Psychiatrie Vor 4 Zwangsstörungen Definition: Als Zwangsstörung werden Krankheitsbilder bezeichnet, bei denen Zwangsgedanken, Zwangsimpulse und/oder Zwangshandlungen im Vordergrund der Symptomatik stehen. Unter der Bezeichnung Zwang werden Vorstellungen, Handlungsimpulse und Handlungen zusammengefasst, die sich stereotyp wiederholen, sich einem Menschen aufdrängen und gegen deren Auftreten er sich vergebens wehrt. Zwangserscheinungen werden als dem eigenen Ich zugehörig, jedoch meist als unsinnig und bedrohlich erlebt. Sie können auch im Rahmen anderer psychischer Erkrankungen (insbesondere Psychosen) vorkommen Auch beim gesunden Menschen kommen zwangsähnliche Phänomene vor (gedankliches Beharren auf Melodien, striktes Bedürfnis nach Aufrechterhalten einer bestimmten Ordnung). Pathologische Zwangsphänomene beeinträchtigen einen Patienten in seinem gesamten Denken, Handeln und sozialen Verhalten. Es kommt evtl. zu sozialer Isolierung. Historisches: Eine eigenständige Zwangserkrankung wurde erstmals im Jahre 1838 von dem französischen Psychiater Esquirol beschrieben. 1894 entwickelte Sigmund Freud ein analytisches Modell zur Entstehung von Zwangssymptomen und beschrieb die Zwangsneurose. Im letzten Jahrzehnt wurden dann erstmals operationale Kriterien für die Zwangsstörung entwickelt. Epidemiologie: Die Lebenszeitprävalenz liegt bei 1-2%. Erkrankungsbeginn ist meist im Alter zwischen 20 und 25 Jahren. Ein Beginn im späteren Lebensalter oder in der Kindheit ist möglich. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen. Die häufigste Komorbidität findet sich zu: -depressiven Störungen -Phobien -Alkoholmissbrauch -Essstörungen. Ätiopathogenese: Organische und psychologische Faktoren spielen zusammen. Das serotonerge System ist von besonderer Bedeutung. Zwischen der anankastischen Persönlichkeit und Zwangsstörungen besteht kein zwingender Zusammenhang. Neurobiologische Befunde: Eine besondere Bedeutung wird einer Störung in der Funktion der Basalganglien, des limbischen Systems und des Frontalhirns zugesprochen. Im Zusammenspiel dieser Himstrukturen spielt insbesondere Serotonin eine wesentliche Rolle. Für eine biologisch bedingte erhöhte Vulnerabilität sprechen auch neuere genetische Untersuchungen (höhere Konkordanzraten bei eineiigen als bei zweieiigen Zwillinge). Neurobiologische Theorien alleine können jedoch das Auftreten und die Komplexität von Zwangsstörungen nicht erklären. Psychodynamische Theorien: In psychoanalytischen Konzepten wird eine Fixierung auf die anale Phase im Zusammenhang mit rigiden Erziehungsformen angenommen. Wichtige Abwehrmechanismen sind: Isolierung, Reaktionsbildung,Ungeschehenmachen, Intellektualisierung. Die Bildung von Zwangssymptomen stellt den Versuch dar, die beiden Bestrebungen miteinander zu verbinden (Konflikt zwischen Es und Über-Ich). Lerntheoretische Aspekte: Zwischen einem ursprünglich neutralen Gedankengang und einem angstbesetzten Stimulus soll eine Verbindung bestehen. Zwangshandlungen sind ein Versuch, angstbesetzte Situationen oder Befürchtungen zu bewältigen. Hat eine solche Handlung Erfolg (Angstreduktion), so wird sie in der Regel wiederholt. Die Zwangshandlung tritt dann an die Stelle der Angst. Symptomatik und klinische Subtypen Pathologische Zwangsphänomene wiederholen sich stereotyp, drängen sich auf,werden als sinnlos erlebt,können nicht vermieden werden. Eine scharfe Grenze zwischen normalem zwangsähnlichem Verhalten und pathologischen Zwangsphänomenen lässt sich nicht ziehen. Man unterscheidet: Zwangsgedanken, Zwangsimpulse, Zwangshandlungen. Zwangsgedanken: Häufigste Inhalte der Gedanke sich zu beschmutzen, dauernde und unlösbare Zweifel, der Gedanke, die eigene Gesundheit sei gefährdet Zwangsgedanken werden als sinnlos oder unsinnig empfunden. Der Versuch die Gedanken zu unterdrücken, misslingt in der Regel. Zwangsimpulse Beispiele für Zwangsimpulse: Impuls, eine Aggression gegen andere zu begehen, sexuelle Impulse, autoaggressive Impulse. Das Auftreten von Zwangsimpulsen löst meist intensive Angst aus. Die Gefahr der Ausführung solcher Handlungen ist extrem gering. Schutzmaßnahmen sind in der Regel nicht erforderlich. Zwangshandlungen Bei Zwangshandlungen sieht sich der Patient gezwungen, bestimmte Handlungen immer wieder auszuführen, obwohl sie als sinnlos empfunden werden. Die häufigste Zwangshandlung ist der Kontrollzwang. Dabei wird z.B. die Haustür 20-30-mal kontrolliert, obwohl sich der Patient bewusst ist, dass die Tür bereits verschlossen ist. Das Ausführen der Kontrollhandlung führt zu einer Reduktion der bestehenden inneren Spannung. Verschiedene Zwangshandlungen können sich zu komplexen Ritualen zusammenfügen. Weitere Beispiele: Waschzwang, zwanghaftes Nachfragen, Zählzwang. Diagnostik und Differenzialdiagnose Zwangsstörungen werden diagnostiziert, wenn Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen ganz im Vordergrund der Symptomatik stehen und Hinweise auf eine andere Störung fehlen (z.B. Schizophrenie, schwere Depression, Zeitkriterien: Wenigstens zwei Wochen müssen an den meisten Tagen Zwangsgedanken oder -handlungen oder beides nachweisbar sein. Diagnostisch wichtig sind auch die Folgen von Zwangsphänomenen (z.B. Beeinträchtigung des Tagesablaufes). Auf dem Gebiet der Testpsychologie hat sich die Yale-BrownObsessive-Compulsive-Rating Scale (Y-BOCS) bewährt. Differenzialdiagnose: -Wahnerkrankungen (z.B. Schizophrenien; Wahnphänomene werden dabei meist als von außen kommend erlebt.) -zwanghafte Verhaltensauffälligkeiten (Essstörungen, Störungen des Sexualverhaltens, Abhängigkeit -anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung -anankastische (zwanghafte) Depression Wichtige organische Differenzialdiagnosen: -Gilles-de-la Tourette-Syndrom -Chorea minor (Sydenham) -Enzephalitis -Intoxikation -zerebrale Ischämie Therapie Pharmakologische Therapie: Die besten therapeutischen Erfolge werden beim Einsatz von serotonergen Antidepressiva erreicht. Das am besten untersuchte trizyklische Präparat ist das Antidepressivum Clomipramin. Der Therapieerfolg besteht in erster Linie in einer besseren Kontrolle der Zwänge. Nichtpharmakologische Therapie: Im ärztlichen Kontakt ist es grundsätzlich wichtig, den Patienten mit seiner Zwangssymptomatik ernst zu nehmen. Es sollen Informationen über die Störung vermittelt werden. Die Patienten sollten auch darüber aufgeklärt werden, dass Zwangsgedanken in aller Regel nicht in die Tat umgesetzt werden. In der Verhaltenstherapie ist ein stufenweises Vorgehen wichtig. Entspannungsverfahren können damit kombiniert werden. Durch kognitive Therapien sollen die Patienten ihre Einstellung zum Zwangssymptom kennen lernen und ändern. Auf diese Weise kann es einem Patienten immer besser gelingen, sich von den eigenen Befürchtungen zu distanzieren und den Impulsen zu Zwangshandlungen Widerstand zu leisten. Eine andere Möglichkeit besteht im sogenannten „GedankenStopp". Dabei wird versucht, in dem Moment, in dem ein unerwünschter Gedanke auftritt, durch die Vorstellung oder durch das Vorsprechen des Wortes „Stopp„ den störenden Gedanken zu unterdrücken. Es ist wichtig, auch die nächste Umgebung einzubeziehen, um sozialen Rückzug und Isolierung zu vermeiden. Verlauf (Unbehandelte) Zwangsstörungen verlaufen meist chronisch mit schwankender Intensität. Sie neigen dazu, sich auszubreiten. Bei zunehmender Zwangssymptomatik kommen die üblichen Alltagsaktivitäten zu kurz. Neben sozialen Folgen (sozialer Rückzug, Isolation) gibt es auch körperliche Schädigungen (z. B. bei Waschzwang). Auch Suizidalität ist zu finden. Im letzten Jahrzehnt hat sich durch den kombinierten Einsatz von psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Verfahren eine deutliche Besserung der Prognose ergeben. Meist können eine deutliche Verminderung des Leidensdruckes und eine verbesserte Kontrolle und Bewältigung der Zwangssymptomatik erreicht werden. Komorbidität Gemeinsam mit Zwangsstörungen treten in erster Linie folgende Erkrankungen auf: Depressionen, Angststörungen Persönlichkeitsstörungen.