangsstörungen (1)
(nach Emmelkamp & van Oppen, 2000)
•Vermittlung eines Erklärungsmodells
Umbewertung durch Verstehen der Zusammenhänge
Methode:
- Information über Zwangsstörungen
Situation ⇒ Gedanken ⇒ Gefühl ⇒ Verhalten
Wichtige Unterscheidung:
Intrusionen (normal) ≠ automatische negative Gedanken (änderbar)
z.B. „ich könnte das Kind mit dem Küchenmesser erstechen ich darf das nicht denken, sonst passiert es!“)
•Identifikation und Selbstbeobachtung von Zwangsgedanken und-verhalten
Gedankenänderung erst durch Bewusstmachen möglich
Methode:
- Zwangsprotokolle ⇒ Verhaltensanalyse
Kognitive Therapie von Zwangsstörungen (2)
(nach Emmelkamp & van Oppen, 2000)
•Korrektur der Fehlinterpretationen durch Neubewertung
Unrealistische Interpretationen
z.B. „Wenn ich den Herd nicht kontrolliert habe,
bevor ich das Haus verlasse, brennt es ab!
Methoden:
- Diskutieren mit geleitetem Entdecken („sokratischer Dialog“): Pro-Contra-Liste
- Zwei-Spalten-Technik ⇒ alternative Bewertungen entdecken
- Hypothetische Fragen („angenommen, dass ...“)
- Verhaltensexperimente ⇒ Erfahrung bei Konfrontation mit Reaktionsverhinderung
•Korrektur der Bewertungen der Zwangsgedanken
Unangemessene Bewertung der eigenen aufdringlichen Gedanken als „unnormal“
Methode:
- Information über Häufigkeit und Art sich aufdrängender Gedanken
bei Menschen ohne Zwängen
z.B. bei fast 90% nicht-klinischer Vergleichsgruppen fanden sich
aufdringliche Gedanken (im Überblick Emmelkamp & van Oppen, 2000)
Kognitive Therapie von Zwangsstörungen (3)
(nach Emmelkamp & van Oppen, 2000)
•Korrektur der Überschätzung von Katastrophen
Überschätzung der Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe
Überschätzung der Konsequenzen der Gefahr
Methode:
- Wahrscheinlichkeitsprüfung (Summe der Einzelwahrscheinlichkeiten)
•Korrektur der Überschätzung der eigenen Verantwortung
Überschätzung des Ausmaßes der Verantwortung
Überschätzung der Konsequenzen des Ausmaßes der Verantwortung
Methoden:
- Tortendiagramm der Verantwortlichkeiten
- Sokratischer Dialog mit Erläuterung der Folgen des Verantwortlichseins
- Verhaltensexperimente mit Angabe der Verantwortlichkeit
Kognitive Therapie von Zwangsstörungen (4)
(nach Emmelkamp & van Oppen, 2000)
•Korrektur des Bedürfnisses nach Perfektion
Perfektionismus
Methoden:
- Vor- und Nachteile perfektionistischen Verhaltens (Pro-Contra-Liste)
- Zwangsprotokolle ⇒ Identifikation und Änderung der zentralen Grundannahmen
z.B. „Ich bin nichts wert, wenn ich einmal einen Fehler mache“
- Eindimensionales versus mehrdimensionales Denken
z.B. „was zeichnet eine schlechte versus gute Mutter aus?“
•Korrektur des falschen Einschätzens der Konsequenzen der Angst
Angst vor der Angst
Methoden:
- Informationen sammeln über Konsequenzen der Angst
- Verhaltensexperimente („Angst haben ist normal ...“)
Pro- und Contra-Liste für negative Gedanken
Negativer Gedanke
Pro
z.B. Wenn ich nicht mindestens 10 mal kontrolliere, ob die Haustür auch wirklich
abgeschlossen ist, bevor ich weggehe, könnte jemand einbrechen und alles ausräumen!
Typisches
Gedankenmuster
(irrationale Überzeugung)
Contra
Ich muss hundertprozentig sicher sein, dass nichts
Schlimmes passiert!
Immer auf 100 % Sicherheit
gehen
(Bedürfnis nach Perfektion)
Es gibt kein Leben ohne Risiko bzw. mit hundertprozentiger Sicherheit – ich will lernen, damit
umzugehen!
Wenn jemand in unser Haus einbricht, wäre das
eine Katastrophe!
Überschätzung von Katastrophen
Wir haben eigentlich nichts besonders Wertvolles,
was einen Einbrecher interessieren könnte;
außerdem sind wir versichert!
Wenn ein Einbrecher kommt und in unser Haus
eindringt, bin ich ganz alleine schuld!
Überschätzung der
eigenen
Verantwortlichkeit
Wenn bei unseren Nachbarn eingebrochen worden
wäre, würde ich in jedem Fall immer den Einbrecher
und nicht unseren Nachbarn für den
Hauptschuldigen halten (zweierlei Maßstab)!
Die Haustür muss immer verschlossen sein, sonst
kommt ein Einbrecher ins Haus!
Überschätzung negativer
Konsequenzen
Ein Einbrecher hätte auch andere Möglichkeiten,
ins Haus zu kommen, selbst wenn die Haustür
verschlossen wäre!
Ich muss wiederholt kontrollieren und sehen, ob
die Haustür auch wirklich verschlossen ist, sonst
kann ich nicht sicher sein, dass es auch so ist!
Mangelndes Vertrauen in das
eigene Gedächtnis
Wenn ich abschließe, genügt das; blinde Menschen
müssen auch damit zurecht kommen!
Neubewertung der Situation
mit Änderung des
negativen Gedankens
z.B. Wenn ich das Haus verlasse, schließe ich wie immer ab und gehe weg, ohne weiter zu
kontrollieren; ich will lernen, meinem Gedächtnis wieder zu vertrauen und mit Risiken zu
leben, um endlich wieder ohne Zwänge leben zu können!
Wahrscheinlichkeitsprüfung für negative Gedanken
(modifiziert nach Ecker, 2000)
Automatischer negativer Gedanke
Wahrscheinlichkeit,
mit Befürchtung eines
negativen Ereignisses
dass das negative Ereignis
tatsächlich eintritt
Wenn ich nicht mindestens 10 mal überprüft habe, ob
der Herd auch wirklich aus ist, bevor ich das Haus
verlasse, könnte das Haus niederbrennen!
20 %
Handlungs- / Ereigniskette
Einzelwahrscheinlichkeit
1. Herd nicht richtig aus
1/10
2. Etwas Brennbares, z.B. Küchenhandtuch, liegt auf
dem Herd und fängt Feuer
1/10
3. Funkenflug entzündet Dunstabzugshaube
bzw. Küchenschrank
1/10
4. Es wird nicht gleich bemerkt
1/100
5. Niemand ruft die Feuerwehr, alles ist zu spät
1/100
Gesamtwahrscheinlichkeit
= Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten
Neubewertung der Situation
mit Änderung des
negativen Gedankens
1/10 x 1/10 x 1/10 x 1/100 x 1/100
= 1/10 000 000
Ich nehme das äußerst geringe Risiko für meine
(Zwangs-) Freiheit in Kauf und verzichte auf die
Kontrollen – eine hundertprozentige Sicherheit gibt es
nicht!
Verhaltensexperiment
(nach Emmelkamp und van Oppen, 2000)
Vor dem Versuch ausfüllen
1
Schilderung automatischer Gedanken vor dem Experiment:
2
Beschreibung des Versuchs:
3
Glaubwürdigkeit der automatischen Gedanken vor dem Versuch:
0
10
20
30
40
50
60
70
4
Beschreibung alternativer Gedanken vor dem Versuch:
5
Glaubwürdigkeit der alternativen Gedanken vor dem Versuch:
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
80
90
100
90
100
90
100
Nach dem Versuch ausfüllen
6
Wie ist der Versuch verlaufen?
7
Glaubwürdigkeit der automatischen Gedanken nach dem Versuch:
0
8
10
20
30
40
50
60
70
80
Glaubwürdigkeit der alternativen Gedanken nach dem Versuch:
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Tortendiagramm: Verantwortlichkeit
(Beispiel: KFZ-Mechaniker-Lehrling bei Reparatur einer Bremsanlage)
Endkontrolleur:
übersieht Fehler bei
Endkontrolle
33%
Kunde:
fährt ohne Testung sofort los
2%
Materialfehler
2%
Ich selbst (Lehrling):
mangelde Erfahrung
5%
Meister:
überprüft Ergebnis nicht
33%
Kollege / Geselle:
arbeitet unzuverlässig
25%
Verantwortlichkeitsprüfung
(modifiziert nach Emmelkamp und van Oppen, 2000)
Automatischer negativer Gedanke
mit Zuschreibung der Verantwortlichkeit
auf die eigene Person
Einschätzung der eigenen
Verantwortlichkeit
(vor Überprüfung und Korrektur)
%
Tortendiagramm: Verantwortlichkeit (%)
Neubewertung der Situation
mit Änderung des
negativen Gedankens
Einschätzung der eigenen
Verantwortlichkeit
(nach Überprüfung und Korrektur)
%
Eindimensionales versus mehrdimensionales Denken
(nach Emmelkamp und van Oppen, 2000)
Ich
Renate
Mutter
Gisela
------------X----------------------X-----------------------X---------------- -----X-------------------
schlechte Hausfrau
0%
gute Hausfrau
100 %
Ich
Renate
Gisela
Mutter
-------X------------X-----------X----------------X---------------------------------------------------
schmutziges Haus
sauberes Haus
Ich
Gisela
Mutter
Renate
--------------X-------X------------------X---------------------X-------------------------------------
ungemütlich
gemütlich
Mutter
Renate
Ich
Gisela
----------X--------------X-------X----------------------------X--------------------------------------
schlecht kochen
gut kochen
Gisela
Mutter
Ich
Renate
--------------X------------X---------X----------- -X--------------------------------------------------
keine Zeit für die Kinder
Zeit für die Kinder
Ich
Renate
Mutter
Gisela
---------------------X------X------------X--------- --X-----------------------------------------------
Therapie am Symptom vorbei: Therapieziele
(Vorbeugen)
• Befreiung aus der subjektiven „Zwangslage“
- Abbau der Grundanspannung
- Lösung der Alltagsprobleme
auf der Hintergrundebene
in Beruf, Partnerschaft und
Familie, Sozialkontakten,
Freizeit, Finanzen
Symptome
Zwang
Vorbeugen
• Ressourcenausbau
- Auf- und Ausbau persönlicher
Stärken und Kompetenzen
- Auf- und Ausbau der Umweltressourcen
in Beruf, Partnerschaft und Familie,
Sozialkontakten, Freizeit, Finanzen
Hintergrundebene
„Zwangslage“
Therapie am Symptom vorbei: Therapiemethoden
(Vorbeugen)
• Verbesserter Spannungsabbau
(z.B. Entspannungsverfahren, Sport)
Symptome
Zwang
Vorbeugen
• Verbesserte Selbstsicherheit
und Problemlösefähigkeit
(z.B. Selbstsicherheits- und Problemlösetraining)
• Ressourcenausbau
(z.B. Genusstraining, Aktivitätsplanung,
Ausbau des sozialen Stützsystems)
Hintergrundebene
„Zwangslage“
Waagemodell der seelischen und körperlichen
Gleichgewichts
Ist
Soll
Belastungen
Ressourcen
Suche nach
Entlastungsmöglichkeiten
Ausbau der
Ressourcen
Befreiung aus der „Zwangslage“,
Bearbeitung der Hintergrundprobleme
Ausbau persönlicher Stärken
Ausbau des Stützsystems
Präventions-Plan
(Langfristiges Vorbeugen)
Worauf will ich bei meiner zukünftigen Lebensplanung achten,
um nicht wieder in eine Zwangslage zu geraten?
• Beruf:
• Partnerschaft/Familie:
• Kontakte:
• Freizeit:
• Finanzen:
• Wohnsituation:
• Gesundheit:
Rückfall- oder Krisenbewältigungs-Plan
An folgenden Warnsignalen merke ich, wenn ich einen Rückfall habe
oder in eine Krise gerate:
Auslöser dafür könnten in der nächsten Zeit sein:
Folgende Gedanken könnten mir hilfreich sein, wenn es mir wieder schlechter geht:
Folgende Krisenbewältigungsstrategien haben mir in der Regel gut geholfen:
Bei folgenden Anlaufstellen kann ich mir Hilfe holen:
Wenn ich einen Rückfall oder eine Krise gut bewältigt habe, sage ich mir:
Systemische Therapie-Perspektive (1)
Funktionalität der Symptome und „IP“
Bewältigen
Symptome
Zwang
Hintergrundebene
„Zwangslage“
• Klinische Erfahrung: Zwang als Versuch, eine Zwangslage
im sozialen System (meist Partnerschaft, Familie) zu lösen
• Zwangspatient/in als „Identifizierte/r Patient/in“ bzw. als
Symptomträger/in eines dysfunktionalen und emotional
belasteten sozialen Systems
Systemische Therapie-Perspektive (2)
Familienkonstellationen: Triaden und Konflikte
V
+
+
V
M
+
V
+
-
M
+
V
-
+
+
K
K
K
-
-
-
-
M
+
K
V
+
M
-
K
V
M
-
M
-
K
Systemische Therapie-Perspektive (3)
Beispiele für Funktionalität der Symptome
• Rückversicherung bei geringer Risikobereitschaft (P) u.
starker Sanktionierung von Fehlern (U)
• Konfliktvermeidung bei hoher Ärgerbereitschaft (P) u.
sozialen Konfliktpotentialen (U)
• Macht-Gewinn bei Selbstunsicherheit (P) u. „Unterdrückung“ (U)
• Macht-Gewinn bei hohem Anspruch/geringer
Frustrationstoleranz (P) u. Beziehungskonflikten (U)
• Zuwendung bzw. Aufmerksamkeit bei hohem Anerkennungsbedürfnis (P) und emotionaler Vernachlässigung (U)
• Nähe-Distanz-Regulation bei Abgrenzungsschwierigkeiten (P)
u. sozialem Druck (U)
Systemische Therapie-Perspektive (4)
Familienbotschaften und „innere Antreiber“
• Der Perfektionist: „Mache immer alles perfekt!“
• Der Starke: „Sei stark und zeige keine Schwäche!“
• Der Siegertyp: „Sei immer der Beste!“
• Der Pflichtbewusste: „Erst die Arbeit und dann das Vergnügen!“
• Der Helfer: „Sei immer für die anderen da!“
• Der Soziale: „Mache es den anderen recht!“
• Der Kompromissbereite: „Nimm Rücksicht und sei kein Egoist!“
Systemische Therapie-Perspektive (5)
Lerngeschichte der „inneren Antreiber“
• Positive Verstärkung (Belohnung) in der Eltern-Kind-Beziehung
z.B. Lob, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Zuwendung
• Bestrafung oder Drohungen in der Eltern-Kind-Beziehung
z.B. Tadel, Schimpfen, Schweigen, Liebesentzug, Gewalt
• (Positive) Modelle wie Eltern, Großeltern, ältere Geschwister usw.
„So will ich mal werden!“
• (Negative) Anti-Modelle wie Eltern, Großeltern, ältere Geschwister usw.
„So werde ich auf keinen Fall!“
• Erfahrungen in Schule, Ausbildung, Beruf und sonstigem Umfeld
• usw.
Häufige Probleme von Menschen mit Zwängen
(„Zwangslagen“ auf der Hintergrundebene)
• Selbstunsicherheit und Selbstwertprobleme
• Perfektionismus, hohes Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis
• Starke Normorientierung, mangelnde Ablösung
von der Ursprungsfamilie
• Schwierigkeiten mit Ärgerbewältigung
und Konfliktlösung
bei Partner- und familiären Konflikten
• Traumata wie sexueller Missbrauch, Misshandlung
• Ausgeprägte Persönlichkeitsstile
Literaturbeispiele für Fachleute (1)
Büttner-Westphal, H. & Hand, I. (1991). Die Yale-Brown Obsessive Compulsive
Scale (Y-BOCS): Ein halbstrukturiertes Interview zur Beurteilung des Schweregrades
von Denk- und Handlungszwängen. Verhaltenstherapie, 1, 226-233.
Ecker, W. (1994). Stationäre Verhaltenstherapie bei Zwangsneurosen. In: M. Zielke
& J. Sturm (Hrsg.), Handbuch stationäre Verhaltenstherapie (511-519). Weinheim:
Beltz/PVU.
Emmelkamp, P.M.G. & van Oppen, P.(2000). Zwangsstörungen. Göttingen: Hogrefe.
Goodman, W.K., Price, L.H., Rasmussen, S.A., Mazure, D., Delgado, P., Heninger, G.R.
& Charney, D.S. (1989). The Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale – I.
Developmant, use and reliability. Archieves of General Psychiatry, 46, 1012-1016.
Hoffmann, N. (2000). Zwangsstörungen. In: M. Hautzinger (Hrsg.), Kognitive
Verhaltenstherapie bei psychischen Störungen (147-176). Weinheim: Beltz/PVU.
Hoffmann, N. (2005). Zwangsstörungen. In: M. Hautzinger & M. Linden (Hrsg.),
Verhaltenstherapiemanual. Heidelberg: Springer.
Literaturbeispiele für Fachleute (2)
Reinecker, H. (2009). Zwangshandlungen und Zwangsgedanken. Göttingen:
Hogrefe.
Lakatos, A. (2004). Zwangsstörungen. In: E. Leibing, W. Hiller, S.K.D. Sulz (Hrsg.),
Lehrbuch der Psychotherapie, Bd. 3 Verhaltenstherapie (273-283). München: CIPMedien.
Lakatos, A. & Reinecker, H. (2001). Kognitive Verhaltenstherapie bei
Zwangsstörungen. Ein Therapiemanual. Göttingen: Hogrefe.
Ruhmland, M. & Margraf, J. (2001). Effektivität psychologischer Therapien von
spezifischer Phobie und Zwangsstörung: Meta-Analysen auf Störungsebene.
Verhaltenstherapie, 11, 14-26.
Salkovskskis, P.M. & Kirk, J. (1996). Zwangssyndrome. In: J. Margraf (Hrsg.),
Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Bd. 2: Störungen - Glossar (61-85). Berlin:
Springer.
Voderholzer, U. & Külz, A.K. (2007). Zwangsstörungen. Psychiatrie und
Psychotherapie up2date 1/2007, 197-212.
Literaturbeispiele für Betroffene und Angehörige
Baer, L. (1993). Alles unter Kontrolle. Zwangsgedanken und Zwangshandlungen
überwinden. Bern: Verlag Hans Huber.
Ciupka, B. (2001). Zwänge – Hilfe für ein oft verheimlichtes Leiden. Düsseldorf:
Walter-Verlag.
Ecker, W. (2000). Die Krankheit des Zweifelns. Wege zur Überwindung von
Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. München: CIP-Medien.
Fricke, S. & Hand, I. (2010). Zwangsstörungen verstehen und bewältigen. Hilfe zur
Selbsthilfe. Bonn: Balance Buch- und Medienverlag.
Hoffmann, N. (1996). Wenn Zwänge das Leben einengen. Zwangsgedanken und
Zwangshandlungen. Ursachen, Behandlungsmethoden und Möglichkeiten der
Selbsthilfe. Mannheim: PAL Verlag.
Klepsch, R. & Wilcken, S. (1998). Zwangshandlungen und Zwangsgedanken: Wie
Sie den inneren Teufelskreis durchbrechen. Stuttgart: Trias.
Reinecker, H. (2006). Ratgeber Zwangsstörungen. Informationen für Betroffene und
Angehörige. Göttingen: Hogrefe.
Rufer, M. & Fricke, S. (2009). Der Zwang in meiner Nähe. Rat und Hilfe für
Angehörige zwangskranker Menschen. Bern: Verlag Hans Huber.
Anlaufstelle
Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen
Geschäftsstelle der DGZ
Postfach 70 23 34
22023 Hamburg
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(040) 689 13 700
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