Hegels Begriff der Sittlichkeit in dessen Genese und in den Jenaer

Werbung
Ruhr-Universität Bochum
Fakultät für Philosophie, Pädagogik und Publizistik
HEGELS BEGRIFF DER SITTLICHKEIT
IN DESSEN GENESE UND IN DEN JENAER SYSTEMENTWÜRFEN
Inaugural-Dissertation
Zur Erlangung des akademischen Grades
eines Doktors der Philosophie
Vorgelegt von
KIHO NAHM
Aus Cheongpyeong, Korea
Dekan: Prof. Dr. Klaus Harney
Referent: Prof. Dr. Walter Jaeschke
Korreferent: Prof. Dr. Wolfgang Bonsiepen
Tag der mündlichen Prüfung: 12. Juni 2008
Bochum, März 2008
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
....................................................................
1
II. Sittliche Themen bis zu Jenaer Zeit .........................................................
1. Konzept der Volksreligion ..................................................................
1.1. Kritik an objektiver Religion ............................................................
1.2. Volksreligion und Sittlichkeit .........................................................
2. Leben als Vereinigung durch Liebe ....................................................
2.1. Kritik an Positivität ....................................................................
2.2. Neuschätzung der Positivität und Vereinigung ..................................
2.3. Liebe, Leben und Sittlichkeit ..........................................................
3. Jenaer Systementwürfe .....................................................................
3.1. Systematischer Ansatz
................................................................
3.2. Konzept des philosophischen Systems ........................................
3.3. Exkurs : Von der Natur- zur Geistesphilosophie ........................
3.4. Einführung in die Bewusstseinslehre .............................................
7
7
7
15
27
27
40
57
74
74
78
93
102
III. Von der Bewusstseinslehre bis zum sittlichen Subjekt
......................
1. Theoretisches Bewusstsein
.............................................................
1.1. Anschauung, und Raum und Zeit ....................................................
1.2. Erinnerung und Zeichen
.............................................................
1.3. Gedächtnis und Sprache
...........................................................
1.4. Verstand und Vernunft
.............................................................
2. Praktisches Bewusstsein
..............................................................
2.1. Begierde bzw. Trieb und Befriedigung .....................................
2.2. Arbeit und Werkzeug
...............................................................
2.3. Vernünftige List des Ich
............................................................
3. Totales Bewusstsein
.....................................................................
3.1. Genuss und Charaktere .............................................................
3.2. Liebe und Ehe
.........................................................................
3.3. Familienbesitz und Kind
...........................................................
IV. Volksstaatslehre der allgemeinen Sittlichkeit
...................................
1. Kampf um Anerkennung
............................................................
1.1. Ursprung des Kampfes um Anerkennung
.................................
1.2. Kritik am Naturrecht
...........................................................
112
112
112
124
129
133
147
147
160
168
174
174
183
190
199
199
199
209
1.3. Kampf und dessen Auflösung ....................................................
2. Volksgemeinschaft
...................................................................
2.1. Volk und Werk
...............................................................
2.2. Gesellschaftliche Tätigkeit der Anerkennung ............................
2.3. Anerkanntsein der Person als des gesellschaftlichen Subjekts .....
2.4. Gesetz als wirkliches Anerkanntsein
........................................
2.4.1. Familiengesetz
............................................................
2.4.2. Eigentumsgesetz
.........................................................
2.4.3. Gesetzliches Bestehen des Einzelnen
................................
2.4.3.1. Privatrechtsstreit
.....................................................
2.4.3.2. Strafrecht
............................................................
2.4.3.3. Gesetz im Leben des Volks
............................................
3. Staat
.....................................................................
219
231
231
243
261
284
288
292
298
298
303
308
311
V. Zum Schluss
..........................................................................
344
Bibliographie
.............................................................................
347
Siglen
Br
EI
E II
E III
FN
FS
GMS
GPR
HaD
HH
HLeben
HLP
HPR
HR
HS
Hegel, G. W. F.: Briefe von und an Hegel Bd. I, Hg. Hoffmeister, Johannes.
Hamburg 1961.
Hegel, G. W. F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im
Grundrisse 1817, Gesammelte Werke Bd. 13, Hg. Bonsiepen, Wolfgang u.
Grotsch, Kraus. Hamburg 2000.
Hegel, G. W. F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im
Grundrisse (1827), Gesammelte Werke Bd. 19, Hg. Bonsiepen, Wolfgang u.
Lucas, Hans-Christian. Hamburg 1989.
Hegel, G. W. F.: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im
Grundrisse (1830), Gesammelte Werke Bd. 20, Hg. Bonsiepen, Wolfgang u.
Lucas, Hans-Christian. Hamburg 1992.
Hegel, G. W. F.: Fragment einer Naturrechtsvorlesung (1802) in
Religionsphilosophie und spekulative Theologie Bd. 3/1, Hg. Jaeschke,
Walter. Hamburg 1994.
Hegel, G. W. F.: Frühe Schriften, Gesammelte Werke Bd. 1, Hg. Nicolin,
Friedhelm u. Schüler, Gisela. Hamburg 1989.
Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Kant Werke Bd.
IV, Darmstadt 1998.
Hegel, G. W. F.: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Theorie
Werkausgabe Bd. 7, Redaktion Moldenhauer, Eva u. Michel, Karl Markus.
Frankfurt am Main 1986.
Hegel und die antike Dialektik, Hg. Riedel, Manfred. Frankfurt am Main
1990.
Jaeschke, Walter: Hegel Handbuch, Stuttgart/Weimar 2003.
Rosenkranz, Karl: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, Darmstadt
1998.
Hegels Logik der Philosophie, Hg. Henrich, Dieter u. Horstmann, RolfPeter. Stuttgart 1984.
Hegels Philosophie des Rechts, Hg. Henrich, Dieter u. Horstmann, RolfPeter. Stuttgart 1982
Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen
Verfassungsgeschichte, Hg. Lucas, Hans-Christian u. Pöggeler, Otto.
Stuttgart-Bad Cannstatt 1986.
Hegel-Studien, Hg. Nicolin, Friedhelm u. Pöggeler, Otto bzw. Jaeschke
HSB
HStaata,
HStaatb
HWP
HZeit
JI
J II
J III
Jc
JKS
KpV
KrV
KU
MEW
MR
MSr, MSt
N
NH
PhG
Walter u. Siep, Ludwig. Bonn bzw. Hamburg seit 1961.
Hegel-Studien Beiheft, Hg. Nicolin, Friedhelm u. Pöggeler, Otto bzw.
Jaeschke Walter u. Siep, Ludwig. Bonn bzw. Hamburg seit 1963.
Rosenzweig, Franz: Hegel und der Staat Bd 1, Bd 2, München u. Berlin
1920.
Historisches Wörterbuch der Philosophie, Hg. Ritter, Joachim.
Basel/Stuttgart seit 1971.
Haym, Rudolf: Hegel und seine Zeit, Darmstadt 1962.
Hegel, G. W. F.: Jenaer Systementwürfe I, Gesammelte Werke Bd. 6, Hg.
Düsing, Klaus u. Kimmerle, Heinz. Hamburg 1975.
Hegel, G. W. F.: Jenaer Systementwürfe II, Gesammelte Werke Bd.7, Hg.
Horstmann, Rolf-Peter u. Trede, Johann Heinrich, Hamburg 1971.
Hegel, G. W. F.: Jenaer Systementwürfe III, Gesammelte Werke Bd. 8, Hg.
Horstmann, Rolf-Peter u. Trede, Johann Heinrich, Hamburg 1976.
Friedrich Heinrich Jacobi, Hg. Jaeschke, Walter u. Sandkaulen, Birgit.
Hamburg 2004.
Hegel, G. W. F.: Jenaer kritische Schriften, Gesammelte Werke Bd. 4, Hg.
Buchner, Hartmut u. Pöggeler, Otto. Hamburg 1968.
Kant, Immanuel: Kritik der praktischen Vernunft, Kant Werke Bd. IV,
Darmstadt 1998.
Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1971
Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft, Kant Werke Bd. V, Darmstadt
1998.
Karl Marx Friedrich Engels Werke Hg. Institut für Marxismus-Leninismus
beim ZK der SED. Berlin seit 1956.
Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie Bd. 2. Hg. Riedel, Manfred.
Frankfurt am Main 1975.
Kant, Immanuel: Die Metaphysik der Sitten, Kant Werke Bd. IV, Darmstadt
1998. Rechtslehre, Tugendlehre.
Hegel, G. W. F.: Hegels theologische Jugendschriften, Hg. Nohl, Herman.
Tübingen 1907.
Hegel, G. W. F.: Nürnberger und Heidelberger Schriften 1808-1817,
Theorie Werkausgabe Bd. 4, Redaktion Moldenhauer, Eva u. Michel, Karl
Markus. Frankfurt am Main 1986.
Hegel, G. W. F.: Phänomenologie des Geistes, Gesammelte Werke Bd. 9,
Hg. Bonsiepen, Wolfgang u. Heede, Reinhard, Hamburg 1980.
RH
RGV
SDO
SE
VÄ II
VGP
VGP II
VM II
VNS
VPG
VPW I
VPW IV
VR I, IV
WL I
WL I/I
WL II
Jaeschke, Walter: Die Religionsphilosophie Hegels, Darmstadt 1983.
Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft,
Kant Werke Bd. IV, Darmstadt 1998.
Kant, Immanuel: Was heisst: Sich im Denken orientieren?, Kant Werke Bd.
III, Darmstadt 1998.
Hegel, G. W. F.: Schriften und Entwürfe (1799-1808), Gesammelte Werke
Bd. 5, Hg. Baum, Manfred u. Meist, Kurt Rainer. Hamburg 1998.
Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Ästhetik II Theorie Werkausgabe Bd.
14, Redaktion Moldenhauer, Eva u. Michel, Karl Markus. Frankfurt am
Main 1986.
Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie.
Einleitung, Orientalische Philosophie, Hg. Jaeschke, Walter. Hamburg
1993.
Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Theorie
Werkausgabe Bd. 19, Redaktion Moldenhauer, Eva u. Michel, Karl Markus.
Frankfurt am Main 1986.
Hegel, G. W. F.: Vorlesungsmanuskripte II (1816-1831), Gesammelte Werke
Bd. 18, Hg. Jaeschke, Walter. Hamburg 1995.
Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft
Heidelberg 1817/18, Vorlesungen Ausgewählte Nachschriften und
Manuskripte Bd. 1, Hg. Claudia Becker u. a. Hamburg 1983.
Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Theorie
Werkausgabe Bd. 12, Redaktion Moldenhauer, Eva u. Michel, Karl Markus.
Frankfurt am Main 1986.
Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte Bd. I.
Die Vernunft in der Geschichte, Hg. Hoffmeister, Johannes. Hamburg 1970.
Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte Bd.
IV, Hg. Lasson, Georg. Hamburg 1968.
Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818-1831. Bd.1, 4,
Hg. Ilting, Karl-Heinz. Stuttgart-Bad Cannstatt 1973, 1974.
Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik I (1812/1813), Gesammelte Werke
Bd. 11, Hg. Hogemann, Friedrich u. Jaeschke, Walter. Hamburg 1978.
Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik I/I 1832, Gesammelte Werke Bd.
21, Hg. Hogemann, Friedrich u. Jaeschke, Walter. Hamburg 1985.
Hegel, G. W. F.: Wissenschaft der Logik II (1816), Gesammelte Werke Bd.
12, Hg. Hogemann, Friedrich u. Jaeschke, Walter. Hamburg 1981.
ZPF 35
Zeitschrift für Philosophische Forschung Bd. 35, Meisenheim/Glan 1981.
Bei Wörtern in griechischer Sprache steht aus technischen Gründen statt
des spiritus asper ein acutus.
I. Einleitung
Der Mensch ist von Natur aus frei. D. h. er denkt und will mit Freiheit, weil er dies
seinem Wesen nach kann. Das Denken ist das Erwägen des Allgemeinen, und das
Wollen ist das Verlangen aufgrund des erwogenen Allgemeinen, sei es im realen
Einzelnen, sei es rein idealiter. Indem der Mensch frei denkt und will, handelt er auch
als das freie Allgemeine. Seine Handlung ist die Realisierung seines Selbst, das im
Denken und Wollen Allgemeinheit erlangt. Das einzelne Selbst des Menschen ist also
immer das liberaliter verallgemeinerte Selbst. Jedes Einzelne hat gemäß seinem
allgemeinen Wesen Bestand. Und insofern mein Selbst allgemein ist, gilt es auch für
den anderen Einzelnen. Jeder Mensch ist dem Wesen nach frei und muss daher frei
bestehen können. Das, was seinen freien Bestand verhindert, ist Unwesen und
Nichtallgemeines. Wenn es mir am Brot mangelt, müsste ich es zum Bestehen, zum
Leben, haben und sogar dem Anderen nehmen können. Wenn der Andere sich seines
Brots nicht entäußern, sondern sich nur als Einzelnen erhalten will, müsste ich mit
meinem allgemeinen Willen für das Bestehen aller seine Einzelheit vernichten können.
Die Allgemeinheit meines Selbst gilt auch für ihn, und ich kann daher meinen
allgemeinen Willen in ihm durchsetzen.
Diese Beschreibung deutet an, dass das moralische Denken und Wollen auch zur
unmoralischen Handlung führen kann. Durch ein solches einfaches Nachdenken
hierüber ist diese Abhandlung motiviert. Die unmoralische Handlung ist demnach weder
einfach Akzidenz noch Fehler des moralisch denkenden Willens, denn jeder Verbrecher
rechtfertigt sich in einer gewissen allgemeinen Weise vor, während oder nach der Tat.
Seine Tat gründet auf seine vernünftige Selbstrechtfertigung. Das moralische Problem
ist gar kein Problem zwischen Vernunft und Unvernunft. Nicht deshalb, weil er nicht
hinreichend vernünftig denkt, will er ein Verbrechen, sondern eben deshalb, weil er trotz
der Unvollständigkeit seiner Vernunft doch vernünftig denkt und will, begeht er
Verbrechen. Nur wer sein Selbst verallgemeinern kann, kann sich auf den Anderen
beziehen. Insofern das Verbrechen die reale Anwendung des einzelnen Willens als
gemeinten Allgemeinen auf den Anderen ist, ist es, obzwar in beschränkter Weise,
dennoch vernünftig. Beim rechtlichen oder moralischen Problem im weiten Sinne geht
es also im Grunde genommen nicht um die Unvollständigkeit der Vernunft des Subjekts,
sondern gerade um die wesentliche Beschränktheit der subjektiven Vernunft selbst. Das
moralische Problem ist das Problem der Idealität und Realität der Vernunft. Nicht jede
idealiter gerechte Vernunft kann sich unmittelbar sowohl im Individuum als auch im
Staat realisieren. Die wahre Realisierbarkeit der subjektiven Vernunft beruht auf dem
1
realistischen Erkennen der bereits realisierten Vernunft in der natürlichen und
gesellschaftlichen Entität. Eine moralische Diskussion ohne diese ontologische Basis
kann überhaupt nichts mehr als ein subjektives Gespräch sein. Und die Moraltheorie der
subjektiven Vernunft bis heute kann sich zwar idealiter und anhaltend verallgemeinern,
aber nicht realiter und gründlich der unmoralischen Handlung gewachsen sein. Sie kann
sogar vielmehr mit dem Subjektivismus der Unmoral übereinstimmen. Zum Beleg
hierfür reicht es nur, einen Blick auf den allenthalben verübten Mord oder Krieg im
Namen der allgemeinen Idee des Subjekts zu werfen. Dann geht die Philosophie heute
wie zur Zeit Hegels auch “aus der Unsittlichkeit hervor” (JKS 81).
Hegel ist der einzige Philosoph in der Neuzeit, der auf der ontologischen Basis die
Moralität theoretisiert. Sein spezifischer Begriff bezüglich der Moralität ist
bekanntermaßen eben die Sittlichkeit, die aber heute nicht mehr im Hegelschen Sinne
als die über die Moralität hinausgehende Stufe verstanden wird. Eben deswegen wählt
diese Abhandlung dieses Thema. Hegel versteht die Moralität ohne Bezug auf die
Gemeinschaft des Lebens ‘nur als Verfallsform von Sittlichkeit’.1 Die Moralität muss
sich auf das ontologische Erkennen des gemeinschaftlichen Lebens und dessen
Elementen gründen. Die Morallehre muss also auch die Lehre von Polis und Oikos sein.
Die Sittlichkeit ist die Moralität aufgrund des wesentlichen Verständnisses dessen, was
gesellschaftlich und politisch, d. i. bereits vernünftig verwirklicht ist. Aber Hegel
systematisiert freilich nicht von Beginn an seine eigene Sittlichkeit. Und sogar sein
Werk, das einzig die Sittlichkeit thematisiert, besteht nicht abgesehen von seinem
methodisch Schellingschen System der Sittlichkeit. Sein Begriff der Sittlichkeit ist eher
das Ergebnis seiner kritischen Distanzierung von der moralischen Theorie und Praxis in
seiner Zeit. Daher versucht diese Abhandlung von der Betrachtung des
Spezifizierungsprozesses seines Sittlichkeitsbegriffs ausgehend folgendermaßen seine
Philosophie der Sittlichkeit zu rekonstruieren.
Zunächst werden die sittlichen Themen des jungen Hegel bis zur Jenaer Zeit im zweiten
Kapitel behandelt. Als solche Themen lassen sich vor allem die Volksreligion bis zur
Berner Frühzeit sowie die Liebe und das Leben in der Frankfurter Zeit nennen. Aber das
Problembewusstsein der begrifflich noch nicht entwickelten Sittlichkeit kann schon im
Tagebuch seiner Gymnasialzeit latent gespürt werden. Im Tagebuch vom 2. Juli 1785
notierte Hegel seine Meinung über die Ursache dafür, dass Sokrates vor seinem Tode
einen Hahn als Opfer gegeben hatte. Sokrates lehrte nur, nach dem durch das eigene
1
Ilting, Karl-Heinz: Naturrecht und Sittlichkeit, S. 244. Aber dies Verstehen Hegels ist keine
‘Voraussetzung’, die, wie Ilting darstellt, später ‘fragwürdig’ geworden ist, sondern vor allem das Resultat
der philosophischen Untersuchung der geschichtlichen Wirklichkeit.
2
Bewusstsein und vor ihm geprüften Allgemeinen zu suchen. Er ließ dennoch die geringe
Gabe nicht einfach deshalb opfern, weil er vergiftet und bewusstlos war, sondern eben,
“weil es Sitte sey”. Er wollte mit seiner Lehre nicht im Widerstand gegen die kleinliche
Sitte seines Volks stehen, auch wenn sie irrational war, denn nach der nächsten
Tagebucheintragung kann jedes Gute in seiner Realisierung “seine böse Seite” haben
(FS 6). Ob diese böse Seite jedes Guten erträglich und zulässig oder nicht ist, wird zum
Grundstein für Hegels Beurteilung der geschichtlichen Phänomene. Die objektive
Religion und die Positivität werden später also eben wegen ihres im Namen des
allgemeinen Guten eingesetzten unzulässigen Bösen vom jungen Hegel aufs Korn
genommen, dementsprechend entwickelt sich sein sittliches Problembewusstsein durch
die Themen der Volksreligion und des durch die Liebe vereinigten Lebens. Besonders
hervorgehoben durch diese Konzeptionen wird gerade die Harmonie der Vernunft und
der Sinnlichkeit, des Allgemeinen und des Einzelnen, des Volks und des Individuums,
wie später noch näher zu beleuchten ist.
Die Harmonie wird erst in der Jenaer Zeit in der Struktur der Sittlichkeit als dem
Hauptthema seiner praktischen Philosophie eingehend erforscht und systematisiert.
Sittlich ist es nach seinem Naturrechtsaufsatz, nicht nur moralisch zu sein, sondern
ferner als “Bürger eines wohleingerichteten Volkes” “den Sitten seines Landes gemäß
zu leben” (JKS 469). Die Sittlichkeit enthält daher die ganze gute Einrichtung des Volks
und geht über die Trennung der neuzeitlichen Ethik in die subjektive Lehre der
Tugenden und die objektive des Rechts hinaus. Diese Sittlichkeit als ‘eine intern
differenzierte Einheit’ der Ethik, die ‘keine von der Beschreibung der gesellschaftlichen
Verhältnisse systematisch gesonderte’ ist, findet schon im System der Sittlichkeit ihre
erste einheitliche Darstellung.2 Aber diese Schrift ist schwer methodisch als Hegel
eigentümlich anzusehen, obwohl sie inhaltlich detailliert beinahe alle Elemente des
späteren reifen Systems in sich schließt, wie im letzten Teil des zweiten Kapitels über
Hegels Konzept des Systems der Philosophie zu betrachten ist. Diese Abhandlung
unternimmt also den Versuch, Hegels Begriff der Sittlichkeit durch seine Jenaer
Systementwürfe hindurch systematisch zu rekonstruieren, wo er sowohl methodische
als auch inhaltliche Eigentümlichkeit gewinnt. Damit werden allerdings die anderen
Jenaer Schriften zur Sittlichkeit jeweils nachgeschlagen und verglichen.
Die zwei Philosophien des Geistes in den Jenaer Systementwürfen lassen sich für die
Philosophie des Sittlichen halten, außer dass die Bereiche des absoluten Geistes von
Kunst, Religion und Wissenschaft am Ende der zweiten Geistesphilosophie gesondert,
aber deshalb noch unklar differenziert dargestellt werden, weil bereits im Bereich des
2
HH, S. 153.
3
Volks bzw. Staates die Rede vom absoluten Geist ist. Jene Bereiche werden also hier
außer Betracht bleiben. Hingegen wird die Bewusstseinslehre in den beiden
Geistesphilosophien als der erste Teil der Hegelschen Philosophie der Sittlichkeit
eingeführt, weil die sittliche Fähigkeit des wirklichen Subjekts nur dadurch begründet
werden kann. Darüber hinaus zeigt die Jenaer Bewusstseinslehre eine erhebliche
Differenz von der geistesphänomenologischen, in dem Punkte, dass jene nicht wie diese
die Erfahrung des Bewusstseins, sondern die logische Struktur des Bewusstseins als
Existenzform des Geistes bis zu seiner Totalität bzw. Wirklichkeit behandelt. Diese
Struktur des Bewusstseins bis zum sittlich wirklichen Subjekt wird im dritten Kapitel
zur Darstellung gebracht. Die hier unterschiedenen zwei ersten Formen des
Bewusstseins, nämlich das theoretische und praktische Bewusstsein, können und
müssen nur elementarisch und logisch verstanden werden. Denn es besteht in
Wirklichkeit kein solches gesondertes Bewusstsein. Das dritte totale Bewusstsein
verhält sich zur Totalität des Seins durch die theoretische Verallgemeinerung und
praktische Realisierung und ist insofern sittlich wirklich. Es ist erst das subjektive
Korrelat der Sittlichkeit, das Familie bildet, gesellschaftlich arbeitet und Mitglied des
Volkes bzw. Staates in Rechtsverhältnissen wird.
Das vierte Kapitel zieht die gesellschaftliche Tätigkeit des sittlichen Subjekts und deren
Erzeugnisse in Betracht. Die gesellschaftliche Tätigkeit in der unumgänglichen
Beziehung auf den Anderen hat das Moment der Selbstaufhebung des Einzelnen zur
Bedingung. Denn sonst würde die interpersonelle Beziehung in der Gesellschaft nur als
die einander ausschließende Beziehung des selbstständigen Einzelnen mit dem totalen
Bewusstsein bleiben. Die Einzelnen, die sich selbst nicht aufheben und überwinden,
gelangen nicht anders als zum endlosen Kampf miteinander, der eigentlich keine
Gemeinschaft ermöglicht. Der Kampf ist einerseits unausweichlich, insofern jeder
Einzelne als die selbstständige und unabhängige Person mit dem totalen Bewusstsein
besteht, aber muss andererseits auch insofern aufgehoben werden, als jeder lediglich in
einer Gemeinschaft sein Leben führen kann. Diese bewusstseinsimmanente
Unvermeidlichkeit des Kampfes und sozialontologische Notwendigkeit seiner
Auflösung ist durch Hegels Theorie des Anerkennungskampfes erklärbar. Hier spielt,
wie später zu zeigen sein wird, die Reflexionsfähigkeit des für sich gewordenen totalen
Bewusstseins eine wichtige Rolle. Die gesellschaftliche Tätigkeit ist zuerst die sich
selbst aufhebende und einander anerkennende Tätigkeit der Einzelnen in ihrer dem
Wesen nach kämpferischen Beziehung zueinander. Durch diese Tätigkeit wird das im
Volk gemeinsame Anerkanntsein der einzelnen Personen und der ihnen zugehörigen
Produkte hervorgebracht. Dies Anerkanntsein muss in der Gemeinschaft gelten und mit
4
Macht wirken können. Es ist eben das Recht, das als das geistige Werk des Volkes
erkannt und als die institutionelle Wirklichkeit im Staat realisiert wird. Demnach
werden im übrigen Teil des vierten Kapitels die Rechtsverhältnisse und Institutionen der
Gesellschaft und die Verfassung des Staates erörtert.
Hegels Rechtsbegriff in der Jenaer Zeit ist freilich noch nicht so systematisch
ausgedehnt, die einzelne Person, Gesellschaft und Staat, wie in der Rechtsphilosophie,
unter sich zu subsumieren und zu begründen. Aber die Jenaer Geistesphilosophien
erklären bereits die objektive Realität des wirklichen Geistes als die Rechtsverhältnisse,
die in den Sitten, Institutionen und gesellschaftlichen Tätigkeiten vorhanden sind. Und
nach der Rechtsphilosophie ist “das Rechtssystem das Reich der verwirklichten
Freiheit”, aus dem die sittliche “Welt des Geistes” “als eine zweite Natur”
hervorgebracht ist (GPR § 4). Wenn selbst die beste Gemeinschaft von ihrem Mitglied
nicht selbstbewusst erkannt wird, ist jene für dieses nichts mehr als eine unorganische
Welt, wie später vorbildlich in der Erziehung des Kindes zu zeigen ist. Die sittliche Welt
ist die Welt des freien Geistes, in der jeder seine gegebene Natur frei und selbstbewusst
durch die Erziehung und Bildung zur sittlichen Gestalt erhebt und erheben kann. Sie ist
die Welt der versittlichten Natur, die vom Geist des Volkes als die zweite geistige Natur
gebildet wird. Sie ist eben der Anhaltspunkt, in dem die frei verallgemeinerte Moralidee
des Subjekts ihre wahre Realisierbarkeit erlangt. Gerade hierin liegt die wiederum
schätzenswürdige Bedeutung der Hegelschen Sittlichkeit.
Diese Abhandlung steht auf dem folgenden Grundstandpunkt, der zur Hegel-Lektüre
erfordert und auch später in den einschlägigen Textteilen ausführlich erläutert und
wiederholt erwähnt wird. Der Standpunkt ist eben Hegels epistemologischer Realismus,
der auf seinem ontologischen Verständnis basiert. Hegel verweigert keineswegs das,
was ist, sei es Natur, sei es Geist. Er bemüht sich nur darum, ein unvollständiges Sein
dessen, was ist, in seiner Vollständigkeit, d. i. philosophisch zu denken. Der Natur oder
Materie lässt sich daher nur ordine generis die Priorität zuschreiben, während der Geist
oder die Seele ordine essentiae vorgeht, indem das Wesen geistig ist. Ein Seiendes ist da
als ein Was-Sein nach seinem geistigen Wesen, obzwar in unvollständiger Seinsweise.
Das wahre Erkennen ist deshalb das Erkennen des wesentlichen Wasseins des Seienden.
Das Seiende kann sowohl materialiter als auch selbst spiritualiter existieren.
Epistemologisch zu achten ist vor allem, dass das Erkennen eines äußeren Gegenstandes
nichts anderes als das Erkennen eben des in der Außenwelt außer uns existierenden
Gegenstandes selbst ist. Der erkannte Inhalt ist freilich idealistisch, aber in erster Linie
nur so in der Referenzialität auf den äußeren Gegenstand. Ontologisch gesagt, ist selbst
ein vollständigstes Wesen ohne Existenz gleich Nichts. Der ideale Inhalt kann ein über
5
den erkannten Gegenstand hinausgehendes, eigenes System haben. Aber insofern er das
wesentliche System eben des erkannten äußeren Gegenstandes ist, ist seine Realisierung
bzw. Existenz lediglich in diesem Gegenstand oder dem Gegenstand gleicher Art
möglich, unbeschadet, ob in besserer Form oder nicht. Und nur insofern er durch diese
Realisierung bestätigt wird, ist er epistemologisch endgültig wahr. Hegels
Erkenntnistheorie enthält also mehr als die einfache Korrespondenztheorie. Sie könnte
realistische Korrespondenztheorie genannt werden, die den Gegenstand adäquat erkennt
und ferner praktisch bestätigt. Hegels Philosophie ist daher auch nichts mehr und nichts
weniger als das geistige System dessen, was äußerlich oder geistig real ist. Sie kann also
überhaupt nicht pauschal mit Idealismus betitelt werden, und sie ist auch sehr weit
entfernt von der heutigen Modephilosophie, die im Namen der Dekonstruktion der
Vernunft nur eine negative Einstellung gegen die geistig reale Vernunft einnimmt.3 Ein
bedeutsames Spezifikum der Philosophie Hegels liegt vielmehr in seiner Einsicht, dass
die Vernunft selbst gewaltsam sein kann, insofern sie durch den verallgemeinerten
Willen des unaufgehobenen Einzelnen durchgesetzt wird. Die Vernunft, in der die
Einzelheit des Subjekts nicht überwunden und aufgehoben ist, erreicht lediglich
Allgemeinheit um ihres einzelnen Subjekts willen und ist daher gegen Andere
gewaltsam. Das Moment dieser Gewaltsamkeit wird in der Betrachtung über Zwang,
Verbrechen, Rache usf. ans Licht treten. Diese Einsicht Hegels schließt konsequent an
seine seit seiner Jugendzeit auf die Harmonie der Vernunft und der Sinnlichkeit
ausgerichteten Augen an. Der erste Blick dieser Abhandlung richtet sich zuerst also auf
dieses sittliche Problembewusstsein des jungen Hegel, das später als die Sittlichkeit
herauskristallisiert wird. Diese Abhandlung sieht die erste eigentümliche Kristallisation
der Hegelschen Sittlichkeit in den Jenaer Systementwürfen. Das nähere Eingehen auf
seine reife Rechtsphilosophie in den Gestalten von Vorlesungen und Grundlinien, auf
die hier nur stellenweise verwiesen wird, bleibt daher als Aufgabe nach dieser
Abhandlung übrig.
3
Selbst der philosophische Dekonstruktivismus begibt sich nicht in diese Weise ans Werk.
6
II. Sittliche Themen bis zur Jenaer Zeit
1. Konzept der Volksreligion
1.1. Kritik an objektiver Religion
Das sittliche Thema, das den jungen Hegel zunächst fesselt, ist die Volksreligion. Diese
steht aber nicht in einem religionsphilosophischen Kontext, sondern wird behandelt als
Mittel zur Aufklärung des Volkes. Der Grund dafür, dass die Religion in der Mitte seiner
Aufklärungsphilosophie steht, besteht darin, dass gerade sie ein gutes Medium ist, in
dem die Idee der Aufklärung zur allgemeinen Bildung des Volks wird. Die allgemeine
Idee darf nicht durch “die kalte Buchgelehrsamkeit” der besonderen Gruppe von
Theoretikern einfach äußerlich gegeben oder erzwungen werden (FS 46). Die
Realisierung der Idee liegt nicht in der idealen Theorie, sondern wird erst dadurch
vollendet, dass sie zur Bildung des Volkes wird. Und in der Religion ist das Volk
Subjekt der aufklärerischen Idee. Solche Idee wird vom gebildeten Volk in äußeren
Gestalten ausgedrückt und realisiert. Die unmittelbarsten äußeren Ausdrücke solcher
Idee durch das gebildete Volk sind für den jungen Hegel gerade Religion. Dies besagt
umgekehrt, dass auch bisherige religiöse Ausdrucksgestalten die Widerspiegelung einer
bestimmten Volksbildung waren. Und wenn die Aufklärung das Aufkommen einer
neuen allgemeinen Idee bedeutet, benötigt sie auch einen kritischen Blick auf die
bisherigen Religionsgestalten. Insofern steht sein Konzept der Spätaufklärung auch in
der Tradition der Reformation.
In seinem gymnasialen Tagebuch vom 1. Juli. 1785 ist die Rede von solchen
Bildungsgestalten als Bedingung für “eine pragmatische Geschichte” (FS 5). Hierzu
gehören ihm zufolge nicht nur die einfache Erzählung von Fakten, sondern auch die
Entwicklung von Charakteren berühmter Männer oder einer ganzen Nation, von ihren
Sitten, Gebräuchen, Religionen etc. sowie von verschiedenen Veränderungen und
Abweichungen bei anderen Völkern, auch das Nachspüren von Aufstieg und Zerfall
großer Reiche und das Zeigen dessen, was diese oder jene Begebenheit sowie eine
Staatsveränderung für die Verfassung der Nation, für ihren Charakter u. s. w. für Folgen
gehabt habe. Aber was bei der Bildung durch diese pragmatische Geschichte vor allem
schwer fällt, ist der “Entwurf von einer Aufklärung des gemeinen Mannes” als Mitglied
eines Volkes, wie er in einem anderen Eintrag vom 22. 3. 1786. gesteht. Ein solcher
Entwurf kann in Wahrheit nicht durch Wissenschaften und Künste von einem
beschränkten Sonderstatus aus vollzogen werden. Der Gymnasiast verficht die
7
Auffassung, “diese Aufklärung des gemeinen Mannes habe sich immer nach der
Religion seiner Zeit gerichtet, und sie erstreke sich überhaupt nur auf die Aufklärung
durch Handwerker und Bequemlichkeit des Lebens” (FS 30). Bei diesem Gedanken
taucht bemerkenswerterweise die Religion als Kernpunkt der Volksaufklärung auf. Sie
könnte den Abstand zwischen den wissenschaftlichen Prinzipien und dem Leben des
Volkes überbrücken. So liegt das Interesse des jungen Hegel schon von Anfang an auf
der Rolle der Religion in der Geschichte. Die Geschichte ist also auch schon von daher
für ihn ‘Geschichte der maßgeblichen Institutionen und der maßgeblichen religiösen
Vorstellungen’.1 So war er in erster Linie Anhänger der Aufklärung und Reformation,
also konnte er später auch die französische Revolution positiv aufnehmen.2
Die französische Revolution ist ein anderes Motiv, das den Studenten Hegel allgemeine
Inhalte der aufklärerischen Idee lehrte und zur religiösen Verwirklichung anleitete.
Deren Ideal schätzte er danach zu Lebzeiten immer positiv ein.3 Z. B. die vom reifen
Hegel gehaltenen Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte sagen aus, die
französische Revolution sei “ein herrlicher Sonnenaufgang,” bei dem der Mensch nicht
von einem bestimmten Stand, Geschlecht oder Rasse, sondern als Mensch im
allgemeinen eben nur “das Sichselbstbestimmen” erkenne und erhalte und lediglich
aufgrund dieser “Freiheit des Willens” und des “Rechts” des eigenen freien Willens
Gesellschaft und Staat realiter aufzubauen beginne (VPW IV. 920-926). Auch nach dem
viel früheren Brief an Schelling vom 16. April 1795 gibt es “kein besseres Zeichen der
Zeit, als dieses, daß die Menschheit an sich selbst so achtungswert dargestellt wird” (Br
24). Das Menschsein des Menschen ist eben die Freiheit, und die Einheit beider ist ‘das
Prinzip der Weltgeschichte’.4 Die Geschichte seines freien Menschseins ist nicht mehr
die eines bestimmten Bereichs, sondern nun eben die Weltgeschichte. Der junge Hegel
geht über die bloß theoretische Verteidigung der revolutionären Idee hinaus bis zu deren
1
Pöggeler, Otto: Der junge Hegel und die Lehre vom weltgeschichtlichen Individuum, HPR, S. 23.
Über den Zusammenhang von Reformation und Revolution bei Hegel, Oeing-Hanhoff, Ludger:
Metaphysik und Freiheit, S. 212-261.
3
Nach Otto Pöggeler lässt sich Hegels Konzeption über die Verfassung in Bezug auf die französische
Revolution zwischen Zeiten vor und seit dem Frankfurter Aufenthalt unterscheiden. Seit der Frankfurter
Zeit führe er gegenüber dem revolutionären Konzept der gleichen Machtverteilung das Moment der
konzentrierten Macht in den Staat ein. Pöggeler, Otto: Hegels Option für Österreich, HS 12, S. 83-128.
Dies verrät, wie Walter Jaeschke erwähnt, die ‘Ambivalenz von Zustimmung zu den Idealen der
Revolution und Enttäuschung über ihren Verlauf.’ HH, S. 10. Über die Hervorhebung Hegels als des
Philosophen der französischen Revolution, Losurdo, Domenico: Hegel und das Deutsche Erbe, S. 19-31.
Ritter, Joachim: Hegel und die französische Revolution, S. 15-28. Im Gegesatz dazu, HZeit, S. 31-33.
4
Ritter, Joachim: Hegel und die französische Revolution, S. 21. Die Realisierung dieses Prinzips in der
Geschichte ist ein echt religionsphilosophisches Thema Hegels als ‘die wahrhafte Theodizee.’ OeingHanhoff, Ludger: Metaphysik und Freiheit, S. 129.
2
8
Einführung und Verwirklichung in Deutschland, 5 das damals schon Land der
Reformation und der gedanklichen Aufklärung ist. “Ohne Änderung der Religion kann
keine politische Revolution erfolgen” (VPW IV. 931). Daher richtet sich seine
Aufklärungsphilosophie darauf, die revolutionäre Idee auf die reformatorische Tradition
Deutschlands zu pfropfen. Sie führt zum Konzept einer neuen Religionsgestalt in
kritischer Entfernung gegenüber der bisherigen Religion in der Geschichte.
In solch einer Absicht stellt der Aufsatz aus seiner letzten Gymnasialzeit, Über die
Religion der Griechen und Römer (1787) Ursprung und Entstellung der Religion in der
Geschichte dar. Wie alle Nationen stellten sich Griechen und Römer im unmittelbaren
Verkehr mit der Natur kindlich “Gott als ein allmächtiges Wesen” vor, “das sie und
Alles blos nach Willkür regiere”. Weil sie “Alles nur unter sinnlichen Vorstellungen
denken” konnten, machten sie sich “körperliche Bilder von der Gottheit”, jeder für sich
“nach dem Ideal” “von dem furchtbarsten Wesen”, und brachten diesem ein Opfer dar
(FS 42). Dass das höchste Wesen durch dieses Geschenk nicht erhalten wird und dass
Glück und Unglück vielmehr an ihnen selbst liegen, konnten sie nicht erwägen. Diese
Nationen, die Mehrvölkerstaaten waren, verehrten in dieser Weise ihre eigenen Götter,
wollten mit dieser Verehrung oder durch Menschen im nahen Umgang mit Göttern ihr
zukünftiges Schicksal erkunden. Die klügeren und listigeren Priester, die solche
Neigungen dieser Abergläubischen beobachteten, waren imstande, auch gut zu
bemerken, “daß die Völker sich durch nichts so willig leiten lassen, als durch die
Religion”. Dadurch wurde die Religion Mittel der Herrschaft eines besonderen Stands.
“Nur wenn eine Nation eine gewisse Stufe von Bildung erreichte, konnten Männer von
aufgeheiterter Vernunft unter ihr auftreten, bessere Begriffe von der Gottheit erlangen
und sie andern mittheilen” (FS 44). Das Streben der griechischen Weisen, “viel
aufgeklärtere und erhabnere Begriffe von der Gottheit” zu zeigen, weist gut auf, wie
schwierig es ist, die reine Wahrheit von Irrtümern zu reinigen, und “wie gewöhnlich es
ist, durch Gewöhnung und Verjährung an gewisse Vorstellungen den größten Unsinn für
Vernunft, schändliche Thorheiten für Weisheit zu halten” (FS 44-45). Hierbei schließt
der Aufsatz mit der Aufforderung, auch unsere bisher nie bezweifelten, nur überlieferten
Meinungen selbst zu überprüfen.
Des Weiteren müssen auch überlieferte Lehren und Überzeugungen gründlich
bezweifelt und überprüft werden, dadurch müssen mehr aufgeklärte Wahrheiten
gefunden werden. Aber die Aufklärung und Entdeckung der Wahrheit darf nicht am
Kamin des zweifelnden Gelehrten bleiben. Wie Hegel oft mit den Worten Lessings
bekräftigt: Es kann durch “die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich mit todten Zeichen in’s
5
Losurdo, Domenico: Hegel und das Deutsche Erbe, S. 26.
9
Gehirn nur drückt” (FS 46, 51)6 kein ganzes System der Erziehung und Bildung richtig
aufgestellt werden. Zuvörderst muss das Streben nach der Aufklärung selbst über die
‘Grenzen seiner eigenen Leistungsfähigkeit aufgeklärt werden’. 7 Sogar selbst die
großen Männer sind immer bezogen auf den Genius ihres Volkes oder ihrer Zeit, leben
aus ihm und in ihm, durchsetzen ihn. Deshalb besteht die Vollendung der Aufklärung
darin, dass sich ihre neue Idee in der Volksbildung verkörpert. Von daher steht Hegel in
der Spannung zwischen wissenschaftlicher Untersuchung und deren Verwirklichung im
Volk. Dieses Spannungsverhältnis ist zugleich ein Kreislauf, denn einerseits wird seine
Untersuchung zumeist über Bildungs- und vor allem Religionsgestalten des Volkes in
der Geschichte durchgeführt, andererseits ist die hieraus resultierende aufgeklärte
Wahrheit das, was wiederum in Bildungsgestalten des Volkes zu realisieren ist. Hierauf
gründet sich seine Aufstellung der Religion als des hauptsächlichen Themas.
Dieses Spannungsverhältnis wiederholt sich auch in seiner Forschung über
Volksreligion. Auf der einen negativen Seite hat sie zur Aufgabe, die mit der “Summe
der begriffslosen Worte” (FS 51) unterdrückenden Elemente der Religion einer Zeit zu
kritisieren und die Ursache ihres Untergangs zu analysieren, andererseits positiv die
Geschichte der jeweils durch die Volksreligion realisierten Freiheit des Menschen
wiederherzustellen. Die erstere Aufgabe ist nichts anderes als eine Art Religionskritik, d.
i. ihre Eignungsprüfung für die Aufklärung,8 die letztere zielt auf das Prinzip der freien
Versöhnung und Einheit, das sich in mehreren Religionsgestalten im allgemeinen
entwickelt. “Denn der menschliche Geist war zu allen Zeiten im allgemeinen derselbe,
nur daß seine Entwiklung durch die Verschiedenheit der Umstände unterschiedlich
modificirt wird” (FS 53)9
Ein Teil der Hegelschen Religionskritik, die aber viel bekannter ist, ist seine Kritik an
der Positivität. Bei einer sorgfältigen Betrachtung lässt sich erkennen, dass diese Kritik
nicht zu Beginn seiner Religionskritik auftritt. Vielmehr wandelt sich sein Verstehen der
Positivität durch drei Stufen, die gebildet werden durch frühere Schriften bis zum Jahr
1794, Schriften von 1795 bis 1796, in denen die eigentliche Positivitätkritik geübt wird,
und Schriften ab 1797, in denen dieser Begriff immer mehr nur rein logisch benutzt
wird. Die Rede von der Positivität entsteht zuerst in der zur Gruppe der Studien
6
Die später in Hegels Schriften des Öfteren vorkommenden Ausdrücke, wie “tote Begriffe”, “kalte
Vernunft” u. s. w. stammen aus Lessings Nathan der Weise und bedeuten die unrealisierbare Aufklärung
als auf der Spitze der Ideen bleibend.
7
Busche, Hubertus: Das Leben der Lebendigen, HSB 31, S. 33.
8
HH, S. 60.
9
Dies Problembewusstsein ist für Hegel der Ursprung der einen Religionsgeschichte, deren logische
Erklärung als ein genuines Thema der Philosophie geliefert werden kann. Jaeschke, Walter: Zur Logik der
bestimmten Religion HLP, S. 173.
10
1792/93-1794 gehörenden Schrift, Religion ist eine der wichtigsten Angelegenheiten.
“Positive Religion beruht nothwendig auf Glauben an die Tradition, durch die sie uns
überliefert wird”. Hier ist Positives überhaupt nicht kritisch, sondern vielmehr
wertneutral erwähnt. Es bedeutet in der ersten Phase lediglich die bloß historische
Gegebenheit.10 Daher sind positive religiöse Gebräuche, die zur Tradition gehören,
vom Standpunkt der Vernunft aus tauglich in dem Maße, wie sie “zur Erwekung
frommer Empfindungen” im Volk beitragen (FS 96). Was seine Kritik in der Tübinger
Zeit11 zuerst aufs Korn nimmt, ist die objektive Religion. Diese Religion ist vor allem
“Theologie” (FS 75) und auch “fides quae creditur” (FS 87). Die Bestimmung der
Theologie als der objektiven Religion folgt Fichtes Einteilung im Versuch einer Kritik
aller Offenbarung (1793). Hiernach ist Theologie ‘blosse Wissenschaft, todte Kenntnis
ohne praktischen Einfluss; Religion aber soll der Wortbedeutung nach (religio) etwas
seyn, das uns verbindet, und zwar stärker verbindet, als wir es ohne dasselbe waren’.12
Fichte verweigert hier vom Gesichtspunkt seines Primates der Praxis aus die reine
wissenschaftliche Theologie und fasst ins Auge eine praktische Theologie auf der Suche
nach der heiligen Verpflichtung (religio). Die praktisch wirkungslose Theologie ist auch
für Hegel nichts anderes als die Religion an der Stelle des toten Objekts. 13 Sie
gewährleistet ohne Kontrolle der Vernunft keinen freiwilligen Glauben, sondern zieht
immer das freie Vermögen des Volks zum Vernunftglauben in Zweifel. Daher ist nur
“fides quae creditur” erlaubt, d. i. der passiv vergegenständlichte Glauben, für dessen
Untersuchung und Verständnis vornehmlich “der Verstand und das Gedächtnis”
beansprucht werden, und dessen Inhalt ‘in Form eines theologischen Systems gelehrt’14
und geglaubt wird. Der Verstand und das Gedächtnis stellen ihn in einem Buch als ein
wissenschaftliches System dar, bringen ihn durch Vortrag zum Ausdruck. Für dieses
Buch der objektiven Religion sind die für alle Religionen auch notwendigen praktischen
Kenntnisse “nur ein todtes Kapital” (FS 87). Solche theologische Religion als “Sache
des Verstands und des Gedächtnisses” (FS 90) ist für den jungen Hegel “nicht mehr
Religion” im wahren Sinne (FS 89). Denn wie er notiert, ist der Mensch “ein aus
Sinnlichkeit und Vernunft zusammengesetztes Wesen” (FS 78); und “eine kalte
10
Busche, Hubertus: Das Leben der Lebendigen, HSB 31, S. 30.
Über die reale Entstehungszeit des Tübinger Fragments, HH, S. 60.
12
Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung, S. 43. FS, Anhang, S. 470.
13
Aber diese Aufnahme Hegels distanziert sich kritisch mit der Vertiefung der Kant-Forschung. Nach
dem Brief vom Ende Januar 1795 wird diese “der theologischen Logik kein Ziel und Damm mehr”
setzende Schrift Fichtes deutlich dafür verurteilt, dass sie die alte Methode anwendet, “in der Dogmatik
zu beweisen”, d. i. “nach Befestigung des moralischen Glaubens die legitimierte Idee von Gott” rückwärts,
d. i. “von der Ethikotheologie her jetzt zur Physikotheologie” auszuführen, und dadurch
Missverständnisse der Kantischen Philosophie verursacht. Br, S. 17. HH, S. 12.
14
HH, S. 61.
11
11
Vernunft” (FS 86), sogar eine nicht von sich selbst, sondern von außen gegebene fremde
Vernunft, die sich durch sinnliche Handlungen nicht ausdrücken lässt, sondern vielmehr
diese beherrscht oder zurückstößt, kann den Geist und die Religion des Volkes nicht
beleben. Zudem ist “das HauptElement bei allem Handeln und Streben” des gemeinen
Menschen bzw. des Volkes die “Sinnlichkeit” (FS 84). Der Verstand, der isoliert von der
Sinnlichkeit des Menschen ist, ist vielmehr lediglich “ein Hofmann, der sich nach den
Launen seines Herrn gefällig richtet” (FS 94). Hierin liegen die Schranke der
Verstandesaufklärung und die abstrakte Zwanghaftigkeit der objektiven Religion. Die
objektive Religion wird dem unreifen Verstand des Menschen von Jugend an zwanghaft
aufgenötigt (FS 89) und “durch Tiraden über Aufklärung” zu seinem
vergegenständlichten Glauben. Die so vergegenständlichte, daher objektive Religion,
deren dogmatische Lehren die Vernunft lediglich untersucht, ist nichts anderes als
“FetischGlauben” (FS 103). Sie zwingt als “das ganze System von dem
Zusammenhange unserer Pflichten und Wünschen mit der Idee von Gott und der
Unsterblichkeit der Seele” (FS 138) den Menschen zum Erlernen, wird den Gehorsamen
zu einem “Schwäzer der Aufklärung” machen, die lediglich “Afterweisheit” hat (FS 98),
und den Ungehorsamen für einen Ungebildeten halten.
Für den jungen Hegel aber enthält der Religionsbegriff nicht nur Religion als bloßes
wissenschaftliches System, sondern er besagt zugleich, “daß sie das Herz interessirt;
daß sie einen Einfluß auf unsre Empfindungen und die Bestimmung unsers Willens hat”
(FS 85). Ihr wissenschaftliches System selbst wird nicht vollständig abgelehnt, sondern
es heißt, sie darf weder nur als ein gegenständlicher Glaube der Vernunft bleiben, noch
andererseits lediglich in den nicht durch die Vernunft filtrierten Gestalten der
Sinnlichkeit Gott vorstellen. Die Religionen der vielen sinnlichen Völker, die allein aus
Furcht vor einem sinnlich vorgestellten Gott handeln, deshalb als Grund ihrer
Handlungen de facto nur Klugheit haben, könnten nicht mehr als ein “blosser
Aberglauben” sein (FS 91). Die wahre Religion besteht eben darin, dass die kalte
Vernunft selbst der objektiven Religion zur praktischen Vernunft des sinnlichen
Menschen wird und dass ihre vernünftigen Lehren selbst durch sinnliche Handlungen
realisierbar werden. Gegenüber der reinen Natur des Menschen ist schon annehmbar
“das was in der Lehre von Gott praktisch ist, was ihm zu Triebfedern zu Handlungen,
zur Quelle der Erkenntnis der Pflichten und zur Quelle des Trostes werden kan” (FS 8384). Die Entstehung der Religion zeigt gut diese ursprüngliche Neigung der
menschlichen Natur. Denn selbst im Aberglauben sind die sinnlichen Vorstellungen von
Gott und Gebräuchen nach ihren begrifflichen Inhalten schon moralisch, d. i. deuten
“schon mehr auf Bewustseyn von einer höhern nach grössern Zweken als sinnlichen
12
bestimmten Ordnung hin” (FS 91), in dem Sinne, dass von der angebeteten Gottheit
Glück für den Gerechten, Unglück für den Ungerechten erwartet wird. Diese
ursprüngliche Neigung zum Bewusstsein von einer höheren Ordnung nach größeren
Zwecken ist “ein natürliches Bedürfniß des menschlichen Geistes” (FS 84), das eben
nichts anderes als “das tiefe moralische Bedürfniß der Vernunft” ist (FS 106). Die
Forderung der praktischen Vernunft nach dem Glauben an Gottheit und Unsterblichkeit,
um danach die Verwirklichung dieses ihres natürliches Bedürfnisses, d. i. des höchsten
Gutes, hoffen zu können, ist gerade der Keim der Religionsentstehung (FS 91).
Eine wahre Religion, die sich Hegel angelegen sein lässt, ist ihm zufolge die subjektive
Religion, in der die aufklärerische Idee der Vernunft und das natürliche Bedürfnis des
menschlichen Geistes in Verbindung stehen. Daher ist die subjektive Religion kein
Gegenbegriff zur objektiven Religion, die durch die Idee der Vernunft systematisiert ist.
Sie stellt uns unsere Pflichten und Gesetze als Gesetze Gottes vor, durch diese
Vorstellungen der Erhabenheit und Güte Gottes gegen uns erfüllt sie “unser Herz mit
der Bewunderung und mit Empfindungen der Demut und Dankbarkeit” (FS 85). Diese
Vorstellungen werden bald vermittelst der “Phantasie” (FS 79, 80) oder der
“Gebräuche” (FS 96) erworben. Ihr Resultat ist die ‘Beförderung der Moralität’,15 d. i.
das Treiben der Keime der feineren, frömmeren, mehr moralischen Empfindungen, die
die Natur in jeden Menschen gelegt hat. Die getriebenen Keime sind “eine wirkliche
Receptivität für moralische Ideen und Empfindungen”, die die Vernunft ihrerseits
erforscht und lehrt. Durch die “Erziehung” und “Bildung” zu diesem
Vorstellungsvermögen werden die moralischen Ideen der Vernunft in der subjektiven
Religion leicht zu Bestimmungsgründen unserer Willen und Empfindungen (FS 89).
Eine Randbemerkung in den Studien 1792/93-1794 stellt diesbezüglich auch
Reformation so dar, dass Reformatoren den Wert der subjektiven Religion gut einsahen.
Sie gaben sich Mühe, durch die subjektive Religion “den Menschen zu bessern” (FS 76)
und diese Kunst der subjektiven Religion mit Worten zu systematisieren. Aber für Hegel
ist jenes Streben zwar nötig für die Volksbildung und die Verwirklichung der Ideen,
allein die dogmatische Systematisierung nur mit Worten unerwünscht. Die subjektive
Religion ist nicht einmal in die objektive Dogmatik der Worte zu versteinern, sondern
wird davon abgestoßen. Sie äußert sich vielmehr “nur in Empfindungen und
Handlungen” (FS 87), die keine großen Kenntnisse der Religion verraten, sondern das
religiöse Gefühl des Herzens, das Erkennen Gottes in der Natur des Herzens ans Licht
bringen. Sie ist “Lebendig, Wirksamkeit im innern des Wesen, und Thätigkeit nach
aussen”. Sie ist “das lebendige Buch der Natur” in jedem Menschen, das ihn selbst
15
RH, S. 43.
13
seinen eigenen inneren Willen bestimmen, dadurch in äußeren sinnlichen Handlungen
zum Ausdruck bringen lässt. Also ist sie auch in erster Linie jedem Individuum
eigentümlich. Erst nachdem die ursprüngliche Neigung jedes Individuums freiwillig
entwickelt ist, sich vernünftige Ideen angeeignet hat, ist nun über die konkrete
Realisierung der Ideen, des Weiteren der Freiheit selbst, zu sprechen. Daher hat in der
subjektiven Religion nicht zuletzt ernst genommen zu werden, “ob und wie weit das
Gemüth gestimmt ist, sich von religiösen Beweggründen bestimmen zu lassen – wie
groß seine Reizbarkeit für diselbe ist; und dann welche Arten von Vorstellungen
vorzüglich Eindruck auf das Herz machen – welche Arten von Empfindungen am
meisten in der Seele angebaut, und am leichtesten hervorzubringen sind” (FS 88). Sie ist
je nach den betrachteten Neigungen dem Individuum auf diese Weise eigen.
Demzufolge ist die Hauptaufgabe der Reformation und Aufklärung in den Augen des
jungen Hegel die Subjektivierung der objektiven Religion. Denn nur insofern, als die
Lehren dieser Religion von jedem Individuum selber verstanden und begriffen, zu
seiner Liebe zu Pflichten und zu seiner Achtung für moralische Gesetze werden, d. i.
“als sie einen Bestandtheil der subjektiven ausmacht,” ist sie bedeutsam. (FS 90) Aber
die Aufgabe kann lediglich als “das grosse Geschäft des Staats” (FS 139) zur
Durchführung kommen. Denn auf der einen Seite, wenn die ursprüngliche Neigung des
Individuums auch affiziert wird, sind dennoch Erziehung und Bildung notwendig zum
Verstehen und Verkörpern der vernünftigen Ideen. Andererseits, obwohl die
vernünftigen Ideen im eigenen Geist jedes Individuums subjektiviert sind, bedeutet dies
noch nicht ihre Verwirklichung als eine allgemeine Bildung des Volkes. Hegel stellt
einer anderen wahren Religion auf der Ebene von Gesellschaft und Staat, sozusagen der
Volksreligion, diese Aufgabe. Das Volk bedeutet bei Hegel objektiv immer eine
historische und soziale Einheit als Inbegriff der Individuen.16 Es ist zwar die Grundlage
der geschichtlichen Entwicklung in Form einer Gesellschaft aus Individuen, aber hat
zugleich seinen Geist in Form der Natürlichkeit.17 Dieser Geist findet insbesondere
subjektiv in den im voraus geurteilten Meinungen der Mitglieder Ausdruck. Die VorUrteile im Sinne quasi von Vorverständnis aber können sowohl “wirkliche Irrtümer” als
auch “wirkliche Wahrheiten” sein, die, obwohl noch nicht durch die Vernunft selbst
geprüft, trotzdem “auf Treu und Glauben anerkannt” sind (FS 95).18 Die wirklichen
16
Pöggeler, Otto: Der junge Hegel und die Lehre vom weltgeschichtlichen Individuum, HPR, S. 23. Kirn,
Michael: Der Begriff der Revolution in Hegels Philosophie der Weltgeschichte, HSB 11, S. 342. Was
diese objektive Einheit in eine staatliche Einheit erweitert ist, ist Nation. Busche, Hubertus: Das Leben
der Lebendigen, HSB 31, S. 59. Siehe auch, VNS, § 127, 159.
17
Losurdo, Domenico: Hegel und das Deutsche Erbe, S. 275.
18
Diese Zweideutigkeit der Vorurteile entspricht der Doppelbedeutung des Volksbegriffs. Das Volk als
ein gesellschaftliches Wesen, das wirkliche Irrtümer hat, ist vulgus, Pöbel, großer Haufen, sondern als ein
14
Irrtümer sind typisch für den Glauben und dessen Gegenstände, die durch die objektive
Religion ins Individuum geprägt, an der Stelle des Objekts gesetzt sind. Nämlich
Irrtümer, die daraus entspringen, dass die Gestalten der Sinnlichkeit und Phantasie, der
eingerichteten Gebräuche und ferner der wissenschaftlichen Sprache, die nur
Vermittlungsrollen zum Vorstellen der vernünftigen Ideen spielen sollen, für die
vernünftigen Ideen selbst gehalten werden. Die Volksreligion muss Menschen zu diesem
Festhalten “an dem Buchstaben und den Gebräuchen” (FS 100) so wenig wie möglich
veranlassen. Dagegen liegen die wirklichen Wahrheiten, die Inhalte der vernünftigen
Ideen, eben in solchen Gestalten, die zwar Einfluss auf die frommen Empfindungen und
moralischen Handlungen des Individuums ausüben, aber doch nicht reflektiert, sondern
nur geglaubt sind. So zweideutig sind die Vorurteile. Demgegenüber soll sich die
Volksreligion darum bemühen, dass die vernünftigen Ideen von jedem Individuum
begriffen, versichert, zum Zustand seines Herzens werden, der dann die “Weisheit” als
“eine Erhebung der Seele” (FS 97) sein und immer fromme Empfindungen und
moralische Handlungen motivieren wird. D. h. die Volksreligion muss positiv “das Volk
zur VernunftReligion” führen, “Empfänglichkeit dafür” besorgen (FS 100).
1.2. Volksreligion und Sittlichkeit
Die Volksreligion kommt beim jungen Hegel schließlich als ‘eine populäre Vorform zu
einer reinen Vernunftreligion’19 zum Vorschein. Sie hat zur Aufgabe “Volksbildung”
(FS 106), die sich durch die Vermittlung der vernünftigen Ideen der objektiven Religion
mit den subjektiven religiösen Neigungen entwickelt. Als Vermittlungsmedien lassen
sich in Anlehnung an die damals gängige öffentliche Religion aufzählen “die Begriffe
von Gott und Unsterblichkeit”, die die objektiven Grundsätze der Religion sind,
Empfindungen und Überzeugungen eines Volks, die aus den Grundsätzen fließen und
sich auf dessen Denk- und Handlungsweise auswirken, und “auch die Mittel, wodurch
diese Ideen dem Volk theils gelehrt, theils eindringlich fürs Herz gemacht werden” (FS
86). Da der Mensch “das tiefe moralische Bedürfnis der Vernunft” von Natur aus hat,
vertragen sich einfache “auf allgemeine Vernunft gegründete” Religionsgrundsätze auch
mit der jeweils auf solch ein Bedürfnis gebauten Volksbildung (FS 106), die wiederum
auch ihrerseits nach ihrer Änderung allmählich die Grundsätze der Vernunft modifiziert.
geschichtliches, kulturelles Wesen, das wirkliche Wahrheiten in der Gesellschaft konkret realisiert, ist es
Nation. Busche, Hubertus: Das Leben der Lebendigen, HSB 31, S. 57. Des Weiteren wird die
Zweideutigkeit der Vorurteile später charakteristisch für die “öffentliche Meinung” in Rechtsphilosophie,
1821. GPR, § 316-320.
19
Busche, Hubertus: Das Leben der Lebendigen, HSB 31, S. 44.
15
Dieser Aufklärungsverlauf der Volksbildung ist daher gegenläufig und kreisend.
Einerseits führt der Weg vom Ausgangspunkt der objektiven Religion zur subjektiven, d.
i. von neuen vernünftigen Ideen einer Zeit zur subjektiven Bildung des Volks. Auf
diesem Weg werden als Systeme der Erziehung und der Bildung die Mittel betont, durch
die die Ideen dem Volk gelehrt und zum Zustand des Herzens gemacht werden.
Andererseits gibt es den allmählichen Weg von den sinnlichen Ausdrucksgestalten der
sich geschichtlich entwickelnden Volksbildung zu den darin enthaltenen vernünftigen
Ideen. Hier ragen große Individuen hervor, die den Geist einer Zeit auffassen und mit
dem Genius des Volks verbinden.
Die Volksreligion hat die Aufgabe der Bildung des Volks zur Vernunftreligion. Die
Vernunftreligion ist die Religion der Moral, in der “die Idee der Heiligkeit als die lezte
Höhe der Sittlichkeit, und der lezte Punkt des Bestrebens gesezt” ist (FS 100). Sie ist die
Religion eines freien Volks, weil deren Terminus ad quem ein verinnerlichter Zustand
der vernünftigen Ideen ist, die zu Gründen der freiwilligen Bestimmung seiner freien
Empfindungen, Willen, und Handlungen geworden sind. In dieser Hinsicht taucht der
Ausdruck, “Sittlichkeit” erstmals bei Hegel auf. Der Begriff lässt sich aber hier noch
nicht einmal als sein eigentümlicher Begriff charakterisieren, sondern er deckt sich
vielmehr unter dem Einfluss der Kantischen Philosophie mit der Moralität, deren
Verständnis zudem der Kritik der reinen Vernunft (1781/87) näher steht als der Kritik
der praktischen Vernunft (1788). Aber trotz der Rede von der Kantischen Sittlichkeit ist
es auch beachtenswert, dass für die Aufgabe der Volksreligion die institutionelle
Verwirklichung bzw. die verwirklichten objektiven Produkte der vernünftigen Ideen mit
berücksichtigt sind. Dies wird außer der geschichtlichen Betrachtung der Religion auch
eben seine politisch-ökonomische Forschung in Anspruch nehmen. Diese beide
Untersuchungen sind daher beim jungen Hegel keine getrennten Themen, sondern ‘nur
unterschiedliche Momente einer Theorie der Sittlichkeit’.20 Er notierte zwar schon seit
der Stuttgarter Zeit Exzerpte aus Kantischen Schriften, deren konzentriertes Studium er
aber erst in Bern durchführte.21 Daher ist die Volksreligion, die in der Tübinger und der
frühen Berner Zeit entworfen wird, in einen nicht so engen Zusammenhang mit der
Kantischen Philosophie zu stellen. Besonders die Betonung der Rolle der Sinnlichkeit
bei Hegel zeigt große Unterschiede von der Rolle des sinnlichen Elements in der Kritik
der reinen Vernunft, die den Vernunftglauben auch ‘auf die Voraussetzung moralischer
20
RH, S. 37.
HLeben, S. 14. HStaata, S. 17. HZeit, S. 33-35. HH, S. 2, 7. Und im häufig angeführten Brief vom 16.
April 1795: Hegels Erwartung einer “Revolution in Deutschland, die von Prinzipien ausgehen wird, die
vorhanden sind und nur nötig haben, allgemein bearbeitet, auf alles bisherige Wissen angewendet zu
werden.” Br, S. 23-24.
21
16
Gesinnungen gründet’, die als ‘ein natürliches Interesse’ an ‘Verheißungen und
Drohungen’ auftreten.22 Diese sinnlichen Triebfedern werden sogar von Kant selbst in
der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) für die autonomen Moralgesetze des
nur die Kausalität der Vernunft habenden reinen Willens ausgeschlossen,23 und in der
Kritik der praktischen Vernunft ist nur ‘eine Triebfeder des Willens’ gültig, ‘so fern sie
durch Vernunft vorgestellt wird’, d. h. nur die Triebfeder, die ‘in einem moralisch-guten
Willen’ nichts anderes als ‘das Gesetz selbst’ ist. 24 Dagegen umfasst Hegels
Sinnlichkeit nicht nur die moralisch gültige Triebfeder, sondern überdies alle Phantasie,
Empfindung, Herz u. a., die in den äußeren Gestalten von Symbolen, Zeremonien,
Gebräuchen u. a. die vernünftigen Ideen als die wirkliche Bildung des Volks realisieren,
transportieren und entwickeln. Wegen dieses realen Anliegens gelangt Hegel dazu, die
Selbstrevision Kants zu übergehen25 und zuletzt scharfe Kritik an der Tautologie der
kantischen Moral zu üben. Sein Anliegen der Sinnlichkeit als Wirklichkeit der Vernunft
führt Hegel vor allem zur Aufmerksamkeit auf Kants ähnlichen Versuch in dessen
zeitgenössischer Schrift, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft
(1793).26
Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft ist die konkrete Entwicklung
der “Moraltheologie” auf der Basis der reinen praktischen Vernunft, die Kant in der
Kritik der reinen Vernunft eigentlich beabsichtigte.27 Ihm zufolge hat die Natur des
Menschen die ‘angeborne Schuld (reatus)’ als die ‘Bösartigkeit’, die aus der
‘Gebrechlichkeit’ und ‘Unlauterkeit’ entspringt. Sie ist nicht stark genug, um
moralischen Grundsätzen der Handlungsbestimmung immer zu folgen, und hat auch zu
viele gröbere Neigungen, um Motive allein nach dem moralischen Kriterium zu
unterscheiden. Diese ‘Gebrechlichkeit’ und ‘Unlauterkeit’ tritt zuweilen mit dem
Gebrauch der Freiheit vom Menschen zu Tage. Und so ursprünglich die Freiheit dem
Menschen ist, so inhärent ist ihm die Schuld daraus, und, indem diese Schuld durch den
Gebrauch der Freiheit entsteht, ist sie auch zurechenbar. Denn wenn sie nicht
zurechenbar wäre, wäre dies Ablehnung der Verantwortung für die beim Gebrauch der
Freiheit unvermeidliche Endlichkeit des Menschen; dann wäre die Tugend eine
glückliche Abwesenheit des trotz der Endlichkeit unverursachten Lasters im Resultat
der freien Handlung. Dies ist nichts anderes als ‘eine gewisse Tücke des menschlichen
22
23
24
25
26
27
KrV, B839, B857-858. RH, S. 43-44.
GMS, BA70-74, BA97-113.
KpV, A141.
HH, 61.
FS, Anhang, S. 474-475. HH, 60-61. Busche, Hubertus: Das Leben der Lebendigen, HSB 31, S. 50-56.
KrV, B842-856.
17
Herzens’. Die angeborene Schuld ist der ursprüngliche Grund für die Zurechenbarkeit
der weiteren menschlichen Handlung. Deshalb kann der Mensch als der angeborene
Schuldige nicht umhin, die Verantwortung für den Gebrauch der Freiheit auf sich zu
nehmen. Wie beschaffen er moralisch ist, hängt allerdings völlig von seinem freien
Willen ab. Aber er als Verantwortlicher für seine angeborene Schuld müsste freiwillig
gut zu sein wollen, weil nur dieser Wille geeignet für die Vernunft des Menschen ist, die
den freien Gebrauch ihrer selbst zur Voraussetzung hat und ihn wegen seiner
Endlichkeit auch von Natur aus bösartig macht. Sogar den Willen zum Gutsein hat jeder
Mensch andererseits in seiner ursprünglichen ‘Empfänglichkeit der Achtung fürs das
moralische Gesetz’. Diese Empfänglichkeit wurzelt lediglich in der praktischen
Vernunft; sie ist deshalb der natürliche Grund des vernünftigen Wesens und seiner
Zurechnungsfähigkeit. Allein dennoch bringt nicht jeder wegen seiner natürlichen
Endlichkeit solch eine Anlage realiter zustande. Aus diesem Grund kommt es nun auf
die ‘Wiederherstellung der ursprünglichen Anlage’ an, die auch die Bildung des
gemeinen Menschen bedeutet. Dafür ist von großem Belang die Herstellung der
Reinheit des moralischen Gesetzes, die ‘nicht von der Besserung des Sitten, sondern
von der Umwandlung der Denkungsart, und von Gründung eines Charakters’ auf der
Basis der reinen Vernunft ausgeht.28 Die Bildung zur reinen Vernunft ist eben die
Reinigung des moralischen Gesetzes. Auf dem Weg der Bildung vergegenständlicht die
Vernunft ihr natürliches Bedürfnis nach einem Endzweck aller moralischen Handlungen
als ‘die Idee eines höchsten Guts’, die aber ‘aus der Moral’ hervorgeht, und ‘nicht die
Grundlage derselben’ ist. D. h. diese Idee ist Ergebnis des natürlichen Bedürfnisses der
dem Moralgesetz zugrunde liegenden Vernunft, alle moralischen Handlungen unter
einen Zweck zu denken und zu vereinigen, und deshalb nicht die Grundlage des
vernünftigen Moralgesetzes. Mit dieser Idee führt die Moral ‘unumgänglich zur
Religion’. 29 Denn die Einheit der Sittlichkeit und der Glückseligkeit als der ganz
verschiedenen Elemente des höchsten Guts30 kann zwar durch die reine praktische
Vernunft als ‘ein synthetischer praktischer Satz a priori’ aufgestellt werden, aber realiter
ist der Mensch nicht der vollständigen Einheit in dieser Welt fähig. Die Würdigkeit
durch die moralische Handlung, glücklich zu sein, führt nicht immer zur Realisierung
der Glücklichkeit durch den Menschen in dieser Welt. Deshalb muss für die
Versicherung der Vollständigkeit der Moral ‘ein allvermögendes moralisches Wesen als
Weltherrscher’ angenommen werden. Dadurch gelangt die Moral notwendig zur
28
29
30
RGV, A13-58.
RGV, AIII-IV.
GMS, A90-96. KpV, A198-203.
18
Religion.31 Die Religion bzw. ‘der Begriff von der Gottheit’ entspringt also eigentlich
nur aus dem Bewusstsein des Moralgesetzes und ‘dem Vernunftbedürfnisse’,32 eine den
Effekt des sittlichen Endzwecks in einer Welt ermöglichende Macht anzunehmen. Diese
Religion ist Vernunftreligion aufgrund des vernünftigen Moralgesetzes. In dieser
Hinsicht beabsichtigt Kant in der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft,
die Realisierbarkeit der Vernunftreligion durch die Betrachtung des historischen
Volksglaubens zu beweisen, d. h. durch die Entlarvung, dass das geschichtliche System
der durch die sinnliche Vorstellungsart des Volks ausgedrückten Offenbarung im Lichte
der moralischen Begriffe auf das Vernunftsystem der Religion zurückgeführt wird. Die
Offenbarung ist ihm zufolge religiöse Erkenntnis der Moralgesetze als Gebote Gottes.
Sie hat also mannigfaltige historische Symbolgestalten nach der jeweiligen
Vorstellungsart jedes Volks. Diese Symbolgestalten sind am meisten sinnlich ‘wegen
des natürlichen Bedürfnisses aller Menschen, zu den höchsten Vernunftbegriffen und
Gründen immer etwas Sinnlichhaltbares, irgend eine Erfahrungsbestätigung u. d. g. zu
verlangen’. Der Volksglaube ist meistens der unmittelbare Glaube an diese Gestalten.
Dagegen gibt es immer in der Geschichte ‘den aufgeklärteren Teil’ des Volks, der
versucht, die symbolische oder buchstäbliche Bedeutung des Volksglaubens mystisch
oder geistig auszulegen. Diese Auslegung besteht in der einfachen Verstehbarkeit der
‘Endabsicht’ der Verfasser der Symbole, ‘bessere Menschen zu machen’. Der Versuch
selber erweist also schon die Tendenz zum Moralglauben der Vernunft im Volksglauben.
Die Symbolgestalten sind ‘Hülfsmittel’, die reinen Lehren der Vernunft ‘öffentlich in
Gang zu bringen’, und populäre ‘Hülle’, in der der Vernunftglaube33 verborgen ist.
Daher, um den sinnlichen und empirischen Volksglauben auf die Grundlage des
Moralglaubens zu stellen, wird die gründliche Auslegung der Offenbarung bis zu deren
Zusammenstimmung mit dem Sinn der allgemeinen praktischen Regeln der reinen
Vernunftreligion durchgeführt. Die religiöse Bedeutung der Auslegung wird der Beweis
der konkreten Entwicklung der Vernunftreligion in der historischen Religion sein und
die gegenwärtige Bedeutung die Aufklärung des Volksglaubens zum Vernunftglauben.
Für Kant ist der ausgezeichnete Gegenstand der Auslegung eben das neue Testament des
Christentums, das einzig und allein Moralreligion war.34
31
RGV, AIV-VIII.
Das ‘Bedürfnis der Vernunft’ ist schon einmal in einer vorherigen Schrift vom Jahr 1786, Was heisst:
Sich im Denken orientieren? als ein ‘subjektiver Grund’ erklärt, bei Selbsterweiterung ‘über alle Grenzen
der Erfahrung’, ‘was sie durch objektiven Gründe zu wissen sich nicht anmaßen darf’, aber durch
logische Selbstorientierung im Denken vorauszusetzen und anzunehmen. SDO, A309-318.
33
‘Ein jeder Glaube, selbst der historische, muß zwar vernünftig sein,...allein ein Vernunftglaube ist der,
welcher sich auf keine andere Data gründet, als die, so in der reinen Vernunft enthalten sind’. SDO, A319.
34
RGV, A100-157.
32
19
Dieses Konzept Kants für die Ethikotheologie scheint mit dem Konzept des jungen
Hegel für die Volksreligion übereinzustimmen, insbesondere darin, dass beide die
Vernunftreligion enthalten. Außerdem ist das Verhältnis zwischen der objektiven und
der subjektiven Religion bei Hegel anscheinend mit dem Kantischen Verhältnis
zwischen der historischen offenbarten Religion und der vernünftigen Moralreligion zu
vergleichen. Auch in dem Gesichtspunkt, dass die praktische Vernunft “Hervorbringung
des höchsten Guts in der Welt,” d. i. “Moralität, und ihr angemessene Glückseligkeit”
als den höchsten Zweck des Menschen aufstellt (FS 155) und dass sich “das reinste
System der Moral” nach dem Prinzip der praktischen Vernunft an die christliche
Religion anschließt (FS 150), ist Hegel Schüler Kants. Dennoch unterscheiden ihn seine
eigentümlichen Ansätze in vieler Hinsicht erheblich von der Kantischen Philosophie.
Erstens und vor allem verbirgt der Volksglauben Kants zwar den Vernunftglauben, allein
der erstere ist nicht Subjekt des letzteren, sondern lediglich Gegenstand der
‘Volkslehrer’, die den Volksglauben einer ‘moralischen Lehre’ annähern.35 Die Bildung
des Volksglaubens ist daher auf die vernünftigen Interpreten der Symbolgestalten völlig
angewiesen. Auch Hegel richtet zwar seine Aufmerksamkeit auf die Verborgenheit der
Vernunft in der Volksreligion, allein das Subjekt, sich die verborgene Vernunft
anzueignen, soll nicht ein gelehrter Interpret, sondern eben das Volk selbst sein. Die
subjektive Religion Hegels, in der das Volk die vernünftige und objektive Bedeutung
der Symbole innerlich besitzt, ist deshalb verschieden von der vernünftigen
Moralreligion Kants. Die Volksreligion ist die populäre Vorform zur Vernunftreligion
und zugleich das Subjekt, sich die Ideen der Vernunft anzueignen. Denn zweitens hätte
die kalte wissenschaftliche Systematisierung der Symbolgestalten durch die Kantischen
Interpreten nur einen anderen “FetischGlauben” zur Folge (FS 100, 103). Wenn die
systematisierte Auslegung, die zwar vernünftig sein kann, hingegen die Abhängigkeit
von Zeichen und Buchstaben veranlasst, gehört sie für Hegel zur objektiven Religion.
Diese Einseitigkeit Kants ist auf seine Ignorierung der Frage zurückzuführen, wie die
moralischen Ideen der Vernunftreligion andererseits zur Ausbildung ‘von nichtmoralischen, geschichtlich vorgegebenen Inhalten’ kommen. 36 Die wahre
Vernunftreligion ist Hegel zufolge lediglich in subjektiver Form möglich, in der die
Ideen der Vernunft zum Zustand des Herzens werden. Dieser Zustand des Herzens ist
daher kein Zustand der passiven Achtung für Ideen, sondern erinnert an den
Aristotelischen Begriff, έξις bzw. Habitus. Nach der Nikomachischen Ethik besteht die
Tugend (αρετη) weder im Leiden (παθος), was im allgemeinen Lust und Unlust
35
36
RGV, A151.
HH, S. 61.
20
begleitende Gefühle bedeutet, noch im Vermögen (δυναµις), mancherlei Gefühle zu
fühlen, sondern sie ist ‘ein Dauerzustand des Seienden’ oder seines Charakters in Bezug
auf die umsichtige Wahl des Willens oder der Handlungen, nämlich der Zustand, der
sich im richtigen Maß für uns erhält (έξις πραιρετικη εν µεσοτητι ουσα τη προς ήµας).
Die Mitte (µεσοτης) als der Maßstab der Aristotelischen Moralität wird durch das
vernünftige Prinzip (λογος) und die praktische Weisheit (το φρονιµον) bestimmt.37
Deshalb werden zum Erwerben der Hexis nicht nur die theoretische und praktische
Vernunft, sondern auch die vernunftgemäße habituelle Betätigung bzw. Übung (αί
ενεργειαι) beansprucht.38 Dieser subjektive Zustand, der durch die vernünftige Praxis
erlangt und in der Mitte des sinnlichen Menschen mit seiner Gewöhnung und
Gewohnheit (εθος) vereinigt wird, hat eine große Verwandtschaft mit dem Hegelschen
Zustand des Herzens, in dem durch die Bildung der Volksreligion die vernünftigen
Ideen der Moralreligion beständig verkörpert sind. Schließlich sind die Symbolgestalten
bei Kant nur als Hilfsmittel der Volksbildung gültig. ‘Feierlichkeiten,
Glaubensbekenntnisse geoffenbarter Gesetze, und Beobachtung der zur Form der
Kirche (die doch selbst bloß Mittel ist) gehörigen Vorschriften’, ‘alle diese
Observanzen’ sind ‘im Grunde moralischindifferente Handlungen’, und auch die
‘Schrift’, die die ‘unveränderliche Aufbehaltung’ des Kirchenglaubens einzig
ermöglicht, lässt sich lediglich durch die reine Vernunft allgemeingültig auslegen. Der
vernünftige Moralglaube muss nämlich vor dem Kirchenglauben vorhergehen.39 Hier
aber übersieht Kant, dass eben die Symbolgestalten des Kirchenglaubens nicht nur
Mittel für die Fasslichkeit und Bildung, sondern auch ferner für die Realisierung der
moralischen Vernunftreligion sind.40 Dagegen sind solche Mittel der Volksbildung für
Hegel zugleich Produkte der vorstufigen Vernunft des Volks. Die Vernünftigkeit dieser
Produkte wird sich nach der Entwicklung der Bildung vergrößern. Es verdient
Beachtung, dass die sinnlichen Ausdruckgestalten der Volksbildung auch Medien sind,
in denen die Ideen der Vernunft objektiv realisiert werden. Von Kant wird keine
Rücksicht auf das Moment dieser Verwirklichung der Vernunft genommen. Die
Entelechie der vernünftigen Ideen ist auch Ausdruck der subjektiven Sinnlichkeit und
Empfindung des Volks. Der Ausdruck kann zwar in Form von Gebräuchen oder
Institutionen auftreten, in denen die objektive Realität der vernünftigen Ideen erkannt
37
Funke, G: Artikel Hexis (habitus) HWP3, S. 1120-1123. Die έξις gibt Gohlke mit ‘Haltung’, und Ross
mit ‘a state of character’ wieder. Aristoteles: Nikomachische Ethik, Übers. Gohlke. Ethica Nicomachea,
The Works of Aristotle, Bd. 9, Übers. Ross, David. 1105b-1107a.
38
Aristoteles: Ethica Nicomachea, 1114a-1115a.
39
RGV, A143-145, A161-162.
40
HH, S. 61.
21
wird. Wer durch dieses Erkennen den Genius des Volks erfasst, wird ein großer Mensch
sein, der das Bildungsniveau des ganzen Volks diagnostizieren und aufklären kann.
Daher, auch wenn die letzte Höhe der Sittlichkeit dem Volk selbst für unerreichbar
gehalten wird, und auch wenn wegen des menschlichen “Hangs zur Sinnlichkeit”
“ausser der reinen Achtung fürs Gesez noch andre sich auf seine Sinnlichkeit
beziehende Triebfedern” als nötige Bildungsmittel angesehen werden, besagt dies
dennoch weder eine Unterbrechung des Bestrebens des Volkes selbst nach dieser letzten
Höhe, noch bildet es einen unmittelbaren Beweis der Unerreichbarkeit für das Volk.
Denn in allen sinnlichen Ausdruckgestalten des Volks spiegelt sich auch die Wirkung
der moralischen Triebfeder in jeder Zeit wider. Den unmittelbaren Ausdruck von
lauterer Sinnlichkeit gibt es nicht beim Menschen, insofern er von Natur aus das
Bedürfnis der Vernunft hat. Und “schon blosse Kultur”, dass in den Ausdrucksgestalten
“nur die grobe Sinnlichkeit verfeinert” ist, ist auch selbst “ein Gewinnst” (FS 100). In
Hegels Absicht liegt hier deutlich die Läuterung der Rohheit der Sinnlichkeit, die
Verfeinerung derselben selbst, daher die Bildung zur vernünftigen Sinnlichkeit.41 Die
Ideen der Vernunft müssen in der Sinnlichkeit und der Empfindung des Volks
subjektiviert werden. Die Volksreligion ist die Vermittlung, wodurch die objektive
Religion der Ideen zur subjektiven Religion des sinnlich realisierungsfähigen Volks
wird. In den sinnlichen Gestalten, in denen sich das Volk zum Ausdruck bringt, ist schon
eine reale Vollendung der Ideen enthalten. Das Volk verschafft den Ideen Wirklichkeit
durch seine sinnlichen Medien. Demgemäß muss sich die Volksreligion für die
Volksbildung um sowohl subjektive als auch objektive Bedingungen selbst bemühen.
Das Volk hat für die Bestimmung des Willens und der Handlung subjektive Vermögen
wie Erkennen, Denken u. a. und als Resultat der Handlung objektive Gestalten wie
Dogmen, Gebräuche, Institutionen u. a. Die Volksreligion, um auf das Volk im Ganzen
zu wirken, muss demnach zweifach eingerichtet werden. Zunächst, weil das Volk eine
historische und soziale Einheit aus Einzelnen ist, muss die Volksreligion auch die
Bildung der Einzelnen einschließen. D. h. ihre subjektive Bedingung ist vor allem, die
Religion der gebildeten Einzelnen zu werden. Die Subjektivierung der vernünftigen
Ideen durch die Volksreligion wird durch die Erziehung der einzelnen Volksmitglieder
vollzogen. Die Aufgabe, jedes Mitglied zur Religion zu leiten und die Ideen erlernen zu
41
Hegels ‘Schwanken in der Bewertung der Sinnlichkeit’, worauf Busche hinweist, kann in dieser
Hinsicht neu bewertet werden. Busche, Hubertus: Das Leben der Lebendigen, HSB 31, S. 48. Im
Kantischen Ausgangspunkt Hegels ist die Sinnlichkeit für die moralische Handlung zwar auch völlig
ungültig, aber des Weiteren müssen die die Moralität bestimmenden Ideen der Vernunft auch der
Sinnlichkeit immanent sein, weil sie nur dadurch erst endgültig realisiert sein können. De facto verraten
schon die Ausdrucksgestalten des Volks die Anwesenheit der Vernunft in seiner Sinnlichkeit. Dies ist
Hegelsche Aristotelisierung des Kantischen Platonismus, der das Jenseits der Sinnlichkeit vorzieht.
22
lassen, schreibt Hegel aber der “privatReligion” zu. Diese dritte wahre Religion steht
aber im Verhältnis zur Volksreligion, nicht wie die subjektive zur objektiven Religion.42
Wenn die subjektive Religion ein Habitus ist, in dem die Ideen der objektiven Religion
in Verbindung mit der Neigung des Individuums stehen, und die Volksreligion die Rolle
der pädagogischen Vermittlung zwischen beiden spielt, ist die Privatreligion eine Art
Volksreligion im Horizont des Individuums, ihre individualisierte Gestalt in jedem
Mitglied. Zu ihrer Aufgabe gehören daher “die Ausbildung des einzelnen seinem
Charakter gemäs, die Belehrung über Collisionsfälle der Pflichten, die besondern
Beföderungsmittel der Tugend, Trost und Aufrichtung in einzelen Leiden und
Unglücksfällen” u. s. f. (FS 102). Um auf diese Weise “die Moralität einzeler Menschen
zu bilden” (FS 111) wäre de facto “die langsame PrivatBildung” (FS 77), die langsame,
geduldige, unverdrossene Anstrengung von Eltern und sich selbst, und dafür geeignete
Umstände erfordert (FS 111). Hegels Nachdruck auf ihre Rolle im volksinnerlichen
Bereich hat zum Vorbild die Belehrung, die große Menschen als “Lehrer und Meister”
anboten. Als musterhafte Lehrer werden von ihm nach dem typischen Vergleich der
damaligen Spätaufklärung oft Sokrates und Christus erwähnt. Sokrates als Bürger der
Republik, als ein Mann, als ein Vater, “ging darauf aus – die Menschen zu belehren,
über das was ihr höchstes Interesse erweken soll – aufzuklären” (FS 118). Er unternahm
den Versuch, Begriffe aus der Seele jedes zufällig angetroffenen Menschen durch “eine
gewöhnliche Conversation” gemäß seinem Charakter zu entwickeln (FS 115), aber er
errichtete keine Schule oder Zunft außer der Rolle der “Hebamme” (FS 119). Sogar vor
dem Tode hinterließ er “keine maurerische Zeichen, keinen Befehl – seinen Namen zu
verkündigen” (FS 120), sondern er belebte die Hoffnung auf “die Unsterblichkeit der
Seele” “bis zu dem Punkte – als der menschliche Geist, seinen sterblichen Gefährten
vergessend, sich herausheben kan” (FS 119). Er zeigte schlechthin auf, dass “das
αγαθον” “mit uns gebohren” ohne Umweg ist, “zur Fertigkeit im Guten die Menschen
zu bringen”, d. i. “etwas, das nicht eingepredigt [werden kann]” (FS 120). Sein Dämon
ist seine individuelle Gestalt der griechischen Volksreligion in seinem Leben, durch das
er Ideen ihres allgemeinen Guts in concreto vorführte. Was er zeigte, ist weder
theoretisches System noch Befehl der allgemeinen Ideen der Vernunft, sondern gerade
ihre Entelechie im konkreten Leben. Demnach etablierte jeder seiner Schüler nicht
einmal als Haupt oder Mitglied einer Schule eine seine Belehrung verbreitende, isolierte
42
HH, 61. Dies Missverständnis taucht z. B. in der Interpretation Menzes sichtbar auf. Er identifiziert die
subjektive Religion falsch mit der Privatreligion, ferner die Volksreligion nur mit einer neuen (!)
sinnlichen Religion, die in keiner oder nur negativer Beziehung auf das positiv gewordene Christentum
steht. Menze, Clemens: Das Ideal der Volksbildung beim jungen Hegel in: Der Weg zum System, S. 225,
231.
23
Gruppe, sondern vielmehr war er “Meister für sich” “in einem eigenen Fach”, bzw. Held
“im Handeln und Leben” (FS 119). Hegel bringt schon 1788 vor dem Eintritt ins
Tübinger Stift eine ähnliche Meinung Über einige charakteristische Unterschiede der
alten Dichter zur Sprache, dass jeder “eine eigene Form seines Geistes und ein eigenes
Gedankensystem” hatte und also “Original” war (FS 47). In der Konzeption der
Volksreligion sieht er nun des Weiteren, dass die private Bildung von Sokrates wie die
Privatreligion es ermöglicht, Original im eigenen Leben jedes Individuums zu sein.
Diese Lehrweise gilt auch bei Christus. Die Belehrung Christi, von Matthäus 19, 21
geschildert, die Hegel des Öfteren zitiert (FS 121, 129), wenn ein Jüngling vollkommen
sein wolle, solle er seine Güter verkaufen und an die Armen verteilen, belegt gut, “wie
sehr Christus bei seinem Unterricht nur die Bildung und Vollkommenheit des einzelen
Menschen vor Augen hatte und wie wenig es sich auf eine Gesellschaft im Grossen
ausdehnen läst” (FS 121-122). Seine Belehrung passte “eigentlich nur für die Bildung
einzeler Menschen”, sein Christentum war “ursprünglich eine PrivatReligion” (FS 139).
Aber wegen der jüdischen Situation seiner Zeit konnte er nicht wie Sokrates als ein
Mitglied der sittlichen Gemeinschaft unmittelbar lehren, sondern musste selbst eine
familiäre Einheit der Zöglinge aufbauen. Er lebte eben zur Zeit der objektiven Religion,
die sich schon daran gewöhnte, “von ihren Voreltern her, durch ihre NationalDichter auf
eine rauhere Art haranguirt zu werden,” an Buchstaben und Predigten der
“Schriftgelehrten und Pharisäer” zu glauben (FS 115). Also hatte er eine vom damals
objektiv-religiösen Umstand isolierte, privatreligiöse Gruppe nötig, um die subjektive
Religion durch sein Leben zu belehren. Was er jedoch in privater Beziehung zu den
Aposteln zeigen wollte, ist wie bei Sokrates, nicht sowohl Befehle und System des
Glaubens daran, 43 als vielmehr “ein wahres übermenschliches Ideal, das der
menschlichen Seele, soweit sie sich davon entfernt denken mus, doch nicht fremde ist”,
“kein kaltes Abstraktum” des Ideals, sondern “seine Individualisierung, daß wir es
sprechen hören, es handeln und wandeln sehen”. Dadurch wird das göttliche Ideal
“schon unserm Geiste verwandt”, “für unsre Empfindung noch näher” gebracht.
Christus ist nun “also für den Gläubigen nicht mehr ein tugendhafter Mensch”, sondern
die Erscheinung der Tugend selbst (FS 149). Diese Belehrung durch ein eigenes Leben
scheint Hegel in der Neuzeit lediglich durch die eigene Anstrengung oder durch Eltern
und die pädagogischen Umstände möglich zu sein. Diese Mittel sind allerdings kleinste
gesellschaftliche Elemente, in denen die Ideen der Vernunft im privaten Lebensbereich
43
Aber das Missverständnis der Apostel, die Belehrung Christi auf die Befehle und den Glauben daran
zurückzuführen, wird die Ursache der später zu betrachtenden Positivität des Christentums. FS, S. 118,
128.
24
des Individuums unmittelbar lebendig da sind. Erst hier wird jedes Volksmitglied
Subjekt der subjektiven Religion. Wenn dieser Bereich unterdrückt würde, würde die
Volksreligion nur zum Herrschaftsmittel der objektiven Religion. Während z. B. die
Reformatoren inklusive Luther44 “eine KirchenGewalt als Stüze der GewissensFreiheit
zum Gegengewicht gegen Fürstengewalt” aufstellten, “den Geistlichen die Macht durch
Gewalt und über Beutel zu herrschen” benahmen, unterschieden sie doch nicht
“zwischen den nötigen Einrichtungen bei einer herrschenden Volksreligion” und dem
privaten Gebiet “einer partiellen Gesellschaft eines Klubbs” und wurden also dazu
verführt, die Macht “noch über die Meinungen” des Einzelnen stellen zu wollen (FS
131). Die Emphase Hegels ist vielmehr also auf die Wichtigkeit der Privatreligion als
Moment der Bildung gelegt, durch die die Ideen der Aufklärung zur Freiwilligkeit in
jedem Individuum gemacht werden.
Das Volk hat auch als Resultat der einzelnen Handlungen objektive Ausdrucksgestalten.
Diese sind sowohl objektive Medien als auch Produkte, in denen die aufgeklärten Ideen
durch die subjektiven Handlungen des Volks institutionell zugleich realisiert werden
und sind. Die Volksreligion kommt bei der einfachen Subjektivierung der objektiven
Religion nicht zur Vollkommenheit, sondern erst, wenn deren vernünftige Ideen im
Leben des Volks ausgedrückt und verwirklicht werden. Diese Vollkommenheit wäre
nichts anderes als ein Beweis der wirklichen Wahrheit der Ideen selbst in jeder Zeit.
Daher muss die Volksreligion zu ihrer objektiven Bedingung im Volksleben auch
objektive Lehren und Zeremonien haben. In Bezug auf jene Lehren spricht Hegel von
vier notwendigen Eigenschaften. Zuerst müssen sie notwendig “so beschaffen seyn, daß
sie eigentlich durch die allgemeine Vernunft der Menschen autorisirt sind”, damit jeder
Mensch seine Verpflichtung aus Vernunft einsehen und fühlen kann, wenn er darauf
aufmerksam wird (FS 103). Denn wenn ihre Autorität auch zwar vom religiösen
Standpunkt aus auf die göttliche Offenbarung angewiesen, aber nicht durch die Vernunft
des Menschen verstanden wäre, würden sie dennoch nur als Gegenstände der objektiven
Religion oder des Fetischglaubens bleiben. Die Spontaneität gegenüber dem, was
vernünftig noch nicht verstanden ist, kann lediglich Anlass zum Aberglauben und
Missbrauch sein und “niemals im Gemüth die Wichtigkeit eines reinen ächten auf
Moralität unmittelbar sich beziehenden praktischen Moments erlangen”. Der
Volksreligion muss die Vernunftreligion der Moralität zu Grunde liegen. Darüber hinaus,
wenn die objektiven Lehren zugleich durch die Vernunft aller verstehbar sein sollen,
44
Über die Berufung Hegels auf Luther als eine protestantische ‘Kampfparole’ schlechthin um die
Freiheit des Glaubens und Gewissens, nicht um die ‘Rückkehr zur Reinheit des Ursprungs’, Losurdo,
Domenico: Hegel und das Deutsche Erbe, S. 106-111.
25
müssen sie vor allem “einfach” sein. Aufgrund dieser Einfachheit werden sie gut
nachvollziehbar und “um so mehr Kraft und Nachdruk auf das Gemüth, auf die
Bestimmung des Willens zu Handlungen ausüben”. Außerdem müssen sie zugleich auch
“so menschlich” sein, “daß sie der GeistesCultur – und der Stufe von Moralität
angemessen sind auf der ein Volk steht” (FS 104). Mit anderen Worten, um nicht im
Besitz der nur wenigen Menschen von großer Erfahrung und Kenntnis zu sein, müssen
sie hinlängliche Volkstümlichkeit und Verwandtschaft haben, die je nach dem
Bildungsniveau des Volks schätzbar ist. Außerdem, obwohl sie auf der allgemeinen
Vernunft basieren, müssen sie auch für “Phantasie, Herz und Sinnlichkeit” sorgen (FS
103). Diese neigen ohne Regelung der Vernunft dazu, “abentheuerliche
Ausschweifungen” zu wagen. Zur Vorbeugung dagegen und um ihnen “einen schönen
Weg” nach den vernünftigen Ideen zu zeigen, ist es vielmehr wohl gut, “mit der
Religion selbst Mythen zu verbinden” (FS 107). Dadurch könnten auch die Ideen mit
schönen Farben der Sinnlichkeit des Volks bemalt werden.
Auch die Zeremonien müssen Hegel zufolge drei notwendige Eigenschaften haben. Sie
dürfen in erster Linie “so wenig als möglich Veranlassung zum FetischDienste” sein,
müssen zweitens “die Andacht, die heilige Empfindungen zu erhöhen”, anzielen (FS
109) und ferner “um alle Geschäfte des Lebens freundlich weilen” (FS 110). D. h. wo
“der Geist verfliegt”, dürfen sie kein Wesen der Volksreligion, sondern müssen
Erhebungsmittel der Empfindung auf die Ideen der Vernunft sein. Für die Andacht als
“ein solches reines Mittel” werden z. B. “die heilige Musik und der Gesang eines
ganzen Volkes” empfohlen (FS 109). Die Volksreligion darf nicht um der Zeremonien
willen “alle Bedürfnisse des Lebens” bzw. “die öffentliche SaatsHandlungen” (FS 103)
vernachlässigen, sondern muss “die Anführerin, die Ermuntererin” des Lebens sein (FS
110). Dadurch werden die Ideen im Volk verinnerlicht und in dessen Leben ausgedrückt.
Wenn sie durch die Privatreligion zum Ausdruck des originellen Lebens des
Individuums kommen, werden sie durch die Volksreligion als das traditionelle Leben
des Volks45 ausgedrückt.
Nur durch dieses Konzept des jungen Hegel für die Volksreligion kann sein
Sittlichkeitsbegriff beurteilt werden. Mindestens bis zum Jahre 1794 wird die
Sittlichkeit vom Kantischen Standpunkt der Aufklärung aus von ihm als “der höchste
45
Der junge Hegel stellt auch eine Diagnose, dass für die Aufklärung des damals rückständigen
Deutschland eine noch “eigentümliche vaterländische Tradition” fehle (FS 80). Daher bietet sich die
Einwurzelung der aufklärerischen Ideen in der Tradition an. Die Volksreligion enthält auch diese
Rücksichtnahme, die sich später an die Kritik des Berliner Hegel an den in der Tradition falsch
verwurzelten Liberalismus der Restauration anschließt. Losurdo, Domenico: Hegel und das Deutsche
Erbe, S. 99-106.
26
Zwek” der menschlichen Vernunft aufgestellt, die die praktische und gehaltreiche
Realisierung der Ideen garantiert. Daher ist sein Sittlichkeitsbegriff synonym mit dem
neuzeitlichen Begriff der Moralität bis Kant. Als Kantischer Schüler erblickt er “eine
der vorzüglichsten” Anlagen des Menschen zur Moralitätsbeförderung in der “Anlage
zur Religion” (FS 139). Umgekehrt gesagt, wird die Religion auch bei ihm in Hinsicht
der Moralitätsbeförderung auf die Tugendlehre beschränkt. Die “Wirkung der Religion
ist Verstärkung der Triebfedern der Sittlichkeit durch die Idee von Gott als moralischen
Gesetzgebers – und Befriedigung der Aufgaben unserer praktischen Vernunft in
Ansehung des von ihr uns gesezten Endzweks, des höchsten Guts” (FS 153-154). Aber
“die Erkenntnis Gottes kan ihrer Natur nach nicht todt”, nicht getrennt von den
Verhältnissen des Lebens sein, sondern entspringt aus dem praktischen Bedürfnis des
Menschenlebens (FS 139). Wenn der Anfang der Erkenntnis Gottes das Menschenleben
ist, ist auch der Topos der Realisierung der Idee Gottes das Menschenleben. Als
moderner Aristoteliker beabsichtigt Hegel also die “Hervorbringung des höchsten Guts”
“in der Welt” (FS 155). Die Sittlichkeit ist der menschliche Name der göttlichen Ideen
der Vernunft. Sie ist ein Maßstab der Wahrheit der Ideen, die im Volksleben ausgedrückt,
verwirklicht, dann erst bewiesen werden. Wenngleich sie vom jungen Hegel noch nicht
von der Moralität auf der Basis der jenseits der Lebensverhältnisse objektiv
aufgestellten Ideen unterschieden werden und in diesem Sinne noch ein subjektiver
Begriff der Neuzeit bleiben, erlangt diese deontologisierte Sittlichkeit aber durch die
Konzeption der Volksreligion wiederum den ontologischen Zusammenhang mit dem
Leben. D. h. sie stellt unter dem Aspekt der Realisierung der objektiven Ideen im Leben
durch die subjektive Sinnlichkeit und Handlung des Volks die Aristotelische
institutionelle Implikation wieder her. Das “natürliche Bedürfnis der Menschen” zur
Sittlichkeit kann “durch besondre Anstalten” des Volkes befriedigt werden (FS 154),
worin sie “besonders etwas selbsterfahrnes, etwas selbstgeübtes” vom Volk ist (FS 149).
2. Leben als Vereinigung durch Liebe
2.1. Kritik an Positivität
Während Hegels Interesse bis zur frühen Berner Zeit unter dem Einfluss der Aufklärung
und der französischen Revolution meistens auf die Konzeption der Volksreligion als
einer neuen Religionsgestalt gerichtet ist, ist seine Arbeit in der späteren Berner bis zur
Frankfurter Zeit durch die Eignungsverifikation des Christentums zur Volksreligion
27
motiviert.46 Schon der Verfall der Aufklärung zum Fetischglauben wurde von ihm als
durch die religiöse Objektivierung der nur subjektiv lebendigen Ideen und Lehren
entstanden kritisiert. Die Modalität der Gewalt, die die Objektivierung im
gesellschaftlichen politischen Bereich verursacht, wird nun auch durch die
Schreckensherrschaft von Robespierre im Verlauf der französischen Revolution erlebt.
Der Brief vom Weihnachtsabend 1794 an Schelling enthält Hegels erste, aber kritische
Erwähnung über die Revolution als “die ganze Schändlichkeit der Robespierroten” (Br
12). Diese kritische Distanz gegenüber der Revolution deutet zugleich auf seine
Verzweiflung über die Politik aufgrund der verabsolutierten subjektiven Ideen und sein
fortwährendes Mitgefühl mit den revolutionären Ideen hin. 47 Sie spiegelt sich
konsequent auch in seiner philosophischen Forschung wider, in der der Berner Hegel
beginnt Schwindel zu fühlen bei der “höchsten Höhe” des Kantischen, des Weiteren,
Fichteschen Systems, von dem er “eine Revolution in Deutschland” erwartet (Br 23-24).
Der Schlüsselbegriff gegenüber einer solchen Problemlage ist die Privatreligion, die es
in Hegels religiöser Konzeption zur Aufgabe hat, “die Moralität einzeler Menschen zu
bilden” (FS 111). Wenn die Volksreligion den Geist eines Volks bildet, bildet und
vermittelt die Privatreligion den Einzelnen als Volksmitglied zum Geist seines Volks.
Ohne diese Bildung und Vermittlung wäre das Volk nicht frei von der Gefahr, die
subjektiven Ideen zu verabsolutieren und durch den Terror durchzusetzen. Dahingehend
stellt Hegel mehrere Vergleiche über ihre geschichtlichen Erscheinungen an, z. B.
zwischen Sokrates und Jesus, der griechischen und der christlichen Religion. Ihm
zufolge war die christliche Religion “ursprünglich eine PrivatReligion” (FS 139). Diese
Einsicht erfordert zweierlei Betrachtungsweisen, eine positive darüber, was Jesus in der
Anfangsphase der Privatreligion zur Bildung der einzelnen Menschen beitrug, und eine
kritische über die Möglichkeit ihrer Erweiterung zur Volksreligion. Beide
Betrachtungen bilden Themen des Leben Jesu (1795) und insbesondere die letztere
kristallisiert sich als Positivitätskritik. Hegel betrachtet die Religion hier einerseits noch
weiterhin lediglich ‘als Triebfeder der Moralität’ nach der Kritik der reinen Vernunft,
und die Frage der Eignung des Christentums zur Volksreligion wird andererseits durch
die Betrachtung über die spezifische Situation der Religion Jesu negativ entschieden.48
Sokrates lehrte, wie erwähnt, als ein Mitglied seines Volks “seine Weisheit im
Getümmel des thätigen Lebens” (FS 148) und blieb immer “nur Lehrer und Meister”,
indem er sich “durch sein Beispiel der Rechtschaffenheit und durch vorzügliche
46
47
48
RH, S. 43.
HH, S. 10. HStaata, S. 19.
RH, S. 46-47.
28
Vernunft” “für jeden” auszeichnete. Er bestritt “die Mythologie seines Volks nicht
direkt”, sondern wollte nur ein vernünftiges Muster seines Volkes sein, und nur insofern
war er Lehrer seines Volks (FS 198.) Seine Lehren “als Mann, als Vater”, als Bürger
waren selbst akzeptierbar in konkreten Lebensformen des Volkes (FS 118). Also
brauchte er keine Schule oder Gruppe von Anhängern zu gründen. Er galt lediglich als
vortreffliches Beispiel dafür, wie sich allgemeine Vernunftideen in einem einzelnen
Leben verkörpern. Hingegen bezeichnend für das Leben Jesu ist die Isolierung von
seinem Volk, das nur abhängig von der objektiven Religion und deren positiven Inhalten
sein Leben führte. Im Gegensatz zu seinem Volk hatte er Zöglinge nötig, die seine
allgemeinen Lehren durch ihre einzelnen Leben zur Wirklichkeit machen sollten. Seine
Organisierung der ausschließlichen Gruppe von Apostel, “denen er seinen Geist rein
einhauchen könnte”, erwies sich aber als Grenze des Christentums als Privatreligion,
über die seine Belehrung nicht hinausgehen konnte (FS 225). Er nahm sogar mit seinem
“Prinzip der Tugend” unmittelbar eine angreifende Haltung gegen “die
Moralitätzerstörenden Sazungen der Juden” ein (FS 198). Er belehrte zwar, wie
Sokrates, jeden einzelnen Menschen, aber doch nicht als ein Volksmitglied. D. h. seine
Belehrung konnte sich nicht über seine bestimmte Gruppe hinaus bis zum ganzen Volk
ausweiten. Mit anderen Worten lehrte er zwar, wie Sokrates, allgemeine Ideen, konnte
aber nicht ein musterhaftes Beispiel für sein Volk sein. Dementsprechend beschränkt
sich die Allgemeinheit seiner Lehren auf die Einzelheit seiner Jünger, die seine Lehren
willkürlich zu verstehen pflegten. Wenn er ihnen befahl, in alle Welt hinzugehen und
alle zu taufen, hielten sie “diese Taufe – ein aüsseres Zeichen, für allgemein
nothwendig”, und wenn er sagte, “wer da glaubet”, verstanden sie darunter “wer an
mich glaubt” (FS 118). Seine allgemeine Belehrung konnte weder “als Grundsaz nur
einer kleinen Gemeinde, eines geringes Dorfs” bestehen, noch sich “auf ein Volk”
ausdehnen, dem er sich unmittelbar entgegensetzte. Denn seine Lehren eigneten sich
“eigentlich nur für die Bildung einzeler Menschen” (FS 129). Aber wenn “fälschlich
was nur für eine kleine Familie angeht – auf die bürgerliche Gesellschaft ausgedehnt”
wird, führt dies zur Perversion (FS 131). Der Keim dieser Perversion liegt ‘bereits in
der Urgeschichte der christlichen Religion’.49 Denn Jesus “direkte Angriffe stossen eine
positive Religion um, und führen eo ipso wieder [in] eine positive” (FS 198). Diese
Bilanz ist aus der von Rosenkranz betitelten Schrift, Das Leben Jesu, deutlich zu ziehen.
Das Leben Jesu zieht die christliche Religion vor ihrem Verfall als “das reinste System
der Moral” in Betracht. Hegels Absicht zielt darauf, die frühe christliche Religion als
die Moralreligion der reinen Vernunft zu beweisen. Er liefert den Beweis dadurch,
49
HH, S. 64.
29
indem er innerhalb der Grenzen der Kantischen Vernunft aufzeigt, “daß der ganze Geist
der Moral Christi mit der erhabensten Moral in Übereinstimmung gebracht werden kann,
daß der unbedingteste Gehorsam gegen das Gesez darin eingeschärft wird” (FS 150).
Der Erfolg des Beweises sollte die christliche Religion zur Privatreligion qualifizieren
und damit die gegenwärtige Realisierung der Kantischen Philosophie durch die
Privatreligion garantieren. Insofern dieser Versuch bei der religiösen Konzeption
gründlich und endgültig unternommen wird, zeigt Hegel sich ein für allemal hierbei als
strenger Kantianer. Trotzdem beachtet er auch die Differenz zwischen Jesus und Kant.
Wie Sokrates die Mythologie und Legende seines Volks nicht unmittelbar negierte, so
nahm Kant auch keine Rücksicht auf damalige “Bestreitungen der Dogmatik” “durch
argumenta ad hominem”, sondern stellte lediglich sein “Prinzip der Tugend” auf,
während Jesus mit dem gleichen Prinzip im Gegensatz zu seinem Volk stand (FS 198).
Ob diese Strategie Jesu für die Privatreligion zu rechtfertigen ist, ist nun mit dem
Kantischen Standpunkt der Moralität zu prüfen. Aus diesem Grund tritt Jesus hier nicht
mehr als Protagonist der religiösen Mythologie auf, der übernatürliche Wunder tut,
sondern ganz und gar als Lehrer der Moral, der im Gegensatz zum Volk “das ewige
Gesez der Sittlichkeit” lehrt (FS 210). Dadurch tritt die Phantasie oder Empfindung des
Volkes, die in der vorherigen Konzeption eine wichtige Rolle spielt, in den Hintergrund
zurück, stattdessen hebt sich “der Dienst Gottes und der Vernunft” ab (FS 219). “Die
reine aller Schranken unfähige Vernunft ist die Gottheit selbst”, die allein zum
Gegenstand der Verehrung werden kann (FS 207). Dies Verständnis der Gottheit lässt
zum einen Hegel mit der begrenzten Anführung der drei Evangelien von Johannes,
Matthäus und Lukas ‘im Rahmen eines aufgeklärten Deismus’50 verbleiben, führt ihn
aber zum anderen mit der Kantischen Sittlichkeit zum negativen, aber gewichtigen
Ergebnis.
Das Leben Jesu unterscheidet sich ihm zufolge in zwei Perioden, in die des
“Nachdenkens in der Einsamkeit” und in die des Lehrens in der Öffentlichkeit. Das
Hauptthema jenes Nachdenkens war bezüglich der Möglichkeit, “durch Studium der
Natur und vielleicht durch Verbindung mit höhern Geistern” “unedlere Stoffe in edlere,
für den Menschen unmittelbar brauchbare zu verwandeln” und führte zum Resultat der
Überwindung des Wundergedankens “durch die Betrachtung der Schranken, die die
Natur dem Menschen in seiner Macht über sie gesezt hat”. Damit bestehe die “Würde
des Menschen” nicht im von oben gegebenen übermenschlichen Vermögen, sondern im
Streben, innerhalb der von der Natur gestellten Schranken seine “über die Natur
50
HH, S. 66. Hegel ist sich auch seiner Schranken voll bewusst, als er am 30. August 1795 an Schelling
schreibt, “auch im kirchenhistorischen Fache, wo ich sehr schwach bin”. Br, S. 33.
30
erhabene Kraft” zu erlangen. Die Selbstbildung Jesu vollendet sich so endlich mit der
Überlegung des Menschenwesens. Demnach sieht Jesus “die wahre Bestimmung seines
Lebens” darin, die erhabene Kraft der menschlichen Natur auszubilden und zu
entwickeln (FS 209). In diesem Hinblick tritt er für den Berner Hegel als ein sein
wahres Wesen verwirklichender Mensch zum Vorschein. Nach dem bereits in der
Tübinger Zeit erhaltenen Verständnis ist der Mensch von Natur aus “ein aus Sinnlichkeit
und Vernunft zusammengeseztes Wesen” (FS 78). “Seine Natur ist nicht blos auf Triebe
nach Vergnügen eingeschränkt – es ist auch Geist in ihm, auch ein Funken des
göttlichen Wesens”. Nämlich die erhabene Kraft des Menschen in seiner Natur ist eben
der Geist als “das Erbtheil aller vernünftigen Wesen”, und mit Achtung auf “das innere
Zeugnis” dieses Geistes “die Triebe der Natur” nicht zu verdammen, sondern zu leiten
und zu veredeln, ist die “hohe Bestimmung” des Menschen (FS 212). Die Bildung bzw.
Leitung der Sinnlichkeit durch die Vernunft besagt nichts anderes als die Sittlichkeit.
Die Vernunft ist eben “ein wahres übermenschliches” Wesen, mit dem die Gottheit den
Menschen begabte (FS 149), und nur “an die Vernunft zu glauben”, ohne irgendeiner
Autorität zu folgen, ist der wahre Geist der Religion (FS 211). Auf diesem Geist, “in
dem allein Vernunft und ihre Blüthe, das Sittengesez herrscht”, muss sich “die ächte
Verehrung Gottes” gründen (FS 213). Gemäß diesem Geist lehrte Jesus als die mögliche
Gültigkeit einer Handlungsmaxime zum allgemeinen Gesetz “das Grundgesez der
Sittlichkeit” (FS 221), und als das Vermögen der Sittlichkeit, als den “höchsten
Maasstaab, des Wissens und des Glaubens” die allgemeine Vernunft (FS 223). Die
Sittlichkeit, die “nicht an eine besondere Nation, oder positive Einrichtungen gebunden
ist”, sondern sich lediglich auf die Vernunft stützt (FS 210), ist “der einzige Maasstab
der Wohlgefälligkeit Gottes” (FS 222). Als Tugenden nach diesem Maßstab lassen sich
aufzählen: die Achtung des Menschen für sich, die Achtung für “die Menschheit” aller,
einschließlich seiner Feinde aus “Liebe und Versöhnlichkeit”, Bruder- und
Nächstenliebe, “Selbstständigkeit” und die “Freiheit eigenes Willens”, der allein der
eigenen Vernunft folgen will u. a. (FS 217, 219, 265, 267).
Aber Jesus, der als vernünftiger Mensch göttlich sein kann, zeigt seine Schranken darin,
“daß das Leben und die Kraft Eines Menschen nicht hinreiche, eine ganze Nation zur
Moralität zu bilden” (FS 225). Also wählte er zwölf Apostel, die seinen Geist in sich
aufnehmen konnten, und befahl ihnen, seine Lehren zu verbreiten. Dadurch tritt die
Religion der allgemeinen Vernunft ins Gehege der Privatreligion zwischen dem Lehrer
und den Zöglingen, ferner in die Entgegensetzung des Aufklärers gegen die
Ungebildeten ein. Jesus Lehren bringen so mit sich “Uneinigkeit und Streit” “zwischen
Laster und Tugend, und zwischen Anhänglichkeit an hergebrachten Meinungen und
31
Gebräuchen des Glaubens, die durch irgend eine Autorität in den Köpfen und Herzen
der Menschen gegründet worden sind, - zwischen der Rükkehr zum wiederauflebenden
Dienste der in ihre Rechte eingesezten Vernunft”. Durch den Streit werden Freunde und
Familien entzweit und in bessere und schlechtere Teile der Menschheit geteilt. Diese
Selbstunterscheidung Jesu in der Isolation vom Volk läuft zuletzt auf die “Verfolgung”
durch diejenigen hinaus, die noch an den Glauben der Autorität gebunden sind. Aber er
als Morallehrer der reinen Vernunft brachte sich schon die Verfolgung als sein
“Schiksal” zum Bewusstsein (FS 243). In “einer aüssern Form eines Staates, in einer
Gesellschaft, unter den öffentlichen Gesezen einer Kirche”, wo sie das Reich Gottes zu
sehen hoffen, fielen Jesus nur ungeistige Bilder des Todes auf (FS 250-251). Sein
ganzes Leben ist gerade “der tägliche Umgang mit den Bildern des Todtes”, “eine
meditatio mortis” (FS 136), um “die verlohrne Achtung gegen die weggeworfne
Menschheit wiederherzustellen” (FS 268). Wenn der Glaube des Einzelnen auf
Institutionelles, Gebräuchliches, Äußeres, also Totes angewiesen ist, hat die Aufklärung
Jesu die Konfrontation mit dem Toten zur Bedingung. Doch sein Streben als eines
Menschen muß notwendig scheitern; dieses Scheitern ist aber zugleich auch notwendige
Bedingung für die Rechtfertigung seiner Belehrung. Denn “der heilige Geist der
Tugend” muss nicht bezeugen, dass er “in der Hülle dieses Körpers” seine Bestimmung
vollendet hat, sondern sein äußeres Leben verlassen, damit “eine höhere Laufbahn in
bessern Welten” zeigen kann, “wo der Geist schrankenloser sich zum Urquell alles
Guten emporschwingt, und in seine Heimath, in das Reich der Unendlichkeit, eintritt”
(FS 258, 266). Der Tod Jesu ist bereits im Gegensatz zum Toten in der Bedingung seiner
Belehrung impliziert, und im Hintergrund des Gegensatzes steht de facto der Kantische
Grundgegensatz zwischen der reinen und der unreinen Moralität, Autonomie und
Heteronomie, Vernunft und Sinnlichkeit. Sein Gegensatz und seine Isolation
ermöglichen lediglich die Privatreligion und treiben ihn am Ende über die Grenze der
Vernunft hinaus mit “Ja” zu antworten auf die Frage des Oberpriesters, ob er “ein Sohn
der Gottheit” ist (FS 271). Die Vernunft im Gegensatz zur Sinnlichkeit ist nicht mehr
menschlich. Seine Antwort mit der isolierten Vernunft auf die sinnliche Frage wird
seinen Tod als Mensch veranlassen.
Jesu Entgegensetzung gegen das Tote führt nunmehr nicht zur Harmonie, sondern
vielmehr zur Trennung zwischen Vernunft und Sinnlichkeit. Damit hebt er sich nicht so
sehr als Lehrer der reinen Moral, sondern vielmehr als Lehrer der Moralreligion hervor.
Er kommt zu lehren nicht mehr die vernunftgemäße Moralität einer Religion, sondern
die sich immer mehr zur Religion machenden und auf religiöse Dogmen fixierende
Moralität, d. i. eine Religion der Moralität. Er selber muss für den moralischen Sieg,
32
paradoxerweise auch notwendig, immer eine solche Rolle eines Lehrers der
Moralreligion spielen und den “Glauben an seine Person fodern, dessen seine
VernunftReligion nur bedurfte, um sich dem positiven entgegenzusezen” (FS 290). Dies
ist das Resultat vom nach dem Kantischen Prinzip verstandenen Leben Jesu. Als der
Glaube an die Person Jesu zum Kern der Moralreligion und seine Autorität zum
religiösen “Princip der Verbindlichkeit zur Moralität” wurde (FS 291), geriet die
christliche Religion von selbst auf die Bahn der positiven Religion. Direkte Angriffe
gegen eine positive Religion lassen sich nur in positiver Weise vornehmen und wie
bereits erwähnt, “führen eo ipso wieder [in] eine positive” (FS 198). Die Ursache für
diese Verderbnis der christlichen zur positiven Religion wird des Weiteren in den drei
Fragmenten gründlich analysiert, die etwas nach dem Leben Jesu von Hegel abgefasst,
späterhin von H. Nohl mit der Überschrift Die Positivität der christlichen Religion,
versehen wurden. In den Fragmenten, die im Folgenden näher beschrieben werden,
befasst sich Hegel mit den negativen Ergebnissen des Leben Jesu, aber unabhängig von
dessen Kontext. Daher können die Fragmente bei seiner religiösen Untersuchung dieser
Zeit für das Gegengewicht gegenüber dem mit der Aussicht auf die Privatreligion
affirmativ anfangenden Leben Jesu gehalten werden. Die Positivität befindet sich nun in
ihrer zweiten Phase: Erst in kritischer Hinsicht bedeutet Positives bekanntermaßen das,
was aus Autorität als objektive Verbindlichkeit gegeben ist. Und die Analysis der
Positivität der christlichen Religion liegt von nun an im Verstehen der ‘inneren Logik
der Geschichte der christlichen Religion, in Verbindung mit den äußeren Umständen’.51
Hegels frühere Studien sehen die Ursache der “Ausartung” der Religion in der
Einführung der geheimen oder auch allgemein bekannten, aber geschichtlich
überlieferbaren Mysterien (FS 126). Wenn diese Mysterien ohne vernünftige
Rechtfertigung als “die positive Lehren einer Religion” angesehen werden, haben sie
“nicht eigentliche Moralität, sondern nur Legalität zum Zwek und zur Folge” (FS 145).
Die Legalität beruht lediglich auf der Ausübung der religiösen Gebote, d. h. einem
Praktizieren der positiven Lehren, das nicht im Geiste der Tugend, sondern “nur dem
Buchstaben nach geschieht” (FS 128). In der christlichen Religion kamen solche
Mysterien zuerst sozusagen als Begriffe wie ewige Seligkeit und Verdammnis vor, und
jede Sekte heftete die Begriffe “an den Glauben ihrer positiven Lehren” an (FS 200).
Demnach ist nun die Frage zu stellen, ob ihre positiven Lehren lediglich allein durch die
Vernunft gerechtfertigt oder lediglich positiv aufgeladen sind. In diese Frage ist die
Eignungsverifikation der christlichen Lehren für die Kantischen Hilfsmittel zur
51
HH, S. 69. Hieraus entwickelt sich ein ‘Religionsbegriff’, ‘der sich nicht im Gedanken der reinen
Tugendlehre erschöpft’ und von Anfang an ‘Religion nicht als bloß Positives’ fassen kann. RH, S. 48.
33
populären Zirkulation der rein vernünftigen Lehren einbezogen. Wenn Jesus in Hegels
Augen konsequent Lehrer der Moral geblieben wäre, wären seine Lehren als irgendwie
auf der Vernunft gegründet oder als Resultat eines solchen Versuchs erklärbar. Aber das
erste Fragment bezüglich der Positivitätskritik, Man mag die widersprechendsten
Betrachtungen... beschreibt Jesus als einen Menschen, der “wenig gegen die vereinigte
Macht eines eingewurzelten Nationalstolzes” vermochte, der auf der Autorität der
jüdischen Religion basierte (FS 284). Vor Kummer, am Geist der jüdischen Zeit zu
scheitern, musste er seine Belehrung unvermeidlich “auf die gleiche Autorität gründen”.
Denn “auf Vernunft allein sich berufen zu wollen, hätte den Fischen predigen
geheissen”. Auf diejenigen, die keinen Sinn für Vernunft haben, kann nur “die
Entgegensetzung einer gleichen Autorität” gegen ihre wirksam sein. Er musste daher so
“sehr viel” “von seiner Person” als Lehrer der Tugendreligion, als Sohn der Gottheit, als
Messias, wie als Lehrer der Moral sprechen. Seine Lehren sollten schließlich nicht
darum erlernt werden, “weil sie den moralischen Bedürfnissen unsers Geistes
angemessen, sondern weil sie Gottes Willen seyen” (FS 289). Daher leisteten auch seine
Wunder, die er selbst hatte überwinden wollen, keinen geringen Beitrag dazu, den
Glauben an seine Autorität zu verstärken. Abgesehen von ihrem realen Entstehen setzen
Wunder doch Verständnislosigkeit ihrer Wirkungsweise voraus. Jedenfalls wurden die
Taten Jesu von seinen Jüngern und Freunden für Wunder gehalten und ihretwegen –
nicht “wegen seiner Lehre”, sondern “wegen seiner Wunder” – wurde er respektiert (FS
291-292). Aus diesen Veranlassungen ergibt es sich, dass seine Religion von Anfang an
nicht rein moralisch, sondern positiv war. Jesus ist nun für Hegel ‘nicht mehr ein Ideal
der reinen praktischen Vernunft’.52 Seine Religion wurde weiterhin von den Jüngern,
die wegen ihrer unbesiegten jüdischen Vorurteile noch auf seine Person und Autorität
beschränkt waren, verbreitet, institutionalisiert, verstaatlicht. Die Moralgesetze, die
lediglich aufgrund der übermenschlichen Autorität als Gebote Gottes verstanden werden,
kann die christliche Religion nicht als gemäß der Autonomie des vernünftigen Willens,
sondern allein “als etwas ausser uns bestehendes, als etwas gegebenes” vorbringen und
daher keine reine Moralität lehren (FS 350). Demzufolge werden auch Schäden, die der
heteronome Anspruch der christlichen Religion auf die moralische Verbindlichkeit
geschichtlich mit sich brachte, zur Zielscheibe der harten Kritik Hegels. Darunter fallen
u. a. die Erweiterung der lediglich für die kleine Sekte möglichen Gütergemeinschaft
zur christlichen Gemeinde, das Verderben der Maxime der Gütergemeinschaft zum
Mittel, “sich im Himmel einzukaufen” (FS 299), das Sprechen von der Gleichheit der
Menschen nur “in den Augen des Himmels”, also nicht “in diesem Erden-Leben” (FS
52
HH, S. 71.
34
300), das Rechtfertigen des Staates, sogar des Despotismus durch die Verachtung der
bürgerlichen und politischen Freiheit und des Lebensgenusses zwecks des künftigen
Himmels. Anhand dieser Kritikpunkte gelangt Hegel schließlich zur fundamentalen
bedeutenden Erkenntnis, dass die Positivität der Religion, besonders der christlichen,
keinesfalls die reine Moralität sein kann und vor allem, dass die Kantische Einheit der
Moralität und der Religion im Grunde genommen nicht möglich ist.
Kant zufolge ist die Vernunft ‘das Vermögen der Prinzipien’53 und wird bei ihrem
praktischen Gebrauch lediglich durch die moralische Handlung selbstzweckmäßig
benutzt. Nämlich die Handlung, in der die Vernunft nur sich selbst zu causa finalis hat,
ist die moralische Handlung, die ihrerseits daher durch diesen Zweck als causa efficiens
bestimmt ist. Dafür bietet die Vernunft ihre Begriffe als ‘reine praktische Gesetze’54 an,
die als Bedingung für die moralische Handlung notwendig und allgemeingültig sind.
Diese Gesetze sind in dem Sinne auch moralische Gebote, indem sie dem Willen zur
moralischen Handlung befehlen, ihnen zu folgen. Aber die Gesetze bzw. Gebote sind für
Hegel lediglich “subjektiv”, insofern sie nur den Willen bestimmen. Trotzdem werden
sie als notwendig und allgemeingültig “von Kant” aber im anderen Sinne “objektiv
genannt”. Daraus entstehen zwei Probleme. Das eine bezieht sich auf das
Missverständnis der christlichen Kirche, das andere auf die Grundaporie der praktischen
Philosophie Kants. Die christliche Kirche behandelt im Gegenteil zur Ansicht Kants die
moralischen Gebote der Vernunft als das Objektive “wie Regeln des Verstands” (FS
350). Im Erkennen ist objektiv für Kant das, was für alle Subjekte und zugleich für die
Objekte als Gegenstände möglicher Erfahrung notwendig und allgemeingültig ist.55 Die
Regel ist ‘die Vorstellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewisses
Mannigfaltiges, (mithin auf einerlei Art) gesetzt werden kann’, und ‘wenn es so gesetzt
werden muss’, heißt sie ‘Gesetz’. Der Verstand ist ‘das Vermögen dieser Regeln’, ein
Mannigfaltiges der Erscheinungen mit seinen reinen Begriffen unter eine Einheit zu
setzen. Ohne die Regel des spontanen Verstandes wären alle Subjekte der Erfahrung
lediglich rezeptiv, alle Gegenstände der Erfahrung bloß mannigfaltig und keine
objektiven Erfahrungen möglich. In diesem Sinne sind die Verstandesregeln objektiv.
Und wenn eine Verstandesregel ferner ‘der Erkenntnis des Gegenstandes notwendig’
anhängt, in diesem weiteren Sinne auch objektiv ist, ist sie ein Gesetz.56 Die christliche
Religion hält die moralischen Gebote für so objektiv wie die Verstandesregel, besonders
im zweiten Sinne der Regel, ähnlich wie die Gesetze des erkannten Gegenstandes. Mit
53
54
55
56
KrV, A299.
KrV, A800.
Eisler, Rudolf: Kant Lexikon, S. 399.
KrV, A113-127.
35
anderen Worten gilt das Moralgebot für die christliche Religion als ein Handlungsgesetz,
als ob dieses außer uns vom Herrn der Verstandeswelt gegeben worden wäre.
Demzufolge kann die Vernunft zwar nur das gegebene Moralgesetz zu ihrer subjektiven
Maxime machen, aber selbst die Triebfedern für dieses kann sie nicht finden, weil sich
die Triebfedern als sinnlich auch dem objektiven Handlungsgesetz unterwerfen.
Deshalb übermittelt uns die christliche Religion lediglich “die objektive Triebfedern”,
“die nicht das Gesez selbst”, sondern dem Gesetz gemäß sind (FS 350). Damit ist die
Freiheit der menschlichen Vernunft im Christentum nicht mehr möglich.
Dagegen ist nach der Kritik der praktischen Vernunft, im Sinne vom ‘Faktum der
Vernunft’, das Moralgesetz schlechthin objektiv. Das Moralgesetz dringt sich uns
schlechthin ‘als synthetischer Satz a priori’ auf. D. h. für die moralische Handlung
bestimmt die Vernunft sich als Willen so unmittelbar, dass seine Maxime die allgemeine
Form des Gesetzes hat. Diese Bestimmungsweise der Vernunft, ein der subjektiven
Maxime dienendes Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens ‘durch die objektive
Form eines Gesetzes überhaupt’ ‘zu denken’, beweist gerade die Realität des
Moralgesetzes als Faktum der Vernunft. 57 Denn die Möglichkeit der allgemeinen
Gesetzgebung der Willensmaxime ist eben das Moralgesetz. Das Moralgesetz ist das
Faktum der freien Vernunft. Es ist das Gesetz der Vernunft und, insofern die Vernunft
schlechthin frei ist,58 das Gesetz der Freiheit.59 Bereits in der freien Gesetzgebung der
Vernunft besteht die Realität des Moralgesetzes. Und durch das Bestimmen erhält die
Vernunft erst ‘zum erstenmale objektive, obgleich nur praktische Realität’. ‘Die
objektive Realität’ ‘einer reinen praktischen Vernunft’ ist daher ‘im moralischen Gesetze
a priori gleichsam durch ein Faktum gegeben’. Die Vernunft wird bei der moralischen
Gesetzgebung nämlich als ‘im Felde der Erfahrung durch die Ideen selbst wirkende
Ursachen’ immanent gebraucht.60 Aber trotz der Objektivität des Moralgesetzes als
Faktum der Vernunft bleibt andererseits noch eine Aporie der praktischen Philosophie
Kants übrig. Sie stellt, wie schon oben angedeutet,61 die Frage, wie die Vernunft in der
Bestimmung von sich als Willen notwendig ein Moralgesetz wählt, bzw. ‘wie ein Gesetz
für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des freien Willens sein’ kann.62 Darauf
57
KpV, A56.
GMS, A99-102.
59
Dies besagt nicht die Wirklichkeit der Freiheit, sondern drückt bloß das Gesetz als Faktum der freien
Vernunft, ihrer Freiheit, aus, die empirische Motivationen beim Wollen ausschließen muss. Daraus wird
nicht nur die notwendige Wahl des Moralgesetzes vom empirisch wollenden und handelnden Menschen,
sondern auch die Zurechnung des Unsittlichen unmöglich. Schneider, Friedhelm: Hegels Propädeutik und
Kants Sittenlehre, S. 55-65.
60
KpV, A83-96.
61
Siehe S. 11.
62
KpV, A128.
58
36
antwortet die Kritik der reinen Vernunft mit den sinnlichen Triebfedern als
‘Verheißungen und Drohungen’ in jener Welt.63 Während diese Lösung die Vernunft
abhängig von sinnlichen Elementen macht, wird die Frage in der Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten als die der Möglichkeit des kategorischen Imperativs im guten
Willen gestellt und so beantwortet, dass der freie Wille des vernünftigen Wesens der die
vernünftigen Gesetze notwendig wählende Wille als Mitglied der Verstandeswelt nach
dem Prinzip der Autonomie ist. D. h. der Wille jedes vernünftigen Wesens kann ‘nur
unter der Idee der Freiheit ein eigener Wille sein’,64 und die Eigenschaft oder Selbstheit
dieses Willens ist der Wille, der durch seine Freiheit seine Vernünftigkeit will,
sozusagen der allgemein gesetzgebende Wille, dessen Idee das ‘Prinzip der Autonomie
des Willens’ bedeutet.65 Das vernünftige Wesen wird durch das notwendige Denken
über die Idee der Freiheit als die Voraussetzung seines eigenen Wollens zum Mitglied
der Verstandeswelt, die nicht mehr lediglich ein nur negativ benutzbarer Grenzbegriff
für ‘die bloß Gegenstände’ des Denkens des Verstandes in der Kritik der reinen
Vernunft,66 sondern eine Art Grundbegriff für die Sinnenwelt und deren Gesetze ist.
Und deshalb sind die Gesetze der Verstandeswelt nichts anderes als Gesetze der
Vernunft. Ohne Einfluss der Sinnlichkeit, vielmehr als Bestimmungsgrund für seine
sinnliche Handlung, will der Wille des vernünftigen Wesens als ein Mitglied der
Verstandeswelt durch seine Freiheit notwendig die vernünftigen Moralgesetze. Aber
diese Lösung ist auch nicht befriedigend, weil sie auf dem Dualismus der Welt, also des
Menschen beruht. Wenn der menschliche Wille, wie Kant selbst erwähnt, sinnlich
affiziert und auch als Grund für die sinnliche Handlung aufgestellt wird,67 müsste die
Lösung auch bezüglich der Gültigkeit des guten Willens im sinnlich affizierten Willen
gefunden werden. Aber das moralische Sollen ist de facto hier lediglich ein notwendiges
Denken über das freie eigene Wollen des vernünftigen Wesens zum Guten als die
Bedingung für das Gutsein des sinnlichen Willens, also als die Nötigung des
kategorischen Imperativs für diesen Willen. Das Sollen ist nur konditionale Tatsache,
nicht selbst bewiesen. Denn das Wollen einer Handlung in der Sinnenwelt schließt nicht
notwendig den Begriff des Willens des vernünftigen Wesens in sich ein. Dafür wäre
Selbstentscheidung des sinnlichen Menschen für den Willen der Vernunft nötig.68 Auf
diese noch ungelöste Aporie ist die Antwort der Kritik der praktischen Vernunft kurz
63
64
65
66
67
68
KrV, B857-858.
GMS, A100-102.
GMS, A70-74.
KrV, A249-257.
GMS, A106-109.
Högemann, Brigitte: Die Idee der Freiheit und das Subjekt, S. 108.
37
und bündig. Die Aporie ist ‘ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem’.69
Erklärbar ist lediglich die Frage, wie das Moralgesetz als der objektive
Bestimmungsgrund
der
Handlung
‘zugleich
der
subjektiv-hinreichende
Bestimmungsgrund’ bzw. ‘Triebfeder (elater animi)’ zur Handlung sein kann. Kant
sucht nun den subjektiven Grund, das Moralgesetz zur Maxime des freien Willens zu
machen, in der moralischen Triebfeder, die er für ‘ein moralisches Gefühl’ der ‘Achtung
fürs moralische Gesetz’ erklärt. Diese Achtung ist ihm zufolge schon ‘die Sittlichkeit
selbst, subjektiv als Triebfeder betrachtet, indem die reine praktische Vernunft dadurch,
daß sie der Selbstliebe, im Gegensatze mit ihr, alle Ansprüche abschlägt, dem Gesetze,
das jetzt allein Einfluß hat, Ansehen verschafft’.70 Aber diese Erklärung scheint Hegel
noch immer nicht zu befriedigen. Denn die “Achtung für das Sittengesez kan nur in
demjenigen Subjekt bewirkt werden, in welchem dieses Gesez gesezgebend ist, aus
dessen Innern es selbst hervorgeht” (FS 350). Einerseits wird das Gefühl der Achtung
eingeführt, um zu zeigen, dass das Moralgesetz auch der subjektive Bestimmungsgrund
ist. Andererseits setzt das Gefühl aber de facto voraus, dass sich das Moralgesetz auf die
praktische Vernunft des Subjekts schon irgendwie auswirkt. Das Gefühl der Achtung ist
nur Tautologie des Moralgesetzes, das überhaupt nicht empirisch sein soll, also alle
Bestimmtheiten und Einzelheiten des empirischen Gefühls und der Maxime aufhebt und
nur “die Form der Tauglichkeit” von diesen empirischen Materien zum Moralgesetz
aufnimmt (JKS 435). Hier nimmt Hegel bereits seine Jenaer Kritik an der Tautologie
des Kantischen Moralgesetzes voraus, das die einzelne Materie der Maxime aufhebt und
nur ihre Form analytisch in seine Allgemeinheit aufnimmt. Nach seinem
Naturrechtsaufsatz, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts
(1802) gibt es, weil “jede Bestimmtheit” “fähig” ist, “in die Begriffsform” des Gesetzes
“aufgenommen zu werden”, de facto “gar nichts, was nicht auf diese Weise zu einem
sittlichen Gesetz gemacht werden könnte” (JKS 436). Kants naturalistischer Fehler der
petitionis principii macht es schließlich noch schwieriger, die Wirksamkeit der Moral,
insbesondere die Moralreligion im menschlichen Subjekt zu begründen.71 Die positive
Lösung der christlichen Religion ist bekanntermaßen, “das Sittengesez den Menschen
als etwas gegebenes” von außen her aufzustellen (FS 350). Dagegen unternimmt Hegel
in der Jenaer Zeit den Versuch, vom subjektiven Wollen ausgehend die Moralität als mit
der Legalität bzw. Gesetzmäßigkeit Identisches zu setzen.
Das zweite kurze Fragment in Bezug auf die Positivitätskritik, Ein positiver Glaube ist...
69
KpV, A128.
KpV, A127-134.
71
Über den Fehlschlag der Kantischen Deduktion der Moralität von der schlechthinnigen Voraussetzung
der Freiheit siehe Paton, H. J.: Der kategorische Imperativ, S. 302-306.
70
38
entwickelt die Kritik an der Autorität bis zur Kritik an der Postulatenlehre Kants. Der
positive Glaube an die Autorität setzt “notwendig Verlust der Freiheit der Vernunft, der
Selbständigkeit derselben” voraus (FS 353), und seiner Möglichkeit liegt “die
moralische Kraftlosigkeit, und das Gefühl, eine obzwar noch vorstellende und von
gegebnen Vorstellungen getriebne Maschine zu sein” zugrunde (FS 356). Diese
Kraftlosigkeit ist spürbar auch im damals kursierenden “Postulate der Harmonie der
Glükseeligkeit mit der Sittlichkeit” (FS 357). Kant zufolge muss die Vernunft bei der
Bestimmung des Willens zur moralischen Handlung ohne Rücksichtnahme auf die
Glückseligkeit als Resultat lediglich ihre Gesetze befolgen. Die Vernunft bei ihrer
Bestimmung kann weder garantieren noch beweisen, dass die moralische Handlung
notwendig mit sich die Glückseligkeit bringt, weil die vernünftigen Gesetze der
Verstandeswelt in der Sinnenwelt keine Anwendung finden können. Aber wie die
Glückseligkeit ohne Moralität blind ist, ist die Moralität ohne Glückseligkeit leer. Das
höchste Gut besteht lediglich insgesamt aus dem obersten Gut als Tugend und dem
vollendeten Gut als Glückseligkeit.72 Ohne Resultat der Moralität zu sein, wäre die
Glückseligkeit minderwertig und die nicht zur Glückseligkeit führende Moralität
unvollkommen. Letzten Endes ist die glückliche Realisierbarkeit der praktischen
Vernunft in der Sinnenwelt suffiziente Bedingung für den moralischen Gebrauch der
Vernunft; dieser Gebrauch und die moralische Handlung sind notwendige Bedingungen
für die Glückseligkeit. Kant erläutert so die Harmonie von beiden als Grund und Folge,
dass sie durch die Vernunft gefordert werden muss, damit der praktische Gebrauch der
reinen Vernunft selbst hinreichend möglich sein kann. Aus diesem Postulat der
Harmonie gehen bekanntlich hervor das Postulat der Unsterblichkeit, die den
unendlichen Fortschritt der Vernunft bis zur vollkommenen Angemessenheit ihres
Willens für das Moralgesetz versichert, und das Postulat des Daseins Gottes, das die
notwendige Verbindung zwischen Moralität und Glückseligkeit garantiert. 73 Der
Kritikpunkt Hegels besteht eben darin, dass die Forderungen der Vernunft nicht an sich
selbst gestellt sind, sondern “an etwas, das sie in dieser Rüksicht als von sich
unabhängig, unbestimmbar anerkennt”. Wie kann sich die Vernunft auf ihrer
schwindelnden Spitze der Moralität die Harmonie mit der Glückseligkeit wünschen,
deren Notwendigkeit sie nicht bestimmen kann? Ihr Wunsch ist eine Täuschung. Hegel
zufolge ist das, was einen solchen Wunsch hegt, de facto die Sinnlichkeit. Die
Forderung ist de facto lediglich das “Gefühl von Sollen, von Herrschen” im Subjekt, in
dem die Vernunft sein Herrscher geworden ist. Aber vom Subjekt, in dem die
72
73
KpV, A199-200.
KpV, A220-237.
39
Sinnlichkeit mehr herrschend ist, würde das Sollen oder das Postulat der Vernunft nach
den eigenen Bedürfnissen der Sinnlichkeit “als ein Verlangen nach Glükseeligkeit”
gedeutet werden (FS 357). Das Postulat der Vernunft entlarvt zuletzt ihre moralische
Kraftlosigkeit mindestens für ihre Harmonie mit der Sinnlichkeit und verursacht
notwendig die Abhängigkeit vom ihr fremden Wesen.
Hegels Schlussfolgerung gegenüber der Kantischen Philosophie lässt sich nun relativ
leicht zusammenfassen. Die Moralgesetze der Kantischen Vernunft können nur
subjektiv gelten. Wenn diese Gesetze als objektive aufgestellt werden, erfordert dies
eine der Vernunft fremde Autorität, die selbst zur Quelle der positiven Religion wird.
Wie die Vernunft gegenüber der Sinnlichkeit despotisch wird, so wird auch sie
gleichfalls dem ihr gegenüber fremden Wesen untertan. Dies lässt sich alles auf die
Trennung der menschlichen Geisteskräfte bis zum Gegensatz der Vernunft und der
Sinnlichkeit zurückführen, obzwar Kant selbst sie “für die Wissenschaft gemacht hat”.
Auf der einen Seite ist die Kantische Trennung wissenschaftlich als eine “heilsame”
Arbeit anzusehen, weil dadurch die nicht zu übertretenden Grenzen der Vernunft und
der Sinnlichkeit gegeneinander und damit im Fall des Übertretens der Ursprung der
positiven Religion in der Geschichte deutlich gemacht werden (FS 349). Aber der
wissenschaftliche Versuch Kants, beide wiederum in Einklang zu bringen, ist
andererseits in Hegels Augen misslungen, deshalb selbst zum philosophischen Ursprung
des positiven Glaubens geworden. Das dritte Fragment, Jedes Volk hatte... ist, kurz
gesagt, eine lebendige Beschreibung davon, wie die christliche Religion mit der
Autorität der göttlichen Vernunft die Nationalphantasien aller Völker vernichtete. In der
Geschichte offenbarte sich der Geist der Zeit “in der Objektivität seines Gottes”, “als
der Mensch selbst ein Nicht-Ich und seine Gottheit ein anderes Nicht-Ich war” (FS 375).
Des Weiteren kommt diese Positivitätskritik Hegels für den Sittlichkeitsbegriff zu einem
bedeutenden Ergebnis, d. i. zum Bedürfnis eines neuen Begriffs der Vernunft, die nicht
allein in der Trennung verbleibt. Am Ende des oben genannten zweiten Fragments
spricht Hegel zuerst von seinem eigenen Begriff der Vernunft, nämlich “daß die
Vernunft absolut, in sich selbst vollendet ist, - daß ihre unendliche Idee nur von sich
selbst, rein von fremder Beimischung geschaffen werden muß, - daß diese nur durch
Entfernung eben dieses sich aufdringenden Fremden, nicht durch eine Anbildung
desselben vollendet werden kan” (FS 358). Diese absolute Vernunft wird später alle
Vermögen des menschlichen Geistes und deren Objekte in sich einschließen. Der
Sinnlichkeit wird hier auch eine mit der Vernunft harmonisierbare Rolle zugeschrieben,
lediglich das der Vernunft fremde Element der Sinnlichkeit wird überwunden. Die in
sich vollendete Vernunft aber lässt sich lediglich in Form des Systems darstellen und
40
nur in Gestalt der Geschichte verwirklichen. Der erste Schritt dieser Absicht, die sich
erst in der Jenaer Zeit verkörpert, ist das Thema von Liebe und Leben in der Frankfurter
Zeit.
2.2. Neuschätzung der Positivität und Vereinigung
Wenn die Vernunft selbst absolut ist, braucht sie kein göttliches Prinzip über sich,
sondern sie ist selbst auch göttlich. Sie ist selbst die Einheit des Subjekts und Objekts,
der Freiheit und Natur. 74 Aber diese Einheit wird in dieser Welt nicht in ihrer
eigentümlichen Form gegeben, sondern sie stellt sich dar, manifestiert sich immer in
Form der Trennung. Trotz dieses Ansatzes geht der Frankfurter Hegel wahrscheinlich
wegen des Verzichts auf den Kantischen Begriff der Vernunft und der Distanzierung von
der Kantischen Philosophie nicht unmittelbar von der absoluten Vernunft selbst als
Prinzip der Einheit aus, sondern richtet sein Augenmerk auf die Suche nach einem
neuen Ersatzprinzip, das mit Primat des Praktischen immer zugleich ‘empfindende und
wissende Einheit, nur unterscheidbar, nicht aber real trennbar’ ist.75 Das Prinzip der
Einheit in Form der Trennung, also im Horizont des Endlichen, ist eben die Liebe, die er
in dieser Zeit entwickelt. Mit der Liebe beginnt er nun erst prinzipiell zu philosophieren,
und er versteht den Inhalt ihrer unendlichen Einheit als Leben. In dieser Hinsicht treten
Liebe und Leben als das zweite sittliche Thema des jungen Hegel auf.
Die erste Rede von der Liebe fndet sich schon lange vor der Frankfurter Zeit im
Manuskript, Vier Predigten (1792-1793). Aber die Liebe kommt hier bloß als eine der
Tugenden Jesu in Betracht. Demnach macht die christliche Liebe allein “uns fähig”,
“unsern Beleidigern von Herzen zu verzeihen” (FS 62). Jedoch verdient Beachtung,
dass sie in der früheren Zeit als “das Grundprincip des empirischen Charakters” mit den
moralischen Empfindungen aufgestellt wird. Sie ist die vernünftigste Sinnlichkeit, die
das objektive Moralgesetz in den Empfindungen des Subjekts lebendig bewirkt. D. h.
insofern “die Liebe in andern Menschen sich selbst findet oder vielmehr sich selbst
vergessend – sich ausser seiner Existenz heraussezt, gleichsam in andern lebt, empfindet
und thätig ist – so wie die Vernunft als Princip allgemeingeltender Geseze sich selbst
wieder in jedem vernünftigen Wesen erkennt, als Mitbürgerin einer intelligiblen Welt”,
74
Auch Kant thematisiert allmählich eine solche Einheit, die in der ersten Kritik als ‘die Vernunfteinheit’,
in der zweiten als die ‘Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen
sowohl als des praktischen)’ bezeichnet wurde, erst in der dritten, Kritik der Urteilskraft, 1790 als die
‘Einheit des Übersinnlichen, welches der Natur zum Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsbegriff
praktisch enthält’, begründet wird. KrV, A302-309, A326-327. KpV, A162. KU, A IV-V.
75
Elsigan, Alfred: Sittlichkeit und Liebe, S. 86-112.
41
ist sie vernunftverwandt, ebendarum auch menschlich (FS 101). Aber nachdem die
christliche Religion “die Menschen zu Bürgern des Himmels” erzogen hatte, wurde die
menschliche, vernunftverwandte Sinnlichkeit dem Menschen fremd, der dann die
einander “zur Freundschaft und Liebe einladenden” frohen Gesichter verlor, die aber die
Griechen im Altertum gehabt hatten (FS 110). Hegel erwähnt schon hier die Liebe als
die vernünftigste Sinnlichkeit und erklärt ihre onto-logische Form als das sich im
Anderen Finden.
In dem Maße, wie die Liebe in der Distanzierung von der Kantischen Philosophie
immer mehr als das Prinzip der Einheit bzw. der Vereinigung hervorgehoben wird, wird
die Ursache der Positivität nunmehr meistens in der Tatsache der Trennung und der
Entzweiung diagnostiziert. In einem Fragment der Frankfurter Zeit, Liebe und Religion,
heißt es: “da, wo in der Natur ewige Trennung ist, wenn Unvereinbares vereinigt wird,
da ist Positivität” (N 377). In einem anderen Fragment, Moralität, Liebe, Religion,
erläutert Hegel den positiven Begriff der Moralität mit der Fichteschen Terminologie
von Ich und Nicht-Ich in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95).76
Fichte zufolge gilt der Lehrsatz der Wissenschaft des Praktischen: ‘das Ich setzt sich als
bestimmend das Nicht-Ich’. 77 Dieser Lehrsatz besagt, dass das Ich selbst seine
bestimmende Tätigkeit setzt. Hierin behauptet sich allerdings nur die Tathandlung des
Sich–als–bestimmend-Setzens des Ich, nicht aber die Tätigkeit als das Bestimmen.
Hingewiesen ist nicht darauf, dass das Ich eben das Nicht-Ich bestimmt, sondern
lediglich, dass es sich als bestimmend setzt, daher dass sein Bestimmen gesetzt ist.78
Hegel zufolge ergibt dies sich daraus, dass das Praktische oder ferner Moralische nur als
Objekt des zu erklärenden Begriffs aufgestellt bzw. berücksichtigt, aber nicht die
Tätigkeit seines Begreifens selbst mitgedacht wird. Das Objekt des praktischen oder
moralischen Begriffs ist also nur “eine gewisse Bestimmung des Ichs, die, um ein
Begriff zu werden, um erkannt, um Objekt werden zu können”, “von der Bestimmung
des Ich, das itzt erkennt, ausgeschlossen wird”. Es ist sozusagen irgendeine
Bestimmung des ursprünglichen absoluten Ich, die verschieden von der Bestimmung
des jetzt hier erkennenden Ich ist und diese ermöglicht. Während das Objekt des
theoretischen Begriffs nur “das Nicht-Ich” ist, das erkannt wird, ist das Objekt des
praktischen oder moralischen Begriffs “immer das Ich”, das will und handelt, und
76
HH, S. 86.
Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 246.
78
Liebrucks sieht das Moment des Fanatismus schon in der theoretischen Philosophie der Fichteschen
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, wo dem Obersatz des absoluten Selbstsetzens des Ich der
zweite und dritte nur analytisch hinzukommen. Liebrucks, Bruno: Recht, Moralität und Sittlichkeit bei
Hegel MR, S. 30-33.
77
42
deswegen muss dafür die Tätigkeit immer mitberücksichtigt werden (N 374). D. h. das
Ich als Objekt des moralischen Begriffs muss nicht allein so beschaffen sein, dass sein
Bestimmen lediglich als Resultat seines Setzens verstanden wird, sondern auch ein
solches Ich sein, das zugleich eben das Nicht-Ich bestimmt. Rein logisch geht zwar sein
Setzen vorher, aber doch realiter, dadurch, dass das Ich das Nicht-Ich bestimmt, setzt es
sich als bestimmend das Nicht-Ich.79 Der Fichtesche moralische Begriff ohne Rücksicht
auf seine eigene Tätigkeit ist also letztlich nur “ein positiver Begriff”, “nur etwas
Erkanntes, ein Gegebenes”. Fichte selbst versteht später im Versuch einer neuen
Darstellung der Wissenschaftslehre (1797) den Begriff ‘als Thätigkeit des Anschauens
selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ruhe und Bestimmtheit aufgefasst’, damit den
Begriff des Ich als die ‘in sich zurückgehende Thätigkeit als feststehend und beharrlich
aufgefasst’.80 Dieser positive Begriff ist darauf zurückzuführen, dass auch wenn Fichte
von der Tathandlung ausgeht, deren Sein und deren setzende Tätigkeit dasselbe ist,81
dennoch die Struktur der Tathandlung de facto lediglich durch die Objektivierung dieser
Tätigkeit erläutert wird. Die Handlungen, wie Setzen, Entgegensetzen und ihre
Resultate werden daher nur als die Reihe ‘des Ich, das der Philosoph beobachtet, und
die der Beobachtungen des Philosophen’82 erklärt; nicht das ‘dass’ der Tätigkeit des Ich
wird dargestellt, sondern das ‘was’ des tätigen Ich durch den Philosophen begründet.
Terminus ad quem dieser Begründung ist die absolute Tätigkeit des absoluten Ich als der
unbedingte Grund für die bestimmte Tätigkeit des Ich. 83 Die Handlungsweise des
absoluten Ich ist aber unbegreiflich, also “auch fürs Erkenntnisvermögen positiv”,
gegeben. Hierin erblickt Hegel schon die Forderung nach dem Glauben in der
Bestimmung des Menschen (1800) aufgrund der Tatsache, dass der Mensch nicht darum
handelt, weil er erkennt, sondern er erkennt, weil er ‘zu handeln bestimmt’ ist, und dass
seiner praktischen endlichen Vernunft der ‘Ruf zur Pflicht’ durch die unendliche
Vernunft des ewigen Willens, ‘den kein Name nennt, und kein Begriff umfasst’,
79
Ebenfalls nicht deshalb, weil das Selbstbewusstsein absolut gegeben ist, ist das Bewusstsein möglich,
sondern umgekehrt nur deshalb, weil das Bewusstsein selbst die Tätigkeit als die Beziehung zwischen
Subjekt und Objekt ist, kann es zum Selbstbewusstsein gelangen, in dem das Subjektive und das
Objektive absolut eins sind. Aber Fichte erklärt im Versuch einer neuen Darstellung der
Wissenschaftslehre, dass ‘Alles mögliche Bewusstseyn, als Objektives eines Subjekts’ das unmittelbare
‘Selbstbewusstseyn’ voraussetzt, in dem ‘Subjektives und Objektives unzertrennlich vereinigt und absolut
eins’ ist. Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, S. 526-528. Wenn dem so ist,
ist das Selbstbewusstsein nicht das, was durch die Tätigkeit des Bewusstseins errungen wird, sondern,
was nicht nur als logische, sondern ferner als reale Bedingung des Bewusstseins von außen her gegeben
ist.
80
Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, S. 533. Die kursive Betonung vom
Verfasser.
81
Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 91-98.
82
Fichte: Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, S. 454.
83
Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 119-120, 250-253, 271-277, 295-296.
43
gegeben wird. 84 Die Forderung, die “nur durch ein mächtiges und beherrschendes
Objektiv (Autorität)” irgendeines absoluten ursprünglichen gegeben wird, ermöglicht
lediglich den positiven Glauben (N 375). Bei Fichte ist die ursprüngliche Subjektivität
des praktischen Ich im theoretischen Hinblick so “nur als ein Objektives” aufgestellt (N
374), dass sie von Anfang an nicht als sich selbst erklärt werden, sondern nicht anders
als auf das unbegreifliche absolute Ich angewiesen sein kann. Ferner ist auch die
ursprüngliche Objektivität der Natur lediglich als Anderes oder Nicht-Ich des nur so
objektiv betrachteten tätigen Ich erklärt, daher nur auf die entgegensetzende Handlung
dieses Ich angewiesen. In der Fichteschen Philosophie sind also Subjekt und Objekt,
Freiheit und Natur schon zu Beginn entweder absolut getrennt und unvereinbar, oder
das Ding an sich ist im Ich, weil sonst widersprüchlich,85 und es gibt keine Natur im
materiellen Sinne.86
Nun besteht die Positivität darin, dass das eigentlich Subjektive als Objektives
aufgestellt wird, wie die Kantische Aufstellung des Vernunftgesetzes oder die
Fichtesche des tätigen Ich als eines Objekts eine fremde Autorität zur Folge haben.
Diese Objektivierung entspringt des Näheren aus der Trennung des Subjekts und
Objekts, aus dem ursprünglichen Objektverlust des Subjekts. Wenn das Objekt nicht
mehr vertraut ist, muss das Subjekt an die Stelle des Objekts treten. Wenn die Natur
nicht mehr verwandt ist, muss die Vernunft sich selbst für die Objektivität der Natur
verantwortlich machen,87 quasi wie ‘die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung
überhaupt’ des Subjekts ‘zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der
Erfahrung’ sind.88 Auf Grund dieser Einsicht fängt Hegels Hauptwerk über Liebe und
Leben, Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798-1800), mit der Geschichte
der noahschen Flut an, die dem Menschen den ungeheuersten Unglauben an die Natur
84
Fichte: Die Bestimmung des Menschen, S. 263, 303.
Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, S. 283. ‘Die wahre moralische Autonomie’ des
Ich bei Fichte hat Siep zufolge ‘an sich überhaupt keine Beziehung auf die Natur’, sondern nimmt nur an
einer eigenen Welt mit eigener Gesetzlichkeit teil. Die moralische Ordnung dieser Welt ist ‘selber Gott –
aber sie ist so wenig weiter zu begreifen, wie Gott für ein endliches Wesen begreifbar ist’. Siep, Ludwig:
Autonomie und Vereinigung. Hegel und Fichtes Religionsphilosophie bis 1800 in: Der Weg zum System, S.
298.
86
Fichte: Die Bestimmung des Menschen, S. 303. Diese extreme Seite Fichtes wird kurz darauf von
Jacobi als ‘die Alleinphilosophie’ ‘der Ichheit’ mit dem ‘bloß LOGISCHEN ENTHUSIASMUS’, auch
von Hegel in Glauben und Wissen als im Bereich der Moralität zu “absoluter Tyrannei” des reinen
Willens-Ich führend beurteilt. Jacobi, Friedrich Heinrich: Jacobi an Fichte (Sendschreiben) (1799) im
Textteil von Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799-1807), S. 4-24. JKS, S. 409.
87
Dass an der Beziehung in dieser ursprünglichen Trennung der menschlichen Vernunft von der Natur
Hegel allmählich “die positive Seite” “jeder Religion” erkennt, belegt sein Fragment einer
Naturrechtsvorlesung, 1802. “Weil der Geist in der Religion nicht in der Idealität der Wissenschaft,
sondern in der Beziehung auf die Realität ist”, hat er “in jeder Religion” “die aus dem empirischen Dasein
des Volkes entnommene Begrenzung”. FN, S. 50.
88
KrV, A158.
85
44
verursachte (N 243). Die Natur, die durch die übermäßige Flut für feindselig gehalten
worden ist, wird zum Gegenstand der Beherrschung des Menschen, der die vorherige
ruhige Vereinigung mit der Natur verlor. Dass etwas beherrscht wird, heißt, dass ihm
seine Selbstständigkeit entzogen wird. Die zu verlierende Selbstständigkeit der Natur ist
ihre eigene wirkliche Objektivität. Durch die feindliche Trennung bleibt nun lediglich
die ideale Subjektivität des Menschen als gültig übrig. Das Ganze, in dem Natur und
Mensch vorher vereinigt waren, ist in die herrschende Idee und die feindselige
Wirklichkeit entzweit. Die durch Beherrschung wiederherzustellende höchste Einheit ist
nicht in dieser unselbstständigen Wirklichkeit, sondern erst nur als das gedachte Ideal
des Menschen möglich. Hegel zufolge baute Noah also “die zerrissene Welt” in einem
“Gedachten” wieder auf. In der Welt dieses Gedachten ist das gedachte Ideal als die
höchste Einheit ein wahres Seiendes. Das ursprünglich Subjektive ist als Objektives
festgestellt, das als das wahre Seiende alle anderen Seienden in der Entzweiung regiert.
Es verspricht dem Noah, ebenfalls Kant und Fichte die Beherrschung der Natur, die dem
menschlichen Zweck gemessene Notwendigkeit der Natur, und das nur vom Ich
gesetzte Nicht-Ich, nämlich so “daß keine Wasserflut mehr die Menschen verderben
sollte”. Und es legt dem Menschen als Herrscher der Natur das Gebot auf, dass sie
einander nicht morden sollen, das Moralgesetz, dass sie einander nicht beherrschen,
sondern als Person behandeln sollen, und das Recht, durch die Beschränkung seiner
Freiheit auch die Freiheit der anderen zu beschränken (N 244). Das gedachte Ideal als
Objektives versichert dem gehorsamen Menschen die Beherrschung der Natur und setzt
den ungehorsamen der feindseligen Natur aus. Die andere biblische Mythe von Nimrod,
der gegen eine andere mögliche Sintflut von Gott her einen Turm zu bauen versuchte,
symbolisiert eine andere Art und Weise, durch die unmittelbare Überwältigung der
Natur die zerrissene Harmonie wieder zu gewinnen. Dafür sammelte und bändigte
Nimrod zerstreute Menschen “durch Gewalt”, mit der er ohne Noahs Vermittelung des
dritten Ideals “eine tyrannische Herrschaft” der Stärkeren errichtete. Aber für Hegel
suchen beide Lösungen, von Noah und Nimrod, gleichfalls nur “einen Frieden der Not”
mit der Natur zu schließen, der unter der Fortdauer der Feindseligkeit möglich ist (N
245).
In dieser Trennung und Feinseligkeit gegen Natur liegt Hegel zufolge das Schicksal des
jüdischen Volks, dessen Geschichte bei Abraham begann und dessen
Unselbstständigkeit von Moses festgelegt wurde. Insbesondere Abraham und Moses, die
das Schicksal ihres Volks nicht überwanden, werden nun von Hegel für die
Kristallisationskerne der Positivität der jüdischen Religion gehalten. Abraham wurde
zum Stammvater eines Volks durch “eine Trennung” vom Ganzen der “Beziehungen, in
45
denen er mit Menschen und Natur bisher gelebt hatte” (N 245-246). Der Akt der
Trennung führte seinen Geist dazu, “sich in strenger Entgegensetzung gegen alles fest
zu erhalten” und die herrschende Einheit über alles Entgegengesetzte als “das
Gedachte” aufzustellen (N 246). Damit wurde Gott nun zum Ideal, das dieser Welt
völlig fremd über diese Welt herrschte. Gegenüber diesem gedachten Ideal, dessen
Gottheit in seiner “Verachtung gegen die ganze Welt” eingewurzelt ist, können Mensch
und Natur in dieser Welt als “allein der Günstling” folgsam da sein (N 247). Auch die
einzige Liebe Abrahams zu seinem Sohn musste am Befehl des Ideals scheitern, mit
seinen eigenen Händen seinen Sohn zu schlachten und als Opfer darzubringen. Dies
besagt, dass die Realisierung der Ewigkeit in dieser Welt vollständig unmöglich wird
oder kein Ewiges mehr diesseits da ist, weil das Kind das Medium des Fortbestehens
der Lebendigkeit, also eine Teilnahmeweise an der göttlichen Unsterblichkeit in dieser
Welt ist. Der Geist Abrahams errichtete zuletzt seinen Nachkommen das Schicksal der
Unselbstständigkeit und Gehorsamkeit. Moses, der das passive Volk vom Zustand der
Knechtschaft in Ägypten befreite, schritt ebenfalls nicht bis dahin fort, das Schicksal
selbst zu besiegen. Er konnte kein echter Befreier für das Volk sein, das “ohne Seele und
eigenes Bedürfnis der Freiheit” war (N 249), und wurde also im besten Falle ein
Gesetzgeber, der statt des äußeren Jochs der Sklaverei “ein andres” inneres Joch der
Gesetze auflegte. Sein Prinzip der Gesetzgebung geht nicht über den Geist seiner
Vorfahren hinaus. Von seinem Geist wird “das unendliche Objekt”, das als Ideal gedacht
ist, nun zwar für “das einzige unendliche Subjekt” gehalten, das aber als “die einzige
Synthese” gilt, also außer sich “die wahren, reinen Objekte” als “die Antithesen” hat.
Die Verwandlung des Erkennens des unendlichen Objekts ins Erkennen des absoluten
Subjekts bedeutet hier überhaupt kein Selbsterkennen der Subjektivität des Menschen,
sondern vielmehr die Vertiefung der Trennung und der Subordination. Denn um etwas
als Objekt erkennen zu können, muss es im Voraus ein Subjekt, einen lebendigen
Menschen geben. Das Erkennen des unendlichen Objekts, das das menschliche endliche
Subjekt zur Voraussetzung hat, ist widersprüchlich. Vielmehr muss vorher das absolute
unendliche Subjekt sein, das erst dadurch, daß es dem Menschen Leben gibt, zum
Objekt und somit zur “einzigen Synthese“ wird. Ihm stehen die Antithesen – einerseits
“das jüdische Volk”, andererseits “das ganze übrige Menschengeschlecht und die Welt”
– in absoluter Entgegensetzung gegenüber. Ihre “allgemeine Feindschaft” lässt sich also
notwendig “nur auf Kosten” einer von beiden auflösen. Dem jüdischen Volk wird das
“Befreien”, “der Besitz” des Lehens, “ein gesichertes Essen, Trinken und Begatten”,
also das Leben, aber lediglich als “Geschenk” versprochen, und für die übrigen Völker
und Natur werden nur Gesetze gelten, nach denen diese beherrscht, bebaut, verwendet,
46
also zum endgültigen Tod verurteilt werden (N 250). Aber alle beide können dem
absoluten Subjekt gegenüber nicht selber Subjekt sein. Das absolute Subjekt89 ist nur
Produkt der Vergegenständlichung der verlorenen Subjektivität des entfremdeten
Menschen. Das gedachte Ideal, das Noah an die objektive Stelle der unvertrauten Natur
gesetzt hat, wird nun zum absoluten Subjekt radikalisiert, und der Mensch, dem sogar
seine minimale Subjektivität des Erkennens genommen ist, wird zum reinen Objekt. Für
den Geist des Volkes als Objekts bleibt letztlich das “odium generis humani” übrig, das
nichts anderes als Hass gegen das andere Menschengeschlecht und die Welt, und
zugleich gegen die Menschheit in sich ist (N 257).
Diese extrem negative Hegelsche Interpretation der jüdischen Religion ist sicherlich
eine voreilige Vorbehandlung, um auf der nächsten Stufe seine durch die Liebe Jesu
paradigmatisierte Vereinigungsphilosophie hervorzuheben. Vor dem frühgeschichtlichen
Hintergrund des Hasses gewinnt die Liebe Jesu an Bedeutsamkeit. Der Geist des
Christentums und sein Schicksal setzt also ‘die Absonderung, die Entzweiung als eine
geschichtliche Realität voraus’. 90 Hegel wendet das Element der Positivität in der
Kantischen und Fichteschen Philosophie demnach allzu sehr erweitert auf die
Religionsgeschichte an. Dadurch aber erlangt er die Erkenntnis der Grundstruktur des
positiven Denkens, das als Schicksal in der Geschichte auftaucht. Nach einem anderen
Fragment dieser Zeit, Religion, eine Religion stiften, ist “Begreifen” “beherrschen”.91
Etwas zu begreifen bedeutet, es mit seinen Begriffen zu verstehen. Diese Begriffe sind
im begreifenden Denken des Menschen ideell vorhanden und zugleich als Begriffe vom
Etwas als Gegenstand gedacht. Das Etwas wird nur durch Begriffe begriffen, mit denen
als mit seinem ideellen Besitz der Mensch es versteht. Dadurch werden Begriffe auch
als dem Gegenstand zugehörig gedacht. Der begriffene Gegenstand ist daher der
vergegenständlichte Begriff. Vor allem ist etwas an sich ohne begriffliche Hinweise
überhaupt Nichts. Wenn etwas beispielsweise ein Baum, ein Bach genannt wird, sind
schon hierin der Namensbegriff, Baum oder Bach, und seine Eigenschaftsbegriffe als
dem Etwas gehörig, ferner als das Etwas selbst gesetzt. Aber keiner gebot dem
89
Auch über die Kritik des Jenaer Hegel an dem absoluten Subjekt als Prädominanz des Begriffs über
das Lebendige, das vom Absoluten als dem Subjekt, als der Bewegung des zu sich Werdens, und von der
unendlichen Subjektivität als dem freien, allgemeinen und vermittelnden Denken, und endlich vom Geist
als der diese beiden konstituierenden, absoluten Subjektivität unterschieden werden muss, siehe Jaeschke,
Walter: Absolute Subject and Absolute Subjectivity in Hegel, S. 193-205.
90
HH, S. 89. RH, S. 56.
91
Dies ist höchstwahrscheinlich Hegels Formulierung gegenüber Schellings Beschreibung des Menschen
als des Herrn der Natur in seinen Philosophischen Briefen von 1795: Der Mensch ‘weist die objektive
Welt in ihre bestimmte Schranken, über die sie nicht treten darf. Indem er das Objekt sich vorstellt, indem
er ihm Form und Bestand giebt, beherrscht er es’. Schelling: Philosophische Briefe über Dogmatismus
und Kriticismus, S. 107.
47
Menschen, dieses da Baum oder Bach zu nennen. Nur sein Begreifen setzt Begriffe vom
Gegenstand als diesen Gegenstand selbst. Das Begreifen von Etwas heißt also
begriffliches Beherrschen von Etwas. Und insofern der lebendige Mensch im ideellen
Besitz von Begriffen ist, wird dem begriffenen Gegenstand durch die
Vergegenständlichung der Begriffe eine Lebendigkeit seiner Begriffe, “eine Seele”
gegeben. Aber wenn der mit Begriffen belebte Gegenstand des Weiteren vom
lebendigen Menschen abgetrennt und als lebendiger Träger seiner Begriffe angesehen
wird, wird die Beziehung der Beherrschung umgekehrt. Dieses Moment im Begreifen
ist insofern notwendig, als der Gegenstand selbst realiter vom Subjekt getrennt ist.
Einen Gegenstand zu begreifen bedeutet zwar, ihn begrifflich zu beherrschen, aber ihn
mit Begriffen zu beleben heißt in einem gewissen Sinne, “ihn zum Gotte zu machen”,
der seinerseits Begriffe trägt und Begreifen verwaltet. Das begriffliche Beherrschen des
Gegenstandes ist gleichzeitig das Beherrschtwerden durch den begrifflich belebten
Gegenstand. Wenn diese beiden Momente auseinander gehen, wird das Begreifen nur
ein einseitiges und gewaltsames Beherrschen und der belebte Gegenstand bloß ein
unendliches Objekt, der Gott im positiven Sinne. Eben auf der Radikalisierung dieses
Moments beruht das positive Denken. Aber die so positiv vergötterten Gegenstände
selbst können andererseits auch als einfache Naturdinge einer unbegriffenen “bloßen
Notwendigkeit unterworfen sein”. Dem Menschen, der nicht ständig ein begreifendes
Leben führen kann, erscheinen sie auch nicht immer nach den begriffenen Gesetzen.
Daher sind sie Hegel zufolge lediglich “bloße Halbgötter”, die kein Ewiges bewirken
können. Eben darum wird ferner die vollkommene Übereinstimmung von Begriff und
Gegenstand, die Vereinigung von begreifendem Subjekt und begriffenem Objekt oder
die Einheit der Freiheit und der Natur vielmehr als ein Ideal gedacht. Das Ideal, das so
gedacht ist, “daß Natur Freiheit ist, daß Subjekt und Objekt nicht zu trennen sind”, ist
“Göttliches”, das “das Objekt jeder Religion” ist (N 376). Gedacht, begriffen zu werden
bedeutet in erster Linie, zum Gegenstand des Denkens, des Begreifens zu werden. Wenn
also das so gedachte, zum Gegenstand des Denkens gewordene Ideal nur objektiv bleibt
und wenn eine Religion dies Objektive als das “Prinzip des Lebens und der Handlungen
aufstellt”, das nicht zum Subjektiven wird, ist sie positiv (N 374). Daher wird die
Positivität einer Religion dementsprechend danach entschieden, ob sie das Moment der
im Begreifen bzw. Denken notwendigen Vergegenständlichung eben recht nur als
Moment selbst versteht oder das Produkt der Vergegenständlichung als reales Objekt
missversteht. Schließlich hält Hegel die Positivität in dieser dritten Phase für ein
logisches Moment, das dem Begreifen bzw. Denken notwendigerweise immanent ist.
Das Denken ist in diesem Hinblick ursprünglich beschränkt. Insofern es die
48
Vergegenständlichung zur notwendigen Bedingung hat, ist es von Anfang an positiv.
Seine Vergegenständlichung bedeutet, etwas bloß Einzelnes mit dem fremden
allgemeinen Begriff auszustatten und diesen an die Stelle jenes Einzelnen setzen zu
lassen. Das so notwendig im Denken vergegenständlichte Allgemeine ist Hegel zufolge
“eine unzerstörbare Positivität”, solange der Mensch denkt (N 266).92 Aus diesem
Grund sind nun in diesem Kontext auch die Kantischen Moralgesetze und das
Fichtesche absolute Ich erneut einzuschätzen.
Wenn die Positivität um des Denkens willen unvermeidlich ist, stellt sich eine weitere
Frage, was den Menschen zum Denken nötigte. Die Antwort hängt mit dem Zustand
zusammen, in dem der Mensch dazu gelangte, durch keine andere Tätigkeit mehr als
das Denken unmittelbar mit der äußeren Natur umzugehen. Diesen Zustand identifiziert
Hegel in der Frankfurter Zeit mit der Erzählung der noahschen Sintflut und später in der
Jenaer Zeit mit der Erzählung der Namensgebung Adams, durch die der Mensch vom
Reich der Bilder der Natur ins Reich seiner eigenen Namen gegenüber der Natur
überging (J I.288ff. J III.189ff.). Aber nicht zuletzt darauf ist Acht zu geben, dass er dort
die Trennung von der Natur als das Schicksal des jüdischen Volks auffasst. Die
biblische Sintflut, mit der das Volk Erfahrung machte, versinnbildlicht, dass die
feindlich gewordene Natur keine menschenverwandte Objektivität mehr hat und deshalb
der Mensch gezwungen wird, das natürliche Objekt durch ein gedachtes zu ersetzen.
Daher ist das Schicksal des jüdischen Volks das aller Völker, die durch solche
Erfahrungen die vertraute Natur verloren, aber auch das aller Menschen, die das
Verhältnis der Feindschaft durch das des Denkens überwinden wollen. Insofern kann
Hegels obzwar eigentlich ungerecht negative Interpretation der jüdischen Religion
jedoch nicht einfach als antisemitisch angesehen werden.
Darüber hinaus merkt Hegel an, dass die Vergegenständlichung für das Denken zwar
notwendig, aber nicht hinlänglich ist. Das Denken ist, einfach gesagt, das Verhältnis des
Denkenden und des zu Denkenden. Zum einen ist aber dieses zu Denkende nicht nur
vom Denken jenes Denkenden abhängig, sondern auch vom äußeren Gegenstand selbst.
Zum anderen wird auch das Denkende weder nur durch das Naturereignis zum Denken
affiziert, noch verlässt es sich allein auf das absolute Subjekt mit der freien Spontaneität.
Das Naturereignis oder das absolute Subjekt als Grund für das Denken führt ohne
weiteres zur Positivität. Sondern das Denkende ist vielmehr auf seine Tätigkeit selbst
als Denken angewiesen. Welche äußeren Motive auch immer seien, so ist als der Grund
92
Der von Perperzak erhobene Vorwurf gegen Hegel wegen der Unterschätzung ‘alles Unmittelbaren
vom Standpunkt des Begreifens’, den Hegel ‘niemals beweisen’ könne, ist nicht einmal treffend. Peperzak,
Adrian: Hegels Philosophie der Religion und die Erfahrung des christlichen Glaubens, HSB 11, S. 203213.
49
für das Denken die Selbstentscheidung zum Denken schon hinreichend.93 Das Denken
muss als seinen Grund nicht außer sich, sondern in sich habend betrachtet werden, nur
dadurch lässt sich die freie Selbstständigkeit des menschlichen Subjekts versichern. Das
Denken ist demnach die Tätigkeit selbst, durch die das Denkende das zu Denkende über
den äußeren Gegenstand selbst in sich und zugleich das Gedachte durch die
Vergegenständlichung im Gegenstand an sich setzt. Also ist die Tätigkeit als das
Verbinden der gedachten Begriffe mit dem Gegenstand an sich auch schon die erste
Bedingung für die Entscheidung der Wahrheit des Denkens. Hegel formuliert zur
Betonung des Denkens als Tätigkeit im Fragment Moralität, Liebe, Religion: “Begriff
ist eine reflektierte Tätigkeit” (N 374). Der Begriff als das Gedachte ist das, was als
Objektives im Gegenstand an sich vergegenständlicht ist. In diesem objektiven Begriff
ist deswegen schon die Tätigkeit reflektiert. Der Begriff ohne Rücksicht auf die
Tätigkeit wird lediglich als Objektives verbleiben und dem Subjekt als nur etwas
Erkanntes oder Gegebenes erscheinen. Daher muss die Tätigkeit des Denkens auch in
Form des vergegenständlichten Objekts nicht verloren gehen, sondern wiederum als
reflektiert im Begriff mitgefasst werden. Das objektive Moralgesetz Kants muss daher
nun zugleich als die reflektierte Tätigkeit des sich die Maxime aufstellenden Subjekts,
und das sich als das Nicht-Ich bestimmend setzende Ich Fichtes zugleich als die
reflektierte Tätigkeit dieses Bestimmens erfasst werden.
Außerdem lässt sich der Begriff als Objektives aber nicht allein auf die Tätigkeit des
Denkens zurückführen. Er ist ja nichts anderes als irgendein Begriff von einem äußeren
Gegenstand an sich, vor allem ein Begriff von einem Was- oder Wiesein des
Gegenstandes an sich. Er hat deshalb auch das Sein des Gegenstandes an sich zur
Bedingung. Ein Begriff von etwas, was nicht ist, ist widersprüchlich. Selbst Nichts,
wenn als Relatum des Begriffs, ist als Unbestimmtheit. Insofern es einen Begriff gibt,
muss sein Relatum notwendig und unbedingt sein, was und wie es auch immer sei. Aber
vom Standpunkt des Seins selbst aus ist das Beziehen unseres Begriffs auf das Sein
völlig gleichgültig. Das insbesondere gewichtige Frankfurter Fragment, Glauben und
Sein mit Anspielung auf Hölderlins Urteil und Sein94 verrät Hegels Grundeinstellung
zur Beziehung. Nämlich, “dadurch, daß es [sc. das Sein] ist, sei es deswegen nicht für
uns”. Ob im Faktum des Seins dieses selbst “für uns oder nicht für uns” ist, ist für es
93
Denkexterne Elemente werden gerade durchs Denken selbst erhellt, für das nur selbst die
Entscheidung zum Denken schon ausreicht, wie Schelling sie als die ‘Anticipation der praktischen
Entscheidung’ zum Aufstellen eines Systems, später Hegel als den “Entschluß, rein denken zu wollen”
darstellt. Schelling: Philosophische Briefe, S. 81. E I, § 36. WL I/I.56.
94
Baum, Manfred: Metaphysischer Monismus bei Hölderlin und Hegel, HS 28, S. 97. Henrich, Dieter:
Hegel und Hölderlin, HS 11, S. 29-52.
50
selbst ganz und gar gleichgültig. Wenn es ist, ist es also schlechthin als sich selbst ohne
Rücksicht auf die Beziehung auf uns. Lediglich vom Standpunkt des Denkens aus ist
vorauszusetzen, dass das Sein für uns ist. Denn das Denken hat für seinen Begriff
zwangsläufig das Sein des Gegenstandes an sich als sein Relatum zur Bedingung.
Demnach soll das Sein für das Denken schon sein. Damit aber ist nicht gemeint, dass
das Sein so bewiesen ist, dass es ist. Das Sein hat in sich keine Notwendigkeit für die
Beziehung auf das Denken, sondern es ist für sich absolut unabhängig vom Denken. Mit
anderen Worten, das “Sein kann nur geglaubt werden” (N 383). Aus der Notwendigkeit
des Denkens lässt sich das Sein nicht im Voraus beweisen, sondern nur glauben.
Diese Einsicht Hegels spiegelt plausibel den Einfluss der Jacobischen Philosophie wider.
Während seine erste ausdrückliche Erwähnung Jacobis erst in der Jenaer
Differenzschrift (1801) vorkommt, bildet für ihn schon seit der Tübinger Zeit die JacobiLektüre ein Gegengewicht gegenüber der Kantischen Philosophie. 95 Seine Lektüre
scheint auch David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus (1787)
eingeschlossen zu haben. In einer Polemik gegen die Unerkennbarkeit der Dinge an sich
und die subjektive Begründung ihres Seins nur um des Erkennens oder Denkens willen
legt Jacobi seine Lehre von Glauben und Offenbarung ausführlich dar. Für uns gibt es
‘ja für das Daseyn an sich eines solchen Dinges außer uns gar keinen Beweis, als das
Daseyn dieses Dinges selbst’. Für uns, die eine äußere Bedingung für das Erkennen
suchen, ist es deswegen unbegreiflich, ‘daß wir ein solches Daseyn gewahr werden
können’.96 Dennoch werden wir ohne Vorkenntnis einer solchen Bedingung dieses
Dasein mit Gewissheit gewahr. In der 1815 dem Werk vorangestellten Vorrede heißt es:
‘das reale Seyn, das Seyn schlechthin, giebt sich im Gefühle allein zu erkennen; in
demselben offenbart sich der gewisse Geist’. 97 Das Gefühl ist daher das höchste
objektive und reine Vermögen des Menschen, durch das das erkennende Subjekt und
das zu erkennende reale Sein schlechterdings vereinigt werden. Der ‘wahre eigentliche
Name für dies Gefühl’ ist Jacobi zufolge gerade der Glaube98 – der Glaube, ‘daß wir
andre würkliche Dinge gewahr werden mit derselben Gewißheit, mit der wir uns selbst
gewahr werden’. Weil für uns weder ein Beweis vom Sein selbst noch von der
Gewissheit des Erkennens des Seins möglich ist, müssen die beiden schlechthin
95
HLeben, S. 40. Hzeit, S. 35-36. HStaata, S. 19. HH, S. 4. Über den Vergleich zwischen Kant und
Jacobi, Hutter, Axel: Vernunftglaube. Kants Votum im Streit um Vernunft und Glauben Jc, S. 241-256.
Hutter zufolge ist der Glaube der freien Vernunft, in dem sich beide treffen, auch ein Scheideweg, in dem
Punkt, dass er für Jacobi unmittelbar erkennbar, unbeweisbar, für Kant ein Versuch ist, ‘Nichtidentität und
Identität’ ‘von Verstand und Vernunft’ ‘in einem kritischen Vernunftbegriff zu vermitteln’.
96
Jacobi: David Hume, S. 32-33.
97
Jacobi: Vorrede, S. 424.
98
Jacobi: David Hume, S. 29.
51
geglaubt werden, ‘indem, was keines strengen Beweises fähig ist’, ‘nur geglaubt werden
kann’.99 Ja, vielmehr der Beweis von beiden, d. h. vom Sein und von der Gewissheit
des Erkennens, sind die beiden selbst, d. i. das Sein selbst und das Erkennen selbst.
Jedes für sich lässt sich gar nicht beweisen, bevor das Sein da ist und das Erkennen in
Angriff genommen wird. Und weil mit und in dem Gefühle bzw. Glauben der
Vereinigung von beiden das Dasein selbst erkannt zu werden beginnt und dadurch die
Vereinigung selbst zustande kommt, ist eben der Glaube das höchste
Erkenntnisvermögen, dem Gott weiterhin die Vereinigung des Denkenden und des zu
Denkenden, von Denken und Sein, garantiert. Er ist ‘also eine unmittelbare
Überzeugung ohne beweisenden Schluß’.100 Deshalb sind auch alle Inhalte, die in ihm
gewusst werden, nichts anderes als Offenbarungen. Aber gerade dieser Gesichtspunkt
unterscheidet Hegel von Jacobi. Denn in erster Linie gilt der Glaube für Hegel nicht als
das Vermögen der Vereinigung, der Wahrheit. Glauben ist lediglich “die Art, wie das
Vereinigte, wodurch eine Antinomie vereinigt ist, in unserer Vorstellung vorhanden ist”,
aber nicht das Vereinigte selbst. Es ist nur unsere Vorstellungsweise über das Vereinigte,
in der Jacobi zufolge zwar die Vereinigung entsteht, die aber weder Inhalt des
Vereinigten selbst verrät noch dessen Wahrheit versichert. 101 Eine Antinomie,
Entgegengesetzte zu vereinigen ist eine Tätigkeit. Die Vereinigung des Erkennenden
und der wirklichen Dinge, des Denken und des Seins, kommt eben in dieser und durch
diese Tätigkeit selbst an den Tag, und wird nicht durch den von der Tätigkeit differenten
Glauben versichert. Wenn die Tätigkeit als ein Objekt reflektiert und in unserer
Vorstellung gesetzt wird, ist sie nur ein Geglaubtes. Und “das Geglaubte” als Objektives,
in dem die Tätigkeit reflektiert ist, ist in Gefahr, die Tätigkeit selbst zu verlieren (N 382).
Das Erkennen im Glauben beginnend verliert seine erkennende Tätigkeit selbst. Dann
würde das Vereinigte nicht durch das Erkennen selbst, sondern durch das im Glauben
versicherte Offenbaren von oben gegeben. Die Jacobische Philosophie ist daher, nach
Hegels Glauben und Wissen, ein “Dogmatismus der absoluten Endlichkeit und
Subjektivität”, der Gott alles anheim stellt, nur im Horizont der Endlichkeit verbleibt
und immer noch nicht in die Philosophie eintritt. (JKS 378) Dagegen gilt der Glaube für
Hegel nur vor der vereinigenden Tätigkeit. Während die Vereinigung durch die
vereinigende Tätigkeit ans Licht gebracht wird, hat diese Tätigkeit umgekehrt kein
99
Jacobi: David Hume, S. 21.
Bonsiepen, Wolfgang: Philosophie, Nichtphilosophie und Unphilosophie Jc, S. 263-264.
101
Sandkaulen zufolge besteht die Hegelsche Kritik darin, dass der von Jacobi aus dem Spinozismus
gerettete Person-Gott nur als ‘daß’ bleibt, nicht als ‘was’ gewusst wird, während es für Jacobi um ‘die
freie Identität eines Wer’ Gottes geht. Sandkaulen, Birgit: Dass, was oder wer? Jacobi im Diskurs über
Personen Jc, S. 217-237. Über die Hegelsche Reduktion des Gottesgedankens auf eine Zweieinigkeit im
ähnlichen Sinne, Oeing-Hanhoff, Ludger: Metaphysik und Freiheit, S. 103-105.
100
52
anderes Motiv als die Vereinigung selbst.102 Daher sollte die Vereinigung vorher sein,
bevor sie sich selbst durch die Tätigkeit entlarvt. Aber dass sie vor der Tätigkeit sei,
kann nur gemeint oder geglaubt, nicht bewiesen werden. Also ist der Glaube lediglich in
diesem Moment gültig. Darüber hinaus ist die vereinigende Tätigkeit immer,
irgendwelche Entgegengesetzten zu vereinigen. Aber damit diese selber als die
Entgegengesetzten, als “die Glieder der Antinomie”, gefühlt oder erkannt werden
können, muss es im Voraus irgendwie vorausgesetzt sein, dass sie “schon vereinigt
worden” sind. Wie ohne Maßstab kein Vergleich möglich ist, so ist ohne Vereinigung
kein Gegensatz möglich. Für die Möglichkeit der Entgegengesetzten muss die
Vereinigung als ihr “Maßstab” vorausgesetzt werden (N 382). Trotzdem, dadurch, dass
sie als die Entgegengesetzten vereinigt werden müssen, ist “nicht bewiesen”, dass ihr
Maßstab, ihre Vereinigung selbst ist. Sondern weil dadurch die Vereinigung vorgestellt
wird, wird auch vorgestellt, dass sie ist, und de facto wird “diese Art von Vorhandensein
der Vorstellung von derselben” “geglaubt”. Die Vereinigung selbst “kann nicht bewiesen
werden”. Sie lässt sich vor der Tätigkeit nicht erkennen, sondern nur glauben (N 383).
Aus dieser Darlegung Hegels ergibt sich eine wichtige Aporie. Durch die vorausgesetzte
Vereinigung als Maßstab wird aber andererseits auch nicht erkannt, dass die
Entgegengesetzten sind. Wie und woran lässt sich erkennen, dass die zu Vereinigenden
eben Entgegengesetzte sind? Lassen sich auch diese nach dem geglaubten Maßstab nur
glauben? Die Antwort Hegels darauf lässt die onto-logische Basis seiner in dieser Zeit
wachsenden Dialektik sehen. Nämlich die Vereinigung ist nicht der Maßstab, durch
welchen die Entgegengesetzten als Entgegengesetzte erkannt werden, sondern “an
welchem die Entgegengesetzten, als solche, als Unbefriedigte erscheinen” (N 382). Die
Entgegengesetzten erscheinen als solche. Alles, was in dieser Welt erscheint, ist
beschränkt, unbefriedigt, abhängig, also mindestens dem Unbeschränkten, Befriedigten,
Unabhängigen entgegengesetzt. Als Grund für das Sein dieses Entgegengesetzten wird
die Vereinigung als Maßstab nur vorausgesetzt und geglaubt. Aber vom Standpunkt der
Vereinigung selbst aus hat sie gleichfalls keine Notwendigkeit der Beziehung auf die
vereinigende Tätigkeit, wenn und weil sie ist. Sie ist für sich schlechthin absolut
unabhängig. In diesem Sinne sind Vereinigung und Sein Hegel zufolge
“gleichbedeutend”. Diese strukturelle Gleichdeutigkeit von beiden besagt nichts anderes
als ihre Identität. Die Vereinigung ist ein epistemologischer Ausdruck von Sein, und das
102
Gawoll identifiziert den Geltungsbereich des Glaubens bei Hegel mit dem Jacobischen und kommt
endlich zum falschen Schluss, dass Hegel auch die Notwendigkeit erkenne, ‘die Unmittelbarkeit eines
transsubjektiven Seins anzunehmen, das dem Denken und Handeln Objektivität verleiht’. Gawoll, HansJürgen: Von der Unmittelbarkeit des Seins zur Vermittelung der Substanz. Hegels ambivalentes Verhältnis
zu Jacobi, HS 33, S.133-151, insbesondere 136, 151.
53
Sein 103 ein ontologischer von der Vereinigung. Die Vereinigung, die vor der
vereinigenden Tätigkeit geglaubt werden kann, ist das Sein. Denn die zu vereinigenden
Entgegengesetzten finden “nur in Einem Sein” ihre Vereinigung. Dafür spricht die
Tatsache, dass Entgegengesetzte obwohl unvollständig, jedoch sind, also obwohl in
beschränkter Weise, dennoch ihr Sein verraten. Dass sie vereinigt werden, heißt, dass
sie immer mehr zum vollkommenen Sein selbst werden. Die vollständigste Vereinigung
ist das eine Sein, das alle Weisen von einem Sein der Entgegengesetzten in sich
vereinigt. Allerdings ist die Vereinigung bzw. das Sein vor der vereinigenden Tätigkeit
unbeweisbar, lediglich geglaubt.104 Dieser Glaube ist vom Standpunkt der Tätigkeit des
Menschen aus notwendig, solange Entgegengesetzte in endlicher Weise sind, von Natur
aus immer vollständiger sein wollen, also nach und in dem einen Sein selbst vereinigt
werden sollen. Er ist daher zuerst vor allem Glaube an das eine Sein selbst. Aber das
geglaubte Sein ist andererseits “ein Gedachtes”, “ein Getrenntes”, also selbst ein dem
Denkenden Entgegengesetztes, nicht das Sein selbst. Ohne diese Berücksichtigung kann
es sich eben durch den Glauben und das mit diesem beginnende Erkennen bzw. Denken
missverstehen, “daß es verschiedene Arten von Vereinigungen, von Sein gibt”. Denn
wenn das Sein vorher zuerst geglaubt werden muss und erst durch die vereinigende
Tätigkeit wie Erkennen, Denken u. a. an den Tag kommt, lässt sich damit meinen, dass
das Sein in verschiedenen Weisen ist, in dem Maße, wie es durch diese Tätigkeit erfasst
wird. Aber durch diese Tätigkeit wird das Sein selbst nicht schlechthin bestimmt,
sondern lediglich seine eine Art von Sein im Erkennen oder Denken gesetzt.105 Das
Missverständnis beruht darauf, dass nicht berücksichtigt wird, dass der Glaube “nicht
Sein, sondern ein reflektiertes Sein” ist. Das geglaubte und gedachte Sein ist nicht das
103
Hier wird vom Verfasser der Ausdruck ‘das Sein (selbst)’ oder ‘das eine Sein’ auf gleicher Ebene mit
Hegels Ausdruck “Sein” (ohne Artikel!) gebraucht, das von einem Sein unterschieden werden muss. N, S.
383.
104
Dies kann Hegels indirekte Antwort gegenüber Schellings Ansatz sein, der den ‘Uebergang vom
Unendlichen zum Endlichen’ als ‘das Problem aller Philosophie bezeichnet. Später, im zweiten Jenaer
Systementwurf, erklärt Hegel ausdrücklich, es könne “nicht gefragt werden, wie das Unendliche zum
endlichen werde, oder herausgehe”. Schelling: Philosophische Briefe, S. 82. J II.173.
105
Wenn der Grundsatz von Marx, dass ‘das Bewußtsein der Menschen’ nicht ‘ihr Sein’, sondern ‘ihr
gesellschaftliches Sein’ ‘ihr Bewußtsein bestimmt’, als die logische und reale Priorität des überhaupt
nicht unbedingt unter die Tragweite des Denkens zu subsumierenden Seins verstanden wird, nimmt ihn
Hegel hier vorweg. Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie MEW 13, S. 9. Auch Baum zufolge
ist das Hegelsche Glauben ‘ein Voraussetzen von Sein als vom Subjekt unabhängiges’. Baum, Manfred:
Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, S. 51. Auch: Metaphysischer Monismus bei Hölderlin und
Hegel, HS 28, S. 99. Aber Baum interpretiert hier das Glauben falsch, bis auf die Unbeweisbarkeit des
Seins selbst. S. 97-100. Bei Hegel können vielmehr alle fortschreitenden Urteile über das Sein, das in der
vereinigenden Tätigkeit als ein Sein auftritt, insgesamt ein Beweis des Seins selbst sein. Also ist das
Urteil nicht nur die Ur-Teilung als die Trennung des Seins, wie bei Hölderlin, sondern auch ein Dasein
des Seins selbst in der Trennung, und es “bezieht sich hiemit auf das, was es an und für sich ist”. WL
II.55.
54
Sein selbst, das außer der vereinigenden Tätigkeit objektiv ist, sondern das, was durch
die Tätigkeit als ein Objektives reflektiert ist. “Das, was ist, muß” eben deswegen “nicht
geglaubt werden”, “nicht reflektiert” werden. Aber, “was geglaubt wird, muß sein”. Was
geglaubt wird, ist zweifellos das, was irgendwie ist, aber als ein Objektives gedacht,
reflektiert, insofern vom Denkenden getrennt ist. D. h. die Trennung von Sein und
Denken beruht nicht auf dem Sein, sondern auf dem Denken als einer vereinigenden
Tätigkeit. Weil das Denkende auch vom Sein getrennt ist, will es sich mit dem Sein
vereinigen. Aus der Notwendigkeit dieser Vereinigung muss die Tätigkeit angefangen
werden, und daher kann das Sein zuerst nur geglaubt werden.
Diese Einsicht Hegels zeigt, dass sein so genannter Idealismus106 de facto eigentlich
vom ontologischen Realismus ausgeht. Sie lässt sich als die Restitution des
traditionellen ontologischen Horizontes einschätzen, in dem Sein als solches (ον ή ον)
vor der Entfaltung des Erkennens angenommen ist. Dagegen wird das Sein, das vor dem
Erkennen nicht gewusst, sondern nur geglaubt werden kann, für Hegel erst durch diese
Tätigkeit gewusst. Ohne Rücksicht auf die Tätigkeit bildet das gedachte Sein als
Objektives lediglich die Ursache der Positivität. Es gibt allerlei vereinigende
Tätigkeiten des Menschen; deshalb lässt sich missverstehen, dass auch das Sein selbst in
allerlei Weisen ist. Dies ist aber Hegel zufolge eben durch die Endlichkeit des
vereinigenden Seienden und seiner vereinigenden Tätigkeit verursacht, durch die das
Sein nicht als solches, sondern unvollständig nach dem verschiedenen Blickwinkel ans
Licht gerät. Aber das Sein müsste an und für sich sowohl vor als auch in der Beziehung
auf uns immer ein identisches sein. Das eine Sein wird durch die Tätigkeit, obwohl nur
zum Teil, jedoch immer irgendwie erhellt. Dafür präsentiert Hegel als Beleg, dass “ist”
in allen Satzformen enthalten ist. Der Satz ist ein logischer Ausdruck irgendeiner
vereinigenden Tätigkeit. Im Satz ist immer das “ist” enthalten, das Subjekt und Prädikat
zusammenschließt und vereinigt. Das “ist” ist für Hegel nicht nur eine logische Kopula,
die ein Attribut des Subjekts als ein Prädikat darstellt, sondern vor allem bringt es “ein
Sein” ans Licht. Dieses eine Sein muss doppelsinnig verstanden werden. Es besagt zum
einen, dass irgendein Subjekt als irgendein Prädikat ist. Ein Subjekt kommt zur Sprache
als ein Sein mit einem Wesen, das sein Prädikat bezeichnet. Hier verrät dies eine Sein
ein Sein des Subjekts als Wassein.107 Des Weiteren bedeutet es auch, dass das Sein
106
Über die unglückliche Geschichte der durch die falsche Benennung vom ‘absoluten’ oder pauschal
‘Deutschen Idealismus’ verdrehten Philosophie Hegels u. a., deren Einführung Jaeschke von der Schrift
Friedrich Albert Langes ausgehend verfolgt, Jaeschke, Walter: Zur Genealogie des Deutschen Idealismus,
Materialismus und Spiritualismus, S. 219-234.
107
Der Essenzialismus von Aristoteles verharrt in diesem Sinn von “ist”. ‘Das Sein wird vielfältig
ausgesagt (το ον λεγεται πολλαχως)’. Aristoteles: Metaphysica, 1003a. Physica, 185a. De Anima, 410a. In
der Form der Aussage, die in allen Texten des Aristoteles mit ‘man sagt’ oder ‘es wird gesagt, dass’
55
selbst als ein Sein eines Subjekts mit einem Wesen ist. Hier verrät dies eine Sein als
“ist”, obzwar in beschränkter Weise, jedoch irgendwie das Sein selbst, das in einem
Moment seiend als ein Sein eines Subjekts mit einem Wesen ist.108 Gerade aus diesem
Grund, d. i. weil jedes Subjekt immer auch eine Seinsweise des Seins selbst ist, ist “in
jedem Satz” das “ist” enthalten (N 383). Das “ist” ist das fortwährende Präsens des
Seins selbst in der vereinigenden Tätigkeit des Endlichen. Und eben deswegen ist das
Sein selbst in einem Sinne auch die vereinigende Tätigkeit mit dem Endlichen als
Mittel. 109 Mit anderen Worten ist das Sein selbst, das Unendliche in allen
Vereinigungsformen des Endlichen, obwohl unvollständig, doch immer gegenwärtig.
Ergo credo ut intelligam. Denn das geglaubte Sein tritt durch die Tätigkeit des Wissens
u. a. in einer Seinsweise des Seins selbst auf. Et intelligo ut credam. Denn das bloß
geglaubte Sein ist nicht das Sein selbst, sondern dies wird durch die Tätigkeit des
Wissens u. a. nur allmählich beleuchtet. Gerade hierauf wird sich Hegels Dialektik
beginnt, wird das Sein jeweils als ein verschiedenes Wesen habend verstanden. Diese Verständnisweise,
die ‘in der Ontologie’ wurzelt, nimmt Hegel in seine Logos-Ontologie auf, obwohl sie bei Aristoteles
keinen Widerspruch erlaubt. Aubenque, Pierre: Hegelsche und Aristotelische Dialektik HaD, S. 214-224.
Van der Meulen, Jan: Begriff und Realität, HSB 1, S. 132-133. Der Grund des Aristoteles für seine
Vorgehensweise ist, dass das Sein in der Aussage als ein Was-Sein gewusst wird, aber selbst kein Glied
der Aussage, d. h. kein einziges Genus der Dinge in der Definition sein kann. ουχ οιον τε δε των οντων έν
ειναι γενος ουτε το έν ουτε το ον. Metaphysica, 998b. (kursive Betonung vom Verfasser). Aber dieser
Satz besagt nicht, wie Koch interpretiert, dass das Sein ‘kein Gattungsmerkmal’ sei, sondern dass es
wegen seiner vollständigen Allgemeinheit und Prädizierbarkeit nicht selbst als ein Genus in der Aussage
ausgedrückt werden kann. Koch, Anton Friedrich: Unmittelbares Wissen und logische Vermittlung. Hegels
Wissenschaft der Logik Jc, S. 322-324. In diesem Sinne bezieht sich “ist” in jedem Satz bei Aristoteles auf
ein Wassein des Seins in einem Seienden, nicht auf das Sein selbst. Die Vorgehensweise ist also allerdings
von der platonischen des “ist” als Teilhabe am Sein als dem obersten Genus verschieden, wie in der
Erläuterung Düsings. Aber die Grenze der Aussage bedeutet für Hegel, anders als für Aristoteles und
Düsing, eben die Nichtidentität eines Seins als “ist” mit dem Sein selbst. Hegel versteht “ist” weder in
erster Linie ‘als Inhaltsgleichheit’ noch setzt es ‘die logische Explizierbarkeit der einen Widerspruch
einschließenden absoluten Identität’ voraus. Düsing, Klaus: Ontologie und Dialektik bei Plato und Hegel,
HS 15, S. 95-150. Der Satz ist gerade vielmehr ein Ort (τοπος), wo de facto der Widerspruch entsteht, der
nach der Differenzschrift nur die “rein formale Erscheinung des Absoluten” ist. JKS, S. 27. HH, S. 113.
Über die Interpretation der Aristotelischen Verständnisweise als ‘der hermeneutischen Hypolepsis’, Ritter,
Joachim: Metaphysik und Politik, S. 63-66.
108
Es gibt keinen Beleg dafür, dass Hegel Thomas von Aquin, daher die analogia entis, ernsthaft
untersuchte. Dennoch tritt bei Hegel auch das Moment der Existenz im traditionellen Sinne der Ontologie
unter dem Ausdruck des “seyend” als dass oder ens des Seins selbst in einem Subjekt auf. Allerdings ist
Hegels eigener Existenzbegriff überhaupt nicht traditionell ontologisch in dem Punkte, dass auch die
ideelle Existenz des begriffenen Seins im Geiste anerkannt wird. Dies ist höchstwahrscheinlich Spinoza
zu verdanken, der die Identität der Ordnung und Verknüpfung der Ideen mit der Ordnung und
Verknüpfung der Dinge behauptet. Spinoza: Ethica, II., Lehrsatz 7. S. 54. Nach den heideggerschen
Untersuchungen Finks fehlt Hegel daher ‘eine existenzial-ontologische Interpretation’, aber er
interpretiert jedoch ‘das Sein im Seienden’. Fink, Eugen: Sein und Mensch, S. 44-78.
109
Also alles, was an die Stelle des Subjekts des Satzes als eine Substanz gesetzt wird, ist zugleich auch
Subjekt, insofern der Satz die vereinigende, d. i. ur- und in den Ursprung teilende Tätigkeit des Seins
selbst vermittelt und in dem Endlichen ist. Das eigentliche Urteil als diese Tätigkeit wird erst in Glauben
und Wissen als der Schluss erläutert. JKS, S. 328.
56
gründen. Wegen des Widerspruchs zwischen der Endlichkeit der Vereinigungsform (z. B.
Satz) und der Unendlichkeit des Vereinigungsinhalts (z. B. Sein) ist alles Endliche
dialektisch,110 das sich also auf der Suche nach der vollkommenen Vereinigung mit
dem Unendlichen aufheben und entwickeln muss. Eine solche vereinigende Tätigkeit ist
die nun zu betrachtende Liebe.
2.3. Liebe, Leben und Sittlichkeit
Obzwar Hegel die vereinigende Tätigkeit wie Begreifen, Erkennen, Denken, u. a. schon
dialektisch einsieht, ist es die Liebe, die in dieser Zeit als Prinzip der Vereinigung
hervortritt. Wenn die Problemlage der Religion vorher meistens gemäß dem Kantischen
Prinzip der Vernunft betrachtet wurde, taucht die Liebe nun als erstes philosophisches
Prinzip Hegels auf. Zu den Motiven hierfür ist bereits seit der Tübinger Zeit das
Verständnis der Liebe als der vernünftigsten Sinnlichkeit des lebendigen Subjekts zu
zählen. Auch könnte, wie schon erwähnt, die Entfernung vom Prinzip der Kantischen
Vernunft Hegel eher zur Liebe als zu einem anderen Prinzip geleitet haben. Aber nicht
zuletzt müsste ihn sein allmähliches Erkennen der Positivität als notwendiges Moment
in der Struktur des Denkens selbst auch dazu motivieren. Denn wenn das Denken eine
Beziehung des Denkenden auf das Gedachte ist, die in der fundamentalen Trennung von
dem zu denkenden Gegenstand an sich besteht, ist die Vereinigung des Denkens nicht
unmittelbar möglich, sondern sie muss durch den Prozess der Reflexion hindurch gehen.
Damit das, was über einen Gegenstand gedacht ist, nicht nur objektiv als dem
Gegenstand gehörig, sondern zugleich als die reflektierte Tätigkeit des Denkenden
aufgefasst werden kann, wird auch das reflektierende Erkennen seiner Tätigkeit
gefordert. Aber ein solches Erkennen ist vom gewöhnlichen Menschen in der
Volksreligion schwer zu bewerkstelligen. Das Augenmerk Hegels bei der weiteren
Behandlung der Volksreligion ist auf das Prinzip gerichtet, nach dem die Vereinigung
unmittelbar im Menschen dieser Welt erscheint. Und “nur in der Liebe allein ist man
110
Der Identitätssatz, der am Widerspruchlosesten zu sein scheint, ist auch widersprüchlich, daher
endlich, weil A in A=A zur Behauptung seiner höchsten Identität selbst in Subjekt und Prädikat entzweit
werden muss. Kroner, Richard: Von Kant bis Hegel, Bd.2, S. 313-314. JKS, S. 24-27. Andreas Arndt sieht
auch in Glauben und Sein den ‘Leitfaden der Formierung des Hegelschen Dialektik-Begriffs’, der aus der
Kantischen Antinomielehre herzuleiten ist, die ‘aus dem Vorliegen der Form des Widerspruchs weder auf
die Nichtigkeit des Gegenstandes’ ‘noch auf einen subjektiven Argumentationsfehler’ schließt. Arndt,
Andreas: Hegels Begriff der Dialektik im Blick auf Kant, HS 38, S. 105-120, besonders 112. Dies
Verständnis des Widerspruchs bei Kant lässt sich zurückverfolgen bis in seine frühere Schrift, Versuch,
den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (1763). Über das etymologische
Verhältnis zwischen ‘endlich’ und ‘In-Aufhebung-Begriffenes’, Scheiber, Wolfgang: „Habitus“ als
Schlüssel zu Hegels Daseinslogik, HS 20, S. 128-129.
57
eins mit dem Objekt, es beherrscht nicht und wird nicht beherrscht” (N 376). Nicht so
wie das Gedachte durch das Denken an die Stelle des Gegenstandes an sich als ein
Objektives gesetzt wird, wird das Objekt durch das Lieben als ein Geliebtes gelegt und
beherrscht. Auch nicht an der Stelle des objektiven Ideals gebietet das Geliebte die
Liebe. Das Fragment Liebe und Religion erwähnt, der “Geliebte ist uns nicht
entgegengesetzt, er ist eins mit unserem Wesen; wir sehen nur uns in ihm, und dann ist
er doch wieder nicht wir – ein Wunder, das wir nicht zu fassen vermögen” (N 377). Die
Liebe ist Vereinigung, die in der Welt der Trennung unmittelbar erscheint. Sich im
Anderen zu sehen besagt gar nicht, mit begrifflichen Mitteln den Anderen zum Seinigen
zu machen, sondern ein mit mir identisches Wesen im von mir getrennten Anderen als
ein alter ego zu finden. Dass diese Identität auch in der wirklichen Trennung da ist, kann
nichts anderes als Wunder sein. Allerdings ist dieses Wunder nicht auf eine Autorität der
positiven Religion angewiesen, in dem Sinne, dass die Liebe das nicht durch
übermenschliche Vermögen, sondern das von jedem gemeinen Menschen zu wirkende
Wunder ist. Allein wir als gemeine Menschen können einander zwar lieben, doch haben
wir Schwierigkeiten, Liebe zu erfassen. Wenn die uns unfassliche Liebe “von der
Einbildungskraft zum Wesen gemacht” wird, ist sie “Gottheit” (N 376). Die wahre
Religion hat diese zum Wesen objektivierte Liebe als Gottheit. Sie bezieht sich durch
die obwohl von jedem unfassbare, jedoch praktizierbare Liebe auf die Gottheit. Sie ist
schlechterdings “eins mit der Liebe” als mit der erscheinenden Vereinigung (N 377) und
wird dadurch eins mit der Gottheit als mit der Vereinigung selbst. Aber wer nicht liebt,
ist noch in der Trennung und sein “Bewußtsein der Zerteilung” hat nur “Furcht vor” der
Gottheit (N 376).
Der Geist des Christentums und sein Schicksal ist in diesem Hinblick auch ein Versuch
Hegels, die wunderbare Liebe durch das Leben Jesu zu verstehen. Wenn Jesus im Leben
Jesu als Urheber der Vernunftreligion auftritt, wird er hier als Versöhner des
Menschenschicksals beschrieben. Außerdem dürfen auch die Einflüsse von Platon und
Hölderlin nicht übersehen werden. Hegels Anführungen des Phaidros, die allenthalben
in den Fragmenten dieser Zeit zum Vorschein kommen, machen es ersichtlich, dass er
die Liebe als das Dasein der göttlichen Idee in dieser Welt erfasst. Die Liebe (ερως) bei
Platon ist außer Dialektik (διαλεκτικη) und Erinnerung (αναµνησις) noch ein anderer
Weg zur Idee (ιδεα). Der Liebende kann dem Geliebten gegenüber zwei Zustände der
Seele haben. Einer davon ist der Zustand der Leidenschaft, die nur die körperliche
‘Lust’ verfolgt, und ein anderer Zustand der des Beschauens, durch das die Seele im
Geliebten ‘ein gottähnliches Angesicht erblickt’. Nur die Seele in diesem Zustand kann
sich wiederum an die göttliche Schönheit (το καλον) erinnern, die sie früher geschaut
58
hat. Der Liebende will sich daher dem Schönen im Geliebten annähern und opfert sich
‘wie einem heiligen Bilde oder einem Gotte dem Liebling.’111 Auch dem Geliebten
geschieht, dass ‘er wie in einem Spiegel in dem Liebenden sich selbst beschaut’.112 Das,
was beide durch die Liebe beschauen, ist das Ansehen der Seele von sich als schöner
Idee vor dem Verfall. D. h. das Lieben ist das Selbsterkennen der Seele als Idee im
Anderen. Diese Idee versteht Hegel aber aristotelisch eben als Leben. Denn beseelt zu
sein heißt bei Aristoteles, ein Körper mit gewissen Vermögen zu sein. Nach de Anima ist
gerade die Seele ‘Ursache und Grund (αιτια και αρχη)’ ‘des lebenden Körpers (εµψυχου
σωµατος)’ mit solchen Vermögen im Sinne von ‘Bewegungsabstoß’, ‘Endzweck’ und
‘Wesen’. Vor allem, wenn das Wesen ‘für alles die Seinsursache (αιτιον του ειναι)’ ist,
ist die Seele Prinzip des Lebens, weil das Sein ‘für alle lebenden Dinge das Leben (το
ζην)’ ist.113 Also in der Liebe “findet sich das Leben selbst, als eine Verdoppelung
seiner Selbst, und Einigkeit desselben” (N 379).
Auf der anderen Seite konnte der Frankfurter Hegel, befreit von der Einsamkeit der
Berner Zeit, Umgang mit dem ‘Bund der Geister’ pflegen, in dessen Mittelpunkt
Hölderlin stand. Hölderlin erhob damals einen ernsten Einwand gegen die
Ausgangspunkte des Denkens bei Kant und Fichte, d. i. die Einheit des Bewusstseins
des Ich als Subjekt des Denkens und die Ichheit des absoluten Ich, und entwickelte
seine eigene Philosophie der Vereinigung. Weil das Subjekt ‘nur in Relation zu einem
Gegenstand’ denkbar ist, lässt es sich nicht als ein absoluter Ausgangspunkt
aufstellen.114 Einen solchen Ausgangspunkt nennt Hölderlin in Urteil und Sein (1795)
eben ‘Sein’, in dem das Subjekt und das Objekt ‘so vereiniget’ sind, ‘daß gar keine
Teilung vorgenommen werden kann’. Die ursprüngliche Einheit als das Sein selbst wird
durch urteilbegleitende Tätigkeiten geteilt; daher kann das Bewusstsein, das die
Subjekt-Objekt-Beziehung des Urteils voraussetzt, beim unendlichen Progress zur
ursprünglichen Einheit nur noch in der Trennung verbleiben. Diese Einheit darf aber
auch ‘nicht mit der Identität verwechselt werden’, weil selbst die Fichtesche Identität
von ‘Ich bin Ich’ die Trennung von Subjekt-Ich und Objekt-Ich zur Voraussetzung
hat.115 Für Hölderlin erscheint die ursprüngliche Einheit vielmehr im Schönen als sie
111
Platon: Phaidros, 250a-251a.
Platon: Phaidros, 255d.
113
Aristoteles: De Anima, 415b. Ross zufolge ist die Seele bei Aristoteles also Form oder Entelechie des
lebenden Dings als εµψυχον σωµα. Ross, David: Aristotle, S. 134.
114
Henrich, Dieter: Hegel und Hölderlin, HSB 11, S. 31. Und: Historische Voraussetzungen von Hegels
System in Hegel im Kontext, S. 65.
115
Hölderlin: Urteil und Sein, S. 226-227. Über die Kritik Hölderlins an Fichte und die Differenz beider,
Henrich, Dieter: Konstellationen, S. 73-77. S. 87-94. Baum, Manfred: Metaphysischer Monismus bei
Hölderlin und Hegel, HS 28, S. 88-92.
112
59
selbst, und wird vor allem durch die Liebe ergriffen.116 Aber wie sich die Vereinigung
selbst nicht durch urteilende Tätigkeiten hervorbringen lässt, ist auch sein Begriff der
Schönheit ‘ganz unbestimmt’. 117 Die Schönheit ist lediglich die in dieser Welt
erscheinende Vereinigung und die Liebe ebenfalls nur die vereinigende Tätigkeit in
dieser Welt. Beide als die ursprüngliche Einheit und deren Tätigkeit erlauben eigentlich
überhaupt keine Trennung, die begriffliche Bestimmung ermöglicht. Demnach kann das
Sein selbst, das nur als die unbestimmbare Schönheit erscheint, ‘niemals zum
Erkenntnisgegenstand werden’.118 Dagegen besteht für Hegel die Liebe selbst auch in
der Trennung.119 “In der Liebe ist das Getrennte noch, aber nicht mehr als Getrenntes, als Einiges und das Lebendige fühlt das Lebendige” (N 379). Die Liebe ist eben darum
wunderbar, weil sie noch in der Trennung doch die Vereinigung der Trennung selbst
sehen lässt. Wenn sie also auch eine Form der Trennung in sich einschließt, lässt sie sich
durch die, obzwar in Form der Trennung unvollständig, jedenfalls das Sein selbst zutage
bringenden Urteile und ferner Schlüsse verstehen. Die Ur-Teilung, die Trennung selbst
im Urteil wird daher bei Hegel anders als bei Hölderlin zur Form eines Seins der
Vereinigung selbst, später eben zur Form des Erkennens des Absoluten im Endlichen.120
Darüber hinaus übte die Jacobische Philosophie auch ohne Zweifel einen wichtigen
Einfluss auf Hegels Prinzip der Liebe aus. Der junge Hegel will wie immer die freie
Wahrheit, und er gibt die Losung aus, “Frieden mit der Satzung, die Meinung und
Empfindung regelt, nie nie einzugehen”, sondern sich mit Meinung und Empfindung
versöhnen zu können (Br 38). Dieser Ausdruck im an Hölderlin gerichteten Gedicht
Eleusis deutet darauf, dass sowohl die Idee Platons als auch die ursprüngliche Einheit
Hölderlins eben in der Tätigkeit der Liebe in dieser Welt da sein können und sollen. Für
Hegel ist die Liebe die vernünftigste Empfindung, die eine solche Versöhnung
ermöglicht. Aber wenn sie selber ohne Trennung entsteht und keine Trennung erlaubt,
würde auch sie leicht eine Satzung hinsichtlich der anderen getrennten Meinung und
116
Henrich, Dieter: Historische Voraussetzungen von Hegels System in Hegel im Kontext, S. 66.
Henrich, Dieter: Hegel und Hölderlin, HSB 11, S. 45.
118
Henrich, Dieter: Konstellationen, S. 56.
119
Dieter Henrich zufolge ist Hegels Verständnis der Liebe Resultat der Verkürzung von Hölderlins
Denken. Die Liebe Hölderlins sei ‘Vereinigung von Strebensrichtungen, deren eine aufs Unendliche,
deren andere auf Hingabe ging’. Aber Hegel denke ohne Rücksicht auf diese Doppelung die Liebe
‘gerade als Vereinigung von Subjekt und Objekt’. Henrich, Dieter: Hegel und Hölderlin, HSB 11, S. 43.
Diese Einschätzung könnte jedoch aus dem übermäßigen Nachdruck auf den Einfluss Hölderlins
entspringen. Dazu muss die durch Jacobi entzündete Problemlage von Glauben und Wissen um Sein vor
und nach der vereinigenden Tätigkeit ergänzt werden. Diese vereinigende Tätigkeit in der Welt der
Trennung führt über Hölderlins Position ‘in Jena zum Begriff der Subjektivität’, die nicht nur einfach
hingabe-, sondern vor allem erkenntnisfähig ist. RH, S. 53.
120
Über den Einfluss Herders auf diese Einsicht Hegels, Bienenstock, Myriam: Zu Hegels erstem Begriff
des Geistes (1803/1804): Herdersche Einflüsse oder aristotelisches Erbe?, HS 24, S. 39-42.
117
60
Empfindung bilden. Die Vereinigung ohne Trennung ist für uns Getrennte unmöglich.
Sie ist immer in der Trennung, selbst die Vereinigung eben der Getrennten, durch die
sich das Vereinigte selbst, die Idee bzw. die ursprüngliche Einheit allmählich darstellt.
Die Liebe ist das Göttliche, das die getrennten endlichen Menschen in dieser Welt
verwirklichen. Der göttliche Inhalt der Liebe ist Hegel zufolge Leben, das nicht ‘wieder
als Objekt entgegengesetzt’, sondern als die objektive Gestalt eben des Subjekts selbst
verwirklicht wird.121 Dieses Verständnis spiegelt nicht nur die Aristotelische Lesart von
Platon, sondern auch mit großer Präzision die folgende Rede Jacobis in Über die Lehre
des Spinoza (1785) wider; ‘Liebe ist Leben; sie ist das Leben selbst’. ‘Nur die Art der
Liebe’ ist Jacobi zufolge verschieden, aber ‘der Lebendige’ kann lediglich ‘durch
erregte Liebe’ ‘im Lebendigen allein sich darstellen; Lebendigem sich zu erkennen
geben’. Und dadurch wird der Mensch ‘einer göttlichen Natur teilhaftig’. 122 Das
Göttliche ist für Hegel zwar eigentlich “reines Leben”, aber der Mensch in Gestalt der
Unreinheit nimmt durch die Liebe daran teil. Und weil “Reines Leben” “Sein” ist (N
303-304), ist jeder ein Lebendig-Sein. Die Liebe Jacobis ist aber ohne Vermittelung
selbst das göttliche Leben und ‘der Mensch wird, durch ein göttliches Leben, Gottes
inne’. Wie – wie bereits erwähnt – der unbegreifbare Glaube theoretisch das gewisse
Erkennen von äußeren Dingen gewährleistet, so ist die Liebe auch unbegreifbar, allein
sie versichert lediglich praktisch ein mit Gott vereinigtes Leben, das ‘spekulativ
gewordene – verkommene Vernunft’ durch die Ursprüngliches teilende Demonstration
gar nicht verstehen und also auch nicht loben kann.123 Das Novum Hegels besteht
bekanntermaßen in der Verstehbarkeit der Liebe und des durch diese vereinigten Lebens.
Also tritt Jesus für ihn als Vorbild für den Geist des Christentums und sein Schicksal auf.
Das Schicksal Jesu liegt in der durch ein exemplarisches, d. i. das jüdische Volk
charakterisierten Trennung des Menschen von der Natur. Das, was an der Stelle der
verfeindeten Natur als Objektives gesetzt ist, ist das gedachte Ideal, das seinerseits nun
als ein absolutes Subjekt Menschen beherrscht. Demgemäß den Geboten des Ideals zu
121
RH, S. 54. Durch diesen Lebensbegriff als den einheitlichen Inhalt der Liebe kann die
Wiederobjektivierung bzw. Positivierung der Darstellung der Einigkeit in der Liebe vermieden werden.
122
Jacobi: Über die Lehre des Spinoza, S. 117-118.
123
Jacobi: Über die Lehre des Spinoza, S. 117-118. Auf seine berühmte Frage, ‘hat der Mensch Vernunft;
oder hat Vernunft den Menschen?’ antwortet Jacobi mit zwei Arten Vernunft. Die demonstrative,
instrumentale Vernunft, die der Mensch hat, zerreißt das schon Vereinigte, verbindet wieder die
Zerrissenen durch die Vermittlung, und macht sie per Notwendigkeit voneinander abhängig. Die
‘Demonstration’, die die notwendige Beziehung der Abhängigkeit der Urteile ist, führt daher
unausbleiblich zum ‘Fatalismus’. Dagegen gewährleistet nur die Vernunft als ‘der Geist’, durch die der
Mensch besteht, die unmittelbare Gewissheit des Vereinigten. S. 123, 156, 245, 258-265. Aber Hegel
begreift jene Zerrissenen oder ihren Widerspruch selbst eben als ‘die Manifestation absoluter Einheit’ in
diesem Vereinigten. Rühle, Volker: Jacobi und Hegel. Zum Darstellungs- und Mitteilungsproblem einer
Philosophie des Absoluten, HS 24, S. 172-182.
61
gehorchen wird für den wahren Gottesdienst des Menschen gehalten. In diesem Geiste
des
Gebotes,
der
lediglich
“eine
unmittelbare
Knechtschaft”
des
subjektivitätsverlorenen Menschen verlangt (N 262), herrscht im Grunde genommen
nur “odium generis humani” (N 257). Jesus musste sich also nicht nur einem Teil,
sondern vielmehr “dem Ganzen” des Schicksals entgegensetzen (N 261). Er musste sich
“von seiner Mutter, seinen Brüdern und Verwandten” isolieren, deren Leben gefesselt
war, und unter dem “Schicksal seiner Nation” allein leiden (N 328). Dagegen setzte er
überhaupt das “Subjekt gegen das Gesetz” (N 387), “einen Trieb, sogar ein Bedürfnis
des Menschen” gegen die Gebote. Kurzum versuchte er das Prinzip der Subjektivität zu
setzen, mit dem in der Trennung die Trennung selbst überwunden werden kann. Das
Prinzip der Subjektivität ist eben die Liebe. Aber trotz dieses Prinzips ist die
Problemlage nicht mit einem Schlag aufzulösen, weil das Prinzip des Schicksals, dem
Jesus widerspricht, radikale Feindschaft ist. Diese Feindschaft vergilt ihren
Widersachern mit Tod. Sie kann daher “nur durch Tapferkeit” bis zum Kampf auf Leben
und Tod “überwältigt, nicht durch Liebe versöhnt werden.” Also, “sein erhabener
Versuch, das Ganze des Schicksals zu überwinden, mußte darum in seinem Volke
fehlschlagen und er selbst ein Opfer desselben werden” (N 261).
Dann ist es natürlich fragwürdig, ob das vorbestimmte Misslingen Jesu auf die
Ungeeignetheit der Liebe als Prinzip hinweist. Die negative Antwort darauf deutet
Hegel aus zwei Gründen an. Erstens ist das, was durch die Liebe zustande gebracht wird,
nicht sosehr die Überwindung, als vielmehr eben die Versöhnung des Schicksals und
dadurch die Wiederherstellung des verletzten Lebens. Und Jesus selbst war sich des
Schicksals seines feindlichen Volkes eben als seines Schicksals, also seines
Fehlschlages, sehr wohl bewusst. Um den ersten Grund zu verstehen muss der Geist des
Gebotes des jüdischen Volkes im Voraus erfasst werden. Die Gebote sind Befehle des
Ideals, das an der Stelle der misstrauischen Natur als Objektives gedacht ist. Insofern sie
als sich objektiv und notwendig durchsetzende Gesetze aufgestellt sind, folgt auch die
Beachtung der Gebote durch Menschen gleichfalls dem notwendigen Gesetz der
Kausalität. D. h. die Gebote befolgenden oder nicht befolgenden Handlungen und ihre
Resultate wie Ehre und Strafe bestehen nach dem objektiven Ideal sozusagen im
Verhältnis von Ursache und Folge. Daher ist die Strafe gegenüber dem, der dem Gesetz
widersteht, “etwas ganz Objektives”, also “nicht ganz notwendig mit der Schuld
Zusammenhängendes”, sondern “so weit objektiv, daß sie Folge eines Gesetzes ist”.
Dieses Gesetz der Kausalität ist auch Gesetz der Wirkung und Gegenwirkung in dem
Sinne, dass Ursache und Folge gemäß dem Ideal genau einander widerspiegeln. Damit
setzt sich nämlich das Gesetz durch, indem das Verbrechen unbedingt genau so bestraft
62
wird, wie es begangen wird. Nach dem Gesetz handelt es sich überhaupt nicht um
Antrieb oder Situation der Schuld, sondern immer um den gesetzmäßigen
Zusammenhang der Schuld oder vielmehr einer Handlung und deren naturnotwendigen
Vergeltung. Sünde, die ich beging, ist “nicht ein Äußeres, dem ich entfliehe, das ich
überwältigen kann”. Denn “die Tat ist die Strafe in sich selbst”. Niemand kann ein
Geschehenes ungeschehen machen. Die verrichtete Handlung kann gar nicht zu einem
Ungeschehenen gemacht, sondern nur nach deren objektivem Gesetz verurteilt werden.
Wenn das Leben lediglich nach einem solchen Gesetz geführt werden soll, wirkt das
durch die Tat verletzte Leben genau auf den Verletzer zurück. Denn “Leben ist als
Leben nicht vom Leben verschieden” (N 392). Deshalb ist das verletzte Leben nicht ein
bloß fremdes außerhalb des Verletzers, sondern gerade sein eigenes Leben, das auf das
Ideal völlig angewiesen ist. Das Leben ist “in der einigen Gottheit” (N 280) und die
erscheinende Gestalt der Gottheit bzw. des Seins selbst in der Trennung. Wenn das reine
Leben Sein ist, ist ein unreines Sein Leben in dieser getrennten Welt. Das Leben,
insofern es in der Trennung ist, ist zwar zugeteiltes Leben jedes Menschen, aber in dem
Punkt, dass es trotzdem jeden Einzelnen in der Trennung bestehen lässt, ist es in einem
gewissen Sinne das Sein selbst, das als ein einzelnes Leben erscheint. Also ist das
Leben auf dem Standpunkt des Seins selbst weder unterschieden, noch verschieden.
Wenn aber das Sein selbst bzw. das reine Leben nur als das Gesetz des Lebens gemäß
dem als Objektives gedachten Ideal hervortritt, hat der, der ein Leben verletzt,
notwendig die Verletzung seines eigenen Lebens zur Folge, weil er nur ein Einzelner ist,
der das ungeteilte Leben in Form der Trennung teilt. Das Verbrechen wird zwar in der
Trennung in einzelner Weise begangen, aber sein Gegenstand, d. i. das Leben selbst,
kann nicht in einzelner Weise verletzt, sondern muss als das Ganze in der Trennung
eingeschätzt werden, insofern es das Sein aller ist. Deswegen steht das verletzte Leben,
auf das ich wie auf ein getrenntes Gewalt anwende, “mir als Schicksal gegenüber”, vor
dessen Strafe ich nur Furcht habe (N 392). Hegel zufolge ist die Strafe, wenn sie nicht
als dieses Schicksal, sondern vom Geist des Gebotes nur als das Gesetz verhängt wird,
gar nicht zu versöhnen. Denn durch die Strafe als Gesetz der Vergeltung erfolgt letzten
Endes lediglich die Verletzung des Lebens von allen beiden Seiten. Ebenso wie einer
das Leben des anderen verletzt, muss sein Leben dadurch auch verletzt werden. Hier
besteht das Leben nur in der Feindlichkeit. Nach dem Gesetz hat der Verbrecher “es in
einen Feind verkehrt”, damit aber nur das Gesetz der Wechselverletzung des Lebens
aufgestellt (N 280). Wie die feindlich gewordene Natur durch das Ideal beherrscht
werden soll, so muss das durch den Verbrecher zum Feind gemachte Leben dem
objektiven Gesetz des Ideals folgen. Zwischen solchen Leben ist die Versöhnung gar
63
nicht möglich.
Die Versöhnung ist nur durch die Strafe als Schicksal möglich.124 Wenn das Objektive,
das ich durch Handlung einsetze, zugleich als Gesetz mir gegenüber aufgenommen wird,
ist mir die Strafe nicht mehr ein fremdes Resultat des Gesetzes der Handlung, sondern
Schicksal. Das Gesetz der Verletzung, das ich durch die Tat im Anderen objektiv
realisiere, hat also notwendig meine Strafe zur Folge. Das “Schicksal ist Gesetz selbst,
das ich in der Handlung” “aufgestellt habe, in seiner Rückwirkung auf mich” (N 392).
Das Schicksal ist Gesetz der Rückwirkung dessen auf mich, was durch mich objektiviert
ist. Die Strafe als Schicksal ist daher “die gleiche Rückwirkung der Tat des Verbrechers
selbst” auf sich. Sie ist nicht das Gesetz, das vom Verbrecher obwohl aufgestellt, jedoch
von ihm getrennt, nur als Objektives bleibt, sondern in der Beziehung des Verbrechers
auf sich selbst angewandt wird. Allerdings ist das Schicksal auch getrennt vom Subjekt,
insofern es selbst zuerst das objektiv aufgestellte Gesetz ist. Als dieses Gesetz kann es
ebenfalls vom Subjekt weder vernichtet noch außer Kraft gesetzt werden. Aber weil es
des Weiteren ein solches Gesetz ist, das vom Subjekt aufgestellt wird, darum auch eben
auf das Subjekt selbst wirkt, d. i. das Gesetz in der Selbstbezüglichkeit des Subjekts ist,
kann sich das Subjekt durch die Aufnahme des Schicksals mit dem Schicksal vereinigen.
Das mit dem Subjekt vereinigte Schicksal ist versöhntes Schicksal. Was durch die
Versöhnung überwunden und vernichtet wird, ist nicht das Gesetz selbst, sondern dessen
einseitige Objektivität bzw. dessen fremde Getrenntheit. Als das Schicksal, als das
Gesetz in der Selbstbezüglichkeit des Subjekts ist die Strafe keine Notwendigkeit für die
vergeltende Verletzung des Lebens des Verbrechers durch fremde Macht, sondern vor
allem die Erkenntnis seines ebenbürtigen Lebens, das er im Anderen verletzt hat. Durch
das Schicksal wird sein Leben “als nicht-seiend erkannt und gefühlt”, bevor die Strafe
als Gesetz exekutiert wird (N 281). Damit bewirkt das Schicksal auch “eine Sehnsucht
nach dem verlorenen Leben” (N 282). Es befindet sich “innerhalb des Gebietes des
Lebens”, während das strafende Gesetz nur den Verlust des Lebens zur Folge hat (N
281). Das Schicksal, durch das der Verlust des eigenen Lebens miterkannt wird, führt
ferner zur Grunderkenntnis, dass das Leben vom Leben nicht verschieden ist. In diesem
Sinne ist es “das Bewußtsein seiner selbst (nicht der Handlung), seiner selbst als eines
Ganzen” Lebens (N 392). Der Einzelne hat im Schicksal nicht das Bewusstsein seines
124
Die Versöhnung in der Frankfurter Zeit richtet sich genau gesagt de facto “nur an den Geist” des
Schicksals in der Strafe, deshalb wird dadurch “an dem Schicksal nichts geändert”. FN, S. 50. Hegel geht
höchstwahrscheinlich hier vom Modell der Strafe für den allgemeinen Zustand der religiösen Sündenfälle
aus. Die Versöhnung wird aber in der Jenaer Zeit gegenüber dem Schicksal selbst durch die Betrachtung
des Verhältnisses des einzelnen Daseins im Kampf versucht, d. i. durch das Bewusstmachen der
Lebensgesetze in der Selbstbezüglichkeit der gegeneinander entgegenstehenden einzelnen Subjekte.
64
einen getrennten, sondern des ganzen Lebens, von dem auch sein Leben völlig abhängig
ist und mit dem er sich deswegen identifiziert. Daher kann das vom Verbrecher
verlorene Leben wieder zu sich zurückkehren. Denn sein Bewusstsein im Gebiet des
Lebens kann “wieder Glaube an sich selbst” werden (N 393). Das “Gefühl des Lebens,
das sich selbst wiederfindet, ist die Liebe, und in ihr versöhnt sich das Schicksal” (N
283). Die Aufnahme und Versöhnung des Schicksals ist als die Erkenntnis des Lebens
eben die Liebe. Die Liebe erkennt “das Verlorene als Leben, als ihr einst Freundliches”.
Und “diese Erkenntnis ist schon selbst ein Genuß des Lebens”, “schon eine Besserung”
(N 282). Das ganze Leben, das im Schicksal als verloren erkannt wird, kann so “zu
seinem reinen Leben durch Liebe wiederkehren” (N 283).125 Eben durch diese Liebe
das Schicksal seines ganzen Volkes zu versöhnen, war der Versuch Jesu. Dafür wollte er
das Schicksal seines Volkes, das nach dem Gesetz der feindlichen Trennung lediglich
den Verlust des Lebens wiederholt, als seines annehmen und selber so “durch Liebe
versöhntes Schicksal” sein. Das Schicksal, das das Verhältnis des Lebens durch die
Liebe ermöglicht, hat “ein ausgedehnteres Gebiet als die Strafe”. Aber das von Jesus
aufgenommene Schicksal ist darüber hinaus “auch von der Schuld ohne Verbrechen”
“aufgereizt und ist darum unendlich strenger als die Strafe” selbst (N 283).
Doch trotz des Wiedererkennens des Lebens hält Hegel die Bestrafung für notwendig
und wirklich. Denn der Charakter der Strafe als Gesetz ist nicht aufzuheben. Keine
objektivierte Tat “kann zur Nicht-Tat werden”, und jede Tat als objektiviert kann nicht
umhin, dem Gesetz ihres Wesens zu folgen. Die von Jesus betonte “Vergebung der
Sünde” bedeutet “daher nicht Aufhebung der Strafe” selbst und auch “nicht Aufhebung
des bösen Gewissens”, das das “Bewußtsein einer bösen Handlung, eines Geschehenen,
eines Teils eines Ganzen” ist (N 392-393). Bereits begangene Sünde zu verzeihen ist das
Verhältnis des in der Strafe als Schicksal wiedererkannten Lebens zu restituieren. Die
Erkenntnis des Lebens selbst ist zwar die Liebe, aber die Wiedererkenntnis desselben in
der Strafe als Schicksal ist nichts anderes als das Bewusstsein der Sünde. Aufgrund
dieses Bewusstseins wird die Strafe freiwillig aufgenommen und in einem gewissen
Sinne zur Selbstbestrafung. Gerade mit einem solchen Bewusstsein wird das Verhältnis
des Lebens verziehen und wieder geschenkt. Erst wenn dies Bewusstsein
verallgemeinert, nämlich die kognitive Struktur des Lebens in der Strafe als Schicksal
oder das Gesetz durch die Selbstbezüglichkeit des Subjekts von jedem Einzelnen vor
seiner realen Handlung vorausgenommen werden könnte, dann würde die Strafe unnötig
125
Elsigan bemerkt zwar gut die ‘Aufhebung des Schicksals des schuldhaften Getrenntseins durch die
Liebe in die Liebe’, aber übersieht die Wiederkehr des Lebens durch die Liebe und als Resultat der Liebe
und identifiziert daher die Voraussetzung der ‘sich im Gegenständlichen’ organisierenden Liebe einfach
subjektiv mit der ‘Moralität Kants’. Elsigan, Alfred: Sittlichkeit und Liebe, S. 124-125.
65
und in diesem Sinne aufgehoben. Daher wird das Gewicht vor allem auf die kognitive
Struktur des Lebens in der Strafe als Schicksal gelegt. Hegel denkt diese Struktur zwar
noch nicht als den Grund des Gesetzes selbst, aber er erfasst die Selbstbezüglichkeit des
Subjekts im Gesetz hinlänglich.
Fühlen, Erkennen und Verlieren seines Lebens im Anderen bedeutet Lieben. Aber die
Erkenntnis der Liebe, die in der Strafe als Schicksal entsteht, ist keine Erkenntnis des
durch das Verbrechen Verlorenen des einzelnen Lebens, nämlich des Todes, sondern des
reinen Lebens im verlorenen einzelnen Leben. Das reine Leben kann hier nicht “ein
negatives Einfaches” oder ein negatives Unbestimmtes sein, aus dem alle
Mannigfaltigkeit wie vor der Trennung ausgeschlossen ist (N 302). Sondern vielmehr ist
es die Wiedervereinigung des Lebens selbst in seiner Reinheit, die in der Welt der
Trennung kognitiv erlangt wird. “Dies Reine” des Lebens ist eigentlich “die Quelle aller
vereinzelten Leben” (N 303). Darum ist das Leben immer auf das Leben bezogen, auch
noch in der Trennung, in der alle einzelnen Handlungen verrichtet werden. Das reine
Leben, das durch die Liebe im Schicksal erkannt wird, ist das Leben in der
Selbstbezüglichkeit. Aus diesem Grund drückt Hegel zuerst das reine Leben als
“Selbstbewußtsein” aus. Das reine Leben ist das Selbstbewusstsein des Subjekts in der
Selbstbezüglichkeit seines Lebens. Dieses Selbstbewusstsein begleitet das einzelne
Leben des Subjekts, das in der Beziehung auf das ganze Leben seine bestimmten
Handlungen will und verrichtet. Das Selbstbewusstsein ist also auch das, was als “das
Allgemeine der bestimmten Handlungen” erkannt wird. Für dieses Erkennen ist die
Abstraktion von allen Handlungen und Taten notwendig, durch die “der Mensch war
oder sein wird” (N 302). Das Selbstbewusstsein als das dadurch erkannte Allgemeine ist
schließlich nichts anderes als Sein bzw. das Sein selbst. “Reines Leben ist Sein”,
insofern das Leben ein Sein jedes Lebendigen ist (N 303). Ontologisch kommen alle
Trennungen vom Sein selbst her und hängen davon ab. Epistemologisch aber ist das
Sein selbst durch das Selbstbewusstsein des Menschen in der Trennung erlangbar.
Insofern die höchste Gestalt des einen Seins des Menschen als eine Vereinigung in der
Welt der Trennung das Leben ist, beinhaltet sein Selbstbewusstsein das sich auf sich
selbst beziehende, reine Leben. Dagegen ist in den seienden Naturdingen die
Selbstbeziehung des Lebens oder Seins selbst unmöglich, vielmehr die Andersheit
desselben herrschend. Aber in dem Maße, wie das Naturding als Anderes des Menschen
zum Bewusstsein des Menschen im Verhältnis seines Lebens kommt, wird die
Andersheit überwunden und zu einem Relatum der Selbstbeziehung des Lebens oder
Seins selbst. Das Sein selbst kann endlich lediglich im Menschen ideell rein bestehen.
Das Selbstbewusstsein des Menschen ist das ideale Dasein des reinen Lebens oder vor
66
allem, göttlichen Seins selbst. Hegel drückt auch zuerst das Bewusstsein des reinen
Lebens als “reines Selbstbewußtsein” aus. Weil das reine Leben das Selbstbewusstsein
ist, ist das Bewusstsein des reinen Lebens oder des Seins selbst Bewusstsein des
Selbstbewusstseins. Das Selbstbewusstsein ist das, was der Mensch in der
Selbstbezüglichkeit seines Lebens ist oder mit einem Wort, sein Wesen. Das
Bewusstsein des Selbstbewusstseins wäre also Bewusstsein des Menschen von seinem
Wesen, das in der reinen Selbstbeziehung des Lebens oder Seins in ihm vorhanden ist.
Das Selbstbewusstsein in diesem Bewusstsein ist rein, weil nicht sein Inhalt, sondern
die Selbstheit oder Selbstbezüglichkeit seines Inhalts fortwährend bis zur Vereinigung
zum Bewusstsein kommen würde. Also das reine Selbstbewusstsein bzw. das
“Bewußtsein reinen Lebens wäre Bewußtsein dessen, was der Mensch ist” (N 302). Der
Irrealis loco citato drückt keine Vermutung eines Unwirklichen aus, sondern stellt die
gegenwärtige, durch die Trennung gekennzeichnete Stufe des Bewusstseins dar, das im
Futurum erhalten werden soll.126 Die objektive Bedingung für das Sein des Menschen
ist in erster Linie die Trennung, in der allein er das Bewusstsein reinen Lebens erlangen
kann. Die Trennung ist die gegenwärtige Wirklichkeit in der Geschichte. Sein
Bewusstsein dieses geschichtlichen Lebens ist auf der einen Seite also auch
geschichtlich, andererseits aber geht es durch das weitere Bewusstsein von der
Selbstbeziehung des geschichtlichen Lebens über seine Geschichtlichkeit hinaus.127
Das Bewusstsein des reinen Lebens müsste so durch das wesentliche Erkennen von dem,
was er in der Geschichte war oder sein wird, als das Bewusstsein dessen, was der
Mensch ist, d. h. vom Wesen des Menschen, das als in ewiger Gegenwärtigkeit seiend
gefasst ist, erhalten werden. Das reine Leben oder das Sein selbst kann in dieser Weise
im Bewusstsein des Menschen vom Wesen vorhanden sein und als Inhalt seines
Selbstbewusstseins begriffen werden.
Nun wird das Gesetz vermittels des Schicksals mein Gesetz und das Leben des Anderen
126
Jaeschke zufolge entspringt der Irrealis im Satz aus der Wendung der Einheit, die unumgänglich
Trennung und Differenz befestigt. HH, S. 88. Die nur in der Welt der Trennung mögliche Aussprache über
das eine Leben als die Einheit kann der Form selbst der Trennung oder Differenz nicht entgehen, daher
lässt sich nur andeuten, dass der Irrealis in der Wirklichkeit der Trennung zur Realisation im Futurum der
Einheit kommt. Es gibt auch eine andere Formel, die bekanntermaßen ohne Bezug auf das Bewusstsein
schlechterdings das bezeichnet, was aller Entgegensetzung vorausliegt, d. i. “reines Leben ist Sein”. N, S.
303.
127
Also ist Hegels Rede vom Selbstbewusstsein, die hier plötzlich aufzutauchen scheint, überhaupt nicht
ohne Beziehung mit dem Ausdruck Schellings, ‘die Geschichte des Selbstbewußtseyns’ in der schon unter
dem Titel, Allgemeine Uebersicht der neuesten philosophischen Literatur 1797/98 erschienenen Schrift.
Schelling: Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre, S. 262 (382). Später
auch: System des transzendentalen Idealismus (1800), S. 331. Vgl. auch mit der Darstellungsabsicht der
Wissenschaftslehre von Fichte als ‘Historiographen’ ‘des menschlichen Geistes’, Fichte: Über den Begriff
der Wissenschaftslehre, S. 77.
67
vermittels der Liebe mein Leben. Das Schicksal ist das Gesetz in der
Selbstbezüglichkeit des Ich, in der das Erkennen meines Lebens im Anderen die Liebe
ist. Das Gesetz verliert als Gesetz seine einseitige Objektivität und verträgt sich mit
meiner erhabensten Neigung im Verhältnis des Lebens. Auch eine andere Neigung, die
auf der erhabensten Liebe basiert, kann “eine Geneigtheit” sein, ohne einen Konflikt zu
antizipieren und “so zu handeln”, “wie die Gesetze gebieten würden”. Alle solchen
Neigungen sind selbstgesetzgebend. Das Gesetz ist nun das lebendige Allgemeine in
den Neigungen des Subjekts. Hier ist wiederum die Sittlichkeit in der Tradition der
Hexis ersichtlich. Hegel nennt “diese Übereinstimmung der Neigung” mit dem Gesetz
“das πληρωµα des Gesetzes”.128 Die Erfüllung des Gesetzes in den Neigungen ist eine
Synthese, in der Subjekt und Objekt vereinigt sind. Hegel drückt demnach das πληρωµα
bzw. die Erfüllung als “ein Sein” aus. Weil das Sein selbst in der Welt der Trennung nur
als “die Synthesis des Subjekts und Objekts, in der Subjekt und Objekt ihre
Entgegensetzung verloren haben”, erreicht werden kann (N268), ist die Erfüllung
jeweils als eine Synthese, daher als “ein Sein, eine Modifikation des Lebens” (N 266).
Sie ist ein Ausdruck, ein Sein des Seins selbst als ein Leben, in dem erst die Vereinigung
des Subjekts und Objekts, des Einzelnen und Allgemeinen, rein erscheint. De Facto ist
die Vereinigung in allen Seienden insofern in einem gewissen Maße realisiert, als sie da
sind. Es besteht in der Welt weder rein Einzelnes noch rein Allgemeines. Die Einzelheit
ohne Allgemeines wäre reine Andersheit und die Allgemeinheit ohne Einzelnes reine
unbestimmte Abstraktion. Es gibt nichts, was ohne Selbstheit und ohne Bestimmtheit da
sein kann. Aber obwohl alles Endliche ein Zusammengesetztes von beiden ist, erscheint
es jedoch nur in Form der Trennung. Die Gestalt des Endlichen, die in der Trennung
unmittelbar als eine Vereinigung erscheint, ist gerade das Leben. Im Leben sind einzelne
Elemente in eins mit dem Allgemeinen des Seins. Aber das Leben ist noch lediglich eine
reale, äußere Einheit des Seins. D. h. die Einheit stellt für das Leben nur seine objektive,
nicht aber seine subjektive Form dar. Erst wenn das Leben die Einheit als seine
Selbstbezüglichkeit fühlen und erkennen kann, ist das Sein selbst in ihm lebendig
vorhanden. Das Sein selbst ist nur als das Selbstbewusstsein des Lebens, daher nur im
dazu fähigen Menschen anwesend und ans Licht zu bringen. Der dazu fähige Mensch ist
Hegel zufolge vor allem der der Liebe fähige Mensch. Im Selbstbewusstsein des
liebenden Menschen bezieht sich das Leben auf das Leben. Also wird das das getrennte
Leben beherrschende Gesetz der Neigung meines Lebens immanent. Das πληρωµα ist
nicht ein einfaches äußeres Vorhandensein des Lebens oder Seins, sondern ein Sein
128
πληρωµα tritt schon in der Berner Zeit zuerst in Form des Aorist Infinitiv auf, um den Versuch Jesu zu
beschreiben, “Sazungen der Juden” mit dem “Geist” “der Tugend” zu πληρωσαι. FS, S. 198.
68
desselben selbst.
Wenn sich das Leben nicht durch die Liebe im Verhältnis befindet, also, wenn die
Neigungen meines Lebens und das alle Leben beherrschende Gesetz noch als Subjekt
und Objekt einander entgegenstehen, dann wird dieses als ein gedachtes Allgemeines
jene nur befehligen. D. h. das Gesetz ist für das Subjekt Gebot, als Pflicht erfüllt zu
werden. Aber der Befolgung des Gebotes als Pflicht fehlt eben “das Gernetun” (N 267).
Das Gebot kündigt nur “die Herrschaft des Begriffs in einem Sollen” an (N 266), die
nichts anderes als die Herrschaft ‘eines Allgemeinen und Gedachten im Menschen über
die davon getrennten besonderen und wirklichen Neigungen und Triebe in ihm’129 ist.
Hegel hat mit dieser Kritik wiederum das Moralgesetz Kants im Sinne. Kant zufolge
sind die Neigungen ‘nur Gegner der Grundsätze überhaupt (sie mögen gut oder böse
sein)’.130 Sogar die Liebe gilt ihm als ein Gebot. Die Achtung für das Liebe gebietende
Gesetz in der Kritik der praktischen Vernunft131 ist für Hegel darum widersprüchlich,
weil die Liebe oder das alle Pflichten gerne Ausüben überhaupt “nicht geboten werden”
kann. Der Zustand der Moralität, in dem alle Pflichtgebote gerne getan werden, bleibt
also für Kant als “das von keinem Geschöpf erreichbare Ideal der Heiligkeit”. In diesem
gedachten Ideal konnte Kant den Widerspruch zwischen den Pflichten und dem
Gernetun aus der freiwilligen Achtung aushalten, weil die “Pflichten eine
Entgegensetzung und das Gernetun keine Entgegensetzung forderten” (N 267).
Trotzdem bedeutet diese Kritik Hegels keineswegs Verzicht auf das Prinzip der
Moralität. Sondern die Moralität bekommt über die Grenze des Kantischen
Vernunftgesetzes hinaus einen neuen Status. Sie muss die “Aufhebung einer Trennung
im Leben” sein,132 das gegeneinander gleichgültig oder feindlich geworden ist. Sie
muss vor allem “die höchste Trennung” aufheben, die daran liegt, dass das allgemeine
Gesetz des Lebens völlig gleichgültig vom einzelnen Leben getrennt ist.133 Sie ist die
129
Baum, Manfred: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, S. 59.
RGV, A63.
131
KpV, A148-149.
132
Fulda zufolge ist das Aufheben insbesondere im Sinne vom Aufdecken der Getrennten oder
Entgegengesetzten als Momente der Einheit eine Methode für das πληρωµα. Fulda, Hans Friedrich:
Artikel Aufheben HWP1, S. 618-619. Und: Vorbegriff und Begriff von Philosophie bei Hegel HLP, S. 2930.
133
Schon hier ist von Hegel der Inhalt des Bedürfnisses der Philosophie erkannt, obzwar dessen
Ausdruck erst in der Differenzschrift 1801 mit der Wiedererscheinung des Lebensbegriffs auftaucht. Wenn
“das höchste” “Bedürfnis” “des menschlichen Geistes” in der Frankfurter Zeit “der Trieb nach Religion”
ist, d. i. “das Subjektive und Objektive” “durch die Phantasie” “in einem Gotte zu vereinigen” (N 332),
beruht “das Bedürfnis der Philosophie” in der Jenaer Zeit auf dem Zustand, in dem “die Macht der
Vereinigung” z. B. Glaube, Liebe, oder Moralität “aus dem Leben der Menschen verschwindet”, “die
Gegensätze” nicht in der lebendigen Beziehung, sondern in der gleichgültigen Trennung “Selbständigkeit
gewinnen” und die Formen der religiösen Phantasie als Vereinigung nicht mehr gelten. JKS, S. 14. Dies
Bedürfnis der Philosophie, d. i. der Liebe zum Wissen, entwickelt sich durch noch zwei weitere
130
69
“Angemessenheit, Vereinigung mit dem Gesetz des Lebens”. Aber das, was die
Vereinigung in der Trennung ermöglicht, ist Hegel zufolge die Liebe. Das “Prinzip der
Moralität ist Liebe; Beziehung in Trennung” (N 387-388). Die Liebe ist die beim
getrennten Endlichen mögliche, vereinigende Tätigkeit des Seins selbst, durch die
sowohl mein Leben mit dem Leben des Anderen als auch meine Neigung des Lebens
mit dem Gesetz des Verhältnisses des Lebens vereinigt wird. Die Übereinstimmung von
beiden ist als die Tätigkeit Liebe, als das Vereinigte ein Leben, und als die Modalität des
Seins selbst “ein Sein” (N 265). Das πληρωµα des Gesetzes in der Neigung, das die
Liebe nach sich zieht, ist daher ein ontologisch erneut interpretierter Zustand der
Moralität. Nach dieser ‘Priorität des Metaphysisch-Ontologischen’134 braucht Hegels
Moralität nun eine neue Benennung, um sich vom bis auf Kant neuzeitlichen Begriff der
Moralität zu unterscheiden. Sie ist gerade die Sittlichkeit, die sich in der Jenaer Zeit
weitgehend als ‘institutionelle Wirklichkeit menschlichen Selbstseins’ im Verhältnis des
Lebens nach dem Gesetz herauskristallisiert.135
Schließlich ist zur Formulierung des Sittlichkeitsbegriffs nicht zuletzt auf Folgendes zu
achten. Die Liebe als “eine Vereinigung des Lebens” setzt “Trennung, eine Entwicklung,
Erwähnungen in den Vorlesungen von 1801/02 und 1803 zum ersten Mal in der Vorrede zur
Phänomenologie des Geistes 1807 zum Bedürfnis danach, “wirkliches Wissen zu seyn”. SE, S. 260-261,
367. PhG, S. 11.
134
Kondylis, Panajotis: Die Entstehung der Dialektik, Eine Analyse der geistigen Entwicklung von
Hölderlin, Schelling und Hegel bis 1802, S. 469. Aber Kondylis, der die gedankliche Entwicklung Hegels
übermäßig von der Wirkungsgeschichte abhängen lässt, hält die ‘bei Hegel zum ersten Mal’ entfaltete,
ontologische Seite dafür, dass sie ohne Hölderlins Ontologie ‘unverständlich’ und ‘undenkbar’ ist. Also
übersieht er völlig den Unterscheidungspunkt Hegels von seinen gleichzeitigen Philosophien, d. i. sein
Streben danach, gegenüber dem agnostischen Verständnis Hölderlins Sein, Gott, ferner später das
Absolute in menschlicher Form zu verstehen. S. 461-463, 468, 473, 476. Ihm zufolge setzt Hegels
Einflussnahme daher auch ‘die Ablehnung der Kantischen Moral bzw. Autonomie’ voraus, ferner den
Verzicht auf ‘die Moral oder Freiheit’, die nicht ‘zum Höchsten führen’ können. Dass Hegel ‘seine
Philosophie in den Dienst der Freiheit stellen möchte – was auch immer das bedeuten mag –’, ändere
‘nichts an dieser Tatsache’. S. 453-454, 469-470. Dann blieben ohne Freiheit als Principium Vergleiche
der Philosophien nur als Auseinandersetzungen der Principiata übrig.
135
Ilting zufolge unterscheidet Hegel also schon in seiner Frankfurter Zeit ‘zwei verschiedene
Grundbedeutungen im Begriff der Moralität’, nämlich die Moralität im engeren Sinne des ‘grundsätzlich
von seinen sozialen Bezügen isoliert gedachten und primär sich selbst verantwortlichen Individuums’ und
die Sittlichkeit, die sich aus der Kritik an jener Moralität entwickelt, diese in sich dialektisch aufhebt, und
‘zu der ein Mensch stets nur dadurch fähig wird, daß er einer Gemeinschaft angehört und zu seinem Teil
an den Aufgaben der Gemeinschaft mitwirkt’. Ilting, Karl-Heinz: Die Struktur der Hegelschen
Rechtsphilosophie MR, S. 59-60. Die konkrete Anwendung dieser Unterscheidung findet sich im Jenaer
Naturrechtsaufsatz vor allem im “Verhältnis der Wissenschaften” “der Moral und des Naturrechts”.
Demzufolge wird die Ethik als die Wissenschaft der “Sittlichkeit des Individuums” in die
Naturrechtslehre nicht im traditionellen Sinne, sondern als die Wissenschaft der “realen absoluten
Sittlichkeit” eingeschlossen, die Hegel als ‘das Prinzip der Sittlichkeit überhaupt’ ansieht. JKS, S. 467.
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 54-55. Über die Sittlichkeit als die
‘institutionelle Wirklichkeit menschlichen Selbstseins’ und die Zugehörigkeit der Rechtsphilosophie
Hegels als ‘institutionelle Ethik’ zur Tradition der Aristotelischen Politik, Ritter, Joachim: Moralität und
Sittlichkeit MR, S. 217-244.
70
gebildete Vielseitigkeit desselben voraus”. Die Trennung voraussetzende Liebe kann die
Trennung selbst nicht vernichten. Die Trennung ist unausbleibliche ontologische
Tatsache des Endlichen. In je mehr mannigfaltigen Gestalten des Endlichen das Leben
vorhanden ist, desto reicher kann es sich vereinigen und “desto inniger die Liebe sein”.
Aber die Liebe, die immer inniger wird, wird andererseits “desto ausschließender”,
“desto gleichgültiger für andere Lebensformen”. Paradoxerweise ist die Liebe, die nicht
der Trennung selbst, sondern nur den darin Getrennten entgegentritt, selbst auch eine
andere Trennung.136 In der innigen Liebe verbindet sich das Leben lediglich “beim
Gefühl der Individualität” mit dem Leben (N 322). Die Liebe, die nur im Gefühl der
Individualität kondensiert ist, kann ihrerseits wiederum Ursprung der Feindschaft sein,
weil in ihren inneren Momenten “kein Raum für Objektivität” ist (N 302). Die
Lebensform, der gegenüber die Liebe leicht gleichgültig werden kann, ist z. B. vor
allem das Gesetz, das objektiv gültig sein soll. Hegel warnt hier vor unmäßiger
Subjektivierung der Liebe. Die Liebe Jesu war in einem gewissen Sine auch zu sehr
subjektiv. Er musste aber als Mittel gegen das nur als Objektives gedachte Ideal eine
solche Liebe aufgreifen, durch die er das dem Objekt überlieferte, im Subjekt
abwesende Leben im Ganzen in sich aufnehmen konnte. Dadurch, dass er durch die
Liebe das im Objekt verlorene Leben in sich selbst aufnahm, trennte er es vom Objekt
und erwies durch seinen Tod, dass das Leben des Subjekts im Objekt tot gewesen war.
Im Abtrennen des in allen autoritären Objekten toten Lebens von diesen Objekten und
im Emanzipieren vom Schicksal durch die Aufnahme des im Schicksal erkannten toten
Lebens besteht eben sein “größtes Schicksal” der Liebe (N 324). Aber wie sein Tod als
das wirkliche Ergebnis seiner Liebe am Ende lediglich die “Wiederherstellung des
leerausgehenden Lebens in der Idealität” hinterließ (N 328), so wurde für die christliche
Gemeinde der Liebe “die Objektivität der größte Feind” und ihr Geist ebenso arm an
Objektivität,137 wie es umgekehrt dem jüdischen Geist an Subjektivität mangelte (N
330). Daher kommt Hegel dazu, nur eine solche Liebe, die auch das Leben gemäß
seinem Gesetz erkennt, als wahrhaft anzusehen. Für die einseitig innige Liebe ist die
Reflexion nötig, die sie in Kenntnis des objektiven Bereichs der Trennung setzt. Hier
erlangt die Reflexion zwar noch nicht deutlich, aber allmählich eine Qualifikation als
unumgängliches Prinzip der Philosophie Hegels. Wenn das Gesetz mit der Neigung der
136
Dies ist auch lesbar als die der Reformation und Aufklärung immanente Gefahr ‘schlechter
Subjektivität’, ‘die, ohne die Objektivität der Wahrheit sich zu eigen zu machen, unwahr und substanzlos
wird’, und die endlich das Verfallen der Religion in viele fanatische Sekten und die Schreckensherrschaft
des subjektiven Eigensinnes veranlasst. Oeing-Hanhoff, Ludger: Metaphysik und Freiheit, S. 216-223.
137
Eben aus diesem Grund hat die Auferstehung Jesu auf der religiösen Seite wichtige Bedeutung für die
Restitution des Lebens in der “gestalteten Liebe”. N, S. 334.
71
Liebe ausgefüllt werden soll, muss die Liebe über das Gesetz reflektieren können. Dies
“πληρωµα der Liebe” in der Reflexion und diese Vereinung der Liebe und der Reflexion
hält Hegel für “Religiöses” (N 302). Dieser Religionsbegriff enthält das reflexive
Erkennen des Gesetzes als ein notwendiges Moment im Vergleich zum Fichteschen
Religionsbegriff, der nur praktische Wirkungskraft zur Verpflichtung akzentuiert.138 Die
Anschauung der Liebe wird vom endlichen Subjekt durchgeführt, das nur Beschränktes
aufnehmen kann, aber die anzuschauende Welt des Objekts ist unendlich. Die Reflexion
lässt die Welt mit dem Allgemeinen gesetzmäßig erkennen und die Liebe das Gesetz der
Welt im Subjekt lebendig da sein. Diese Religion der Liebe und der Reflexion ist als
eine weitere Entwicklung der subjektiven Religion zu bewerten. Während die subjektive
Religion früher das der objektiven Religion immanente Moralgesetz und die Pflicht zum
Gegenstand der Liebe und der Achtung in den Empfindungen des Subjekts bildet, läßt
die Religion der Liebe und der Reflexion nun umgekehrt das durch die Liebe im Inneren
des Subjekts vereinigte Leben nicht auf sich selber, sondern reflexiv auf dem objektiven
Gesetz des Lebens beruhen.
Außerdem drückt Hegel ein durch die Liebe vereinigtes Leben ontologisch als ein Sein
aus. Wenn das eine Leben in der Selbstbezüglichkeit zum Bewusstsein des Subjekts
kommt, d. i. als Selbstbewusstsein des Subjekts lebendig ist, ist es eine Erscheinung des
reinen Lebens oder des Seins selbst. Das Leben ist daher selber “der Zusammenhang
des Unendlichen und des Endlichen”, des Seins selbst und des einen Seins. Das reine
Leben bzw. das Sein selbst ist göttlich, ein vereinigtes Leben, ein Phänomen des
Göttlichen in dieser Welt. Die “Reflexion, die das Leben trennt”, kann nicht das Leben
als das Vereinigte selbst erfassen (N 309-310). Nur die Liebe versteht unmittelbar das
Leben. Die Liebe kann daher eigentlich in Form der Reflexion nicht ausgesprochen oder
geboten werden. Wenn dem so wäre, wäre sie wiederum die Kantische Moralität, die an
der Stelle des Objekts gemäß dem Ideal befiehlt. Vielmehr die Liebe, die als ein Sollen
geboten wird, ist nicht die Liebe als solche, sondern nur als ihr Name, als ihr Wort. Die
Liebe selbst ist weder “eine Einheit des Begriffs” noch ein “einer Besonderheit
entgegengesetztes Allgemeines”, das reflexiv erreicht wird, sondern als die vereinigende
Tätigkeit selber “Einigkeit des Geistes, Göttlichkeit”, nämlich unmittelbare geistige
Einheit des Unendlichen und des Endlichen. “Gott lieben” ist also kein Hingeben an das
äußere Ideal, sondern “sich im All des Lebens schrankenlos im Unendlichen fühlen” (N
296). Aber insofern ist das Fühlen oder Erkennen der Liebe offensichtlich nicht
wissenschaftlich oder begrifflich erklärbares Verstehen. Daraus ist ersichtlich, dass die
Liebe vor allen Dingen als die Form der Vereinigung, zu der das Volk im Ganzen von
138
Siehe S. 11.
72
Natur aus fähig ist, eingeführt ist. Aber wenn die Liebe nun vom Volk gebildet und
gelernt werden soll, muss sie sich jedenfalls “zugleich in einer objektiven Form” als
“ein göttlicher Geist” darstellen können (N 332). Für diese Darstellung ist die Reflexion
ungenügend, die in der Trennung bestehen bleibt. Das, was mittels der begrifflichen
Form der Reflexion den Inhalt der Vereinigung der Liebe zum Ausdruck bringen kann,
ist eben der Geist, der nun zum ersten Mal als das Hauptprinzip der Hegelschen
Philosophie hervorgehoben wird. Die Einigkeit der Liebenden ist nicht zugleich die
Darstellung der Einigung. Sie ist aber zugleich die Einigkeit des Geistes. Und “der Geist
fasst und schließt den Geist in sich ein” (N 305). D. h. sie ist mit den kognitiven Formen
des Geistes darzustellen. Obzwar der Geistesbegriff erst in der Jenaer Zeit gründlich
erläutert wird, ist er schon hier als die onto-logische Tätigkeit der Philosophie
aufgefasst. Dagegen versucht der natürliche “Trieb nach Religion” meistens durch die
“Phantasie in einem Schönen, in einem Gott” den göttlichen Geist darzustellen. Aber im
Gott der Phantasie finden Mitglieder der Religion “nur ihre gemeinschaftliche
Empfindung”, mit der allein sie sich “in dem Gott der Welt” nicht vereinigen können,
sondern in der Ausschließlichkeit der innigen Liebe verbleiben (N 332). Vielmehr
erscheint der göttliche Geist als “der unsichtbare Geist”, der “mit Sichtbarem” der Welt
vereinigt ist (N 333). Er ist sowohl unsichtbar in der Empfindung der Vereinigung als
auch sichtbar im Erkennen der Welt. Auch wenn die Welt und deren Erkennen durch die
Trennung bedingt sind, ist er dennoch überhaupt nicht ihnen entgegengesetzt. Sondern
vielmehr enthält er das Moment der Trennung in sich und lässt sich eben deshalb
vermittels Gegenstandes erkennen und darstellen. Aber damit er ohne seine Einigkeit zu
verlieren in Form der Trennung dargestellt wird, müssten sich zuerst seine kognitiven
Formen und Inhalte in und zu einem System stufenweise entwickeln. Die erste Form
des endlichen Geistes, die in der Entwicklung steht, ist das Bewusstsein, das in der
Jenaer Geistesphilosophie die Hauptrolle spielen wird. Demnach wird die Vereinigung
selbst oder der göttliche Geist mit Begriffen des Bewusstseins im fortschreitenden Sinne
erklärbar und fassbar. Die Vereinigung, die nach der Ordnung des Seins vor dem
Erkennen lediglich geglaubt werden kann, geht nun nach der Ordnung des Erkennens
den Relata der Trennung nicht voraus, sondern besteht in ihrer Relation selbst, und das
Vereinigte im Ganzen lässt sich lediglich als ‘der entwickelte Begriff der Relation
selber’ 139 erfassen. Sie wird nicht als solche erhalten, sondern zuerst durch die
Nichtverbindung als die Trennung vom Anderen, dann durch die Verbindung als die
Beziehung auf das getrennte Andere, endlich durch die Verbindung der Nichtverbindung
und der Verbindung als die Beziehung auf sich im bezogenen Anderen. Diese
139
Henrich, Dieter: Hegel und Hölderlin, HSB 11, S. 49.
73
Voraussicht der Entwicklung gibt im Voraus die berühmte Formel der Dialektik bekannt,
sozusagen die Einheit der Einheit und der Vielheit oder die Identität der Identität und
der Nichtidentität, obwohl Hegels eigentümliche Dialektik erst in seinem Jenaer
Naturrechtsaufsatz zum ersten Mal erwähnt wird.140 Das “Herausgehen des Göttlichen”
in die Trennung besagt daher nichts anderes als “eine Entwicklung, daß es, indem es das
Entgegengesetzte aufhebt, sich selbst in der Vereinigung darstellt”. Ein Leben, in dem
das Entgegengesetzte in der Beziehung aufgehoben ist, ist ein “gestalteter Geist” in der
Entwicklung (N 338). Wenn das Leben die objektive Form des Göttlichen ist, ist nun
anstatt der Liebe der Geist die subjektive Form desselben. Und aus diesem Grund
werden die Entwicklungen einerseits vom Unorganischen bis zum Leben, andererseits
vom Bewusstsein bis zum Geist ein System der Philosophie der Natur und des Geistes
in der Jenaer Zeit zusammensetzen. Nicht zuletzt ist das System des Lebens des
Menschen, in dem sich der Geist daseiend entwickelt, wie unten zu betrachten, als das
System der Sittlichkeit auszuprägen.
3. Jenaer Systementwürfe
3.1. Systematischer Ansatz
Hegels Denken kreist bis zur Frankfurter Zeit zumeist um religiöse Themen,141 die aber
nicht als eigentümliche Gegenstände der Religionsphilosophie, sondern als
Versuchsmaterialien zur Verifikation für die Realisierbarkeit der geschichtlich von der
französischen Revolution und philosophisch von Kant überlieferten Vernunftideen
behandelt wurden. Die Idee der Vernunft, die realisiert werden soll, ist in erster Linie
die Freiheit. Aber Hegel zufolge reicht die Kantische Vernunft für die Verwirklichung
der menschlichen Freiheit noch nicht aus, sondern kann eher selber die Ursache der
Positivität anbieten. Wenn die Freiheit, wie bei Kant, ‘Faktum der Vernunft’142 ist,
140
JKS, S. 446. Düsing zufolge behandelt Hegel zwar allerdings noch in der Jenaer Zeit nicht die
Dialektik im spekulativen Sinne, sondern nur ‘als Einleitung in die eigentliche Philosophie’; allein nach
der Einsicht von Dieter Henrich lässt es sich mindestens sagen, dass Hegel schon in der Frankfurter Zeit
die Umformulierung seiner eigenen Dialektik beginnt. Düsing, Klaus: Das Problem der Subjektivität in
Hegels Logik, HSB 15, S. 76-108. Henrich, Dieter: Hegel und Hölderlin, HSB 11, S. 39-52. HH, S. 97100.
141
Freilich abgesehen von den politischen und naturwissenschaftlichen Forschungen dieser Zeit, die die
bis zur frühen Jenaer Zeit niedergeschriebenen, aber nicht veröffentlichten Schriften, die Fragmente über
die Verfassung Deutschlands, 1799-1803, und die Dissertatio philosophica de orbitis planetarum, 1801,
gut belegen. HLeben, S. 85, 151. HH, S. 100, 106.
142
KpV, A56. Dieser Ausdruck ist auf zwei Weisen verstehbar. Erstens als Genetivus subjectivus der
Vernunft, also das, was bei oder an der Vernunft faktisch ist, d. i. die Freiheit, und zweitens als Genetivus
objectivus, das, was gegenüber der oder für die Vernunft faktisch ist, d. h. die vernünftige Welt. Wenn
74
müssen ihre Gesetze nicht nur die Stelle des moralischen Gebieters einnehmen, sondern
ferner als die faktische Struktur der Vernunft nachgewiesen werden. Wenn sich die
Vernunft auch bei ihrer Gesetzgebung subjektiv auf der Achtung für das Gesetz gründet,
ist diese Triebfeder selber doch schon moralisch und gültig nur für das Subjekt, in dem
die Vernunft bereits gesetzgebend ist. Daher bleibt sie noch lediglich als ein Sollen,
nicht als das natürliche “Bedürfnis der Vernunft” (FS 106) in allen Subjekten. Der
Grund für diese Herrschaft der noch fremden Vernunft im Sollen liegt vor allem darin,
dass die Vernunftideen an der Stelle des Objekts als Ideal aufgestellt und als vom
Subjekt der Handlung unabhängiger Gesetzgeber gedacht werden.143 In der Frankfurter
Zeit erkennt Hegel die Überwindung dieser Positivität an der Aufgabe, das Bestehen des
Endlichen in der Trennung und die vereinigende Tätigkeit dieses Bestehenden als die
onto-logische Tatsache zu erfassen. In dem Maße, wie die ontische Vereinigung des
Endlichen in der Trennung mit der logischen Struktur der Vernunft identifiziert wird,
wird die Vernunft als ein Faktum erwiesen.144 Hegel versteht die subjektive Tätigkeit
der Vereinigung als die Liebe und die objektive Gestalt des Vereinigten als das Leben.
Die Liebe wäre in Wahrheit das sinnliche Bedürfnis der Vernunft zu nennen, weil sie
Kant nur im subjektiven Sinne des ersteren die Freiheit zum Ausdruck bringt, würde diese bei Hegel zur
an und für sich freien Vernunft gehören, die die vernünftige Struktur der Welt erkennen und schaffen kann.
143
Diese Diagnose ist zugleich auch ein Leitfaden der Fragmente über die Verfassung Deutschlands. Die
Abtrennung zwischen den Vernunftideen und dem Subjekt der Handlung kommt im gesellschaftlichen
politischen Bereich wieder als der “immer sich vergrössernde Widerspruch zwischen” den “unbekannten”
Ideen, die die gemeinen “Menschen bewußtlos suchen, und dem Leben, das ihnen angeboten und erlaubt
wird”. Die souveränen Staaten für jene Ideen moralisch verbindlich zu machen bedeutet, nur die
Wesensgleichheit der Macht und der abstrakten Ideen zu übersehen und Gleiches mit Gleichem zu
verbinden. So wird “von seynwollenden Philosophen und Menschheitrechtelehrern” und “in ungeheuern
politischen Experimenten” eine mechanistische Staatsgewalt, die keinen freien Spielraum für ihre Teile
erlaubt, dafür gehalten, im “Gewand von Vernunftgrundsätzen” “alles Detail” von Gesellschaft, Volk und
Individuen “zu bestimmen”. Dagegen müssen Hegel zufolge “in einem Staate” das für die Staatsgewalt
unmittelbar Notwendige und das für sie Zufällige, aber für die gesellschaftliche “Verbindung eines Volks”
Notwendige so unterschieden werden, dass jedem autonomer Spielraum versichert wird. Dies ist nichts
anderes als ein Versuch Hegels, die Vereinigung als Verhältnis in der Trennung zu realisieren. SE, S. 16,
172, 174, 178.
144
Dem gründlichen Realismus der Trennung in der Welt verdankt sich auch die erst in der Jenaer Zeit
dargestellte Logik um das Verhältnis. Das realistische Verstehen der Welt ist ferner Wurzel seiner
Identitätstheorie der Wahrheit, die in sich sowohl die epistemologische, formelle Übereinstimmung eines
Gegenstandes mit unserem Urteil als auch die ontologische eines Gegenstandes mit sich selbst, mit
seinem Begriff einschließt, aber insofern sie geistig ist, nur als begriffliche, also idealistische, Struktur ans
Licht kommt, wie Halbig bezüglich Hegels späterer Philosophie des Geistes analysiert. Halbig, Christoph:
Objektives Denken, S. 181-217, auch Das ›Erkennen als solches‹, in Hegels Erbe, S. 138-163. Dagegen
entgeht Hegels realistische Seite dem Verständnis Horstmanns von der Hegelschen Vernunft als der
‘Primärstruktur’ der Wirklichkeit ‘in einem teleologischen Prozess’. Horstmann, Rolf-Peter: Die Grenzen
der Vernunft, S. 165-187. Findlay versteht die Hegelsche Erkenntnislehre als ‘idealistischen Realismus’
auf der Basis des ‘durchaus’ teleologischen Idealismus, der die Welt mit ‘ihren tiefen Unvernünftigkeiten’
als ‘den unentbehrlichen Rohstoff unseres eigenen vernünftigen Lebens’ ‘vom Geiste abhängig’ mache.
Er scheint also Hegels ontologischen Realismus zu verfehlen. Findlay, J. N.: Hegel der Realist, HSB 1, S.
141-149.
75
allen Menschen sinnlich immanent und die durch sie erlangte Vereinigung vernünftig ist.
Diese Vereinigung in der Trennung ist Hegel zufolge auch ein Sein als ein einzelnes
Subjekt, das je mit seinem allgemeinen Wesen objektiv vereinigt ist.
In der Jenaer Zeit zielt Hegels Denken darauf ab, solche Einsicht im eigenen Bereich
der Philosophie gründlich zu entfalten. Es richtet sich überhaupt darauf, die FaktumOntologie der Vernunft durch die Tätigkeit des Subjekts zu systematisieren. Für sein
Verlangen nach der philosophischen Systematisierung spricht schon sein am Ende der
Frankfurter Zeit geschriebener Brief an Schelling; “In meiner wissenschaftlichen
Bildung, die von untergeordnetern Bedürfnissen der Menschen anfing, mußte ich zur
Wissenschaft vorgetrieben werden, und das Ideal des Jünglingsalters mußte sich zur
Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln” (2. Nov. 1800. Br 59). Das, was
diesem Wandel entsprechend nun allmählich als ein Hauptprinzip auftritt, ist eben der
Geistesbegriff, von dem schon in den letzten Seiten der Schrift Der Geist des
Christentums und sein Schicksal die Rede war. “Der Geist erkennt nur den Geist” (N
312), und “nur der Geist faßt und schließt den Geist in sich ein” (N 305). Diese Sätze
müssen überhaupt nicht spiritualistisch, sondern subjektivitätsontologisch gelesen
werden. Das, was Hegel unter diesem Begriff zuerst verstehen will, ist die gleiche Natur
von Mensch und Gott, nämlich, dass “zwischen Mensch und Gott, zwischen Geist und
Geist” die “Kluft der Objektivität nicht” besteht.145 Der erkennende Geist ist vom zu
erkennenden Geist nicht verschieden, wie im Verhältnis zwischen dem sehenden Auge
als Subjekt und dem gesehenen Berg als Objekt. Jener Geist ist diesem “nur einer und
ein anderer darin, daß er ihn erkennt” (N 312).
Der Geist, der die Liebe Jesu antrieb, ist “ein göttlicher Geist” im Menschen, der die
Vereinigung des Lebens ermöglicht (N 332). Der Geistesbegriff macht daher die Einheit
145
Oeing-Hanhoff zufolge ist der Geist Hegels ‘nicht als eigene relationale und personale Seinsweise
Gottes’, sondern nur ‘als die bleibende Wesensidentität von Vater und Sohn’ keineswegs der Heilige Geist
in der christlichen Trinität, der nicht aus dem Gott als Logos, sondern als Person der Liebe hervorgeht.
Daher reduziere ‘Hegel also die Dreipersönlichkeit Gottes auf eine Zweieinigkeit’. Oeing-Hanhoff,
Ludger: Metaphysik und Freiheit, S. 91-120. Auch für Pannenberg ist Hegels geistiger Gott nicht der
göttliche Geist ‘im Sinne des trinitarischen Geistesbegriffs als ekstatisches Sein beim andern’, also als
Liebe im Sinne des von seiner Stelle selbstwegrückendes Hingeben des Geistes ans andere. Pannenberg,
Wolfhart: Der Geist und sein Anderes HLP, S. 151-159. Dagegen sieht Jaeschke die Zweieinigkeit Hegels
nicht als einen ‘unbewußten Fehltritt’ bei der Auffassung des christlichen Trinitätsgedankens, sondern als
‘Ausdruck einer bewußten Korrektur der kirchlichen Tradition’ an. Der Geist, der ‘als etwas Drittes von
Vater und Sohn’ ausgehe und eigene Persönlichkeit habe, sei bei Hegel Resultat des ‘Verstandesdenkens’,
das drei Personen vorstellen, aber deren göttliche Einheit nicht erklären könne. Damit nicht drei Götter
entstehen, müsse die Persönlichkeit ‘als bloßes Moment’ der göttlichen Einheit gedacht werden, und diese
Einheit eben als der ‘sich in seiner Gemeinde wissende’ Geist. RH, S. 79-110. Die erste Rede Hegels von
der eigenen Trinität als Einheit der Zweiheit ist im Fragment einer Naturrechtsvorlesung, 1802
aufzufinden. FN, S. 53. Über die in der Logik sich erfassende Persönlichkeit des Geistes als Moment,
Redlich, Anneliese: Die Hegelsche Logik als Selbsterfassung der Persönlichkeit.
76
des Unendlichen und des Endlichen möglich. Die Liebe ist auch ein Erkennen im
platonischen Sinne des Sich-Findens im geliebten Anderen. Wenn ein Glaube von der
Liebe ausgehen will, ist das “Glauben an Göttliches” also “nur dadurch möglich, daß im
Glaubenden selbst Göttliches ist, welches in dem, woran es glaubt, sich selbst, seine
eigene Natur wiederfindet” (N 313). D. h. der Glaube ist nur möglich, wenn der
Glaubende mit dem Geglaubten Gleiches, Göttliches, obzwar beschränkterweise, in sich
hat. Diese gleiche Natur von beiden ist vor allen Dingen eben der Geist.146 Aber für die
Vereinigung von beiden sind noch zwei Probleme aufzulösen. Erstens ist die Liebe
zuvörderst Erkennen des Liebenden, nicht des Geliebten. Damit sie auch Erkennen des
Geliebten sein kann, müssen sie und ihre Einigkeit zugleich ihm gegenüber darstellbar
und prüfbar sein. Freilich könnte für den geliebten Gott keine solche Darstellung nötig
sein. Aber zur wahrhaften Tätigkeit der Vereinigung des Endlichen mit dem
Unendlichen ist auch die kognitive Prüfung des Vereinigten erforderlich. Darüber
hinaus ist der Geist Gottes, der im Glauben durch die Liebe erkannt wird, zuerst
unsichtbarer Gegenstand. Wenn die Liebe nur als unmittelbare Erkenntnis des
unsichtbaren Gegenstandes dargestellt würde, würde sie leicht in die Gefahr der
subjektiven Transzendenz oder des Spiritualismus laufen, welches sie immer mehr
ausschließlich macht. Nicht zuletzt ist also zu überlegen, wie der unsichtbare Geist des
Unendlichen ein Gegenstand des Erkennens des Endlichen sein kann. Die Antwort des
Frankfurter Hegels ist kurz und klar onto-logisch. “Daß das Göttliche erscheine, muß
der unsichtbare Geist mit Sichtbarem vereinigt sein” (N 333). Der unsichtbare Geist des
Unendlichen müsste sich für seine Erscheinung mit Sichtbarem vereinigt haben, das für
den endlichen Geist erkennbar ist. Seine Erscheinung ist sowohl Erscheinung im
sichtbaren Endlichen als auch im Erkennen des endlichen Geistes. Was dies erweist, ist
gerade nichts anderes als das Endliche selbst. Denn das Endliche heißt das, was nur
durch sich selbst nicht sein kann und zu seiner Existenz Höheres als sich benötigt.
Dieses Höhere wird durch das Erkennen des Endlichen selbst als Geistiges und
Allgemeines in ihm enthüllt. Insofern das Endliche ein sichtbarer Gegenstand des
Geistiges erkennenden Geistes ist, ist es kein bloß zufälliges Naturding. Sondern es ist
ein Faktum der Vernunft, in dem der Geist Gottes erscheint. Dadurch kann das von Kant
nur rein subjektiv deklarierte Faktum der Vernunft erst als objektiv bewiesen und
bestätigt werden. Und der Glaubende kann erst durch dieses Erkennen und Darstellen
der göttlichen Natur im Endlichen seinen Glauben zur Wahrheit erheben und seine
146
Diese Bestimmung der Identität bzw. Einheit zwischen Vater und Sohn, Gott und Mensch als Geist
führt im Jenaer Naturrechtsaufsatz zur ersten Versicherung, dass das Absolute der Geist ist. JKS, S. 464.
HLeben, S. 177-178.
77
wahre Vereinigung ausweisen.147 Hierin ist das Thema der Liebe im Glauben schon als
ein Thema der Erkenntnis zwischen Subjekt und Objekt im Wissen aufgestellt, und der
ontologische Geistesbegriff ermöglicht die epistemologische Einheit von beiden in der
Form der Reflexion. Der endliche Geist erkennt jedoch de facto nicht unmittelbar die
göttliche Natur in ihrer Vollständigkeit. Das, was er erkennt, ist zuerst nur “der Stoff in
der Form des Logos” (N 307). Der Logos in der Welt ist entzweit in Stoff und Form.
Und die logische Form des gegebenen Stoffs zu erkennen, ist die göttliche Natur zu
erkennen. Aber insofern Gott in seiner Erscheinung als die logische Form des Stoffs in
einem Gegenstand betrachtet wird, sind Gott selbst und der Logos verschieden. Diese
Verschiedenheit entspringt der Endlichkeit des erkennenden Geistes und des erkannten
Gegenstandes und ist daher nur für diesen Geist. Den Satz “Gott war der Logos” hält
Hegel also für kein Urteil. Denn das Prädikat im Satz drückt weder Begriff noch
Allgemeines eines Seienden aus, sondern ist “selbst wieder Seiendes, Lebendiges”. Der
Satz besagt nur, dass beide eigentlich eins sind. Er deutet auch an, dass insofern Gott
kein Gegenstand der unmittelbaren Erkenntnis des endlichen Geistes ist, seine Natur nur
vermittelst der Erkenntnis seines Logos in der Welt erkennbar ist. Der Logos ist objektiv
“als ein Wirkliches, ein Individuum” und subjektiv “als Vernunft zu nehmen” (N 306).
Sowohl ein Individuum oder ein einzelner Gegenstand als auch die Vernunft haben alle
die Zweifachheit des Logos von Stoff oder Inhalt und Form (ύλη und ειδος). Diese
Zweifachheit tritt in der Existenz und im Urteil als die Entgegensetzung zwischen Sein
und Nichtsein, Einzelnem und Allgemeinem u. a. auf. 148 Daher verrät die
Übereinstimmung der vernünftigen Erkenntnis mit einem Gegenstand nur den Grad der
Wiedervereinigung des entzweiten Logos, also der Erkenntnis des unendlichen Geistes.
Diesen Grad bezeichnet Hegel auch durch “die Gleichheit oder Ungleichheit des
Lebens” als eines gestalteten Geistes mit dem unendlichen Geist, da das Leben auch das
objektive Wiedervereinigte des Logos ist (N 307). Vor allem macht Hegel darauf
aufmerksam, dass der Grad der Erkenntnis in einem fortschreitenden System nur erhöht
werden kann, wenn der gestaltete Geist in der Ordnung des Logos besteht. Der
147
Dies ist nichts anderes als der Gottesbeweis dadurch, dass ‘mit dem Gedanken der Endlichkeit die
Endlichkeit selbst im Gedanken überwunden’ wird. De Vos, Lu: Unmittelbares Wissen und begriffenes
Selbstbewußtsein des Geistes. Jacobi in Hegels Philosophie der Religion Jc, S. 346.
Höchstwahrscheinlich eben deshalb gibt es bei Hegel keinen eigenen, für sich bestehenden Gottesbeweis,
weil sein ganzes System des Denkens über die Endlichkeit der Beweis ist. Z. B. über die Wissenschaft der
Logik als den ontologischen Beweis Gottes, RH, S. 120-132. Dazu, Wagner, Falk: Theo-Logik, S. 195-220.
148
Diese negative Seite des Erkennens des Absoluten wird zwar erst in der Differenzschrift formuliert,
aber das Motiv lässt sich aus diesem Verhältnis des den Geist erkennenden Geistes ersehen. Hier erfolgt
auch die erste Erwähnung des späteren Begriff des Logos nicht nur im christlichen, sondern im antiken
Sinne des ‘Harmonischentgegengesetzten’. Riedel, Manfred: Dialektik des Logos? Hegels Zugang zum
„ältesten Alten“ der Philosophie HaD, S. 33-41.
78
unendliche Geist kann nur als System der Erkenntnis des endlichen Geistes völlig
erkannt werden. Das System ist allerdings der Ort der Selbstaufhebung des Endlichen
und zugleich der Selbsterhebung zum Unendlichen. Nur insofern ist die Erkenntnis des
Liebenden auch die des Geliebten und des Weiteren die Selbsterkenntnis des Geistes als
die Einheit von beiden. Demnach müsste sich der Geistesbegriff, wie im erwähnten
Brief, auch auf das System der Erkenntnis übertragen lassen.
3.2. Konzept des philosophischen Systems
Die Philosophie als System verkörpert sich in der Jenaer Zeit jedoch erst nach der
kritischen Propädeutik gegenüber vorhandenen Philosophien, weil die polemische und
negative Haltung, wie später in der Einleitung der Vorlesungen über die Geschichte der
Philosophie, (1820/21) retrospektiv ausgesagt, leichter als etwas Belehrendes und
Positives in einer Philosophie anzuerkennen ist. Insoweit ist das letztere “immer das
Schwerste und Wichtigste” (VGP 55). In diesem Sinne sind Hegels zahlreiche kritische
Schriften dieser Zeit nicht einfach negativ, sondern ein Streben, zur Systematisierung
des Schwersten und Wichtigsten zu gelangen. Vertretend für die Suche nach dem
System im Durchgang durch die Kritik ist in erster Linie die Differenzschrift, wo seine
Philosophie zum ersten Mal als das System des Absoluten begriffen wird. Aber hier
wird meistens nur über die Form des Systems nachgedacht, in der das Absolute “fürs
Bewußtseyn konstruirt” wird (JKS 16); die Ausführung des Systems selbst steht noch
im kritischen Kontext. Die reine Form des Absoluten in seiner Erscheinung ist
Widerspruch. Denn selbst der Satz der Identität als Ausdruck seines absoluten
Selbstseins ist unmöglich ohne Moment des Widerspruchs. A=A bringt zwar die
Identität des A zum Ausdruck, aber zugleich in der entzweiten Form des Subjekts und
des Prädikats oder Objekts. Das entzweite A ist nicht mehr A selbst. A ist nun identisch
mit A, das nicht mehr A selbst ist, oder mit B. A=B. A ist identisch mit B, das jedoch das
entzweite A selbst ist. A ist endlich A nur als B, das zugleich nicht A selbst und das
entzweite A selbst ist. Alle Begriffe und Dinge, die nur als identisch mit sich selbst sein
können, können diesem Prozess nicht entrinnen, sei es in der Satzform des Subjekts und
des Prädikats, sei es in der Bestandsform des Subjekts und des Objekts bzw. des
Anderen. Die Reflexion setzt die Identität und die Nichtidentität jedes Seienden eben als
Widerspruch oder Gegensatz, kann daher mit der “Erscheinung des Absoluten” (JKS
32) selbst umgehen. Und die transzendentale Anschauung149 fasst den Widerspruch in
149
Die einzige Quelle dieser Wendung ‘transzendentale Anschauung‘, die bei Kant und anderen nicht
vorkommt, ist Zimmerli zufolge ein Druckfehler von ‘intellectuelle’ in der Schellingschen Schrift, System
79
der “Beziehung aufs Absolute” (JKS 27), d. i. die Identität und die Nichtidentität im
Verhältnis der Identität. Hegel beabsichtigt hier das System des Absoluten, das “im
transcendentalen” oder “philosophischen Wissen” durch die Reflexion und die
transzendentale Anschauung rekonstruiert wird (JKS 28).
Das so konzipierte System der Philosophie wird erst 1803/04 zum ersten Mal in Form
eines Vorlesungsmanuskriptes, aber mit neuen begrifflichen Mitteln entworfen; ferner
sind – im Blick auf den Systementwurf – Manuskripte für die Vorlesungen von 1804/05
und 1805/06 überliefert. Wichtige Ansätze für diese drei Entwürfe enthalten aber schon
zwei Fragmente aus dem Winter 1801/02 und drei Fragmente aus
Vorlesungsmanuskripten vermutlich vom Sommer 1803.150 Vor allem das Fragment die
Idee des absoluten Wesens (1801/02) lässt Hegels früheste Skizze für das System der
Philosophie erkennen, abgesehen von den vorher angefertigten Schriften, Das älteste
Systemprogramm des deutschen Idealismus (1796/97), dessen Verfasserschaft noch im
Dunkeln bleibt,151 und der zwei Systemfragmente (1800), die nur mit Schwierigkeit als
Vorstufen des Systems angesehen werden können, aber von H. Nohl dafür gehalten und
so betitelt wurden, und System der Sittlichkeit (1802/03), das in der Form und Methode
Schellings152 geschrieben wurde. Das Fragment die Idee des absoluten Wesens hat die
Absicht, das absolute Wesen für die Erkenntnis als Bewegung zu entfalten und
darzustellen, in der es selbst “in der Idee sein Bild gleichsam entwirft, sich in der Natur
realisirt, oder in ihr sich seinen entfalteten Leib erschafft, und dann als Geist sich
resumirt, in sich zurückkehrt und sich selbst erkennt” (SE 262). Das System der
Philosophie bilden demnach vier Teile, “der Idealismus oder die Logik”, die nämlich
“als Wissenschaft der Idee selbst Metaphysik” ist, “die Philosophie der Natur” als “die
Wissenschaft der Realität der Idee”, “die Philosophie des Geistes”, in der sich die Idee
“als absolute Sittlichkeit” organisiert, und die “Philosophie der Religion und der Kunst”,
in der die reale Idee “als freyes Volk” “zur reinen Idee zurükkehrt, und die Anschauung
Gottes organisirt” (SE 263-264). Insbesondere der selbstständige Status dieses vierten
Teils erinnert noch an den Einfluss der Schellingschen Einteilung im System des
transzendentalen Idealismus (1800) und in der Schrift Über den wahren Begriff der
Naturphilosophie und die richtige Art, ihre Probleme aufzulösen (1801).153 Aber das
des transzendentalen Idealismus. Hegel aber verwende ihn bewusst als eigenen prinzipiellen Terminus
nicht mehr im Sinne von intellectueller, sondern transzendentaler Anschauung, die er aber später nicht
mehr benutze. Zimmerli, Walter Christoph: Die Frage nach der Philosophie, HSB 12, S. 186-187 Anm.
195 Anm. 207-208.
150
HH, S. 150, 157, 160.
151
HH, S.76-80.
152
HH, S. 152. HZeit, S. 159, 171, 174.
153
Schelling klassifiziert in der Vorrede und Einleitung zum System des transzendentalen Idealismus das
80
System der Philosophie im ersten ausführlichen Entwurf von 1803/04 erhält mit
Ausschluss des vierten schon die bekannte Struktur der Triplizität, die sich bis zur
letzten Enzyklopädie Hegels(1830) durchsetzt. Und im dritten Systementwurf (1805/06)
schließt die Geistesphilosophie suggestiv Kunst, Religion, Wissenschaft in sich ein, die
die Unterteilung des absoluten Geistes in den späteren Enzyklopädien gestalten.
Deshalb sind Hegels spätere Systeme schließlich ‘als modifizierende, konkretisierende,
aber bruchlose Entfaltung dieser ersten Systemskizze’154 anzusehen.
In Bezug auf den Systementwurf ist ein anderes wichtiges Fragment das Wesen des
Geistes (1803). Dies bietet die erste ausführliche Darstellung des Verhältnisses von
Natur und Geist an, aus der auch schon die Beziehung zwischen Natur- und
Geistesphilosophie zu erblicken ist. Die Natur ist hiernach “das andersseyn des Geistes”.
Diese Definition hat zweifache Bedeutung. Zum ersten ist die Natur für den Geist “ein
anderes überhaupt”. Dinge, die überhaupt gegeneinander nur als anderes sind, sind die,
die zuerst nichts Gemeinsames oder Allgemeines unter sich haben. In diesem Sinne tritt
die Natur dem Geist nur als irgendein bloßes Einzelnes auf und ist als “die Einheit” oder
“das wahrhaffte Ganze” unerkennbar. Sie kann höchstens nur jeweilige empirische
Notwendigkeit der zufälligen Einzelnen sein, deren Gesetze aber auch nicht in Form der
Einheit, sondern der Vielheit der Einzelnen, also nur als Resultat der empirischen
Verallgemeinerung erscheinen. Das Erkennen des Geistes von dieser Vielheit der
unverbundenen Einzelnen nennt Hegel “das gemeine Erkennen”. In der Philosophie
handelt es sich nicht um dies Erkennen, sondern um das Begreifen des Geistes von der
lebendigen Allgemeinheit durch und über ein solches Erkennen hinaus. Allerdings lässt
sich durch die poetische Anschauung “ein absolutes Ganzes, ein lebendiges” in der
Natur erkennen. Aber das poetische Erkennen kann auch nicht zur wahren
Allgemeinheit gelangen. Denn es heißt, nicht im ganzen Reichtum der Natur, sondern in
ihrem jeden Einzelnen, d. i. “im Busche, in der Lufft und im Wasser” ihre Lebendigkeit
anzuschauen, die deswegen noch durch “eine absolute Aüsserlichkeit des Seyns”
beherrscht wird (SE 372). Zweitens ist die Natur als das Anderssein des Geistes aber
dem Wesen nach nichts anderes “als er selbst, gesetzt als ein entgegengesetztes” (SE
ganze System der transzendentalen Philosophie in zwei Grundwissenschaften, d. i. Naturphilosophie und
transzendentalen Idealismus, und redet ferner vom absoluten durchgreifenden Skeptizismus, der quasi die
Rolle der Logik spielen würde. Ferner wird der transzendentale Idealismus in theoretische, praktische
Philosophie, Teleologie und Philosophie der Kunst unterteilt. Schelling: System des transzendentalen
Idealismus, S. 329 –352. Diese zweifache Haupteinteilung ändert sich in der Schrift Über den wahren
Begriff der Naturphilosophie und die richtige Art, ihre Probleme aufzulösen in eine dreifache: von der
rein theoretischen realistischen Naturphilosophie über die praktische idealistische Philosophie zur
Philosophie der Kunst oder zum Real-Idealismus bzw. objektiv gewordenen Idealrealismus. Schelling:
Über den wahren Begriff der Naturphilosophie und die richtige Art, ihre Probleme aufzulösen, S. 637-659.
154
HH, S. 151.
81
370). Nur in diesem Sinne kann die Natur Gegenstand der Philosophie sein und “zu
einem absoluten Ganzen” erhoben werden. Diese Bedeutung der Natur basiert auf der
spezifischen Eigenschaft des Geistes. Denn nur der Geist kann den Gegensatz als seinen
Gegensatz erkennen, dadurch dessen Äußerlichkeit aufheben und sogar auch im
Gegensatz zu sich zurückkehren. Das, was er in der Natur als seinem Anderssein im
Grunde findet, ist gerade er selbst als Wesentliches und Geistiges der Natur, und durch
diese Selbstbeziehung des Geistes in seinem äußeren Verhältnis zur Natur wird die
Natur eben als der “Geist in seinem Andersseyn”, also “als ein Ganzes” erkannt. Die
Natur, deren Einzelne gegeneinander nur als anderes überhaupt sind, ist im
Wesentlichen der Geist in seinem Anderssein, dessen Einzelne nach dem geistigen
Wesen in ein Ganzes vereint werden. Das, in dem seine Einzelnen nach ihrem
wesentlichen Verhältnis in einem Ganzen vereint sind, ist nichts anderes als Leben. Die
Natur ist durch die eigentliche Erkenntnis des Geistes erst das “Leben in ihrem ganzen
Reichtum”, dessen allgemeine Einheit auf den Geist in der Selbstbezüglichkeit
angewiesen ist (SE 373). Hier ist die Struktur des Erkennens als Sich-im-AnderenFindens im Frankfurter Thema von Liebe und Leben bis zum Erkennen des Seins
überhaupt von Natur und Geist ausgedehnt. Dies Erkennen ist darum möglich, weil die
Natur ontologisch der Geist selbst als das Anderssein seiner selbst, mit anderen Worten,
das Faktum der Vernunft in ihrer Äußerlichkeit ist.
Der Prozess des Selbsterkennens des Geistes in der Natur ist eben die Naturphilosophie.
“Der Geist hebt die Natur, oder sein Andersseyn auf, indem er erkennt, daß diß sein
Andersseyn er selbst ist” (SE 370). Dagegen ließe sich nicht sagen, dass für die Natur
selbst der Geist als ihr Anderes wäre. Denn das Andere für sie ist nicht anderes ihrer
selbst, sondern lediglich als anderes. Sie hat, schlicht gesagt, kein geistiges Vermögen
dieser Reflexion, im Anderen auch für sich zu sein. Aber das, was nur durch die
Andersheit in der Unverbundenheit bestehen würde, d. i. das rein absolute Andere wäre
andererseits auch gleich dem Nichtseienden, Nichts, oder absolut tot. Es gibt in dieser
Welt überhaupt kein solches Anderes, wie kein absolutes Selbst, und die Natur besteht
de facto nicht in der Weise solcher Andersheit. Sondern solange sie vorhanden ist, ist sie,
obzwar in beschränkter Weise, des Prinzips des Lebens teilhaftig, aber in der
Bezogenheit auf dasselbe. Sie kann zwar weder Anderssein ihrer selbst noch
Fürsichsein im Anderen haben, aber selbst Anderes für Anderes sein. Das höchste von
den Dingen, für die die Natur anderes ist, ist der Geist, der sich im Verhältnis zu
anderem auch auf sich selbst beziehen kann. Er ist schlechthin ‘Selbstbeziehung in der
Beziehung zum Anderen’. Diese Einsicht wird im Metaphysikkapitel des zweiten Jenaer
Systementwurfs noch einmal analysiert und zum konstanten Grundgedanken der
82
späteren Geistesphilosophie.155 Vom Geist wird die Natur dagegen in die Beziehung
gebracht, und in dieser Bezogenheit durch ihr Anderes auf ihr Anderes besteht sie
immer nur als Bestimmtheit, durch die sie an der Einheit des Lebens teilhat. Die Einheit
des Lebens ist ein vernünftiges Faktum des Geistes, der in der Natur entäußert ist. Der
Geist in der Bezüglichkeit auf die Natur als sein Anderssein findet sich selbst als
objektiv realisiert. Die Natur ist also der sich selbst anders gewordene Geist bzw. sein
“ausser sich gekommenseyn”. Eben hierin kehrt der Geist durch das Selbsterkennen zu
sich zurück, befreit sich von der äußeren Andersheit. Als “das leere” von der Andersheit
“gegen die ganze Natur” ist er frei. Die Leerheit der Andersheit ist die Fülle der
Selbstheit. Insofern er durch das Erkennen die ganze Natur “als ihm selbst gleich setzt”,
ist er in seiner Wahrheit lebend (SE 371). Dadurch wird die empirische Notwendigkeit
des gemeinen Erkennens zur “absoluten” “freyen Nothwendigkeit” des Geistes, nach
der er sich selbst nun frei realisieren kann und soll. Die Selbsterkenntnis des Geistes ist
strictu sensu aber noch Halbwahrheit, bis er sie wiederum zur objektiven Entelechie
macht und dadurch bestätigt. Erst durch diese Bildung und Bestätigung des Selbst ist er
in seiner völligen Wahrheit objektiv lebend. In diesem Hinblick ist er auch selber “ein
gewordenseyn” oder ein Gemachtsein durch sich selbst (SE 370). Das System dieses
seines Gewordenseins ist im Wesentlichen die Wirklichkeit des Lebens, die als
Lebensvorgänge der geistigen Einzelnen erscheint.156 Das System macht gerade den
Inhalt der Sittlichkeit aus und seine Darstellung den Gehalt der Geistesphilosophen in
den Jenaer Systementwürfen.
Die drei relativ gut erhaltenen Jenaer Systementwürfe sind Vorlesungsmanuskripte, die
zugleich mit der Absicht der späteren Veröffentlichung niedergeschrieben wurden. Diese
Vorlesungen wurden jede für das Wintersemester 1803/04 als “philosophiae
speculativae systema, complectens a) Logicam et Metaphysicam, sive Idealismum
transscendentalem b) philosophiam naturae et c) mentis”, für das Wintersemester
1804/05 und das Sommersemester 1805 als “totam philosophiae scientiam, i. e.
philosophiam speculativam, (logicam et metaphysicam) naturae et mentis, ex dictatis”,
und für das Wintersemester 1805/06 und das Sommersemester 1806 als “Philosophiam
realem, i. e. naturae et mentis ex dictatis” angekündigt. Hegel gab vom Sommer 1803
bis zum Sommer 1805 für jedes Semester fünf sich auf sein ganzes System der
155
HH, S. 158, 167. J II., S. 165-178. Über die logische Struktur des absoluten Geistes als Andersseins
seiner selbst seit 1802, Henrich, Dieter: Absoluter Geist und Logik des Endlichen, HSB 20, S. 103-118.
156
Manfred Baum und Kurt Meist kommen durch die Analyse der Fragmente Hegels inklusive des
Fragments Das Wesen des Geistes in der frühen und mittleren Jenaer Zeit auch zum Schluss, dass ‘die
Betonung der praktischen Relevanz spekulativer Erkenntnis für das Leben’ die Eigentümlichkeit seiner
philosophischen Konzeption bildet. Baum, Manfred u. Meist, Kurt: Durch Philosophie leben lernen.
Hegels Konzeption der Philosophie nach den neu aufgefundenen Jenaer Manuskripten, HS 12, S. 43-81.
83
Philosophie beziehende Ankündigungen, aber nur für die Vorlesungen 1803/04 und
1804/05 gibt es Belege, daß sie auch wirklich stattgefunden haben. Besonders im
Sommer 1805 wurde statt seines Systems nur die Logik gelesen, daher muss der zweite
Jenaer Systementwurf als Manuskript nur für das Wintersemester 1804/05 angesehen
werden. Auch strictu sensu kommt seine spekulative Philosophie als System nur in der
Ankündigung 1803/04 unter dem Ausdruck “philosophiae speculativae systema” zur
Sprache, während die Ankündigung 1804/05 lediglich die ganze Wissenschaft der
Philosophie d. i. “totam philosophiae scientiam” nennt. In Bezug auf den ersten Teil des
Systems, nämlich Logik und Metaphysik, kündigt Hegel außerdem sechs getrennte
Vorlesungen für die Semester 1801/02, 1802, 1802/03, 1806, 1806/07 und 1807 an; von
ihnen sind nur die Vorlesungen von 1801/02 und 1806 belegt, doch sind nur aus der
ersten Vorlesung Fragmente erhalten. Werden die innerhalb oder anstatt der SystemVorlesung gehaltenen zusammengerechnet, wurde aber tatsächlich insgesamt fünfmal
über Logik und Metaphysik gelesen. Schließlich kündigte Hegel über die Philosophiam
naturae et mentis viermal vom Winter 1805/06 bis zum Sommer 1807 Vorlesungen an.
Für die Vorlesung 1805/06 besteht kein Beleg, aber dafür schrieb Hegel sicherlich das
Manuskript des dritten Jenaer Systementwurfs und las es in überarbeiteter Form im
Sommer 1806. Auch für die zwei letzten Vorlesungen fehlen Belege.157
Alle diese Ankündigungen lassen erkennen, dass Hegel in dieser Zeit ein System der
Philosophie aus Logik, Metaphysik, Natur- und Geistesphilosophie beabsichtigte. Die
Logik und Metaphysik in der Ankündigung des ersten Systementwurfs sind mit dem
transzendentalen Idealismus und in der Ankündigung des zweiten mit der spekulativen
Philosophie identifiziert. Dies deutet an, dass Hegel vom Kantischen Konzept der
kritischen transzendentalen Logik als Einleitung in die Metaphysik zum Konzept seiner
eigenen spekulativen Logik, aber mit der gleichen propädeutischen Funktion überging.
Diese Funktion der Logik verschwindet, als Hegel im Sommersemester 1805 statt des
Systems der Philosophie eine Logik liest, die in sich die Metaphysik enthält. Bereits in
der Ankündigung für den Sommer 1806 ist die Logik selbst als die spekulative
Philosophie (Philosophiam speculativam s. logicam) erwähnt, in dem Sinne, dass sie
das Absolute durch die Verbindung der entgegengesetzten Bestimmungen der
‘Reflexion’ ‘mit nichtsinnlicher Intuition der absoluten Einheit’, d. i. durch die
‘Synthesis von Reflexion und intellektueller Anschauung’ darstellt. 158 Andererseits
157
SE, Anhang, S. 658-660. J I., Anhang, S. 351-354. J II., 360-362. J III., Anhang, S. 317-319. HH, S.
151-152, 160-161, 164-165, 169. Düsing, Klaus: Hegels Vorlesungen an der Universität Jena.
Manuskripte, Nachrichten, Zeugnisse, HS 26, S. 15-24.
158
Diese Bedeutung von der Spekulation ist schon in der Differenzschrift erhalten, in der der Begriff des
Absoluten in die Hegelsche Philosophie eingeführt wird. Fulda, Hans Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich
84
werden die Natur- und Geistesphilosophie in der Ankündigung des dritten
Systementwurfs als Realphilosophie angesehen. Am interessantesten ist hier, dass der
Terminus Idealismus zur Benennung seines Systems und der Systemteile nicht benutzt
wird.
Auch aus den zwei letzten Ankündigungen der Jenaer Systementwürfe, dass die
Vorlesungen “ex dictatis” gehalten werden, ist gut zu folgern, dass er während der
Vorlesungen die bereits abgefassten Manuskripte las und später wieder überarbeitete.
Deshalb liegen mehrere Unterschiede unter den Manuskripten vor. Der Text vom ersten
Systementwurf, der im Band aus 22 unterbrochenen Fragmenten konserviert ist, enthält
nur unvollständige Systemteile der Natur- und Geistesphilosophie. Der abwesende Teil
der Logik und Metaphysik wird höchstwahrscheinlich durch die spätere Überarbeitung
in die nächsten Fassungen einbezogen. Die unvollständige Skizze der Systemteile
kommt ab dem zweiten Entwurfsmanuskript nicht in Form der Fragmente sondern mit
relativ inhaltlicher Konsequenz eines Textes zum Vorschein. Aber der zweite Entwurf
scheint zunächst nur bis zur Logik, Metaphysik und Naturphilosophie dargestellt zu
werden. Sogar die Logik, die spätere Verbesserung erkennen lässt, und die
Naturphilosophie, die die systematische Erweiterung der ersten Fassung zu sein scheint,
sind noch unvollständig. Dagegen beruht die relativ vollständige Erhaltung der
Metaphysik auf ihrer Sonderstellung: Weil die Metaphysik als der einzig in dieser Zeit
getrennte Systemteil später in die Logik absorbiert ist, erfährt sie keine besondere
Überarbeitung. Im dritten Systementwurf sind lediglich die Natur- und
Geistesphilosophie mit einer auffallenden Differenz gegenüber den vorigen Fassungen
in einem neuen Umriss aufbewahrt. Besonders die letztere hat, abgesehen vom
fehlenden Übergang von der Natur zum Geist, die einzig vollständige Gestalt in den
Jenaer Systementwürfen. Die erheblichen Lücken im Manuskript dürften dadurch
entstanden sein, dass Hegel Teile von ihm später als Materialien für die weitere
Ausarbeitung benutzt hat.
Die Jenaer Systemteile, die in Bezug auf die Sittlichkeit in den Mittelpunkt der
Betrachtung gestellt werden können, sind endlich die beiden Geistesphilosophien des
ersten und dritten Entwurfs. Hierin mangelnde Inhalte können zum Glück durch andere,
in denselben Jahren geschriebene, praktisch-philosophische Aufsätze und
Vorlesungsberichte ergänzt werden. Aber zwischen beiden Geistesphilosophien besteht
ein großer Unterschied sowohl in Hinsicht auf Vollständigkeit als auch auf die
Konstruktion. Im ersten Entwurf, in dem Hegel der Geistesphilosophie zum ersten Mal
Hegel, S. 68-73. Über den Charakter der Jenaer Logik siehe dort S. 75-81 sowie Düsing, Klaus: Das
Problem der Subjektivität in Hegels Logik, HSB 15, S. 75-108.
85
Ausdruck verleiht, wird diese erste Geistesphilosophie, wie die Naturphilosophie, noch
abhängig von der identitätsphilosophischen Terminologie Schellings aufgebaut.
Insbesondere, weil sie die Bewusstseinslehre unter verschiedenen Überschriften der
Potenz entfaltet, scheint sie einschlägige Teile des Systems der Sittlichkeit ausführlicher
zu systematisieren, was im Gegensatz zu Fichte in stark Schellingscher Weise
dargestellt wurde. Sie wäre daher für einen Beitrag Hegels in seinem eigenen Bereich
der Geistesphilosophie zur Potenzenlehre zu halten, die Schelling in der Schrift,
Allgemeine Deduktion des dynamischen Prozesses oder der Kategorie der Physik
(1800) nur bezüglich der Naturphilosophie entwickelte, aber im System des
transzendentalen Idealismus nicht zur Anwendung brachte. Aber diese Einschätzung
übergeht, dass sie sich de facto gar nicht an die im System der Sittlichkeit benutzte
Methode der Potenzkonstruktion durch die wechselseitige Subsumtion der Begriffspaare
anlehnt, und auch, dass sie eben das, was in Schellings System des transzendentalen
Idealismus selbst mangelt, praktische Philosophie, ‘nicht mehr nur als transzendentale
Philosophie der subjektiven und formalen Bedingungen der Möglichkeit des Sittlichen’,
‘sondern als eine objektive und inhaltliche Philosophie des Sittlichen’ thematisiert.159
Daher, obwohl die Rede von Potenzen im ersten Systementwurf, insbesondere in seiner
Naturphilosophie noch den Einfluss Schellings zeigt, muss sie, mindestens in seiner
Geistesphilosophie, nur im terminologischen Horizont als explikative Bequemlichkeit,
um seinen eigenen Inhalt unter verschiedenen Phasen zu präsentieren, angesehen
werden. Kurz nach dem ersten Entwurf nimmt Hegels Gliederungsnotiz, I. Intelligenz.,
die höchstwahrscheinlich in die Zeit zwischen dem ersten und dem dritten
Systementwurf gehört (J I.329),160 also bereits die Struktur des ersten Abschnitts, “[a.
Intelligenz]” der Geistesphilosophie im dritten Entwurf vorweg. D. h. diese zweite
Geistesphilosophie konkretisiert die Unterscheidung der Intelligenz in Anschauung,
Verstand, und Vernunft inhaltlich und verrät auch aus terminologischer und
159
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 140-141. – Zimmerli vertritt im Gegensatz
zu Kimmerle, der die Ungültigkeit der Potenzenmethodik auch für die Stufe der absoluten Sittlichkeit im
System der Sittlichkeit annimmt, die These, dass sich diese Methodik in der Systemkonzeption Hegels
von 1801/02 bis 1803/04 inklusive des ersten Systementwurfs durchsetzte. Dagegen ist Siep zufolge
Hegels eigene Methode der doppelten Negation für seine Systemkonzeption bereits in der frühen Jenaer
Zeit erreicht, und findet auch im System der Sittlichkeit Anwendung. Daher seien die Potenzen Mittel,
‘die absolute Einheit unter verschiedenen Aspekten’ ‘klarer, begreiflicher’ zu zeigen. Kimmerle, Heinz:
Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens, HSB 8, S. 236-240. Auch über seine Unterscheidung
des Systems der Sittlichkeit von den anderen Jenaer Systemkonzepten, Hegels Naturrecht 1802-1805/06,
HS 11, S. 219-228. Zimmerli, Walter Christoph: Schelling in Hegel. Zur Potenzenmethodik in Hegels
„System der Sittlichkeit“, in Schelling. Seine Bedeutung für eine Philosophie der Natur und der
Geschichte, S. 269-275. Siep, Ludwig: Hegels und Schellings praktische Philosophie in Jena (bis 1803),
ebd. S. 279-287.
160
J I., Anhang, S. 350.
86
konstruktiver Perspektive eine völlige Distanzierung von Schelling, was auch teilweise
im zweiten Entwurf erkennbar ist.161 Der dritte Entwurf, der im Ganzen im Hinblick
auf die Konstruktion sich beträchtlich von den vorigen Entwürfen unterscheidet, steht
daher der Enzyklopädie näher. Besonders seine Naturphilosophie, die mit der Mechanik
beginnt, anders als die ersten beiden mit der himmlischen Bewegung, zeigt fast völlige
Übereinstimmung mit der Naturphilosophie der Enzyklopädie, und seine
Geistesphilosophie, die aus drei Kapiteln, “[I. Der Geist nach seinem Begriffe]”, “II..
Wirklicher Geist”, und “III. Constitution” besteht, lässt viele inhaltliche Ähnlichkeit
erkennen.
Die Differenz der Jenaer Geistesphilosophien erschwert es, sie unter dem Aspekt der
Sittlichkeit nebeneinander vergleichend zu betrachten. Dennoch lassen sie sich unter
zwei Aspekten in Betracht ziehen, wenn die erst in dieser Zeit herauskristallisierte
‚Sittlichkeit’ Hegels hier kurz und vorläufig als Beziehung des zum sittlichen
Bewusstsein gelangten Subjekts auf das objektiv zu verwirklichende oder verwirklichte
Allgemeine definiert wird. Beide implizieren nämlich auf der subjektiven Seite die
Bewusstseinslehre und auf der objektivierenden und objektivierten Seite die Lehren von
Anerkennung, Gesellschaft und Staat. Die Bewusstseinslehre der ersten
Geistesphilosophie ist keine Erkenntnistheorie von der Erfahrung des Bewusstseins im
Sinne der Phänomenologie des Geistes, sondern sozusagen eine Theorie von der
Struktur des Bewusstseins bis zu seiner Totalität,162 d. h. von der logischen Struktur des
sich nach seinem Begriffe ontisch entwickelnden, enzyklopädisch gesagt, subjektiven
Geistes. Deshalb deckt sie sich am meisten inhaltlich mit dem einschlägigen Teil der
zweiten Jenaer Geistesphilosophie, die den Geist eben nach seinem Begriffe entfaltet.
Sogar dieser Teil schließt bereits elementar die drei Teile des subjektiven Geistes der
Enzyklopädie in sich ein, also Anthropologie, Phänomenologie des Geistes und
Psychologie. Hieraus ist ersichtlich, dass dieser Teil der Jenaer Geistesphilosophien
später, nach der Erkenntnistheorie der Phänomenologie des Geistes, wiederum im
161
Jaeschke zufolge taucht im Begriff des absoluten Geistes im zweiten Entwurf ein inhaltlicher
Gegensatz gegen Schelling und in der Naturphilosophie eine fast vollständige Ablösung von der
identitätsphilosophischen Terminologie auf. HH, S. 167-168. Aber die Behauptung Riedels, dass dieser
Wandel zwischen der früheren Jenaer Zeit bis 1803/04 und der späteren seit 1805/06 eine erneute
interpretatorische Rückkehr von Aristoteles, Spinoza und Schelling zu Rousseau, Kant und Fichte, daher
‘eine Umkehr der Grundlagen von Hegels bisherigen Naturrechtskonzeption’ bedeute, muss etwas
gemildert werden. Weil die Begriffe der ersteren Philosophen und die Kritik an den letzteren auch im
dritten Entwurf, wie umgekehrt im ersten Entwurf, spürbar sind, außer dass der Anerkennungsbegriff
Fichtescher Provenienz im dritten Entwurf hervortritt, muss der Wandel als Hegels allmähliche
Aneignung verschiedener Philosopheme verstanden werden. Riedel, Manfred: Hegels Kritik des
Naturrechts, HS 4, S. 188-196.
162
HH, S. 162.
87
Kapitel des subjektiven Geistes der Enzyklopädie konstruktiv erweitert wird.
Andererseits sind die Lehren von Anerkennung, Gesellschaft und Staat eine Theorie von
der Selbstrealisierung des totalen Bewusstseins bzw. des subjektiven Geistes. Genau
gesagt, vermittelt die Anerkennungslehre das Bewusstsein bzw. den Geist nach seinem
Begriffe und die objektiven Bereiche von Gesellschaft und Staat. Sie handelt in den
Jenaer Geistesphilosophien nämlich vom sich gesellschaftlich objektivierenden
Bewusstsein oder Geist. Und sein Anerkanntsein bildet eben den realisierten Geist in
der Gesellschaft und im Staat. Demnach ist das totale Bewusstsein bzw. der subjektive
Geist auch unter dem Aspekt der Anerkennung verdoppelt. Es als Subjekt der
anerkennenden Bewegung gehört zwar noch zur subjektiven Entwicklung des Geistes,
hat aber als Anerkanntsein eine eigene gesellschaftliche Wirklichkeit. In diesem
Moment ist es nämlich Person oder Individuum als die ganze Familie selbst. Daraus
versteht sich der Grund dafür, dass die Familie mit anderen Tätigkeiten des Geistes, wie
Sprache, Arbeit, Tausch u. a. zweimal im subjektiven und objektiven Teil der Jenaer
Geistesphilosophien auftritt. Und deswegen tritt das Thema der Anerkennung auch
später zweimal, d. i. entwicklungsgeschichtlich in der Phänomenologie des Geistes und
in der Rechtsphilosophie, und gleichfalls vorlesungsprogrammatisch im Kapitel des
subjektiven und im Kapitel des objektiven Geistes der Enzyklopädie auf, wie es bereits
in der ersten Jenaer Geistesphilosophie potenziell, in der zweiten deutlich verdoppelt,
behandelt wird. Der objektive Teil von Familie, Gesellschaft und Staat als
Anerkanntsein in den Jenaer Geistesphilosophien kommt durch die Rechtsphilosophie
im Kapitel des objektiven Geistes der Enzyklopädie zur endgültigen Gestaltung. Aber
Acht ist freilich darauf zu geben, dass der Jenaer Hegel noch nicht die bürgerliche
Gesellschaft differenziert, daher in der ersten Geistesphilosophie die Einheit der
Gesellschaft für das Volk hält und erst in der zweiten die Gesellschaft eines Volks vom
Staat abgrenzt. In der ersten Geistesphilosophie, die keine Staatslehre enthält, ist das
Volk auch in dessen letzter Phase der Ort, wo sich der absolute Geist offenbart. Dieser
Status wird in der zweiten dem Staat zugeschrieben. Der absolute Geist wird später
durch die Selbstrevision Hegels vom Volk und Staat getrennt und bildet mit den auch in
der zweiten Geistesphilosophie erwähnten Elementen von Kunst, Religion und
Philosophie ein selbstständiges Kapitel in der Enzyklopädie.
Außerdem bestehen aber auch Schwierigkeiten, bezüglich der Sittlichkeit die Jenaer
Geistesphilosophien mit Hegels späteren Schriften vom systematischen Standpunkt aus
zu vergleichen, denn die Jenaer Systementwürfe für die Vorlesungen werden weder
später in concreto als ein systematisches Werk der Wissenschaft geschrieben, noch
entsteht aus ihnen ein selbstständiger Systemteil außer der Phänomenologie des Geistes
88
und der Wissenschaft der Logik. Die wichtigen Schriften für die Sittlichkeit sind
bekanntermaßen die Phänomenologie des Geistes, die Rechtsphilosophie, und die
Enzyklopädie. Die mit dem dritten Systementwurf gleichzeitig abgefasste
Phänomenologie des Geistes gehört zwar zum System, aber nur als einleitender Teil ins
System der Wissenschaft. Sogar das, was Hegel beim Schreiben dieser Schrift im Sinne
hatte, waren keine phänomeno-logischen Formen, keine logischen Erscheinungsformen
des Geistes, sondern eine wissenschaftliche Eignungsprüfung der Erfahrungsformen des
Bewusstseins, weil er ihren ursprünglichen Titel “Wissenschafft der Erfahrung des
Bewußtseyns” (PhG 61) erst nach ihrem völligen Druck zuletzt durch den Titel,
Phänomenologie des Geistes ersetzte und hinzufügte. Freilich bestand keine
konzeptionelle Änderung zwischen den beiden Titeln.163 Aber eben deswegen ist es
schwer, einen Vergleich dieser Schrift mit der Bewusstseinslehre der Jenaer
Geistesphilosophien anzustellen, in der es sich umgekehrt nicht um die empirischen
Formen des Bewusstseins als Subjekts der Erfahrung, sondern vielmehr um die
logischen Formen des Geistes als Subjekts der Erscheinung handelt, oder auch einen
Vergleich mit dem phänomenologischen Teil der Enzyklopädie, der einen der Jenaer
Bewusstseinslehre ähnlichen Charakter hat. Aber die Enzyklopädie in ihren drei
Fassungen lässt sich trotz ihrer scheinbaren Systematik nicht einmal als Hegels
endgültiges System der Wissenschaft ansehen. Denn sie wurde als ‘Kompendium’ oder
‘Lehrbuch’ zur Benutzung ‘für seine Vorlesungen’ angefertigt. Aus dem gleichen
Grunde darf die Rechtsphilosophie auch nicht für einen selbstständigen Systemteil in
wissenschaftlicher Form gehalten werden.164 Hegel gab nach der Veröffentlichung der
Phänomenologie des Geistes erst im November 1807 einen Hinweis auf den
endgültigen Rahmen seines Systems durch die Anzeige des zweiten Bandes des Systems
in der Bamberger Zeitung, der sich aus Logik, Natur- und Geistesphilosophie
zusammensetzen soll. Danach müsste sein ganzes System der Wissenschaft in der Reihe
von der Phänomenologie des Geistes, Wissenschaft der Logik, Natur- und
Geistesphilosophie bestehen. Aber es gibt kein selbstständiges Werk, das diese
Reihenfolge genau beachtet und alle Teile enthält. Übrig bleibt daher nur die
Vergleichbarkeit der Textteile nach der inhaltlichen Ähnlichkeit.
Wegen dieses Vergleichs könnte sein ganzes System zwar auf einen Blick rekonstruiert
werden, allein er wird manchmal auch wegen der inneren Nichtübereinstimmung der
Schriften gehemmt. Repräsentativ im Bereich der Sittlichkeit ist die oft infrage gestellte
163
HH, S. 176-179.
HH, S. 260, 272, 319. Über die Vorlesungsberichte der Rechtsphilosophie, Weisser-Lohmann,
Elisabeth: Hegels rechtsphilosophische Vorlesungen. Zeugnisse, Manuskripte und Nachschriften, HS 26,
S. 63-73.
164
89
Umgekehrtheit und Ungleichmäßigkeit der Anordnung von Moralität und Sittlichkeit in
der Phänomenologie des Geistes und in der Rechtsphilosophie. Die Stufe der Moralität
ist bekanntlich im Geisteskapitel der Phänomenologie des Geistes nach der Stufe der
Sittlichkeit gelegen, und auch im, enzyklopädisch gesagt, zum objektiven Geist
gehörenden Teil der zweiten Jenaer Geistesphilosophie sind beide in gleicher Ordnung
erwähnt (J III.265), aber im geistphänomenologischen Abschnitt des subjektiven Geistes
in der Enzyklopädie ist von ihr keine Rede. Vielmehr tritt in dem Kapitel über den
objektiven Geist die Ordnung umgekehrt auf, wie auch in der Reihe der Kapitel der
Rechtsphilosophie. Hilfreich zur Auflösung dieser Aporie ist, ein Auge auf Hegels
Methode der Systematisierung zu richten, die die genetische Ordnung und die logische
des Seins (ordinem generis et logicae) vereinheitlicht. Seine Methode lässt sich vor
allem durch Typisierung kennzeichnen.165 Der erste Schritt der Typisierung ist, das, was
geworden ist, zu erforschen. Dann muss dessen logische Struktur mit einer anderen,
besonders von dem, was demnächst geworden ist, verglichen werden. Aus diesem
Vergleich kann eine allgemeine Logik des Seienden induziert werden. Aber damit die
induzierte Logik die echte allgemeine Ordnung des Seienden sein kann, muss mit ihr
wiederum umgekehrt entdeckt und geprüft werden, welches Seiende für ihre Ordnung
geeignet und ob es aus ihr deduzierbar ist. Dadurch wird ein Seiendes in der Ordnung
des Werdens ausgewählt und typisiert, und sein Seins-Typ zugleich in der Ordnung der
Logik kategorisiert.166 Das, was kategorisiert ist, ist das, was schon geworden ist, und
dessen logische Beziehung auf ein anderes ist die Logik des Werdens des Seienden.
Zum methodischen Verstehen der Schriften Hegels ist demzufolge zunächst zu
identifizieren, was in einer wissenschaftlichen Schrift typisiert wird. Hierdurch
unterscheiden sich die Phänomenologie des Geistes und die Rechtsphilosophie
erheblich. Denn das, was in der ersteren Schrift zum Thema wird, sind de facto die in
wissenschaftlicher Form zu reflektierenden Erfahrungen des Bewusstseins, nicht selbst
logische Phänomene des Geistes, was der zuletzt hinzugefügte Titel, Phänomenologie
165
Jaeschke, Walter: Zur Logik der bestimmten Religion HLP, S. 182. Breidbach, Olaf: Hegels
Evolutionskritik, HS 22, S. 168. Auch über die Anwendung der genetischen Exposition und der
immanenten Deduktion auf die Sittlichkeit der Rechtsphilosophie, Rameil, Udo: Sittliches Sein und
Subjektivität. Zur Genese des Begriffs der Sittlichkeit in Hegels Rechtsphilosophie, HS 16, S. 127-139.
166
Eben deshalb, welches Seiende für einen Seins-Typ in einer wissenschaftlichen Ordnung ausgewählt
werden muss, z. B. warum die orientalische Welt in den Vorlesungen über die Philosophie der
Weltgeschichte der griechischen Welt vorhergehen muss oder warum in der Naturphilosophie einmal die
Bewegung, einmal die Materie nach den Kategorien Raum und Zeit bevorzugt wird, ist bei Hegel im
Grunde metatheoretisch offen und abhängig vom Bildungsniveau einer in Gedanken gefassten Zeit. Nur
unter dieser Bedingung typisiert er Seiende und systematisiert logisch. Daher ist die Angemessenheit der
Wahl eines Seienden für einen Typ nur theorieintern und in dem System einer Wissenschaft prüf- und
begründbar. Erst wenn und weil diese Begründung auch überzeitliche Allgemeinheit haben kann, ist seine
Philosophie noch in der Gegenwart bedeutend.
90
des Geistes, bedeutet. Während die logischen Formen der Phänomene bereits selbst
retrospektiv und reflexiv für den Geist sind, müssen jene wissenschaftlichen Formen der
Erfahrungen bis zum Geist erst reflektiert werden. Diese Formen stehen am Anfang der
Reflexion, jene am Ende der Reflexion. Die Phänomenologie des Geistes als die
Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins ist eigentlich bewusstseinspädagogische
Einleitung ins System der Wissenschaft, nicht von Beginn an selbst phänomenologische
Wissenschaft des Geistes, obwohl diese allmählich vom Standpunkt des Philosophen
aus erreicht wird. Und lediglich aus diesem Grund musste Hegel den Titel austauschen.
Wenn es eine reine phänomeno-logische Wissenschaft des Geistes geben würde, wäre
sie eine innere Logik der Phänomenologie des Geistes. Aber vom damaligen Hegel ist
keine solche Logik, sogar keine konkrete Konzeption der Wissenschaft der Logik
bekannt. Nur die zweite Jenaer Geistesphilosophie des dritten Systementwurfs
empfiehlt sich dafür,167 weil ihre Bewusstseinslehre, wie im Weiteren zu sehen, in der
logischen Form der Existenz des Geistes und sogar als ein Teil des Systementwurfs
ausgeführt wird. Auch die Geistesphänomenologie der zur Vorlesungsvorbereitung
niedergeschriebenen Enzyklopädie nimmt zwar Formen der reflektierten Logik auf dem
Standpunkt des Lehrers an. Allein sie ist als kein selbstständiger Systemteil der
Wissenschaft geschrieben, sondern nur als ein dazugehöriger Teil der
Vorlesungsreihenfolge, daher ist sie schwerlich für geistesphänomenologische Logik zu
halten. Strictu sensu gibt es bei Hegel schließlich zwei systemlogisch oder methodisch
schwer miteinander zu vergleichende Arten der Geistesphänomenologie, einmal
einleitend ins System der Wissenschaft und zugleich selbst als erster Teil desselben,
einmal vorlesungskonstruktiv reflektiert und verkürzt. Und deren Logik ist in der
zweiten Jenaer Geistesphilosophie zu erwarten, die, obzwar auch für die Vorlesung,
doch die Bewusstseinslehre selbst in der systematischen Form der wissenschaftlichen
Reflexion entfaltet. Diese Form ist des Weiteren auch eben die Form, in der die
Rechtsphilosophie dargestellt wird. Die Rechtsphilosophie behandelt wissenschaftlich
reflektierte Formen des Rechts, das nichts anderes als die objektive Existenz des Geistes
ist. Sie ist aber, gleich wie die Enzyklopädie, keine Schrift als selbstständiger Teil des
Systems. Sie war schon in der ersten Fassung der Enzyklopädie (1817) enthalten, wurde
danach mehr oder weniger unabhängig davon weiterentwickelt und endlich erweitert in
den späteren zwei Fassungen der Enzyklopädie niedergelegt. Kurz resümiert
unterscheidet sich die Phänomenologie des Geistes methodisch durch ihre zu
167
HH, S. 178. Dagegen über die mannigfaltige Versuche des Vergleichs der Phänomenologie des
Geistes mit der Jenaer, Nürnberger propädeutischen, großen, oder enzyklopädischen Logik, Heinrichs,
Johannes: Die Logik der ‚Phänomenologie des Geistes’, S. 83-103.
91
reflektierenden Erfahrungsformen des Bewusstseins von der Jenaer Geistesphilosophie,
der enzyklopädischen Geistesphänomenologie und der Rechtsphilosophie in der bereits
selbst wissenschaftlich reflektierten Form.
Dadurch wird nun das Verhältnis zwischen der Moralität und der Sittlichkeit in jeder
Schrift deutlich. Betreffs der Phänomenologie des Geistes muss etwas im Voraus
gegeben sein, um erfahren zu werden. Vom ungebildeten, angeblich natürlichen
Bewusstsein wird zuerst etwas Unmittelbares erfahren, von dem es sich in immer mehr
vermittelte Gegenstände übergehend bis zum absoluten Wissen bildet. Daher ist die
Sittlichkeit in ihrem Geisteskapitel unmittelbarer als die Moralität. Die unmittelbar
gegebene Sittlichkeit, die der Moralität vorgezogen wird, ist der altertümlichen
Sittlichkeit am ähnlichsten. Dies ist außerdem daraus ersichtlich, dass hier altertümliche
Kategorien, wie Mensch und Gott, Mann und Weib, Schuld und Schicksal, erläutert
werden. Die Sittlichkeit im Geisteskapitel ist aber nicht sowohl einfache Rehabilitation
als vielmehr bewusstseinsempirische Typisierung der altertümlichen Sittlichkeit. Auf
diese altertümliche Sittlichkeit wird in der gleichzeitigen, zweiten Jenaer
Geistesphilosophie verzichtet. Die Jenaer Geistesphilosophien sind der Ort, wo sich
Hegels eigene Sittlichkeit - in der ersten etwas ambivalent, in der zweiten
Geistesphilosophie deutlich - von der altertümlichen verabschiedet. Deshalb muss die
Sittlichkeit in den Jenaer Geistesphilosophien auch von der bewusstseinsempirisch
typisierten Sittlichkeit in der Phänomenologie des Geistes unterschieden werden. Sie ist
gerade Sittlichkeit, die auch in der Rechtsphilosophie und im Kapitel des objektiven
Geistes der Enzyklopädie in der wissenschaftlich reflektierten Form typisiert wird. Sie
geht nicht nur über die altertümliche und die bewusstseinsempirische Sittlichkeit,
sondern auch über die neuzeitliche Moralität hinaus.168 Dagegen ist die Sittlichkeit, die
für die Erkenntnis- und Bildungstheorie des erfahrenden Bewusstseins nicht als eine
vollendete, sondern als “sich vollbringende” Wissenschaft desselben (PhG 56) gegeben,
168
Auf die Unterscheidung zwischen der unmittelbaren und der reflektierten Sittlichkeit gibt es einen
entscheidenden Hinweis in der Nachschrift Homeyers 1818/19. “Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit,
welche in der subjektiven Gesinnung und durch das Handeln des Willens ihre Wirklichkeit hat und
fortdauernd als das Werk der Individuen hervorgebracht wird”. Sie ist “objektive, reale Freiheit”. Aber:
“In der Existenz ist die sittliche Substanz zuerst vorhanden und erst das Zerfallen derselben führt die
unterschiedenen Momente der Moralität und des Rechts herbey”. In dieser Sittlichkeit als Moment der
Moralität geht es um die Bildung und Reflexion der Individuen, die auch in der Phänomenologie des
Geistes als die Bildung des Bewusstseins betrachtet wird. VR I.270. Dies begründet die geschichtlich
fortschreitende Reihenfolge von der unmittelbaren Sittlichkeit über die Moralität zur reflektierten
Sittlichkeit. Aus dem gleichen Grunde sieht Siep die Stufe der Moralität in der Rechtsphilosophie als in
der bürgerlichen Gesellschaft der reflektierten Sittlichkeitsstufe wirksam. Siep, Ludwig: Was heißt:
„Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit“ in Hegels Rechtphilosophie?, HS 17, S. 87-89. Dagegen ist
Hegels Sittlichkeit für Elsigan, der sie gemäß der Reflexion nicht im Kreisverhältnis unterscheidet, die
Stufe, wo ‘individuelle sittliche Selbstbestimmung’ auf dem Standpunkt des Allgemeinen ‘eigentlich
unsittlich und – unfrei’ ist. Elsigan, Alfred: Sittlichkeit und Liebe, S. 169-180.
92
erfahren und reflektiert wird, unmittelbare und äußerliche Sittlichkeit, die vorher als
eine Lebenswelt vor und zugunsten der moralischen Handlung erkannt und verstanden
werden muss. Und die zweite Jenaer Geistesphilosophie, der es einerseits ebenfalls um
die Bildung des Volks geht, stellt trotz der methodischen Differenz im Blick auf die
Phänomenologie des Geistes und unter deren Einfluss die Stufe der Sittlichkeit einfach
vor diejenige der Moralität. Ihre Anordnung von Sittlichkeit, Moralität, und Religion (J
III.265) unterscheidet sich nicht so sehr von der Anordnung von Sittlichkeit, Bildung,
Moralität, und Religion in der Phänomenologie des Geistes. Aber ihre Sittlichkeit ist
different von der Sittlichkeit in dieser Schrift und ähnelt eher der Sittlichkeit in der
Rechtsphilosophie und in der Enzyklopädie. Wenn also die Nichtübereinstimmung der
Anordnung in diesen Schriften aufgelöst werden sollte, wäre entweder eine erneute
Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins erforderlich, wo im Geisteskapitel auf die
antike Sittlichkeit, die mittelalterliche169 Bildung und die neuzeitliche Moralität noch
eine quasi modernisierte Sittlichkeit folgte, oder eine neue Phänomenologie des
Rechts,170 in der den Kapiteln über das römische, abstrakte Recht, die neuzeitliche
Moralität und die neuere, für Hegel spezifische Sittlichkeit noch eine quasi
altgriechische Sittlichkeit vorausginge. Aber de facto erfolgt der Verlust des
bewusstseinsempirischen Charakters der Phänomenologie des Geistes, als sie später in
die Enzyklopädie als deren interner Teil einbezogen wird. Hier ist sie nur für die
logische Präsentation der Bewusstseinsstruktur als Erscheinungsform des Geistes
eingeführt. Die erste Analyse und systeminterne Darstellung einer solchen Struktur war
aber eigentlich eben die Bewusstseinslehre der Jenaer Geistesphilosophien, die unten zu
betrachten ist.
3.3. Exkurs : Von der Natur- zur Geistesphilosophie
Die erste Geistesphilosophie beginnt im fünfzehnten Fragment des ersten Jenaer
Systementwurfs, das zunächst vom letzten Teil der Naturphilosophie, d. i. vom
Organismus handelt. Dies Fragment bietet ohne Zäsur der Darstellung den Übergang
von der Natur- zur Geistesphilosophie. Der Übergang ist in concreto auch Übergang von
der Empfindung des animalischen Organismus zum Bewusstsein. Hier werden das
Verhältnis zwischen Natur und Geist und die eigentümliche Struktur des Geistes zum
ersten Mal systemintern erläutert. Bezüglich dieses Verhältnisses ist vor allem der letzte
169
Im Sinne der Bildung des sich entfremdeten Geistes.
Über den Versuch, die Rechtsphilosophie als eine besondere Phänomenologie zu bezeichnen, Ilting,
Karl-Heinz: Rechtsphilosophie als Phänomenologie des Bewußtseins der Freiheit, HPR, S. 225-254.
170
93
Satz der Naturphilosophie beachtenswert: “Im Geiste existirt die Natur, als das was ihr
Wesen ist” (J I.265). Dieser Satz beschreibt das Verhältnis beider im Hinblick auf
Existenz und Wesen. Umgekehrt gesagt, heißt er, ‘daß die Natur (noch) nicht als das
existiert, was ihr Wesen ist’.171 Ihre Existenz und ihr Wesen fallen in ihr auseinander.
Die Natur kann nicht selbst als ein Ganzes, sondern lediglich als viele Einzelne
existieren. Jedes Einzelne existiert zwar nach seinem Wesen. Allein sein Wesen gehört
nicht nur ihm selbst. Der Wesensbegriff, den Hegel ohne besondere Definition in
Gebrauch nimmt, lässt sich hier ans Verstehen der traditionellen Metaphysik
anschließen, weil es sich in der neuzeitlichen Philosophie nicht um Substanz und deren
wesentliche Bestimmung, sondern zumeist lediglich um Substanz und deren notwendige
oder akzidentielle Attribute handelt. Insbesondere der Einfluss des Aristoteles, den
Hegel damals für seine Lehren vom Organismus in der Naturphilosophie oder vom Staat
in der Geistesphilosophie – auch abgesehen von Platon – konzentriert untersuchte, ist in
seinem Begriff des Wesens ausgeprägt.172 Für diese Koppelung sprechen auch viele
Angaben in seinen Berliner Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, die aber
bereits in das Jahr 1805/06 zurückreichen und seit der Heidelberger Zeit regelmäßig
gehalten wurden.173 Demnach philosophiert Aristoteles im Mittelpunkt von Substanz
und Wesen. Die Substanz (ουσια) erscheint ihm zufolge nicht zuletzt als Einzelnes, in
dem Sinne, dass sie endgültiges Substrat (το θ’ ύποκειµενον εσχατον), das über nichts
Anderes prädiziert wird, und als Dieses seiend Abtrennbares (ό αν τοδε τι ον και
χωριστον) ist. Auch weil sie das ist, wodurch etwas Dieses ist, hat sie die Bedeutung
eben vom Wesen (το τι ην ειναι), das er mit Gestalt oder Form eines solchen Einzelnen
(τοιουτον δε έκαστου ή µορφη και το ειδος) identifiziert.174 Das Einzelne ist da auf
Grund von und gemäß seinem Wesen. Also in Hegels Sicht versteht Aristoteles “unter
dem, was ist”, “wesentlich die Substanz, Idee” (VGP II.153). D. h. er bemüht sich, “das
Wesen der einzelnen Seiten des Geistes und der Natur” “in Begriffsform aufzufassen”
(VGP II.145-146). Also ist der Begriff von einer aufgefassten Sache zugleich “die
171
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 146.
Über Hegels Studium des Aristoteles, Bienenstock, Myriam: Zu Hegels erstem Begriff des Geistes
(1803/04): Herdersche Einflüsse oder aristotelisches Erbe?, HS 24, S. 30-31, 47-54. Riedel, Manfred:
Hegels Kritik des Naturrechts, HS 4, S. 183, 191. Düsing, Klaus: Ontologie bei Aristoteles und Hegel, HS
32, S. 76-77. Hegel erwähnt Aristoteles freilich schon in den Frühen Schriften (FS, S. 78), allein kein
Beleg unterstützt eine genaue Datierung seiner Lektüre der Aristotelischen Werke, wie der Bericht
Schweglers, dass Hegel seit ‘seinen Stiftjahren vorzugsweise Aristoteles’ in ‘der einzigen damals
lesbaren’ ‘Basler Ausgabe’ studiere. Nicolin, Günther Hg.: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 13,
566. Henrich, Dieter: Leutwein über Hegel, HS 3, S. 74. Aus diesem Grunde wird der Vergleich beider
auch häufig nach ihrer inhaltlichen oder begrifflichen Ähnlichkeit angestellt. Über das Verhältnis
zwischen Hegel und Platon siehe Düsing, Klaus: Politische Ethik bei Plato und Hegel, HS 19, S. 95-145.
173
HH, S. 169, 477. HLeben, S. 161.
174
Aristoteles: Metaphysica, 1017b.
172
94
Substanz der Sache” im Sinne ihres Wesens und frei gegenüber der Sache. “In der
Natur” aber “existiert der Begriff nicht als Gedanke in dieser Freiheit, sondern hat
Fleisch und Blut” (VGP II.164-165). Die Ähnlichkeit dieses Satzes mit dem oben
zitierten der Naturphilosophie ist gar nicht zufällig. In der Natur existiert das Einzelne
zwar gemäß seinem Wesen, aber nicht als sein Wesen selbst, weil das Wesen in ihr nicht
als freier Begriff, sondern lediglich als Fleisch und Blut existieren kann. Das Wesen des
Einzelnen ist Aristoteles zufolge das, was (worüber) gesagt wird, dass es an sich ist (ό
λεγεται καθ’ αυτο). Das Ansichsein des und im Einzelnen ist sein Wassein, das im
zeitlichen Wandel unwandelbar ist (το τι εστι, das, was ist). Das Wesen als Wassein
gehört nicht ausschließlich Diesem (τοδε) im Wandel, sondern ist konstantes Was (τι)
aller diesen von gleicher Art, d. i. zeitloses Sein (το ειναι) davon, was in der Zeit war (τι
ην).175 Das Wesen gehört daher nicht der zeitlichen Existenz des Einzelnen, sondern
bestimmt umgekehrt dieses Einzelne eben als ein solches, was je dieses ist (όπερ τοδε τι
εστι), obwohl dieses sich in der Zeit ändert.176 Bei jedem Einzelnen, das in und nach
der Natur ist, fallen also seine einzelne Existenz als je bestimmt und sein allgemeines
Wesen als an sich bestimmend auseinander. Dies entfalten die Jenaer Naturphilosophien
als Trennung zwischen der Einzelheit der Existenz und der Allgemeinheit des Wesens.
Der Grund dafür, dass diese Trennung in der Natur nur weiter besteht, ist nun
selbstverständlich, dass das Wesen beim Einzelnen in der Natur gar nicht als solches
existieren kann. Sogar weil jedes Einzelne füreinander nur als Anderes ist, kann es in
der Beziehung auf das Andere keine Gemeinsamkeit, keine Selbstbeziehung erlangen,
daher auch überhaupt nicht selbst bestimmend mit seinem Allgemeinen sein. Für das
Einzelne kann das Allgemeine oder Wesen nicht in seiner Selbstbeziehung sein, sondern
das Einzelne als anderes wird durch das Wesen nur bestimmt. Deshalb erscheint das
Wesen fürs Einzelne auch nicht als solches, sondern lediglich als Vielheit der anderen
bestimmten Einzelnen. Es fragt sich dann, in welcher Weise das Wesen als solches ohne
Fleisch und Blut existiert. Hegel erklärt hier über die traditionelle Metaphysik hinaus
das Wesen gerade als geistiges. Während das Wesen in Fleisch und Blut oder im
einzelnen Ding realisiert wird, wird es nur in Begriffsform, also als ideelles, als
geistiges ans Licht gebracht. Das, in dem Geistiges als Geistiges ist, ist nichts anderes
175
Das Wesen in der späteren Wesenslehre von der Wissenschaft der Logik als das “zeitlos vergangene
Seyn” dessen, was in seiner vergangenen Zeit gewesen ist, ist die präzise Übersetzung dieses
Aristotelischen Termins, το τι ην ειναι. WL I. 241.
176
Aristoteles: Metaphysica, 1029b-1030a. De Anima, 412a-413a. Über das Aristotelische Wesen und
dessen Bestimmung, Bröcker, Walter: Aristoteles, S. 118-122, 185-200. Düsing, Klaus: Ontologie bei
Aristoteles und Hegel, HS 32, S. 64-76. Vgl. mit Zimmerlis etwas irreführenden Erläuterung der als
Wesen wiedergegebenen ουσια, obzwar Hegel zumeist in seinen philosophiegeschichtlichen Vorlesungen
diese als Substanz liest. Zimmerli, Walter Christoph: Die Frage nach der Philosophie, HSB 12, S. 43-48.
95
als der Geist. Der Geist ist nicht neben der Natur noch eine andere selbständige
Wirklichkeit, sondern das Wesen der Natur und seiner selbst. Er stammt auch vom
Aristotelischen Nous,177 aber ist nicht allein Vermögen, Wesen zu erkennen, sondern
auch das realisierte oder erkannte Wesen selbst. Denn für den Geist existiert das Wesen
als solches. Der Geist erkennt anderes als sein Anderes, bezieht sich auf sich selbst im
Anderen bzw. auf das geistige Wesen des Anderen. Sein Erkennen des Wesens des
Anderen ist Erkennen des Selbst im Anderen, oder seines Wesens in seiner
Selbstbeziehung darin. Während in der Natur ihr Wesen bzw. der Geist nicht in ihrer
Selbstbeziehung, sondern nur “als verborgen, nur als ein andres seiner selbst” existiert
(J I.275), existiert im Geiste das Wesen bzw. der Geist als solcher. In ihm sind Wesen
und Existenz eins. Diese Einheit darf man aber nicht als unmittelbare Einheit des
ideellen Wesens und der reellen Existenz im Geiste des Menschen missdeuten. Wie ein
äußerer Stein nicht im Kopf da sein kann, ist eine solche Einheit Unsinn. Das Wesen hat
einerseits reelle Existenz in einem äußeren Ding und andererseits ideelle Existenz als
geistiges. Ob ein Ding seinem Wesen angemessen realiter existiert oder wahre Einheit
seines Wesens und seiner Existenz ist, ist die Frage nach der ontologischen Wahrheit
dieses Dinges. Die Einheit von Wesen und Existenz im Geiste heißt zunächst nur ideelle
Einheit, d. i. dass das Wesen einfach idealiter als das existiert, was es ist. Ob diese
ideelle Existenz des Wesens gleich der realen Existenz des Dings ist, ist die Frage nach
der epistemologischen Wahrheit des Dinges. Kurz und bündig ist es die Frage, ob der im
Geiste vorhandene Begriff des Dings mit dem Ding selbst übereinstimmt. Und
schließlich, wenn das Wesen des Dings, das nach seinem Wesen realiter existiert, auch
im Geiste idealiter als das existiert, was es ist, oder wenn nach dem Wesen, das im
Geiste idealiter existiert, das Ding selbst realiter existieren gemacht wird, ist die
Wahrheit in Hegels eigentümlichen Sinne erst adäquat. Jener Prozess lässt sich
theoretisch, dieser praktisch nennen. Aber zu achten ist darauf, dass diese Prozesse zwar
im Geiste des Menschen erkennbar und durchführbar sind, aber über den Geist des
Menschen hinausgehen, zumindest insofern der Mensch nur Adressat und Nutzer des
Wesens ist. Die Einheit des Wesens und der Existenz im Geiste, der das Wesen der
Natur und seiner selbst ist, impliziert also, wie bereits mehrmals erklärt, auch die
Verhältnisweise des Absoluten zum Endlichen. Weil das Wesen vom Absoluten her
geistig und ideell als solches existieren kann und weil die ideelle Existenz des
wesentlichen Begriffs im Geiste Erkenntnis ist, ist es vom endlichen Geiste erkennbar,
und diese Erkenntnis ist eben Selbsterkenntnis des absoluten Geistes im Endlichen.
Das fünfzehnte Fragment des ersten Systementwurfs führt den Übergang von der Natur
177
Fulda, Hans Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, S. 173-175.
96
zum Geist als Übergang von der animalischen Empfindung zum Bewusstsein aus. Das
Kernmoment des Übergangs ist die Krankheit des Tiers. Die Krankheit ist der Zustand,
in dem die Flüssigkeit der unendlichen Elemente im tierischen Individuum
Selbstständigkeit gewinnt und sich der Individualität bemächtigt. Die unendlichen
Elemente in der Jenaer Naturphilosophie sind eine Art Erscheinungsgestalt des Wesens
in der Natur, und deren Flüssigkeit ist eine natürliche Eigenschaft, durch die die
Allgemeinheit des Wesens verwirklicht wird.178 Auch hier existiert das Wesen in der
Natur nur als Einzelnes und setzt sich lediglich als deren Wassein oder als deren
Eigenschaft durch. Die Flüssigkeit als Träger der wesentlichen Allgemeinheit verbreitet
sich bei der Krankheit ins ganze Individuum, dadurch fängt die “Befreyung von der
Einzelnheit” an (J I.261). Diese Befreiung ist sowohl die Befreiung von der Einzelheit
des Tiers als auch von der Einzelheit der Empfindung desselben. Das animalische
Empfinden ist in erster Linie die jeweilige Empfindung des Magens, Tastsinnes, Augens
u. s. w. nach der Begierde. Aber das Tier, das in der Krankheit seine Einzelheit verliert,
nimmt nicht eine vom Organ abhängige, einzelne Empfindung auf, sondern fühlt seine
ganze kranke Individualität selbst und wird “ganz zur Empfindung” (J I.241). D. h. das
Tier als vergehendes empfindet sich als ganzes, durch diese Empfindung unterscheidet
es sich ferner von der es gänzlich überwältigenden Flüssigkeit. Die Einzelheit seines
Empfindens geht in die “Krankheit, als das fürsichseyn des flüssigen” (J I.262) verloren,
und seine Empfindung bezieht sich über die Einzelheit hinaus auf das Flüssige selbst.
Diese Beziehung selbst der verlorengehenden Einzelheit des Empfindens auf die
Allgemeinheit des Flüssigen ist schon die Struktur des Geistes, der in seiner ideellen
Einzelheit Allgemeines existieren lassen kann. Denn das Tier als Einzelnes existiert nun
lediglich in der Beziehung auf die wesentliche Allgemeinheit des Flüssigen. Aber diese
Existenz des Tiers besagt nur “das Werden des Geistes”, nicht die erlangte Stufe des
Geistes. Mit “der Krankheit überschreitet das Thier die Gräntze seiner Natur” als reelle
Einzelheit seiner Existenz zur allgemeinen Flüssigkeit, die sich aber ihrerseits durch die
Überwältigung der Einzelheit isoliert, also “absolut nur als Eins nicht ihre
Allgemeinheit und Leben” behalten kann (J I.259). Die Allgemeinheit als absolutes Eins,
das von der Einzelheit isoliert ist, ist nicht mehr allgemein und lebend, weil es nichts
gibt, was ohne Moment der Einzelheit existieren kann. Ebenso kann das Tier, das nur
durch die gegensätzliche Einheit des Flüssigen in seiner Einzelheit als Eins existiert,
178
Dieser Flüssigkeitsbegriff entspricht Jacob zufolge ‘einer allgemeinen Vorstellung der sich
durchsetzenden und den leiblichen Organismus im „Flüssigen“ haltenden Lebenskraft der Medizin’ der
damaligen Zeit. Jacob, Wolfgang: Der Krankheitsbegriff in der Dialektik von Natur und Geist bei Hegel,
HSB 11, S. 169. D. h. die Flüssigkeit ist Wesen als Lebenskraft, die sich im Individuum verkörpert und
dieses organisch belebt.
97
“die fixirte Allgemeinheit der Krankheit” in seiner ganzen Existenz nicht aushalten (J
I.262). Daher ist “das Werden des Geistes” de facto letztlich das, was “nur mit dem
Tode enden kann” (J I.259). Der Tod des Tiers ergibt sich im Grunde genommen daraus,
dass es lediglich im unendlichen reellen Gegensatz gegen das Flüssige besteht und den
Gegensatz aber nicht als seine ideelle Beziehung bei ihm haben kann, weil es
“vollkommene” “Individualisierung” und Organisierung seiner selbst und aller seiner
Glieder zum Prinzip hat (J I.204-205). Der reelle Gegensatz lässt sich nur durch die
Vernichtung eines Relatums beenden. Die Einverleibung des Flüssigen in die tierische
Einzelheit im vernichtenden Gegensatz ermöglicht das Leben des Tiers, und die
Beherrschung seiner Einzelheit durch die Flüssigkeit bringt nur seinen Tod mit sich, der
ihm überhaupt nicht anders als zwangsläufig gegeben wird. Dagegen ist der Geist so
allgemein, dass er die Flüssigkeit und die Einzelheit als ideelle Relata bei ihm bestehen
lassen kann. Das geistige Individuum hat diese “Allgemeinheit des Geistes” (J I.262263), in der der reelle Gegensatz als die Beziehung der “Idealitäten” aufgehoben ist und
zur “Einheit der Allgemeinheit und der Unendlichkeit” getrieben wird (J I.265). D. h.
die Allgemeinheit des Wesens, die auf dieser Stufe der Natur als die Flüssigkeit
erscheint, und die Unendlichkeit desselben, die sich als unendliche einzelne Elemente
verkörpert, werden im Geiste durch die theoretische und praktische Aufhebung der
Einzelheit in die Allgemeinheit zur wahren Einheit beider gelangen. Weil das Tier die
ideelle Beziehung nur durch die Empfindung bei der Krankheit vorläufig erreicht, ist
seine Krankheit als der Geburtsort des Geistes zu typisieren, wo es aber nicht umhin
kann zu sterben. Dagegen beschreibt Hegel bereits im Naturrechtsaufsatz, wie später zu
beleuchten,179 den Tod des geistigen Seienden bzw. des Menschen als eine “Fähigkeit”,
die in allen geistigen Handlungen des Setzens seiner Einzelheit in die aufhebende
Beziehung auf die Allgemeinheit auftritt (JKS 448).
Der erste Systementwurf scheint für das Werden des Geistes eine Vorstufe
vorauszusetzen, auf der die Empfindung des Tiers bereits “in Bewußtseyn
übergegangen” ist (J I.262). Wegen der Eigenschaft der Empfindung als Bewusstsein sei
im Zustand der Krankheit die ideelle Beziehung des Einzelnen auf die Allgemeinheit
des Flüssigen möglich, und diese Beziehung bedeute gerade das Werden des Geistes.
Aber der dritte Entwurf erklärt anscheinend ohne solche Vorstufe den Tod des Tiers
wegen der Krankheit als das “werden des Bewußtseyns”, nicht des Geistes (J III.172).
Und während das vierzehnte Fragment des ersten Entwurfs in der Notiz am Rand
erwähnt, dass die Krankheit “den Übergang zur Vernunft” macht (J I.241), kommt die
Vernunft im dritten Entwurf erst im ersten Abschnitt der Geistesphilosophie zum
179
Siehe S. 196.
98
Vorschein. Zum konsequenten Verstehen ist aufzumerken auf zwei Punkte. Zunächst
stellt Hegel jede Stufe der Naturphilosophie immer unter Unterscheidung zwischen
idealem und realem Prozess dar. Weil für die Natur oder deren Einzelne das Wesen nicht
idealiter vorhanden ist, gehört jener ideale Prozess von den wesentlichen Verhältnissen
zur Reflexion von uns, oder dem Philosophen bzw. Hegel. Dagegen ist der reale Prozess
in der Naturphilosophie für jeden Gegenstand und von jedem Gegenstand durchführbar.
Auf dieser Seite kann allerdings auch oder muss es ab und zu unterschieden werden, ob
das, was ein Gegenstand an sich ist, auch für ihn ist, z. B. ob das Grüne am Baum auch
für ihn selbst nötig ist. Diese Unterscheidung von Gesichtspunkten für uns und für den
Gegenstand ist in Hegels ganzer Philosophie von großer Bedeutung,180 weil sie eben
das begriffliche Erkennen auf der Basis des Realismus ermöglicht. Sie entspricht
weiterhin im zweiten Entwurf der Unterscheidung zwischen dem Geist “für uns” und
“für ihn” [sic. den Geist] bzw. “für sich” in der Metaphysik der Subjektivität (J II.172,
177), die den absoluten Geist thematisiert, und zwischen “Natur für uns” und “für sich
selbst” am Anfang der Naturphilosophie (J II.179, 181), und in der Geistesphilosophie
des dritten Entwurfs zwischen “für uns” und “für ihn [sic. den Geist] als Bewußtseyn”
(J III.186). 181 Sie lässt sich auch durch die folgende Erwähnung in der
Geistesphilosophie des ersten Entwurfs bestätigen; “Bisher in der Natur, worin der Geist
nicht als solcher existirt, sind wir in unserem Erkennen der existirende Geist” (J I.275).
Die Unterscheidung wird weiterhin so konsequent beachtet, dass sie als Prinzip der
Hegelschen Philosophie aufgestellt werden kann. Sie ist notwendig vor allem aufgrund
von Hegels eigentümlichem Standpunkt der Wahrheit. Das, was von und für uns erkannt
180
Die Unterscheidung entspricht auch Jaeschkes Unterscheidung zwischen ‘äußerlicher’ und
‘immanenter Reflexion’. Ihm zufolge kommt die logische Notwendigkeit der Entwicklung der
Bestimmungen bei Hegel zuerst zwar bis in die ersten zwei Jenaer Systementwürfe noch jener dem
System äußerlicher und mentaler Reflexion von uns zu, jedoch gewinne dieser immanente und logische
‘Reflexionsbegriff bereits’ im ersten Entwurf ‘eine theoretische Bestimmtheit’, und schon im zweiten
Entwurf sei die Dualität der Reflexion ‘erstmals’ von Hegel bewusst als das ‘Methodenproblem’
aufgeworfen worden. Daher sei die vorige ‘Funktion des Bestimmens’ durch unsere Reflexion nun hier
‘zur eigenen Reflexion der Kategorien geworden’. Demnach werde unsere äußerliche Reflexion immer
mehr eingeschränkt nur auf die Funktion der ‘rückblickenden Erläuterung’, der antizipierenden
Vermittlung zwischen ‘der immanenten Explikation der Denkbestimmungen’ und dem dieser
Entwicklung zusehenden, ‘subjektiven Bewußtsein’, daher zu einem systemäußerlichen und
‘wissenschaftlich gleichgültigen’ und insbesondere in der Wissenschaft der Logik nicht mehr gültigen
Explikativ abgewertet, indem sich die von Hegel angesetzte ‘eigene Negativität des Begriffs’ als die
immanente Reflexion desselben entfalten könne. Aus dieser Betrachtung des dualen Reflexionsbegriffs
Hegels, die einen raffinierten Ausblick auf seine Systemmethode gibt, lässt sich auch erkennen, dass die
endgültige Reflexion bei Hegel als die immanente ein ontologischer Entwicklungsbegriff des
wissenschaftlich untersuchten Gegenstandes selbst, d. i. des Seienden selbst ist. Jaeschke, Walter:
Äußerliche Reflexion und immanente Reflexion, HS 13, S. 85-117.
181
Dagegen fehlt Fichte und Schelling in früher Zeit der Standpunkt des, besonders äußeren,
Gegenstandes der Betrachtung für sich. Fichte: Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, S. 454-456.
Schelling: Ideen zu einer Philosophie der Natur 1797, S. 353-354 (29-30).
99
ist, ist noch lediglich Halbwahrheit, bis seine reale Existenz am und für den Gegenstand
bestätigt wird. Dass die animalische Empfindung als “der ideale Proceß” (J I.241) für
uns bereits Bewusstsein ist, ist eine ganz andere Sache als die Frage, ob das
Bewusstsein für das Tier realiter vorhanden bzw. das Tier also realiter ein bewusstes
Seiendes sei. Alle Begriffe mit Einschluss des Wortes, “Empfindung”, mit denen die
Natur in Erwägung gezogen wird, gehören de facto uns, und die Empfindung ist als der
reale Prozess einfach nur jede einzelne Handlung des Tiers, wie Tasten, Kosten, Riechen
u. a. Diese Empfindung wird durch unsere Reflexion auf die animalische Organisation
“als System der Sinne” betrachtet, die einzelnes Empfinden möglich machen (J I.208,
246). Und weil jedes Empfundene selbst in einem gewissen Maße allgemein ist, ist das
System der Sinne “das allgemein werden des Individuums als eines solchen” (J I.246).
Um als ein Beispiel das Gesicht im ersten Entwurf anzuführen, hört “das empfundene
Blau” auf, “diß Blau zu seyn”, das einem Ding angehört, und wird “unmittelbar Farbe”
als das Blau selbst, d. i. “an ihm [sic. dem Tier] selbst ein allgemeines” (J I.262). Denn
das “Gesicht hat es mit nichts körperlichem als solchem, mit seiner reinen Idealität d. i.
als aüsserer Gestalt” zu tun (J I.236); deshalb ist dies empfundene Blau nicht mehr dies
blaue Ding, sondern die ideale Form (ειδος) des Dings als Farbe.182 Also können auch
alle anderen blauen Dinge vom Gesicht als blau empfunden werden. Das Blau als Farbe
wird ferner anderen Farben entgegengesetzt und bildet die Einheit der
entgegengesetzten Farben gemäß jedem empfundenen Ding, das vielfältige Farben hat.
Im Gesicht sind alle Dinge also als ihre idealen Formen der Farben vorhanden, d. h. wie
sie beschaffen sind. In diesem Hinblick ist der Sinn selbst identisch mit dem
Gegenstand der Empfindung. Der dritte Entwurf nennt aus diesem Grunde das Gesicht
schlechthin den “Sinn der Wirklichkeit” (J III.168). Es ist nicht anders beim Gehör.
Nach dem dritten Entwurf hört auch der Gegenstand des Sinnes sogar auf, “ein Ding zu
seyn”, und “das reine, ideelle Selbst” wird vernommen (J III.169). Denn das Gehör setzt
nicht immer die Anwesenheit des tönenden Dings voraus, und was hier gehört wird, ist
das Selbst, das den ideellen Ton empfängt. In diesen Empfindungen ist ein einzelnes
182
Diese Betrachtung des Farbenphänomens stünde nicht ohne Bezug auf die Farbenlehre Goethes, der
die ästhetischen Regeln und Gesetze der Malerei auf die vom künstlerischen Subjekt erkannten,
naturphilosophischen Gesetze der Farben gründen wollte. J I., Anhang, S. 351. HH, S. 41, 47, 285-286.
Auch bei Hegel, aber in eigentümlicher Weise, werden Phänomene von Gesicht und auch Gehör als den
abstrakt ideellen Sinnen später in den Vorlesungen über die Ästhetik zum Grundstein der ersten zwei
Formen der modernen romantischen Künste, d. i. der Malerei und der Musik, vor der begriffliche und
sprachliche Medien benötigenden Poesie. Insbesondere über den selbstständigen Status der Farbe in der
Malerei und über das realistische Konzept der Kunst als ‘Darstellung des sittlichen Weltzustandes selbst’
und historisches ‘Selbstverständnis einer Nation’ bei Hegel gegenüber Goethe und anderen, Collenberg,
Bernadette: Hegels Konzeption des Kolorits in den Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst,
HS 34, S. 91-164.
100
Ding durch seine ideale Form als allgemeines auf das Subjekt bezogen. Das einzelne
Subjekt bezieht idealiter sich auf die allgemeine Beschaffenheit, die die eidetische
Gestalt jedes einzelnen Gegenstandes konstruiert. Diese Beziehung zwischen der
Einzelheit und Allgemeinheit in der Empfindung ist bereits die Struktur des
Bewusstseins, in dem Sinne, dass sie im Wesentlichen die ideale Beziehung des
Subjekts in der Bezüglichkeit auf den realen Gegenstand ist. Unsere Reflexion auf die
animalische Empfindung ist schon zum Bewusstsein gelangt. Die Empfindung ist
deshalb Hegel zufolge “in Bewußtseyn übergegangen, und das Thier wird vernünftig” (J
I.262), weil sie nach ihrem Wesen die Struktur des Bewusstseins hat. Dies aber besagt
freilich weder, dass die Empfindung nichts anderes als das Bewusstsein, noch, dass das
Tier realiter bewusstes, vernünftiges Seiendes ist. Denn das Empfinden des Tiers selbst
kann nicht der Einzelheit oder Einmaligkeit entweichen, wiederholt sich nur in der
empirischen Unendlichkeit. Auch das Empfundene als ideales Allgemeines bleibt streng
genommen nicht im Selbst des Subjekts, sondern im Sinn bzw. Organ der Empfindung
bestehen. Die Empfindung als Bewusstsein wird lediglich durch unsere Reflexion als
bereits übergegangen enthüllt.183 Dann steht das Tier im Werden zur Vernunft. Dies
alles ist der ideale Prozess. Und als das reale Phänomen des Übergehens von der
Empfindung zum Bewusstsein am besten zu typisieren ist in Hegels Augen eben die
Krankheit des Tiers, weil hier die ideale Beziehung der sogar sich selbst zum
Gegenstand habenden Empfindung, aber bis zum völligen Aufheben des einzelnen
Selbst fortwährt. Bei der Krankheit hat das Tier die Möglichkeit des bewussten
Seienden. Aber diese Möglichkeit kommt zu Ende lediglich mit dem Tod des Tiers, das
nur durch die organische Einheit in seiner Individualität bestehen, daher die es
überwältigende Flüssigkeit nicht aushalten kann. Die Krankheit ist schließlich idealiter
das Werden des Bewusstseins, realiter der Übergang zum Tod.
Zweitens ist darauf Acht zu geben, dass das Werden des Geistes im ersten Entwurf
nichts anderes als das Werden des Bewusstseins im dritten ist, wie der Anfang einer
Blume nicht anderes als der Anfang ihres Keims ist. Besonders die erste
Geistesphilosophie in jenem Entwurf verdeutlicht die Identität beider. “Die erste Form
der Existenz des Geistes, ist das Bewußtseyn überhaupt” (J I.280). Die Einzelheit des
Tiers, die durch die Krankheit realiter vernichtet wird, ist auch zugleich Gegenstand
seiner Empfindung, der in die ideale Beziehung auf die Allgemeinheit der unendlichen
flüssigen Elemente als Erscheinung des Wesens kommt. Die Empfindung als diese
183
Hegels ‘Komposita von „gehen“’, wie hervor-, heraus-, übergehen u. dergl. sind Scheiber zufolge
‘keine Kategorie’, sondern werden als bildliche Ausdrücke ‘nur im Sinne einer didaktischen
Verständnishilfe gebraucht’, um die wesentliche Beziehung der Kategorien zu vergegenwärtigen.
Scheiber, Wolfgang: „Habitus“ als Schlüssel zu Hegels Daseinslogik, HS 20, S. 130-131.
101
ideale Beziehung zwischen der Einzelheit und der Allgemeinheit ist schon Bewusstsein.
Aber dies Bewusstsein ist de facto nicht einmal für das Tier vorhanden, sondern zuerst
lediglich für uns als Begriff. Hegel charakterisiert also das Bewusstsein als den “Begriff
des Einsseyns des Einfachen und der Unendlichkeit”. Das Einfache heißt hier “das
numerische Eins der Einzelnheit”, die das Tier als Individuum realiter besaß und die
nun als ein Glied der idealen Beziehung aufgehoben ist. Und die Unendlichkeit besagt
hier die Allgemeinheit des Wesens, die in der Natur als unendliche Elemente erschien
und nun als ideales Allgemeines existiert. Das Einssein dieser beiden wäre tätiges
Bewusstsein. Das absolute Einssein beider ist nichts anderes als der Geist. Denn der
Geist bezieht sich immer auf sich selbst, auch in der Beziehung zum unendlichen
Anderen, und besteht als Eins, Selbstidentisches weiter. Er ist “absolute Einfachheit
beyder selbst”. Er ist immer ein-fach im mannig-fachen Verhältnis zwischen Einzelheit
und Allgemeinheit. Aber er ist nicht von Beginn an für uns auf die absolute Weise als
Eins. Er ist zuerst auch für uns als Begriff des so gedachten Einsseins. Der “so
bestimmte Begriff des Geistes ist Bewußtseyn” (J I.266). Das Bewusstsein ist die erste
Form, in der er als der Begriff des Einsseins existiert. Der Geist kann nur im Geistigen
unmittelbar existieren. Das Bewusstsein ist die geistige Entität, bei der das Einssein des
Geistes zum ersten Mal als Begriff erreicht ist. Im Bewusstsein fängt der Geist zum
ersten Mal an zu existieren. Wenn die Krankheit des Tiers daher sowohl das Werden des
Geistes als auch des Bewusstseins ist, dann handelt es sich nun darum, wie sich das
Bewusstsein, das anfangs für uns als Begriff ist, für sich bis zur absoluten Einheit des
Geistes entwickelt. Dies ist nichts anderes als die ‘Rekonstruktion’184 des Absoluten als
Geistes durch das Bewusstsein, die bereits die Differenzschrift als Aufgabe der
Philosophie aufstellte.
3.4. Einführung in die Bewusstseinslehre
Damit ist über den Eingang zur Geistesphilosophie hinaus nun die Bewusstseinslehre
betreten. In den Jenaer Systementwürfen hat sie mehrere wichtige Spezifika. Zum ersten
wird sie nur in der Geistesphilosophie des ersten Entwurfs als Thema namentlich
behandelt. Hier entwickelt sich das Bewusstsein durch drei Potenzen je zum
theoretischen, praktischen und totalen Bewusstsein. Dagegen beginnt die zweite
Geistesphilosophie des dritten Entwurfs nicht mit der Analyse des Bewusstseins,
sondern scheint das analysierte Bewusstsein vorauszusetzen. Diese Geistesphilosophie
behandelt nicht Stufen des Bewusstseins als der ersten Existenzform des Geistes,
184
HH, S. 112.
102
sondern Stufen des Geistes nach seinem Begriff. Aber weil der Begriff des Geistes die
Form seiner Existenz ist, sind seine Stufen nach dieser Form subjektive Gestalten, in
denen er existiert. Deshalb haben seine Gestalten auch Formen vom Bewusstsein bis
zum Selbstbewusstsein. Die Gestalten des Geistes entwickeln sich im Abschnitt
“Intelligenz” der zweiten Geistesphilosophie theoretisch als Anschauung, Verstand und
Vernunft, im Abschnitt, “Wille” praktisch als Trieb, Arbeit, Liebe und Anerkennung.
Jene theoretischen Gestalten entsprechen dem theoretischen Bewusstsein in der ersten
Geistesphilosophie, und diese praktischen umfassen in sich das praktische und totale
Bewusstsein in der ersten Geistesphilosophie. Aber in der zweiten Geistesphilosophie
wird das Bewusstsein nicht unmittelbar hervorgehoben, sondern nur als formelles
Relatum der Gestalten des Geistes erwähnt.
Darüber hinaus ist die Bewusstseinslehre in den Jenaer Geistesphilosophien, wie schon
gesagt, überhaupt keine Erkenntnistheorie im geistesphänomenologischen Sinne. Die
Epistemologie des Bewusstseins muss die Erfahrung desselben zum Gegenstand der
Darstellung haben. Aber die erste Geistesphilosophie verweist nur auf die Schranke des
empirischen Bewusstseins, entfaltet nicht dessen Erfahrung. Demnach setzt das
empirische Bewusstsein “dasjenige dessen es sich bewußt ist” “nicht als sichgleiches”,
deshalb hebt es zwar seinen Gegenstand auf, aber es muss “an die Stelle des andern ein
andres, ihm ungleiches treten lassen”, insofern es nur in Entgegensetzung gegen anderes
ein Bewusstsein sein kann. Aus “dieser empirischen aüsserlichen Unendlichkeit, welche
das Anders ihrer selbst immer ausser sich hat”, muss es sich herausziehen und als
“absolutes Bewußtseyn” “die positive Gleichheit” mit seinem Anderssein erlangen (J
I.274). Dieses Bewusstsein, das durch die Reflexion auf seine Erfahrung Gleichheit
oder Identität mit seinem Anderssein erreicht, ist hier gerade Fokus der Darstellung. Es
ist, in der geistesphänomenologischen Terminologie gesagt, Bewusstsein, das bereits auf
seine Erfahrung als des natürlichen Bewusstseins reflektiert hat. “Sein Seyn ist zuerst,
wie es in sich selbst die Reflexion setzt, die bisher die unsrige war, daß es die Idealität
der Natur ist”. Die Phänomenologie des Geistes stellt zum einen das dar, was das
Bewusstsein erfährt, und zum anderen, welches und wie das Wesen seiner Erfahrung
nicht allein für uns, sondern auch für es erlangt wird. Unter diesem letzteren Aspekt ist
das Bewusstsein auch Vermögen wie unsere Reflexion, für sich selbst zu reflektieren.
Nur mit dem Bewusstsein unter diesem Aspekt haben die Jenaer Geistesphilosophien zu
tun. Hier zu überlegen ist also, ob das, was unsere Reflexion auf das Bewusstsein ist,
auch von ihm selbst errungen wird und für es selbst existiert. Für es wird die Idealität
der Natur als seines Andersseins eben als seine Idealität erfasst, dadurch die Identität
beider gewonnen. Allerdings die Beziehung des Bewusstseins an sich auf die Natur ist
103
am Anfang negativ, weil die Natur lediglich als Einzelne existiert, während die
Existenzweise des Bewusstseins “ein allgemeines der Natur” ist (J I.276). Die negative
Beziehung, in der das Bewusstsein der Natur als seinem Ungleichen nur entgegensteht,
nennt die zweite Geistesphilosophie eben die “Erfahrung des Bewußtseyns”. Diese
Redewendung, die bei der Erklärung des Verhältnisses zwischen Ding und Verstand
zum ersten Mal auftaucht, ist aber ebenfalls hier keine Hauptsache. Vielmehr ist darauf
Nachdruck gelegt, dass ein einfaches Verstehen und Einsehen eines Dings, das nur in
der negativen Beziehung vollzogen wird, “der Unterschied, nicht im Dinge, sondern des
Dinges gegen den Verstand” ist und dass der Unterschied in diesem Gegensatz also
lediglich der Erfahrung des Bewusstseins gehört, die Identität beider jedoch nicht
erreicht (J III.196). D. h. das Ding, das erfahren wird, ist nur im Gegensatz zum
Verstand, daher nur für den entgegenstehenden Verstand unterschiedlich. Der
Unterschied des Dings ist nicht für es und in ihm, sondern völlig abhängig vom
entgegenstehenden Verstand. Aus diesem Grunde muss ein einzelnes Ding, das dem
allgemeinen Begriff des Verstandes nicht angemessen ist, durch ein anderes ins
Unendliche ersetzt werden. Aber das Bewusstsein als ein Allgemeines der Natur
existiert zugleich immer lediglich “als bezogen auf die Natur selbst innerhalb” der
negativen Beziehung auf dieselbe (J I.276). Sein Allgemeines als des sich
Bewusstseienden geht immer das einzelne Ding an, dessen es sich bewusst ist. Das
einzelne Ding kommt immer innerhalb des Bewusstseins lediglich im Zusammenhang
mit seinem Allgemeinen ans Licht, und das Allgemeine des Bewusstseins setzt die
Dinglichkeit des einzelnen Dings zusammen. Das Bewusstsein ist daher immer die
Beziehung zwischen Allgemeinheit und Einzelheit. Diese Beziehung ist zweifach.
Einerseits, insofern das Allgemeine dem sich Bewusstseienden als dem einzelnen
Subjekt gehört, ist sie die Beziehung des Bewusstseins selbst. Insofern das Allgemeine
auf der anderen Seite als die Dinglichkeit dem einzelnen Ding gehört, ist sie die
Beziehung des einzelnen Dings selbst. Diese zwei Beziehungen entsprechen sich
einander je nach der Reflexion. Eben deshalb erklärt die zweite Geistesphilosophie in
Bezug auf das Verhältnis zwischen Ding und Verstand, dass die negative Beziehung
beider selbst für jedes die “an sich selbst negative Beziehung”, und der Unterschied
zwischen Allgemeinem und Einzelnem zugleich “Unterschied im Dinge” und “im
Selbst” ist (J III.196). Auch deshalb stellt die zweite Geistesphilosophie begriffliche
Verhältnisse des Geistes selbst, nicht des Bewusstseins in den Mittelpunkt der
Darstellung, um nicht das ‘Verhältnis zu Anderem’, sondern ein bereits durch Reflexion
erlangtes ‘Selbstverhältnis’ hervorzuheben.185 Die Jenaer Bewusstseinslehre, die auf
185
HH, S. 170.
104
diese Weise in einem fort die Identität des Bewusstseins und des Gegenstandes oder des
Selbst und des Dings u. a. erlangt, ist nicht phänomenologisch, sondern als Logik der
Phänomenologie zu benennen.
Drittens und nicht zuletzt ist zu unterstreichen, dass das Bewusstsein in den Jenaer
Geistesphilosophien, das in sich die Reflexion setzt, auf seiner Spitze das Subjekt der
Sittlichkeit ist. Die Jenaer Bewusstseinslehre ist ‘eine bewußtseinstheoretische
Ableitung’ des Gegenstandes der praktischen Philosophie, die sich als ‘Philosophie des
Sittlichen’ versteht, während die in der Jenaer Frühzeit geschriebenen Schriften, das
System der Sittlichkeit und der Naturrechtsaufsatz, ‘die absolute Sittlichkeit als
philosophischen Gegenstand einfach’ voraussetzen. 186 Sie ist zwar nicht schon
unmittelbarer Systemteil der Sittlichkeit, aber sie spielt die Rolle des theoretischen
Grundsteins des Systems. In diesem Sinn gehört sie als ins System einleitende dem
System selbst. Ohne sie wären sittliche Kategorien wie Familie, Recht als anerkennende
Beziehung der Person, u. a. grundlos. Das Bewusstsein als die erste Existenzform des
Geistes wird zuerst nach seinem Begriffe betrachtet, wie es sich bis zum wirklichen
Geist, d. i. zum absoluten Bewusstsein organisiert. Seine Selbstorganisation ist also
keine Entfaltung des empirischen Bewusstseins, “wie es im Gegensatze erscheint, als
subjectives und objectives” (J I.290). Sondern, indem das Bewusstsein überhaupt, wie
der Geist, “seinem Begriffe nach als absolutes Einsseyn der Einzelnheit und des
bestimmten Begriffs” in seiner Gegenstandsbezogenheit ist, wird es betrachtet, “wie es
absolut für sich ist, und sich für sich organisirt”. Und auch “seine organisirenden
Momente” werden gleichfalls betrachtet, “wie sie für sich als Momente des absoluten
Bewußtseyns sind” (J I.271-272). Dafür hat es drei Momente seiner Existenz. D. h. als
Beziehung zwischen Allgemeinheit und Einzelheit existiert es in drei Hinsichten. Zum
ersten existiert es “als ideales”, weil es die Idealität oder der bestimmte Begriff davon
ist, dessen es sich bewusst ist, d. i. von seinem Gegenstand. Dementsprechend ist ein
anderes Moment seine einzelne Existenz als das sich Bewusstseiende, als Subjekt des
Bewusstseins, als Selbst. Dies ergibt sich daraus, dass es sich im Gegensatz zu seinem
Gegenstand in “einer Einzelnheit” “versenkt, sich hierin befestigt”. Zuletzt hat es eine
vereinzelte Existenz, die selbst “als eine allgemeine” Existenz von seinem Gegenstand
gesetzt ist. Es ist in der Hinsicht dieser Totalität die Einheit der Einzelheit und des
bestimmten Begriffs und “absolut frey für sich” (J I.277). Aber diese Einheit selbst ist
bekanntermaßen zu Beginn noch nur der oben genannte, bestimmte Begriff des Geistes,
daher noch nur für uns vorhanden. Wenn sie lediglich in unsere Reflexion fiele, würde
186
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 139. S. Horstmann, Rolf-Peter: Über die
Rolle der bürgerlichen Gesellschaft in Hegels politischer Philosophie MR, S. 290-291.
105
der Geist, wie in der Natur, noch immer verborgen bleiben. Aber im Bereich des Geistes
muss unser Erkennen auch “als ein Erkennen des Geistes selbst erkannt werden” (J
I.275). Sonst könnte der Geist nicht für sich sein, sondern er wäre abhängig vom
Anderen. Ebenso muss die Einheit für das Bewusstsein als die erste Existenz des
Geistes vorhanden sein. Das Bewusstsein selbst muss reflektierend sein, um dadurch die
Einheit als sich selbst zu setzen. Es hat bereits Vermögen dafür, kann sich daher zur
absoluten Einheit organisieren. Auf jeder Stufe existiert es als eine jeweilige Einheit, in
dem Maße, dass es den bestimmten Begriff jedes seiner Gegenstände als sich gleiches
reflektiert. Seine Existenz als eine jeweilige Einheit bezeichnet Hegel als “eine Mitte”,
in der es in der vereinzelten Existenz eins mit der Allgemeinheit des bestimmten
Begriffs ist. Die Mitte ist nicht nur eine theoretische Beziehung, in der die Einheit ideell
im Bewusstsein gesetzt wird, sondern auch eine praktische, “in welcher die
entgegengesetzten des Bewußtseyns als reelle [sich] beziehen” (J I.277). Damit wird die
Einheit im Hegelschen Sinne der Wahrheit als wahr erwiesen. Das Bewusstsein erkennt
in der Mitte theoretisch die Einheit seiner Einzelheit mit der Allgemeinheit des
gegenständlichen Begriffs und bestätigt praktisch durch Prüfung oder Realisierung
seines Begriffs im Gegenstand, ob diese Einheit auch als die Einheit der Einzelheit des
Gegenstandes mit dessen begrifflicher Allgemeinheit, also für ihn vorhanden ist. D. h.
es bezieht praktisch seinen theoretisch erhaltenen Begriff von dem, dessen es sich
bewusst ist, auf diesen Gegenstand selbst. Die dadurch bestätigte, reale Einheit erlangt
es als gleiches mit seiner Einzelheit, die mit dem Gegenstand idealiter, d. i. mit dessen
Begriff vereint ist. In diesem Hinblick existiert es zweifach, d. i. zuerst als Einzelnes,
das sich des Gegenstandes bewusst ist, dann als absolut Einzelnes, das der realen
Einheit des Gegenstandes adäquat ist. Es als Einzelnes wird sich auf diese Weise durch
seine Mitten “zur absoluten Einzelnheit erheben, diese als solche zur Totalität erheben”.
Die Totalität des Bewusstseins ist die Stufe, auf der seine Einzelheit in seiner ganzen
Existenz absolut eins mit der Allgemeinheit ist. Das Bewusstsein, das zu dieser Totalität
gelangt ist, ist nichts anderes als die Realisierung des Begriffs des Geistes. Das totale
Bewusstsein ist eben der wirkliche Geist, d. i. der Geist, der wirklich erkennt und
handelt. Es existiert nach seiner Totalität realiter zuerst als Individuum, später als “ein
grosses allgemeines Individuum” bzw. “als der Geist eines Volkes” (J I.270), der in ‘der
sittlichen Totalität aufgeht’.187 Das Bewusstsein auf dieser Spitze ist daher vor allem als
das sittliche Subjekt zu verstehen. Weil es als Einzelnes immer allgemein erkennt und
handelt, weil seiner einzelnen Tätigkeit immer das Moment der Realisierung des
Allgemeinen in der Wirklichkeit immanent ist, ist es sittlich. Hegel stellt in der ersten
187
Bobbio, Norberto: Hegel und die Naturrechtslehre MR, S. 85.
106
Geistesphilosophie gerade die Entwicklung zu diesem Bewusstsein stufenweise als
theoretisches, praktisches und totales dar. Das Bewusstsein tritt jeweils hier als Mitte
der Potenzen von Sprache, Werkzeug und Familiengut auf, die jeweils seinem Einssein
als Gedächtnis, Arbeit und Familie entsprechen. Aber insofern es als die potenzielle
Mitte, daher nach seinem wesentlichen Vermögen, seine realen Tätigkeiten und
Produkte zu ermöglichen, dargestellt wird, ist es noch nicht wirkliches, sondern
elementar analysiertes Bewusstsein. Die Bewusstseinslehre ist daher mit einem Wort die
Elementarlehre des sittlichen Subjekts zu nennen. Das Bewusstsein geht auf der Stufe
der Familie, wo es “zur Totalität der Einzelnheit geworden” ist, “zu seiner absoluten
Existenz”, “zur Sittlichkeit” über und wird erst wirkliches Subjekt der Sittlichkeit (J
I.281). Die zweite Geistesphilosophie drückt dies Subjekt deutlich als “die Person” aus,
deren logische Elemente als Intelligenz und Willen analysiert worden sind. “Der Wille
des Einzelnen” als Person ist “der allgemeine, und der Allgemeine ist [der] einzelne”,
und dies ist “Sittlichkeit überhaupt”. Die Person ist der wirkliche Geist, in dem die
Einzelheit und Allgemeinheit sowohl theoretisch als auch praktisch, also seine
Intelligenz und sein Wille vereint sind. Also taucht die Beziehung der Person
unmittelbar als die allgemeine Selbstbestimmung des einzelnen Willens, als “Recht” auf
(J III.222).
Schließlich ist nun das Wesen des Bewusstseins selbst darzulegen, auf dem das
Bewusstsein als die Mitte beruht. Das Bewusstsein ist nach seinem Wesen unmittelbar
“absolute Einheit des Gegensatzes”. Dies besagt, dass das Bewusstsein zuerst im
Gegensatz besteht, und dann, dass es lediglich unter der Bedingung dieses Gegensatzes
die absolute Einheit ist. Der Gegensatz ist in erster Linie Gegensatz zwischen
Bewusstsein und Gegenstand. Er bedeutet daher als Bedingung der Einheit des
Bewusstseins die Gegenstandsbezogenheit desselben. Sehr charakteristisch für das
Bewusstsein ist des Weiteren, dass es den Gegensatz wiederum in sich selbst
widerspiegelt. Das Bewusst-Sein 188 selbst ist der Gegensatz, in dem “das sich
bewußtseyende” und “das, dessen es sich bewußt ist”, bestehen. Aber diese beiden
Glieder in dem Gegensatz sind “wesentlich dasselbe”. Denn das Bewusstsein ist immer
das sich etwas Bewusstseiende und zugleich das in sich Sein von etwas, dessen es sich
bewusst ist. Seine beiden Glieder sind “es selbst”, und “an ihnen” “unmittelbar das
Gegentheil ihrer selbst”. D. h. das sich etwas Bewusstseiende ist das in sich Sein von
etwas, dessen es sich bewusst ist, und umgekehrt. Beide Entgegengesetzte sind im
188
Dieser Ausdruck wolffscher Provenienz kommt von conscientia, Mitwissen her. Hoffmeister,
Johannes Hg.: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, S. 120-121. Mit-Gegenstand-Wissen ist daher
Bewusstsein, Mit-sich-Wissen Gewissen.
107
Bewusstsein schlechthin als aufgehoben vereint. Das Bewusstsein ist “seinem Wesen
nach ebenso das Aufgehobenseyn beyder”, daher unmittelbar “absolute Einheit des
Gegensatzes”. Dies besagt darüber hinaus, dass das Bewusstsein das Anderssein seiner
selbst ist. Das Andere bzw. der Gegenstand für das Bewusstsein ist kein anderes als “das,
dessen es sich im Gegensatz bewusst ist”. Der Gegenstand an sich außerhalb der
Beziehung auf das entgegenstehende Bewusstsein wäre blind. Das Bewusstsein ohne
Bezug auf den Gegenstand wäre leer. Das Andere, dessen es sich bewusst ist, ist das im
Bewusstsein – freilich idealiter – Seiende, in eins mit dem sich Bewusstseienden, daher
das Bewusstsein selbst. Das Bewusstsein ist das Insichsein des Anderen seiner selbst.
Sehr bezeichnend für das Bewusstsein ist auch, dass es als das Anderssein seiner selbst
die Struktur des Anderen selbst in sich widerspiegelt. Jedes Seiende in der Natur ist
Einzelnes, das nach seinem allgemeinen Wesen existiert. Jedes Andere des
Bewusstseins ist daher “eine unmittelbare Einheit der Einzelnheit und der
Allgemeinheit”. Das im Bewusstsein Sein des Anderen ist das ideale Sein desselben
nach seinem allgemeinen Wesen und in eins mit dem sich Bewusstseienden als dem
Einzelnen, daher mit dem Subjekt des Bewusstseins. Das sich des Anderen
Bewusstseiende als Einzelnes ist das in sich allgemein Sein des Anderen, dessen es sich
bewusst ist. Das Bewusstsein selbst ist daher eine unmittelbare Einheit der Einzelheit
und der Allgemeinheit. Das sich Bewusstseiende und das, dessen es sich bewusst ist,
einfach gesagt: das Bewusstsein und der Gegenstand, sind beide diese Einheit.
Deswegen bezieht sich das Bewusstsein in seiner Gegenstandsbezogenheit auf sich
selbst, oder dieser Gegenstandsbezogenheit ist seine Selbstbeziehung immer bereits
logisch immanent. D. h. es kann nicht nur einfach das Allgemeine des Gegenstandes als
diesem einzelnen Gegenstand gehörig erkennen, sondern auch als seiner Einzelheit,
seinem Selbst gehörig, als das Seinige setzen. Dieser Selbstbezüglichkeit halber ist es
nicht nur das Anderssein seiner selbst, d. i. identisch mit seinem Anderen, sondern
ferner mit sich selbst in seinem Anderen. In diesem Sinne ist es frei. Es kann sich frei
auf sein ideales Wesen in allen Anderen beziehen. Das allgemeine Wesen ist als
realisiert in der Einzelheit des natürlichen Dings nicht frei, während es in der Einzelheit
des Bewusstseins idealiter frei ist. Das Bewusstsein kann daher auch praktisch sein
Wesen auf anderes Einzelnes beziehen, wenn sein Wesen als Zweck gesetzt, oder falls
es in der Einzelheit eines natürlichen Dings unvollkommen realisiert ist.
Aber die Einheit oder die Selbstbezüglichkeit des Bewusstseins nach seinem Wesen ist
insofern nicht für es vorhanden, als es, wie das empirische, nur im Gegensatz befangen
ist. Dies Bewusstsein ist immer gespalten in das sich Bewusstseiende und in das, dessen
es bewusst ist. In dieser Spaltung erscheint es “nur auf einer Seite” “als thätiges”. Für
108
das einseitig tätige Bewusstsein ist das, dessen es bewusst ist, immer nur ein anderes,
das es bloß aufhebt oder ersetzt. Daher ist die Einheit des Gegensatzes nicht für die
beiden Entgegengesetzten des Bewusstseins, sondern “nur für einen dritten” (J I.273).
Dieser Dritte kann zwar anfangs unsere Reflexion sein, die den Gegensatz als eine
Einheit erkennt, er kann aber auch dem Bewusstsein selbst gehören, insofern es in sich
die Reflexion setzt. Das ganze Bewusstsein als die Einheit selbst wird am Anfang vom
einseitigen Bewusstsein als dem nur sich Bewusstseienden im Gegensatz nicht mit sich
identifiziert. Es muss dennoch eben dies tätige Bewusstsein im Gegensatz sein, das
dann die Einheit des ganzen Bewusstseins erreichen kann. Es bleibt nichts anderes, als
mit dem Gegensatz zu beginnen, insofern ihn die Einheit des Bewusstseins zur
Bedingung hat. Das Bewusstsein steht vor allem realiter im Gegensatz und ist das
Vermögen des Gegensatzes. Des Weiteren muss mit dem tätigen Bewusstsein im
Gegensatz angefangen werden, weil seine Einheit lediglich durch die Tätigkeit
verwirklicht werden kann. Das tätige Bewusstsein erkennt das Aufgehobensein bzw. das
ideale Sein seines Anderen als sich selbst, hebt damit auch seine entgegengesetzte
Einzelheit auf. Ein solches Selbsterkennen ist gerade darum möglich, weil es nicht
allein in die empirisch unendliche Negation des Anderen gerät, sondern ferner sich diese
Negation selbst entgegensetzen kann. Es wird dadurch von ihm selbst als allgemeines
Relatum der Negation und der negierten Anderen erkannt. Dies bedeutet die Tätigkeit
seiner Reflexion. Das tätige Bewusstsein in dieser Hinsicht nennt Hegel “subjectives
Bewußtseyn”. Eben dies subjektive Bewusstsein bzw. das Bewusstsein als Subjekt hat
die oben erwähnte zweifache Existenz. Es ist nämlich einerseits tätiges Einzelnes im
Gegensatz und wird andererseits zum absolut Einzelnen, das die adäquate Einheit des
Gegensatzes hat. Von der logischen Entwicklung des subjektiven Bewusstseins bis zur
Totalität seiner absoluten Einzelheit handelt die erste Jenaer Geistesphilosophie.
Das Bewusstsein als ein bloßes Glied des Gegensatzes ist tätig und, insofern es die
Tätigkeit in seine Einzelheit reflektiert, subjektiv. Die Reflexion des subjektiven
Bewusstseins, die in den beiden Geistesphilosophien nur erwähnt, nicht genügend
erschöpft ist, basiert in erster Linie auf seinem Vermögen der Entgegensetzung. “Das
Bewußtseyn ist die Idealität der Allgemeinheit und Unendlichkeit des Einfachen in
Form der Entgegensetzung”. Diese andere Definition Hegels erklärt nicht das Wesen
des Bewusstseins als die absolute Einheit, sondern lässt die subjektive Seite desselben
auf dem Weg zu seiner Einheit hervortreten. Daher lässt sich hier auch die Struktur
seiner Reflexion ablesen. Das Bewusstsein ist zunächst das Ein-fache. In seiner
Einfachheit ist keine Unterscheidung, keine Entgegensetzung für es da. Das einfache
Bewusstsein hat aber zwei Seiten. Erstens ist es unterschiedsloses “allgemeines” als
109
ideales. Es hat für sich seinen Inhalt in der idealen Allgemeinheit, aber ohne
Unterschied von dem, dessen es bewusst ist. Zweitens ist es für sich unendlich als
einfaches. Die “Unendlichkeit” seiner Einfachheit ist auch “Idealität”, in dem Sinn, dass
seine Einfachheit realiter nur um seinetwillen unendlich gewollt wird, daher in ihm
lediglich idealiter als unendliches da ist. Das Bewusstsein ohne die ideale Unendlichkeit
seiner Einfachheit könnte nicht weiterhin als ein-faches, als eins bestehen bleiben. Aber
in dieser Idealität, die besagt, dass es für sich als einfaches unendlich sein will und muss,
liegt bereits “seine Entgegensetzung”. D. h. seine ideale Unendlichkeit ist seiner idealen
Allgemeinheit entgegengesetzt. Denn die Allgemeinheit heißt in ihrem ersten Sinne
ideale Gemeinschaft der Mannigfachen, gehört deshalb nicht nur einem Einfachen.
Auch die Unendlichkeit der Einfachheit heißt nur unendliches Einerlei der Einzelheit,
schließt daher die Allgemeinheit aus, die sich auch in Anderen findet. Das Bewusstsein
ist also “die Idealität der Allgemeinheit und Unendlichkeit des Einfachen in Form der
Entgegensetzung”. Die Entgegensetzung seiner beiden Seiten entsteht durch das ideale
Unterscheiden des Bewusstseins von sich selbst in sich. Das Bewusstsein unterscheidet
sich als das unendlich Einfache von sich als dem Allgemeinen, und “die beyden im
Bewußtseyn unterschiedenen” “scheiden sich ab”, stehen einander entgegen. Es ist nicht
mehr das Einfache, sondern sich selbst entgegengesetzt. D. h. es als Einzelnes, als das
sich Bewusstseiende, steht in der Entgegensetzung zu sich als Allgemeinem, das in der
Beziehung auf das Andere besteht, dessen es bewusst ist. Die Einheit beider nach dem
Wesen des Bewusstseins erscheint ihnen in der Entgegensetzung “als eine Mitte
zwischen ihnen, als das Werk beyder, als das dritte”, das aber kein anderes als die
Realisierung bzw. die Entelechie des Bewusstseins selbst als Einheit ist. Das sich
Bewusstseiende nun als das tätige Glied seines Gegensatzes unterscheidet ferner die
“Mitte ebenso von sich, als es sich” von sich als “von dem im Bewußtseyn
unterschiednen unterscheidet”.189 Das sich Bewusstseiende macht nämlich nicht nur die
Mitte, sondern auch sich selbst als tätiges im Gegensatz wiederum zu seinem
189
Von Fichte, der lediglich den Grund der Tätigkeit des Bewusstseins sucht, aber den Grund des
einheitlichen Inhalts desselben und des Gegenstandes vernachlässigt, wird nur die Unterscheidung des
Bewusstseins von sich selbst als Entgegengesetztem, d. i. zuerst dem ‘Bewussten’, dann dem
‘Bewusstseyenden’, aber nicht von sich als Einheit bzw. Mitte in Erwägung gezogen; deshalb wird als
Bedingung des Bewusstseins des Objekts nur ‘das Selbstbewusstsein’ behauptet, in dem ‘Subjektives und
Objektives unzertrennlich vereinigt und absolut eins’ sind. Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der
Wissenschaftslehre, S. 525-530. Deswegen findet sich beim Fichteschen Bewusstsein lediglich seine
Selbstbezüglichkeit, nicht einmal seine Gegenstandesbezogenheit, die vielmehr sogar in der neuen
Darstellung der Wissenschaftslehre, 1801, auf die Selbstreferenzialität des absoluten Wissens angewiesen
ist, in dem absolut Differente, Subjektives und Objektives, absolut vereinigt sind, und was als das
absolute Gefühl im Dienste der Notwendigkeit des freien (menschlichen) Wissens für sich vorausgesetzt
werden soll. Fichte: Darstellung der Wissenschaftslehre, S. 60-68.
110
Gegenstand. Es setzt sich selbst mit einem Wort seine Tätigkeit in der Mitte des
Gegensatzes entgegen und wird zu einem weiteren Relatum des ganzen Gegensatzes
seiner selbst und zur Mitte seiner Entgegengesetzten. Es bezieht seine beiden
Entgegengesetzten auf die Mitte und fasst diese als Ergebnis der Beziehung der ersteren
auf. Die Mitte ist nach unserer Reflexion absolut Allgemeines, das zugleich das sich
Bewusstseiende im Gegensatz als Begriff hat und in dem, dessen es bewusst ist, als
Ding realisiert ist. Nur “in dem Subjecte”, das diesen Gegensatz von sich isoliert und in
sich reflektiert, wird “die absolute Allgemeinheit” selbst “zur Mitte”. Und insofern das
sich Bewusstseiende nicht nur im Gegensatz steht, sondern auch seinen Gegensatz
wiederum für sich vergegenständlicht, ist es eben das Subjekt, das die Einheit seiner
Entgegengesetzten nicht als das Dritte, sondern als Produkt seines Entgegensetzens
selbst, seiner Tätigkeit selbst im Gegensatz reflektiert. Für es ist ihre Einheit nicht mehr
die erscheinende Mitte, sondern seine absolute Allgemeinheit. Es hebt damit seine
Einzelheit in einem Extrem des Gegensatzes auf und erhebt sie zur absoluten Einzelheit.
In dieser Phase stimmt die Reflexion des subjektiven Bewusstseins mit unserer überein.
Weil sich die Jenaer Bewusstseinslehre auf den Standpunkt dieser Reflexion stellt,
beginnt die erste Geistesphilosophie mit der Erläuterung des Wesens des Bewusstseins,
die zweite noch direkter mit der Analyse der intellektuellen Struktur des reflektierten
Bewusstseins. Aber als die Mitte der absoluten Allgemeinheit ist es wiederum “selbst
ein entgegensetztes” gegenüber dem subjektiven Bewusstsein (J I.275). Es existiert
lediglich in der Form der sich erneuernden Entgegensetzung, bis die Allgemeinheit und
die Einzelheit in seiner ganzen Existenz absolut vereint werden. Daher folgt die
Gliederung der Bewusstseinslehre zuerst unserem Erkennen seiner Totalität, nach dem
es in seine Momente eingeteilt wird. Demzufolge wird dargestellt, wie es sich als
absolut Allgemeines an der Realität seiner Momente bis zur Totalität für sich organisiert.
Seine Organisation “an der Realität seiner Momente” ist daher “eine Organisation seiner
Formen als Mitten”, die als Elemente des sittlichen Subjekts zu beschreiben sind (J
I.276).
111
III. Von der Bewusstseinslehre bis zum sittlichen Subjekt
1. Theoretisches Bewusstsein
1.1. Anschauung, und Raum und Zeit
Die erste Stufe der Bewusstseinslehre in der ersten Geistesphilosophie ist das
theoretische Bewusstsein, dessen Organisation unter der Potenz der Sprache der
Betrachtung unterzogen wird. Während Potenzen bei Schelling – ontologisch – ‘die
Gestalten’ sind, die das Absolute als die Einheit des Endlichen und Unendlichen oder als
Indifferenz von Idealität und Realität auf den jeweiligen Stufen seiner Realisierung,
nämlich zumeist der Naturphilosophie, ‘annimmt’, und zugleich – kognitiv –
‘Gedankenformen, in denen jene ontischen Gestalten allein angemessen erfaßt werden
können’,1 sind sie hier – geistesphilosophisch angewendet - Mitten des Bewusstseins,
in denen seine Einheit jeweilig erscheint. Daher enthalten sie trotz der Wortwahl Hegels
nicht eine Anlehnung an die Schellingsche Methode, sondern sie sind Mittel, die Einheit
des Bewusstseins durch die jeweilig ihm erscheinende Mitte zu zeigen. Die Mitten sind
reelle Phänomene seiner Einheit als Sprache, Werkzeug und Besitz bzw. Familiengut;
dementsprechend entfaltet sich sein ideelles Einssein als Gedächtnis, Arbeit und Familie.
Aber weil die Mitten noch nicht wirklich praktizierte Entitäten, sondern
Realisierungsformen sind, die das Bewusstsein gemäß seinem Wesen als Einheit des
Gegensatzes ermöglichen kann, werden sie zuerst von Seiten der Potenzen in Rechnung
gezogen. Denn die Sprache, wie andere, existiert, pointiert gesagt, nie als Sprache des
Individuums, sondern lediglich als Sprache desselben im Volk, also als Sprache des
Volkes. Deshalb tritt diese Kategorie zusammen mit anderen wiederum in der Lehre der
Volksgemeinschaft als wirkliche Tätigkeit auf. Darüber hinaus ist das hier betrachtete
Bewusstsein gar nicht verschieden und getrennt vom praktischen, sondern ein
Bewusstsein, das eigentlich zugleich theoretisch und praktisch ist, wird zunächst von
der ersteren Seite in Betracht gezogen. Diese einmal theoretische, danach praktische
Betrachtung des Bewusstseins könnte den Charakter einer transzendentalen Theorie für
das wirklich sittliche Bewusstsein haben. Aber weil nicht die formalen Bedingungen der
Möglichkeit seiner Tätigkeiten, sondern die Tätigkeiten selbst des sittlichen
Bewusstseins als Realisierungen seiner Einheit logisch betrachtet werden, ist die
Bewusstseinslehre hier als die onto-logische Theorie von der tätigen Struktur des
sittlichen Bewusstseins zu werten.
1
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 74.
112
Der Grund der Priorität der theoretischen Betrachtung besteht darin, dass das
Bewusstsein “als Begriff” “sich unmittelbar aus der Empfindung erhoben” hat. Die reale
Empfindung in der Naturphilosophie wurde durch unser Theorein als bereits die ideelle
Struktur des Bewusstseins habend enthüllt. Das Bewusstsein hat die ideelle Beziehung
der Empfindung eben zu seiner theoretischen Beziehung erhoben, in der es als Begriff
besteht. Diese ins Perfekt gesetzte Hegelsche Wendung beschreibt einen logischen
Zustand, überhaupt kein evolutionistisches Ereignis. Das Bewusstsein ist die erste Stufe,
auf der die Beziehung auf das Andere als Anderes im realen Prozess der Natur durch die
Empfindung zur Beziehung auf das Andere seiner selbst geworden ist. Diese Beziehung
wird zuerst als ideelle Beziehung des Erkennens erlangt, weil durch das Erkennen der
ideellen Eigenschaft des Anderen dieses als dem Subjekt der Beziehung angehörig
gesetzt wird. Das Bewusstsein hat in der kognitiven Beziehung auf das Andere dies
Anderssein idealiter anhaltend an ihm, erkennt deshalb das Andere als Anderes seiner
selbst. Dagegen bleibt die ideelle Empfindung des Tiers von einem Ding nur als “eine
Einzelnheit”, der auch eine andere Empfindung desselben Dinges folgt. D. h. das
Empfundene gehört zwar ebenfalls idealiter dem Empfindenden, allein diese Beziehung
ist immer nur einmalig und einzeln; daher ist das Anderssein, das jeweilig verschieden
empfunden ist, nur “ein anderes ausser” jeder einzelnen Empfindung. Die Empfindung
der Augen ist different von der Empfindung des Geschmacks. Die Identität eines Dings
ist völlig im Ding, das dem Empfindenden ein jeweils anderes ist, und die Identifikation
desselben ist abhängig von jedem Sinnesorgan. Hegel erblickte, dies wurde schon
erklärt, in der tierischen Krankheit den Zustand, in dem die ideelle Beziehung der
einzelnen Empfindung dauert, und typisierte ihn als “Werden zum Bewußtseyn”. Dies
Werden wäre allerdings für die animalische Empfindung selbst als einzelne ein
unendliches Sollen. Doch im bereits gewordenen Bewusstsein ist die Empfindung
geworden “zu einem in sich entgegengesetzten”, “das sein andersseyn an ihm selbst”
hat. D. h. im Bewusstsein besteht die ideelle Beziehung zwischen dem Empfindenden
und dem Empfundenen als die unmittelbare Einheit des Gegensatzes fortwährend. Das
Empfindende im Bewusstsein hat sein Anderssein als das Empfundene an ihm selbst, als
Bestimmtheit, d. i. als “ein allgemeines”, des Weiteren als “Begriff”, der hier noch nicht
sprachliche Bestimmtheit, sondern ideelles Sein des Anderen im Bewusstsein bedeutet.
Auch das bewusst Empfindende, das dies ideelle Sein an ihm hat, ist gleichfalls “ein
allgemeines”, das vereint mit seiner Einzelheit ist. Die einzelne Beziehung der
Empfindung zwischen einzelnem Subjekt und einzelnem Ding ist im Bewusstsein die
dauerhafte Beziehung zwischen den Einzelnen geworden, die selbst als eine allgemeine
Bestimmtheit sind. Die Empfindung selbst, die im realen Prozess unendlich einzeln ist,
113
bleibt im Bewusstsein “ganz in ihrer Bestimmtheit”.
Interessanterweise leitet Hegel daraus seine eigene Definition von Raum und Zeit her.
Ihm zufolge ist die Unendlichkeit der einzelnen Empfindung insofern Raum und Zeit,
als die Empfindung “ganz in ihrer Bestimmtheit” bleibt. Oder insofern die
Unendlichkeit der einzelnen Empfindung getrennt vom realen Prozess und gesetzt in der
unmittelbaren Existenz der Empfindung als Begriffs im Bewusstsein ist, ist diese
“getrennte Unendlichkeit” Raum und Zeit. Diese sind, bündig gesagt, das ideelle
Getrenntsein der Unendlichkeit der realen Einzelnen im Bewusstsein durch die
kognitive Tätigkeit, hier durch die Empfindung oder die Anschauung. Dies ist sicherlich
keine physikalische Definition als unendliche Formen der realen Existenz der Einzelnen
in der Natur. Bei alledem sind sie auch nicht Kantische Formen der Anschauung.
Sondern sie sind eingeführt als für das Bewusstsein bestehend, das immer in der
Gegenstandsbezüglichkeit liegt. Insofern sind sie Formen des Gegenstandes und
zugleich des Bewusstseins. Das Bewusstsein, genauer gesagt, zunächst das empirische,
“schaut nicht Raum und Zeit als solche an”, sondern einzelne Gegenstände darin.
Zugleich damit setzt es Raum und Zeit “als einzelne besonderte”, insofern diese erfüllt
sind mit Gegenständen, deren es sich bewusst ist. Ohne das Setzen des Bewusstseins
sind sie für sich lediglich “allgemeine leere, an sich höhere Idealitäten Begriffe”, deren
Realität nicht erwiesen ist. Die Anschauung des Bewusstseins besagt des Näheren
Folgendes. Erstens schaut es “im Raume das Einzelne als ein bestehendes” neben und
außer einem anderen an und setzt es “zugleich in der Zeit”. Aber das, was in der Zeit ist,
ist de facto “ein vergängliches”, ein “nicht mehr seyendes”, indem und sobald es ist.
Das Bestehen im Raum widerspricht dem Vergehen in der Zeit. Aber das, was als
bestehend im Raum angeschaut ist, ist Ideelles, weil die Anschauung ganz und gar keine
materielle Rezeption des Einzelnen ist. Es ist zusammen mit dem Setzen in der Zeit
gesetzt als bestehend im räumlichen Neben- und Außereinander. Ebenso ist auch das,
was in der Zeit gesetzt ist, Ideelles, weil es realiter in der Zeit nur vergänglich ist. Es ist
realiter nicht in der Zeit, sondern “mit der Reflexion” idealiter gesetzt “als in der Zeit
seyend” (J I.283). Daher können Raum und Zeit für den anschauenden Einzelnen weder
einfach physikalisch noch gar apriorisch subjektiv sein. Zweitens sind sie zum einen
unendliche Allgemeinheit, in der alle Einzelne als bestehend angeschaut werden können.
In diesem Sinne sind sie positive Allgemeinheit, die Anschauung und deren Gegenstand
unendlich zu ermöglichen. Sie könnten apriorische Formen der Anschauung genannt
werden. Aber sie existieren nicht als diese Allgemeinheit selbst. Sie sind für sich zwar
allgemein, aber leer und irreal. Zum anderen ist das Setzen des Bewusstseins beim
Anschauen nicht nur Setzen des Einzelnen als in Raum und Zeit bestehend, sondern
114
auch von Raum und Zeit selbst als erfüllt mit dem Einzelnen. In diesem Moment sind
sie nicht mehr unendlich allgemein, aber sowohl ideal als auch real, in dem Sinne, dass
sie als Formen von und erfüllt mit dem angeschauten Einzelnen existieren. Sie erlangen
zusammen mit dem ideellen Setzen des Bewusstseins auch Realität. Das Anschauen des
Bewusstseins heißt nicht lediglich ideelle und passive Rezeption des Einzelnen in der
positiven Allgemeinheit von Raum und Zeit, sondern es fällt zugleich mit der Tätigkeit
zusammen, diese positive Allgemeinheit “unmittelbar formal zum Gegentheil ihrer
selbst”, zur negativen, besonderten Allgemeinheit zu machen, die nicht mehr unendliche
Bedingung für den Bestand der Einzelnen, sondern nun getrennte Unendlichkeit gesetzt
in der begrifflichen Existenz der Einzelnen ist. Das Bewusstsein ist in jener “Form der
positiven Allgemeinheit” “theoretisch” und zugleich in dieser Form der “negativen
Allgemeinheit” bereits “praktisch”. Diese Form der negativen Allgemeinheit, die es
gemäß seinem Setzen des angeschauten Einzelnen besondert, erfüllt und vereinzelt, ist
Hegel zufolge eben die “empirische Einbildungskrafft” (J I.284). Denn nun nach und
ohne Präsenz des Einzelnen in der sinnlichen Anschauung stellt das Bewusstsein durch
das Setzen desselben in der Form der negativen Allgemeinheit diesen Gegenstand vor
und steht in Beziehung darauf. Raum und Zeit existieren für das empirische
Bewusstsein nur als diese negative Allgemeinheit. Insofern die Anschauung hier
Tätigkeit des Bewusstseins ist, ist sie schon befreit von der bloß sinnlichen Passivität in
der positiven Allgemeinheit, die erst später durch die wissenschaftliche Reflexion des
höheren Bewusstseins als höhere Idealität gedacht werden könnte. Des Weiteren,
insofern das Bewusstsein immer die Beziehung auf den Gegenstand ist, ist die negative
Allgemeinheit von Raum und Zeit sowohl Form des Gegenstandes als auch des
Bewusstseins.
Die zweite Geistesphilosophie, die die begriffliche Struktur des Geistes behandelt,
erläutert im Abschnitt ‚Intelligenz’ gleichfalls, aber bezüglich des Raums etwas
ausführlicher, “das Wesen der Anschauung”. Die Intelligenz bedeutet hier den Inbegriff
des subjektiven Geistes, der in der theoretischen Beziehung auf den Gegenstand steht,2
und die Anschauung die erste Tätigkeit der Intelligenz. Die Besonderheit dieses
Abschnitts, die schon auf den ersten Blick deutlich ist, ist, dass Hegel, wie in der bereits
erwähnten, kurz vor dem dritten Entwurf niedergeschriebenen Gliederungsnotiz,I.
2
Halbig erklärt die Intelligenz der Enzyklopädie (1827) etwas vereinfacht als den ‘Prozeß der
Realisierung der Vernunft als Begriff des Geistes’. Halbig, Christoph; Objektives Denken, S. 79-81. Die
hier definierte Intelligenz oder das Wissen ist die höchststufige Realität des Geistes, dessen Begriff
genauer zitiert “die schlechthin unendliche, objektive Vernunft” ist. Deshalb ist nach der Enzyklopädie
(1830) die umgekehrte Definition möglich, also die Intelligenz oder das Wissen als der Begriff des
Geistes und die Vernunft als die Realität desselben. E II., E III., § 441.
115
Intelligenz., auch hier die Intelligenz in Anschauung, Verstand und Vernunft einteilt,
obwohl die Anschauung als Tätigkeit heterogen von Verstand und Vernunft als Gestalten
bzw. Formen der Intelligenz ist. An die Stelle der ersteren würde Kant die Sinnlichkeit
setzen. Aber die Empfindung als eine sinnliche Tätigkeit ist schon bei Hegel, wie
soeben erklärt, zum Moment im Bewusstsein geworden. Die Sinnlichkeit des Menschen
ist im Grunde genommen bereits bewusst und geistig, daher kann sie nicht von der Seite
der bloßen Passivität behandelt werden. Der Mangel der Termini, die diese menschliche
Sinnlichkeit bezeichnen, veranlasste vermutlich solche Einteilung Hegels. Darüber
hinaus, weil die hier dem Wesen nach erwogene Anschauung also nicht nur der
Sinnlichkeit zuzuschreiben ist, ist diese Erörterung als Polemik gegen die Kantische
Ästhetik einzuschätzen. Demzufolge ist die Anschauung selbst im Wesentlichen bereits
“Wissen eines Seyenden” (J III.185). Eben deswegen ist auch nachvollziehbar, dass die
Anschauung in der lediglich erkenntnistheoretischen Phänomenologie des Geistes nicht
einmal als solche auftritt, sondern dass stattdessen zuerst die im Bewusstsein gesetzte
Gewissheit des sinnlich Aufgenommenen, d. i. die “sinnliche Gewißheit”, und dann die
sinnliche, aber aktive und bestimmende Rezeption des Ich gemäß der Notwendigkeit der
Entsprechung mit dem gegenständlichen Wesen, d. i. die “Wahrnehmung oder das
Ding”, dargelegt wird (PhG 63-81). Die Anschauung als unmittelbare gehört dem
ungebildeten Geist und lässt sich also, wie in den Nürnberger Schriften, nur
pädagogisch behandeln.3 Dagegen ist die wissenschaftlich erwägenswerte Anschauung
eben die intellektuelle, die später in der Psychologie der - der Jenaer Geistesphilosophie
nahen - Enzyklopädie wieder als theoretischer Geist auftaucht (besonders E III. §§ 446450) und unten zu betrachten ist.
Die Anschauung impliziert einerseits, dass der angeschaute Gegenstand nicht nur im
Sein des Anschauenden ist, sondern ein selbstständiges Sein hat. Aber obwohl sie
Anschauung des in der Außenwelt realiter seienden Gegenstandes ist, ist dieser auf der
anderen Seite in jenem Sein des Anschauenden idealiter als ein Sein. Der Gegenstand in
der Außenwelt besteht in der Unendlichkeit des Raums. Sein Bestehen, “sein Raum” ist
Hegel zufolge “im Geiste Seyn”. Hegel benutzt hier das Wort “Seyn” im ideellen Sinne,
weil das Sein als solches nicht realiter äußerlich existiert. Auch die Bestimmung des
Raumes geht über die Kantische Definition als die subjektive Form des äußeren Sinnes4
3
“Indem der Mensch über das, was er unmittelbar weiß und erfährt, hinausgeht, so lernt er, daß es auch
andere und bessere Weisen des Verhaltens und Tuns gibt und die seinige nicht die einzig notwendige ist”.
Aber der “ungebildete Mensch bleibt bei der unmittelbaren Anschauung stehen”. NH, S. 259.
4
Raum und Zeit sind Kant zufolge ‘beide nur in uns anzutreffen’. KrV, A373. Hegel zufolge aber sind sie
nicht nur die subjektiven Formen der Anschauung, sondern auch die objektiven des Gegenstandes, und
jene Formen sind als ideelle doch auch anders als diese.
116
hinaus. Der Raum ist eher zuerst die objektive Form der Außenwelt, in der der
Gegenstand besteht. Aber es ist darauf zu achten, dass der Raum selbst, seine
Unendlichkeit, weder angeschaut noch bei alledem transzendental hergeleitet wird. Der
bestehende Gegenstand ist als einzelner vom Raum selbst getrennt, mit einem Wort hat
er seinen Raum. Durch diesen seinen Raum, insofern der Gegenstand als in seinem
Raum bestehend angeschaut wird, wird auch der Raum selbst gewusst, und sogar als die
getrennte Unendlichkeit, der der Gegenstand angehört. Der Raum ist dann die
unendliche Form des Bestehens des Gegenstandes, die in der Beziehung auf den Geist
als ein Bestehen desselben angeschaut wird. Hier lässt sich von der Tätigkeit des
Bewusstseins in der ersten Geistesphilosophie sagen, dass sie beim Anschauen die
positive Allgemeinheit des Raums zur negativen macht. Die getrennte Unendlichkeit,
den Raum des Gegenstandes in der Beziehung auf das Bewusstsein drückt Hegel hier
eben als “ein Seyn” im Geist aus. Der Raum des angeschauten Gegenstandes ist realiter
die Form des bestehenden Gegenstandes selbst und zugleich idealiter des diesen
anschauenden Geistes selbst. Die Form in der letzteren Hinsicht ist hier lediglich mit
dem anderen Terminus, “im Geiste Seyn”, aber nicht ohne Absicht bezeichnet. Denn in
dieser Wendung hebt sich die geistige Tätigkeit des nicht einfach passiven Anschauens
ab. Der Raum als das äußere Bestehen des Gegenstandes ist das Sein des Geistes als das
innere, ideelle Bestehen desselben. Denn die Struktur des Bestehens des Gegenstandes
im Raum hat auch der Geist gleichfalls im Sein. Das Sein des Geistes ist “der abstracte
reine Begriff des Bestehens”, der eben dem äußeren Bestehen objektiv entspricht (J
III.185). Der Raum und das Sein sind de facto nur zwei Modi essendi eines
Gegenstandes. Der Raum des Bestehens ist das Sein des Geistes, und ein Raum des
bestehenden Gegenstandes ein Sein desselben im Geist. Dies besagt allerdings nicht,
dass ein Gegenstand nicht nur in der Außenwelt, sondern auch im Sein des Geistes, wie
ein Stein im Kopf, unmittelbar ist. Aber das Sein des Geistes ist bei alledem auch nicht
vom Geist erdichtet. Der Geist ist. Insofern er ist, ist sein Sein so allgemein wie der
Raum, in dem der Gegenstand unendlich bestehen kann. Der Raum selbst wird nicht
angeschaut, sondern dadurch, dass der darin befindliche Gegenstand durch die
Anschauung als im Geist idealiter seiend gesetzt wird, wird der Raum als die objektive
Bedingung des Gegenstandes gewusst. Das Sein des Geistes, in dem der äußere
Gegenstand auch unendlich idealiter sein kann, hat daher objektive Realität, obzwar
diese nicht die äußere Realität, wie der Raum, bedeutet.
Das Seiende im Geist ist nichts anderes als der angeschaute äußere Gegenstand. Dessen
objektive Realität ist keine Realität eines solchen Gegenstandes, der wie bei Kant in der
empirischen Realität des Raums nur als ‘der subjektiven Bedingung’ ‘der Sinnlichkeit’
117
gegeben, und dessen Objektivität vom ‘transzendentalen Gegenstande’ ‘= X’ versichert
wird.5 Sondern vielmehr das Sein im Geist liegt begrifflich näher an der essentiae
objectivae, mit der Spinoza in der Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes
‘die wahre Idee (idea vera)’ erklärt. Die ‘essentia objectiva’, die sich verbaliter als
„objektives Wesen“ wiedergeben lässt, heißt aber bei Spinoza ‘das objektive Sein’ des
äußeren Gegenstandes im Geist, was durch die Empfindung oder Anschauung des
‘formalen Seins (essentiae formalis)’ desselben entgegengeworfen und vorgesetzt
(obiectum) im Geist ist.6 Seine Realität ist nichts anderes als die realitas objectiva, die
der Geist bezüglich des Gegenstandes idealiter hat, daher gehört sie dem Geist, obwohl
sie den Gegenstand angeht. Die realitas objectiva des äußeren Gegenstandes im Geist
wird nämlich durch die Existenz der essentiae formalis desselben im Geist ausgedrückt
und versichert, die eben den äußeren Gegenstand selbst objektiv konstituiert. Der äußere
Gegenstand besteht aus einer Vielfalt von eidetischen Formen. Er existiert sowohl
realiter als auch insofern idealiter ‘formaliter’, als er empfunden und gedacht wird. Die
reale Existenz seiner essentiae formalis entspringt nach der Ethik Spinozas ‘aus der
unendlichen Natur Gottes’ und ist auch zugleich ‘in Gott’ idealiter ‘in der selben
Ordnung und Verknüpfung objektiv’. Der Geist des Menschen erhält auch die essentiam
formalem idealiter durch die Empfindung, insofern diese ordnungsgemäß durchgeführt
und nach der vernünftigen Notwendigkeit erkannt wird.7 Diese essentia formalis im
Geist des Menschen ist selbst Idee, die mit anderen formalen Ideen das objektive Sein
des Gegenstandes selbst im Geist konstituiert. Diese Idee drückt nicht nur die essentiam
formalem des Gegenstandes aus. Insofern kann sie einen anderen Gegenstand
prädizieren. Sondern sie ist auch gerade das objektive Sein des Gegenstandes, insofern
sie die wahre Idee vom Gegenstand ist. ‘Die wahre Idee von Peter’ ist eben ‘das
objektive Sein (essentia objectiva) des Peter und an sich etwas Wirkliches’, obwohl die
Idee völlig verschieden von Peter selbst als dem äußeren Gegenstand ist.8 Z. B. die
wahre Idee ‚groß’ vom realiter großen Peter ist zugleich sein formales und objektives
Sein. Sie ist in der letzteren Hinsicht an sich etwas Wirkliches, ‘das sein eigentümliches
Sein’ im Geist hat. Dies Sein besagt nichts anderes als das ideelle und selbstständige
5
KrV, B42, A109.
Spinoza: Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes, S. 15.
7
Spinoza: Die Ethik, S. 53-56, 80-97.
8
In der englischen Übersetzung von Elwes ist essentia objectiva als ‘subjective essence’ und objectum
als ‘Subject’ wiedergegeben, höchstwahrscheinlich aus dem Grunde, dass das objectum das im Geist
Entgegengeworfene und Vorgesetzte des Gegenstandes ist. Diese Wiedergabe verdeutlicht zwar, dass die
Objektivität der Idee dem Geist gehört, allein verdunkelt, dass die Objektivität realistisch bezüglich des
Gegenstandes ist. Spinoza: Ethics Including the Improvement of the Understanding, Übers. Elwes, R. H.
M., S. 10-11. Spinoza: Tractatus de Intellectus Emendatione, S.11-12.
6
118
Sein im Geist, das als solches erkennbar ist, und dessen Wirklichkeit die geistige
Wirklichkeit ist. Deswegen kann sich die Idee als solche auf eine andere Idee beziehen,
die eine andere essentiam formalem des Peter objektiv ausdrückt, und diese andere auf
eine weitere andere ins Unendliche. Also entsteht z. B. der Satz, „der bärtige Peter ist
groß“. Aber um die Wahrheit der Idee „groß“ von Peter zu bestätigen, ist es nicht nötig,
Spinoza zufolge, die Idee selbst und auch andere Ideen zu erkennen, weil die richtige
Art der Empfindung seiner essentiae formalis sie versichert. Die ‘Art, wie wir die
essentia formalis empfinden, ist die Gewißheit selbst’ der wahren Idee, die nichts
anderes als das objektive Sein ist.9 Nämlich die richtige Empfindung der verschiedenen
essentiae formalis des äußeren Gegenstandes versichert sein objektives Sein als die
wahre Idee im Geist. In Hegels Sprache ist das Sein des Geistes ein Sein, in dem der
äußere Gegenstand unendlich idealiter sein kann, und das insofern reell ist, als es das
reale Sein des empfundenen äußeren Gegenstandes widerspiegelt. Ein Seiendes im
Geist ist also obzwar ideelles, jedoch reelles Seiendes, das einem äußeren Gegenstand
entspricht, und auf das der Geist, wie unten zu betrachten, mannigfaltige formae bzw.
Bilder bezieht. In dieser Hinsicht steht der Geist freilich nicht, wie bei Spinoza, in der
passiven Abhängigkeit von der notwendigen und unendlichen Idee Gottes, die seiner
Natur unendlich entspricht. Die Empfindung oder Anschauung ist nicht nur passive
Rezeption der essentiae formalis, deren Idee bei Spinoza endgültig Deo sive Naturae
Notwendigkeit und Wahrheit verdankt, sondern auch der Geist setzt zugleich dabei das
ideelle Sein des Gegenstandes aktiv in sich und bezieht es auf den äußeren Gegenstand
selbst; dadurch ist er als selbstständiges Subjekt der Wahrheit tätig. In diesem Sinne ist
das Sein des Geistes darüber hinaus inhaltlich, also “wahrhafft allgemein”, während die
Allgemeinheit des Raums “nur formal”10 im Gegensinn von „inhaltlich“ ist. Der Raum
ist vom ihn erfüllenden Gegenstand getrennt, daher “nicht das Wesen seiner Erfüllung
selbst”, sondern lediglich die nichtinhaltlich formale, selbst leere Allgemeinheit, in der
die Erfüllung unendlich möglich ist. Das allgemeine Sein des Geistes enthält dagegen
9
Spinoza: Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes, S. 15-16.
Das Wort ‘formal’ beim Ausdruck ‘essentia formalis’, was ‘eidetisch’ im Gegensinn von ‘materiell,
hyletisch’ bedeutet, muss vom gleichen Wort Hegels ‘formal’, das er nur als Antonym von ‘inhaltlich’
benutzt, terminologisch sorgfältig unterschieden werden. Die Form bzw. Eidos im ersteren Sinne ist von
Hegel eher als der Begriff ‘Bild’ wiedergegeben. Hegels Rede hiervon und vom Sein des äußeren
Gegenstandes im Geist lässt sich über den Spinozistischen Ursprung hinaus auch auf den kartesianischen,
ferner den scholastischen, zurückzuführen. Courtine zufolge wird der Begriff ‚realitas’ im Hinweis auf
‚res’ im weitesten Sinne vor allem von Johannes Duns Scotus in den Kontext der Lehre von den
‚formalitates’ in der Unabhängigkeit vom diese erkennenden Intellekt einbezogen und von Descartes
‘stets mit einem Adjektiv’ von ‚subjektiv’, ‚objektiv’ oder ‚formell’ verbunden benutzt. Courtine, JeanFrançois: Artikel Realitas HWP8, S. 178-185. Hegels Begriff vom Bild lässt sich außerdem an den
Aristotelischen Begriff von ‘Vorstellungsbild (φαντασµα)’ als aufgenommenen Eidos ‘ohne Materie
(ύλη)’ durch ‘Wahrnehmung (αισθησις)’ anschließen. Aristoteles: De Anima, 424a, 427b-428a, 431b-432a.
10
119
sein besonderes Seiendes, bezieht dies auf sich und bildet dessen allgemeines Wesen.
Das Sein des Geistes ist negative Allgemeinheit, insofern er sich auf sein Besonderes
bezieht. Diese ideelle Beziehung des Geistes als Allgemeinen auf das Besondere des
Gegenstandes ist ein Wissen. Dies “Wissen eines Seyenden” ist “unmittelbar das Wesen
der Anschauung”. Die Anschauung des Geistes impliziert das Setzen seines Besonderen
als Allgemeines, hat daher selbst die Form des Wissens. Für die endgültige Wahrheit
dieses Wissens wird allerdings weitere geistige Tätigkeit nötig sein, um zu bestätigen,
dass das Allgemeine, das über den besonderen Gegenstand idealiter gewusst ist, auch
für diesen selbst realiter ist.11 Aber das erste Thema der Geistesphilosophie ist zuerst
die Bewegung, wie das Seiende des Geistes “zum Allgemeinen für ihn wird” (J III.185).
Die negative Allgemeinheit des Geistes entsteht gleichfalls im Zusammenhang mit der
Zeit. Ich und der äußere Gegenstand sind zuerst eben so unmittelbar in der Zeit wie im
Raum. Dieser Gegenstand wird beim Anschauen unmittelbar ein Seiendes für den Geist,
oder in der Anschauung Seins eines Gegenstandes ist der Geist gleichfalls unmittelbar.
Aber er bleibt auch nicht bei dieser Unmittelbarkeit in der Zeit, sondern setzt sich frei
davon, indem er das Angeschaute hat. Er ist zum einen als anschauend selbst “wie das
Thier, die Zeit, die für sich ist”, und in der ein Anschauen entsteht und dann vergeht.
Sein Anschauen ist wie beim Tier jeweils verschiedene Wiederholung, daher ist der
anschauende Geist “ebenso Freyheit der Zeit” vom jeweiligen Anschauen. In dieser
Hinsicht ist er auch frei von der Unmittelbarkeit des Anschauens, von seinem
angeschauten Inhalt, mit einem Wort das “reine Subject” (J III.186). Aber die Freiheit
der Zeit heißt nur physikalische Ungebundenheit, die natürliche Unselbstständigkeit des
Anschauens. Das Tier ist beim Anschauen nur an diese Freiheit gebunden. Es ist nach
der ersten Jenaer Naturphilosophie “die Zeit, die daran vorbeygeht, und in der seine
Empfindungen selbst als einzelne vorübergehen” (J I.261). Es ist kein reines Subjekt,
das sich als Selbst auf die jeweiligen Empfindungen bezieht, sondern passives Subjekt
als physikalisches Korrelat der Empfindungen, ja sogar vielmehr Objekt derselben, in
dem sie so vorübergehen wie immer in der Zeit. Dagegen ist im von seinem
unmittelbaren Inhalt freien Geist dieser Inhalt nicht vergänglich. Diesen setzt der Geist
zugleich in sich idealiter, daher ist er zum anderen “Herr” darüber. Und zwar die Zeit
wird nicht selbst als freie Unendlichkeit angeschaut, sondern ist die Zeit des
11
Deshalb ist Hegel nicht einfach Erkenntnistheoretiker der Entsprechung der Wahrheit. Er vertritt aber
auch überhaupt nicht die Kohärenztheorie des Systems der Wahrheit ohne Rücksicht auf die
Entsprechung mit dem äußeren Gegenstand, wie Gilead behauptet. Nach seiner Behauptung würde Hegel
ein teleologischer Prokrustes sein, der zwecks des Begriffs des absoluten Geistes nicht nur ‘every
immediacy’, sondern auch alle endlichen Gestalten abschneidet. Gilead, Amihud; The Problem of
immediate evidence: the case of Spinoza and Hegel, HS 20, S. 145-162.
120
Anschauens, insofern der Geist den äußeren Gegenstand anschaut, und die getrennte
Unendlichkeit, die als die äußere Form des Beziehens gewusst wird, insofern er sich
beim Anschauen auf den Gegenstand bezieht. Insofern Ich aus meiner Freiheit anschaue,
ist sie Zeit meines Anschauens, die sogleich mit dem jetzigen Gegenstand vergeht. Bei
meinem Anschauen sind “Raum und Zeit nicht” als “das selbstlose”. Der Geist setzt
dieses Sein des Gegenstandes, der nicht mehr Dieses jetzt hier ist, in sich ebenfalls “als
ein nichtseyendes, als ein aufgehobnes überhaupt”. In dieser Hinsicht ist der
Gegenstand das, was als realiter nichtseiend im Geist idealiter ist. Während die Zeit
selbst die positive und formale Allgemeinheit ist, in der Seiende zwar unendlich
entstehen, sich wandeln und schwinden können, aber die getrennt von ihrem Seienden
und beziehungslos mit dessen Wesen ist, ist der Geist Zeit als die Allgemeinheit, die
durch sein Setzen negativ gemacht ist und selbst das Nichtseiende in seiner Zeit
unendlich sein oder nicht sein lassen kann. Er ist in diesem Moment “vorstellende
Einbildungskrafft überhaupt”, die oben die empirische genannt worden ist.
Ohne das simultane Anschauen stellt der Geist ferner das Angeschaute als ein
Nichtseiendes vor und sich entgegen. Dadurch setzt er sich zugleich sein Selbst12
entgegen. Etwas vor sich zu stellen, ist, es zum Gegenstand seiner selbst zu machen.
Das Setzen des Geistes, indem es nicht mehr Stellen des äußeren Gegenstandes vor sich,
sondern ideelles Setzen des in sich Angeschauten ist, ist zugleich die
Vergegenständlichung seiner selbst.13 Das, was er sich entgegensetzt, ist nicht mehr der
12
Der ‘Begriff des Selbst’ ist Kimmerle zufolge der ‘Leitbegriff’ für die dritten Jenaer Systementwürfe,
aber als uneigentlich gebraucht für die Natur-, und als angemessen nur für die Geistesphilosophie.
Kimmerle, Heinz: Die Begründung der Spekulation als eine Form des patriarchalischen Denkens. Ein
Beitrag zur Interpretation von Hegels Religionsphilosophie in den Jahren 1801-1807 HLP, S. 201-202.
Im ersteren Fall müsste das Selbst in der Form des Andersseins des Geistes gelesen werden.
13
Spinozas und Fichtes Erklärungen dieses Momentes bilden einen guten Kontrast. Spinoza zufolge,
weil die wahre Idee des Peter eben das „objektive Sein“ des Peter ist, ist es, ‘um das Wesen des Peter zu
erkennen, nicht nötig’, ‘die Idee des Peter selbst zu erkennen und noch viel weniger die Idee von der Idee
des Peter’. Dies Erkennen der Idee von der Idee des Peter ist eine für jeden mögliche, aber nur unnötige
Bemerkung davon, ‘daß er weiß, was Peter ist, und daß er weiß es zu wissen, und wiederum weiß, daß er
weiß es zu wissen u. s. w.’. Spinoza: Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes, S. 16. Die Ethik,
S. 91. Hingegen ist dieser unendliche Prozess Fichte zufolge unvermeidlich bei der gemeinen
Begründung des Bewusstseins. Damit ein Bewusstsein der Wand möglich ist, musst du dir des
Bewusstseins der Wand bewusst sein. ‘Du bist deiner, als des Bewussten, bewusst, lediglich inwiefern du
dir deiner als des Bewusstseyenden bewusst bist; aber dann ist das Bewusstseynde wieder das Bewusste,
und du musst wieder des Bewusstseynden dieses Bewussten dir bewusst werden, und so ins unendliche
fort’. Deswegen muss nicht vom gemeinen Standpunkt, sondern vom Standpunkt der Wissenschaftslehre
ausgegangen werden, dass es ‘das Selbstbewusstseyn’ unmittelbar gibt, in dem ‘Subjektives und
Objektives’ ‘absolut Eins’ ist. Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre S. 526-528.
In der Mitte dieser Extreme liegt Hegels Selbstvergegenständlichungsmoment, das freilich auch
Kantischer Herkunft von der ursprünglichen und synthetischen Einheit der Apperzeption, aber nun nicht
als ursprüngliches, sondern als tätige Selbstbeziehung entwickelnd verstanden ist. Z. B. der Name
„Peter“ ist entwickeltere Idee von seiner Bild-Idee, und damit entwickelt sich auch das Selbstbewusstsein.
121
äußere Gegenstand. Dieser äußerliche Gegensatz ist bereits beim Anschauen geschehen
und vorbei, weil das Anschauen selbst Tätigkeit dieses Gegensatzes ist. Sich entgegen
setzt der Geist eben sein Selbst, das bereits den Gegenstand angeschaut und in sich das
Angeschaute hat. Ja sogar “sein Anschauen” selbst ist “ihm Gegenstand”, und er
“schaut sein Anschauen an”. Diese Beziehung ist doppelt. Es besteht einerseits die
Beziehung, in der er in seiner eigenen Zeit sein physikalisch vorübergehendes
Anschauen anschaut. Das Subjekt dieser Beziehung ist das reine Selbst des Geistes. Es
ist aber darauf zu achten, dass das das Selbst oder Subjekt modifizierende Wort
„rein“ überhaupt nichts Vorausgesetztes ist, sondern das reine Selbst als Glied einer
neuen Beziehung hergeleitet und durch die Tätigkeit in der neuen Beziehung zu erfüllen
ist. Die neue Beziehung entspringt hier aus der Selbstvergegenständlichung des Geistes.
Insofern der Geist durch die Selbstvergegenständlichung sich Gegenstand wird, hat er
als Glied einer neu beginnenden Beziehung Reinheit, die aber zuerst nichts anderes als
Leerheit ist. Also ist der Geist, der sein Anschauen anschaut, sein reines Selbst.
Andererseits steht er aber auch innerhalb der Beziehung des angeschauten, ersten
Anschauens. Hierin ist er als anschauend, als das Angeschaute habend gesetzt, und sein
Relatum ist der äußere Gegenstand, der aber nun im Geist als ein Nichtseiendes, als ein
Aufgehobenes ist, daher beim Anschauen des Anschauens nicht als solcher
berücksichtigt, sondern als das Angeschaute des Geistes seiend angesehen wird. D. h.
diesen Gegenstand hat der Geist nun als sein Angeschautes, als sein “Bild”. Oder durch
das erste Anschauen ist er vielmehr selbst das Bild. Der Grund dafür, dass diese Einheit
von Geist und Bild entstehen kann, ist nichts anderes als die
Selbstvergegenständlichung des Geistes, die sein Setzen begleitet. Das erste Anschauen
ließe sich als die Beziehung des empirischen Bewusstseins betrachten, für das der Geist
als Bewusstsein, als Ich, und der Gegenstand als ein Sein abgetrennt sind. Aber nach
unserer Reflexion ist der Gegenstand nicht länger äußerlich seiend, sondern nichtseiend,
also das, was stattdessen als das Angeschaute des Geistes, als sein Bild seiend ist.
Insofern ist der Geist selbst der Gegenstand als sein Bild. Diese Einheit “für uns”
entsteht auch “für den Geist selbst”, insofern er durch die Selbstvergegenständlichung
dies sein Anschauen anschaut, d. i. sich reflektierend darauf bezieht (J III.186). 14
Dadurch wird die doppelte Beziehung eine Beziehung seines reinen Selbst auf sein
Selbst als Bild aus dem ersten Anschauen.
Mit dieser Betrachtung lassen sich in der ersten Geistesphilosophie zwei Resümees
verbinden. Zunächst bleibt das angeschaute Einzelne nun nicht mehr in der Einzelheit
14
In dieser Fähigkeit der Selbstvergegenständlichung ließe sich der Grund finden, dass das Bewusstsein
in der Phänomenologie des Geistes einerseits natürliches und auch andererseits reflektierend sein kann.
122
der äußeren Existenz, sondern gehört “nur der Allgemeinheit des Bewußtseyns” an (J
I.284). Es ist von der räumlichen Äußerlichkeit und der zeitlichen Vergänglichkeit
befreit und im Bewusstsein als ein Ideelles, also Verallgemeinerbares gesetzt. Dann,
wenn die erfüllte Realität von Raum und Zeit gleichzeitig mit dem Setzen des
Bewusstseins ist, sind Raum und Zeit nichts anderes als “das allgemeine Element des
Bewußtseyns”. Das Bewusstsein selbst ist die “leere Unendlichkeit als Zeit und Raum”
und “das allgemeine, das besondert” beim Anschauen wird. Dies Allgemeine des
Bewusstseins heißt seine ideelle Unendlichkeit, die alles in sich idealiter sein lässt, sich
negativ darauf beziehen und dessen allgemeine Bestimmtheit sein kann. Im Fall des
Anschauens wird das Allgemeine von seiner Unendlichkeit getrennt und mit dem
angeschauten Einzelnen erfüllt, das seinerseits nun auch befreit von der Bestimmtheit
der Zeit und des Raums als Diesem und als Ideelles gesetzt ist. Das Anschauen des
Bewusstseins ist also de facto zweifache Tätigkeit. Es ist sinnlich und zugleich ideelles
Setzen des Sinnlichen, d. i. “Hervorruffen” des Bewusstseins des bereits angeschauten
Einzelnen in der bereits vergangenen jetzigen Zeit und im bereits verlassenen hiesigen
Raum, oder nach der zweiten Geistesphilosophie das Anschauen des Anschauens. Nun
ist die empirische Einmaligkeit der Anschauung aufgehoben und die sinnliche
Bestimmtheit als Dieses getilgt, die als Bestimmtheit eher eigentlich dem Bewusstsein
gehört. Dies besagt, dass das Einzelne in der Hinsicht auf seine Bestimmtheit und
zeiträumliche Ordnung nun im Bewusstsein als ein freies erscheint, je nachdem das
Bewusstsein es in sich hervorruft. Dies freie Hervorrufen ist “ein thätiges reproduciren”
der empirischen Einbildungskraft, die nicht mehr rein empirisch, sondern vorstellend
und konstruktiv für die Erkenntnis ist.
Aber wenn das angeschaute Einzelne gleichgültig gegen seine eigene äußere Existenz
nur idealiter im Bewusstsein ist, hat dieses “formale Seyn des Bewußtseyns” “keine
wahrhaffte Realität”. D. h. ob das frei hervorgerufene Einzelne realiter so in der
Außenwelt existiert, ist ganz und gar nicht bestätigt. Darin, dass das ideelle Sein des
Einzelnen im Bewusstsein noch “nicht aüsserlich” existiert, liegt die Wahrheitslosigkeit
der Einbildungskraft. Das subjektive Bewusstsein, das ohne Bezug auf den äußeren
Gegenstand dessen Bild in sich einbildet, ist, sei es wachend, sei es schlafend, bloß ein
“Traümen”, obwohl es auf dem Standpunkt der Einbildung empirisch ist. Oder es ist
gleichsam verrückt oder zurückgefallen in den Zustand der tierischen Krankheit, in dem
Sinne, dass es Dauer des gegenstandlosen Selbstempfindens ist. Es hat vor allem
“stumme” Eigenschaft, in dem Sinne, dass es die Erfüllung lediglich mit den ideellen
Bildern ohne Realitätsnachweis ist (J I.285).
Das träumende Bewusstsein ist in der zweiten Geistesphilosophie metaphorisch als die
123
“Nacht” des Menschen ausgedrückt. Der träumende Mensch ist Nacht, wo Bilder
unerwartet erscheinen. Das Angeschaute ist nicht mehr äußerlich seiend, sondern als
aufgehoben und Ideelles, was daher dem Geist gehört. Es ist das Selbst des Geistes als
Bild, “das Seyn als meines”. Diese Einheit des anschauenden Geistes und der
Bildlichkeit des äußeren Gegenstandes ist de facto asymmetrisch und irreal, weil sie
keine Einheit des Geistes und des Gegenstandes selbst - dies ist unmittelbar unmöglich
–, sondern lediglich Resultat des ideellen Setzens des Bildlichen des letzteren als des
Meinen ist. Der Geist steht im Anschauen des Anschauens nun sich als Besitzer und
“Herr” seiner Bilder gegenüber (J III.186). Der Geist, der seine Bilder konfrontiert,
behandelt diese nur als seinen Besitz und bezieht sie nicht mehr auf den äußeren
Gegenstand. Dann sind sie gegenstandslos und bewusstlos im Geist aufbewahrt und
schießen danach plötzlich in dieser und jener Gestalt hervor. Er ist also “reines Selbst”,
in dem seine mannigfaltigen Bilder, wie in der Nacht, auftauchen und verschwinden.
Diese Metapher ist überhaupt nicht romantisch. Wie die Welt der Gegenstände, deren
Realität optisch verschwunden ist, die Nacht des Nichtseins ist, so ist das, was der Geist
als Vorrat der Bilder ohne externe Gegenständlichkeit ansieht, höchstens “die Nacht der
Welt”, obwohl er seine eigene bildliche Bestimmtheit hat. Aber wie die Nacht nicht
absolutes Nichts ist, so ist der Geist als die Bestimmtheit “nicht nur als einfaches
Selbst”, das seinem reinen Selbst entgegengesetzt ist, sondern auch “als Bewegung”, die
nicht einfach Ideenassoziation im passiven Sinne ist, sondern seine Bilder und deren
Teile nach seiner Bestimmtheit aufeinander aktiv bezieht (J III.187). Hume zufolge
bedeutet „Ideenassoziation“, dass eine Idee, die eigentlich nur vom sinnlichen Eindruck
herkommt, nach ihren natürlichen Eigenschaften von Ähnlichkeit, zeiträumlicher
Nachbarschaft und Kausalität andere herbeiführt.15 Daher beruhe die Konnexion der
Ideen auf ihren Eigenschaften, die sinnlich zu empfinden die Natur anbiete. Für Hegel
ist der Geist dagegen nicht lediglich passiver Adressat der Ideen, insofern die
Empfindung immer mit seinem ideellen Setzen zusammengeht. Die ideellen Bilder sind
diejenigen, die er selbst zuerst gegenüber dem physikalisch vergänglichen Gegenstand
als dessen Dauerhaftes und Allgemeines setzt, dann frei davon als seinen Besitz nach
seiner Bestimmtheit aufeinander bezieht. Ich ist nicht nur das einfache Selbst, das unter
der Herrschaft der Ideenassoziation von einem hervorspringenden Bild zu einem
anderen in der Nacht gezogen wird, sondern zugleich das reine Selbst, das Bilder als
meine in meiner Nacht hervorruft und anordnet. Diese Bilder müssen nun als meine an
den Tag gebracht und in die äußere Existenz verlegt werden, damit Ich nicht lediglich
als ideelle, sondern auch realitätsfähige Einheit wirkliches Subjekt sein kann.
15
Hume, David: A Treatise Concerning Human Natur, S. 300, 305-306.
124
1.2. Erinnerung und Zeichen
Der Fall ist nicht anders beim stummen Bewusstsein in der ersten Geistesphilosophie.
Sein ideelles Sein “muß eine Existenz erhalten, aüsserlich werden”. D. h. das
Angeschaute, das im Bewusstsein nur idealiter als Bildliches reproduziert ist, muss “als
ein aüsserliches” gesetzt werden, damit das Bewusstsein wirklich als wahre Einheit mit
seinem Gegenstand sein kann. Das ideelle Sein des Bewusstseins drückt Hegel als
“Begriff” desselben aus. Sein Begriff ist hier ebenfalls kein festgelegter mit sprachlicher
Referenz, sondern das, was das Bewusstsein dem Angeschauten gegenüber bildlich in
sich begreift und erfasst hat. Dieser Begriff ist zum einen ideelle Einheit des
anschauenden Bewusstseins und des Angeschauten, zum anderen aber fehlt dieser
Einheit Realität. Die erste äußere Existenz, die das ideelle Sein bzw. der Begriff des
Bewusstseins erhält, ist eben “Zeichen überhaupt”. Das Zeichen ist das Produkt der
Selbstentäußerung des Bewusstseins als seines Begriffs, daher die “existirende Mitte
seines Begriffs”. Aber insofern sein Begriff noch bildlich, vorsprachlich, also
unselbstständig ist, ist das Zeichen als die Mitte auch noch ungeeignet als Ausdruck der
Wahrheit. Das Bewusstsein hat Wahrheit hier als seinen bildlichen Begriff. Dieser ist
aber de facto das, was vom Bewusstsein frei hervorgerufen, als das Angeschaute
reproduziert ist. Er ist daher sehr abhängig von dem Raum und der Zeit als allgemeinen
Elementen des Bewusstseins. D. h. wie sich der zunächst angeschaute äußere
Gegenstand dem Raum und der Zeit nach physikalisch immer ändert, so ändert sich das
Angeschaute nach dem Hervorrufen und Setzen des Bewusstseins in dessen
zeiträumlicher Ordnung, obwohl es befreit von seiner äußerlichen Veränderlichkeit ist.
Darüber hinaus wird es vom Bewusstsein nicht als dessen unmittelbares Anderssein,
sondern “nur als ein andersseyn sollen gesetzt”, d. i. so, dass es nicht als dem zuerst
angeschauten Gegenstand gehörig angesehen wird – dieser ist bereits in der ideellen
Beziehung des Bewusstseins aufgehoben –, sondern als einem Gegenstand gehörig
angesehen werden soll, insofern es nicht das Bewusstsein selbst ist. Der bildliche
Begriff vom Angeschauten ist daher “zu unmächtig, den Gegensatz des Subjects und
Objects vollkommen aufzuheben”, indem dies entgegengesetzte Objekt nicht der zuerst
angeschaute, unmittelbare Gegenstand, sondern so gesetzt ist, dass es ein Anderssein
des Bewusstseins sein soll. Aus diesem Grunde lässt sich auch mit dem Zeichen als
Entäußerung des Begriffs schwerlich “das wirkliche Einsseyn” des Subjekts und
Objekts vorstellen, “mehr als ein Sollen”. Das Zeichen besagt nur, dass der bildliche
Begriff des Subjekts Begriff von einem Gegenstand sein soll. Die Beziehung dieser
125
Referenz ist zwar inhaltlich allgemein, aber formell zufällig. Insofern das Angeschaute
ein Anderssein sein soll, d. i. insofern es nicht bloß Ideelles im Bewusstsein ist, sondern
auf einen Gegenstand verweisen soll, ist das, was das Bewusstsein mit einem Zeichen
bedeutet, nicht der vorher angeschaute unmittelbare Gegenstand, sondern kann jeder
sein, der seinem bildlichen Begriff entspricht. Ein Angeschautes ist als ein unmittelbarer
Gegenstand bereits idealiter aufgehoben und als ein ideelles Sein im Bewusstsein
allgemein. Daher kann ein Gegenstand, den das Bewusstsein gegenüber einem
angeschauten äußeren Baum z. B. mit dem Zeichen Ω bezeichnet, realiter ein jeder
Baum sein, der dem ideellen Sein entspricht. Weil das Anschauen des Bewusstseins
bereits Verallgemeinerung in sich enthält, hat auch seine Bezeichnung Allgemeinheit
der Referenz. Im Zeichen ist das Aufgehobensein der einzelnen Beziehung zwischen
dem Angeschauten und dessen Gegenstand im Bewusstsein einerseits realisiert. Aber
diese Realisierung ist andererseits lediglich als Sollen formell vollzogen und kein
wirkliches Setzen des Aufgehobenseins selbst. Weil das Bewusstsein mit dem Ω
„Baum“ bezeichnet, nur darum soll dies Zeichen „Baum“ sein. Das Zeichen kann nun
vor allem in zwei Hinsichten keine wirkliche Einheit des Bewusstseins und des
Gegenstandes sein. Es hat erstens für sich eine eigene Realität, die nicht frei von der
Einzelheit ist. Es existiert selbst als “ein bestehendes” “Ding”, sei es mit einer Schnur
gebunden, sei es sonst wie gekennzeichnet (J I.286). Dennoch hat es als Ding keine
Bedeutung. Seine Realität als Ding darf nichts bedeuten, um den Gegenstand des
Bewusstseins zu bedeuten. Aber die Bedeutung des Bewusstseins ist abhängig von der
Existenz des Dings. Insofern dies existiert, kann das Bewusstsein damit etwas
bezeichnen. Doch seine Bezeichnung und sein Mittel stehen in keinem notwendigen
Zusammenhang. Eher existiert das Zeichen für die Negation seiner Realität, für eine
andere Bedeutung als das Ding hat. Das so widersprüchliche Zeichen kann nicht das
wirkliche Einssein vom Bewusstsein und Gegenstand sein. Außerdem ist im Zeichen
weder das Aufgehobensein des Angeschauten noch des Subjekts gesetzt. Das Zeichen
ist das Entäußerte des bildlichen Begriffs des Angeschauten. Aber darin wird das
Angeschaute nicht als Aufgehobenes selbst, als Ideelles, als sein bildlicher Begriff
vorgestellt, sondern durch die Dinglichkeit vertreten. Die Bezeichnung ist nicht
Entäußerung des Aufgehobenseins selbst des Angeschauten, sondern nur einseitige
Übertragung des Angeschauten auf das Ding, das Aufgehobenes desselben sein soll.
Ebenso wenig ist das Subjekt darin aufgehoben. Das Zeichen müsste objektiver
Ausdruck der ideellen Allgemeinheit sein, die das Bewusstsein durch den äußeren
Gegenstand bekommt. Aber es kann lediglich deshalb etwas bedeuten, weil das Subjekt
des Bewusstseins es so bezeichnet. Diese Bezeichnung ist im Grunde willkürlich und
126
unfrei von der Einzelheit des Subjekts. Das Zeichen hat daher “nicht seine absolute
Bedeutung in ihm selbst” und ist “nur durch das Subject selbst begreiflich was dieses
sich dabey denkt” (J I.287). Das Zeichen, das weder unmittelbarer Ausdruck des
ideellen Aufgehobenseins des Angeschauten noch unabhängig von der willkürlichen
Sinngebung des Subjekts ist, kann keine wirkliche Existenz der ideellen Einheit von
Subjekt und Objekt sein.
Die Zeichenlehre findet in der zweiten Geistesphilosophie eine raffiniertere Darstellung.
Hier erhält das Zeichen durch die Einführung des Erinnerungsmoments geistige
Notwendigkeit und gilt als eine Art Idealismus, der aber “sich Gegenstand wird” (J
III.189). Zunächst, wenn durch das erste unmittelbare Anschauen bekanntlich der
äußere Gegenstand aufgehoben und dessen Aufgehobensein als Bild im Geist idealiter
gesetzt wird, besagt das Anschauen des Anschauens, dass der Geist sein Bild als sein
Selbst anschaut und sich Gegenstand wird. Das Bild bzw. dessen Sein gehört nicht mehr
dem äußeren Gegenstand, sondern ist nur in mir, als meines. Der Geist, der sich als
Gegenstand hat, bezieht sich nun als reines Selbst auf sein Selbst als Bild. Im ersten
unmittelbaren Anschauen dagegen ist diese Beziehung unmöglich, weil das Bewusstsein
hierin als ein empirisches Bewusstsein des äußeren Gegenstandes besteht, der aber
sogleich aufgehoben und nicht mehr ist. Im Anschauen des Anschauens habe ich
“unmittelbar das Bewußtseyn Meiner”. Insofern meine Bilder einerseits ohne
Bezugnahme auf den äußeren Gegenstand lediglich in mir erscheinen, ist mein Geist die
Nacht, obzwar er bildliche Bestimmtheit besitzt. D. h. der Geist ist reines Selbst, dem
die einmal in sich eingeflossenen Bilder plötzlich als sein Sein, als sein Selbst,
Gegenstand werden. Insofern ihm seine Bilder andererseits entgegenstehen, kann er sie
beliebig zerlegen und auch teilweise wieder binden, daher in der Bewegung stehen.
Allein sein reines Selbst, dem noch die äußere Gegenstandsbezüglichkeit fehlt, bleibt
noch als “die leere Freyheit”, ohne Realität nur auf die Form der Bilder einzugehen. Ich
füge meinen Bildern nur “die Bestimmung meiner” hinzu. Zweitens restituiert die
Erinnerung eben die Gegenstandsbezüglichkeit der Bilder. Er-innerung ist Heraussetzen dessen, was schon als Ideelles verinnerlicht ist, mit dessen Quelle, d. h. des
Inneren mit dem Äußeren vor dem Ich. Sie ist eine Art Anschauen des Anschauens, was
aber nicht fast gleichzeitig mit dem unmittelbaren Anschauen erfolgt, sondern das
vergangene Anschauen vergegenwärtigt. Sie ist daher weder platonische αναµνησις
noch cartesianische angeborene Idee. Meine Bilder, die ich jetzt beliebig behandle und
bestimme, habe ich “schon einmal gesehen, oder gehört”. Ich erinnere mich des
angeschauten Bildes des äußeren Gegenstandes. Die Erinnerung bringt die
gegenständliche Quelle meines Bildes ans Licht. Sie führt mich vom jetzigen
127
Anschauen meines Bildes in mir auf das vorige unmittelbare Anschauen zurück, und
bringt dadurch mit sich “das Moment des Fürsichseyns”. Insofern ich zwar Herr, aber
kein erster Schöpfer meines Bildes bin, ist mein Bild mir bereits vermittels des
Gegenstandsanschauens bekannt, und ich erinnere mich an dieses zwangsläufig.
Dadurch vergegenwärtige ich mir, dass mein Bild eigentlich unabhängig von mir für
sich im äußeren Gegenstand ist. Nicht der Gegenstand selbst, sondern bloß sein Bild ist
in mich gebracht worden, und dieses ist eigentlich für sich darin. Deshalb nehme ich
mich aus meinem Bild heraus und “setze mich besonders zum Gegenstande”. Dies heißt
wiederum nichts anderes als die Selbstvergegenständlichung. Ich bin natürlich für mich.
Wegen dieses Fürmichseins kommt das Bild in mir dazu, mir zu gehören. Aber mein
Bild ist nicht von mir abgeleitet, sondern eigentlich “die Synthese” meiner und des
Bildes. Diese Synthese ist jedoch asymmetrisch. Denn in meinem Bild besteht zwar das
Fürmichsein, aber nicht das Fürsichsein des Bilds im äußeren Gegenstand, weil dieser
bereits aufgehoben ist. Das Fürmichsein aber wird mir nun äußerlich zu setzender
Gegenstand. Wenn das Fürmichsein des Bildes von mir äußerlich als das Fürsichsein
desselben gesetzt wird, dann ist es drittens eben Zeichen. Das Zeichen ist die äußere
Realisierung der asymmetrischen Synthese. Darin ist der äußere Gegenstand zwar noch
gänzlich aufgehoben, doch sein Aufgehobensein selbst nicht gesetzt, sondern sein Bild
besteht nur äußerlich als das, was es für mich ist. Dies ist nun nicht einfach das
angeschaute Bild, sondern der Inhalt des äußeren Gegenstandes für mich. Der Inhalt ist
“einfaches Wesen überhaupt” des äußeren Gegenstandes, das aber nicht im Gegenstand,
sondern in meinem Selbst ist. Der Gegenstand des Zeichens ist nicht das Fürsichsein
des äußeren Gegenstandes selbst, sondern “das Fürsichseyn als Wesen des
Gegenstandes” (J III.188). D. h. im Zeichen ist für sich nicht der äußere Gegenstand
selbst, sondern sein Wesen, dessen Sein selbst von mir, also vom Geist als Bewusstsein,
herkommt. Das Zeichen ist also Hegel zufolge Idealismus, in dem der äußere
Gegenstand nicht ist, was er ist, sondern sein Wesen völlig abhängig von mir für sich ist.
Aber wegen des Elements dieses Fürsichseins, d. i. weil das Wesen bei alledem darin als
für sich vergegenständlicht ist, ist es kein Idealismus, der völlig unrealistisch ist,
sondern “sich Gegenstand wird”. Der Idealismus, der seine Idee, sein Wesen zum
Gegenstand macht und objektiv betrachtet, ist zugleich beim Überwinden des
Idealismus, bis er endgültig Adäquatheit mit dem äußeren Gegenstand erlangt.16
Das Zeichen hat nun, wie oben erwähnt, zwei widersprüchliche Seiten. Es ist Idealismus,
16
Auch bei Hegel ist also kein ungegenständliches Wesen, das als abstrakt freies gegen ‘Natürlichkeit,
also Gegenständlichkeit’, kämpft. Mit dem missdeutenden Vorwurf von Marx gegen die
Ungegenständlichkeit des Hegelschen Wesens wird daher ‘Hegel ein Idealismus unterstellt, den es bei
ihm nicht gibt’. Liebrucks, Bruno: Recht, Moralität und Sittlichkeit bei Hegel MR, S. 35-41.
128
dessen Sein seinem entäußerten Gegenstand nicht entspricht. Es ist selbst zum einen ein
Ding, das aber als Ding selbst nichts bedeuten soll. Eher ist die Bedeutung bzw. das
Wesen des Dings das Fürmichsein meines angeschauten Gegenstandes. Das Sein des
Zeichens als Dings hat keine Allgemeinheit, die immer etwas bedeutet, sondern
“getrennt von seinem Seyn” bedeutet das Zeichen das Wesen meines Gegenstandes,
insofern ich in der Erinnerung das Wesen mit dem Gegenstand verknüpfe. Ohne
Erinnerung ist das Zeichen bedeutungslos, und die Erinnerung Verweis des Inhalts für
mich auf dessen äußeren Gegenstand. Das Zeichen ist daher das äußere Bestehen, das
Fürsichsein dessen, was in der Erinnerung Inneres ist. Aber dies Bestehen ist nicht das
Sein des Zeichens als Dings. Das Sein als die Entäußerung des Wesens widerspricht
dem Sein als Ding. Das Zeichen ist kein Ding, das selbst als Ding etwas anderes
bedeutet, sondern in das seine Bedeutung von mir äußerlich einzwängt ist. Ich schaue
nun also das Ding nicht als solches, sondern “nur als Zeichen”, sein Wesen nicht als
Wesen des Dings, sondern nur als meine Bedeutung an. Aber des Weiteren schaue ich
wiederum dieses Anschauen selbst an. Beim Anschauen des Dings als Zeichens schaue
ich zugleich die Innerlichkeit des Dings an. Diese Innerlichkeit ist mir nun “ebenso
selbst Gegenstand”, indem das Zeichen unvollkommene Einheit von seinem Sein und
seiner Bedeutung ist. Sie ist es gerade, welche “aüsserlich seyn” muss. Sie muss nicht
äußerlich ein anderes Ding zu ihrem Vertreter ernennen, sondern selber zum Sein
zurückkehren, wie sie durch das Anschauen vom äußeren Gegenstand herkam. Das Sein
des Innerlichen selbst bzw. das Sein als Bedeutung ist eben “die Sprache”, die zuerst
durch “die Nahmengebende Krafft”, d. i. das “Gedächtniß”, als Name gebildet ist (J
III.189).
1.3. Gedächtnis und Sprache
Auch nach der ersten Geistesphilosophie ist, was für sich sein muss, gleichfalls die
Bedeutung selbst, die das ideelle Sein des Angeschauten im Bewusstsein oder der
Begriff des Bewusstseins ist. Die Bezeichnung des Bewusstseins, das Zeichen und
dessen Bedeutung als ideale Glieder willkürlich zu verbinden, macht das Ding stumm
gegenüber der Bedeutung und diese zwingend gegenüber jenem. Die Bedeutung als der
Inhalt des Bewusstseins des angeschauten Gegenstandes muss entgegengesetzt sowohl
dem bedeutenden Subjekt als auch dem bedeuteten äußeren Gegenstand selbstständig
die Existenz selbst des Bewusstseins werden. “Die Idee dieser Existenz des
Bewußtseyns ist das Gedächtniß, und seine Existenz selbst die Sprache”. Das
Bewusstsein existiert immer als ideelle Einheit seiner und des Gegenstandes. Die Idee
129
bzw. Konzeption von seiner Existenz als dieser Einheit ist nicht einfach Erinnerung,
sondern Gedächtnis. Und durch dies Gedächtnis wird die Namengebung möglich, was
die erste Stufe der Sprachbildung ist. Zunächst versteht Hegel hier unter Gedächtnis
weder Erinnerung im platonischen Sinne noch im oben stehenden Sinne der
Vergegenwärtigung des vergangenen Anschauens, sondern das altgriechische Wort,
µνηµοσυνη. Die Mnemosyne ist nicht die Anamnesis, die häufig als Synonym dafür und
platonisch als Ursprung aller Ideen gehalten wird. Das Gedächtnis ist auch in der
zweiten Geistesphilosophie im Unterschied von der Erinnerung als Moment der
Bezeichnung erwähnt. Diese ist nämlich die jeweilige Vergegenwärtigung des
vergangenen Ereignisses, dagegen macht jenes das Ereignis “zu einem gedachten” und
bewahrt es als “GedächtnißSache”.17 Das Ge-dächtnis heißt daher hier fortwährende
Bewahrung der sinnlich Angeschauten als Idealen im Bewusstsein. Es ist die Idee, in
der das Bewusstsein für sich als die durch die Anschauung erhaltene ideelle Einheit
selbst existiert. Des Weiteren, in dem Sinne, dass die ideelle Einheit selbst existiert,
erhält das Bewusstsein für sich “erst eine Realität”, die aber nicht auf die Realität des
äußeren Gegenstandes, sondern des Begriffs selbst des äußeren Gegenstandes hinweist
(J I.287). Sowohl in der Anschauung als auch in der Bezeichnung hatte das Bewusstsein
seinem Begriff gegenüber den äußeren Gegenstand als sein Anderssein nur außer sich.
Es hat nun in seinem Gedächtnis sein Anderssein als “für sich selbst ideell gesetzt”,
indem sein Begriff, seine Bedeutung selbst darin selbstständig existiert. Sein Anderssein
im Gedächtnis ist eben seine Bedeutung, die als ideelle Einheit selbst für sich existiert.
Sein Anderssein wird also als diese für sich existierende Bedeutung “zu einem
Nahmen”. Hegel erklärt aber damit nicht, wie ein äußerer Gegenstand mit einem Namen
genannt und vertreten wird oder wie ein Name eines Gegenstandes aus dem Gedächtnis
entsteht. Erklärt ist vielmehr, dass auf dem Standpunkt des Bewusstseins oder des
subjektiven Geistes überhaupt das Bewusstsein des Gegenstandes unabhängig vom
willkürlichen Subjekt und ohne Hilfe des dritten Zeichendings zuerst im Gedächtnis
selbstständig existiert und diese Existenz zuerst im Namen ihren Niederschlag findet.
Im Gedächtnis ist die selbstständige Existenz des Bewusstseins von einem Gegenstand
als ein Name aufbewahrt. Der Name ist das, was ein Gegenstand des Bewusstseins als
sein Anderssein nicht außer, sondern in ihm idealiter verselbständigt ist. Denn der Name
17
Hegels Begriffe ‚Erinnerung’ und ‚Gedächtnis’ haben auch viel Ähnlichkeit mit den Aristotelischen
‘memory’ als ‘being aware of an image’ ‘of something past’ und ‘recollection’ als ‘the actualising’ ‘of
memory which has become merely potential’. Ross, David: Aristotle, S. 142-145. Außerdem ist auch die
Mnemosyne bzw. das Gedächtnis, das hier auf dem Standpunkt des einzelnen Bewusstseins erläutert wird,
nach dem Jenaer Fragment seiner Form (1803) im Wesentlichen “das allgemeine sprechende Bewußtseyn
des Volkes” (SE 376), ebenso wie die Sprache auch de facto als “die Sprache eines Volks” existiert (J
I.318).
130
ist kein Ding mehr, wie ein Zeichen, und hat daher weder Bedeutung noch Realität als
Ding selbst, sondern er ist ein schlechthin ideelles, das an sich in einem fort keine
andere Bedeutung als den Gegenstand des Bewusstseins hat. Er ist für sich existierende
Idealität, für die es nicht nötig ist, jeweils auf den äußeren realen Gegenstand zu
verweisen. In diesem Sinne erhält das Bewusstsein die erste Realität als die selbständige
Idealität des Namens.
Das Bewusstsein hat aber nicht nur solche ideale Realität. Denn der “Nahmen existirt
als Sprache”, und diese hat außer der selbständigen Idealität auch selber Realität. Sie ist
nämlich phonetisch reale Idealität. Zunächst verdient Beachtung, dass die von Hegel
hier intensiv entwickelte 18 Sprachlehre weder Genetik der Sprache noch reine
Linguistik ist. Die Sprache kommt vielmehr als das Relatum der ideellen Einheit des
Bewusstseins, also bekanntermaßen als seine Mitte, in Betracht.19 Wenn das Gedächtnis
die für sich seiende ideelle Einheit des Bewusstseins des Gegenstandes ist, ist die
Sprache die als die Einheit erscheinende Mitte zwischen dem Bewusstsein und dem
Gegenstand. Diese Sprache ist auf der einen Seite die Existenzform des Namens. Unter
„Sprache“ ist hier nicht der ideelle Inhalt angesprochen, sondern das reale Sprechen.
Die sprachliche Existenz des Namens ist nichts anderes als das phonetische Dasein
desselben. Der Ton existiert “im Elemente der Lufft”. Die Luft ist Hegel zufolge “so
absolut ausser sich”, “als sie ist”. Weil sie die formlose freie Flüssigkeit ist, hat sie keine
selbstständige Existenz. Sie existiert lediglich in einer Form außer sich, z. B. des Tones,
des bestimmten Raums u. a. Sie ist freilich da. Aber dass sie ist, besagt, dass sie nicht in
einer eigenen, sondern in jeder anderen Form außer sich ist und sein kann. Sie ist also
nur als außer sich seiende. Ihre Existenz ist daher gerade die Form anderer Existenz
außer sich. Die tönende Luft ist die Existenzform des Tones. Die eingeatmete Luft ist
die Existenzform des Atems u. a. Die Luft hat keine eigene, sondern eine solche, immer
in der Form anderer Existenz, diese allgemein mitteilende Existenz. Ihr im-AnderenSein ist ihr Sein, das nichts anderes als die Form des Anderen ist. Dies ist eben die
Bedingung für das allgemeine Medium, die das Ding als Zeichen nicht erfüllen konnte.
Um Zeichen zu sein, musste zwar die eigene Realität des Dings vernichtet werden, die
dennoch als Träger der Bedeutung weiterhin bestehen musste. Die eigene Realität des
18
Hier findet sich Hegels einzig intensive Beschäftigung mit dem Problem der Sprache. HH, S. 162.
Seine Lehre von Zeichen und Sprache tritt später in der Psychologie der Enzyklopädie im losen
Zusammenhang mit Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis auf.
19
Obzwar Schnädelbach Hegels Sprachlehre richtig als ‘eine sprachtheoretische Rekonstruktion des
individuellen Einzelbewusstseins’ bemerkt, versteht er sie jedoch falsch als intersubjektiv. Schnädelbach,
Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 123-125. Sie liegt nicht im intersubjektiven, sondern noch
subjektiven Kontext der Verselbständigung des einzelnen Bewusstseins bis zu seiner absoluten Einheit als
dem praktischen Individuum.
131
Dings widersprach seiner Idealität als Zeichen. Dagegen ist die Realität der Luft die
Form des Anderen. Nun ist nur die bedeutende Form des Anderen nötig, hier nämlich
des Tones. Wenn der Ton Bedeutung bekommt, wird die tönende Bedeutung selber
vermittels der Luft realiter existieren. In der völlig formlosen Luft kann sich der Ton
unendlich bilden. Der bedeutende Ton ist Stimme; die Stimme des Tiers hat aber
lediglich “eine unendlich in sich bestimmte Bedeutung”, die also nicht auf einen
Gegenstand verweist, sondern nur Ausdruck seiner Stimmung gegenüber dem
Gegenstand ist (J I.288). Die Stimme als die selbständige Bedeutung entsteht durch die
Artikulation.20 Diese wird Hegel zufolge realisiert, indem sich die Gliederung des
Stimmorgans im Unterschied der Stimme zeigt. Im Unterschied gegeneinander hat jeder
Ton “für sich eine Bedeutung” und bildet die phonetisch artikulierte Sprache als
Sprechen. Das Sprechende ist das bewusste Subjekt und die Sprache die “Stimme des
Bewußtseyns”, darin, dass in jedem bedeutenden Ton ein Name für sich als die Idealität
eines existierenden Gegenstandes trotz des unmittelbaren Nichtexistierens desselben
existiert (J I.289). Die Sprache ist also “der existirende Begriff des Bewußtseyns” oder
der phonetische Realismus seines Begriffs als “die erste einfache Existenz der”
tönenden “Vernünftigkeit” im “Element der L[ufft]” (J I.288).
Die Sprache hat auf der anderen Seite die selbständige Idealität, indem sie die
Existenzform des Namens ist. Sie ist ferner die höhere Idealität als die Beziehung der in
sich existierenden Namen selbst. Sie bedeutet auf dieser Seite den ideellen Inhalt der
Sprache als den eigentlichen Begriff des Bewusstseins. “In dem Nahmen realisirt sich
das ideellsetzen der empirischen Anschauung” (J I.290). Insofern besagt der Name hier
nicht bloß Nomen, sondern alles, was für sich als Ideelles des Angeschauten zu setzen
und zu nennen ist. Doch er ist als solcher zuerst “nur der Nahmen des einzelnen Dings”
(J I.289), also “selbst noch eine einzelne Idealität”. Es bestehen so viele Namen als
einzelne im Gedächtnis neben und außer einander oder als einzelne Dinge in der Welt
da sind. Das Gedächtnis aber lässt nicht nur Namen bestehen, wie sie sind, sondern
bezieht sie auch aufeinander durch seine “negative Einheit”.21 Weil es die Idee ist, in
der das Bewusstsein selbst existiert, ist es, wie das Bewusstsein, die negative Einheit,
die durch die Negation der Vielheit eins mit der negierten Vielheit wird. Z. B. das Blau
eines Angeschauten ist im Gedächtnis für sich als ein Name, gleich wie das Blau eines
20
Über den Zusammenhang mit der auf Böhmes ‘Natursprache’ basierenden Konzeption Herders über
den Ursprung der Sprache als ‘das Bedürfnis, sich in Tönen und Lauten zu artikulieren’, Bienenstock,
Myriam: Zu Hegels erstem Begriff des Geistes (1803/1804): Herdersche Einflüsse oder aristotelische
Erbe?, HS 24, S. 40-43.
21
Das Gedächtnis in der Enzyklopädie ist daher Fulda zufolge, wie die Einbildungskraft, ‘ein
Reproduktionsprozeß’, ‘nun aber einer, in welchem sich die Intelligenz selbst reproduziert’. Fulda, Hans
Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, S. 190-193.
132
anderen. Das Gedächtnis bezieht jenes Blau auf dieses, setzt das Blau selbst als ein
“Bezogenseyn” auf alle als blau angeschauten Gegenstände. Nun ist das Blau nicht
mehr nur einfach ein Name des einen oder anderen Angeschauten, sondern vielmehr der
Beziehungsbegriff selbst der gleichen Namen. Es ist “an sich allgemeines”, das von
verschiedenen blauen Farben abstrahiert ist, oder Ideales der Vielheit der Namen, das
der Name aller blauen Gegenstände sein kann (J I.290). Dieses Ideale ist nichts anderes
als der Begriff des Bewusstseins im eigentlichen Sinne der sprachlichen Bestimmtheit,
mit dem das Bewusstsein den Gegenstand nicht nur erkennen, sondern auch denken
kann. Es ist, mit einem Wort, Verstandesbegriff als Beziehungsbegriff der Namen.
Während die Sprache als die phonetische Realität die Existenzform des Namens ist, ist
sie nun als selbständige Idealität eben “die Beziehung der Nahmen oder wieder die
Idealität ihrer Vielheit” (J I.289). In ihr ist der Name nicht nur der Name des einzelnen
Dings, sondern auch allgemein bestimmter Begriff, in dem die Einzelheit des Namens in
einem gewissen Maße aufgehoben ist. Die Sprache ist daher auf der Seite des ideellen
Inhalts “das gewordene Allgemeine” aus dem Beziehen der Namen durch das diese im
Gedächtnis haltende Bewusstsein. Mit dieser Sprache erreicht das anschauende
Bewusstsein den Verstand.
1.4. Verstand und Vernunft
Der Verstand ist auch in der zweiten Geistesphilosophie die zweite Form der Intelligenz.
Er wird ebenfalls durch das Gedächtnis als Vermögen für die Beziehung der Namen
erreicht. Hier ist bemerkenswert, dass Hegel zur Kraft der Namengebung außer dem
Gedächtnis auch die “Schöpferkraft” zählt. Dies wird die Entstehung des Namens
konsequenter erläutern als in der ersten Geistesphilosophie, in der das Gedächtnis nur
als die Bewahrung des Namens und die phonetische Sprache nur als die Existenzform
desselben erklärt sind. Das Gedächtnis bewahrt beständig das Innerliche des Dings als
Zeichen, während die Erinnerung jeweils das Innerliche mit dessen gegenständlicher
Quelle zusammenfassen lässt. D. h. im Gedächtnis besteht das Innerliche selbstständig,
während es in der Erinnerung oder im Zeichen eben des Erinnerns an den angeschauten
äußeren Gegenstand bedürftig ist. Es wird als Selbstständiges im Gedächtnis wiederum
dem Ich Gegenstand, um nun als solches äußerliches zu werden. Ich setze es durch die
Sprache “als seyendes”. Die Sprache in diesem Moment ist noch nicht ein Inbegriff der
gebildeten Namen und Begriffe, sondern Aussprache als Namengebung. Die
phonetische Sprache ist hier nicht strukturell dargestellt wie in der ersten
Geistesphilosophie, aber dennoch als die Realisierung des Inhalts des Gedächtnisses
133
eingeführt, deren Resultat als Seiendes eben der Name ist. Diese Sprache als die
Aussprache ist in drei Hinsichten zu bewerten. Sie ermöglicht zunächst den Namen als
“ein Daseyn, das seinem Begriffe gemäß ist”. Der Name ist das Entäußerte des
Innerlichen selbst. Dies Innerliche ist zum einen eigentlich der Begriff des angeschauten
äußeren Gegenstandes. Es ist zum anderen aber auch der Begriff des Entäußerten, des
Namens selbst, weil sein unmittelbar entäußertes Sein der Name ist. Als das Dasein des
Begriffs selbst ist der Name “das wahre Seyn des Geistes als Geistes überhaupt”. Im
Namen existiert der Geist unmittelbar als Ideelles, Begriff, oder Geistiges, d. i. als er
selbst, daher ist sein Sein seinem Begriff adäquat. Zweitens ist die Namengebung der
Sprache eine ergreifende Schöpfung. Nicht der äußere Gegenstand, sondern der Name
als das Dasein des Begriffs selbst ist nun dem Ich Gegenstand; zum Verstehen des
Namens brauche ich außer diesem als Seienden nicht mehr notwendig den äußeren
Gegenstand. Das Dasein des Namens lässt selber den Begriff desselben verstehen, daher
ist der Name zum einen “die Einheit zweyer freyer Selbst”. D. h. sobald er phonetisch
da ist, verhallt er zwar unmittelbar, allein er ist bereits vernommen, als Begriff
verstanden, weil nur sein Dasein allein seinen Begriff bedeuten kann. Der Name ist ein
Geschöpf, mit dessen Dasein zwei Selbst sich begrifflich miteinander vereinigen. Sein
Dasein ist zum anderen etwas ganz anderes als der äußere Gegenstand der Anschauung.
Es ist de facto lediglich “ein Ton meiner Stimme” (J III.189). Damit nenne ich dies oder
jenes z. B. einen Löwen oder einen Esel. Der Ton „Esel“ ist durchaus etwas anderes als
dessen sinnlicher Gegenstand. Aber gleichgültig, ob dieser präsent ist oder nicht, ist nun
der Name sein Sein. Der Gegenstand ist nämlich als mein Name “aus dem Ich heraus
gebohren”. Ich spreche ihn nur als meinen Namen, also als den meinigen aus. Die
Namengebung ist daher “das Schaffen” “der ganzen Natur” aus dem Ich zu meinem
Besitz. Durch den Namen beziehe ich mich nicht auf den bloß äußeren Gegenstand,
sondern auf meinen Besitz, als der der Gegenstand ist. D. h. der “Geist verhält sich zu
sich selbst” im Namen. Schließlich ist das Reich dieser Namen die Welt für das Ich. Die
Welt ist nun kein solches Reich mehr, das durch dessen Bilder erkannt, also als
Nichtseiendes gesetzt wird. Sie ist “das Reich der Nahmen”, die für den Geist als
seiende ausgebildet sind (J III.190). Der Geist ist aus dem Träumen der auftauchenden
Bilder erwacht und bezieht sich auf seine genannten Seienden. Dies ist aber andererseits
zugleich nichts anderes als die Trennung des Geistes von der Welt an sich. Diese
Trennung ist ursprünglich, insofern der Geist nur mit seinem Namen die Welt
konfrontiert. Hegel beschreibt diese Trennung mit dem Mythos der Namengebung
Adams. 22 Diese ist in der ersten Geistesphilosophie dargestellt als erster Akt der
22
Bienenstock zufolge ist dieses Beispiel von Hegel nicht allein originell gewählt, sondern es enthält
134
Herrschaft Adams, Tiere als seiende zu vernichten und zu für sich ideellen zu machen (J
I.288). Er verschaffte sich nach der zweiten Geistesphilosophie “das Majestätsrecht und
erste Besitzergreifung der ganzen Natur” durch seinen Schöpfungsakt, allen Dingen
Namen zu geben. Der Mensch begegnet nun nicht mehr unmittelbar der Welt als solcher,
sondern immer durch seine seiende Bedeutung. Er verhält sich in der ursprünglichen
Trennung zum von ihm geschaffenen Namen bzw. zum Begriff des Getrennten. Und
eben deswegen trennt er von sich das Seiende als Name. Der Geist als diese Beziehung
der beiden Getrennten ist im eigentlichen Sinne “Bewußtseyn” (J III.190). Der Geist ist
nicht mehr einfach das Bewusstsein des ideellen Bildes des Angeschauten, sondern des
Begriffs, dessen Bedeutung gegenständlich als Seiendes ist. Das, was angeschaut wird,
ist nun Name bzw. Begriff als Seiendes, bei dem das vergängliche Anschauen im Raum
und in der Zeit völlig überwunden ist. Die Anschauung ist eigentlich gleichzeitig mit
dem Begriff, wie Kant zwar einsah, doch nur getrennt erwog.
Die Bedeutung des Namens aber ist in einer Hinsicht auch anders als er selbst. Seine
phonetische Existenz ist vergleichbar mit der dinghaften Gestalt des Zeichens. Hegel
hebt hier nicht das Spezifikum der Stimme als Medium, sondern die semantische
Differenz beider hervor. Während die Bedeutung des Zeichens nur “das innre” ist, das
das Subjekt denken will, ist die Bedeutung des Namens eben “das sinnlich seyende”
selbst. Das Zeichen Ω bedeutet das innere Bild des Baum-Gegenstandes. Dagegen ist
die Bedeutung des Namens „Baum“, der Gegenstand selbst als Baum, der das Bildhafte
hat. Es fragt sich nun natürlich, ob der Name seiner Bedeutung, oder sein geistiges Sein
seinem äußeren Baum-Gegenstand gleich ist. Der Begriff des Baumes muss dem BaumGegenstand gleich werden, damit er der wahre Name sein kann. Dadurch wird der
Name selbst nun dem Ich Gegenstand. Sein “Benahmen ist ihm Gegenstand”. Während
das Bild in der Einbildungskraft oder als das Innere des Zeichens die äußere Beziehung
und bildliche Ordnung des Gegenstandes in dem Raum und in der Zeit widerspiegelt,
wie sie ist, verweist der Name nur auf den Gegenstand. Ein Baum wird bildlich mit
seinem Grün vorgestellt. Aber der Name „Baum“ bedeutet dagegen nur den BaumGegenstand ohne Bezug auf dessen bildliche Mannigfaltigkeit und nächsten
Umgebungen und ist daher etwas ganz anderes als der Name „Grün“, weil er Resultat
der Verselbständigung der Bedeutung selbst des Ich ist. Der Name hat an sich keine
Beziehung, sondern ist lediglich “eine sich nicht selbst tragende Reihe” (J III.191). Der
seine indirekte Antwort auf die damals kursierende These Jakob Böhmes von der ‘adamitischen’
‘Natursprache’, welche der Natur als dem ‘von Gott selbst gewährten Wesen entspricht’. Seine Antwort
heißt nämlich, dass ‘die Sprache vom Menschen frei gefunden’ und ‘weit entfernt’ von der Natursprache
ist. Bienenstock, Myriam: Zu Hegels erstem Begriff des Geistes (1803/1804): Herdersche Einflüsse oder
aristotelische Erbe?, HS 24, S. 44-45.
135
Träger der Namensreihe kann nichts anderes als das Subjekt der Benennung, das Ich,
sein. Nur durch das Ich wird der Name „Baum“ mit dem Namen „Grün“ verknüpft. Das
“Ich muß sich nun anschauen, als dieses ordnende”, oder Namen “als geordnet, und
diese Ordnung festhaltend”. Das Vermögen des Ich für diese Ordnung ist erst das
Gedächtnis im eigentlichen Sinne. Das Gedächtnis, das bisher betrachtet wurde, lässt
sich insgesamt in drei Phasen unterscheiden. Es ist zunächst das Vermögen, das Ideelle
des Angeschauten als Seiendes zu bewahren, woraus der Name als dies Seiende möglich
wird. Es ist zweitens das Gedächtnis des Namens selbst, der auf alle gleichen
begrifflichen Inhalt habenden Gegenstände gleichsam bezogen ist, wie in der ersten
Geistesphilosophie der Name „Blau“ auf alle blauen Gegenstände. Der Name als das
Bezogensein ist des Weiteren drittens im Gedächtnis auf einen anderen Namen bezogen.
Das Gedächtnis in dieser Phase ist das eigentliche Gedächtnis, das den Namen
„Baum“ als bezogen auf den Namen „Grün“ und auch auf andere in der äußeren
Ordnung der Gegenstände aufbewahrt. Das Ich als das Subjekt des Gedächtnisses ist
daher gerade die “ansich seyende Beziehung” der Namen. Ich beziehe, wie ich sinnlich
anschaute, den Namen „Baum“ auf den Namen „Grün“. Also, der Baum, oder genauer
gesagt, dieser Baum ist grün. Diese Beziehung hat aber zuerst nicht die Notwendigkeit
der Namen selbst, sondern nur ihrer festen Ordnung im Ich. Es fragt sich dann natürlich
nach jener Notwendigkeit. Das Ich erfasst nun sich selbst als die ordnende Kraft. Es hat
“in seinem Gegenstand” als seinem Namen noch wiederum sich selbst “als Gegenstand”.
Es ist Hegel zufolge eben der “Verstand” (J III.192). Der Verstand ist “das erste sich
selbst als Krafft” der “freyen” “Ordnung” “erfassende Ich”. Für ihn ist der Name nun
“eine allgemeine” “Beziehung”, die nach der ersten Geistesphilosophie erst
Verstandesbegriff ist. Die Beziehung der Namen hat zuerst nur subjektive
Notwendigkeit, die im ordnenden Ich lediglich unbezogen auf den äußeren Gegenstand,
daher noch nicht befreit von der Willkürlichkeit und Zufälligkeit ist. Das Beziehen oder
Ordnen der Namen als “Übung des Gedächtnisses” ist “die erste Arbeit, des erwachten
Geistes, als Geistes” ohne Stoff (J III.193). Diese Arbeit ist ganz unsinnlich,23 weil sie
keine Beschäftigung mit dem Angeschauten, sondern mit dessen Namen ist. Sie wird
weiterhin durch das Prüfen und Einsehen der Ordnung als Form des Seins des äußeren
Gegenstandes die objektive Notwendigkeit erhalten.
23
Dieser eigentümliche Arbeitsbegriff Hegels, der hier außerhalb des politisch ökonomischen Kontextes
der gesellschaftlichen Arbeit erwähnt ist, hebt das Moment der Selbstvergegenständlichung des Subjekts
hervor. Die gesellschaftliche Arbeit wird deshalb nicht nur die Arbeit des marxistisch vom
gesellschaftlichen Sein bestimmten Bewusstseins, sondern auch des Bewusstseins sein, das sich
gesellschaftlich vergegenständlicht. Der gesellschaftliche Widerspruch müsste daher auch als der
Selbstwiderspruch des gesellschaftlichen Bewusstseins erkannt werden können.
136
In dieser Hinsicht ist die Sprachlehre des Bewusstseins de facto mehr von
epistemologischem als von linguistischem Gewicht. Die erste Geistesphilosophie
diagnostiziert und überwindet damit den damaligen Gegensatz zwischen Realismus und
Idealismus.24 Beide sind demzufolge gleichermaßen einseitig. Z. B. das empfundene
Blau als Bestimmtheit ist bekanntlich zuerst eine einzelne Bestimmtheit des
angeschauten äußeren Gegenstandes im Bewusstsein, dann ein Name oder ein
bestimmter Begriff, der als Seiendes im Gedächtnis des Bewusstseins bewahrt und als
bezogen auf andere gesetzt ist, und schließlich ein allgemeiner Begriff, der sich als
Farbe selbst durch das Subjekt auf andere Begriffe im eigentlichen Gedächtnis bezieht.
Der Realismus, der vor allem von Jacobi vertreten worden ist, behauptet, dass die drei
Potenzen der Bestimmtheit jede für sich sind. Die Bestimmtheit des Blau sei für sich im
äußeren Gegenstand ohne Bezug auf das anschauende Bewusstsein und als ein
bestimmter Begriff auch für sich bezogen auf andere Begriffe, ferner sei die
Allgemeinheit des Begriffs als Farbe auch für sich als “versenkt” “in die Differenz der
Farben”. Demgegenüber sei dem Subjekt “nur eine Seite der dritten Potenz”
zugeschrieben, d. i. abgesehen vom Vermögen, immer mehr allgemeinen Begriff durch
das Beziehen zu bilden, nur das Vermögen, “das in der Differenz schon seyende”
“Allgemeine herauszunehmen, zu isoliren, zu abstrahiren”, nur durch “die formale
Thätigkeit der Vergleichung der seyenden Ähnlichkeit” (J I.292). Das Subjekt hat also
de facto lediglich die Tätigkeit der passiven Rezeption. Es kann daher nicht wahrhaft
frei sein, weil ihm sowohl sein selbstständiger Begriff als auch dessen gegenständliche
Realisierung verweigert ist. Obwohl der Realismus betont, “daß die Bestimmtheit, als
für sich seyende der Natur angehört”, übergeht er andererseits vor allem, dass die
Bestimmtheit zugleich “nur in Beziehung auf ihr aufgehobenseyn, oder auf den Geist”
ist. In jenem Punkt hat er Recht, aber in diesem ist er dogmatisch. Die Bestimmtheit in
der Natur ist immer “als einzelne Empfindung”, nicht selbst als Begriff. Sie wird als
Begriff nur geistig ans Licht gebracht, existiert nur in geistiger Weise als solche. Nur im
Geistigen ist Geistiges als solches. Der Realismus, der die “Existenz des Subjects”
außer Acht lässt, ist de facto “ein vollkommen lächerlicher” Realismus von Ideen ohne
Substrat. Und zwar, weil die Allgemeinheit des Begriffs endgültig nicht vom endlichen
Naturding umfasst werden kann, hat sie häufig ihre Adresse im Absoluten, dessen
Offenbarung Natur ist. 25 Es besteht dagegen auch “ein vollkommen lächerlicher
24
Über den Zusammenhang des hier von Hegel kritisierten Realismus mit den Jacobischen Schriften,
Über die Lehre des Spinoza und David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus, und des
Realismus mit der Fichteschen Schrift, Die Bestimmung des Menschen, J I., Anhang, S. 383-384.
25
In Glauben und Wissen heißt es, die “Jacobische Philosophie hat mit der Kantischen Philosophie das
Gemeinschaftliche der absoluten Endlichkeit, derselben in ideeller Form, als formalen Wissens, in reeller,
137
Idealismus”, der Fichte an der Spitze haben müsste (J I.293). Er erstattet zwar dem
Subjekt die letzten zwei Potenzen zurück, aber behauptet daüber hinaus, dass “auch die
erste” Potenz “der Bestimmtheit des Blau” dem Subjekt gehört (J I.292). Demnach sei
selbst die einzelne Bestimmtheit nur dem Subjekt immanent, das vom Gegenstand
lediglich gebunden, behindert, also bestimmt sei. Daher werde auch die Aufgabe gestellt,
das Subjekt “als Bestimmtheit seyend” eben von dieser Bestimmtheit als “von einer
Aüsserlichkeit” zu befreien. Aber dann wird das Subjekt Hegel zufolge selbst aufhören,
“Subject, diß Eine Glied des Gegensatzes zu seyn” (J I.293). Es wird de facto nur mit
seinen freien, aber realitätslosen Ideen spielen. Und weil die Natur keine wahrhafte
Wirklichkeit der Ideen ist, hat die Verwirklichung der Freiheit in der Natur sogar das
Element des Zwangs.26
Dieser Streit zwischen dem Realismus und dem Idealismus wird in Hegels Augen im
Grunde genommen nicht lediglich durch eine Voreingenommenheit, sondern auch durch
die streitige Eigenschaft der Bestimmtheit selbst veranlasst. Die Bestimmtheit in jeder
Form ist zugleich als solche und bezogen auf das Subjekt. Sie erscheint dem
reflektierenden Bewusstsein bekanntermaßen als seine Mitte, aber als “die in sich
streitende” Mitte, deren eine Seite jede Partei des Streits einnimmt (J I.292). Hegel
zufolge ist sie für sich im Gegenstand wegen ihrer geistigen Allgemeinheit, die in der
Natur als Anderssein des Geistes vereinzelt ist. Sie kann auch als Selbst des von der
Andersheit befreiten Geistes eben im geistigen Einzelnen für sich sein. Und nur hierin
verrät sie sich als freies Wesen. Nach dieser ontologischen Einsicht lässt sie sich dann
epistemologisch als solche lediglich in der Beziehung auf das geistige Einzelne
beleuchten.27 Dies Einzelne, das Hegel als Ort des Selbsts des Geistes einführt, ist
gerade das Bewusstsein, das in der Mitte zwischen seiner Einzelheit und dem einzelnen
als eines absoluten Empirismus, – und des Integrirens beyder durch den ein absolutes Jenseits setzenden
Glauben”, zugleich darin mit der Differenz der Jacobischen Subjektivität als ganz subjektiver
Individualität von der Kantischen als objektiver Form des Begriffs. JKS, S. 346-347.
26
Glauben und Wissen lautet, das Fichtesche Ich “kann zu seinem wahren Wesen nur gelangen, daß es
dieses Seyn” als die objektive Welt “vernichtet; und die Natur ist somit bestimmt als bloße Sinnenwelt als
ein zu vernichtendes, und muß als ein solches erkannt werden”. Auch dem von Natur aus lebendigen Volk
“tritt das Allgemeine für sich fixirt, als ein Gesetz schlechthin gegenüber”, das geschehen soll, “aber nicht
als innere, sondern als äußere Freyheit der Individuen, die ein Subsumirtwerden derselben unter den
ihnen fremden Begriff ist”. JKS, S. 403, 409. Fichtes Naturbegriff wurde von Hegel bald richtig als
realistischer Begriff im Sinne der unaufhebbaren Bedingung des Selbstbewusstseins verstanden und als
dennoch nihilistischer kritisiert, bald ohne Rücksicht auf Fichtes Absicht als rein deterministischer falsch
kritisiert. HH, S. 118, 142-143.
27
Der ‘epistemologische Realismus’ Hegels setzt also ‘notwendig einen ontologischen Realismus’ ‘einer
vom Bewusstsein unabhängigen Existenz der Welt’ voraus. Jaeschke sieht Hegels ideale Erkenntnis der
Realität der äußeren Welt, daher die Hegelsche Einheit von Idealität und Realität als eben durch seine
‘angemessene Thematisierung des Bewusstseins’ ermöglicht. Jaeschke, Walter: Zum Begriff des
Idealismus, Hegels Erbe, S. 164-183.
138
Gegenstand die Bestimmtheit als die selbständige Allgemeinheit haben kann. Diese
Allgemeinheit hat das Bewusstsein nun durch den Namen als allgemein bestimmten
Begriff. Insofern das Bewusstsein ferner Begriffe in deren Beziehung als Sprache
besitzt, ist es “die Totalität der Bestimmtheiten”, die es mit seiner Einzelheit vereinigt
und die auch ebenfalls in der Natur mannigfaltig vereinzelt ist. Es ist schlechthin “nur
das Einsseyn” von Subjekt und Gegenstand (J I.293).
Aber im Verstandesbegriff erreicht das Bewusstsein noch nicht sein absolutes Einssein.
Insofern der Verstandesbegriff von den bezogenen einzelnen Namen abstrahiert ist, ist
er doch noch in der Beziehung auf ihre Einzelheit, daher nur allgemein bestimmt. Er ist
noch lediglich solche Einheit des Bewusstseins, das sich als Selbst auf einzelne Namen
bezieht, d. i. “nur die aus dem Nahmen zurückkehrende Einheit des Bewußtseyns” (J
I.294-295). Insofern ist er “ein bestimmter Begriff”, “nicht die absolute Einheit”, wo die
Allgemeinheit des Begriffs absolut eins mit der Einzelheit des Bewusstseins ist (J I.295).
Im Verstandesbegriff ist die Einzelheit des Namens noch nicht vollkommen aufgehoben,
weil der Verstandesbegriff von dieser Einzelheit nur abstrahiert, insofern abhängig ist. Z.
B. der Verstandesbegriff der Farbe ist nur insofern allgemein, als er ein Name jedes
farbigen Gegenstands sein kann. Er ist nur als die Beziehung der Farben der
Gegenstände allgemein, aber bezieht sich nicht als ein absolut unbestimmter auf einen
anderen Begriff, z. B. von der Gestalt. Mit dem Verstandesbegriff ist zwar dieses Urteil
möglich, „dieser Baum oder jener Wald ist grün“, aber kein solches Urteil wie z. B.
„Alles, was gestaltet ist, ist farbig“. Doch das Bewusstsein, das mit der Sprache als
Beziehung der Namen den Verstand erreicht, kann darüber hinaus seinen
Verstandesbegriff nicht jeweils als den auf den Gegenstand bezogenen einzelnen Namen,
sondern schlechthin nur als die Beziehung selbst setzen. Dafür muss der Begriff “sich
absolut in sich reflectiren” (J I.294), d. i. er muss sich von der Bestimmtheit seiner
Beziehung absolut befreien und zum für sich seienden Begriff des Bewusstseins selbst
zurückkehren. Vom Verstandesbegriff bis zu diesem vernünftigen, aber zuerst formalen
Begriff ist nur ein Schritt nötig. Das Bewusstsein braucht nur, ohne Rücksicht auf den
Gegenstand, seinen Begriff als absolut für sich Seiendes zu setzen. Der Begriff von der
Farbe ist nun kein solcher Begriff, der sich bestimmt auf den farbigen Gegenstand
beziehen soll, sondern eine “reine Beziehung”, die als Beziehung unbestimmt ist, daher
Beziehung auf alles sein kann. Es gibt Nichts, worauf der Begriff als solcher sich nicht
beziehen kann, wie sogar beim Beispiel „Chimära“. Dies heißt dennoch nicht, dass der
absolut unbestimmte Begriff ungegenständlich ist, sondern er ist absolut für sich seiende
Idealität im Bewusstsein, daher absolut real für das Bewusstsein. Der Begriff „Farbe“ ist
nämlich die reale Existenz der Idealität der Farbe im Bewusstsein. Denn er braucht nun
139
keine phonetische Aussprache nach außen, sondern lediglich sein Verhallen im
Bewusstsein reicht aus für sein Fürsichsein im Bewusstsein. 28 Die Sprache dieser
Begriffe wäre die reine Sprache des Bewusstseins, eine Art Metasprache, in der sich der
Begriff als Begriff zu sich selbst verhält.
Aber das, was durch den Begriff als die reine Beziehung erschaffen wird, ist weder das
Erkennen noch die Realisierung der Wahrheit, sondern zuerst lediglich die absolute
Einheit des Bewusstseins, das gegenständliche Begriffe absolut besitzt. Der wahre
Begriff muss vor allem auch freier Begriff sein. Das Bewusstsein hat nun diese Freiheit
des Begriffs. Sein Begriff ist reine Beziehung, die von ihren Relata unabhängig ist. Er
ist nun schon die absolute Form des Unendlichen, in dem Sinne, dass er nur noch “die
einfache, absolute Abstraction der Einheit” des Unendlichen im Bewusstsein ist. Er ist
mit einem Wort “die absolute Leerheit des Unendlichen”. Er ist nicht mehr
Verstandesbegriff, sondern “das formale der Vernünftigkeit”, das nicht um des
Erkennens willen, sondern nur durch das Denken mit anderen Begriffen vereinigt
werden kann. Den Begriff nennt Hegel auch “die Reflexion als Punkt”.29 Ein gesetzter
Punkt lässt sich auf alle anderen Punkte beziehen, durch diese Beziehung bestimmen,
bleibt aber als solcher ein unbestimmtes Eins, mit dem alle bezogenen Punkte und deren
Beziehungen konvergieren. Ein absolut gesetzter Begriff des Bewusstseins ist ebenfalls
absoluter Mittelpunkt, in den sich alle Beziehungen und deren Glieder reflektieren.
Diese mathematische Metapher besagt daher, das der begrifflichen Reflexion fähige
Bewusstsein sei “das Eins der formalen Vernünftigkeit” (J I.295) oder das “absolute
Eins der Reflexion” (J I.298).
Während die Vernunft in der ersten Geistesphilosophie zunächst nur von der formalen
28
Dies kann ein gutes Spezimen vom Phonozentrismus sein, den Derrida auch bezüglich der
Enzyklopädie als Typus des westlichen Denkens analysiert. Ihm zufolge ist Hegel der letzte Philosoph des
phonetisch geschriebenen Buches und der erste Denker der Schrift (écriture). Derrida, Jacques: Of
Grammatology, S. 1-26, Margins of Philosophy, S. 69-108.
29
Diese geometrische Metapher hat aber Ziche zufolge auch naturphilosophische Gründe. Dadurch, dass
Hegel in der frühen Jenaer Zeit einem Punkt die Unendlichkeit zuschreibt, verbildlicht er ‘die positive
Unendlichkeit’. ‘Der unendliche Punkt wird von Hegel als bildliche Darstellung der Rolle der
Spekulation in der Differenzschrift eingeführt’ und zusammen mit dem Momentbegriff auf die
mathematischen Bereiche in den Jenaer Systementwürfen II. angewendet. Z. B. in der Deutung von Fokus
und Radius bezeichnet Fichte die vom Fokus auslaufenden Strahlen als unendlich, und die Erlangung der
Unendlichkeit durch das Ich als Fokus gerät daher in den unendlichen Progress oder wird unerreichbar im
absoluten Gegensatz zwischen dem Fokus und allen anderen Punkten. Hegel charakterisiert dagegen den
Mittelpunkt selbst als unendlich und als jeweils Richtung habend, daher erhält der Punkt durch seine
jeweilige Beziehung auf einen anderen die Einheit mit demselben, aber ‘in neuer Form’. Seine Beziehung
wird durch Gleichung oder Funktion u. a. ausgedrückt, die die neue Form bzw. Bestimmtheit der Einheit
ist. Ziche, Paul: Mathematische und naturwissenschaftliche Modelle in der Philosophie Schellings und
Hegels, S. 71-106, 261-271. Aus diesem Grunde weist hier die Rede von der “Reflexion als Punkt” auf
die philosophische Reflexion bzw. spekulative Erkenntnis hin, die von Trennungen und Gegensätzen der
reinen Reflexion wiederum in sich reflektiert ist und zurückkehrt.
140
Seite ihres Begriffs eingeführt wird, tritt sie in der zweiten Geistesphilosophie als der
sich auf sich beziehende Verstand auf. Der Verstand im Urteilen ist das sich selbst als
ordnende Kraft erfassende Ich. Wenn er ferner dies ordnende Selbst als seinen
Gegenstand hat, ist er die “Vernunft, die sich selbst Gegenstand ist” (J III.200). Diese
Selbstvergegenständlichung wird möglich, wenn die stofflose Arbeit des Geistes mehr
abstrakt wird und nicht beim Beziehen des Namens nach dessen
Gegenstandsbezüglichkeit bleibt. Die Benennung durch das Ich war das Beziehen der
Ungleichartigen als Namen und Bild des angeschauten Gegenstandes aufeinander. Sein
Urteilen war also ebenfalls das Beziehen der Ungleichartigen, in dem Sinne, dass es
Beziehen der Namen nach der bildlichen Konstruktion des Angeschauten im Gedächtnis
war. Das Ich, das nun sich selbst als die Kraft der Beziehung vergegenständlicht, bringt
mit sich “die Befreyung der Beziehung von diesem Ungleichartigen”. Es ist für sich
“der freye Träger” oder “die freye ungegenständliche Ordnung” der Namen, wo “sich
Nahmen nur auf Nahmen bezieht” (J III.193). Zu beachten ist ebenfalls, dass die
Ungegenständlichkeit der befreiten Ordnung überhaupt weder Gegenstandlosigkeit noch
Ignoranz des Ungleichartigen bedeutet. Die selbstständige Kraft des Ich bedeutet nur,
dass sein Beziehen nicht unbedingt abhängig von dessen Gliedern ist. Das Ich behandelt
seinen Namen nicht nur als zu einem besonderen Bild gehörig, sondern kann ihn auch
als den selbständigen Begriff im eigentlichen Sinne auf andere beziehen.
Der Name war zu Beginn das für sich Seiende, zu dem das Ich das innere Bild des
Angeschauten im Gedächtnis machte. Das Ordnen der Namen durch das Ich im
Erkennen folgt daher der bildlichen Konstruktion des angeschauten Dings im
Gedächtnis. Die Ordnung der Namen bzw. der Name in der Ordnung ist also ebenso
“ein Ding”, das aber nicht das angeschaute Ding selbst ist, sondern dieses ersetzt und
vertritt. Z. B. der Name „Baum“ als bezogen auf den anderen Namen „grün“ ist selbst
eben ein Baum-Ding, das nicht der äußere Baum-Gegenstand selbst ist. Fraglich ist nun
natürlich, ob jenes Ding diesem äußeren adäquat ist. Obwohl das Ich seinen geordneten
Namen als ein seiendes Ding ansieht, ist dies Ding jedoch noch nicht wirklich. Denn die
Ordnung der Namen entspringt nur, wie erwähnt, dem Ich als der an sich seienden
Beziehung der Namen, die ihrerseits nicht das äußere Ding selbst, sondern lediglich das
Ding als behalten durch die Anschauung im Ich zusammenstellen. Die Notwendigkeit
der Ordnung ist also sogar nicht Notwendigkeit der Namen selbst, sondern nur des Ich,
in dem Namen aufbewahrt sind. Insofern das Ich diese Ordnung in sich fixiert, ist seine
Ordnung nur der “Schein der Ordnung” und sein Ding nicht mehr als ein Imaginatum.
Als Ergebnis lassen sich nun zwei Aufgaben stellen, die innere Notwendigkeit der
Namen selbst zu erlangen und die Entsprechung derselben mit dem äußeren Ding selbst
141
zu bestätigen. Die erste Aufgabe kann gerade durch den sich auf sich beziehenden
Verstand gelöst werden. Z. B. im Urteil „dieser Baum ist grün“ ist die Ordnung der
Namen zunächst noch gedankenlos, insofern die Namen „dieser Baum“ und „(dies)
grün“ hier nur auf die Ordnung des Ich bezogen sind, das seine durch Anschauung
erhaltenen Bilder als Namen im Gedächtnis bewahrt, und weil die Namen als Begriffe
selbst noch “rein gleichgültige” sind und keine gegenseitige Implikation oder
Subsumtion, sondern nur das Selbst des Ich als ihre Notwendigkeit haben. Die
Beziehung der Namen ist de facto lediglich vom Erfahrenen des Ich abhängig. Das
Urteil ist schlechthin Urteil der Erfahrung, das im Ich als feste Ordnung induktiv fixiert
ist. Die Wahrheit des Urteils ist ganz und gar vom “präcis sehen” abhängig. Diese
Aufmerksamkeit ist zwar “die erste nothwendige Thätigkeit” des Geistes, zieht aber
nicht mehr nach sich als die empirische Exaktheit und Allgemeinheit. Damit sich das
Urteil auf die begriffliche Notwendigkeit gründen kann, müssen daher beide Seiten des
Urteils in einer begrifflichen Beziehung aufeinander betrachtet werden. Dem Ich muss
sein eigener Inhalt selbst Gegenstand werden und sein Urteil auf der Notwendigkeit des
Inhalts selbst basieren. “Diese Arbeit ist daher das erste innre wirken auf sich selbst –
eine ganz unsinnliche Beschäfftigung und der Anfang der freyen Erhebung des Geistes”
(J III.194). Das Urteil, dessen Seiten als solche, also als selbstständige Begriffe gesetzt
sind, lautet nun: „Der Baum ist grün“. Dies ist Urteil des Denkens. Hierin sind das
empirisch tätige Ich und sein Gegenstand aufgehoben. Das für sich seiende Ich, das
Namen im Gedächtnis des Erfahrenen ordnet, ist mit seinem empirischen Gegenstand
aufgehoben und sich selbst Gegenstand geworden. Denn hier zu betrachten ist nicht die
Ordnung der Namen durch das Ich in der Gegenstandsbezüglichkeit, sondern
schlechthin die notwendige Beziehung der Namen als Begriffe selbst. Das, was gesetzt
ist, ist der Name selbst, dessen Einzelheit aufgehoben ist, also der Begriff selbst,
schlechterdings “die Allgemeinheit”. Das “zum Gegenstande gewordne Ich” ist nichts
anderes als das Ding, zu dem das Ich in der Namengebung sich selbst machte. Das Ich,
das das Ding seiner selbst als Gegenstand hat, ist eben die Vernunft. Dieser ist nun das
Ding als das Allgemeine entgegengesetzt. Das Allgemeine ist die Einheit selbst der
Seiten des Urteils, d. i. der grüne Baum oder das Grüne des Baums. Das Ich als ein
neues Subjekt des vergegenständlichten Selbst ist also nun “auf das Ding oder das
Allgemeine als solches thätig”. Der grüne Baum als das vergegenständlichte Ich, als das
Ding seines selbständigen Begriffs oder als das eine Allgemeine, ist begrifflich wahr
und hat innere Notwendigkeit, weil der Baum dem Inhalt des Begriffs nach das Grüne
als seine Eigenschaft unter einer bestimmten Bedingung hat. Für diesen Grund wäre
allerdings auch weiterer Beweis im Prozess des Wissens nötig, aber wenn er momentan
142
hier als bewiesen angenommen wird, tritt das wahre Allgemeine beim Urteilen in die
weitere Bewegung ein. Zunächst ist das Urteil „der Baum ist grün“, wie angenommen,
begrifflich wahr und notwendig. Aber in diesem Urteil ist das Allgemeine unterschieden,
einerseits als das Subjekt, „der Baum“, andererseits als das Prädikat, „grün“. Dieser
Unterschied hat zwei wichtige Bedeutungen. Er ist in erster Linie Unterschied im
Allgemeinen selbst, “im Dinge”, ferner “im Selbst” des vergegenständlichten Ich. Das
Ding, das als das Allgemeine gedacht wird, hat “die Nothwendigkeit an ihm, denn es hat
das Selbst des Ich an ihm”, indem das Allgemeine auch das zum Gegenstand gewordene
Ich ist. Es könnte das ideale Ding oder der Idealtypus von äußeren Dingen genannt
werden. Dies beinhaltet im Urteil, dass jeder Baum dem Wesen nach grün ist. Jedes
Urteil über ein äußeres Ding kann außer der empirischen Notwendigkeit auch durch das
Denken des Dings als Allgemeinen die begriffliche und wesentliche Notwendigkeit
erlangen. Dagegen besteht im Urteil der Erfahrung nur der Unterschied “des Dinges
gegen den Verstand”. Dieser Baum ist gegen den Verstand als grün erfahren und
unterschieden. Das Grün ist nicht unterschiedenes Wesen von und in diesem Baum
selbst, sondern es wird geurteilt durch den Verstand gegenüber dem angeschauten Ding.
Dieses Urteil gehört nur der “Erfahrung des Bewußtseyns” an. Zweitens ist der
Unterschied des Allgemeinen Selbstunterschied und insofern “an sich selbst negative
Beziehung” (J III.196). Diese Negativität des Allgemeinen ist hier nichts anderes als
Negativität des Ich, derentwegen das Allgemeine im Urteil unterschieden ist. Insofern
das Allgemeine geistigerweise ist, ist es immer negativ in sich. Dass das Ich sich selbst
vergegenständlicht, heißt logisch, dass es zuerst sich als das prädizierbare Subjekt
darstellt und zu diesem sich als Prädikat verhält. Das Allgemeine, „der grüne Baum“, ist
das zum Gegenstand gewordene Ich, zu dem das Ich wiederum sich als Prädikat verhält
und dessen begriffliche Notwendigkeit es bestätigt. Daher steht im Hintergrund des
begrifflich bestätigten Urteils das Urteil des Ich, das dann heißt; „Der (grüne) Baum ist
grün(er Baum)“. Das Allgemeine ist das allgemeine. Ich bin Ich. Dies ist auch für Hegel
das spekulative Prinzip, aber gar nicht im Fichteschen Sinne vorausgesetzt, sondern
verrät zugleich die negative Tätigkeit des Allgemeinen selbst, das geistigerweise als es
selbst bestätigt wird. 30 Selbst der in sich notwendige Begriff muss um seiner
Bestätigung willen sich ur-teilen, Urteil werden. Und das Urteil, in dem der Begriff
30
Nach der Differenzschrift ist das Prinzip Fichtes Ich = Ich “das kühn ausgesprochne ächte Prinzip der
Spekulation”, die das “reine Denken seiner selbst, die Identität des Subjekts und des Objekts” mit sich
bringt. Aber weil das Prinzip bei Fichte nur als die absolute Identität, nicht als die Negativität des Selbst
eingesehen ist, wird im System das Ich nur zum das Nicht-Ich bestimmenden oder durch das Nicht-Ich
bestimmten, und das Prinzip daher zur unendlichen Forderung “Ich soll gleich Ich seyn”, umgebildet. JKS,
S. 6-7.
143
selbst, das Allgemeine selbst von sich geteilt und unterschieden ist, ist eben: „Der Baum
ist grün“. Hierin ist das Allgemeine aber nicht nur unterschieden, sondern ferner sich
selbst entgegengesetzt. Dem vergegenständlichten grünen Baum ist sein Grün
entgegengesetzt. Jedoch sind beide in der Form des allgemeinen Urteils aufeinander
bezogen. Wenn nun diese Negativität selbst des Allgemeinen “in der Form der
Allgemeinheit” auftritt, ist sie “die Einzelnheit” (J III.197). Das Einzelne ist das
Negative des Allgemeinen. Im Urteil tritt nun nicht „der Baum“, sondern „dieser
Baum“ auf. Also: „Dieser Baum ist grün“.31 Das Einzelne ist das Allgemeine. Dies ist
nun gar nicht mehr das bloße Urteil der Erfahrung, sondern der begrifflich begründeten
Erfahrung. Weil im Urteil das Einzelne gegenüber dem Allgemeinen negativ ist, ist auch
das Allgemeine negativ, das sich zum Einzelnen verhält. Trotzdem ist nur eins von
beiden, d. i. das Einzelne, negativ. Weil das Einzelne auf das Allgemeine bezogen ist, ist
es auch allgemein. Dennoch ist nur eins davon, das Allgemeine, allgemein. Des
Weiteren ist das Allgemeine, auf das das Einzelne bezogen wird, allgemein als das
Wesen des Einzelnen, als das Wassein, d. i. das Baum-Sein dieses Baums; daher ist das
Einzelne “nach innen” in dieser Beziehung auf sich selbst allgemein und nur als sein
einzelnes Sein “nach aussen” gegenüber dem Allgemeinen negativ (J III.198). Diese
Negativität ist de facto auch die innerliche Negativität des Allgemeinen gegen sich
selbst, seine eigene Negativität, die gegen sich aufgenommen wird, um selbst bestätigt
zu werden, und nur nach außen ist es als das, was einzelnes subsumiert, allgemein. Das
Urteil zeigt daher die Identität von beiden Seiten als die negative Allgemeinheit. Das
innere Wesen des Einzelnen ist das Allgemeine, gegen das das Einzelne äußerlich
negativ ist, und das äußere Dasein des Allgemeinen das Einzelne, das das innerlich
Negative des Allgemeinen ist. Das Urteil „dieser Baum ist grün“ heißt also: Das GrünAllgemeine des grünen Baums ist seiend in diesem Baum. Oder: Dieser Baum ist mit
seinem Grün seiend als das Allgemeine des Baums selbst. Dadurch ist das Urteil bereits
Urteil der Sache mit der begrifflichen Notwendigkeit, d. i. Urteil der Vernunft. Es ist im
Grunde genommen der Schluss: „Dieses ist Baum. Der Baum ist grün. Daher: dieser
Baum ist grün“. Durch diesen Schluss erringt das formell gleiche, aber inhaltlich
einfache und zufällige Urteil der Erfahrung nun erst die begriffliche Notwendigkeit.
Dieser Baum ist darum empirisch grün, weil der Baum selbst dem Wesen nach grün ist.
Die Kopula, die im Urteil „Dieser Baum ist grün“ das Einzelne und das Allgemeine
zusammenschließt, ist also nichts anderes als das Ich, das sich zum Gegenstand hat, als
31
Umgekehrt ist es ebenso. D. h. wenn der Baum seinem Grün entgegengesetzt ist, heißt das Urteil: „Der
Baum ist so beschaffen grün“. Umgekehrt; „Etwas so Grünes ist der Baum“. Das Einzelne ist das
Allgemeine.
144
das ideale Ding denkt und als das Urteil der Vernunft im Schluss fungiert. Dies Ich ist
gerade die “Vernunft, die sich selbst der Gegenstand ist” (J III.200).
Das sich selbst vergegenständlichende Ich kommt nun zu drei wichtigen Erträgen.
Erstens überwindet seine Ordnung die Willkürlichkeit und Zufälligkeit, die das Ich lediglich vom Gedächtnis der Namen des Erfahrenen abhängig - als eine feste Ordnung
ansah. Die Erfahrung verrät selbst weder Allgemeines, noch wird sie selbst
verallgemeinert. Der Beginn und das Ende des Urteils ist freilich das Erfahrene. Aber
der Grund liegt im Allgemeinen selbst, das im Ich geistig existiert, vom Ich durch die
Selbstvergegenständlichung gedacht wird. Bis zu diesem Denken entwickelt aber die
erste Geistesphilosophie das Bewusstsein nicht, sondern sie stellt sein Vermögen dafür
als die absolute Einheit dar, die absoluter Besitz des Begriffs unabhängig von dessen
Relatum ist. Solche Entwicklung findet sich in der zweiten Geistesphilosophie. Die
Erkenntnis des Ich erhält die innere Notwendigkeit durch das Denken des wahren
Allgemeinen. Das Urteil bekommt nur durch den Schluss vom Allgemeinen die
begriffliche Notwendigkeit. In dieser Hinsicht ließe sich nun vorläufig auch von der
ersten Bedingung des sittlichen Bewusstseins reden. Das sittliche Bewusstsein ist weder
passiv gegenüber dem Vorhandenen, noch rechtfertigt es unmittelbar seine Erfahrung,
sondern es macht sich fortwährend zum Gegenstand, bis es die begriffliche
Notwendigkeit vom Allgemeinen her erlangt. Dies ist nicht nur die Bedingung für das
Erkennen, sondern auch für die Sittlichkeit, insofern die Praxis des Willens Realisierung
der eigenen Erkenntnis ist. Aber andererseits ist von großer Bedeutung, dass auch das
wahre Allgemeine und die begriffliche Notwendigkeit allein nichts mehr als die
Kohärenz und Konsequenz des Begriffs sind. Deshalb ist auch eine Chimära möglich,
die logisch konsequent gedacht wird. Und auch der Schluss, „Alle Krähen sterben.
Sokrates ist eine Krähe. Also stirbt Sokrates“, ist formallogisch wahr. Selbst die falsche
Erfahrung oder Bestimmung des Sokrates als Krähe lässt sich mit dem notwendig
gedachten Allgemeinen bestätigen. Das Allgemeine, dessen Wahrheit im oben stehenden
Beispiel nur angenommen wurde, ermöglicht nur die innere Notwendigkeit des Begriffs,
ist aber nicht selbst bewiesen. Es ist nur die erste Bedingung für die Sittlichkeit. Es
muss selbst als Seiendes bewiesen werden. Die Allgemeinheit oder die “Dingheit als
seyn [!] vorgestellt” muss auch “aus dem Urtheil in den Schluß” übergehen. Das
Allgemeine ist nicht als es selbst, sondern immer als einzelnes da. Es ist “die reine
Negativität”, die “sich entzweyt in seyende, die es sind”. Sein Schluss nimmt daher die
umgekehrte Richtung: „Dieser und jener Baum u. a. ist grün. Daher: der Baum ist grün“.
Das Allgemeine hat seinen Realgrund im Urteil der Sache, dem es die ideale
Notwendigkeit gibt. Dieses Urteil ist daher das Urteil der Realisierung des Begriffs.
145
Nun ist noch die bisher nicht aufgelöste, zweite Aufgabe des Ich zu lösen, die reale
Entsprechung des Urteils mit dem äußeren Ding selbst zu bestätigen. Sie lässt sich nur
praktisch bestätigen. Epistemologisch ist zu klären, ob das Grün wirklich das Wesen des
Baums für diesen und jenen Baum ist, und sittlich, ob das Allgemeine des eigenen
Willens Wirklichkeit oder wirkliche Möglichkeit als dieses oder jenes Institut hat. Jede
Wahrheit muss also zweimal erfahren werden. Demnach vergegenständlicht das Ich sich
zweimal. Es vergegenständlicht zuerst die Erfahrung seines Verstandes begrifflich,
bestätigt dann seinen vernünftigen Gedanken empirisch und praktisch. Es ist das
Allgemeine als die Mitte des Einzelnen und des Allgemeinen, also “das sich in sich
selbst bewegende Allgemeine” (J III.199). Drittens ist es nämlich die freie Vernunft als
die dritte Form der Intelligenz. Die Freiheit der Vernunft ist zum einen wirklich “ohne
Inhalt”, in dem Sinne, dass das Ich unabhängig vom Angeschauten nur einen Begriff auf
den anderen Begriff bezieht. Das Ich als die Vernunft ist die freie Kraft des Allgemeinen,
das aber nun zu erfüllen und zu bestätigen nötig ist. Seine Freiheit ist also zum anderen
praktisch, in dem Sinne, dass es sein freies Allgemeines oder “sich zum Inhalte” macht
(J III.201). Der subjektive Geist geht damit in seine praktische Tätigkeit.
Die erste Geistesphilosophie stellt eben wegen der negativen Inhaltslosigkeit der
Freiheit vor der Praxis das Bewusstsein nur als “das Eins der formalen Vernünftigkeit”
dar (J I.295). Das Bewusstsein ist das “absolute Eins der Reflexion”, das die
Bestimmtheit seiner Beziehung vertilgt und in dem sich daher seine Begriffe
aufeinander frei beziehen (J I.298). Es als das Eins ist ferner freies Individuum. Die
Gestalt des Bewusstseins als des absoluten Eins ist nichts anderes als das In-dividuum.
Es hat in sich für sich seiende Begriffe, die für es absolut real sind. Aber der Ursprung
dieser Begriffe ist der äußere einzelne Gegenstand. Weil die Idealität des Gegenstandes
nun von der Einzelheit desselben getrennt und nur als der unbestimmte Begriff für das
Bewusstsein gesetzt ist, ist der Gegenstand auch absolut real. Ja sogar, “die Totalität des
Seyn” außer dem Bewusstsein steht dem bewussten Individuum absolut realiter
gegenüber. Weil das theoretische Bewusstsein nicht absolute, sondern nur ideelle
Einheit mit dem Gegenstand erlangt, eben deswegen hat es vielmehr nicht die
Aufhebung, sondern das Setzen des Gegensatzes “als Absolutes” zur Folge (J I.295). In
diesem absoluten Gegensatz ist es aber als Individuum erst frei, weil es in sich als Punkt
der Reflexion alle Begriffe aufeinander beziehen und subsumieren kann. Aber seine
Freiheit ist zunächst nur “die Freyheit seines Eigensinns”, indem sie Freiheit mit den
ungegenständlichen Begriffen ist. In der Hinsicht der Ungegenständlichkeit ist das
Urteil: „Alles, was gestaltet ist, ist farbig“, ebenso leer und inhaltslos, wie das Urteil:
„Alles, was farbig ist, ist gestaltet“. Dies zeigt gut, wie die freie Zusammenschließung
146
nur der Begriffe zum Eigensinn werden kann. Das Individuum kann für die absolute
Einheit seines Bewusstseins sogar “von allem absolut” abstrahieren. Diese negative
Freiheit kann nur “im Tode” Niederschlag finden. Aber das Individuum allein
radikalisiert de facto seine Einheit nicht bis dahin, sondern verhält sich davor zuerst
eben im absoluten Gegensatz praktisch zur “Totalität der Bestimmtheiten” seiner
Beziehung in der Welt. Dennoch ist die Rede vom Tode, die zum ersten Male in der
Geistesphilosophie auftritt, von großer Bedeutung. Denn der Tod heißt hier nicht
natürlicher, sondern freiwilliger Tod, gerade Tod um eigener Freiheit willen. Er
verkörpert gut das extreme Vermögen bzw. Maximum der Freiheit. Die Freiheit kann zu
ihren eigenen Gunsten sich selbst in den Tod drängen. Dieser Tod ist Ausdruck eines
“Widerspruchs gegen das Leben”, das eigene Freiheit bestimmt und beschränkt. Und
eben deshalb kann die Freiheit nicht umhin, in der Kulmination ihrer Durchführung als
Kampf auf Leben und Tod aufzutreten. Der absolute Gegensatz des Bewusstseins ist
nun das praktische Verhältnis seiner Freiheit, die das Moment des Todes in sich enthält.
Das Bewusstsein des Individuums setzt sich dem Bewusstsein der anderen, es
bestimmenden und beschränkenden Individuen entgegen, oder sein selbstrealisiertes
Ding gleichfalls den anderen Dingen. Es ist “praktisches Bewußtseyn” des Individuums
(J I.296).
2. Praktisches Bewusstsein
2.1. Begierde bzw. Trieb und Befriedigung
Das theoretische Bewusstsein hat zur Folge den absoluten Gegensatz zwischen seinem
reinen selbständigen Begriff und dem äußeren Gegenstand. Obzwar es die kognitive
Einheit mit dem Gegenstand beabsichtigte, ist nur sein absolut gesetzter Begriff für es
absolut real. Sein Begriff war zu Beginn über den einzelnen Gegenstand gesetzt. Weil
der Begriff nun von der Einzelheit des Gegenstandes befreit, rein allgemein gesetzt ist,
ist dem Gegenstand die Idealität als Quelle des Begriffs des Bewusstseins genommen.
Der Gegenstand ist daher ebenso absolut real, aber in dem Sinne, dass ihm seine
Idealität völlig geraubt ist. Also besteht auf der einen Seite das Bewusstsein, das die für
sich absolut realen Begriffe besitzt, und andererseits die Totalität des Seins, das wegen
seiner vertilgten Idealität absolut real ist. Beide sind sich “absolut entgegengesetzt ohne
Beziehung”. Außerdem erreichte das theoretische Bewusstsein durch seinen Begriff als
die reine Beziehung bzw. Negativität zwar seine absolute Einheit, doch als dies Eins
wurde es “das absolute Gegentheil ihrer selbst, zur absoluten Einzelnheit” (J I.298).
147
Seine Freiheit in dieser Einzelheit ist im beziehungslosen Gegensatz gegen den
einzelnen Gegenstand soweit blind und eigensinnig. Das “Bewußtseyn als Sprache” ist
“aus der Mitte getreten”, und seine Sprache erscheint nicht mehr als die Mitte, in der
sich die Einzelheit und die Allgemeinheit, die Realität und die Idealität treffen und
abscheiden (J I.297). Das Bewusstsein, das im Eins seiner Individualität nur seine
Begriffe absolut vereinigt, ist lediglich “die absolute Leerheit des Unendlichen”, das
von der Wirklichkeit des Seins isoliert ist (J I.295). Ihm ist die reiche Außenwelt der
begrifflosen Einzelnen entgegengesetzt.
Aber Hegel hält diese Stufe des Bewusstseins nicht für das Verschwinden der Mitte,
sondern fasst “die unsichtbare Mitte” oder den verborgenen Geist ins Auge (J I.297).
Denn das Bewusstsein, das die “Totalität des idealen” errang, bleibt als die absolute
Einzelheit nicht nur im Gegensatz gegen andere Einzelne bestehen, sondern will des
Weiteren diese praktisch aufheben; auf diese bezieht es sich daher wiederum.32 Diese
Beziehung ist als die Beziehung des Bewusstseins wiederum die erscheinende Mitte.
Aber weil sie zuerst für es keine Beziehung der Einheit, sondern der Aufhebung ist, ist
sie als die Mitte unsichtbar für es. Die kognitive Einheit des theoretischen Bewusstseins
führte umgekehrt zur idealen Aufhebung des äußeren Gegenstandes in den absoluten
Begriff. Die praktische Aufhebung des Bewusstseins wird nun die Einheit als die
existierende Mitte zum Resultat haben. Im Beziehen des Bewusstseins für die
Aufhebung wirkt der Geist zunächst verborgen. Dies besagt nicht, dass das Bewusstsein,
wie in der Naturphilosophie, lediglich natürlicherweise handelt. Sondern es heißt,
wegen des geistigen Elements seines Begriffs für sich zieht die Durchsetzung seines
Begriffs durch die Aufhebung der anderen Einzelheiten auch die Aufhebung seiner
Einzelheit selbst nach sich. Dass sich in dieser Hinsicht das Bewusstsein und der
Gegenstand vereinigen, wird auch stufenweise vom Bewusstsein reflektiert.
Der Grund für das praktische Bewusstsein liegt nicht allein in seiner äußeren
Entgegensetzung. Das Bewusstsein hat auch den Grund für seine Praxis in sich. Es ist
32
Dass diese Beziehung des absoluten Begriffs auf sein Anderssein im absoluten Gegensatz zuerst die
Beziehung der Aufhebung ist, erhellt aus dem bereits erwähnten Satz der Frankfurter Zeit, “Begreifen ist
beherrschen”. N, S. 376. Sie besteht darin, das Anderssein dem Begriff anzupassen. Aber wenn der
Begriff auch noch so notwendig ist, führt er in der Beziehung immer etwas Zufälliges, also “mistrauisches
gegen sich mit, daß er durch die Gewalt gerechtfertigt werden muß, dann unterwirft sich ihm der
Mensch” oder das Ding. Also ist der Begriff, nach der Einsicht Hegels in der Schrift über die Verfassung
Deutschlands, “viel zu schwach”, um sich durch die Praxis zu realisieren. SE, S. 158. Wenn er sich
dennoch dafür einsetzt, ist das Moment der Gewalt unvermeidlich. Falls er sich auf das Ding bezieht,
erscheint die Beziehung als Arbeit, falls auf die andere Person, als Vertrag. Demnach wird deutlich, dass
Hegels praktische Philosophie die Gewalt nicht idealistisch und moralisch zügelt, sondern realistisch
durch die einander aufhebende Anerkennung als die gerechtfertigte institutionelle Gewalt interpretiert und
aufrichtet.
148
als theoretisches das “absolute Eins der Reflexion”, d. i. das Eins, das nur durch die
Negation anderer absolut in sich reflektiert ist. Es ist zwar Negatives, aber nur durch die
Beziehung auf zu negierendes Entgegengesetztes. Es ist daher “wesentlich darauf
bezogen”. Obwohl es “in seiner absoluten Reflexion” “sich von der Beziehung auf ein
anderes befreyt” hat, hat seine Befreiung vielmehr die Beziehung zur Bedingung. Die
“absolute Reflexion ist selbst nur als diese Beziehung auf ein anderes”. Seine Befreiung
ist de facto nur Änderung der Form seiner Entgegensetzung und Beziehung.
Das Bewusstsein bezieht sich nun praktisch auf den Gegenstand. In dieser Beziehung ist
es das Individuum, das zuerst begehrt, aber nicht einfach animalisch, sondern bewusst
und geistig, wie das theoretische Bewusstsein zunächst eben so Empfindendes war. Es
ist als theoretisches gegenüber allen anderen Einzelnen allgemein und indifferent, weil
es als der absolut einfache Punkt negativ gegen alle anderen ist. Aber durch die
praktische Beziehung tritt sein Absolutsein aus der Leerheit des Unendlichen heraus in
die gegenständliche Realisierung desselben ein. Das Bewusstsein wird nicht mehr
kognitiv bestimmt, sondern mit der absoluten Einheit seines Begriffs praktisch
bestimmend. Es differenziert sich absolut von allen anderen und benimmt sich als
allgemeines “in der Abstraction der absolut differenten absolut entgegengesetzten
Beziehung” (J I.298). Die praktische Beziehung hat daher drei Bedeutungen. Sie ist vor
allem der Realisierungsprozess der idealen Allgemeinheit des Bewusstseins im
einzelnen Gegenstand, der nun für es nur absolut real ist. Sie ist zum einen die Erfüllung
der absoluten Einzelheit des Bewusstseins, das seine Allgemeinheiten absolut in sich
vereinigte. Sie ist zum anderen der reale Erweis des Unendlichen, das das theoretische
Bewusstsein nur formal durch die Abstraktion erlangte. Diese Erlangung des
theoretischen Bewusstseins als Eins garantiert bekanntlich den Einheitspunkt der
äußerlich unendlichen Einzelnen und spielt daher eine präventive Rolle gegen den
schlecht unendlichen Progress,33 in dem die Unendlichkeit nur in der unendlichen
Vielheit der Anderen gesucht wird. Die praktische Beziehung des Bewusstseins ist also
zugleich die reale Erfüllung der formalen Einheit des Unendlichen. In der Beziehung
bezieht sich das Bewusstsein als allgemeines in seiner absoluten Einzelheit auf den
einzelnen Gegenstand. Diese Beziehung erscheint daher zweitens wiederum als die
Mitte zwischen Allgemeinheit und Einzelheit. Diese Mitte ist, wie schon erwähnt,
zunächst für das Bewusstsein unsichtbar, insofern es sich zwecks der Aufhebung der
Einzelheit des Gegenstandes auf diesen bezieht. Aber das Produkt der Beziehung,
nämlich der Gegenstand, der durch die Aufhebung seiner Einzelheit mit der
33
Der bereits mehrere Male berührte Terminus “die schlechte Unendlichkeit” tritt de facto zum ersten
Mal in der Logik der zweiten Jenaer Systementwürfe auf. J II.29.
149
Allgemeinheit des Bewusstseins vereinigt wird, genauer gesagt, nun ein neuer
Gegenstand, ist die sichtbare, objektiv existierende, zudem im Unterschied zur idealen
der Sprache, reale Mitte. In dieser Mitte ist zugleich die einseitige Einzelheit des
Bewusstseins aufgehoben und verifiziert. Schließlich hat die praktische Beziehung
ferner die epistemologische Bedeutung, die unaufgelöste Frage des theoretischen
Bewusstseins zu lösen. Die Allgemeinheit seines Begriffs, der vom Gegenstand
abstrahiert und verselbständigt wurde, wird in seiner praktischen Beziehung auf den
Gegenstand endgültig bestätigt und bewiesen. In diesem Moment ist die Allgemeinheit
keine Allgemeinheit mehr, die der angeschaute Gegenstand idealiter enthielt, sondern
die Allgemeinheit des selbstständigen Begriffs mit der Notwendigkeit. D. h. ob das
Grün-Wesen des grünen Baumes zuerst nur als Begriff des Bewusstseins, aber dann
realiter für diesen Baum existiert, lässt sich nur praktisch bestätigen, dies heißt, den
Begriff auf diesen Baum anzuwenden oder in diesem Baum den Begriff als realisiert
wiederzufinden. Die letzte Instanz der Wahrheit ist daher die Praxis. In dieser
praktischen Erkenntnis wird der Gegenstand zweimal geboren, einmal als bereits
geschehen und bestehend, einmal als konkreter Träger meines allgemeinen Begriffs.
Hegels Erkenntnistheorie ist bedeutsam nur in der Darstellung bis hierhin, daher bis zur
Totalität der Theorie und Praxis, die zuletzt nichts anderes als der Rahmen der
Sittlichkeit ist.
Das praktische Bewusstsein in den Jenaer Geistesphilosophien geht allerdings über die
praktische Bestätigung der Erkenntnis hinaus. Es ist in der ersten Geistesphilosophie
vor allem begehrendes Bewusstsein. Die Begierde entsteht aus seinem Gefühl, dass
seiner Idealität Realität mangelt. Das Begehrende füllt sich daher durch die Aufhebung
des Begehrten mit dessen Realität aus. In der animalischen Begierde sind diese “Glieder
des Gegensatzes nur als aufzuhebende gesetzt”, die aber letztlich nicht aufgehoben
werden (J I.299). Z. B. der Hunger soll als Begierde des Magens durch das Einnehmen,
d. i. Aufheben der Nahrung selbst aufgehoben werden. Aber sowohl der Hunger als
auch die Nahrung können nach der ersten Jenaer Naturphilosophie nicht endgültig
vernichtet werden. Die Erfüllung bzw. Aufhebung der Begierde ist abhängig von der
Einnahme bzw. Aufhebung der Nahrung. Aber das Organische besteht in der
Unvollendung der Erfüllung, und die Vollendung ist für es lediglich der neue Beginn der
Begierde. Es besteht “in dem Vernichten” seiner Nahrung, “in seiner Spannung” der
Erfüllung. Es ist “als diese Spannung zugleich organisch unorganisch”, oder “das zu
vernichtende” ist “als ein noch bestehendes in ihm” (J I.241). Dies ist eben die
Erfüllung der animalischen Begierde. Diese beruht auf der unvollendeten Dauer der
Erfüllung, deren Vollendung nur die Neuentstehung derselben Begierde ist. Daher wird
150
selbst eine gleiche Begierde im Tier nicht endgültig aufgehoben, sondern bleibt nur “ein
sollendes Vernichtetwerden”, d. h. nicht Verwirklichung, sondern nur Sollen der
Vernichtung (J I.299). Auch die begehrte Nahrung wird zwar realiter verdaut, vernichtet,
aber nicht idealiter, daher nicht völlig aufgehoben. Denn bei der Erfüllung tritt “die
Empfindung als Mitte” zwischen dem Begehrenden und dem Begehrten auf. Die
Empfindung als “der ideale Prozeß” bewahrt die Idealität des Begehrten in sich, und
hemmt das “aufgehobenwerden” desselben (J I.241). D. h. das Begehrte muss als die
begierdenerfüllende Idealität empfunden und daher nicht völlig vernichtet werden. Die
Erfüllung der Begierde ist trotz der Empfindung der Idealität des Begehrten, das daher
nicht vernichtet werden soll, die reale Vernichtung desselben. Für die Erfüllung ist das
Begehrte zwar das, was aufgehoben werden soll, aber nicht für die Empfindung. Seine
empfundene Idealität wirkt also als Hemmung. Es muss für die Erfüllung zum
Organischen werden und zugleich für die Empfindung unorganisch bleiben.34 Es muss
zum Organischen vernichtet werden, trotzdem im Vernichtetwerden bleiben, also als
begierdenerfüllendes Unorganisches empfunden werden. Es muss lediglich als das
Sollen des Vernichtetwerdens, als das Aufzuhebende gesetzt sein. Die animalische
Begierde ist daher als solche Empfindung bereits “ein thierisches Bewußtseyn in
welchem sich das Vernichten hemmt” und beide Glieder “nur als aufzuhebende gesetzt
sind”. Aber die Erfüllung der Begierde beim Tier ist realiter von seinem Bewusstsein
getrennt, insofern es potenziell die Bewusstheit nur als Empfindung hat, deshalb keine
bewusste Tätigkeit. Weil die Erfüllung und die Empfindung, d. i. “das wirkliche
aufgehobenwerden selbst” und die “Idealität” des Begehrten, die das
Aufgehobenwerden hemmt, “in der Zeit auseinander gerückt”, ohne bewusste
Beziehung nacheinander sind, wird das Begehrte schlechthin unmittelbar “ohne alle
Idealität, ohne Bewußtseyn” eingenommen und aufgehoben. Das, was unmittelbar
eingenommen wird, ist als Gegenstand bereits wirklich aufgehoben. Dem Vernichten
des Gegenstandes folgt die empfundene Idealität desselben als die Hemmung des
Aufgehobenwerdens, und die Vollendung der Vernichtung verursacht wegen seiner
schon völlig aufgehobenen Realität wiederum das Gefühl des Mangels an dieser
Realität, was der neue Beginn der Begierde ist. Aus dieser Zirkulation kann das Tier
nicht heraustreten.
Die Begierde des Menschen ist dagegen vor allem bewusste, also menschliche Begierde.
Damit sie menschlich wird, muss sie im realen “Aufheben selbst ideell, aufgehoben
seyn”. Dies heißt nichts anderes als die Bewusstheit der Begierde. Die Begierde des
Tiers kann sich wegen der Beziehungslosigkeit zwischen der realen Vernichtung und der
34
Einfach gesagt ist dies eben die animalische Verdauung.
151
idealen Bewahrung nicht aus der unendlichen Wiederholung herausziehen. Die
menschliche Begierde hat wegen der Bewusstheit solche Beziehung. Der Hunger ist
nicht bloß Begierde des Magens, sondern ferner des Ich, des Bewusstseins. Er ist meine
Idealität, deren mangelnde Realität Ich fühle. Die Füllung mit der Realität besagt eben
die Erfüllung der Begierde bzw. Aufhebung des Begehrten. In dieser Tätigkeit bezieht
sich das Bewusstsein auf die Begierde als bereits erfüllt, d. i. aufgehoben. Weil, wenn
ich diese Speise esse, der Hunger gestillt wird, darum esse ich sie. Dagegen, weil das
Tier hungert, isst es Nahrung bewusstlos. Das Erfüllen der menschlichen Begierde ist
das reale Aufheben oder Realisieren der bereits bewusst aufgehobenen Begierde. Und
diese bewusst aufgehobene Begierde ist Begierde, auf die als Allgemeines sich das
Bewusstsein beziehen kann. Das Begehrende ist das bewusste Individuum. Und seine
Begierde ist seine allgemeine Idealität. Diese ist nichts anderes als die Allgemeinheit
der absoluten Einzelheit des praktischen Bewusstseins, also die absolute Leerheit.
Ebenso bleibt der begehrte Gegenstand als die Idealität, während er realiter aufgehoben
wird. Die Idealität des Gegenstandes besteht bereits vor dem realen und wirklichen
Aufheben als das Aufgehobensein seiner einzelnen Realität. Weil er im Voraus als
Aufgehobenes, Ideelles auf die Begierde bezogen werden kann, wird er aufgenommen
und realiter aufgehoben. Weil diese Speise den Hunger stillt, darum esse ich sie.
Dagegen, weil das Tier die Nahrung gegessen hat, empfindet es sie als hungerstillend.
In diesem Fall wirkt die empfundene Idealität als Hemmung, aber in jenem nicht, weil
der begehrte Gegenstand als bereits ideell Aufgehobenes nun realiter aufgehoben wird.
Die Erfüllung der Begierde ist die reale Aufhebung oder Realisierung des bereits ideell
aufgehobenen Gegenstandes.
Insofern die menschliche Begierde zugleich animalisch ist, kann der Mensch freilich
nicht unmittelbar aus der realen Wiederholung solcher Begierde heraustreten. Aber
Nachdruck ist darauf zu legen, dass selbst der Hunger beim Menschen die Struktur des
Bewusstseins hat, deswegen zugleich über die animalische Begierde hinausgeht. Bereits
im realen Aufheben besteht die Beziehung des idealen Aufhebens. Im einfachen
Vernichten stehen die Begierde und der Gegenstand schon als ideell Aufgehobene in der
Beziehung. Diese ist “die praktische Beziehung” des Bewusstseins, die im Fall des
Hungers zunächst nicht im endlich vernichteten Gegenstand, sondern im Begehrenden
besteht. Sie ist die Mitte, in der sich das Bewusstsein praktisch auf seinen Gegenstand
bezieht. Sie ist zum einen die Beziehung der ideell Aufgehobenen, daher die ideale
Beziehung. Hierin ist die Einfachheit des realen Vernichtens schon “ein in sich
gehemmtes und entgegengesetztes”. Das reale Vernichten wird nicht einfach
durchgeführt, sondern vorher durch seine ideale Beziehung gehemmt und bestimmt. In
152
der Beziehung sind die Begierde und der Gegenstand einander entgegengesetzt, jene als
ideell Aufgehobenes, Allgemeines und dieser als ebenso aufgehobener, aber einzelner.
Die Erfüllung der Begierde ist Realisierung beider ideell Aufgehobenen, ihrer idealen
Beziehung, daher des Allgemeinen auf das Einzelne. Die praktische Beziehung des
Bewusstseins ist zum anderen nämlich die Beziehung der auch realiter Aufzuhebenden,
also die reale Beziehung, in der die ideell Entgegengesetzten vereinigt und realisiert
werden. Aber weil die reale Beziehung der bloß animalischen Begierde des Menschen
das einfache Vernichten ist, werden beide Entgegengesetzte bloß aufgehoben und
verschwinden, und ihre Einheit besteht nur idealiter im Begehrenden, und zwar
vorläufig. Das, was realisiert wird, ist aber nicht nur die subjektive Befriedigung der
Begierde oder die Aufhebung, die nur zum realen Verschwinden führt, sondern auch die
Einheit des Allgemeinen des Bewusstseins mit dem Einzelnen des Gegenstandes. Die
Menschlichkeit der menschlichen Begierde besteht eben darin, dass diese Einheit selbst
als allgemeine objektiv existieren kann. Die allgemeine Einheit ist die Einheit, in der die
Entgegengesetzten in ihrem Aufgehobensein selbst vereinigt sind, und auch die
existierende “Mitte, in der sie eins sind, und in der sie als ihrem Eins, ihrem
aufgehobenseyn sich abscheiden” (J I.299). Die menschliche Begierde, die diese Einheit
ermöglicht, ist nach der ersten Geistesphilosophie eben die Arbeit.
Der einschlägige Teil der zweiten Geistesphilosophie ist der Abschnitt des Willens als
der zweite Teil des Geistes nach seinem Begriffe. Aber der Abschnitt enthält auch die
später zu betrachtenden Teile vom totalen Bewusstsein und Kampf um Anerkennung.
Diese Gliederung könnte als Betonung der Praxis als der letzten Instanz der
theoretischen Wahrheit bewertet werden. Die andere Differenz des Willensabschnitts
liegt darin, dass hier der Trieb die Rolle der menschlichen Begierde in der ersten
Geistesphilosophie spielt. Der Triebbegriff ist einer von Hegels Begriffen, die einen
starken Bedeutungswandel erfahren. Obzwar Hegel schon in der Berner Zeit per
Briefwechsel mit Hölderlin und Schelling die Schrift Über die Lehre des Spinoza von
Jacobi kannte, liegt sein Triebbegriff in der frühen Phase nicht nah an der SpinozaRenaissance, weil seine Forschung darüber erst in der Jenaer Zeit grundlegend
durchgeführt wurde.35 In der Frühzeit wird der Begriff zuerst nur als Normalnomen im
neutralen Sinne, dann zum einzigen Mal als der Fichtesche Begriff, schließlich erst in
der zweiten Jenaer Geistesphilosophie als Hegels eigener philosophischer Begriff mit
der Spinozistischen Implikation benutzt. Die erste Wendung findet sich z. B. in den
Ausdrücken der Tübinger Kant-Kritik wie “Trieb nach Glükseeligkeit als höchster
Zwek des Lebens” oder “jeden Neigungen, und Trieben” und an einer Stelle über die
35
HH, S. 13, 140.
153
Einrichtung der Volksreligion, wie “thierischer Triebe”, endlich an einer Stelle der
Berner Schrift Das Leben Jesu, wie “Triebe nach Vergnügen” und “die Triebe der
Natur” (FS 84, 85, 100, 212). Der Begriff ist hier weder insbesondere philosophisch
hervorgehoben noch als tierisch herabgesetzt, sondern lediglich im traditionellen Sinne,
wie ‘Eifer, Energie, innerer Antrieb’ gebraucht.36 Er tritt aber zum ersten Mal in einer
der Studien 1795 über die Schriften Fichtes und Schellings als ein philosophischer
Begriff in einer variierten Notiz der Fichteschen Definition auf.37 Hier ist aber noch
sein neutraler Sinn betont. D. h. der “Trieb durchs Sittengesetz bestimmt oder
eingeschränkt” sei “gesezmässig (moralisch möglich)”, daher müsse der Trieb, z. B.
zum “Genuß der Glükseeligkeit” nicht als unbedingt “gegen das Sittengesez” abgelehnt,
sondern von der Vernunft als vereinbar mit ihrem Sittengesetz angesehen werden.38
Wenn das Recht des Triebes auf die moralische Möglichkeit verweigert und ein solcher
Genuss aufgegeben werde, werde auch das Recht der Vernunft selbst auf ihr Gesetz
wegfallen und dies Gesetz stofflos. Die Vernunft sei ferner nicht frei von der Anklage
gegen ihre Klugheit, dass der Verzicht nur heiße, dass der jetzige Genuss lediglich für
den Genuss “in einem anderen Leben” suspendiert werde (FS 196).
Diese moralische Wertneutralität des Triebes ist vermittels der Erwägung von Fichte
und Schelling raffiniert als eine Beziehung verstanden, wie sie die Stellung des Triebes
als Mitte in der Jenaer zweiten Geistesphilosophie anzudeuten scheint. Nach Fichtes
Versuch einer Kritik aller Offenbarung, auf den sich Hegel hier beruft, ist der Trieb ‘ein
Medium’, ‘welches von der einen Seite durch die Vorstellung, gegen welche das Subject
sich bloss leidend verhält, von der anderen durch Spontaneität, deren Bewusstseyn der
ausschliessende Charakter alles Wollens ist, bestimmbar sey’.39 Hegel versteht jene
Seite des Triebes als “Bestimmen durchs Nichtich”, diese Seite als “Materie des
Wollen[!], thierisches Begehrungsvermögen durch Vernunft zu ordnen”, und den Trieb
selbst als “sinnliches Begehrungsvermögen”, obzwar in der Schrift Fichtes keine
unmittelbare Rede vom Verhältnis zwischen Trieb und Begehrungsvermögen ist (FS
36
Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 836. Daher ist die Erklärung
von F. J. Wetz nicht treffend, dass der Triebbegriff des frühen Hegel nur “eine physische und negative
Bedeutung” hat. Wetz, F. J.: Artikel Trieb HWP10, S. 1486-1487. Hingegen kann der eher neutrale
Begriff des Triebes beim jungen Hegel als eine natürliche Neigung zur Glückseligkeit oder Sittlichkeit in
der Volksreligion oder ein grober und tierischer Hang zur Sinnlichkeit erscheinen. Vielmehr wichtig ist
für ihn dies: Die Gottheit “verdammt nicht die Triebe der Natur – aber leitet und veredelt sie”. FS, S. 8485, 100, 212.
37
FS, Anhang, S. 620-621.
38
‘Nicht die Triebe und nicht die Natürlichkeit, sondern ihre Opposition zur Freiheit des Geistes ist zu
vernichten’. Über den Trieb in der Rechtsphilosophie, Peperzak, Adriaan: Zur Hegelschen Ethik, HPR, S.
127-131.
39
Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung, S. 17.
154
195). Das Begehrungsvermögen ist Fichte zufolge eine Art Möglichkeitsbedingung für
das Wollen. D. h. jenes ist ‘das Vermögen, sich mit’ dem ‘Bewusstseyn der
Selbstthätigkeit zu bestimmen’, dieses heißt sich mit dem Bewusstsein wirklich ‘zur
Hervorbringung einer Vorstellung’ zu bestimmen.40 Aber das Wollen bedeutet immer,
etwas zu wollen, und hat daher auch die Vorstellung des Gewollten zur Bedingung. Die
formale Bedingung des Wollens ist also das Begehrungsvermögen, und die inhaltliche
die Vorstellung des Gewollten. Das Medium, das diese doppelte Bedingung zugleich
erfüllen kann, definiert Fichte als Trieb. Ferner, damit der Trieb nicht als nur durch die
Vorstellung bestimmter, sinnlicher bleibt, muss er vor allem von seinem Subjekt, vom
Bewusstsein selbstbestimmt sein. Diese Bestimmung kommt vom oberen
Begehrungsvermögen her, ‘die Idee des schlechthin rechten’ zu begehren und den
Willen dazu zu treiben. 41 Und wiederum ist die Quelle der Form oder des
Bestimmtseins des oberen Begehrungsvermögens die absolute Selbsttätigkeit der
praktischen Vernunft. Nach der anderen Schrift Fichtes, Creuzer-Rezension (1793), über
die Hegel auch eine Notiz schreibt, gibt sich die praktische Vernunft durch ihre absolute
Selbsttätigkeit ein Gesetz, “welches als Form des obern Begehrungsvermögens, als eine
Thatsache erscheint” (FS 195).42 Dass das obere Begehrungsvermögen bereits durch
das Gesetz der Vernunft bestimmt ist, ist, nach jener Schrift Fichtes, eine Tatsache des
begehrenden Bewusstseins, die auf das Kantische Faktum der Vernunft anspielt.43 Die
Form des oberen Begehrungsvermögens in dieser Tatsache erscheint wiederum als das
Sittengesetz des Wollens,44 das eben nichts anderes als die Bestimmung des Triebes
durch die Spontaneität ist. Die ‘Freiheit des Willens’ besteht hierin als eine Wahlfreiheit,
durch absolute Selbstthätigkeit sich zum Gehorsam oder Ungehorsam gegen das
Sittengesetz, mithin zu contradictorisch entgegengesetzten Handlungen zu bestimmen’.
Fichte unterscheidet die ‘in dieser Function des Wählens dem Bewusstseyn empirisch
gegebene’ Freiheit als Freiheit der Willkür (libertas arbitrii) von jener absoluten Freiheit
der selbsttätig gesetzgebenden Vernunft, die zur ‘Befreiung vom Zwange der
Naturnothwendigkeit’ ihr Gesetz mit eigener Notwendigkeit gebietet und mit ihrem
Gesetz den Trieb um der positiven Gesetzlichkeit des Triebes willen zuerst negativ
bestimmt.45 Dies resümiert Schelling in einer auch von Hegel notierten Anmerkung
40
Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung, S. 16.
Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung, S. 24.
42
Fichte: Creuzer-Rezension, S. 412-413. Demnach ist diese Selbsttätigkeit der praktischen Vernunft
bloß als Postulat des Sittengesetzes angenommen, daher ‘nicht Gegenstand des Wissens, sondern des
Glaubens’.
43
Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung, S. 23. KpV, A56.
44
Fichte: Creuzer-Rezension, S. 413.
45
Fichte: Creuzer-Rezension, S. 412-413. Versuch einer Kritik aller Offenbarung, S. 31, 36.
41
155
seiner Schrift Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt (1794): Die
‘Vorstellung in praktischer Bedeutung’ ist ‘unmittelbare Bestimmung des in der
Vorstellung enthaltenen Ichs durchs absolute Ich, und Aufhebung des in der Vorstellung
enthaltenen Nichtichs, insofern es in derselben unter der Form des Bestimmens
vorhanden ist’. Nur unter der Bedingung dieser Aufhebung beziehe sich die oberste, der
Form und dem Inhalt nach freie Handlung des absoluten Ich praktisch auf das in der
Vorstellung enthaltene Ich.46
Aber diese Darstellungen sind bezüglich des Triebes für Hegel nicht einwandfrei.
Zunächst notiert Hegel die Fichtesche Unterscheidung der Freiheit mit einem
Fragezeichen. In der ersteren Freiheit wird der Trieb durch die empirische Wahl des
Willens bestimmt, und im letzteren Falle heißt er als durch das Gesetz der Vernunft
unbedingt bestimmt das ‘Gefühl der Achtung’. 47 Hegel sieht hier wiederum das
ungelöste Kantische Problem in dem Versuch einer Kritik aller Offenbarung, was er
schon 1792 als ein Werk Kants gelesen hat.48 Denn obwohl der Trieb von Fichte als das
Medium richtig erfasst ist, muss er dennoch im Gegensatz endlich vom Sittengesetz
reguliert werden, das aber nur im bereits moralischen Subjekt möglich ist. Zudem ist der
Trieb, der “durchs Sittengesetz bestimmt oder eingeschränkt” ist, noch nur
“gesezmässig (moralisch möglich)”. Hieran also schließt Hegel zweitens seinen
Wunschsatz direkt an: “wenn der Trieb der Welt der Erscheinungen” “auch gesezlich
(moralisch wirklich) Würdigkeit” “geböte”! Der Trieb hat in Bezug auf das Sittengesetz
lediglich die moralische Möglichkeit, und nur beim sinnlichen Treiben zum Wollen in
der Erscheinungswelt ist das Gesetz moralisch wirklich, obzwar dies nicht vom Trieb
selbst geboten ist. Der Trieb ist also in erster Linie das sinnliche Begehrungsvermögen,
das das Sittengesetz verwirklicht. Insofern hat er auch Recht auf das Sittengesetz. Das
Sittengesetz, das allen Forderungen des Triebes entsagt, kann weder wirklich sein noch
ein Recht auf den Trieb haben, seine Realisierung in Anspruch zu nehmen. Wer auf eine
“nur unter der Bedingung eines Ungehorsams gegen das Sittengesez” mögliche
“glükliche Ehe” verzichtet, hat auch kein Recht auf eine glückliche Ehe (FS 196). Das,
was aufgegeben werden muss, ist die Bedingung des Ungehorsams, nicht die glückliche
Ehe. Dadurch nimmt der Trieb oder ferner das eudämonistische Moment des Willens
seinen Wert als gleichberechtigt mit dem Sittengesetz zurück.49 Er ist vor allem das
46
Schelling: Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt, S. 16.
Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung, S. 27.
48
Nicolin, Friedhelm: Legendenbildung, HS 26, S. 227-228.
49
Jaeschke zufolge konnte auch der reife Jacobi das Recht der Sinnlichkeit im Praktischen nicht retten,
obwohl er den aufklärerischen Begriff der herrschenden Vernunft im theoretischen Bereich stark
kritisierte. D. h. er legitimiere die Entzweiung und den Kampf des Menschen in ihm selbst, zwischen
Vernunft und Sinnlichkeit, und gestehe ‘der praktischen Vernunft die Herrschaft über Sinnlichkeit und
47
156
Medium, in dem die Idee der Vernunft sinnlich realisiert wird.
Der Triebbegriff Hegels tritt in der zweiten Jenaer Geistesphilosophie erst als sein
eigener philosophischer Begriff auf und wird als die Mitte des Willens analysiert.
Hierfür darf die Wirkung der damaligen Spinoza-Forschung nicht übergangen werden.
Nach der Ethik Spinozas ist ‘die wirkliche Wesenheit’ jedes Dinges das ‘Streben’, mit
dem es ‘in seinem Sein zu beharren strebt (conatus, quo unaquaeque res in suo esse
perseverare conatur)’. Dieses Streben mit Bezugnahme nur auf den Geist (ad mentem
solam) heißt ‘Wille (voluntas)’, dagegen wird es in der Beziehung zugleich auf den
Geist und den Körper ‘Trieb (appetitus)’, der ‘nichts anderes als des Menschen
Wesenheit selbst’ ist. Aus der Natur dieser Wesenheit folgt notwendig ‘das, was zu ihrer
Erhaltung dient’; dadurch hat der Mensch die bestimmte Begierde, es zu tun. Zwischen
dem Trieb und der Begierde liegt daher nach dieser mechanischen Definition keine
besondere Differenz, außer dass die Begierde zumeist im sich seines Triebes bewussten
Menschen befindlich ist. Die “Begierde (cupiditas)” ist “Trieb mit dem Bewußtsein des
Triebes (appetitus cum ejusdem conscientia)”.50 Aber eben diese Seite differenziert
Hegel weit mehr als Spinoza. Denn, wenn die Begierde des Menschen so
selbstbewusster Trieb ist, enthält sie die Struktur des Bewusstseins. Die Begierde und
auch der Trieb, insofern er Trieb des Bewusstseins ist, lassen sich daher nicht einfach
auf dem mechanischen Standpunkt des Philosophen außerhalb des betrachteten
Menschen oder nur durch unsere Reflexion erläutern, sondern sie müssen auch für das
Bewusstsein selbst oder als die Struktur des Selbstbewusstseins des Menschen selbst
erklärt werden können. Des Weiteren ist der Geist überhaupt kein Ding, das nur als
Gegenstand in Betracht kommt. Er hat auch eine Selbstbeziehung, in der er sich selbst
seine Struktur vergegenständlicht. Deswegen kann das Streben, insofern es Streben des
Geistes bzw. des Bewusstseins ist, nicht nur auf dem quasi naturwissenschaftlichen
Standpunkt des Philosophen erwogen werden, wie das Streben des Naturdings. Die erste
Jenaer Geistesphilosophie entwickelt die menschliche Begierde eben als die praktische
Beziehung des Bewusstseins, und die zweite nimmt stattdessen den Trieb als die Mitte
des wollenden Ich, höchstwahrscheinlich, damit die logische Struktur des Geistes selbst
mehr ans Licht gebracht wird. Weil der Trieb hier auch als “das Zweyseitige” (J III.202)
analysiert wird, hat er noch dazu den Charakter des Fichteschen Mediums. Aber er ist
ebenso different vom moralisch von oben her kontrollierten Trieb Fichtes wie vom
mechanisch durch die Trägheit der Selbstkonservierung bestimmten Trieb Spinozas.
Leidenschaften zu’. Jaeschke, Walter: Eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist. Jacobis Kritik der
Aufklärung Jc, S. 213-214.
50
Spinoza: Die Ethik, S. 118-120. Ethica, S. 127-129. In der Übersetzung von Baensch ist „mens“ als
„Seele“ wiedergegeben.
157
Eher dadurch, dass Hegel ihn als die Mitte des sich zum Gegenstand machen Wollenden
stellt, rettet er von Fichte die Verwirklichungseignung des Triebes, von Spinoza die
Verwirklichungsfreiheit desselben.
Der Wille in der zweiten Geistesphilosophie heißt Inbegriff des subjektiven Geistes, der
sich nicht nur theoretisch, sondern ferner praktisch vergegenständlicht. Hegel versteht
hier unter dem Titel vom Willen alle Tätigkeiten des Geistes, der seinen Inhalt objektiv
erzeugt. Sie sind nicht theoretische Erfüllung oder Intussusception, Begriffe von
äußeren Gegenständen in die allgemeingültige Ordnung des Ich zu vereinigen. Die
Intelligenz, die befreit von der Bezüglichkeit auf äußere Gegenstände sich Gegenstand
ist, ist zwar die freie Kraft des Allgemeinen, aber “umgekehrt ohne Inhalt”. Das, was
nun vergegenständlicht werden muss, ist eben die Selbstvergegenständlichung selbst der
Intelligenz. Sie muss “das Thun” ihrer Vergegenständlichung eben als “Selbst”
anschauen und “für sich” “thätig” sein. Sie macht das vom Gegenstand her errungene
Allgemeine ihres Selbst nun durch die praktische Tätigkeit zu einem solchen objektiven
Inhalt, “worin sie das Bewußtseyn ihres Thuns hat”. Die Intelligenz in dieser Tätigkeit
ist der Wille. Der Wille ist die Tätigkeit, die Leerheit oder Inhaltslosigkeit seines bereits
intelligenterweise oder theoretisch erfüllten Selbst “durch Erzeugung” des seinem
Begriff entsprechenden Inhalts zu erfüllen (J III.201). Er bewegt sich von nun ab von
sich nach außen. Das, was zunächst in dieser Bewegung zu analysieren ist, ist noch
nicht die Struktur der äußeren Handlung durch den Willen, sondern gerade das nach
außen Wollen selbst des Willens.
Der Wille ist schlechthin Wollen. Er gewinnt nur als sich zum Wollen Entscheidender
seine Wirklichkeit.51 Das Wollen ist, sich zu wollen. Dies heißt sich als die wollende
Tätigkeit, “als sich zum Gegenstande machen” zu setzen. Hierin liegt schon die
Bewegung des Selbst zur Erzeugung des Inhalts. Diese Bewegung des Willens ist
dreifach und logisch bereits “der Schluß in sich selbst”. D. h. das Wollende will sein
wollendes Selbst oder sich als die wollende Tätigkeit setzen. Zuerst ist das Wollende,
das sich will, nämlich das logische Subjekt des Satzes “das Allgemeine”, das durch die
Intelligenz begrifflich erreicht und zum Wollen entschieden ist. Es ist auch der
Gegenstand bzw. Inhalt, zu dem es sich durch seine von sich gesetzte Tätigkeit, nämlich
51
Diese Anspielung auf das Moment des Beschließens des freien Willens in der Rechtsphilosophie findet
sich de facto nicht so deutlich in der zweiten Jenaer Geistesphilosophie. Der Textteil dieser
Geistesphilosophie fängt schlechthin mit der Tätigkeit des Wollenden an. Aber das Moment des
Selbstentschlusses ist Siep zufolge von großer Bedeutung in der Rechtsphilosophie, weil sich der freie
Wille dadurch Realität gebe und die Verwirklichung seines Begriffs angefangen werde. Und sogar hierin
liege ‘die Differenz der Hegelschen Freiheitslehre zur griechischen – und der Monarchie zur Polis’. Siep,
Ludwig: Intersubjektivität, Recht und Staat in Hegels ,Grundlinien der Philosophie des Rechts‘, HPR, S.
261-264.
158
durch das Prädikat des Satzes macht, d. i. der “Zweck” seiner gesetzten
Vergegenständlichung. Zweitens ist das Prädikat des Satzes, d. i. das, was vom
Wollenden gewollt wird, seine gesetzte Tätigkeit, in diesem Sinne eben “das Einzelne”
als sein Selbst, das wirklich etwas tun will. Dies besagt, dass das sich Wollen des
Allgemeinen nur als der Wille des Einzelnen oder Individuums wirklich ist. Das
Wollende will zwar als das Allgemeine sich, aber in Wirklichkeit will es als das
Einzelne sich als das Allgemeine. Schließlich ist das sich Wollen des Wollenden,
nämlich die Kopula des Satzes “die Mitte” vom Wollenden und Gewollten. Es ist die
Realisierung des Wollenden als Allgemeinen zur einzeln wollenden Tätigkeit. Hegel
definiert dies gerade als den “Trieb”. Der Trieb ist die Mitte des Wollens oder der
tätigen Struktur des Willens. Er hat zum einen den allgemeinen Inhalt des Wollenden als
den Zweck und ist zum anderen “das thätige Selbst desselben”, das zugleich als das
wirklich Wollende einzeln ist. Deswegen ist der Satz Resultat des folgenden Schlusses:
Das Wollende als das Allgemeine ist der Trieb. Der Trieb ist die wirklich und einzeln
wollende Tätigkeit. Daher ist das Wollende die einzeln wollende Tätigkeit, durch die es
sich zum Gegenstand bildet. Und in der Hinsicht dieser Bildung ist die Tätigkeit schon
Handlung. Der Trieb ist hier erfasst nicht als die einfach mechanische gleichzeitige
Beziehung auf den Geist und den Körper, wie bei Spinoza, sondern als die geistige
Beziehung zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen im Willen, die jene
Beziehung ermöglicht. Dadurch wird er, wie bei Fichte, als Vermittler zwischen
Wollenden und Gewollten, als Moment des Willens gedacht. Er ist die einzelne
Verwirklichung des allgemeinen Willens bis zur einzelnen Existenz desselben. Der
“Grund” oder die causa efficiens des Triebes als Tätigkeit ist eben der allgemeine Inhalt
des Wollenden als Zweck, und “die Form” desselben das einzeln tätige Selbst des
Wollenden. Der Trieb ist des Weiteren als diese Beziehung des Allgemeinen und
Einzelnen des Selbst eben die Beziehung des Selbstbewusstseins. Alle Momente des
Willens sind de facto noch “in dem Selbst” als dem ganz Allgemeinen eingeschlossen,
das durch die Intelligenz erlangt ist. Erklärt ist bisher nur die negative Beziehung dieses
Allgemeinen auf sich, um als das Allgemeine bestätigt zu werden, daher ist “hier nur
erst der Begriff des Willens gesetzt”. Als diese negative Selbstbeziehung ist der Wille
bereits selbstbewusster Wille, der sich als Allgemeines weiß und negativ
vergegenständlicht. Und diese Beziehung selbst des Selbstbewusstseins spiegelt eben
der Trieb wider. D. h. das Selbstbewusstsein, das die Intelligenz sich gegenüber hat und
in dem sie sich als begrifflich notwendiges, aber inhaltlich leeres Allgemeines weiß,
macht “eben die Krafft seines Schlusses, seines Willens” aus, und die Äußerung dieser
Kraft ist der Trieb (J I.202). Der Trieb als die selbstbewusste Beziehung des Willens,
159
also der selbstbewusste Trieb ist nicht anderes als die menschliche Begierde
Spinozistischer Provenienz, die in der ersten Geistesphilosophie als die praktische
Beziehung des Bewusstseins erläutert wird. Aber in der zweiten Geistesphilosophie
kommt der Ausdruck „die menschliche Begierde“ nicht mehr vor, sondern die Begierde
wird nur als “thierisch” behandelt und dadurch vom Trieb unterschieden, der hier die
Rolle jener Begierde spielt. In dieser Hinsicht folgt der Triebbegriff Hegels treu dem
Fichteschen als Medium. Aber dadurch ist lediglich der “in sich gegründete Schluß” des
Willens erreicht. Hierdurch gesetzt ist die einzeln wollende Tätigkeit, d. i. die wirkliche
Selbstvergegenständlichung des Willens. In dieser Tätigkeit wiederholt sich der
gegründete Schluss, und der Trieb fungiert wiederum immer als die Mitte derselben.
Der Schluss in dieser gesetzten Tätigkeit ist “zugleich nach aussen gekehrt”, und diesen
nennt Hegel “eigentliches Bewußtseyn” (J I.203). Das Bewusstsein als logischer
Idealtypus müsste freilich die Struktur der bisherigen Analyse haben, aber das
Bewusstsein im eigentlichen Sinne steht immer in der notwendigen Zirkulation
zwischen Theorie und Praxis, zwischen seinem bewussten Allgemeinen und dessen
gegenständlichem Bestätigen, insofern es immer Selbst-bewusst-Sein von etwas ist. In
diesem Bewusstsein ist der Trieb erst inhaltlich bestimmt. Sein Inhalt war in jenem
Schluss das Allgemeine des Wollenden. Er ist nun in der gesetzten Tätigkeit bestimmter
Inhalt, den das wollende Ich bereits kognitiv als sein eigenes Allgemeines erlangt hat.
Er ist der Realismus des auf sich beruhenden Bewusstseins, den Fichte nicht garantieren
konnte. “Welche Triebe Ich habe, diß ergibt sich erst aus dem Inhalte seiner Welt” als
seines Reichs der Begriffe, die das Ich gegenüber der äußeren Welt kognitiv erreicht (J
I.202). Diese seinen bestimmten Trieb befriedigende Tätigkeit des wollenden Ich ist
nach der zweiten Geistesphilosophie die Arbeit im praktischen Sinne.
2.2. Arbeit und Werkzeug
In der ersten Geistesphilosophie ist die Arbeit die Tätigkeit der menschlichen Begierde,
die die allgemeine und existierende Einheit vom Bewusstsein und Gegenstand
ermöglicht. Und die hervorgebrachte Einheit ist als die Mitte Werkzeug. Das Arbeiten
ist kein vernichtendes Beziehen für die unmittelbare Befriedigung der Begierde,
sondern bearbeitendes Beziehen bis zum Errichten der Beziehung selbst der befriedigten
Begierde. Die Glieder des Beziehens sind einerseits “das Eins der Individualität”, das
“als thätig” erscheint, und andererseits der einzelne Gegenstand, der “als passiv”
erscheint. Die Beziehung der einfachen Begierde zwischen den Einzelnen endet nur mit
der Vernichtung von beiden, d. i. der Begierde des Begehrenden und des Begehrten. Die
160
völlige Vernichtung der Begierde wäre der Tod. Im Leben der einfachen Begierde setzt
bereits das Moment des Todes sich durch. Aber im bearbeitenden Beziehen hat die
Begierde nicht ihre unmittelbare Erfüllung zum Zweck, sondern wird idealiter als
bereits erfüllt, d. i. aufgehoben gesetzt. Daher bezieht sie sich nicht unmittelbar auf “den
zu vernichtenden Gegenstand überhaupt”, sondern separiert ihn von diesem realen
Zusammenhang der Vernichtung und setzt ihn in Beziehung auf ihr ideelles
Aufgehobensein als bereits erfüllt (J I.299). D. h. der Gegenstand wird nicht unmittelbar
vernichtet, sondern gleichfalls idealiter als schon aufgehoben für die Erfüllung der
Begierde gesetzt. Diese Beziehung von beiden ideellen Aufgehobensein ist nichts
anderes als die Beziehung des Bewusstseins.52 Das Bewusstsein ist auch selbst in dem
realen Aufheben der einfachen Begierde bereits die “Idealität des Aufhebens”. Die
Beziehung jenes realen Aufhebens ist schon im Bewusstsein als die ideelle Beziehung
gesetzt. Diese Beziehung des Bewusstseins ist gerade die Arbeit und das Arbeiten das
Vollziehen dieser Beziehung. Sie ist vor allem allgemein. Denn im Bewusstsein
beziehen sich die beiden Entgegengesetzten bekanntlich als ideell Aufgehobene, also als
Allgemeine aufeinander. Allerdings kann die Beziehung des Bewusstseins in die
unmittelbare Erfüllungstätigkeit der Begierde umgesetzt werden. Insofern kann sie nicht
Arbeit genannt werden. Lediglich das Bestehen der Beziehung selbst im Arbeiten kann
die Arbeit sein. Hierbei ist die Arbeit die allgemeine Beziehung. Z. B. während Äpfel in
der Natur zu pflücken und zu essen die unmittelbare und einmalige Äußerung der
ideellen Beziehung der menschlichen Begierde im Bewusstsein ist, ist das Anbauen des
Apfelbaums Setzen und Verwirklichen der ideellen Beziehung selbst. In diesem Fall
beziehen sich die Begierde und das Begehrte nicht unmittelbar, sondern als bereits ideell
Aufgehobene auf allgemeine Weise aufeinander. In dieser Beziehung ist die Esslust
idealiter als bereits befriedigt, also als Allgemeines gesetzt, wie der Apfel auch nicht als
dieser jetzt hier gegessene Apfel, sondern als der Apfel überhaupt, der die Esslust selbst
immer erfüllen kann. Die Arbeit ist daher die allgemeine Beziehung der beiden ideellen
Aufgehobensein, in der die unmittelbare und reale Erfüllung bzw. Aufhebung der
Begierde immer möglich ist. Daher kommt die Begierde durch das Arbeiten “in ihrem
Vernichten nicht zu ihrer Befriedigung”, wie der Gegenstand in seinem Vernichten
“ebenso bestehen” bleibt, weil das Vernichten hier das vom Bewusstsein
vorweggenommene, ideelle Aufheben ist. Durch das Arbeiten werden beide de facto
52
Diese Beziehung bedeutet nichts anderes als die ‘Reflexivität’ innerhalb des ‘rein natürlichen
Verhältnisses’, die Andreas Arndt bei der Auseinandersetzung mit der Arbeit als Naturverhältnisses sieht.
Er vergrößert ferner die Extension des Hegelschen Arbeitsbegriffs bis zur ‘metaphorischen’ ‘Arbeit des
Geistes’, so dass er den Arbeitsbegriff im Kontext der mannigfaltigen philosophischen Konzepte
lokalisieren kann. Arndt, Andreas: Die Arbeit der Philosophie, S. 9-69, 93-104.
161
nicht vernichtet, sondern als ideell Aufgehobene vereinigt. Der angebaute Apfelbaum ist
das allgemeine Produkt solch einer Vereinigung, in dem sich die reale Befriedigung der
Begierde in einem fort wiederholen kann. Das Arbeiten ist das Vereinigen von beiden
Gliedern der Begierde als ideellen Allgemeinen selbst auf allgemeine Weise, und die
Arbeit als diese allgemeine Beziehung ist eben das “praktische Bewußtseyn als
Beziehung Allgemeines Einsseyn beyder”.
Bezeichnend für den Arbeitsbegriff ist hier, dass Hegel ihn als den allgemeinen
Beziehungsbegriff des Bewusstseins einführt. Insofern wird er von der quantifizierbaren
Arbeit im ökonomischen Sinne und auch von der körperlichen und geistigen Tätigkeit
überhaupt im physikalischen und psychologischen Sinne unterschieden. Die Arbeit ist
die allgemeine Beziehung des praktischen Bewusstseins, in der die Begierde desselben,
seinen leeren Begriff zu erfüllen oder zu realisieren, besteht und in der seine Begierde
und deren Gegenstand als allgemeines Einssein sind. Insofern ist die Arbeit das
ontologische Spezifikum des Menschen, der sich wegen seiner Geistigkeit immer im
Horizont der Allgemeinheit verwirklichen will. Den Arbeitsbegriff als
Beziehungsbegriff gebraucht Hegel hier immer im Unterschied zum “Arbeiten” als
Ausüben der Beziehung, die nach der marxistischen Unterscheidung auch konkrete
Arbeit genannt werden kann.53 Aber das Arbeiten ist als die reale Tätigkeit zwar die
Realisierung, doch nicht der fortwährende Bestand der allgemeinen Beziehung der
Arbeit, also des allgemeinen Einsseins der in ihr Entgegengesetzten, insofern nur in
einem bestimmten Zeitraum gearbeitet wird. Auch das Produkt der Arbeit kann nicht
ihre allgemeine Beziehung beständig tragen. Es ist freilich allgemein für die zukünftige
Begierde überhaupt, aber sobald es Gegenstand der unmittelbaren Begierde wird,
schlägt es in ein einzelnes Begehrtes um und beginnt durch Konsum zu verschwinden.
Die allgemeine Beziehung der Arbeit muss nicht in einem von ihren beiden realen
Gliedern, sondern selbst als die existierende Mitte bestehen, durch die “das Arbeiten als
solches” als die Realisierung der Beziehung der Arbeit “seine bleibende Existenz hat”.
Das Arbeiten muss selbst als “ein Ding” existieren, das die allgemeine Beziehung trägt.
Ein solches Ding ist gerade das Werkzeug. Das Werkzeug ist ein anderes allgemeines
Produkt der Arbeit, in dem die verschwindende Beziehung der Begierde als die
allgemeine Beziehung des ideellen Aufgehobenseins fortbesteht und diese Beziehung
selbst objektiv realisiert ist.54 Es ist die Entelechie des praktischen Bewusstseins als
53
Die abstrakte Arbeit, die als die Arbeit des Einzelnen nur auf der Ebene der Gesellschaft
quantifizierbar ist, kann daher hier noch kein Thema sein.
54
Das Wesen der Arbeit liegt, wie bei Marx, nicht in Produkten als Waren, sondern im Werkzeug oder
ferner im Produktionsprozess. Das Werkzeug ist die objektivierte Beziehung der einzelnen Arbeit und der
Produktionsprozess die objektivierte Beziehung der gesellschaftlichen Arbeit.
162
dieser Beziehung selbst. Es ist nämlich “die existirende vernünftige Mitte” oder die
“existirende Allgemeinheit des praktischen Processes”. Als diese existierende
allgemeine Mitte spiegelt es auch die Aktivität des Arbeitenden und zugleich die
Passivität des Bearbeiteten wider und vermittelt beide. D. h. es ist “selbst passiv nach
der Seite des arbeitenden, und thätig gegen das bearbeitete”. Es bewahrt das Arbeiten
als die allgemeine Beziehung auf, in der die Zufälligkeit des Arbeitenden, des
Bearbeiteten und des Arbeitens als realen Beziehens beider verewigt ist. Es “pflanzt sich
in Traditionen fort”, indem die realen Glieder der ununterbrochen entstehenden und
verschwindenden Begierde immer wieder Früchte der Arbeit, daher ihre Beziehung,
benötigen (J I.300).
Die Charakteristika des Arbeitsbegriffs in der zweiten Geistesphilosophie sind erstens,
dass er, wie im vorigen Abschnitt analysiert, etwas früher bereits im theoretischen Teil
der Intelligenz auftritt, dann, dass die Arbeit im praktischen Teil des Willens, wie oben
erläutert, nicht auf der Begierde, sondern auf dem Trieb basiert, und schließlich, dass
der Begriff der List zum ersten Mal zusammen mit der Bestimmung des Werkzeugs, wie
unten zu erläutern sein wird, verknüpft wird. Wenn die Arbeit vor der unmittelbaren
Vernichtung des äußeren Gegenstandes durch die Begierde wie in der ersten
Geistesphilosophie als allgemeine Beziehung des Bewusstseins auf seinen Gegenstand
betrachtet werden kann, ist sie bereits nichts anderes als das theoretische Ordnen des Ich,
das seine Namen bzw. Begriffe zu dem konstituiert, was für es Gegenstand ist. Aus
diesem Grunde wurde in der zweiten Geistesphilosophie die Übung des Gedächtnisses,
in dem das Ich sich zum Ding macht, als “die erste Arbeit” des Geistes ohne Stoff (J
III.193) erwähnt. Daher ist auch zu bemerken, dass die konkrete praktische Arbeit oder
das Arbeiten immer schon durch die theoretische Arbeit des Geistes oder die allgemeine
Beziehung des Bewusstseins vermittelt und begründet wird. Und diese wird umgekehrt
durch jene bestätigt und realisiert. Lediglich in dieser Weise kann die Wahrheit im
Hegelschen Sinne etabliert werden. Außerdem ist gemeinsam für diese zwei Arten von
Arbeit, dass sie die gegenständliche Realität, sei es als Verstandesbegriff, sei es als
Werkzeug, durch die sich das Subjekt objektiviert, zur Folge haben. Die Arbeit ist
überhaupt weder wie bei der Namengebung die Ignoranz des äußeren Gegenstandes
noch wie bei der Begierde die Vernichtung desselben, nur nach dem Maßstab des Ich.
Sondern sie enthält die allgemeine Beziehung von Ich und Gegenstand als ideellen
Aufgehobenen, die selbst durch ihre arbeitende Tätigkeit objektiv verwirklicht wird. Die
zweite Geistesphilosophie aber gründet diese Tätigkeit nicht auf der Begierde des
Bewusstseins, sondern auf dem Trieb, der die Mitte des Willens des eigentlichen
Bewusstseins ist. Dadurch wird die Arbeit hier als die entäußernde Tätigkeit der
163
Willensmitte selbst etwas konsequenter erklärt, demnach kommt die Rede der ersten
Geistesphilosophie von einem von der Arbeit selbst unterschiedenen Arbeiten hier nicht
mehr vor. Die Arbeit bedeutet geradezu die wirkliche Selbstvergegenständlichung des
selbstbewussten Willens, der den bestimmten Trieb als seine Mitte hat. Sie wird durch
den Trieb hervorgebracht, der als die Mitte des Willens eben die logische Struktur der
Arbeit als Beziehungsbegriff in der ersten Geistesphilosophie vertritt. Sie wird daher
nun nicht als die “Ursache” des Arbeitens oder ihrer Tätigkeit, sondern als “die
Wirkung” des Triebes, d. i. als die arbeitende Tätigkeit selbst, des Weiteren als die “in
sich reflectirte” Tätigkeit betrachtet, insofern der Trieb die reflektierende Mitte des
Willens ist (J III.205-206).
Bei näherer Betrachtung lässt sich dieser zweite Charakter des Arbeitsbegriffs
folgendermaßen zusammenfassen. Die Arbeit ist in erster Linie die selbstbewusste
Willenstätigkeit. Sie wird von der logischen Struktur des Willens hergeleitet, der den
Trieb als Mitte hat. Dagegen beginnt die erste Geistesphilosophie mit der Begierde bis
zur Erläuterung der Arbeit. In der zweiten Geistesphilosophie verzichtet Hegel auf
diesen Ausgangspunkt. Denn die Begierde muss freilich “immer von vorne anfangen”,
aber “sie kommt nicht dazu die Arbeit von sich abzutrennen”. Die Begierde geht im
Wesentlichen auf die Vernichtung des Gegenstandes und hat selbst nicht Anlass zur
Arbeit in sich. Damit die Arbeit veranlasst wird, müssen die Begierde und deren
Gegenstand zuerst idealiter aufgehoben und als die Beziehung des Bewusstseins gesetzt
werden. Zur Entstehung der Arbeit ist daher nicht das Moment der Begierde, sondern
des Bewusstseins wirksam. Der Mensch kann “die blosse Befriedigung der Begierde”, z.
B. des Hungers, wollen, die aber nichts anderes als “reines Vernichten des
Gegenstandes”, z. B. des Brotes, ist (J III.205). Aber insofern er wiederholt den Hunger
fühlt, kann er sein immer gesättigtes Selbst vergegenständlichen und wollen. Das, was
da gewollt wird, ist nicht die einfache Befriedigung der Begierde, sondern das Selbst als
das ideelle Allgemeine der befriedigten Begierde. Der Mensch steht nicht als das
Begehrende in der Beziehung auf den begehrten Gegenstand, sondern als das wollende
einzelne Selbst in der Beziehung auf den Gegenstand als das gewollte allgemeine Selbst.
Diese Beziehung ist gerade der bestimmte Trieb in der gesetzten Tätigkeit des Willens.
Die befriedigende Tätigkeit dieses Triebes, nicht der Begierde, ist eben die Arbeit. Die
Arbeit ist daher die Tätigkeit des selbstbewussten Willens. Die Arbeit ist ferner zweitens
die Tätigkeit des freien Willens, der sich als das frei gesetzte Allgemeine will; daher ist
sie bereits in sich reflektiert. Äußerlich definiert ist sie Bearbeiten des einzelnen
Gegenstandes durch das einzelne Individuum. Aber diese Beziehung zwischen den
Einzelnen ist nur “einseitige Form”, die für das “aüssere Bewußtseyn” gilt. Diese
164
äußerliche Tätigkeit ist nur “einzelnes Moment” und kommt im Grunde genommen vom
Selbstwillen her, der sie setzt, wie durch den Schluss des Willens in sich erklärt ist (J
III.206). Das Wollende ist das Allgemeine, das schon als frei von äußeren Gegenständen
kognitiv erlangt ist. Das Wollende als das Allgemeine will sich. Das Wollen des
Wollenden ist durch den Trieb als die Mitte des Willens veranlasst. Es ist selbst das
Setzen von sich als wollender Tätigkeit. Diese Tätigkeit ist einzeln, weil alles nur als
Einzelnes tätig sein kann. Hier steht der Wille in der Beziehung zwischen dem
Allgemeinen und Einzelnen vermittels des Triebes. Diese Beziehung besagt auch, dass
die Selbstnegativität des Allgemeinen bereits dem Wollen des Menschen immanent ist.
Andererseits ist diese Beziehung aber in der gesetzten Tätigkeit umgekehrt. Das Subjekt
dieser einzelnen Tätigkeit ist nun das einzelne Selbst, und das Objekt oder der Zweck
derselben das allgemeine Selbst. Das Einzelne bezieht sich vermittels des bestimmten
Triebes auf das Allgemeine. Diese Beziehung ist in der Arbeit impliziert. Die Arbeit ist
die entäußerte Tätigkeit dieser Beziehung und hat daher die Struktur der Reflexion in
sich.
Nun ist näher einzugehen auf die logische Struktur der gesetzten Tätigkeit. Diese
Tätigkeit als durch jenen Schluss gesetzt heißt das Selbst zum Gegenstand zu machen.
Hier wirklich tätig ist das einzelne Selbst, und der Zweck seiner Vergegenständlichung
ist das allgemeine Selbst. Dies Allgemeine, das das Ich kognitiv errungen hat, ist in der
Einzelheit des Ich idealiter vereinigt, aber um den Preis, dass das Ich “allen fremden
seyenden Inhalt in sich getilgt hat”. Durch diese ideelle Tilgung des realiter sein
Allgemeines tragenden Inhalts gelangt es zum “fürsichseyn”, das aber deshalb “das
anderslose, das Inhaltslose” ist. Daher fühlt es seinem Allgemeinen gegenüber den
Mangel. Dieser Mangel besagt “das mangelnde Seyn” seines Allgemeinen, daher den
“Mangel des Gegensatzes”, weil sein ideell Allgemeines in keinem entgegenstehenden
reellen Sein enthalten ist. Aber “das Gefühl des Mangels” ist als Gefühl auch eine
Einheit. In diesem Gefühl sind das Allgemeine des Ich und sein einzelnes Sein als
mangelnd bereits idealiter vereinigt. Diese Einheit ist eben die in jenem Schluss
“gesetzte Einheit beyder im Triebe”. In jenem ersten Schluss war der Trieb die Einheit
als die Mitte des Selbstwillens des allgemeinen Ich, also zwischen seinem allgemeinen
Selbst und seiner einzelnen Tätigkeit. In dieser gesetzten Tätigkeit erscheint der Trieb
nun als das Gefühl des Mangels. Wenn der Trieb in jenem Schluss die logische Struktur
des Wollens des allgemeinen Selbst zeigt, ist er in dieser dadurch gesetzten einzelnen
Tätigkeit des Willens erst der durch das Mangelhafte bestimmte Trieb, der daher treibt,
dies zu erfüllen. Dieser Trieb ist also zweifach bestimmt. Er ist einerseits die leere Form
des mangelhaften reellen Gegensatzes und andererseits, als das Gefühl dieses Mangels,
165
die in der leeren Form idealiter gesetzte Einheit, deren Extreme deshalb vereinigt sind,
weil sie “die Form des Gleichgültigen Seyns für einander” haben. Weil das ideelle Sein
des Allgemeinen im Ich durch die ideelle Tilgung gleichgültig gegen das reale einzelne
Sein desselben ist, sind beide idealiter im Ich, in der leeren Form des Ich vereinigt. Ihre
Gleichgültigkeit heißt nichts anderes als ihre einerseits reale, andererseits ideale
Inhaltslosigkeit. Aber die leere Form ist da für das Ich, dessen Selbstbewusstsein die
Kraft seines Schlusses hat. Das Ich ist eben die Form des mangelhaften Seins, und der
Trieb als diese leere Form ist nun Ganzes für das Ich, das ihn als das Gefühl des
Mangels hat. Deshalb trennt das Ich ihn von sich und macht ihn zum Gegenstand. Dies
besagt auch wiederum die Selbstvergegenständlichung des Ich, die in der zweiten
Geistesphilosophie den Kern des Fortschreitens bildet. Sie ist hier die
Vergegenständlichung der leeren Form des Ich als Triebes. Sie ist eben die durch den
ersten Schluss gesetzte Tätigkeit des einzelnen Selbst und die befriedigende Tätigkeit
seines Triebes.
Diese Tätigkeit wird de facto von Hegel ohne strukturelle Erklärung “der zweyte
Schluß” des Willens genannt (J III.203). Hegel erwähnt auch nicht, dass sie eben die
Arbeit ist. Dennoch lässt sich aus dem Bisherigen ihre logische Struktur überhaupt
herleiten, und auch daraus, dass ihr Ergebnis als Werkzeug erläutert wird, lässt sich
erkennen, dass sie die Arbeit ist. Zuerst ist sie die erfüllende Tätigkeit des Mangels des
allgemeinen Selbst durch das tätige einzelne Selbst. Das Gefühl des Mangels ist der
Trieb, der daher die Mitte zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen ist, während
er im ersten Schluss umgekehrt die Mitte zwischen dem Allgemeinen und dem
Einzelnen war. Die befriedigende Tätigkeit des Triebes ist die praktische Beziehung des
Ich als Einzelnen auf sein Allgemeines vermittels seines durch den Mangel bestimmten
Triebes. Sie bewahrt daher die Form des Triebes selbst, aber umgekehrt. In der Tätigkeit
bekommt die Form des Triebes nun die Form des reellen Gegensatzes zwischen dem
ideellen Allgemeinen des Ich und dem einzelnen Gegenstand, zu dem es gemacht
werden soll. Die Tätigkeit ist die vereinigende Tätigkeit der reellen Entgegengesetzten.
Dadurch verschwinden die Gleichgültigkeit und der Gegensatz der Extreme des Triebes.
Ihr Ergebnis ist ein äußerer Gegenstand, in dem beide realiter vereinigt sind. Sie ist
daher nichts anderes als die Arbeit. Die Arbeit definiert Hegel als “das disseitige sich
zum Dinge machen” (J III.205), d. i. das Allgemeine diesseits des Ich zum einzelnen
Ding außerhalb des Ich zu machen. Dadurch wird das mangelnde Sein jenes
Allgemeinen mit dem realen Sein dieses Dings erfüllt.
Das Ergebnis der Arbeit ist “erfülltes Seyn” des Allgemeinen. Dies wird zum einen vom
Ich nicht mit dem einfachen Gefühl des erfüllten Selbst durch die Befriedigung seiner
166
Begierde, sondern mit dem Selbstgefühl seines objektivierten Allgemeinen angeschaut.
Das Ich wird aber ferner wiederum “anschauend, durch die Unmittelbarkeit” des
erzeugten Gegenstandes, in dem der Gegensatz realiter aufgehoben ist (J III.204). Das
Ich schaut das Einzelne als ein Sein des Allgemeinen an. Dies Anschauen des
Allgemeinen im unmittelbaren Gegenstand bedeutet den neuen Anfang des
theoretischen Prozesses des Geistes. Der theoretische und praktische Prozess des
Geistes bestehen so im fortschreitenden Zirkel. Dadurch entwickelt sich auch das
wirkliche Ergebnis, das immer besser das Allgemeine konkretisiert. Mit dem erfüllten
Sein als diesem Ergebnis meint Hegel zum anderen nicht das einfache Produkt der
Arbeit, sondern das Werkzeug. Das, was durch die Arbeit vergegenständlicht wird, ist
nicht nur das mangelhafte Allgemeine des Ich, sondern auch die Beziehung selbst des
einzelnen Selbst, das seinem Allgemeinen gegenüber tätig ist, daher der Trieb selbst als
die Beziehung. Dem mangelhaften Allgemeinen entspricht nur die Vielheit von
einzelnen Produkten. Diese aber sind selbst nicht das erfüllte Sein des Allgemeinen,
sondern nur bestimmt, das Allgemeine zu erfüllen. Diese Erfüllung entsteht durch die
reale Aufnahme und Vernichtung der Produkte ins mangelhafte Allgemeine des Ich.
Beide stehen daher nur in der Beziehung der Begierde. Das, was in den Produkten
realisiert ist, ist nur “Mittel der Begierde” als “die bestimmte Möglichkeit”, nicht das
Sein der befriedigten Begierde. Die Befriedigung der Begierde ist ein solcher Zweck,
der unter der Voraussetzung der Vernichtung ihrer Gegenstände nur einzeln erreicht
wird. Das allgemeine Produkt der Arbeit, das nicht als Mittel der Begierde, sondern der
Gegenstände der Begierde alle diese Einzelheiten umfasst, ist gerade das Werkzeug. Das
Werkzeug ist als die Möglichkeit, Gegenstände der Begierde “als einen allgemeinen”
Inhalt zu bewahren und zu verschaffen, “vortrefflicher als” der einzelne “Zweck der
Begierde” (J III.206).
Das, was im Werkzeug realisiert ist, ist keine einseitige Erfüllung des mangelhaften
Allgemeinen des Ich, sondern die Beziehung selbst des Triebes, den das Ich als das
Tätige seinem Allgemeinen gegenüber hat. Das Ich, das als Trieb ist, trennt auch durch
sein Selbstbewusstsein seinen Trieb von sich ab. Die “Entzweyung des Triebseyenden
Ich ist ebendiß sich zum Gegenstande machen” (J III.205). Der Trieb, der dadurch fürs
Ich Gegenstand geworden ist, ist Tätigkeit bzw. Arbeit. Die Arbeit ist, das Allgemeine
des Ich zum Dinge zu machen, d. i. das Allgemeine ins Ding zu vereinzeln. Im
erzeugten Ding ist daher weder die Bestimmung des Allgemeinen einseitig realisiert,
noch besteht das Einzelne nur als Bestimmtheit. In diesem Fall ist das Erzeugnis
lediglich das zu verwendende Produkt. Das Werkzeug ist vielmehr die objektivierte
Beziehung beider selbst. Dieser Gedanke des Werkzeugs ist auch im Hinblick auf die
167
Sittlichkeit von großem Belang. Das Allgemeine kann nur in der Beziehung auf das
Einzelne verwirklicht werden. Seine Verwirklichung muss Verwirklichung dieser
Beziehung selbst sein. Sonst müsste es nur mit der Vernichtung des Einzelnen und daher
seiner selbst enden. Es wäre nur Allgemeines als Begierde. Insofern wäre seine
Geschichte schlecht unendlich. Dagegen ist das Werkzeug als die Entelechie der
Beziehung “Werk des Ich”, das das Ich als sich selbst weiß. Das Werkzeug als der
erfüllte Trieb hat allerdings “eine andere Form” als der Trieb des Ich. Während der
Trieb des Ich als das Gefühl des Mangels zur Tätigkeit gelangt, ist das Werkzeug “der
beruhigte, sich selbst gewordne mit sich erfüllte Trieb” (J III.204). Es ist kein solcher
Trieb mehr, der als Mangel gleichgültige Einheit im leeren Ich, sondern “Einheit des Ich
als zum Dinge gemachten” ist. “Der befriedigte Trieb” im Werkzeug ist außerdem “die
aufgehobne Arbeit des Ich”. Wenn der Trieb befriedigt ist, braucht es nicht mehr zu
arbeiten. Das Werkzeug heißt aber nicht nur dies. Es hebt des Weiteren selbst die Arbeit
des Ich auf und arbeitet anstatt des Ich. Also ist es als das Ding, in dem der Trieb erfüllt
ist, die aufgehobene Arbeit des Ich. Es hat in dieser Hinsicht doppelte Form. Es ist
zuerst selbst ein einzelnes Ding, das nur einzeln existiert. In seiner Existenz ist freilich
das Allgemeine des Ich vereint. Diesem Allgemeinen des Ich gegenüber ist es als das
Einzelne passiv, also “das rein aufnehmende”. Aber es enthält als die Entelechie der
Beziehung des Triebes das Allgemeine als realisiert in sich. Als dies Allgemeine ist es
andererseits auch tätig gegenüber anderen Gegenständen, insbesondere unmittelbaren
Materialien der Arbeit, die Produkte der Begierde erzeugt. Aber es hat selbst keine
eigene Tätigkeit in sich. Es ist als das einzelne Ding “todte Allgemeinheit”, untätige
“Dingheit”. Seine Tätigkeit kommt eher vom Ich her. Weil es das dem Allgemeinen des
Ich gegenüber rein passive Einzelne ist, kann es gegenüber den anderen Einzelnen das
tätige Allgemeine sein. Es ist also “die Mittheilung” der Tätigkeit des Ich, und zwar als
das Ding, in dem die Struktur dieser Tätigkeit bereits realisiert ist (J III.205). Hegel
drückt diese Zweifachheit des Werkzeugs eben als “die List” aus (J III.206).
2.3. Vernünftige List des Ich
Der Begriff der List, der zum ersten Mal hier philosophisch erwähnt ist, lässt sich bis
zum vorigen Gedanken Hegels zurückverfolgen, wenn auch nicht unter dem
unmittelbaren Ausdruck von der „List der Vernunft“.55 Er ist inhaltlich schon spürbar, z.
B. im folgenden Satz der Verfassung Deutschlands (1799-1803); “Der ursprüngliche nie
gebändigte Charakter der deutschen Nation bestimmte die eiserne Nothwendigkeit ihres
55
Dieser Ausdruck tritt zum ersten Mal in der Begriffslogik der Wissenschaft der Logik auf: WL II.166.
168
Schiksals, innerhalb der von diesem Schiksal gegebenen Sphäre treiben Politik,
Religion, Noth, Tugend, Gewalt, Vernunft, List und alle Mächte, welche das
menschliche Geschlecht bewegen, auf dem weiten Schlachtfelde, das ihnen erlaubt ist,
ihr gewaltiges, scheinbar ordnungsloses Spiel; jede beträgt sich als eine absolutfreye
und selbstständige Macht, bewußtlos, daß sie alle Werkzeuge in der Hand höherer
Mächte, des uranfänglichen Schiksals und der alles besiegenden Zeit sind, die jener
Freyheit und Selbstständigkeit lachen” (SE 95). Loco citato ist der Ausdruck,
„List“ freilich noch nicht als spezifischer Begriff der Philosophie benutzt, aber
beachtenswert ist, dass diese Macht zusammen mit anderen Mächten eben als Werkzeug
höherer Mächte erklärt ist. Das Werkzeug ist lediglich in der zweckmäßigen Tätigkeit
darzulegen. Das Subjekt der freien Macht ist tätig nur auf dem Weg zum Zweck, den es
selbst setzt. Aber nach der Anführung ragt der Zweck über das Sein des Subjekts hinaus,
obwohl er vom Subjekt gesetzt ist und insofern ihm die subjektive Macht als sein
Werkzeug dient. Dies besagt, dass das vernünftige Verhältnis des Zwecks auf dem
ontologischen Standpunkt über die einzelne Tätigkeit des Subjekts hinausgeht. Deshalb
kann der durch die Tätigkeit des Subjekts realisierte Zweck ein solcher sein, dessen es
sich unbewusst war und den es nicht unmittelbar beabsichtigte. Er erscheint dem
Subjekt vielleicht als ein Schicksal, aber in diesem Zweckverhältnis spielte die Tätigkeit
des Subjekts jedenfalls eine instrumentale Rolle. Die erste Stelle, wo der Begriff der
List mit diesem Verhältnis von Zweck und Werkzeug direkt verknüpft wird, befindet
sich gerade in der zweiten Jenaer Geistesphilosophie.56 Dadurch kommt er im Kontext
der teleologischen Tätigkeit der Vernunft mit dem Werkzeug zu stehen. Aus diesem
Grunde tritt die List der Vernunft in der Wissenschaft der Logik und in der zweiten und
dritten Enzyklopädie unter der Überschrift ‚Teleologie’ auf. Sie heißt demzufolge, dass
die Vernunft ihren Zweck nicht unmittelbar, sondern “in die mittelbare Beziehung mit
dem Object setzt” und zwischen jenen und dieses “ein anderes Object einschiebt” (WL
II.166). Dies andere Objekt als “Mittel” bzw. Werkzeug der zweckmäßigen Tätigkeit
steht “in unmittelbarer Beziehung mit” “dem Material” und wird so bewegt durch die
Tätigkeit, dem Zweck zu dienen (E II/III. § 209). Obzwar das Werkzeug das
Zweckverhältnis selbst als realisiert in sich hat, ist es jedoch als solches einzeln. Diese
Seite ermöglicht zwei Momente der Tätigkeit. Zunächst, weil es als Einzelnes auch
nicht identisch mit dem Zweck selbst ist, richtet sich die zweckmäßige Tätigkeit noch
nach außen. D. h. das Subjekt muss mit Benutzung des Werkzeugs noch arbeiten. Aber
56
Die Stelle lässt sich freilich noch nach dem Kontext in der früheren Schrift verfolgen, obzwar der
Begriff der List nicht deutlich genannt ist. Z. B. über die lesbare List der Vernunft im System der
Sittlichkeit, SE, S. 291-293. Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 86-88.
169
diese Arbeit ist keine unmittelbare Verarbeitung des Materials, sondern die Tätigkeit
wird dem Werkzeug aufgebürdet. Das Werkzeug als Einzelnes führt dann anstatt des
Subjekts die unmittelbare Bearbeitung des einzelnen Materials durch. In dieser
Beziehung des einen Einzelnen auf das andere Einzelne bleibt der Zweck des Subjekts
als solcher und erhält sich. Dies bedeutet ferner, dass das Zweckverhältnis außerhalb der
Zufälligkeit der unmittelbaren Beziehung und ihrer einzelnen Glieder bleibt, sich in
derselben durchsetzt und dadurch sie überwindet.
Auf der geschichtlichen Ebene lässt sich die List der Vernunft ebenfalls nur durch die
Struktur des Werkzeugs richtig verstehen. Dann wäre das Werkzeug in den geschichtlich
wichtigen Ereignissen die Subjekte der konkreten Handlungen, besonders “die
welthistorischen Individuen”, der Zweck “die allgemeine Idee” der Vernunft und das
Subjekt des Zwecks selbst der Weltgeist (VPW I.105). Die allein auf der Ebene der
Geschichte interpretierte List der Vernunft wird häufig als der Kern des Vorwurfs gegen
Hegel erhoben, dass die historischen Subjekte zu unbewussten Handelnden der
absoluten Vernunft herabgesetzt werden oder die Geschichte der Helden vorgezogen
oder lediglich die vernunftzentrierte Geschichte mit gänzlichem Ausschluss von
Zufälligkeiten anerkannt wird. Aber der Begriff der List, der sogar niemals im
Manuskript zur Philosophie der Weltgeschichte, sondern nur einmal in den Vorlesungen
über die Philosophie der Weltgeschichte wörtlich auftaucht,57 muss nicht am Anfang,
sondern eher am Ende der Geschichtsphilosophie Hegels gelesen werden. Die
geschichtlichen Ereignisse sind über die Ebene der einzelnen Handelnden hinaus. Die
Individuen haben die allgemeine Vernunft nur subjektiv in ihrer Einzelheit und
objektivieren sie nur durch ihre einzelnen Handlungen. Diese Handlungen können zwar
selbstbewusst und zweckmäßig sein, aber ihre Resultate sind immer einzeln und
partikulär. Diese einzelne Beziehung zwischen Handlungen und Resultaten gehört ins
Reich der Zufälligkeit. Die Geschichte davon wäre nichts anderes als eine einfache
Erzählung wie ein Märchen oder eine Fabel. Aber so wie selbst ein Märchen allgemeine
Belehrung enthält, gibt es geschichtlich wichtige Ereignisse, deren Subjekte und
Resultate also in allgemeiner Weise bewertet werden. Die Geschichte ist keine
Demokratie der Tatsachen. Der Maßstab der Wichtigkeit liegt Hegel zufolge nicht im
Reich der Zufälligkeit, sondern eben in der Philosophie. Daher wird die ‘Vermittlung
zwischen dem Allgemeinen’ der Vernunft und ‘dem Besonderen in der Geschichte’ als
57
HH, S. 411. VPW I.105. VPG, S. 49. Vergleich, VM II, insbesondere S. 165-171. Aber der Ausdruck
befindet sich auch in der Vorbereitungsnotiz höchstwahrscheinlich für die letzte Vorlesung 1830/31,
dennoch ebenfalls als Hilfsbegriff für unsere Vorstellung der Geschichte. “So müssen wir uns überhaupt
vorstellen”, und den geschichtlichen “Zusammenhang nicht begrifflich machen”, weil sonst die ganze
Geschichte die Herrschaftsgeschichte der Vernunft würde. VM II.209 und Anhang S. 385-386.
170
Aufgabe der Geschichtsphilosophie Hegels aufgestellt.58 Durch die Vermittlung wird
die Darstellung der geschichtlichen Ereignisse die Geschichte als „historia rerum
gestarum“. Die geschichtliche und allgemeine Bedeutung der „rerum
gestarum“ entspringt immer aus der Philosophie des späteren Historikers. Die
handelnden Individuen hatten also von Anfang an den allgemeinen Zweck selbst nicht
in sich, der geschichtlich als durch ihre Handlungen realisiertes Allgemeines bewertet
wird. Der philosophische Maßstab dieser geschichtlichen Bewertung ist für Hegel die
Realisierung der freien Vernunft. Aber dies besagt überhaupt nicht, dass die Vernunft
selbst unmittelbar die Geschichte steuert und sich dadurch realisiert. Die Geschichte
“beginnt nicht mit irgend einem bewußten Zwecke”. Sondern nur die Individuen
beginnen mit einem bewussten Zweck, der aber zuerst subjektiv bestimmt, daher noch
nicht geschichtlich ist. Also lässt sich über die Geschichte lediglich sagen, dass sie “mit
ihrem allgemeinen Zwecke” “nur an sich”, “d. h. als Natur”, anfängt (VM II.161).
Deshalb gehört die einfache Geschichte als die Summe der Ereignisse manchmal “dem
Reiche der Naturgewalt und damit Zufälligkeit” an (VM II.166). Diese wird erst durch
die Philosophie, die den darin realisierten allgemeinen Zweck herausfiltert, die
allgemeine Geschichte als die historische Erzählung der „rerum gestarum“. Die
Geschichte ist nur philosophisch geschichtlich, während die Philosophie nicht nur
geschichtlich philosophisch ist. Die Geschichte in diesem Sinne bringt des Weiteren den
Individuen den realisierten und zu realisierenden Zweck zum Bewusstsein. Für den
Zweck sind Individuen, Handlungen, Willen und Interessen “die Werkzeuge und Mittel
des Weltgeistes, seinen Zweck zu vollbringen - ihn zum Bewußtseyn zu erheben und zu
verwirklichen” (VM II.162). Der Weltgeist wie die Vernunft in der Geschichte ist gar
kein transzendentes und mythologisches Wesen als der Führer der Geschichte. Er ist
‘nicht anders als das einzelne geistige Subjekt’,59 dessen Geist sich als frei weiß und in
der Welt vollendet. Die Differenz von Weltgeist und Individuum liegt darin, dass das
Selbstbewusstsein des Geistes von seiner Freiheit so allgemein ist, dass es nicht in der
Einzelheit des Individuums lokalisiert werden kann. Der allgemeine Zweck des
Weltgeistes, der immer der Geist des selbstbewussten Individuums im Horizont der Welt
und der Wirklichkeit ist, geht aber immer über die Einzelheit des Individuums, seiner
Handlungen und Resultate hinaus. Die Handlung des Individuums ist die Beziehung
58
HH, S. 411. Aus diesem Grunde ist Hegels Geschichte auch nicht die einfach fortschreitende
Geschichte. Sondern die “spezielle Geschichte eines welthistorischen Volks enthält teils die Entwicklung
seines Prinzips”, “teils auch die Periode des Verfalls und Verderbens”. GPR, § 347. In dieser Zufälligkeit
für das Volk die Notwendigkeit des Hervorgehens des höheren Prinzips einzusehen ist auch die
philosophische Aufgabe.
59
HH, S. 410.
171
zwischen dem Einzelnen und dem Einzelnen. Und das Allgemeine lässt sich ontologisch
nicht direkt im realiter entstehenden und untergehenden Einzelnen verwirklichen. Das,
was realisiert werden muss, ist eben die Beziehung selbst zwischen dem Allgemeinen
und dem Einzelnen, in der dies Einzelne durch jenes Allgemeine veranlasst und bewegt
wird und sich dadurch als ein Allgemeines auf andere Einzelne beziehen kann. Diese
Beziehung selbst besteht im Individuum eben als sein Selbstbewusstsein, das mit dem
freien Bewusstsein zu einzelnen Handlungen vorankommt. Sie ist anderes als die
Struktur des Werkzeugs. Und das Werkzeug ist, wie in der zweiten Jenaer
Geistesphilosophie, vortrefflicher als der einzelne Zweck und Ertrag der jeweiligen
Handlung. Hegels Bestimmung des Individuums in der Geschichte als Werkzeugs ist
also überhaupt keine Herabsetzung desselben zum nur passiv ausgenutzten Mittel des
mythologischen Subjekts der Geschichte. Wie sich das Werkzeug in Traditionen
entwickelt, so schreitet das “Bewußtseyn der Freyheit” fort (VM II.153).60 Und das
welthistorische Individuum ist eben ein solches Individuum, das im Fortschritt des
freien Bewusstseins die Rolle des Werkzeugs, obzwar unbewusst, durch den Vollzug
seines einzelnen Zwecks gut spielte. Die Lehre von den großen Männern als Machern
der Geschichte ist Hegel gar nicht eigentümlich. Sondern alle ‘weltgeschichtlichen
Taten müssen zweimal getan werden’, d. i. unmittelbar durch solche Individuen und
philosophisch durch unsere Reflexion auf ihre objektiven Ergebnisse.61 Die Benutzung
des welthistorischen Individuums als geschichtlichen Werkzeugs ließe sich daher
lediglich in der Philosophie der reflektierten Geschichte als die List der Vernunft
erwähnen. Aber die listige Vernunft muss nicht irgendwo außer, sondern eben in dem
Individuum gesucht werden, insofern das Subjekt der Geschichte realistisch nur das
Individuum sein kann. Vernünftig handelt de facto nur das einzelne Handelnde. Daher
könnte die List der Vernunft in der Geschichte als die nachträglich zum Bewusstsein
kommende, vernünftige Bedeutung der Vollziehung des Individuums interpretiert
werden. Der Begriff der List ist jedoch de facto im Bereich der Geschichte außer seiner
pädagogischen Wendung schwer als ein geschichtsphilosophischer zu behandeln, was
auch dadurch belegt wird, dass ihn Hegel nur einmal in den geschichtsphilosophischen
Vorlesungen verwendete. Der geeignete Ort des Begriffs liegt vor allem in der
Erklärung der bewusst teleologischen Tätigkeit, die zum ersten Mal eben in der zweiten
Jenaer Geistesphilosophie auftritt.
60
Dies heißt nicht, derjenige, der das Bewusstsein vom Selbst als geschichtlichem Werkzeug hat, kann
aus eigener Kraft ein historisches Individuum sein. Es heißt nur, was immer sein Selbstbewusstsein sein
mag, funktioniert es in der Geschichte als Werkzeug, insofern seine Handlung daraus einzeln und endlich
ist.
61
Pöggeler, Otto: Der junge Hegel und die Lehre vom weltgeschichtlichen Individuum, HPR, S. 36.
172
Nach der zweiten Geistesphilosophie liegt der Grund dafür, dass der Wille des Ich die
List mit dem Werkzeug anwendet, eben in der Beschränktheit des einzelnen Dings, in
dem der Zweck als das Allgemeine des Ich nicht unmittelbar realisiert werden kann.
“Das Partikuläre ist meistens zu gering gegen das Allgemeine” (VPW I.105).
Insbesondere das unmittelbare Produkt der Arbeit ist wiederum der zu vernichtende
Gegenstand für die Erfüllung der Begierde. Im unmittelbaren Produkt ist das
Allgemeine abhängig von der Einzelheit desselben. Auf der einen Seite kann das
Allgemeine für seine Verwirklichung allerdings nicht umhin, das einzelne Ding
anzunehmen. Es ist aber andererseits über die Einzelheit des Dings hinaus. Die einzige
Möglichkeit, diesen zwei Ansprüchen zu genügen, besteht nicht in der unmittelbaren
Vereinzelung des Allgemeinen, sondern in der Realisierung des Zweckverhältnisses des
Allgemeinen, d. i. solch ein einzelnes Ding zu schaffen, in dem das Zweckverhältnis
selbst verwirklicht ist und das deswegen nach diesem Verhältnis sich als ein allgemeines
Relatum auf andere einzelne Gegenstände beziehen kann. Es ist gerade Werkzeug als
allgemeines Medium des Willens. Es entspricht im Vorigen dem Zeichen oder der
Sprache, die für den theoretischen Geist das allgemeine Medium seines Begriffs sein
sollte. Weil das Werkzeug selbst auch Einzelnes ist, bezieht es sich unmittelbar als
Einzelnes auf das einzelne Material. Diese Beziehung, die auch die konkrete und
unmittelbare Arbeit zu nennen ist, ist durch mannigfaltige Umstände bedingt. Aber diese
bedingte Beziehung ist immer auch solche Beziehung, die sich nach dem
Zweckverhältnis ereignet. Das Ich, das durch die Abreibung und Abnutzung der beiden
Beziehungsglieder sein Allgemeines realisieren lässt, ist listig. Die List ist die
instrumentelle Realisierungsweise des Allgemeinen, das sich nicht anders als mit und in
dem Einzelnen realisieren kann. Das Werkzeug ist die konkrete Wirklichkeit des
Verhältnisses des allgemeinen Willens und die konkrete Möglichkeit der Produkte als
der realisierten Gegenstände desselben. Es hat das Verhältnis des allgemeinen Willens in
seiner einzelnen Dinglichkeit, deren Tätigkeit vom Ich gegeben wird. Das Ich stellt “die
List zwischen mich und die äussere Dingheit” des Werkzeuges, lässt dies unmittelbar
einzelne Materialien bearbeiten, erspart dadurch die Mühe zur Arbeit, und bleibt selbst
weiterhin als die Beziehung seines allgemeinen Willens bestehen (J III.206). Die List
muss freilich auf der anderen Seite auch den Naturgesetzen zwischen Werkzeug und
Materialien entsprechen. Sie muss selber vernünftig sein, sonst wird das Werkzeug dem
Ich nicht dienen. Sie ist immer die List der Vernunft des Ich, die vernünftige List des Ich.
Sie heißt die vernünftige Zusammenstellung des Werkzeugs und seiner Gegenstände
nach Naturgesetzen. 62 “Der Natur selbst geschieht nichts”, insofern ihre Gesetze
62
Aber sie kann List des vernünftigen, doch nicht allgemeinen, de facto Allgemeines vorspiegelnden
173
beachtet werden. Es sind jedoch “einzelne Zwecke des natürlichen Seyns” “zu einem
Allgemeinen” des Willens zusammengesetzt. Das Ich “regiert nur mit leichter Mühe das
Ganze” und “sieht ruhig zu” (J III.207). Je höher die vernünftige Zusammensetzung
wird, desto mehr tritt das Ich aus der Arbeit zurück und besteht nur als die Bestimmung
der Arbeit. Als diese Bestimmung wird es immer mehr die Wahrheit und der freie
Begriff der Arbeit und der arbeitenden Werkzeuge.
3. Totales Bewusstsein
3.1. Genuss und Charaktere
Das theoretische Bewusstsein vereint das ideell Allgemeine des äußeren einzelnen
Gegenstandes als der selbstständige Begriff absolut in seine Einzelheit und steht
dadurch der Totalität des Seins entgegen. Das praktische Bewusstsein realisiert und
bestätigt umgekehrt seinen Begriff im einzelnen Gegenstand. Dieses Moment der
Realisierung wird benötigt, insofern die Wahrheit des theoretischen Bewusstseins nicht
allein in der Entsprechung seines Begriffs mit dem Gegenstand, sondern vor allem in
der Wirklichkeit desselben im Gegenstand liegt. Das praktische Bewusstsein in seiner
Realisierung ist subjektiv arbeitend und existiert objektiv als das Werkzeug. Das
Werkzeug, das die Beziehung der ideell aufgehobenen Begierde oder des Willenszwecks
als realisierte allgemeine in sich hat, macht zudem das Bewusstsein immer mehr
unabhängig von der konkreten Arbeit und über die einzelne Beziehung der Arbeit
hinaus. Anstatt des bewussten Subjekts bezieht sich das Werkzeug zwar als ein
Einzelnes auf das zu bearbeitende Einzelne, aber nach seiner Bestimmung, die in sich
als die allgemeine Beziehung des Bewusstseins realisiert ist. Vermittels des Werkzeugs
besteht das Bewusstsein auch in der Beziehung der Einzelnen als diese Beziehung selbst,
als das Allgemeine, weiter. Das Werkzeug ist die zur objektiven Existenz gelangte
vernünftige Mitte des Bewusstseins. Das Bewusstsein ist damit erst wirkliches und
einzelnen Willens sein. Der allgemeine Wille auf der Ebene des Individuums braucht, wie hier erläutert,
nur vernünftig zu sein. Aber die Vernünftigkeit des Willens ist insofern nicht geradezu die Allgemeinheit
desselben, als das Individuum zugleich ein gesellschaftliches Wesen ist. Auf der gesellschaftlichen Ebene
braucht der allgemeine Wille, wie später zu erläutern ist, noch die Anerkennung durch die Aufhebung
seiner Einzelheit. Sonst tritt seine vernünftige Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit nicht als
die List der Vernunft, sondern als “Betrug” gegen die Natur auf. Auch sein Werkzeug oder seine
Maschine kann kein Werk des Volkes, sondern nur das Werk des Ich sein. Diese formale
Verallgemeinerung des nicht aufgehobenen einzelnen Willens erkennt Hegel an der Arbeitsteilung in der
ersten Geistesphilosophie. Für Hegel ist die Gesellschaft seiner Zeit der Ort, wo der Betrug als Kampf um
Anerkennung erscheint und der allgemeine Wille als das Anerkanntsein dadurch institutionell errichtet
wird. Siehe S. 251-253.
174
vernünftiges Bewusstsein, das seinen theoretisch erlangten Begriff praktisch realisiert
und gegenständlich bestätigt. Es ist bereits an sich totales Bewusstsein. Das totale
Bewusstsein besagt das Bewusstsein, das sich nicht mehr nur frei von, sondern auch zu
der Totalität des Seins als Entelechie seiner Begriffe verhält. Es ist das vernünftige
Subjekt in der Wirklichkeit, das zum wirklichen Objekt in der Vernünftigkeit wird.
Aber dies totale Bewusstsein ist zunächst erst nur durch unsere Reflexion auf seine
bisherige Struktur erreicht und besteht noch nicht für sich. Wie immer ist für Hegels
Wahrheitslehre auch das Bewusstsein selbst keine Ausnahme. Es muss erst auch als für
sich totales bestätigt werden. Das totale Bewusstsein “für uns” muss auch “für sich
selbst” wirklich totales werden können. Dies ist davon abhängig, ob und wie das
Bewusstsein realiter durch irgendwelche wirklichen Momente zu einem totalen wird
und besteht. Ein solches wirkliches Moment ist unmittelbar eben nichts anderes als die
Bestätigung des gegenständlich realisierten Begriffs des Bewusstseins. Das Werden des
totalen Bewusstseins ist das Bestätigen seines realisierten Begriffs im Gegenstand. Der
Gegenstand als die Entelechie seines Begriffs ist insofern Gegenstand, in dem der
Begriff realisiert ist. Aber in dieser Hinsicht lässt sich die Totalität des Bewusstseins de
facto lediglich jeweils durch die Realisierung und Bestätigung seiner unendlich
abänderlichen und vielen Begriffe erringen. Dies ist daher das bewusstseinsimmanente
Moment seiner Totalität. Das Moment kann aber des Weiteren nicht im Gegenstand als
Ding, sondern als einem anderen Bewusstsein bestehen. Das andere Bewusstsein ist
nicht das Bewusstsein, das schon allein zu seiner Totalität gelangt ist, sondern als
Gegenstand des bereits totalen Bewusstseins durch die Tätigkeit desselben erst zur
Totalität gebildet wird. Diese Bildung ist das Werden des Bewusstseins selbst als des
einzelnen Ganzen zum totalen, mithin eben das für sich selbst Werden des totalen
Bewusstseins. Die Bildung, die als Erziehung des Kindes erscheint, ist das
bewusstseinsreziproke Moment der Totalität des Bewusstseins. Im Hinblick auf dies
Werden entwickeln die zwei Jenaer Geistesphilosophien die letzte Stufe der
Bewusstseinslehre. Deshalb ist das Bewusstsein hier noch nicht wirkliches Subjekt, das
sich als Totales zum anderen und zur Welt verhält, sondern in der ersten
Geistesphilosophie wird es noch in der Form der Potenz und auch in der zweiten
Geistesphilosophie noch nicht als die Form des wirklichen, sondern des noch seinem
Begriff gemäßen Geistes dargelegt. Wie das Bewusstsein in der theoretischen Potenz
“für sich zu seinem Begriffe” gelangte, der bereits durch unsere Reflexion auf die
Krankheit des Tiers erreicht worden war, und in der praktischen Potenz seine “absolute
Einzelheit” mit der inhaltlichen Vernünftigkeit für sich erlangte, die in jener
theoretischen Potenz bereits für uns, aber deshalb nur “in der formalen Vernünftigkeit”
175
geworden war, so handelt es sich nun auch um das Werden der Totalität des
Bewusstseins für sich, das schon für uns in seinem Gegenstand und in einem anderen
Bewusstsein sich selbst bestätigt (J I.304). Dann lässt sich das für sich gewordene totale
Bewusstsein erst als das sittliche Subjekt in der Wirklichkeit behandeln.
Die erste Geistesphilosophie bringt unter der Potenz des Besitzes und der Familie das
Werden des totalen Bewusstseins zur Darstellung, aber dennoch nicht deutlich das
Moment des Besitzes, das jedoch das nächste Fragment des Kampfes um Anerkennung
voraussetzt. Hingegen verdeutlicht die zweite Geistesphilosophie das Moment des
Familienbesitzes zwischen dem Moment der Liebe und dem des Kindes; dann wird
auch der Anerkennungskampf im späteren Teil des gleichen Willensabschnitts
abgehandelt und wiederum im ersten Abschnitt des folgenden Kapitels, “Wirklicher
Geist”, wird er als das Anerkanntsein erläutert, das ein rechtliches Verhältnis als
Resultat des Kampfes ist. Die erste Geistesphilosophie erklärt auch nicht deutlich den
Übergang vom praktischen zum totalen Bewusstsein bzw. inhaltlich von der Arbeit und
dem Werkzeug zur Familie. Lediglich der untere Text der Erststufe zeigt, dass das
Individuum “gestaltete Totalität” wird, indem “die Begierde in den Genuß übergeht”.
Die Begierde ist hier zweifellos durch die Arbeit und das Werkzeug vermittelt. Das
Bewusstsein befreit sich durch das Werkzeug von der Notwendigkeit der einzelnen
Arbeit, verwaltet und übersieht frei die arbeitende Beziehung des Werkzeugs. Diese
“Freyheit des Bewusstseyns” heißt aber freilich nicht Gleichgültigkeit der
Naturnotwendigkeit, sondern die Aufhebung der Not, die sich aus der Beachtung der
Naturgesetze zwischen dem Werkzeug und dem zu Bearbeitenden ergibt. Das Werkzeug
als Einzelnes ermöglicht nach seinem in sich realisierten gesetzlichen Zweckverhältnis
die Produktion der vielen einzelnen Gegenstände der Begierdenerfüllung. Das
Bewusstsein ist damit absolut freies Individuum, das seinen Begriff anhand der
instrumentalen Naturnotwendigkeit frei verwirklicht und eine Vielheit von äußeren
Einzelnen mit seinem Begriff vereint. Das, was ihm nun aufgegeben ist, ist nicht
erfüllende Tätigkeit gemäß der Notwendigkeit der Begierde, sondern Genuss der
Erzeugnisse, in denen die natürliche Not derselben aufgehoben ist. Der Genuss ist
überhaupt keine tierische, sondern eine menschliche Vernichtung der Gegenstände der
Begierde. Die jeweils benötigte unmittelbare Befriedigung der natürlich entstehenden
Begierde kann nicht einmal Genuss sein. Der Genuss besteht erstens in der Aufhebung
des Gegensatzes und der Tätigkeit gegen das äußere Einzelne, die die Begierde nötigt.
Diese Aufhebung ist bereits möglich durch das instrumentelle Vermögen für die
Surplusproduktion, die über den Bedarf der Begierdenerfüllung hinausgeht. Der Genuss
ist zweitens nicht nur unmittelbare, sondern ferner reflektierende, also menschliche
176
Vernichtung der unorganischen Natur als Gegenstand der Begierde. Er ist zum einen das
unmittelbare Vernichten der unorganischen Natur. Aber diese unorganische Natur ist
bearbeitet und geschaffen als Gegenstand der Begierde, in der die Idee des
Bewusstseins realisiert ist. Er ist daher zum anderen nicht sowohl einfaches Vernichten
als vielmehr in dessen Unmittelbarkeit die seine “realisirte Idee” in sich reflektierende
Tätigkeit des Bewusstseins. Die Begierdenerfüllung des Tiers ist die Erhaltung seines
natürlichen Lebens. Der Genuss des Bewusstseins ist dagegen die Gestaltung seiner
realisierten Idee in sein Leben. Der Körper des Menschen ist selbst geistig gestaltet.
Insofern das Bewusstsein im Genuss seine realisierte Idee in sich reflektiert, ist das
bewusste Individuum die “gestaltete Totalität” des Bewusstseins (J I.301). Im Genuss ist
das Vernichten der unorganischen Natur also trotz seiner Unmittelbarkeit durch die
reflektierende Gestaltung der realisierten Idee schon idealiter gehemmt. Die Hemmung
des Vernichtens beim Tier entstand erst nach dem unmittelbaren Vernichten bereits spät
als die empfundene Idealität der befriedigten Begierde. Der Genuss ist nicht bloß die
Vernichtung des Gegenstandes, sondern auch die bewusste Verkörperung des
realisierten Selbst oder eben die selbstbewusste Gestaltung. Hier ist das Vernichten
selbst idealiter gehemmt. Diese Hemmung wird sich auch realiter vollziehen, wenn der
Gegenstand des Genusses nicht das unorganische Naturding, sondern ein anderes
Individuum als die gleiche gestaltete Totalität sein wird, nämlich in der
Geschlechtsbeziehung.
Anders als die erste Geistesphilosophie zeigt die zweite deutlich den Übergang vom
Werkzeug zu den Charakteren, die durch die Liebe hin zur Bildung der Familie führen.
Durch das Werkzeug kehrt der Trieb als die Mitte des Willens ganz aus der
unmittelbaren Beziehung der Arbeit zurück und sieht nur ruhig, dass sich die Natur
abarbeitet. Dieses Vermögen, anhand des Werkzeugs “nur mit leichter Mühe” das Ganze
zu beherrschen, wird List genannt. Hegel spricht des Weiteren von der “Ehre der List”.
Diese besagt verbaliter die vernünftige Seite der List gegen die natürlicherweise
bestehende Macht. Die List ist das Vermögen, “die blinde Macht an einer Seite” so
anzufassen, “daß sie sich gegen sich selbst richtet”, d. h. sie als Bestimmtheit zu
begreifen, nach dieser Bestimmtheit gegen sie tätig zu sein und sie sich aufheben zu
machen. Durch die List wird zwar das Werkzeug allmählich abgenützt und das
Verhältnis seiner natürlichen Macht aufgehoben, aber der einzelne Gegenstand des
Willens wird nach seinem Zweckverhältnis zum Produkt gemacht, und der Wille besteht
noch als das Allgemeine weiter. Deshalb ist der Mensch mit seiner vernünftigen List
177
“das Schiksal des einzelnen” Naturdings.63 Denn gleichgültig gegen die Richtung des
natürlichen Bestandes des Einzelnen wird es gemäß dem Allgemeinen des Willens
bewegt und verzehrt. Der Wille ist Hegel zufolge durch die List eben “zum Weiblichen
geworden”. Der Wille, der die List gut plant und anwendet, ist weiblich. Dies ist gar
keine negative Einschätzung des listigen Willens der Frau, sondern vielmehr die
kontemplative Haltung des weiblichen Willens, dessen Vernunft durch die List selber als
Einheit ruhig bleibend das Einzelne der sich wandelnden Außenwelt sich zum Zweck
dienen lässt. Insofern die Vernunft listig das Werkzeug erdenkt und verwendet, ist sie
feminin. Metaphorisch gesagt, bricht der Tag der Entzweiung und der Arbeit aus der
Nacht der Einheit und der Ruhe an. Aber die List ist die Fähigkeit der weiblichen Nacht,
die am männlichen Tag wirkt. Die List bedeutet ursprünglich die Geschicklichkeit und
ist etymologisch das Verbalabstraktum, das vom Verbalstamm, „lais-“ in dem Sinne von
„wissen, erkennen, lernen“ hergeleitet ist.64 Sie ist nicht einfaches Wissen, sondern ein
solches Wissen, das das zu Wissende selbst gewusst werden lässt. Nur das Wissen,
etwas gemäß dem, was es ist, sich zeigen und bewegen zu machen, ermöglicht die
geschickte Arbeit. In dieser Hinsicht vergleicht Hegel also in einer Randbemerkung die
List auch mit der Pfiffigkeit. Pfiffe zu verstehen und anzuwenden ist nicht jeder fähig,
weil diese Fähigkeit über das bloß sprachliche Verstehen liegt. Die daraus stammende
Pfiffigkeit 65 impliziert daher die Verborgenheit bzw. Ausschließlichkeit. Diese
hinterhältige Fähigkeit, etwas heimlich zu beabsichtigen und zu vollziehen, ist nahe
dem Betrug. Dagegen wird die List durch ihre Offenheit bezeichnet. Je offener ihre
Handlung ist, umso größer ist sie. Der Wille lässt nämlich mit der List “durch seine
Offenheit” das Andere sich zeigen und sein, wie es an und für sich ist, und sich in
seinem Tun verkehren und “eben darin sich selbst vernichten”. Die stumme List wäre
freilich gleich wie die Pfiffigkeit, aber die offene List, das Andere durch seine Tätigkeit
sich abreiben zu lassen und ruhig zuzusehen, ist “von Grund aus Meister”. Der listige
Wille ist der weibliche Wille, der anhand seiner vernünftigen List noch kontemplativ
bleibt, obzwar der Trieb als seine Mitte nach außen geht. “Der hinausgehende Trieb, ist
als List” des weiblichen Willens “theoretisches Zusehen”. Dies Zusehen ist aber bereits
“verschieden vom Triebe” selbst, weil er nun der aus der unmittelbaren Beziehung der
Arbeit zurückgekehrte Trieb des Ich ist und das Ich nun “die Nichtigkeit dieses Seyns”
63
Wenn sich das Allgemeine der Vernunft sogar über die Einzelheit des Menschen hinaus z. B. auf der
Ebene der Geschichte verwirklicht, ist dies das Schicksal des Menschen. Das Schicksal besteht also darin,
dass das vernünftig eingerichtete Einzelne, sei es Mensch, sei es Naturding, durch seinen Gebrauch als
Werkzeug über seine Einzelheit hinausgehen muss.
64
Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 522.
65
Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 625.
178
als Triebs, d. i. die einander aufhebende Beziehung der Einzelnen in der konkreten
Arbeit weiß. Das sich Abreibende und das zu Bearbeitende in der Arbeit sind
aufzuheben und also nichtig. Das Ich nimmt nicht mehr unmittelbar an dieser Tätigkeit
teil, sondern verwaltet und beschaut sie. Aber es besteht andererseits auch noch ein
solcher Wille, dessen hinausgehender Trieb nicht in sich zurückkehrt, sondern noch als
die sich entäußernde und befriedigende Tätigkeit bleibt. Der Wille ist nicht sowohl listig
und kontemplativ, als vielmehr noch praktisch und tätig. Er gelangt eben durch die
unmittelbare Teilnahme an der Arbeit zum Wissen vom Bestand des Allgemeinen in der
Aufhebung der Einzelnen. Seine Tätigkeit ist “das Nichtwissende Treiben zum Wissen”,
nämlich das Treiben, das sein wesentliches Verhältnis zwar nicht weiß, doch zu diesem
Wissen führt. Dieser Wille lässt sich männlich nennen. Deshalb redet Hegel
anschließend von zwei Mächten, die nicht mehr natürliche, sondern vom Willen
vernünftig, aber einerseits theoretisch, andererseits praktisch reguliert sind. Die so
gegenläufig entzweiten Mächte des Willens sind gerade “Charaktere”66 (J III.207).
Die Charaktere sind Konkreta des gegenläufig verdoppelten Willens. Der Charakter
heißt der bestimmte Wille, der überhaupt zu einer seiner entzweiten Seiten gehört.
Daher können die Charaktere durch jede extreme Gestalt der entgegenstehenden
Richtungen gut unterschieden werden. Der Wille kann zum einen listig und zusehend,
zum anderen tätig und treibend sein. Jener Wille bleibt auf dem Standpunkt seines
Allgemeinen stehen; dieser hat Teil an der tätigen Beziehung der Einzelnen. Der
Charakter, in dem dieser Wille im Extrem der Einzelheit konkretisiert ist, ist mithin die
“Spannung, die Macht der Entgegensetzung des seyenden”. Er ist “offen”, treibt gerade
zu seiner Erfüllung, ist aber deshalb “blind”, weil er “kein Bewußtseyn” “über die Natur
dieses Seyn” in der Entgegensetzung hat. Hingegen sieht der Charakter im Extrem der
Allgemeinheit jenes Willens nur zu, wie sich das Tätige “seinen Untergang durch sich
selbst” verschafft. Diesen Untergang kennt er zwar vernünftigerweise gut, aber er meint
ihn nicht ernsthaft, deshalb ist er “das Böse”. Diese extremen Charaktere aber sind als
das logisch Äußerste der möglichen Konkretisierung des Willens betrachtet und heißen
nicht realiter der männliche und weibliche Wille. Der charakteristisch bestimmte Wille
66
Hegels Terminus ‚Charakter’, der etwas unerwartet aufzutauchen scheint, hat seinen Ursprung
höchstwahrscheinlich im Aristotelischen Begriff έξις (Hexis, habitus), dessen Wissenschaft Aristoteles
zufolge eben die Ethik ist. Er spricht niemals über die Ethik als selbstständige Wissenschaft, sondern als
einen Teil der Politik, die die Wissenschaft der gesellschaftlich-politischen Verwirklichung des natürlich
gemeinschaftlichen Menschseins als πολιτικων ζωον ist. Aristoteles: Ethica Nicomachea, 1094a-1095a,
1097b, 1105b, Hegel behandelt in ähnlicher Weise hier zwar den Charakter in beiden Extremen, aber
entwickelt in seiner eigenen Weise die Mitte (µεσοτης) als ihre Einheit bis zum Moment der Liebe, deren
Resultat, wiederum wie bei Aristoteles, das sittliche Subjekt der gesellschaftlich-staatlichen Beziehung ist.
Auch Fichte redet in der Deduktion der Ehe in der Grundlage des Naturrechts vom sittlichen Charakter,
aber weder in dessen Extrem noch im Ausgang der Deduktion. Fichte: Grundlage des Naturrechts, S. 313.
179
würde de facto zwischen die Extreme gehören. Dadurch zu unterstreichen ist lediglich,
dass, weil beide extreme Charaktere negativ sind, sie genötigt sind, “sich in Eins zu
setzen” und die Einheit des Willens zu restituieren (J III.208).
Die zweite Geistesphilosophie klärt also durch die Selbstentzweiung des Willens die
Übergangsphase, die in der ersten Geistesphilosophie im Dunkeln bleibt. Der dadurch
erreichte Charakter lässt sich als der gestalteten Totalität in der ersten
Geistesphilosophie entsprechend ansehen. Aber während die zweite Geistesphilosophie
konsequenter noch durch die Struktur des Willens zum Charakter fortschreitet, bringt
die erste beim Genuss der Erzeugnisse der Arbeit die gestaltete Totalität als das in sich
reflektierende Individuum zur Darstellung. Daher bildet hier die Betrachtung des
Genusses als Endpunkt der Begierde den Ausgangspunkt. Der Genuss ist bekanntlich
zwar einerseits das unmittelbare Vernichten der Gegenstände der Begierde, aber
andererseits als menschliche Begierdenbefriedigung das durch die reflektierende
Gestaltung der realisierten Idee bereits idealiter gehemmte Vernichten. Er geht deshalb
über den unendlichen Zirkel von der Vollendung der Vernichtung und dem Neubeginn
der Begierde hinaus. Sonst wäre er nichts anderes als tierische Erfüllung. Er ist aber das
Vernichten, begleitet durch das Bewusstsein von meiner Gestaltung bzw. von der
Verkörperung meiner realisierten Idee. Selbst im einfachen Essen ist das, was mich
zufrieden stellt, eben mein Selbst, das die Speise als mein Produkt erfüllt. Deshalb zehre
ich nicht einfach auf, sondern genieße die Speise. Das Vernichten im Genuss ist also
idealiter gehemmt durch das Bewusstsein von der Erfüllung meiner selbst. Es gibt in der
Welt kein reines Vernichten. Das Vernichten des einen ist zugleich das Erfüllen des
anderen. Allein, weil das Tier Hunger hat, nur deshalb frisst es, und weil es gefressen
hat, hat es erst die Empfindung der Befriedigung, die das schon vollzogene Vernichten
spät hemmt und es also zur Suche nach dem neuen Gegenstand der Begierde drängt. So
dominant ist also die Empfindung im Erfüllen des Tieres. Die Hemmung des
Vernichtens, die Hegel bereits in der Naturphilosophie bezüglich der Begierdenerfüllung
wiederholt erwähnt,67 ist nicht eingeführt für die Unterbrechung und Beseitigung des
Vernichtens selbst. Sie bedeutet, erstens, das, was nur von der Begierde und deren
Befriedigung abhängig ist, hat lediglich das bewusstlose Vernichten des Anderen zur
Folge. Aber es besteht, zweitens, das Element der Hemmung auch selbst im tierischen
Vernichten, obzwar dies die unmittelbare Bedingung des tierischen Lebens ist. Die
Empfindung des Tiers ist gerade das ideelle Element der Hemmung. Die empfundene
Idealität der befriedigten Begierde hemmt auch realiter, aber zu spät, das Vernichten.68
67
68
J I., S. 241-244.
Das Tier überfrisst sich nicht, aber das Vernichten ist schon vollendet.
180
Diese Hemmung bedeutet schließlich, dass die ideale Empfindung und die reale
Vernichtung der Befriedigung sich einander entgegenstehen, ja zudem im Widerspruch
stehen. Dies bezeichnet die periodische Bewegung des einzelnen Lebens des Tiers im
Kreislauf der Begierde. Daraus ist für die Geistesphilosophie zu folgern, dass die das
schlechthinnige Vernichten voraussetzende Begierdenerfüllung ganz und gar kein
Prinzip des menschlichen Lebens sein kann, dass das Vernichten im Genuss des
Menschen bereits zugleich gehemmt ist durch das Bewusstsein von sich, wie die
menschliche Begierde auch schon die ideell aufgehobene ist, und endlich, dass das
Vernichten so nur als das gehemmte, also das gemäßigte oder insofern menschliche ist,
als es bewusst das Erfüllen des anderen, des Höheren, bedingt.
Die unmittelbare Hemmung des Vernichtens entsteht auch realiter beim Tier, wenn der
Gegenstand seiner Begierde nicht Ding, sondern das andere, ihm gleiche Individuum ist.
Die Geschlechtslust ist das reelle Element der Hemmung. In der Geschlechtslust findet
das eine Individuum eben sich selbst im anderen und will dies andere also nicht
vernichten, sondern sich selbst als gefunden im Anderen erfüllen. Hier ist das durch die
bloße Begierdenerfüllung begleitete Vernichten des Anderen bereits gehemmt. Das sich
Finden geschieht naturnotwendig durch die Empfindung, für die “die Individualität
selbst als allgemeine” ist. Die allgemeine Individualität ist, wie charakteristisch für die
tierische Empfindung, 69 die Individualität als ein ideell Allgemeines, das sich
unmittelbar aus der ideellen Aufhebung des äußeren Individuums durch die Empfindung
ergibt. Sie ist zudem nicht Einzelheit irgendeines Dings, sondern das Aufgehobensein
des sich gleichen Individuums, das damit realiter in den Prozess der Gattung gerät. Das
tierische Individuum findet in dieser Weise seine Individualität zwar lediglich als
empfundene im Anderen, aber erkennt sie weder als auch dem Anderen gehörend noch
auch seine eigene Individualität in sich, die vom Anderen gleicherweise empfunden
wird, noch also das Andere als das Andere seiner selbst. Die Individualität des einen ist
nur empfundene Idealität im und vom anderen her. Das Andere ist der Ort, worin die
empfundene Individualität des ersteren besteht. Dies sich Empfinden entsteht aber
gegenseitig, und das Individuum will sich damit auf seine ideelle Individualität im
Anderen, also realiter auf das Andere beziehen. Diese Beziehung tritt als die
Geschlechtsbeziehung 70 nach der Notwendigkeit der Gattung auf. Die
69
Siehe S. 97-102.
Nach der sinngemäßen Unterscheidung zwischen Beziehung und Verhältnis, die zuerst in der Logik der
zweiten Systementwürfe stattfindet, ließe es sich sagen, nur der Mensch hat das Geschlechtsverhältnis, in
dem Sinne eines Verhältnisses als Bezüglichkeit der vielfachen Beziehung des Vielfachen. J II., S. 36-37.
Baum, Manfred: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, S. 248. Dagegen ist die Beziehung die
einfache Verbindung des einen einfachen mit dem anderen. Während sich das Tier durch die einfache
Begierde des Geschlechts auf anderes bezieht, verhält sich der Mensch durch die Vielfältigkeit der
70
181
Geschlechtsbeziehung hat “zuerst überhaupt die allgemeine Form der Begierde”. Die
Begierde ist das Gefühl, die mangelhaft sinnliche Idealität in sich mit der äußeren
Realität zu erfüllen. Aber in der geschlechtlichen Begierde ist die zu erfüllende Idealität
des Individuums zwar als die Empfindung in ihm, aber als im Anderen bestehende
Individualität getrennt von ihm. Die Geschlechtsbeziehung des Tiers besteht darin, das
ideelle Aufgehobensein seiner Individualität als empfunden im Anderen mit seinem
Sein zu erfüllen. Es ist nicht Begierdenerfüllung, das andere in sich einzusaugen und zu
vernichten, sondern sich selbst ins andere einzugießen und zu füllen. In der
geschlechtlichen Begierde ist “sein Seyn und sein Aufgehobenseyn in ihm zugleich und
aus einandergehalten”, und dies, was auseinander gehalten und getrennt ist, zu vereinen
ist die Geschlechtsbeziehung (J I.243). Hier ist das Aufgehobensein des Individuums
nur als die Empfindung, also idealiter, entstanden, und realiter gehemmt. Diese
gehemmte Aufhebung des Individuums, sein Sein aufbewahrend in die Einheit mit dem
Anderen zu erheben, macht gerade den höheren Prozess der Gattung beim Tier. Aber die
Geschlechtsbeziehung als der Prozess der Gattung ist für das Tier freilich “ein
gehemmtes Vernichten durch Noth, oder ein absolut aüsseres”.71 Denn die Empfindung
seiner Individualität in der Geschlechtslust entsteht und entwickelt sich aus der
natürlichen Not zur Geschlechtsbeziehung.
Die Hemmung des Vernichtens kommt dagegen im Geschlechtsverhältnis des Menschen
zur bewussten Vollziehung. Die selbstbewusst gestaltete Totalität des Individuums ist
“in der Trennung der Geschlechter” realisiert. Die Gestalt des Individuums als Totalität
hat nur die geschlechtliche Differenz. Die hieraus entstehende Begierde wird, wie beim
Tier, notwendig gehemmt, aber nicht aus der natürlichen Not, sondern gemäß der
bewussten Notwendigkeit. Das Bewusstsein des Individuums ist hier vor allem frei von
der Tätigkeit des Gegensatzes, die die natürliche Begierde erfordert. Das freie
Bewusstsein ist das Bewusstsein des in seinem Erzeugnis realisierten Selbst. Das
Vernichten dieses Erzeugnisses ist also idealiter schon gehemmt durch das Bewusstsein
der Erfüllung seiner selbst. Das erfüllte Selbst ist seine gestaltete Totalität. Seine
Erfüllung der Begierde ist der Genuss seiner selbst im Erzeugnis. Und wenn nun das
andere Individuum als die gleiche Totalität geschlechtlich begehrt wird, steht diese
Begierde auch nicht in der natürlichen Not, sondern im Genuss der gleicherweise
gestalteten Totalität des anderen. Die geschlechtliche Begierde des Menschen soll nicht
zwangsläufig befriedigt, sondern kann bewusst genossen werden. Im
menschlichen Begierde zum anderen Geschlecht.
71
Der abgeschnittene erste Satz des Fragments 21 in der ersten Geistesphilosophie könnte so
rekonstruiert werden.
182
Geschlechtsverhältnis des Menschen wird das Vernichten nicht wegen seiner im
Anderen empfundenen Individualität natürlicherweise und äußerlich gehemmt, wie
beim Tier. Sondern das Individuum selbst “hemmt das Vernichten im Genusse, durch
sich selbst”, durch das Bewusstsein seines Selbsts, das im begehrten Anderen erkannt
wird. Im Genuss der geschlechtlichen Begierde wird das Vernichten daher völlig
gehemmt und überwunden. Dagegen im Fall des Tiers ist die Grenze zwischen
Erfüllungen der Lebens- und der Geschlechtsbegierde äußerlich und unbestimmt, also
kann in der besonderen Spezies das Vernichten in jener Begierde auch in dieser
geschehen. Das Bewusstsein des begehrten Anderen ist das Bewusstsein des Selbsts im
Anderen. Dies Andere soll nicht vernichtet, sondern erfüllt werden. Die gegenseitige
Erfüllung der Individuen basiert daher nicht auf der wechselseitigen Anerkennung, oder
darauf, dass, wenn ich das andere vernichten will, es auch mich vernichten will.
Sondern die Hemmung des Vernichtens gründet sich auf das gegenseitige Erkennen des
Selbst im Anderen, daher ist das, was als anerkannt gesagt werden kann, nur das, was in
der natürlichen Weise als Selbst erkannt ist. Das Erkennen des Selbsts im Anderen
entsteht durch die Begierde nacheinander natürlicherweise, aber vollzieht sich zugleich
durch das freie Bewusstsein. Und zwar wird das erkannte Selbst zugleich als das Selbst
im Anderen für mich, also des Anderen meiner selbst erkannt. Wegen dieses
Bewusstseins werden die als zwei Geschlechter gestalteten Individuen “zu Bewußtseyn
füreinander” und zugleich “zu für sich seyenden, bestehenden” Bewusstsein gemacht.
Dies bedeutet, dass die Beziehung der Individuen in der geschlechtlichen Begierde in
erster Linie die Beziehung zwischen ihren Bewusstsein ist. Jedes ist, wie es für sich ist,
“sich seiner bewußt für sich” “in dem Bewußtseyn des andern”, und auch für das
Bewusstsein des anderen ist es ebenfalls als für sich (J I.301). Wegen der Beziehung des
selbstständigen Bewusstseins wird auch die Geschlechtsbeziehung nicht die animalische
Begattung, sondern “eine ideale” Beziehung, in der zuerst die Vereinigung eines
Bewusstseins mit dem anderen vollbracht wird. Die ideale Geschlechtsbeziehung geht
über die jeweilige leibliche Verbindung hinaus und ermöglicht die bewusste Einheit der
Individuen. Als diese Einheit verwaltet und leitet sie eher die reale Begattung. Eben aus
diesem Grunde ist die Sexualität nicht bloß der Gegenstand der nötigen Begierde,
sondern ferner des Genusses. Dieser Genuss setzt also die Vereinigung des
Bewusstseins voraus. Aber des Weiteren, wenn sich die Begierde des Menschen vom
Zusammenhang des sexuellen Genusses befreit und zur Begierde des Bewusstseins
selbst, der bewussten Einheit wird, die nichts anderes als das unmittelbare Einssein
beider “in dem absoluten für sich seyn beyder” ist, ist sie eben die “Liebe”. Während
der sexuelle Genuss abhängig vom Zirkel der natürlichen Begierde ist, ist die bewusste
183
Begierde selbst “eine bleibende Verbindung” des Bewusstseins (J I.302). Die Liebe ist
so eine bewusst bestehende Einheit.
3.2. Liebe und Ehe
Die Liebe als ein Thema des frühen Hegel, das bald als “das Grundprincip des
empirischen Charakters” mit den moralischen Empfindungen (FS 101), bald als
vereinigende Tätigkeit des Lebens (N 322) in Betracht gezogen wurde, ist hier als ein
Moment der Bewusstseinslehre aufgestellt. Dadurch bekommt sie, verglichen mit ihrer
frühen Bestimmung, den konkreteren Inhalt der Vereinigung als Einheit des
Bewusstseins und zudem als Mittel der äußeren Realisierung; und Hegel entwickelt dies
an den Themen ‚Ehe’, ‚Familienbesitz’ und ‚Kind’. Der Genuss in der Liebe besteht nun
nicht in der jeweiligen Befriedigung der wiederkehrenden Begierde, sondern gerade in
dem “Anschauen seiner selbst in dem Seyn des andern Bewußtseyns”. Der Genuss als
dies Anschauen ist beständig, indem beide als das bewusste Einssein bleiben. Die
Beziehung der Liebe ist “eine so bleibende als das Seyn beyder”. Umgekehrt bestehen
beide nun lediglich in der Beziehung der Liebe. Diese Beziehung selbst ist “das Seyn
beyder”. Die als ihr Sein bestehende Beziehung ist als eine objektive eben die “Ehe”.
Die Ehe ist die objektiv realisierte Beziehung der Liebe, in der jedes Bewusstsein
“gegenseitig in dem Bewußtseyn des andern” “als seine ganze Einzelnheit” besteht. Sie
ist die erste objektive Mitte, in der die Vereinigung des für sich seienden Bewusstseins
durch die Liebe frei realisiert wird. Sie ist das Ergebnis der freien Handlung, durch die
das Individuum als die gestaltete Totalität auch sich als das Bewusstsein von diesem
Selbst realisiert. Hier ist starker Nachdruck darauf zu legen, dass sich das
Selbstbewusstsein des Individuums als Totalität nur vermittels des gleichen
Bewusstseins des Anderen verwirklichen kann. Denn die vollständige Selbstrealisierung
des Bewusstseins, insofern es um das zu realisierende Bewusstsein geht, kann auch nur
als das realisierte Bewusstsein zum Bewusstsein kommen. Das Bewusstsein einer
Totalität lässt sich nur durch das Bewusstsein einer anderen gleichen Totalität als
solches erkennen. Die Erkenntnis der gleichen Totalität ist als menschliche Begierde die
Liebe und deren Objektivierung die Ehe. Die Ehe ist die erste “ganz gemeinsame
Existenz”, in der die “ganze Einzelnheit” jedes Individuums als Totalität besteht (J
I.302). Die ganze Einzelheit des Individuums als Totalität hat die Gemeinsamkeit zur
Bedingung. Dies ist eben das ontologische Spezifikum des bewussten Seienden. Das,
was Hegel bereits in der Frankfurter Zeit über den Geist gesagt hat, den als solchen “nur
der Geist erkennt” (N 305), gilt hier auch für das Bewusstsein, das als die erste
184
Existenzform des Geistes entwickelt wird. Und gerade aus diesem Grunde lehnt Hegel
die kontraktualistische Erörterung72 der Ehe ab. Die Ehe ist gar kein Vertrag beider, die
sich für irgendeinen besonderen Zweck zusammenschließen. Sie ist die Einheit mit dem
ganzen anderen, in der die Totalität eines jeden als seine bewusste Natur selbst bestehen
bleibt. Sie ist daher die Existenzform über die Einzelheit hinaus, in der jeder Einzelne
als Totalität existiert. Jedes Individuum realisiert sich durch die Vereinigung des
Bewusstseins seiner Totalität mit dem anderen über seine Einzelheit hinaus. Die Ehe, in
der jedes das totale Bewusstsein hat oder “die Totalität das Bewußtseyn eines jeden ist”,
ist daher eher ein heiliges Band, das das Endliche anhand seiner Bewusstheit über seine
Einzelheit hinaus verwirklicht (J I.302).
Während die Liebe in der ersten Geistesphilosophie von der menschlichen Begierde
ausgehend die bewusste Einheit beinhaltet, wird sie in der zweiten Geistesphilosophie
als Einheit durch den Akt des Wissens zwischen den extremen Charakteren des
entzweiten Willens erklärt. Sie ist damit dem Kontext der Begierde entzogen und mehr
72
Die Zielscheibe seiner Kritik ist vor allem das damals getrennt veröffentlichte Werk Kants, die
Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre (1797), der erste Teil der Metaphysik der Sitten. Dieses
Werk studierte Hegel bereits in der Frankfurter Zeit mit strengem Blick und übte in mehreren Jenaer
Schriften Kritik daran, insbesondere bezüglich der Ehe, so im System der Sittlichkeit. J I., Anhang, S. 384.
HH, S. 18, 146, 152. SE, S. 308-309. Kant definiert die Ehe als die ‘natürliche Geschlechtsgemeinschaft’
‘nach dem Gesetz’, die aus dem Vertrag und der realen Beiwohnung als Leistung des Vertrags besteht.
Der Zweck desselben ist die rechtliche Legitimation des Genusses der Geschlechtsorgane, in der aber das
Kindererzeugen nicht verpflichtend ist, sondern dies ist nur der ‘Zweck der Natur’, der durch den
Ehevertrag unerklärbar ist. Daher haben die Eheleute gegeneinander und gegenseitig mit ihren einmal
erzeugten Kindern nur rechtliche Pflichten und, demgemäß in der Tugendlehre, nur moralische Rechte
und Pflichten. Ihr Recht aber gehört sogar dem ‘zugleich auf dingliche Art’ persönlichen Recht, aufgrund
des Vertrags oder in der Erziehung die Person als die Sache zu handhaben. Hierin ist kein
subjektimmmanenter Anlass zur Ehe und Kindererzeugung, sondern es werden lediglich die äußeren
Elemente des Vertrags um des Zweckes jedes einzelnen willen erklärt. Die Äußerlichkeit des Vertrags
kommt im rechtlichen Zustand des Staates aus dem ursprünglichen Kontrakt zum Ausdruck: ‘Der
Ursprung der obersten Gewalt ist für das Volk’ ‘in praktischer Absicht unerforschlich: d. i. der Untertan
soll nicht über diesen Ursprung’ ‘werktätig vernünfteln’, sondern er hat nur die Pflicht des Gehorsams.
Solche Forschung bleibt endlich noch Monopol des Lehrers der Vernunft, wie schon in der vorigen Kritik
Hegels gesehen. MSr, AB106-116, A168-174 (B198-204). Dagegen führt Hegel die Liebe als das
bewusstseinsimmanente Moment vor und zu der Verehelichung ein, überwindet dadurch den
kontraktualistischen Gedanken der Ehe. Hierbei ist der Einfluss Fichtes in der Grundlage des Naturrechts
(1796) nicht zu übersehen. Er betrachtet die Liebe, unter deren Gestalt der Geschlechtstrieb des Weibes
erscheint, als den innigsten ‘Vereinigungspunct der Natur, und der Vernunft’, und lokalisiert sie
zusammen mit der entsprechenden ‘Grossmuth’ des Mannes innerhalb der Ehe, die ‘kein erfundener
Gebrauch, und keine willkürliche Einrichtung’, sondern ‘ein durch Natur, und Vernunft in ihrer
Vereinigung nothwendig, und vollkommen bestimmtes Verhältnis’, also sich selbst ‘ihr eigener Zweck’ ist.
Daher gründet sich das Eherecht ‘gar nicht auf einen besonderen willkürlichen Vertrag’, wenn auch auf
den anderen, fundamentalen ‘Bürgervertrag’ mit dem Staat, dessen Recht ursprünglich als Zwangsrecht
fungiert. Fichte: Grundlage des Naturrechts, S. 310-318. Dieser Vertrag der Bürger mit dem Staat ist für
Hegel allerdings ebenfalls nicht realistisch. Bei ihm ist die Ehe die Ursache des Ehevertrags, umgekehrt
wie bei Kant, und der Ursprung des Rechts ist kein erdichteter Sozialvertrag wie bei Fichte, sondern, wie
zu sehen, schlechthin das gegenseitige Anerkanntsein der Personen in der Beziehung, das äußerlich zu
realisieren und realisiert ist.
185
mit dem geistigen Inhalt durchsetzt. Daher fällt hier das Wissen jedes Charakters
voneinander ins Gewicht. Aber wie oben analysiert, ist der Charakter im Extrem der
Einzelheit nicht von Beginn an zum Wissen gelangt, sondern bleibt zuerst als die
Spannung in der Tätigkeit des Gegensatzes, als das nichtwissende Treiben zum Wissen
am Tag der Arbeit. Er bringt durch seine einzelne Tätigkeit im Grunde genommen das
Allgemeine hervor, das das Werkzeug und viele Produkte ermöglicht, und gelangt
dadurch auch zum Wissen, dass sein Einzelnes ein Allgemeines ist. Dagegen ist der
kontemplative Charakter im Extrem der Allgemeinheit des Willens bereits “das
Wissende” von der Aufhebung des Einzelnen in der Tätigkeit, wodurch das Allgemeine
hervorgebracht wird. Jener männliche Charakter ist zwar zuerst mehr einzeln und
unwissend, aber tätig und aktiv. Dieser weibliche ist zwar mehr allgemein und wissend,
aber zuerst untätig und passiv. Diese Passivität aber bedeutet gar keine völlige
Untätigkeit im negativen Sinne. Sie bedeutet einerseits, in der unmittelbaren Beziehung
beider das Objekt des Triebes des Mannes zu werden. Sie ist anderseits aber als das zu
erreichende Wissen der Zweck des Triebes und der Tätigkeit. Der feminine Charakter
bleibt ruhig, aber zugleich das Andere zur Bewegung zu sich veranlassend. Seine
Passivität ist Passivität als der Reiz zur Tätigkeit und sein Wissen causa finalis
derselben. Der maskuline Charakter ist dagegen nur als gereizt, also als im Grunde
passiv tätig. Seine Tätigkeit ist insofern causa efficiens des Wissens, als sie zum Wissen
gelangen wird.
Damit beide Extreme des Willens vereint werden, muss zunächst “das Wissen” des
weiblichen Charakters ins “Erkennen” übergehen, weil dieser zu Beginn als Wissen
bleibt (J III.208). Hegel wendet hier die Beziehung der beiden Charaktere auf die
Struktur ihres Wissens an und unterscheidet dies Wissen vom Erkennen, zu dem es sich
in ihrer Beziehung entwickelt. Die Form des Wissens überhaupt ist bekanntlich die
Verbindung des einzelnen Gegenstandes und seines allgemeinen Attributs durch die
Kopula. Also z. B. „diese Rose ist rot“. Das Einzelne ist das Allgemeine. Aber auf dem
Standpunkt des Subjekts des Satzes ist diese Rose nicht im Wesentlichen so rot, in dem
Maße, wie der allgemeine Begriff des Prädikats impliziert. Sie besteht lediglich in der
Bewegung, ihr Wesen als das Rot zu realisieren. In diesem Sinne ist das Einzelne
allgemein. Dagegen, auf dem Standpunkt des Prädikats, drückt das Rot nicht alle
Wesentlichkeiten aus, die diese Rose als mannigfaltige Attribute hat. Es besteht in der
Beziehung auf ein Attribut dieser Rose, in der es als ihr Rotes realisiert ist. In diesem
Sinne ist das Allgemeine einzeln. Der Grund dafür, dass der Satz zustande kommt, ist
daher, dass beide das Einzelne und Allgemeine des Rots selbst sind. Also, das Einzelne
ist das Allgemeine in der Beziehung, die das Allgemeine als die Einheit beider selbst,
186
als das Rot selbst und im Satz als die Kopula ausdrückt. Insofern die Beziehung der
Extreme des Willens die Beziehung des Wissens ist, können an beide Stellen des Satzes
der einzelne Charakter des Mannes und der allgemeine der Frau treten. Weil sich der
einzelne Charakter, obzwar in seiner Tätigkeit gegen andere einzelne, auf sich, also auf
das Allgemeine in sich bezieht und dies durch die Tätigkeit realisiert, ist er allgemein.
Der allgemeine weiß sich als die Realisierung des Allgemeinen und ist als dieses Selbst
einzeln. Das Wissen eines jeden besteht eben darum, weil jeder an sich das ist, was das
Andere ist. Und wenn das Wissen die Verbindung des Einzelnen und Allgemeinen ist,
ist das Wissen des Grundes dieser Verbindung als Selbst gerade das Erkennen. Das
Selbst eines jeden ist hier das Allgemeine eben als die Einheit des Einzelnen und
Allgemeinen, die das Wissen eines jeden ermöglicht. Das Wissen von diesem Selbst als
Grund jedes Wissens oder vom Selbst, das in seinem Anderen zum Wissen wird, das
Wissen seines Wissens oder mit einem Wort dies doppelte Wissen ist das Erkennen. Das
Erkennen ist daher Hegel zufolge “eben das gegenständliche in seiner
Gegenständlichkeit als Selbst wissen”. Selbst in der oberen Struktur des einfachen
Wissens ist das Moment dieses Erkennens enthalten. Der Satz „diese Rose ist
rot“ kommt zustande nicht nur darum, weil das Allgemeine als die Einheit der beiden
Glieder besteht, sondern auch, weil es zu mir gehört und in mir geistig anwesend ist.
Ein Wissen zu haben ist in der Hinsicht der Reflexion qualitativ verschieden vom
Wissen meines Selbst in meinem Wissen. In jenem Falle weiß ich bloß, dass diese Rose
rot ist. Hingegen im letzteren Falle weiß ich das gegenständliche Wissen als meines, als
mein Selbst, das es hat. Während in jenem diese Rose ein Gegenstand bleibt, der die
Eigenschaft ‚rot’ hat, ist sie in diesem meine Rose, in der das von mir gewusste Rot als
objektiv realisiert erkannt wird. Das gewusste Wesen eines Gegenstandes ist identisch
mit dem das Wesen wissenden Ich. Gerade aus diesem Grunde beziehe ich mich als das
wahrhaft Allgemeine auf Einzelnes in der Welt, obwohl ich auch wie diese Rose oder
jener Baum einzeln bin. Das Erkennen ist also in meinem Wissen die Identität des
Gekannten mit mir zu er-kennen.
Diese Reflexion von uns auf das Wissen muss auch für beide Charaktere werden. Das
Allgemeine des weiblichen Charakters ist nach unserer Reflexion bereits das Einzelne
als “das wissende Selbst”. Gleichfalls ist das Einzelne des männlichen das Allgemeine
als “das auf sich beziehen”, insofern seine Beziehung auf einzelne Gegenstände in der
Tätigkeit nicht indifferent, sondern die Beziehung auf diejenigen einzelnen ist, die
seiner Einzelheit gleich werden sollen. Das Wissen beider voneinander entsteht dadurch,
dass das Wissen des ersteren Charakters das “Anschauen seiner selbst” als des aus dem
Zusammenhang der Arbeit zurückgekehrten Triebes ist. Insofern dieser Trieb
187
angeschaut wird, ist er als die Mitte zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen
schon “Wissen geworden, dessen was er ist”. Die Entzweiung des Willens ist die
Entzweiung in den Charakter des zum Wissen gelangten Triebes und den des noch
bleibenden Triebes zur Tätigkeit. Jener angeschaute Trieb ist verschieden von diesem
einfachen Trieb, in dem Sinne, dass im Wissen jenes Triebes auch das Selbst als Trieb
durch das Anschauen gewusst wird. Dagegen ist der Trieb des männlichen Charakters
noch nach außen gerichtet. Daher wird nun das Wissen des weiblichen Charakters “am
Entzweyen” des Willens “die Mitte” zwischen beiden Charakteren. Während in der
Beziehung eines Charakters, oder allgemein des Willens auf äußere Gegenstände, der
Trieb des männlichen Charakters das Hauptprinzip ist, ist es in der Beziehung zwischen
den Charakteren das Wissen des weiblichen Charakters. Hieraus wird auch bemerklich,
dass die Aktivität und die Passivität jedes Charakters in der externen Tätigkeit hier, in
der internen Beziehung zwischen den Charakteren, umgekehrt sind. In dieser Beziehung
weiß der feminine Charakter sich gegenständlich, d. i. im Anderen. Weil sein Wissen
das Wissen vom Selbst als dem zurückgekehrten Trieb ist, weiß er “sein Wesen” “im
Andern” als dem noch tätigen Trieb, in dem als in der Spannung sein Wesen als
selbstständiges Selbst ist. Der feminine Charakter ist das Allgemeine, das im Anderen
sich als das selbständige Einzelne weiß. Demgegenüber weiß der maskuline Charakter,
dass das, was er ist, als das Wissen im Anderen gewusst wird. D. h. er weiß endlich sein
selbständiges Wesen in der Tätigkeit, das im Anderen allgemein prädiziert und gewusst
wird. Er ist das Einzelne, das im Anderen, im Wissen des Anderen, sich als das
selbstständige Allgemeine weiß. So wird zwischen beiden Extremen des Willens das
Wissen des ersteren Charakters die Mitte, und damit wird das Gespanntsein des
letzteren die “Selbständigkeit beyder” (J III.209).
Jeder ist nun die selbständige Einheit des Allgemeinen und Einzelnen, obwohl diese
dem Grade nach verschieden ist. Jeder hat dem Extrem des Willens entzogen die
Allgemeinheit des Wissens und zugleich die Einzelheit des Triebes. Er ist die “erste
Einheit der Intelligenz und des Willens” als die “ganze Totalität”. Er ist das
“selbstständige Ich”, das sich allgemein weiß und einzeln handelt. Nun erst ist der
Charakter nicht im Extrem, sondern im realen Sinne männlich oder weiblich. Die Frau
ist das Wissende, “Trieb zu erwecken, und ihn sich an ihm befriedigen zu lassen”, und
der Mann der Hinaustreibende, um gewusst und befriedigt zu werden (J III.208). Jene
ist das Getriebene durch den Trieb, den sie weiß, und dieser der Gewusste durch das
Wissende, das er begehrt und treibt. Jene ist im Trieb passiv, im Wissen aktiv und dieser
umgekehrt. Jene ist des Weiteren das aktiv Wissende, durch den aktiven Trieb des
Anderen sich befriedigen zu lassen, und dieser das aktive Treibende, durch das aktive
188
Wissen des Anderen sich zu befriedigen. Beide sind “in der Form des Wissens
füreinander” und zugleich in der Form des Triebes gegeneinander gespannt,
“selbstständig” entgegengesetzt. Diese Entgegensetzung der Selbstständigkeiten aber
schlägt vermittels des Wissens voneinander in die Gleichheit um. Jeder ist dem Anderen
gleich darin, dass er ihm als selbstständiger entgegengesetzt ist. “Sein sich
unterscheiden vom Andern” wegen seiner Selbstständigkeit ist “daher sein
Sichgleichsetzen mit ihm” (J III.209). Jeder weiß diese Gleichheit im Anderen. Dies
Wissen ist schon doppelt und ins Erkennen übergegangen. Das Wissen ist hier nicht
bezüglich des äußeren Gegenstandes, sondern “im Innern selbst” beider gegenseitig
entfaltet. In diesem Wissen wirkt freilich das Element des Triebs zwischen beiden. Aber
der Trieb zwischen Mann und Frau ist nicht nur instinktiv stimuliert, sondern hat ferner
den Inhalt des Wissens von einander. Eben deswegen ist der Reiz als der Trieb der Frau
nicht nur passiv, sondern veranlasst darüber hinaus geistig die Erregung des Mannes, ist
daher selbst erregend. Der “Reitz ist selbst eine Erregung”. Auch umgekehrt ist die
Erregung des Mannes als das wissenstätige Wesen der Frau geistig reizend. Nur dies
Selbsterkennen im Anderen kann die Liebe sein. Die Liebe aber hat des Weiteren den
Verzicht eines jeden auf seine Selbstständigkeit zur Bedingung. Insofern jeder sich
selbst im Anderen weiß, wird die Entgegensetzung beider aus ihrer Selbstständigkeit her
aufgehoben. Dadurch nähern sie sich einander, was bereits das Aufgeben der
Selbstständigkeit bedeutet. In dieser Annäherung weiß jeder auch, “daß das Andre sich
ebenso in seinem Andern weiß”. Dafür hebt jeder auch sich als für sich seiend auf und
wird “sein Seyn für anderes”, in dem er auch sich weiß. Die Reziprozität dieses
Erkennens ist die letzte Bedingung der Liebe. Wegen des Selbsterkennens im Anderen
und um des ebenfalls erkennenden Anderen willen seine Selbstständigkeit aufzuheben
und sein Wesen im Anderen zu haben, ist eben die Liebe.
In Vergleich zur ersten Geistesphilosophie lässt sich die Liebe hier in drei Hinsichten
charakterisieren. Zunächst ist sie das Resultat des Verzichts auf die Selbstständigkeit
und der Selbstaufhebung, während sie dort als das unmittelbare Einssein beider auftritt.
Dies Moment der Selbstaufhebung kommt in der ersten Geistesphilosophie erst im Kind
zum Vorschein, das die objektive Realisierung ihres Einsseins ist. Das Kind ist nach der
zweiten Geistesphilosophie auch das objektive Geschöpf der Selbstaufhebung beider.
Aber dadurch, dass die zweite Geistesphilosophie von Anfang an in der Liebe als einer
Art Vereinigung das Moment der Selbstaufhebung aufstellt, gewinnt sie mehr an
Konsequenz. Denn die Vereinigung bzw. die Einheit schließt das Moment der
Aufhebung beider Glieder in sich ein. Naturphilosophisch werden beide durch das
jeweils Andere aufgehoben und vereint. Dagegen ist die Aufhebung in der
189
Geistesphilosophie immer die Selbstaufhebung, sei es natürlich, sei es unumgänglich
entstanden. Die Liebe enthält die spontane Selbstaufhebung, die aus der Natur des
Menschen entspringt. Demgegenüber wird für die Vereinigung als die gesellschaftliche
Beziehung eine bewusste Selbstaufhebung durchgeführt, die durch den Zustand des
Kampfes zwangsläufig erfordert wird, wie bald gezeigt werden wird. Außerdem
verdeutlicht die zweite Geistesphilosophie die Liebe eben als “das Element der
Sittlichkeit”. Die Liebe zeigt in ihrer natürlichen Beziehung potenziell das grundlegende
Element der gesellschaftlich-staatlichen Beziehung. Ohne diese natürliche Neigung der
Vereinigung und der Selbstaufhebung würde der Kampf um Anerkennung nur als
Kampf bleiben. Die Auflösung des Kampfes gründet sich auf das Selbstbewusstsein von
dieser Natur des Menschen. Aber dies besagt nur die Fähigkeit zur Gestaltung der
sittlichen Welt, nicht das Realprinzip derselben. Dass die Liebe selbst als das subjektive
Prinzip nicht einfach in die Gesellschaft erweitert werden kann, belegte schon der Fall
Jesu in der Jugendschrift Hegels. Sie ist noch nicht die Sittlichkeit selbst, sondern “nur
die Ahndung derselben”. Durch die Liebe erklärt ist nur ein “natürliches Individuum,
sein ungebildetes natürliches Selbst”, das durch das Andere natürlicherweise
“anerkannt” ist (J III.210). Hier ist daher nicht die Tätigkeit erläutert, sondern das
Werden des sittlichen Subjekts.73 Drittens liegt die merkwürdige Differenz der zweiten
Geistesphilosophie darin, dass auf dieser Stufe keine Rede von der Ehe ist. Stattdessen
schließt daran die Darstellung des Familienbesitzes an, die in der ersten
Geistesphilosophie fehlt. Diese Differenz ergibt sich höchstwahrscheinlich aus der
Erwägung, dass die Ehe selbst nicht das unmittelbare Ergebnis der Liebe ist, sondern
vielmehr die Eigenschaft der noch nicht erreichten gesellschaftlichen Beziehung hat.74
Die Einheit durch die Liebe wird begrifflich zwar als die gemeinsame Basis des Lebens,
d. i. als der Familienbesitz und als das vereinte Individuum, d. i. als das Kind,
objektiviert, aber nicht notwendig als die Ehe, die die institutionelle Vermählung
voraussetzt, also die interpersönliche und zugleich gesellschaftliche Handlung beider ist.
73
Dies ist ein inhaltlicher Beleg für Hegels Konzeption der gesamten Jenaer Geistesphilosophie als
Philosophie der Sittlichkeit. Siehe S. 85-88. Unmittelbaren und großen Einfluss auf diese Konzeption übt
Kimmerle zufolge die Skizze des Naturrechtsaufsatzes aus. Kimmerle, Heinz: Die Staatsverfassung als
„Konstituierung der absoluten sittlichen Identität“ in der Jenaer Konzeption des „Naturrechts“ HR, S.
133-134.
74
Eine Differenz beider Geistesphilosophien liegt auch in der sorgfältigeren Distanzierung Hegels von
Fichte, der in der Grundlage des Naturrechts eben die Liebe und folgend den Beischlaf als den wirklichen
Vollzug der Ehe ansieht. Ihm zufolge ist die Trauung vor dem geistlichen Gericht nur die sekundäre
Handlung zum Gewinn der moralischen Gerechtigkeit von der Gesellschaft und der juridischen Gültigkeit
vom Staat her, dessen von einer absolut freien Handlung der Person, wie der Ehe, absolut getrenntes
Recht erst durch den Erweis der ehelichen Erklärung berechtigt wird, als Zwangsrecht das Recht der
Eheleute zu schützen. Fichte: Grundlage des Naturrechts, S. 322-325, 332-333.
190
Sie beinhaltet zwar begrifflich die Familie, aber noch nicht die Ehe, die später als
institutionell in der Gesellschaft zu betrachten ist. Die Darstellung des Familienbesitzes
in der zweiten Geistesphilosophie lässt sich so lesen, dass sie die erste
Geistesphilosophie völlig ergänzt.
3.3. Familienbesitz und Kind
Die Ehe ist de facto auch in der ersten Geistesphilosophie eher im Sinne der
Lebensgemeinschaft als der geschlossenen Ehe erwähnt. Sie ist selbst nur die Einheit
des Bewusstseins beider als die objektiv realisierte Beziehung, nicht die objektive
Entelechie der Einheit selbst als das Seiende, in dem ihr Einssein verkörpert ist. Sie ist
lediglich die objektiv gesetzte Beziehung ihres Einsseins, die nichts anderes als ihre
Lebensgemeinschaft ausdrückt. Die Einheit beider ist noch auf das Bewusstsein beider
voneinander angewiesen, und die Rolle der Mitte spielt hier notwendig noch das
Bewusstsein, das aber in der objektiven Beziehung nun “ihre existirende Einheit” ist.
Weil diese Einheit nicht nach der äußeren Notwendigkeit, sondern durch das
Bewusstsein von der Identität der freien Individuen entsteht, ist sie die Mitte, in der sie
eins sind, aber zugleich, an der sie sich abscheiden, d. i. die “Mitte, worin sie sich für
Eins als aufgehobene ihres Gegensatzes erkennen” und worin “sie sich ebendarum
wieder entgegengesetzt sind”. Weil sie “nur als Bewußtseyn Eins” sind, ist ihre Einheit
ebenso “nothwendig ein Bewußtseyn”, das als die Mitte für sich seiend ist (J I.303).
Damit ihre Einheit die Einheit wird, in der sogar ihre Entgegensetzung als der
existierenden Individuen überwunden ist, muss ihr selbst das existierende Bewusstsein
ebenso als die gestaltete Totalität werden. Die Totalität, in der das eine Bewusstsein
gestaltet und verkörpert wird, ist gerade das Kind.
Die zweite Geistesphilosophie behandelt als Gegenstand der befriedigten Liebe vor dem
Kind den Familienbesitz.75 Die Liebe ist das Sein beider für anderes, in dem ihre
Selbstständigkeit aufgehoben ist. Die Befriedigung der Liebe ist die Vereinigung des
Erregenden und des Reizenden vermittels des Wissens voneinander. Die befriedigte
Liebe ist als das Vereinte unterschieden von beiden Charakteren, also “das dritte, das
Erzeugte”. Dies Erzeugte ist gleichfalls nicht nur vom Erkennen beider abhängig,
sondern muss auch für sie bestehen. Es lässt sich zuerst als die “unmittelbare Dingheit”
vergegenständlichen. Denn wenn die Liebe das Sein für anderes im gegenseitigen
75
Wenn Hegels Lehre vom Charakter die Ethik im Aristotelischen Sinne ist, fängt hier nun die Ökonomie
als die Aristotelische Wissenschaft des Haushaltes, d. i. οικος, an, die das gemeinsame Leben von Mann,
Frau, Familiengut und Kind behandelt. Aristoteles: Oeconomica, 1343a-1345b. HH, S. 162.
191
Erkennen ist, wird die befriedigte Liebe “das Andersseyn” als die Realisierung des
Erkennens sein, in dem jeder mit dem Anderen als dem Anderen seiner selbst vereint ist.
Dies Anderssein kann in der dinglichen Gestalt alles Äußere sein, was ihr gemeinsames
Leben bedingt, wie Haus, Grundstück, Werkzeuge u. a. Der Inbegriff dieses Äußeren ist
eben der “Familienbesitz”. Aber dies Erzeugte ist nicht das realisierte Erkennen selbst
beider, sondern lediglich der entäußerte Gegenstand desselben. Das Ding kann gar nicht
das existierende Erkennen selbst sein. Der Familienbesitz ist nur das Medium des
Erkennens, das “Mittel der Liebe”, nicht das Vorhandensein derselben. Das, was im
Familienbesitz realisiert ist, ist gleichsam das Werkzeug der Liebe, das aber nicht aus
eigenem Antrieb tätig ist. Daher erkennen beide wiederum ihre befriedigte Liebe nicht
im Werkzeug, sondern nur “durch die gegenseitige Dienstleistung” vermittels des
Werkzeugs. Diese gegenseitige Dienstleistung ist nichts anderes als die Führung des
gemeinsamen Lebens. Aber wie das Werkzeug die allgemeine Beziehung der Arbeit ist,
so ist der Familienbesitz andererseits auch “ein Allgemeines” als “die dauernde
bleibende Möglichkeit” ihrer gemeinsamen Existenz, obzwar er als einzelnes Ding
existiert (J III.211). Daher, wie die konkrete Arbeit im unmittelbaren Gebrauch des
Werkzeugs liegt, besteht die Wirklichkeit der Liebe im Betreiben des Familienbesitzes,
das “durch die gemeinschafftliche Arbeit” füreinander durchgeführt wird. Der
Familienbesitz ist also zugleich das Mittel ihrer Liebe und das Werkzeug ihrer
gemeinschaftlichen Arbeit. Und das Interesse an diesem gemeinsamen Erwerb um der
Liebe willen ist Hegel zufolge erst die menschliche oder “vernünftige, geheiligte”
Begierde, die sich im eigentlichen Sinne dem Menschen zuschreiben lässt. Die Begierde
ist nur als das Interesse an der allgemeinen Tätigkeit aus dem Erkennen der Gleichheit
mit dem Anderen menschlich. Natürlicher Beleg dafür ist eben die gemeinschaftliche
Tätigkeit wegen der Liebe. Des Weiteren wird das Erzeugnis ihrer Arbeit nicht
unverzüglich verbraucht, sondern im Familienbesitz als der dauerhaft allgemeinen
Möglichkeit ihres Lebens aufbewahrt. Der Familienbesitz, der in dieser Weise erhalten
und akkumuliert wird, ist das “Familiengut”, das, insofern die Familie durch
Generationen dauert, “die allgemeine Möglichkeit” und zugleich “auch die allgemeine
Wirklichkeit” ihres Genusses ist. Es ist vor allem “ein unmittelbar geistiger Besitz”, in
dem die Familie als die Einheit vorhanden ist.
Aber das Familiengut als das Mittel der Liebe enthält ferner das Moment der höheren
Tätigkeit als das Werkzeug der Arbeit. Hierin liegt die Vortrefflichkeit und zugleich
Beschränktheit des Familiengutes. Während das Werkzeug nur das Arbeitende und das
zu Bearbeitende vermittelt, schließt das Familiengut auch “selbstbewußte Thätigkeiten”
von beiden zusammen. In diesem Punkt ist es dem Werkzeug der Arbeit überlegen.
192
Dennoch hängt die Einheit der Tätigkeiten nicht vom Familiengut selbst, sondern vom
Erkennen beider Charaktere ab. Das Familiengut ist als das Ding nicht mehr als das
Werkzeug. Denn es ist gar keine erkennende Tätigkeit selbst, wie das Werkzeug nicht
selber arbeitend ist. Es ist noch nicht die vergegenständlichte Liebe selbst, weil deren
Erkennen noch in beiden Charakteren, in ihrem Selbstbewusstsein, liegt. Es ist noch
nicht das Erzeugte, das von ihnen unterschieden und selbstständig ist. Es ist lediglich
die Einheit, die sich als die Liebe nicht erkennen kann. Deshalb ist es für die
Befriedigung der Liebe noch unbefriedigend. Daher, insofern die Liebe im
gegenseitigen Erkennen besteht, muss die zu verwirklichende Liebe auch ein
existierendes Erkennen selbst sein, das beiden gegenüber für sich seiend ist, d. i. ein
sich “erkennendes Erkennen” (J III.212). Es ist gerade das Kind, in dem die Liebe für
sich wird und selbstbewusst besteht. Das Kind ist die befriedigte Liebe, die selbst als
das Erkennen existiert, und die Einheit als das dritte, die selbst für sich wird. Jeder
Charakter war bekanntermaßen vor der Liebe bereits die Einheit der Intelligenz und des
Willens als die Totalität des Individuums. Das Kind zeigt nun das für sich Werden dieser
Totalität als das Bewusstsein durch die Liebe beider. Dies ist nicht einmal different vom
für sich Werden des totalen Bewusstseins in der ersten Geistesphilosophie.
Das Kind ist auch nach der ersten Geistesphilosophie eine gestaltete Totalität als
Individuum, in dem die Einheit der beiden selbstständigen Bewusstsein äußerlich
realisiert ist. Und insofern die Einheit beider ein Bewusstsein ist, ist das Kind das
Werden dieses einen Bewusstseins zum totalen Bewusstsein in seiner Individualität. Es
hat als die Einheit des Bewusstseins die Zweiseitigkeit des Erkennens. Zunächst ist es
das reale Individuum, in dem beide sich “als Eins” “in Einem Bewußtseyn” erkennen.
Dies Erkennen beider ist zum einen das Erkennen ihres Aufgehobenwerdens als der
selbstständigen Einzelnen, zum anderen der Gattung. Im Kind sind ihre
Selbstständigkeiten in sein Fürsichsein aufgehoben. In dieser Einheit als einem
Bewusstsein erkennen sie daher sich “als aufgehobene” oder als aufzuhebende in
seinem für sich Werden. Die Einheit ist zudem anders als ihre Einzelheiten geworden, d.
i. eine “gewordne Einheit”, in der die Wesenheiten von ihren Einzelheiten vereint sind.
Sie ist nichts anderes als die Gattung, die auch von ihnen im Kind erkannt wird (J I.303).
Dies besagt aber nicht, dass das Kind unmittelbar existierende Gattung ist; es ist auch
ein einzelnes Individuum. Es heißt, das Kind ist dennoch ein solches Geschöpf, in dem
beide Einzelne das Werden und Beleben der Gattung durch ihre Aufhebung erkennen
und entwickeln. Insofern ist es ihr Geschöpf, in dem sie sich als die Gattung erkennen
und gattungsgemäß handeln. Es ist also für sie die existierende Gattung, die als ihr
Selbstbewusstsein existiert und sich in einem Individuum realisiert. Dies Erkennen der
193
Gattung zeigt gut das Spezifikum des Menschen als Gattungswesens. Denn eben aus
dem Erkennen kann der Mensch seine Aufhebung als des Einzelnen willig
beabsichtigen und erdulden. Freilich ist auch das Tier im Erkennen seines Kindes die
“sich gewordne Gattung”. Aber weil sein Erkennen nicht bewusst, sondern nur abhängig
von der Dauer der einzelnen Empfindung ist und sein Leben vom Prinzip der
Individualisierung beherrscht wird, entbehrt sein Erkennen des Moments des Selbst,
also kann es sein Vernichtetwerden in der Gattung nicht erleiden, sondern setzt sich ihr
wiederum gegenüber. Insofern ist die Gattung ihm unmittelbar geworden und gegeben.
Es unterscheidet sich endlich von der “Gattung im Kinde selbst”, das ihm also
wiederum “ein aüsseres” Individuum nur als das Andere wird. Dem Einzelnen ist die
unmittelbar existierende Gattung ohne Moment seines Selbst nichts als ein anderes
einzelnes. Wegen der Rückkehr dieser Beziehung der Andersheit wird die Allgemeinheit
der Gattung ins Kind bloß transponiert und veräußerlicht; deren Entfaltung folgt daher
nur dem äußeren Gesetz der Evolution. Diese einfache Veräußerlichung der
Allgemeinheit ist “die höchste Form der Vernünftigkeit, deren das Thier fähig ist” (J
I.243). Dagegen ist dem Menschen das Kind die aus ihm gewordene Gattung. Die
Gattung wird aus den Eltern als ihre Gattung, und zwar durch ihre Aufhebung. Weil sie
ihre Gattung ist, ist diese Aufhebung ihre Selbstaufhebung. Das Selbsterkennen als
Gattung ist das Erkennen des aufgehobenen Selbst. Des Weiteren gehört aber dieses
Erkennen der Einheit beider erst nur ihnen. Insofern das Kind als die Einheit des
Bewusstseins beider “selbst ein Bewußtseyn” ist, muss die Einheit auch als Bewusstsein
des Kindes bestehen. Das vereinte Bewusstsein der Eltern muss zum Bewusstsein des
Kindes für sich werden. Die Realisierung des Bewusstseins kann nur als das
existierende Bewusstsein zur Vollendung kommen. Das eine Bewusstsein als die Einheit
muss als das des Kindes existieren, dafür muss das Bewusstsein des Kindes so gebildet
werden. Diese Bildung ist gerade die Erziehung. In der Erziehung benehmen sich die
Eltern gemäß dem Erkennen ihrer Gattung allgemein, und das Kind wird demnach ein
selbstständiges Individuum, das sich frei mit der Allgemeinheit des Bewusstseins zur
Totalität des Seins verhält. Sie ist eben der Ort des für sich Werdens des totalen
Bewusstseins selbst.
Die Erziehung ist die Bildung des totalen Bewusstseins in der selbstständigen
Individualität des Kindes durch die Selbstaufhebung der Eltern. Das, was in der
Erziehung dem Kind gegeben und bei den Eltern aufgehoben wird, ist zum einen das
gewordene Bewusstsein, zum anderen die gewordene Individualität der letzteren. Die
Erziehung ist aber auch die gegenseitige Bildung, insofern das Kind sich das Gegebene
aneignen muss. Auf der einen Seite setzen die Eltern ihr gewordenes Bewusstsein in ihr
194
Kind als die noch werdende Gestalt. Durch dieses Setzen wird das Kind als die erzeugte
Gestalt immer mehr zum Bewusstsein belebt. Dieses werdende Bewusstsein des Kindes
ist insofern reflektierend und allgemein, als es sich durch die Aufhebung des eigenen
Bewusstseins der Eltern als der absolut Einzelnen ergibt. Die Eltern lassen durch ihr
vereintes Bewusstsein das Kind das allgemeine Bewusstsein reflektieren und realisieren
dadurch in ihm “die Leerheit der absoluten Einzelnheit”. Andererseits aber muss ihr
gewordenes Bewusstsein vom Kind selbst aufgenommen und in sein eigenes
Bewusstsein vereinigt werden. Nur hierdurch wird sein Bewusstsein für sich, und nur
mit diesem Bewusstsein wird das Kind das selbstständige Individuum. Das, was in die
Lebendigkeit des Organischen nicht absorbiert ist, ist unorganisch. Das gewordene
Bewusstsein der Eltern, das als gegeben und gesetzt noch nicht ins lebendige
Bewusstsein des Kindes geeint ist, ist für es gleichsam die “unorganische Natur” (J
I.303). Diese unorganische Natur bedeutet zum einen allerdings nicht einfach
Naturdinge, sondern die Totalität des Bewusstseins, das durch die Eltern erreicht ist und
sich frei zur ganzen Welt verhält. Sie ist zum anderen fürs Kind ein anderes, gegebenes
Bewusstsein, das als unorganisches anzueignen und zu verzehren ist. Obwohl dieser
Ausdruck Hegels von der unorganischen Natur sich an seine naturphilosophische
Terminologie anzulehnen scheint, ist er jedoch auch geistesphilosophisch von großem
Belang. Bisher behandelte die Bewusstseinslehre das Bewusstsein in seinen
Entwicklungsphasen analytisch. Aber es gibt in Wirklichkeit keine reine Natur, auf die
sich das Bewusstsein bloß bald theoretisch, bald praktisch bezieht. Insofern der Mensch
immer das Kind seiner Eltern ist, besteht in ihm lediglich die organische oder
unorganische Natur, die schon durch das gewordene Bewusstsein vermittelt ist. Eben
aus diesem Grund ist der Mensch immer Kind seiner Zeit.76 Sein Bewusstsein hat dem
Wesen nach die Geschichtlichkeit. Und auch deswegen ist die Jenaer Bewusstseinslehre
dem System nach die logische Entfaltung des bereits erreichten totalen Bewusstseins als
sittlichen Subjekts durch die philosophische Reflexion. Die Erziehung ist der Prozess, in
dem das bereits gewordene Bewusstsein in der bereits gewordenen Individualität vom
Kind in sein selbstständiges Bewusstsein in seiner werdenden Gestalt einbezogen und
organisiert wird. Hier ist das erstere für das letztere die unorganische Natur zum
Verzehren. Aber diese Nahrungsaufnahme ist nicht bloß biologisch, sondern schon
bewusst, sogar bewusstseinsreziprok. Denn die unorganische Natur ist schon von den
Eltern im Gedächtnis behalten, benannt und bearbeitet, also schon “durch die Form des
Bewusstseins” durchgegangen (J I.305). Das Bewusstsein des Menschen, der zu Beginn
ohne Ausnahme Kind war, steht daher bereits in der Konfrontation mit der bewussten
76
Oder “ein Sohn seiner Zeit”. GPR, S. 26.
195
Welt, also mit dem Bewusstsein der Welt; deshalb ist es wesentlich gesellschaftlich.
Hierin ist aber auch das Moment des Vernichtens enthalten, wie verzehren vernichten
heißt. Hegel bringt dies schlechthin zum folgenden Ausdruck: Die Eltern “erzeugen
ihren Tod” als die unorganische Natur (J I.303). Die Erzeugung des Kindes ist die
Erzeugung des Todes der Eltern.
Diese Rede vom Tod besagt weder schlechterdings den Tod der Eltern wegen des
Kindes noch nur die einfache Metapher des Negationsmoments. Der Tod ist bei Hegel
die Form der Existenz, die immer besteht, wo der Übergang von der Individualität zur
Allgemeinheit notwendig ist. Diese Form ist in Anwendung auf das Ding die
Vernichtung, auf das Organische angewendet der Tod. Die Vernichtung bzw. der Tod
sind die Erscheinungen, die in der Welt realiter geschehen. Aber die Erscheinung ist
immer wegen ihres Wasseins da. Zu betrachten ist eben die erscheinende Wesenheit,77
daher ist auch der Tod in seiner Wesenheit zu fassen. Vom Tod wird das vom Prinzip der
Individualität dominierte Tier äußerlich heimgesucht, wenn die Allgemeinheit der
flüssigen Elemente seine Individualität überwältigt. Die äußere Notwendigkeit liegt an
seiner Individualität, die selbst Allgemeinheit nicht erreichen kann. Dagegen ist der Tod
des Menschen überhaupt kein natürlicher. Der Mensch, der als ein Individuum selbst
das Allgemeine erkennen und hervorbringen kann, stirbt im Wesentlichen aus sich selbst.
Dies spiegelt sich eben im Tod der Eltern wider. Ihr Tod bringt den menschlichen Tod
ans Licht, der bereits im Leben des von Natur aus bewussten Individuums prinzipiell
wirksam ist. Diese Erklärung lässt sich ferner auf die Untersuchung des Frankfurter
Hegel über die Liebe Jesu zurückführen. Die Liebe Jesu realisiert Hegel zufolge das
Maximum der Vereinigung mit dem Anderen als seinem ganzen Volk, dessen Leben
bereits in der Objektivität tot war. Durch das Vermögen der Liebe, selber als Objekt den
Tod zu erleiden, restituiert er das objektivierte Leben des Volks zu einem solchen, in
dem die freie Subjektivität lebendig ist, obgleich in der Idealität.78 Die reine Freiheit,
die von aller Objektivität emanzipiert ist, ist also “in ihrer Erscheinung der Tod”. Hierin
liegt daher auch die Beschränktheit der idealen Emanzipation Jesu. Aber andererseits
belegt sein Tod den Grenzwert des freien Vermögens des Subjekts. Im
Naturrechtsaufsatz kurz nach der Frankfurter Zeit heißt es: “durch die Fähigkeit des
77
Die Aufgabe der Philosophie, die sich Hegel stellte, heißt bereits in den Fragmenten über die
Verfassung Deutschlands das wesentliche “Verstehen dessen was ist, und damit die ruhigere Ansicht, so
wie ein in der wirklichen Berührung und in Worten gemässigtes Ertragen derselben zu befördern”. SE, S.
163. Auch im späteren Brief an Sinclair vom 15. Okt. 1810 geht es darum, für “ein regelmäßiges
Gebäude” der Philosophie in der “Tagesordnung” die “wissenschaftliche Form zu erfinden oder an ihrer
Ausbildung zu arbeiten”. Br. S. 332.
78
Siehe S. 71-72.
196
Todes erweist sich das Subject als frey und schlechthin über allen Zwang erhaben”79
(JKS 448). Die Ansicht der Jenaer Geistesphilosophien lautet nun, dass die
übermenschliche Liebe und freie Fähigkeit des Todes in der absoluten Trennung und
Entgegensetzung ihren Niederschlag auch im Leben des Menschen selbst finden. Und
zwar ist das Resultat der Liebe hier nicht gegenstandslos, sondern ein anderes freies
Individuum. Die Eltern verschaffen sich selbst die innere Notwendigkeit ihres Todes in
der Erziehung des Kindes, die nichts anderes als das Er-ziehen des vereinten
allgemeinen Bewusstseins aus ihren einzelnen ist. Ihr Tod ist also der wirkliche
Ausdruck der Göttlichkeit in der Handlung des Menschen. Der Mensch stirbt nicht in
einem gewissen Zeitpunkt. Sondern er ist immer sterbend, insofern er über seine
Einzelheit hinaus Allgemeines realisiert. Der Tod der Eltern ist also der “werdende Tod”
(J I.303) oder nach der zweiten Geistesphilosophie “das verschwindende Werden, der
sich aufhebende Ursprung”. Denn das, was zu Tode kommt, ist lediglich die bloß
unmittelbare Existenz der Individualität. Daraus wird zugleich aber auch ein solches
Individuum geboren, dessen Bewusstsein immer allgemeiner gebildet wird. Das Kind
als die “selbstbewußte Einheit” der Liebe ist daher nach der zweiten Geistesphilosophie
eben “zugleich Bewegung”, die “Einzelnheit” und “das unmittelbare Daseyn”
aufzuheben (J III.212).
Der Tod der Eltern als der unorganischen Natur ist gleichzeitig mit dem Werden des
gebildeten Bewusstseins des Kindes. Aber vor der Bildung ist das Bewusstsein des
Kindes zuerst nur “die bewußtlose Einheit”. Ihm als dieser Einheit sind die Eltern auch
nur “ein unbekanntes dunkles Ahnden seiner selbst”. In der Erziehung heben sie seine
Erstarrtheit in sich auf und geben ihr Bewusstsein als seine Materie an, durch deren
Verwendung es für sich sein Bewusstsein bildet. Die Bewusstlosigkeit seiner Einheit
wird aufgehoben, sein Bewusstsein wird “zu einem solchen, welches” für sich “ein
andres Bewußtseyn in sich setzt”. Es analysiert des Weiteren, gliedert und vereinigt das
gesetzte Bewusstsein in seine Einheit. Insofern ist es nun die bewusste Einheit als “das
Werden eines andern Bewußtseyns in ihm” (J I.304). Durch dies andere Bewusstsein
tritt die dunkle Ahnung des Kindes in die Welt ein, die “schon eine zubereitete” durch
jenes Bewusstsein im “Wissen der Eltern” ist. Für das Kind existiert die Welt nämlich
schon als die von Eltern gewusste in der “Form der Idealität”. In der Beziehung auf
79
Deswegen kann nur der Mensch “sich umbringen”. Wegen des Elements des Willens kann der Mensch
allein ‘alles fallen lassen, auch sein Leben: er kann einen Selbstmord begehen’. GPR, § 5, 47. Auch schon
im Leben Jesu heißt es, “was der Mensch sein Ich nennen kan, und was über Grab und Verwesung
erhaben ist, und sich selbst seinen verdienten Lohn bestimmen wird, ist fähig sich selbst [zu] richten – es
kündigt sich als Vernunft an, deren Gesezgebung von nichts mehr sonst abhängig ist”. FS, S. 223. Freilich
würdigt Hegel nicht den Selbstmord, sondern das Leben mit solch einer Fähigkeit der Freiheit. Der Tod
ist bereits zu lebender, sonst ist nur die leere Realisierung der flüchtigen Freiheit übrig.
197
“diese ideelle Welt” stößt das Kind auf die äußere Welt. D. h. mit dieser äußeren Welt
konfrontiert es sich durch jene gegebene Idealität der Welt. Diese beiden Welten können
sich entsprechen oder widersprechen. In jenem Fall soll das Bewusstsein des Kindes die
Realität der ideellen Welt in der äußeren Welt aufsuchen und finden, “wie das ideelle
existirt”. Dadurch bestätigt und realisiert es die Idealität. Diese Realisierung der
Idealität bedeutet die letzte Instanz der Wahrheit, die hier von den Eltern her gegeben ist.
Wiederum gesagt: Für Hegel ist nur die als äußerlich realisiert bestätigte Wahrheit wahr,
also die etablierte Wahrheit. Aber andererseits kann “für das Kind der Widerspruch der
realen Welt, und der idealen der Eltern vorhanden” sein. Er entspringt aus der
Nichtentsprechung der beiden Welten oder aus dem Nichtwissen der Eltern und also des
Kindes. Es setzt in diesem Fall die reale Welt “als nicht bewußte Seite ideell” und
wendet an, prüft und realisiert die ideelle, bewusste Seite von den Eltern her,
überwindet hiermit den Widerspruch. Die reale Welt wird endlich gemäß seiner neuen
Anordnung der bekannten Idealitäten gewusst. Es besteht für das Kind, also für den
Menschen, weder reines Nichtwissen noch reine Unbekanntheit, insofern sein
Bewusstsein dem Wesen nach geschichtlich ist und insofern nur auf der Basis des
Gewussten etwas Ungekanntes da ist. Und sogar dies ist selbst schon zumindest in der
Form des Nichtwissens gewusst. Die “als nicht bewußte Seite gesetzte” ist auch “selbst
ein Bewußtseyn”. Die Leerheit dieses Bewusstseins wird durch die Realisierung des
bereits gewussten mit der neuen Wahrheit erfüllt. Die Bildung des Kindes in jenem Fall
lässt sich praktische, die letztere theoretische nennen. In jener Bildung bezieht das Kind
praktisch sein Ideelles auf das Reelle, in dieser theoretisch das unbewusste Reelle auf
sein erneut Ideelles. Die dadurch bestätigte und erlangte Identität der beiden Welten bzw.
des inneren Ideellen und des äußeren Reellen ist realistisch. In der Bildung wiederholt
sich daher der theoretische und praktische Prozess des bisher betrachteten Bewusstseins
realiter. Durch “diese absolut entgegengesetzte Thätigkeit”80 zwischen beiden Seiten ist
das Bewusstsein des Kindes nun “erst ein sich selbst gewordnes Bewußtseyn” (J I.305).
Die Erziehung ist auch nach der zweiten Geistesphilosophie “das Werden seines
Fürsichseyns” als des totalen Bewusstseins (J III.213). Das für sich gewordene totale
Bewusstsein ist eben nichts anderes als das sittliche Subjekt, dessen gesellschaftlichstaatliche Entfaltung nun zu erläutern ist.
80
Diese reflektierende Bildungsgeschichte des natürlichen Bewusstseins des Kindes ist in
wissenschaftlicher Darstellung eben die Phänomenologie des Geistes, während die Jenaer
Geistesphilosophien die reflexive Logik des schon gebildeten Bewusstseins sind.
198
IV. Volksstaatslehre der allgemeinen Sittlichkeit
1. Kampf um Anerkennung
1.1. Ursprung des Kampfes um Anerkennung
Die bisherige Bewusstseinslehre ist die onto-logische Lehre über das Werden des
sittlichen Subjekts. Sie erläutert die logische Struktur des für sich werdenden
Bewusstseins bis zu seiner Totalität. Das letztlich gewordene Bewusstsein ist das totale
Bewusstsein, dessen Für-Sich-Werden in der Erziehung des Kindes zu typisieren, und
das als gewordenes das sittliche Subjekt zu nennen ist. Aber erreicht ist nur erst der
Träger der sittlichen Tätigkeit, nicht diese Tätigkeit selbst. Nun sind die sittliche
Tätigkeit und deren Resultate in der Gesellschaft und der Geschichte zu erklären. Doch
sie werden nicht unmittelbar durch die Urkunden der Gesellschaft und der Geschichte,
sondern wiederum im Hinblick auf die typisierte Logik ihrer Gesellschaftlichkeit und
Geschichtlichkeit dargestellt. Und insofern sie realiter als besondere Gestalten im
gesellschaftlich-geschichtlichen Zeitraum existieren, ist diese Darstellung realistisch
und zugleich wesentlich.
Das totale Bewusstsein ist das Bewusstsein, das theoretisch den Begriff des äußeren
Gegenstandes für sich erwirbt und praktisch nach seinem Willen realisieren kann. Es
erfasst durch das Denken sich als das Wesen des Gegenstandes und realisiert dies durch
die Tätigkeit gemäß dem Wesen, die nichts als seine Selbstverwirklichung ist. Es ist
eben das vernünftige Selbstbewusstsein, das sich frei auf das Sein im Ganzen bezieht.1
Diese Beziehung ist nun nicht mehr Beziehung auf den zu begreifenden äußeren
Gegenstand, sondern auf den Gegenstand als Träger des bereits realisierten Selbst, und
nicht mehr auf das andere Bewusstsein durch die menschliche Begierde, sondern auf
das bloß andere mit gleicher Totalität, aber außerhalb des natürlichen Moments der
Liebe. Die erstere Beziehung hat aber die letztere zur Bedingung. Denn der Gegenstand,
der meinem Begriff angemessen existiert, ist zwar mein, aber diese Beziehung des
Besitzes ist lediglich einseitig zwischen dem tätigen Ich und dem untätigen Ding
errichtet. Nur als diese Beziehung wurde der Familienbesitz im Vorangegangenen
betrachtet, der daher noch gar kein gesellschaftlicher war. Auf ein Ding nämlich kann
sich außer dem Ich auch ein anderes Subjekt beziehen wollen. Also vor der und für die
Beziehung des Besitzes wird die Beziehung zwischen Subjekten um den Besitz als
1
Dies Selbstbewusstsein ist eben das Prinzip, das nachher in der Rechtsphilosophie vorausgesetzt ist.
GPR, § 21.
199
Vorfrage gestellt. Denn der Besitz umgekehrt bedingt die Ausschließlichkeit des
beziehenden Subjekts, und deren Gründe sind die beiden folgenden:
“Die Besitzergreifung ist die sinnliche Bemächtigung” (J III.216). Diese Aussage der
zweiten Geistesphilosophie drückt vor allem die Ausschließlichkeit des Besitzes selbst
aus. Die Besitznahme ist als sinnliche zugleich unmittelbar und einzeln. Sie ist logisch
das unmittelbare Sein des Besitzenwollenden und zugleich das Nichtsein anderer bei
dem zu besitzenden Gegenstand, gleichwie der Stuhl, auf dem ich jetzt sitze, zugleich
den Ausschluß der anderen bedeutet. Der sinnliche Besitz ist selbst einzeln, daher
ausschließend. Ausgeschlossen werden allerdings nicht irgend welche anderen Dinge,
sondern eben alle anderen Subjekte. Der Besitz ist also nicht zuletzt die ausschließliche
Beziehung zwischen Subjekten mit dem totalen Bewusstsein, denen es um den
einzelnen Gegenstand des Besitzes geht. Der selbstständige Besitz eines jeden in der
ausschließlichen Beziehung kann in keiner anderen Weise als anerkannt bestehen. Aber
der Prozess der Anerkennung ist nicht friedlich und reibungslos im gleichen Maß wie
die Ausschließlichkeit des Besitzes.
Die Ausschließlichkeit des Besitzes hat ihren Grund nicht nur in der Einzelheit des
Dings. Dies wird einzeln besessen, aber vom totalen Bewusstsein, das für sich
geworden ist. Die Totalität des Bewusstseins besagt die organische Einheit des
selbstständigen Bewusstseins, in dem der Teil mit dem Ganzen eins, also für das Ganze
bedeutsam ist. Während die erste Geistesphilosophie von Beginn an gerade die
Beziehung des totalen Bewusstseins auf das andere zur Darstellung bringt, werden in
der zweiten Geistesphilosophie zuerst einige Eigenschaften des durch die Liebe
erzeugten Individuums ausgeführt. Das Kind ist nämlich die durch die natürliche
Erzeugung gegenständlich und auch durch die Erziehung selbstbewusst verwirklichte
Liebe. Es ist als verwirklicht “ein für sichseyendes”, das “das ganze einfache Wesen an
ihm selbst” hat. In seinem Wesen sind beide Charaktere als seine ganze Individualität
vereinfacht und vereint. Diese Vereinigung ist auch das realisierte Selbsterkennen selbst
der Liebe, in dem es also sich selbst weiß. Oder vielmehr es ist das “geistige
Anerkennen selbst, welches sich selbst weiß”. Weil es das gegenseitig realisierte
Erkennen selbst eines jeden Elternteils als Selbst ist und weil es sein Selbst als das
erkannte Selbst der anderen, d. i. der Eltern weiß, ist es unmittelbar und geistig
anerkannt. Es weiß sich selbst als anerkannt, oder es ist ferner das Anerkennen selbst,
welches es als sich selbst weiß. Dies Anerkennen ist zum einen erst nur in der Familie
durch die natürlich entstandene und bewusst vollzogene Liebe erreicht, also noch nicht
200
gesellschaftliche Tätigkeit, sondern nur die Fähigkeit des Individuums dazu.2 Aber das
unmittelbare Anerkennen durch die Liebe ist zum anderen die realisierte Einheit als das
Selbst der rudimentären Familienmitglieder. Deshalb ist das gebildete Kind nun die
Familie selbst als Ganzes. In ihm ist die Familie zu ihrer ganzen Individualität
geworden und nun als dieses Ganze “einem andern in sich geschlossenen Ganzen
gegenübergetreten”. Oder nun bestehen “vollständige, freye Individualitäten
füreinander”. 3 Diese Individuen sind nur als das geistige und selbstbewusste
Anerkennen für sich seiend. Insofern ist das Individuum “erst ein eigentliches Seyn für
den Geist”, das die gesellschaftliche Tätigkeit in erster Linie mit dem Anerkennen
anfängt (J III.213).4 Denn sein unmittelbares Dasein ist in der Familie unmittelbar
anerkannt und sein Wissen unmittelbar das geistige Anerkennen selbst. Es kann und will
nur als anerkannt da sein. Aber sein unmittelbares Dasein als zunächst nur in sich
anerkannt ist ausschließend gegen das andere. Das unmittelbare Dasein des Individuums
heißt nichts anderes als das Leben vom Familiengut, insbesondere vom dauerhaft
allgemein vorhandenen Gut, das sein Dasein sichert. Dieses Gut des einen Individuums
2
Das Anerkennen durch die Liebe ist nur an sich, bedeutet daher das Vermögen des gebildeten Subjekts
für die anerkennende Tätigkeit, dessen Darstellung noch der Bewusstseinslehre angehört. Aus diesem
Grunde macht auch nicht die ‘Synthese zwischen Liebe und Kampf’, wie Siep behauptet, den
Anerkennungsprozess aus. Eine ähnliche Missdeutung taucht auch in der Habermasschen Interpretation
des Kampfes um Anerkennung auf, in dem die Liebe als der Zweck der Versöhnung fungiert. Siep,
Ludwig: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, S. 53-63. Habermas, Jürgen: Arbeit und
Interaktion, S. 16-17. Lövenich, Friedhelm: Modernisierung des Idealismus, HS 25, S. 124-125. Zur
Kritik dieser Position siehe Göhler, Gerhard: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie?, HS
16, S. 222-226. Tuschling, Burkhard: Die „offene“ und die „abstrakte“ Gesellschaft, S. 103-104. Das
Problem der Anerkennung derjenigen, die lieben oder sich Liebe wünschen, kann gar nicht Kampf des
einen mit dem anderen, sondern nur Konflikt meiner Liebe selbst mit meiner Ehre sein, wie Hegels
Vorlesungen über die Ästhetik gut beschreiben. VÄ II.182-190. Über die nur formale und analoge
Korrelation des Liebesbegriffes mit dem Anerkennungsbegriff im Vergleich von Hegel und Jacobi, siehe
Falke, Gustav: Hegel und Jacobi, HS 22, S. 136-142.
3
Deshalb ist die Familie, die durch das gebildete selbstständige Individuum vertreten wird, nicht nur ‘der
Intimbereich’, der Blasche zufolge als der sittliche Bereich vom unsittlichen der bürgerlichen Gesellschaft
in der Rechtsphilosophie unterschieden ist. Freilich ist die Entsittlichung der Familie durch die
Rückwirkung der bürgerlichen Gesellschaft auf sie nicht ausführlich in Hegels Beschreibung präsent –
und dies ist nicht Hegels, sondern die damalige Beschränkung des industriell unentwickelten Deutschland
–, aber die Möglichkeit ihrer Erklärung ist vorhanden. Denn das Subjekt der anerkennenden Beziehung in
der Gesellschaft ist eben das Individuum, das alle Momente der Familie in sich als gebildet hat. Auch
nach der Rechtsphilosophie tritt die Familie “auf natürliche Weise und wesentlich durch das Prinzip der
Persönlichkeit in eine Vielheit von Familien auseinander, welche sich überhaupt als selbstständige
konkrete Personen und daher äußerliche zueinander verhalten” (GPR § 181). Und eben die “bürgerliche
Gesellschaft reißt” “das Individuum aus diesem Band” der Familie “heraus, entfremdet dessen Glieder
einander und anerkennt sie als selbstständige Personen (GPR § 238). Aber die bürgerliche Gesellschaft ist
ferner nicht allein, wie bei Blasche, der unsittliche Bereich, sondern auch der der Genese der Sittlichkeit
auf der allgemeinen Ebene. Blasche, Siegfried: Natürliche Sittlichkeit und bürgerliche Gesellschaft.
Hegels Konstruktion der Familie als sittliche Intimität im entsittlichten Leben MR, S. 312-337.
4
Auch in Wagners theologischer Interpretation der Wissenschaft der Logik ist der Geistesbegriff gut
erklärt, der ‘seine Realität als wissende Anerkennung des menschlichen Selbstbewusstseins’ hat. Wagner,
Falk: Theo-Logik, S. 219-220.
201
erscheint in der Beziehung auf das andere eben als die Frage des Besitzes, dessen
Ausschließlichkeit im unmittelbar und selbstständig anerkannten ausschließenden
Dasein des Individuums als der ganzen Familie liegt. Deshalb ist die, dem Wesen nach,
erste gesellschaftliche Tätigkeit des Individuums gerade die Anerkennung, die sich
zuerst um den Besitz dreht.5
Unter dem Gegenstand des Besitzes versteht Hegel hier nicht das einzelne Ding, wie ein
Werkzeug, sondern das Grundstück, weil es bekanntlich das Dasein des Individuums als
der ganzen Familie mit Dauer und Beständigkeit ermöglicht. Aber dies heißt weder, daß
er einfach der physiokratischen Neigung Kants folgt, noch sieht er von der
merkantilistischen Begründung Fichtes ab.6 Sein Gesichtspunkt steht eher, wie bekannt
und auch nachher zu sehen ist, dem nationalökonomischen Standpunkt nahe, der freilich
damals in Deutschland zumeist auf die Fabrikarbeit beschränkt ist. Seine Wendung
“eines Stücks der Erde” in der zweiten Geistesphilosophie ist daher bloß die Anführung
der genetisch ersten Besitzgestalt für die logische Typisierung (J III.214). Zum
Familiengut gehören, wie vorhergehend erwähnt, Haus, Grundstück, Werkzeuge u. a.
Vor allen Dingen ist aber in Hegels Augen die Hauptsache des Besitzes, weswegen das
5
Der Kampf um Anerkennung und der um Ehre dürfen nicht verwechselt werden. In jenem geht es in
erster Linie immer um den Besitz, der das Dasein des Individuums äußerlich bedingt. Der wörtliche
Ausdruck des letzteren tritt bei Hegel nicht auf, sondern das Wort “Ehre” wird benutzt nur zur
Bezeichnung der behaupteten, einzelnen, daher im Kampf aufzugebenden Ganzheit oder Totalität des
Individuums, während die Anerkennung selbst der gar nicht aufzugebende Zweck des Kampfes ist. Aber
wenn die gesellschaftliche Beziehung eine anerkennende zwischen bereits selbst anerkannten Personen ist,
wäre es gerade die Gesellschaft, in der es sich um die Ehre der Person handeln könnte, weil diese den
persönlichen Wert des bereits durch jenen Kampf anerkannten Individuums selbst bedeutet. Das, worum
es hier beim Kampf um Anerkennung im Wesentlichen geht, ist daher nicht die Ehre, sondern vielmehr
diese als persönlicher Wert lässt sich zwar nur nach ihrem äußeren Dasein in der anerkennenden
gesellschaftlichen Beziehung der bereits anerkannten Personen verletzen, aber als dies erreichte
Anerkanntsein der Person selbst nicht verletzen (J III.236). Auch ist Hegels Kampf schwer als ein
richterlicher Kampf zu pazifizieren, weil es nicht nur um die Ehre als totales Bewusstsein des Seins für
sich, sondern vor allem um das eben Totalität des Bewusstseins bedingende Sein selbst, d. i. Leben oder
Tod geht. SE, S. 318. J I., S. 308, 326. J III., S. 232. Bonsiepen, Wolfgang: Der Begriff der Negativität in
den Jenaer Schriften Hegels, HSB 16, S. 81-91. Siep, Ludwig: Anerkennung als Prinzip der praktischen
Philosophie, S. 63-68. Der Kampf um Anerkennung, HS 9, S. 155-207.
6
Kant zufolge ist der Boden ‘als Substanz’ ‘alles Beweglichen auf demselben’ Gegenstand des
ursprünglichen und gemeinsamen Besitzes aller Menschen, dessen einseitige und teilweise Okkupation
nur durch ‘die bürgerliche Verfassung’ peremptorisch und distributiv gerechtfertigt wird. MSr, AB82-92.
Dagegen ist der Boden bei Fichte als ‘die gemeinschaftliche Stütze der Menschheit in der Sinnenwelt’ in
der quantitativen Hinsicht ‘gar kein möglicher Gegenstand dieses Besitzes’, sondern nur des Rechts, auf
demselben zu einem bestimmten Zweck ‘ganz allein Producte zu erbauen’, das daher dessen Gebrauch zu
einem anderen Zweck nicht ausschließen darf. Er wird nur den Einzelnen mit verschiedenartigen
Gebrauchszwecken ‘unter der Garantie des Staats vertheilt’. Fichte: Grundlage des Naturrechts, S. 217220. Allerdings ist die Modifikation „physiokratisch“ oder „merkantilistisch“ philosophisch relativ. Z. B.
Andreas Arndt sieht die physiokratische Auffassung in Fichtes Begriff der Arbeit als ‘Naturproduktion’,
in dem Sinne, dass nur die Natur für Fichte produktiv sei und sich die Tätigkeit der Produzenten lediglich
darauf richte, ihr nachzuhelfen, obzwar diese Fichtesche Natur später ‘zur toten Grundlage’ der Willkür
des Staates herabgesetzt werde. Arndt, Andreas: Die Arbeit der Philosophie, S. 40-41, 52-56.
202
Individuum in die ausschließende Beziehung auf das andere eintritt, eben das
Grundstück, das selbst als das allgemeine Dasein der Natur von jeher das Leben des
Menschen bedingte und auch in der Vorbereitungsphase der industriellen Revolution
Gegenstand der häufig streitigen Einfriedung bzw. enclosure war. Dass er auch andere
Gegenstände, insofern diese das Dasein des Individuums bedingen, unter den
neuzeitlichen Besitzgestalten nicht übersieht, lässt sich erkennen an seiner Aufzählung,
wie “ein mannichfaltiges” “Haben, das Gut, die aüsserliche Mitte” in der ersten
Geistesphilosophie (J I.308). Auch die in beiden Geistesphilosophien oft erwähnte
Maschine ist keine Ausnahme. Betont ist allein, dass die Erscheinung eines Individuums
gegen das andere äußerlich und die unmittelbare Gestalt dieser äußerlichen Erscheinung
die Anerkennung des Besitzes ist, der als das selbstständige Dasein eines jeden “eine
negative ausschliessende Bedeutung” hat (J III.214).
Hegels Anerkennungsbegriff, wie viele andere seiner Begriffe, ist übernommen und
bearbeitet. Als dessen erster Erfinder führt Fichte ihn in der Grundlage des Naturrechts
als die gegenseitige Anerkennung eines jeden als Vernunftwesens ein und gründet
darauf den Begriff der Individualität als einen gemeinschaftlichen Begriff. Das
Individuum besagt ihm zufolge ‘das durch Entgegensetzung mit einem anderen
vernünftigen Wesen bestimmte Vernunftwesen’. Damit das Subjekt als dies Individuum
in der Sinnenwelt vom anderen nicht nur als Mittel behandelt werden, sondern frei
wirksam sein könne, sei die gegenseitige Anerkennung eines jeden als freien
Vernunftwesens durch die ebenfalls reziproke Beschränkung seiner Freiheit nötig. Die
Selbstbestimmung als Individuum auf der Basis der gegenseitigen Anerkennung sei also
gemeinschaftlich und wechselseitig, woraus auch das Rechtsverhältnis als Fundament
der Gemeinschaft deduziert werde. Der Rechtsbegriff Fichtes ist in diesem Hinblick
‘der Begriff eines Verhältnisses zwischen Vernunftwesen’,7 das nichts anderes als das
ihre Individualität wechselseitig hervorbringende ‘interpersonale Verhältnis’8 zwischen
dem Ich und dem anderen ist. An diesen Fichteschen Anerkennungsbegriff knüpft
Hegels zweite Jenaer Geistesphilosophie enger an als die erste, weil dort das
Rechtsverhältnis wie bei Fichte durch die anerkennende Beziehung begründet wird,
während hier die Anerkennung zum absoluten Geist des Volkes führt.9 Es besteht
allerdings auch ein großer Unterschied der beiden Geistesphilosophien Hegels
gegenüber Fichte darin, dass die Anerkennung in der Beziehung auf das andere nicht
umhin kann, durch den Kampf durchzugehen, dessen Auflösung die Selbstaufhebung
7
8
9
Fichte: Grundlage des Naturrechts, S. 41-55.
Zahn, Manfred: Einleitung zu Fichtes Grundlage des Naturrechts, S. IVVIII.
J I., S. 315. J III., S. 215. HH, S. 163, 171.
203
und das Erkennen eines jeden im anderen erfordert, während sie bei Fichte durch die
quantifizierbare Selbstbeschränkung aus dem vernünftigen Denken über das natürliche
und notwendige Faktum als die mögliche Bedingung des Bewusstseins der
Individualität und des Selbstbewusstseins kampflos und urrechtlich abgemacht wird.10
Der Ort, wo Hegels Anerkennungsbegriff zum ersten Mal auftritt, ist eine Jenaer
Frühschrift, der Naturrechtsaufsatz. Aber er ist hier im Kontext der “Aufführung der
Tragödie im sittlichen” terminologisch benutzt (JKS 458). Die Anerkennung heißt
nämlich “die Anerkennung” des Schicksals “in dem Kampf” mit demselben, das als die
“unorganische Natur” erscheint und dem sich “die sittliche Natur” entgegensetzt (JKS
459). Diese zwei Arten von Natur sind “die doppelte Seite” der notwendigen
“Erscheinung des Absoluten” in der Objektivität (JKS 433). Der Einzelne oder das
einzelne Volk als eine sittliche Natur anerkennt durch den Kampf mit der unorganischen
Natur in der “Gefahr des Todes” (JKS 449) die letztere Natur als sein Schicksal und
gelangt dadurch zur Versöhnung mit dem Absoluten als der Einheit beider Naturen. Die
unorganische Natur bedeutet nicht bloß die physische, sondern auch alles, was noch
nicht sittlich organisiert ist. Insofern Unorganisches tot ist, besteht das Sittliche nur in
der Konfrontation mit diesem Prinzip des Todes, dessen göttliche Macht ihm überlegen
ist. Das Schicksal ist diese notwendige Konfrontation mit dem Übermächtigen trotz der
Aussicht seiner Niederlage. Denn lediglich durch dies Vermögen des Todes oder “durch
die Kraft des Opfers” im Kampf können das Sittliche und seine Freiheit bewiesen und
anerkannt werden. Daher ist das Sittliche die Bühne der Tragödie, “welche das Absolute
ewig mit sich spielt” (JKS 458). Hier besteht der Kampf des Sittlichen um Anerkennung
in der engen Verbindung mit dem antiken Ideal, über das Hegel bereits in der Zeit der
Studien 1792/93-1794 bezüglich der Szene der Todes der antiken Helden zwar nur
ansatzweise, aber etwas ähnliches notierte, “denn sie haben gelebt, und haben in ihrem
Leben gelernt, die Macht der Natur anzuerkennen” (FS 137). Freilich kommen auch die
konstitutiven Elemente für den Anerkennungskampf im Naturrechtsaufsatz zum
Vorschein, z. B. in der Ständelehre, die zwischen dem “die Gefahr des Todes” in sich
habenden und dem sie nicht habenden Stand unterscheidet, aber dennoch gleichfalls auf
die antike Ständelehre angewiesen ist (JKS 455-458). Diese antikisierende Neigung
bleibt noch bis in die erste Geistesphilosophie spürbar.
Für Hegels damaligen sehr spezifischen Anerkennungsbegriff, der sich also neben
seinen späteren Begriff stellen lässt, müsste die unorganische Natur als der noch
unsittliche Zustand logisch vor der und realiter im Gegensatz zu der sittlichen Welt
10
Seelmann, Kurt: Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S. 16-17. Fichte: Grundlage des
Naturrechts, S. 35, 51, 126-127.
204
verstanden werden und das Subjekt des Kampfes nicht als das schon sittliche, sondern
sich erst im Kampf nicht mit dem Übermächtigen, sondern mit dem anderen
gleichfähigen Individuum sittlich bildende Individuum. Dieser Anerkennungsbegriff
tritt in dem kurz nach dem Naturrechtsaufsatz niedergeschriebenen System der
Sittlichkeit auf. Obzwar sich die antikisierende Deutungsneigung noch fortsetzt und
trotz der schellingianisierenden Methode des Aufbaus, kommt der Anerkennungsbegriff
hier im fast gleichen Status, wie in der zweiten Geistesphilosophie, zwei Mal ins Spiel,
d. i. im Verhältnis von Eltern und Kindern und im Verhältnis des Lebens als der
höchsten Indifferenz des totalen Einzelnen. In der ersteren Phase resultiert die
Anerkennung aus der Aufhebung des Verhältnisses zwischen dem Kind als dem
Besonderen und den Eltern als dem Allgemeinen und auch aus der Aufhebung der
Eltern selbst durch “die allgemeine Wechselwirkung und Bildung” (SE 290). Die
Allgemeinheit der Wechselwirkung gründet sich gleichsam auf die Einheit der Eltern
durch die Liebe, und die Bildung bzw. Erziehung der Eltern lässt das Kind seine
“aüssere Negativität” als das bloß subjektive Individuum “immer mehr aufheben und
ebendadurch eine grössere innere Negativität und damit höhere Individualität setzen”
(SE 289). Dadurch wird das Kind “ein gleiches selbstständiges Wesen”, und sein
Verhältnis ist “nur beständig”, bis es dies Wesen in seine Einzelheit einverleibt. Es hat
nämlich als die ganze Familie “die höchste Individualität und aüssere Differenz”, die
selbst nichts anderes als das gegenseitige “Anerkennen” der Familienmitglieder ist (SE
290). Es ist nun das Individuum als das Subjekt der gesellschaftlichen Beziehung, das
die “Totalität” “immer innerhalb der Einzelnheit selbst” hat. Es tritt dadurch mit
anderen ins “Verhältniß des Tausches, und des Anerkennens eines Besitzes” ein (SE
303). In dieser zweiten Phase des Anerkennungsbegriffs haben die gesellschaftlichen
Elemente, d. i. Tausch, Besitz, Eigentum u. a., zwar noch keinen solchen festgestellten
Stellenwert wie in den späteren Schriften, allein in der Anerkennung geht es immer ums
Leben, mit dem das Individuum als die “Indifferenz aller Bestimmtheiten” oder “als im
Ganzen für sich seyendes” “schlechthin Eins” ist, sei es im Verhältnis des Besitzes, sei
es des Tausches. Aber weil das Individuum zuerst nur als “ein formal lebendiges”,
nämlich von der Familie “als solches anerkannt” ist (SE 304), enthält diese formale
Idealität der Anerkennung auch in seiner Freiheit “die Möglichkeit des
Nichtanerkennens, und der Nichtfreyheit”. Dadurch gerät es ins Verhältnis gegen das
andere, “aber mit ungleicher Macht des Lebens”. Obzwar nicht unter dem offenbaren
Ausdruck des Kampfes, hat dies doch “das Verhältniß der Herrschafft und
Knechtschafft” zur Folge (SE 305). Dieser Begriff der Anerkennung lässt sich daher in
seinem Ansatz als bereits ausgestattet mit all seinen spezifischen Elementen einschätzen.
205
Der Anerkennungsbegriff gewinnt erst in den beiden Jenaer Geistesphilosophien
‘systembildende Kraft’,11 um in der ersten die Sittlichkeit des Volks zumeist in Hinsicht
auf die der Phänomenologie des Geistes nähere Tätigkeit der Anerkennung und in der
zweiten die Grundlage des Rechtsverhältnisses meistens hinsichtlich des der
Rechtsphilosophie ähnlichen Anerkanntseins als Resultat der Anerkennung zu
konstituieren. Der Anerkennungsbegriff erhält hier zwei auch später unveränderte
Grundcharaktere. Er fungiert vor allem in zweifacher Weise im gesellschaftlichen
Bereich des Hegelschen Systems. Die Gesellschaft ist der objektive Bereich der
gesellschaftsfähigen Subjekte in ihrer Beziehung zu einander. Die Fähigkeit der
Subjekte ist nicht zuletzt Fähigkeit für das freie Verhältnis zum anderen in der
Gesellschaft. Diese müsste daher einerseits auch dem Subjekt immanent begründet
werden. Die Anerkennung ist eben Grundlage der immanenten Fähigkeit des
Bewusstseins oder des “Menschen in seinem Begriff” (J III.214). Sie ist
gesellschaftliches Vermögen der Freiheit, das in der ersten Geistesphilosophie als
einziges Thema und auch in der zweiten noch im Teil des ‚Geistes nach seinem
Begriffe’ sowie später in der Phänomenologie des Geistes hauptsächlich, sogar
bewusstseinskonstitutiv, dargestellt wird. Auf dieser Basis kommen Subjekte in der
Gesellschaft in die gegenseitig anerkennende Beziehung wie Tausch, Vertrag u. a. Dies
Beziehen verläuft aber keineswegs nur friedlich. Der Grund hierfür liegt in der
bewusstseinsimmanent oder seinem Begriff nach erreichten und hier vorauszusetzenden
Ausschließlichkeit des freien und selbstständigen Subjekts, dem es um den Besitz geht.
Die realistische Seite des hegelschen Anerkennungsbegriffs besteht umgekehrt darin,
dass gesellschaftliche Beziehungen, wie Tausch, Vertrag u. a. im Wesentlichen eben
konkurrierende und streitende Beziehungen der Anerkennung sind. Das, was durch
diese Beziehungen objektiv anerkannt ist, ist die institutionell geordnete Gesellschaft als
der objektive Bereich, dessen Grundstein das Rechtsverhältnis ist. Daher müssten auf
der anderen Seite auch das Recht und die Institutionen als das objektive Anerkanntsein
durch das gesellschaftliche Subjekt erklärt werden. Diese Erklärung ist gerade die
Begründung des Rechts und der rechtlichen Institutionen und zugleich die letzte Instanz
des Beweises des freien gesellschaftlichen Vermögens des Subjekts, was erst im Kapitel
über den wirklichen Geist in der zweiten Geistesphilosophie und nachher in der
Rechtsphilosophie als Gestalten des objektiven Geistes hauptsächlich behandelt wird.
Ohne Verstehen dieses Charakters des Anerkennungsbegriffs ist auch schwerlich
verstehbar, warum Hegel die Elemente des Naturrechts, wie Naturzustand und Vertrag,
teils kritisiert, teils erläutert, und auch, warum dieses Thema in den beiden
11
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 150.
206
Geistesphilosophien vor dem gesellschaftlichen Bereich des Volks bzw. des wirklichen
Geistes und dann noch einmal in der zweiten Geistesphilosophie im Abschnitt über den
wirklichen Geist abgehandelt wird.
Zweitens geht der Anerkennungsbegriff Hegels auf der Basis der Ausschließlichkeit
zumindest theoretisch durch den im Voraus unausgleichbaren Kampf hindurch.12 Denn
die reale gesellschaftliche Beziehung enthält wesentlich dieses Element des Kampfes.
Sie ist das Resultat der Reflexion auf diesen Kampfzustand. Selbst ein anerkannter
Vertrag über das Eigentum wird im Grunde genommen eben darum geschlossen, weil
ohne solche kontraktliche Anerkennung der Kampf auf Leben und Tod unvermeidlich
wird. Unten wird zu zeigen sein, dass die Anerkennung die ideale Aufhebung des Selbst
durch sich selbst ist, während der Kampf die reale Aufhebung des einen Lebens durch
das andere ist. Die Anerkennung heißt die Realisierung des allgemeinen Selbst durch
die ideale Selbstaufhebung eines jeden statt des realiter Leben vernichtenden Kampfes.
Es besteht keine Realisierung des Allgemeinen ohne Aufhebung des Einzelnen. Diese
Aufhebung erfolgt gelgentlich realiter im Kampf bzw. Krieg und immer wesentlich und
idealiter in der anerkennenden Beziehung. Und weil ohne die letztere die erstere
unumgänglich ist, ist der Kampfprozess für den Anerkennungsbegriff zwangsläufig. Der
Kampf um Anerkennung scheint daher zwar für die ideologischen Kritiker auf den
ersten Blick fabelhaft und unwirklich, aber muss als das nüchterne onto-logische
12
Das Missverständnis oder Ignorieren dieses ersten Merkmals als der Unausweichlichkeit und
Unversöhnlichkeit von Hegels Kampf um Anerkennung idealisiert leicht seine Anerkennungstheorie. Der
Kampf ist weder eine ‘Dialogsituation’ wie das sittliche Verhältnis bei Habermas, noch gar ein fiktiver
Zustand, sondern eben darum, weil er realiter unausgleichbar ist und mein Dasein aufhebt, nimmt jeder
Einzelne dessen Aufhebung idealiter als Selbstaufhebung voraus, was eine Überwindung und zugleich
Vollziehung des realen Kampfes in anderer Weise ist. Aller gesellschaftliche Verkehr von Sprache, Arbeit,
Tausch u. a. ist also Anerkennungsprozess der objektiven Verallgemeinerung des sich aufhebenden
Einzelnen. Jeder erreicht dadurch das Allgemeine des selbst aufgehobenen einzelnen Selbst in seinen
Produkten oder Instituten als das objektivierte Anerkanntsein seiner Person, als die verwirklichte
Entelechie ihrer Freiheit. D. h. die persönliche und menschliche Allgemeinheit der erzeugten Objekte
wird dadurch erklärbar. Die Allgemeinheit der gesellschaftlichen Erzeugnisse ist überhaupt nicht nur
kommunikativ erreichte Allgemeinheit der Intersubjektivität, ihre Objektivität gar keine Objektivität des
intersubjektiv vereinbarten Allgemeinen, sondern die objektive Allgemeinheit der sich aufhebend
realisierenden Subjekte eben in den gesellschaftlichen Entitäten. Dagegen kann die Intersubjektivität ohne
Moment der Selbstaufhebung die ‘Objektivität eines Allgemeinen’ erreichen, aber de facto nichts anderes
als die subjektive Objektivität des nur intersubjektiv gestimmten Allgemeinen. Sie kann auch gar nicht die
Objektivierung selbst des Allgemeinen, d. i. die Allgemeinheit des gesellschaftlichen Objekts gründlich
erklären. Denn sie ist nichts anderes als die Reziprozität der Subjektivität oder die Subjektivität der
Reziprozität, für die kein Eingang in die objektive Entität, sondern nur ins objektive Subjekt besteht.
Hegels objektiver Geist ist auch der äußerlich objektivierte Geist, aber dagegen ist Habermas’ Geist
lediglich ‘die Kommunikation Einzelner im Medium eines’ intersubjektiven ‘Allgemeinen’. Habermas,
Jürgen: Arbeit und Interaktion, S. 9-47. Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 155157. Tuschling, Burkhard: Die „offene“ und die „abstrakte“ Gesellschaft, S. 101-116. Fulda, Hans
Friedrich: Hegels Begriff des absoluten Geistes, HS 36, S. 171-198. Siehe andererseits auch zum Mangel
von Habermas’ Begründung des selbstidentischen Subjekts als Subjekts der Kommunikation, durch die es
nur als ‘Produkt einer Sozialisation’ erklärt wird, Nagl, Ludwig: Gesellschaft und Autonomie, S. 244-268.
207
Fundament der gesellschaftlichen Wirklichkeit verstanden werden, die außer auf der
Basis der Anerkennung realiter notwendig zum Kampf führt. Dies bedeutet also auch
ganz und gar nicht naiv, dass immer zum Anerkennen gekämpft werden müsste. Die
Realität der anerkennenden Beziehung und deren ontologische Instanz dürfen nicht
verwechselt werden. Erklärt wird eben diese Instanz der Anerkennung. Der
Ausgangspunkt von deren bewusstseinsimmanenter Erklärung in den beiden
Geistesphilosophien ist das totale Bewusstsein bzw. das freie selbstständige Individuum.
Hier steht das Subjekt zuerst noch auf der Schwelle der Gesellschaft.
Das für sich gewordene totale Bewusstsein in der ersten Geistesphilosophie tritt in die
Beziehung auf ein anderes totales Bewusstsein. Selbst seiner Besitz ergreifenden
Beziehung auf das Ding muss die Errichtung dieser Beziehung auf das andere
Bewusstsein vorausgehen, wie oben erwähnt, weil jene Beziehung bereits in sich die
Ausschließung des anderen Bewusstseins impliziert. Das Bewusstsein erkennt ferner
“absolut nothwendig” im anderen “sich als sich selbst”. Das erste wahre Erkennen von
gleichen Dingen ist, ihr Gleiches zu erkennen. Das totale Bewusstsein erkennt also eben
sich selbst im ebenbürtigen anderen, insofern dies Erkennen wahrhaft ist. Aber “in
diesem Erkennen ist jeder für den andern unmittelbar ein absolut einzelner”, der ein
eigenes totales Bewusstsein hat. Dies Erkennen kann sich freilich vermittelst des
Gefühls unmittelbar zur Liebe entwickeln, aber wenn es sich ohne solche natürliche
Vermittlung schlechthin um den Besitz handelt, wird das Erkennen auf die andere Weise
erreicht, die eben als der Kampf um Anerkennung zu erklären ist. Die
Unumgänglichkeit dieses Kampfes liegt in der zweifachen Eigenschaft des
Bewusstseins eines jeden. Das Bewusstsein vereinigt als totales alle Teile in sich,
nämlich absolut in die Einzelheit seiner Existenz, daher ist es äußerlich absolut einzeln.
Dies besagt auch, dass “jede Einzelnheit seines Besitzes, und seines Seyns, an sein
ganzes Wesen geknüpft erscheint”. Insofern ist jeder Einzelne nicht mehr als “ein
Bewußtseyn” oder ein “vern[ünftiges] Wesen”, in dem Sinne, dass die Einheit durch die
Vernunft in seiner Einzelheit realisiert ist (J I.307). Die Totalität seines Bewusstseins ist
noch lediglich “das ideellseyn der Welt”, weil seine Totalität noch nicht in der ganzen
äußeren Welt realiter verwirklicht, sondern nur die vernünftige Selbstständigkeit
derselben gegenüber ist. Aber wegen der Totalität setzt jeder jedes einzelne Moment
seines Seins und Besitzes auch eben “als sich selbst”. Die Totalität heißt für ihn, dass
sein Einzelnes schlechterdings sein Ganzes ist. Aus diesem Grunde ist die “Verletzung
einer seiner Einzelnheiten” “eine absolute Beleidigung” “seiner als eines Ganzen”. D. h.
“die Kollision um jedes einzelne” ist “ein Kampf um das Ganze”. Hierin liegt die
Notwendigkeit des Kampfes um Anerkennung, wenn es bei der Äußerung seiner
208
Totalität in der Beziehung auf das Andere um den Besitz geht.
Diese Begründung des Kampfes durch die Totalität des Bewusstseins jedes Einzelnen
könnte unwirklich und unplausibel scheinen, weil keiner de facto sein ganzes Leben auf
den Besitz eines geringfügigen Dings setzen würde. Aber dieser logisch radikalisierte
Typus zielt auf die Grundlegung der vollständigen Freiheit des Einzelnen, der total und
vernünftig denken kann, in der Gesellschaft. Für seine Freiheit muss es gar keine
Beschränkung des Besitzes geben. Und seine Handlung muss als etwas, was aus der
Freiheit des selbstständigen Individuums entsteht, unterstellt werden. Dieser Typus hat
auch andererseits als der ontologische Maximalfall der gelegentlich realiter
geschehenden Streitfälle Realität. Das streitfähige Bewusstsein ist in seiner
vollkommenen Potenz das totale Bewusstsein. Es ist das vernünftige Bewusstsein, das
sich frei auf die Totalität des Seins bezieht. Für es ist das ganze Sein schlechthin ideell entweder aufgehoben oder aufhebbar. Für es ist selbst ein Ding nicht mit dem eigenen
Wert allein, sondern auch als Wert oder Bestimmtheit von ihm her vorhanden. Das Ding
hat schon “seinen Gegensatz gegen mich verlohren” und besteht nun für mich nur als
bestimmt von mir. Insofern ist es nun mein. Aber es gehört nicht nur mir, sondern ist
schlechthin eins mit meiner Totalität. Es ist Ich. Als diese Totalität treffe ich mit dem
Anderen als der gleichen Totalität zusammen. Und insofern das Ich selbstständig und
für sich seiend oder nach der zweiten Geistesphilosophie das geistige Anerkennen selbst
ist, will jeder sein totales Bestehen gegeneinander “anerkennen, und anerkannt wissen”.
Dieser Wille zum Anerkennen bedeutet inhaltlich, dass jeder im Bewusstsein des
anderen als seine eigene Totalität erscheinen, d. i. daß der andere “aus der ganzen
Extension seiner Einzelnheiten” ausgeschlossen werden soll. Denn das Bestehen eines
jeden als Totalität ist formell abhängig vom Ausschließen des anderen. Das, dessen
einer Teil vom anderen Einzelnen einseitig oder gemeinsam besessen ist, ist nicht total.
Solange jeder Einzelne als Totales bestehen will, ist das Ausschließen, also der Kampf
zwangsläufig. Dies Bestehen lässt sich gar nicht durch sprachliche “Versicherungen,
Drohungen oder Versprechen” garantieren. Diese Art Vereinbarung ist nichts anderes als
“die ideelle Existenz des Bewußtseyns” und nicht einmal aus dem totalen Bewusstsein
immanent abgeleitet. Sie ist unvollkommen wie die ideelle Halbwahrheit. Hier dreht es
sich vielmehr um die “wirkliche” und “praktische” Beziehung zwischen den wirklich
und absolut für sich seienden Einzelnen (J I.308), d. h. um die ontologische Tatsache,
dass jeder nach der Totalität seines Bewusstseins auch in der Beziehung auf den anderen
als solche existieren will. Beide “müssen daher einander verletzen” und beleidigen, wie
ihre Totalität exklusiv ist (J I.309).
209
1.2. Kritik am Naturrecht
Dieses Verhältnis der wechselseitigen Exklusion ist de facto bei Hegel nicht originell,
sondern hat seinen Ursprung in der Naturrechtslehre. Seine Originalität liegt eher in
seiner manchmal als schwankend angesehenen, zweifachen Einstellung zur
Naturrechtslehre. Durch dies scheinbare Schwanken aber setzt sich seine realistische
Haltung für das vernünftige Verstehen dessen, was ist, durch. Die neuzeitliche
Naturrechtslehre setzt sich aus zwei zusammengehörenden Hauptelementen zusammen,
d. i. aus den Lehren vom Naturzustand und vom gesellschaftlichen Vertrag. Dieser
ursprüngliche Vertrag ist auf der einen Seite eine vernünftige Maßnahme, den
Rechtszustand einer Gesellschaft zu konstruieren, und gründet sich auf das Recht der
Natur, das bald als den Chaoszustand bewirkend, bald als diesen in eine Ordnung
bringend beschrieben wird. Auf alle Fälle begründet das Naturrecht den ursprünglichen
Vertrag, der durch die vernünftige Natur des Menschen im Naturzustand erfordert wird.
Andererseits ist der Naturzustand Zustand des Chaos und der Unordnung, aus dem der
Mensch nur durch einen solchen Vertragsschluss herauskommen kann. Die Natur heißt
daher hier zum einen das Vernünftige der Vertragsmöglichkeit, zum anderen das rein
empirische des chaotischen Naturzustandes. In der Naturrechtslehre sind nämlich die
zwei Bedeutungen des Naturbegriffs verquickt.
Die Ambivalenz des Naturbegriffs ist bereits in der mythologischen Zeit durch seine
etymologische Wortbildung von φυεσθαι oder nasci vorbestimmt, was das Werden als
ein bloßes Phänomen oder nach dem Wesen bedeutet. Auf dem Standpunkt des bloßen
Werdens und Änderns ist der Begriff etwas unmittelbar Gegebenes, also Ordnungsloses,
dagegen auf dem Standpunkt des Prinzips des Gewordenen das Wesen und die
Beschaffenheit von etwas. Hegels Einsicht in diese Ambivalenz lässt sich bereits an
seinen frühen Studien über den griechischen Glauben an die Göttin des Geschicks,
Μοιρα, ablesen, die mit der blinden Notwendigkeit die Natur beherrscht. Die Natur
entsteht zwar blind notwendig, aber insofern sie von den Göttern beherrscht wird,
bringen sich die Achtung und der Gehorsam “vor dem Strome der
Naturnothwendigkeit” mit der “Überzeugung” von ihrer Herrschaft “nach moralischen
Gesezen” zusammen (FS 106).13 Bezüglich des Naturrechts warnt Hegel später auch in
den Vorlesungen vor der Veröffentlichung der Rechtsphilosophie einleuchtend vor der
13
Nach den Fragmenten historischer Studien Hegels 1795-98, die Rosenkranz überliefert, wurden die
Natur und das Göttliche “durch die Einrichtung des römischen Staates” getrennt, während Christus als
Mensch “der Verbinder beider” wurde. HLeben, S. 522-523. Auch FN, S. 51-52. In der entgötterten Natur
wurde das Vernunftrecht des Gott-Menschen das Naturrecht. Die Ambivalenz des Naturbegriffs, die sich
im Zusammenhang des Natur- und des Gottesrechts zeigt, bestand auch im Zusammenhang des Naturund des Vernunftrechts weiter.
210
begrifflichen Zweideutigkeit. Demnach mache er vom Terminus des Naturrechts nur
herkömmlichen Gebrauch, da unter Natur zum einen “das Wesen und der Begriff von
etwas”, zum anderen “die bewußtlose unmittelbare Natur als solche” verstanden werde
(VNS § 2, VR I. § 3). Denn eben im Naturrecht der Neuzeit geschieht wiederum die
Vermischung dieser Bedeutungen ohne begriffliche Differenzierung.
Repräsentativ für diesen Fehltritt ist in Hegels Augen vor allem Thomas Hobbes,14 der
durch die empirische Behandlung des Naturrechts die Notwendigkeit des
gesellschaftlichen Vertrags begründen will. Diese empirische Behandlungsweise ist es,
die zusammen mit der anderen, reinformellen, bereits im Jenaer Naturrechtsaufsatz
Hegels zur Zielscheibe seiner Kritik wurde. Ihm zufolge liegt der Hauptirrtum der
empirischen Behandlung im Festhalten an der bloß reinen Empirie. Aber es gibt ‘keine
bloße, von allem Widerschein des Absoluten unberührte’,15 also inhaltlich vernunftlose
Empirie, genauso wie kein reines, von allen Materialien der Empirie abstrahiertes, also
formell nur negativ Absolutes. In der Einseitigkeit sind beide also nicht so verschieden,
sondern treffen sich in der Anwendung des eigenen Prinzips aufeinander. Die Reinheit
der Empirie kann nämlich lediglich durch die Abstraktion von der unlauteren
14
Aber Hegel hält andererseits auch diesen naturrechtlichen Ansatz von Hobbes hoch, die bis dahin
naturteleologisch, also naturtheologisch begründete Staatsgewalt auf Prinzipien des Menschen selbst
zurückzuführen, dadurch, dass er natürliche Bedingungen nur insofern in die Verbindung mit Recht und
Gesellschaft bringt, als sie das notwendige Gesetz des Verlassens des natürlichen Rechts enthalten. Die
Zweideutigkeit des Naturbegriffs bei Hobbes trägt nämlich zur Verwandlung des traditionellen
Naturrechts ins Recht des Menschen bei, das später als Vernunftrecht aufgefasst wird. Riedel zufolge
versucht Hegel bis 1803/04 ‘den ursprünglichen Zusammenhang’ der zwei Seiten des ambivalenten
Naturbegriffs, d. i. ‘von Recht und Natur, wieder zu Geltung zu bringen’. Aber durch seine konzentrierte
Auseinandersetzung von 1804 mit Fichte verändere sich seine Naturrechtskonzeption; letztlich seien seit
1816 Natur und Freiheit, Naturgesetz und Rechtsgesetz auseinander getreten. Riedel, Manfred: Hegels
Kritik des Naturrechts, HS 4, S. 177-204. Natur und Freiheit in Hegels Rechtsphilosophie MR, S. 109127. Diese Behauptung müsste aber etwas gemildert werden. Das Seiende als die Natur wird auch,
worauf schon Aristoteles hingewiesen hat, in mehrfacher Weise ausgesprochen. Die Freiheit oder das
Recht ist also die Natur des vernünftigen Seienden, des Menschen. Hegel versucht von Anfang an immer
das Recht als die Natur des spezifisch vernünftigen Seienden zu entwickeln und damit beide im
geistesphilosophischen Bereich zu vereinigen, wie Aristoteles als erster die Zweideutigkeit des
Naturbegriffs im Bereich der Physik und der Politik einheitlich erklären wollte. Aristoteles: Metaphysica,
1014b-1015a. Physica, 186b-192b. Ethica Nicomachea, 1134b-1135a. Politica, 1254a. Die unvernünftige
Modalität des Menschen ist also nicht die Natur des Menschen, sondern nur die Natürlichkeit als seine
Unmenschheit, die auch unter Menschenmengen als Naturzustand der bürgerlichen Gesellschaft oder des
Staatenverhältnisses vorhanden sein kann. Das, worauf Hegel verzichtet, ist nur der bereits verwirrte
Terminus ‘Naturrecht’ als ein philosophischer Begriff. Die Natur im von Hegel noch so genannten
Naturrecht bleibt daher ‘die Natur, d. h. das begriffliche Wesen des Rechts’. Schnädelbach, Herbert:
Hegel und die Vertragstheorie, HS 22, S. 114. Dies lässt sich auch daran zeigen, dass der Geist bei Hegel
‘keine metaphysische Entität jenseits der Natur bezeichnet’, sondern ‘für die Konstellation aus
Gesellschaft, Individuum und Natur’ steht. Er ‘ist ein individuell-gesellschaftliches Naturverhältnis’. Der
Mensch als das geistige Seiende erkennt und anerkennt also seine natürlichen Triebe vernünftig und
notwendig und verwandelt sie in seine zweite Natur, die Vernünftigkeit. Reusswig, Fritz: Natur und Geist,
S. 7-17, 145-167. Ein Beispiel davon ist eben der Anerkennungskampf.
15
HH, S. 145.
211
Mannigfaltigkeit der Erfahrungen zustande kommen. Hier herrscht bereits der
Formalismus.16 Der rechtlose Zustand der bloßen Empirie, der in dieser Weise von der
unrechtlichen empirischen Mannigfaltigkeit abstrahiert wird, ist gerade der Zustand der
reinempirisch vorgestellten, ursprünglichen Einheit als “Chaos”, das “bald mehr unter
dem Bild des Seyns durch Phantasie als Naturzustand, bald mehr unter der Form der
Möglichkeit und der Abstraction” “als Natur und Bestimmung des Menschen”
beschrieben wird. Der ursprüngliche Zustand, der “als schlechthin nothwendig, an sich,
absolut” behauptet ist, ist einerseits durch “eine Fiction” für das Modell der reinen
Empirie als der Naturzustand vorgestellt, andererseits durch das formelle Hineinbilden
des gesellschaftskonstruktions-, also vertragsfähigen Naturells des Menschen aufgrund
der empirischen Psychologie “als Gedankending”, “als eine bloße Möglichkeit”
anerkannt. Daher vertritt der Naturzustand selbst auch die Zweideutigkeit des
Naturbegriffs des Naturrechts. Er ist aber nur formelle Koppelung zweier
Unverträglicher, deshalb “der härteste Widerspruch” (JKS 424). Zudem fehlt der
empirischen Behandlungsweise das für ihre Wissenschaftlichkeit entscheidende
Kriterium für die Grenze zwischen dem, was notwendig den Naturzustand bildet, und
dem Zufälligen. In dem Naturzustand ist nur so viel, was “für die Darstellung dessen,
was in der Wirklichkeit gefunden wird”, brauchbar, also durch die Extraktion aus den
Erfahrungen herausgelöst ist. Das “richtende Princip für jenes apriorische” und rein
Empirische im Naturzustand ist nur “das aposteriorische” (JKS 425). Der Naturzustand
ist nichts anderes als das Resultat der ‘Projektion des Faktischen ins a priori Normative’
ohne Maßstab.17 Die Wissenschaftlichkeit der empirischen Behandlung dieser Fragen
ist für Hegel deshalb letztlich zweifelhaft.
Hegels Kritik an der Wissenschaftlichkeit des Naturrechts lautet nicht viel anders als
gegenüber der rein formellen Behandlungsweise des transzendentalen Idealismus. Eher
gelangt die kritische Philosophie im Naturrecht zum “Culminationspunkt desjenigen
Gegensatzes”, der zwischen dem Absoluten und dem Endlichen, dem Einen und dem
Vielen, oder dem Ideellen und dem Reellen besteht (JKS 419). Kant bemerkt bereits in
der Einleitung der Kritik der Urteilskraft die Ambivalenz des Naturbegriffs, dessen
16
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 29. Diese formalistische, also idealistische
Neigung bezeichnet im Grunde genommen den Schwachpunkt allen neuzeitlichen Empirismus. Ein
Umkehrschluss von der Behauptung der Empirie als Ursprungs des Wissens zum Grund der Behauptung
entlarvt seine unempirische Formalität, z. B. die sogar Gewissheit des Wissens garantierende Perzeption
von Locke und Berkeley, was diese deshalb inkonsequent auch irrtümlich zur Annahme einer Substanz
führt, oder die nur Ideen als Materialien der Assoziation angebende Impression von Hume, die nichts
anderes als die von der vernünftigen Tätigkeit der Assoziation formell gereinigte und getrennte Erfahrung
ist. Deshalb muss die notwendige Konnexion in der Kausalität als einer Assoziation sowohl der Empirie,
weil sie unerfahrbar ist, als auch der Vernunft, weil dann nichts sie sichert, bezweifelt werden.
17
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 30.
212
Praktisches ‘mit dem Praktischen nach dem Freiheitsbegriffe für einerlei’ genommen
wird. 18 Jenes technisch-Praktische muss freilich vom moralisch-Praktischen streng
unterschieden werden, aber insofern ‘der Freiheitsbegriff’ auch ‘den durch seine
Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen’ soll, muss auch der
Grund der Einheit beider gedacht werden können. Dieser Grund wird dadurch
bereitgestellt, dass die übersinnliche ‘Gesetzmäßigkeit’ der Form der Natur wenigstens
als ‘zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach Freiheitsgesetzen’
zusammenstimmend gedacht wird. Er ist nämlich der ‘Grund der Einheit des
Übersinnlichen, welches der Natur zu Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsbegriff
praktisch enthält’. Der Zweck nach dem Freiheitsbegriff soll als die phänomenale
Wirkung in der Sinnenwelt existieren. Dafür muss ‘die Bedingung der Möglichkeit
desselben in der Natur’ vorausgesetzt werden. Diese Bedingung ist sogar nichts anderes
als die apriorische Bedingung in der Natur des Menschen ‘als Sinnenwesens’. Denn
‘allgemeine Naturgesetze’ als unerfahrbar haben ‘ihren Grund in unserem Verstande’.19
Die Gesetzmäßigkeit der Natur als im Verstand begründet kann daher nur als in der
Natur des freien sinnlichen Menschen vorausgesetzt die Zweckmäßigkeit sein. Diese
Natur des Menschen ist es, die Kant eben in den Formen der Urteilskraft zu entfalten
versucht. Bemerkenswert ist hier andererseits, dass die Natur in ihrem Recht schon
damit als die Natur des Menschen, d. i. die Vernunft vorbestimmt ist, die Gesetze
denken und nach denselben handeln kann. Das Naturrecht wird daher in der Metaphysik
der Sitten schlechthin als ‘das a priori durch jedes Menschen Vernunft erkennbare
Recht’, d. i. als das Vernunftrecht definiert, das mit dem positiven Recht die
systematische Rechtslehre bildet. Demzufolge ist auch der Naturzustand der noch nicht
bürgerliche, aber schon gesellschaftliche Zustand des Privatrechts, aus dem gemäß dem
in der Vernunftidee bzw. im Vernunftrecht liegenden Postulat des öffentlichen Rechts in
den Zustand desselben mit der äußeren Zwangsgewalt überzugehen ist.20
Das Naturrecht wird in der ein Jahr vor der Kantischen Metaphysik der Sitten
erschienenen Schrift Fichtes, d. i. in der Grundlage des Naturrechts, im gleichen Sinne
betrachtet. Das Naturrecht ist Fichte zufolge das Recht derjenigen Natur, ‘welche
18
Jaeschke unterscheidet zwei damalige Kritiker des Naturrechtsbegriffs, die sich auf Hegel erheblich
auswirkten. Deren einer sei allerdings Kant, der auch in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten die
Natur als den deskriptiven Bereich, wo ‘keine Norm gesetzt’ sei, differenziere. Der andere sei Edmund
Burke, der in seinen Reflections on the Revolution in France im Gegensatz zu Kant den
Naturrechtsanspruch kritisiere, der mit seinem ‘künstlichen, „gemachten“ Ideal’ von ‘Natur = Vernunft =
Aufklärung = Revolution’ ‘die Wirklichkeit des geschichtlich vorhandenen Rechts zerstöre’. Dadurch
behält Hegel das Gleichgewicht der mit der sinnlichen Wirklichkeit vermittelten Vernunft seit seiner
Jugendzeit auch hier weiter. HH, S. 366-367.
19
KU, AIVI-LV.
20
MSr, AB44, 139-140, A157-165 (B156-158, 193-194).
213
mehrere vernünftige und freie Wesen neben einander, in der Sinnenwelt, wollte, indem
sie mehrere der Ausbildung zur Vernunft und Freiheit fähige Leiber producierte’, als ob
sie, mit Verstand und Willen, nichts anderes als dies Nebeneinander der freien
Vernunftwesen planen würde. Es ist daher das Vernunftrecht zwischen den freien
Vernunftwesen ‘in einem gemeinen Wesen’. Es ist das Urrecht, das den Grundsatz der
positiven Gesetze in einer Gemeinschaft bildet. Dies Gemeinwesen ist für Fichte vor
allem der Staat. Der ‘Staat selbst wird der Naturzustand des Menschen, und seine
Gesetze sollen nichts anderes seyn, als das realisirte Naturrecht’. Denn es gibt kein
Naturrecht zwischen Menschen außer dem Gemeinwesen.21 Die Naturrechtslehre der
kritischen Philosophie macht insgesamt keinen Gebrauch vom empirischen Naturbegriff.
Hegels Kritik im Naturrechtsaufsatz richtet sich zuerst also nicht sowohl auf das Detail
des durch die kritische Philosophie dargestellten Naturrechts als vielmehr auf ihr
“Princip der dem empirischen sich entgegensetzenden Apriorität”, das das Naturrecht
als rein formelle Wissenschaft konstruiert. Dies Prinzip beruht nicht zuletzt auf ihrem
Verständnis der “Unendlichkeit” bzw. des Absoluten (JKS 430). Ihr Absolutes ist Hegel
zufolge nichts anderes als “das negativ Absolute”, weil es lediglich durch die
Abstraktion seiner reinen Form und die Negation des mannigfaltigen Seins des
Endlichen aufgefasst wird. Alle Entgegengesetzten sind in der Reinheit der Form gleich.
Die reine Idealität eines Baums ist nichts anderes als die von seiner materiellen
Einzelheit abstrahierte, reine Realität desselben. Das Un-endliche in seiner Formalität
ist das absolut Endliche, das Endliche in seiner formellen Absolutheit. Das Unbestimmte ist das absolut Bestimmte in seiner formellen Bestimmung.22 Vor allem ist
die reine Identität “unmittelbar reine Nichtidentität oder absolute Entgegensetzung”,
weil das, was formell nicht zum Gegenstand oder entgegengesetzt wird, nicht identisch
sein kann. Durch diese Abstraktion wird auf der einen Seite die reine Einheit der
Vernunft errungen, die das Absolute genannt wird. Dafür wird andererseits “die Realität,
oder das Bestehen der entgegengesetzten” in ihrer materiellen Konkretheit in
“empirischer Weise” “fixiert” und als Unreines, Unvernünftiges, also zu Negierendes
aufgestellt (JKS 431). Das Prinzip der Apriorität der rein formellen Naturrechtslehre ist
das Prinzip dieser Entgegensetzung der formellen Einheit der reinen Vernunft gegen das
Endliche, Viele und Reelle. Wenn die empirische Naturrechtslehre durch die formelle
Abstraktion empirisch vorgefundene Elemente in den ursprünglichen Zustand
hineinbildet, denkt die rein formelle in gleicher Weise aus dem Zustand des
21
Fichte: Grundlage des Naturrechts, S. 93, 148-149. Fichte selbst korrigiert also später 1812 seinen
Ausdruck so; ‘Naturrecht, d. i. Vernunftrecht, und so sollte es heißen’. Das System der Rechtslehre, S. 498.
22
Aller Extremismus in jedem Bereich der Theorie und der Praxis trifft so aufeinander.
214
Vernunftrechts die empirischen Elemente hinweg, um die absolut reine Bedingung für
das Recht und die Moralität herauszustellen. Aber ihr behauptetes Absolutes ist nur
negativ und hat daher keine positive Realisierung in der Welt. Außerdem ist die
Naturrechtslehre der kritischen Philosophie wegen ihrer Reinformalität zwar unter der
reinen Einheit der Vernunft in die objektive Rechtslehre und die subjektive Tugendlehre
eingeteilt, aber diese Teile haben inhaltlich miteinander nichts zu tun.23 Nur in solcher
Entgegensetzung ist sie eine reine Einheit, aber eben deshalb läuft Hegel zufolge auch
das apriorische Prinzip selbst der Sittlichkeit auf “das Princip der Unsittlichkeit” hinaus,
gleichwie alle Gegensätze in ihrer reinen Form gleich sind (JKS 437). Denn es gibt gar
keine Bestimmtheit, die nicht “in die Begriffsform aufgenommen und als eine Qualität
gesetzt”, dann “zu einem sittlichen Gesetz gemacht werden könnte” (JKS 436). Kants
berühmtes Beispiel vom Depositum,24 dessen Niederlegung niemand beweisen kann,
zeigt die formelle Einheit durch ein einseitig gewähltes der entgegengesetzten Glieder.
Die Ableugnung des Depositums zur Maxime zu machen führt Kant zufolge unter der
Prüfung der allgemeinen Gesetzgebung zum Resultat, dass es gar kein Depositum geben
würde. Dann widerspreche dies dem, dass ein Depositum möglich sei, daher könne die
Ableugnung keine Maxime werden. Aber dieser Widerspruch ist in Hegels Augen
überhaupt kein realer, sondern nur formaler, wie im formallogischen Widerspruchsatz
alles und das jeweils Entgegengesetzte als Glieder aufgestellt werden können. D. h. das
Depositum und das Nichtdepositum stehen hier nur im formellen Gegensatz. Und alle
Glieder des Gegensatzes sind in dem Punkt gleichgültig und gleichwertig, dass sie eben
im Gegensatz, also als entgegengesetzte sind. Auf der einen Seite wird zwar das
Nichteigentum hergeleitet, aus dem aber sein Widerspruch mit dem Eigentum nicht
deduziert, sondern einfach formell gesetzt ist, weil andererseits das Eigentum als
bestehend gesetzt ist. Aber das Warum des Bestehens des Eigentums als Maßstab ist
nicht erklärt, sondern de facto ist nur auf dem einseitigen Standpunkt, dass Eigentum
sein soll, gefordert, dass jene Maxime ausgeschlossen werden muss. Schließlich ist
nichts darüber erläutert, warum ein Eigentum bestehen muss und warum also jene
Ableugnung des Depositum unerlaubt ist. Dies alles ist erklärbar nur aufgrund dessen,
“was außerhalb des Vermögens dieses praktischen Gesetzgebens der reinen Vernunft
liegt” (JKS 436). Sonst ist die Gesetzgebung dieser Vernunft lediglich petitio principii.
Ihr Prinzip ist des Weiteren insbesondere in seiner Anwendung unsittlich. Um Hegels
berühmtes Beispiel anzuführen, hat die Maxime, den Armen zu helfen,25 wenn als
23
24
25
MSr, AB13-18. Fichte: Grundlage des Naturrechts, S. 10-11.
KpV, A49-51.
GMS, AB56-58.
215
Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gedacht, zur Folge, entweder, dass es keine
Armen mehr gibt, weil ihnen allgemein geholfen wurde, oder dass durch die Hilfe
allgemeine Armut herbeigeführt wird. Schließlich wird es keine Menschen mehr geben,
denen geholfen werden kann oder die helfen können. Die “Maxime also als allgemein
gedacht hebt sich selbst auf” (JKS 439). Hegel spricht daher auch dieser
Behandlungsweise der Naturrechtslehre “für das Wesen der Wissenschaft alle
Bedeutung” ab (JKS 419).
Wenn die erste Jenaer Geistesphilosophie die Idealität des kontraktuellen Elements der
Naturrechtslehre verwirft, kritisiert die zweite die Fiktivität des Naturzustandes
derselben. Hegel hat hier vor allem den Naturzustand des Hobbes im Sinne. Dieser
Zustand ist “das freye gleichgültige Seyn von Individuen gegeneinander”, in dem sie
“keine Rechte und keine Pflichte gegeneinander” haben, sondern nur “der Begriff der
gegeneinander freyen Selbstbewußtseyne gesetzt” ist. Dies Setzen der freien
selbstbewussten Individuen als Ursprung aller Rechte wird von Hegel als ein wichtiges
Verdienst Hobbes’ angeführt.26 Aber seine Willkürlichkeit liegt dagegen auch darin,
dass es unerklärt ist, nach welcher Notwendigkeit der Zustand eingeführt wird und was
für Rechte und Pflichte daraus entstehen. Lediglich weil es im Naturzustand keine
Rechte und Pflichten gibt und weil jeder den Begriff seines freien Selbstbewusstseins
realisieren muss, muss der Zustand schlechthin verlassen werden. Die Aufhebung dieses
Zustandes wird des Weiteren aber “in der That bewußtlos” vollzogen, d. i. “daß der
Begriff nicht in den Gegenstand fällt”. Jeder nämlich realisiert nicht seinen Begriff
selbst als das freie Selbstbewusstsein zu einem Gegenstand, sondern er wird so gedacht,
dass er für solche Realisierung den Zustand verlassen hat. Das Subjekt dieser Annahme
könnte kein anderer als der Naturrechtslehrer sein, von dem auch Rechte bzw. Pflichten
als die Bedingung der Realisierung äußerlich aufgestellt werden.27 Obzwar der Begriff
des Individuums von Hobbes als das freie Selbstbewusstsein gut angesetzt ist, wird die
26
Jaeschke zufolge besteht Hobbes’ Fortschritt vor allem darin, dass die Freiheit des Menschen trotz
seines Naturrechtsansatzes ‘nicht kontraktualistisch’, sondern bereits im Naturzustand, wo kein Unrecht
ist, weil kein Recht ist, nicht nur als ‘ein Faktum’, sondern auch als ‘die alleinige Quelle des Rechts’
begründet, wodurch das Normen bildende Faktum der menschenrechtlichen Freiheit einzig denkbar wird,
während sie bei anderen Theoretikern außer Kant und Hegel erst durch die Kontraktschließung zum
Übergang vom unfreien Naturzustand zur Gesellschaft verbürgt wird. Jaeschke, Walter: Zur Begründung
der Menschenrechte in der frühen Neuzeit, S. 184-212. Ihm zufolge gelangt diese Begründung auch in der
Staatsphilosophie des Hobbes zur ‘Entsubstantialisierung der traditionellen Religion’ und ‘Ausbildung
eines künstlichen Staatskultes’. Jaeschke, Walter: Der Glaube als Hüter der Verfassung, S. 107-109. Über
den Einfluss von Hobbes auf Hegel siehe Bobbio, Norberto: Hegel und Naturrechtslehre MR, S. 93- 103.
27
Zwischen der kontraktualistischen Rechtfertigung der dem Einzelnen fremden, seine Freiheit
einschränkenden Macht und dem Terror der modernen Revolution besteht also ‘ein notwendiger
Zusammenhang’. Schnädelbach, Herbert: Hegel und die Vertragstheorie, HS 22, S. 117-120. HH, S. 370371.
216
Notwendigkeit des “exeundum e statu naturae” außerhalb dieses Begriffs nur
hineingedacht (J III.214). Eben das Recht selbst ist Hegel zufolge die erste Realisierung
des Begriffs. Aus “diesem Begriff soll es entwickelt werden”. Hingegen ist das Recht
der Naturrechtslehre nicht bewusstseinsimmanent, das Individuum weiß es also nicht als
seine Realisierung. Und eben deswegen liegt auch die Notwendigkeit des nach oder
zugleich mit dem bewusstlosen Exodus abzuschließenden Vertrags nicht in den
Kontrahenten selbst oder in ihrem Selbstbewusstsein.
Hegel lehnt schließlich das Naturrecht und dessen Elemente ab und setzt an dessen
Stelle seine Anerkennungstheorie. Freilich bezieht Hegel nicht allein eine negative
Einstellung gegen die Naturrechtslehre, weshalb er oft als in ihrer Bewertung
schwankend angesehen wird. Aber klar und deutlich ist, dass er keine unrealistischen
Elemente des Naturrechts übernimmt. Der Naturzustand und der Vertrag, die erdichtet
und formell abstrahiert sind, können daher nicht einmal konstruktiv für seine
Anerkennungstheorie sein. Sie werden vielmehr nur insofern ausführlich erläutert, als
sie Realität in der Welt des Menschen haben. Der Vertrag wird also nur als zwischen
Individuen über konkreten Inhalt realiter geschlossen in Betracht gezogen. 28 Der
Naturzustand ist also auch nur insofern Gegenstand der Betrachtung, als er ein wirklich
rechtloser Zustand ist. Ihn erkennt Hegel, wie nachher zu sehen ist, in der zweiten
Geistesphilosophie eben am Verhältnis der souveränen Staaten zueinander und später in
der Rechtsphilosophie auch an der bürgerlichen Gesellschaft der Neuzeit über die
Wirksamkeitsgrenze des Rechts hinaus.29 Er macht andererseits das Kampfmoment des
Naturrechts dem Bewusstsein immanent. Diese bewusstseinsimmanente Kampftheorie
als die Grundlage und der Verlauf der Gesellschaft und des Rechts ist seine
Anerkennungstheorie. Nur aus diesem Grunde versteht es sich also gut, dass er
wiederum in der zweiten Geistesphilosophie vom Naturzustand redet, nämlich insofern
dieser der Zustand des Kampfes aus der inneren Notwendigkeit des Bewusstseins des
Individuums ist. 30 Die Bewegung der Anerkennung also “hebt eben seinen
28
‘Der Vertrag als Naturrechtsfigur’ gehört bei Hegel nicht einmal ‘a priori’ ‘zum Begriff des Rechts
selber’, wie Schnädelbach deutet, auch nicht zur Gestaltung der anerkennenden Beziehung, sondern
insofern er als konkreter Vertrag zwischen anerkannten Individuen abgeschlossen wird, gehört er zur
Anwendung und Entwicklung des Begriffs des Rechts, daher zur anerkennenden Beziehung.
Schnädelbach, Herbert: Hegel und die Vertragstheorie, HS 22, S. 113-117.
29
J III., S. 274-275. GPR § 289, § 333. HH, S. 387-390, 398-400.
30
Hegels Rechtslehre ist also Wissenschaft ‘der inneren Logik des freien, sich objektivierenden Willens
und ihrer Stellung zum Selbstbewusstsein der Freiheit’, die Jaeschke zufolge in den Jenaer
Systementwürfen erst ansatzweise und später in der Rechtsphilosophie verschärft dargestellt wird. HH, S.
371. Die Übergehung dieses Charakteristikums kann dagegen leicht zur Missdeutung wie bei Ilting
führen, der das abstrakte Recht und die Moralität in der Rechtsphilosophie nur als ‘eine methodische
Fiktion’ für ‘die Bestätigung einer Hypothese’ betrachtet. Ilting glaubt de facto die zwei Stufen mit der
‘Fiktion eines Naturzustandes’ vergleichen zu können. Ilting, Karl-Heinz: Die Struktur der Hegelschen
217
Naturzustand auf”. Ihre logische Notwendigkeit liegt in der selbstrealisierenden Struktur
des Bewusstseins und ihre ontische Wirklichkeit in der rechtsbildenden Struktur der
Gesellschaft und des Staates. Das Recht ist der realisierte Begriff des freien und
selbstbewussten Individuums. Der Begriff des Individuums muss daher das Individuum
zum Recht befähigen. Seine Rechtsfähigkeit ist aber schlechterdings nichts anderes als
seine selbstbewusste Freiheit. Das Individuum in Hinsicht dieser Rechtsfähigkeit ist
gerade die “Person”.31 Der Begriff des Individuums ist die rechtsfähige Person, deren
Inhalt “das freye Selbst”32 ist. Dies realisierte Selbst der Person ist zum einen das Recht.
Aber indem sich das Individuum als für sich und selbstständig nur in der
ausschließenden Beziehung auf das andere realisieren kann, muss das Recht zum
anderen auch solche Beziehung sein, deren Ausschließlichkeit überwunden ist. Der
Prozess dieser Überwindung ist der Kampf um Anerkennung; als dessen Resultat ist das
Recht also “die Beziehung der Person in ihrem Verhalten zur andern”. Das Recht ist als
diese Beziehung “das allgemeine Element ihres freyen Seyns”. Die rechtsfähige Person
ist bereits durch die bisherige Bewusstseins- oder Geisteslehre als das selbstständige
und freie Individuum erreicht. Daher braucht das Recht nicht anderswoher
herbeigebracht zu werden, sondern für die Rechtsbildung ist es nur nötig, die
Selbstrealisierung des Individuums in der Beziehung auf andere zu verfolgen. Diese
Selbstrealisierung ist selbst das “Erzeugen des Rechts überhaupt, d. h. der
anerkennenden Beziehung”. Der Mensch ist, wie vorher betrachtet, als das
selbstbewusste und selbstständige Individuum für sich das geistige Anerkennen selbst.
Er “wird nothwendig anerkannt und ist nothwendig anerkennend” (J III.215). Lediglich
Rechtsphilosophie MR, 53-62. Zum Einwand gegen Ilting siehe Fulda, Hans Friedrich: Zum Theorietypus
der Hegelschen Rechtsphilosophie. HPR, S. 408-410.
31
Die Person ist bei Hegel schlechthin nur der Begriff des Subjekts oder des freien Willens, insofern der
freie Wille sich als selbstbewusstes Allgemeines auf sich in seiner Einzelheit bezieht, also auch als das
rechtsfähige Subjekt betrachtet werden kann. In der Persönlichkeit des Subjekts ist daher nach der
Rechtsphilosophie “das Wissen seiner als Gegenstandes, aber als durch das Denken in die einfache
Unendlichkeit erhobenen und dadurch mit sich rein-identischen Gegenstandes”, d. i. das Wissen vom
gegenständlich verallgemeinerten Selbst. Dieses Wissen lässt sich nicht allein, wie in der Interpretation
Iltings, der Kantischen psychologischen Persönlichkeit zuschreiben, die das Vermögen hat, ‘sich der
Identität seiner selbst in den verschiedenen Zuständen seines Daseins bewußt zu werden’. Denn Hegels
Persönlichkeit ist nicht nur ein solches Vermögen für das Bewusstsein der Selbstidentität, sondern ferner
sein bewusstseinstheoretisch von allem konkret Beschränkten abstrahiertes und als dessen Wesen
erreichtes Allgemeines in seinen einzelnen Handlungen und Beziehungen praktisch-rechtlich zu
realisieren und sich auf sein vergegenständlichtes Selbst zu beziehen. Sie ist mit einem Wort der
ontologische Begriff des Subjekts in seiner praktischen Adäquatheit. GPR § 35, MS AB22, Ilting, KarlHeinz: Rechtsphilosophie als Phänomenologie des Bewußtseins der Freiheit. HPR, S. 230-231.
32
Dieser Rechtsbegriff, der ‘mehr ist als eine formale Sammelbezeichnung für den Inbegriff der Gesetze,
sondern etwas über die Wirklichkeit des Rechtsinhalts sagt’, kann den Defekt des modernen, rein
formalen Gesetzesbegriffes bewältigen, der gesetzliches Unrecht nicht ausgrenzen kann. Kaufmann,
Arthur: Grundprobleme der Rechtsphilosophie, S. 21-38, 121-138.
218
aus dieser Bewegung lässt sich das Rechtsverhältnis der Gesellschaft oder, nach der
ersten Geistesphilosophie, die wirkliche Sitte des Volkes gut erklären. 33 Die
gesellschaftliche Wirklichkeit des Menschen ist “kein stillschweigender oder
ausgesprochener Urvertrag” (J I.315). Sie ist das Werk und zugleich die Bühne der
anerkennenden Tätigkeit des Menschen selbst. “Das Anerkennen ist also das Erste, was
werden muß” (J III.218).34
1.3. Kampf und dessen Auflösung
Das äußere Moment des Anerkennungskampfes in den beiden Geistesphilosophien ist
bekanntermaßen der Besitz. In der ersten Geistesphilosophie setzt jeder Einzelne “in der
Einzelnheit seiner Existenz sich als ausschliessende Totalität”. Dies bewusste Setzen
muss auch “wirklich werden”, indem er auch schlechterdings wirklich da sein muss. In
diesem Dasein oder “in seinem erscheinenden Seyn” kann er als die Totalität bereits
nicht umhin, dem anderen gegenüber ausschließend zu sein. Insofern jeder zusammen
mit anderen besteht und bestehen muss, kann sich das äußere Sein eines jeden am
anderen stoßen. Also verursacht selbst eine bloße Störung des einen im bloß äußeren
Dasein die wirkliche Ausschließung des anderen. In diesem Fall lässt sich der
Zusammenstoß freilich zumeist einfach durch die Abtrennung eines Individuums lösen.
Aber nicht in dem Fall des bloß äußeren Daseins, sondern des Daseins als Besitzes führt
die Störung zur aktiv einander ausschließenden Handlung. D. h. in seinem Besitz
müsste jeder “besonders nothwendig gestört werden, denn im Besitze liegt der
Widerspruch”. Der Widerspruch des Besitzes, der hier zum ersten Mal erwähnt ist,
besteht Hegel zufolge eben im Verhältnis des Gegenstandes zum Subjekt. Mit einem
Wort ist er der Widerspruch des einzelnen Subjekts mit dem allgemeinen Ding der Natur.
Die Allgemeinheit eines Dings, das freilich nur als einzelnes existiert, heißt die
33
In diesem Sinne erfasst Hegels Naturrecht bereits im Naturrechtsaufsatz ‘das Sittliche’. Kimmerle,
Heinz: Die Staatsverfassung als „Konstituierung der absoluten sittlichen Identität“ in der Jenaer
Konzeption des „Naturrechts“ HR, S. 138-141. Über das Naturrecht als ein Recht ‘von Natur aus’ ‘nur
aufgrund der Vernunft als innerstem Wesen des Menschen’ in der Rechtsphilosophie, siehe Fulda, Hans
Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, S. 200-203.
34
In der Rechtslehre oder Rechtsphilosophie Hegels als Lehre vom objektiven Geist sind daher die
innere Unabhängigkeit des bewusstseinstheoretisch entwickelten Subjekts und die hier erläuterte
Anerkennung desselben als gegeben vorausgesetzt. Das Werden des Begriffs des Rechts als Dasein des
freien Willens fällt “außerhalb der Wissenschaft des Rechts”. Für sein Werden ist der Begriff des Vertrags
als Gegenstand bereits des Rechts ungeeignet. GPR § 2. Siep, Ludwig: Intersubjektivität, Recht und Staat
in Hegels ,Grundlinien der Philosophie des Rechts’. HPR, S. 257-264. Das vorausgesetzte Werden des
Rechts ist auch nicht einmal durch irgendwelche teleologische Metaphysik der Idee, wie in Dreiers
Interpretation, sondern bewusstseinstheoretisch oder geistesphänomenologisch erreicht, wie die bisherige
Darstellung zeigt. Dreier, Ralf: Recht – Moral – Ideologie, S. 326-341.
219
allgemeine Äußerlichkeit, d. i. die Andersheit seiner Beziehung. Das Ding kann sich
zwar nicht aus sich selbst auf andere beziehen, aber von allen anderen bezogen werden.
Deshalb kann es überall da sein, wo sein Bestehen nicht wesentlich gestört wird. Hegel
drückt dies als “ein allgemeines der Erde” aus. In dieser Hinsicht enthält es in sich keine
Bestimmung der Zugehörigkeit zu einem besonderen bewussten Einzelnen. Ein
einzelnes Subjekt, das seine Totalität erreichte, will dieses Ding in seiner Macht haben.
Die Besitzergreifung ist daher eine widersprüchliche Handlung, und der Besitz ist das
Ergebnis des einseitigen Setzens seitens des Bewusstseins allein, “was wider die Natur
des Dings als eines allgemeinen aüssern ist” (J I.309). 35 Im Besitz liegt der
Widerspruch der Einzelheit des seiner Totalität bewussten Subjekts mit der äußeren
Allgemeinheit des einzelnen Dings. Indem die Besitzergreifung eines Einzelnen gar
keine eigentümliche Bestimmung des Dings ist, ist sie offen auch gegenüber allen
anderen Einzelnen. Und insofern jeder einzelne, der als ausschließende Totalität besteht,
sich eines bestimmten Dings bemächtigt, ist dies für einen anderen notwendig die aktive
Störung, die Verletzung seines Seins. Diese Verletzung ist selbst notwendig, sobald ein
äußerlich allgemeines Ding von einem anderen in Besitz genommen wird.
Wenn die erste Geistesphilosophie den Besitz als die widersprüchliche Handlung des
Einzelnen wider die äußere Allgemeinheit des Dings erläutert, ist der Besitz in der
zweiten Geistesphilosophie auch ein solcher Widerspruch der einzelnen
Besitznahmehandlung mit dem allgemeinen Recht des Subjekts, “Selbst zu seyn”. Auf
dies Recht gründet sich das Recht des Besitzes. Der Besitz ist die Äußerung des
allgemeinen Rechts, ein Selbst zu sein. Das Individuum kann bereits als das freie Selbst
für sich sein und sich selbst als dieses Selbst erkennen und anerkennen. Die
Anerkennung seines Selbst aber muss auch äußerlich gelten. Der Begriff des
Individuums, Selbst zu sein, ist äußerlich “die Macht gegen alle Dinge”. Daher kann das
Individuum auch das, was zum Selbstsein nötig ist, in Besitz nehmen. Aber diese
35
Der Widerspruch des Besitzes liegt bei Kant nicht im Begriff des Besitzes selbst, sondern, nach seiner
Schrift Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, in der Möglichkeit der ‘Läsion’ durch ‘Gebrauch’,
den ein anderer von einem Ding macht, das ich nicht physisch besitze. Um der Läsion vorzubeugen,
müsste ich also alles äußerlich Benutzbare als das Meine haben, dies würde dann dem Besitz jedes
Einzelnen als der subjektiven Bedingung der Möglichkeit des Gebrauchs überhaupt widersprechen.
Hierfür schlägt Kant also die Unterscheidung des ‘sinnlichen’, physischen, und des ‘intelligiblen’, bloß
rechtlichen Besitzes vor. Der Besitz wird hier nicht sowohl aus dem inneren Widerspruch der Handlung
selbst als vielmehr äußerlich von der rechtlichen Seite des besitzexternen Gebrauchs her erklärt. Die
Frage, wie der Besitz als die subjektive Benutzbarkeit objektive Rechtlichkeit erhält, wird daher auch
nicht durch das immanente Moment des Besitzsubjekts selbst wie im Streit oder Kampf, sondern gemäß
der apriorischen Vernunftidee im Rechtslehrer außer dem Subjekt, endgültig nur durch den Übergang vom
privatrechtlichen Naturzustand in den bürgerlichen Zustand des öffentlichen Rechts aufgelöst, der unter
der Voraussetzung des intelligiblen Gesamtbesitzes insbesondere des gesamten Bodens das Recht des
Besitzes peremtorisch und distributiv garantiert. MSr, AB55-56, 63-90.
220
Besitznahme wird nur als “die sinnliche Bemächtigung” des nicht sein Selbst allgemein
realisierenden, sondern des “als einzelner” außer sich und dem Ding “einen dritten”
ausschließenden Individuums vollzogen (J III.216). In seinem ausschließlichen Haben
ist das Individuum unmittelbar, nicht mehr für sich. Denn sein Sein als das allgemeine
Selbst ist unmittelbar beschränkt durch ein einzelnes Ding, an dem alle anderen keinen
Teil haben sollen. “Das sinnliche unmittelbare, worauf das Allgemeine angewandt ist,
entspricht diesem nicht”, und eben insofern ist der Besitz nur die um der Entsprechung
willen vom Individuum wiederholte, “schlecht unendliche Theilung” (J III.217). Also ist
der Besitz “Widerspruch des Habens und des Fürsichseyns” (J III.216). Er ist nämlich
Widerspruch der unmittelbaren Einzelheit der Besitznahme und der Allgemeinheit des
für sich seienden Selbst. Wie allgemein das Selbst auch sein mag, so kann es sich doch
nicht außer in der einzelnen Beziehung auf das einzelne Ding erhalten und realisieren.
Insofern ist der Widerspruch unausweichlich. Die Besitznahme ist in Ansehung ihrer
Unmittelbarkeit “nicht an sich allgemein”, sondern “immer ein Widerspruch”, und ihre
Angemessenheit zum jeweiligen Bedürfnis des Individuums für sein Selbstsein
“widerspricht dem reinen Selbst, der Gleichheit, die gerade dem Rechte zu Grunde
liegt”. Und weil noch kein Recht zwischen Individuen außer dem Recht auf Selbst und
Ding hier aufgestellt ist, sind die sinnliche Bemächtigung eines jeden und die
Ausschließung des dritten darum noch unbegrenzt und völlig “dem Zufalle
anheimgestellt”, worin “keine Vernunft” wirksam ist (J III.217). Die denkbare
Auflösung der Vernunft ist, quasi in der Vertragstheorie, keinen unmittelbar
genommenen, sondern nur “durch Vertrag” vermittelten Besitz anzuerkennen. Aber
hierfür müssen im Voraus die Kontrahenten vor allem selbst anerkannt sein. Jedes
Individuum ist bereits an sich als “die Liebe”, als das geistige Anerkennen “diß
Anerkanntseyn” (J III.218). Es geht nun um das Anerkanntsein eines jeden in der
Beziehung auf den anderen. Dies zieht sich insofern notwendig durch den
Kampfprozess hindurch, als sich die Selbstständigkeit bzw. Totalität eines jeden nicht
aufgeben lässt. Das dadurch gegenseitig anerkannte Individuum wird, wie unten, und
ganz anders als in der Vertragstheorie, das wirkliche Subjekt des Vertrags36 über den
Besitz sein, der das Recht zwischen Individuen impliziert.
In der ersten Geistesphilosophie läuft der Anerkennungskampf nun folgendermaßen.
Jeder Einzelne, der das totale Bewusstsein hat, tritt wegen der unmittelbaren
Besitzergreifung ins wirkliche Verhältnis der wechselseitigen Negation ein. Jeder
schließt von seinem Besitz den anderen “thätlich” aus, stellt seinen vom anderen
verletzten Besitz nicht her. Dies wird vom anderen ebenfalls dafür gehalten, dass jener
36
Der Vertragsgedanke hat also bei Hegel ‘seinen Ort ausschließlich im Privatrecht’. HH, S. 386.
221
ihn dadurch verletzt und das “als das seinige” Gesetzte negiert. Insofern jeder Einzelne
als die Totalität besteht, ist für ihn “das von dem andern negirte” nicht ein bloß äußeres,
sondern “als in seiner Totalität seyend” zu behaupten. Indem jeder so “seine Totalität als
eines einzelnen behauptet”, dreht es sich hier nicht um die Negation des Besitzes nur als
eines Teils im anderen, sondern um die der Totalität des anderen selbst (J I.309).
Insofern jeder die Totalität des freien und selbstständigen Bewusstseins ist, ist diese
logische Radikalisierung von der exklusiven Besitznahme bis zur gegenseitigen
Negation der Totalität selbst notwendig. Das gegenseitige Anerkennen der Totalität, das
jeder Einzelne beim Besitz in Anspruch nimmt, wird also “eine negative Beziehung der
Totalität”. Jeder setzt nun seine ganze, in der Beziehung auf den anderen “erscheinende
Totalität”, d. i. “sein Leben an die Erhaltung” irgendeines einzelnen Besitzes und geht
zugleich ebenso “auf den Tod des andern”. Dieser Kampf ist so widersprüchlich wie der
Besitz. Denn jeder will darin die Einzelheit seines Seins als Totalität und die Einzelheit
seines Besitzes indifferent, gleichermaßen behaupten. Im Vorgriff auf die Formulierung
der Wissenschaft der Logik gesagt, löst und hebt sich der Widerspruch auf, da er die
gegenseitig negierende Beziehung der unverträglichen Entgegengesetzten ist.
Gleichfalls führt die Reduktion von allem, was den “ganzen Besitz, und die Möglichkeit
alles Besitzes und Genusses, das Leben selbst” eines jeden bedeutet, auf den einzelnen
Besitz zur Aufhebung dieses allen, inklusive dieses einzelnen Besitzes. Der
Widerspruch des Kampfes ist, gleich wie im Besitz, im Grunde genommen der
Widerspruch der Einzelheit der Existenz eines jeden mit der Totalität bzw.
Allgemeinheit seines Bewusstseins. Der Kampf wird de facto dadurch verursacht, dass
jeder seine Totalität als eines Einzelnen, nämlich die “Totalität der Einzelnheit”,
durchsetzen will. Dies hat aber durch den Kampf lediglich die Aufhebung seiner als der
“Totalität der Einzelnheit” zur Folge. Hierdurch anerkannt ist nur die “vern[ünftige]
Totalität” eines jeden Bewusstseins, das die Totalität des Seins als seinen Begriff in sich
vereinigt und äußerlich bestätigt, aber eines Bewusstseins, das sich zwar für die
Realisierung seiner Totalität im Kampf durchsetzt, allein nun wegen der Aufhebung
seiner einzelnen Totalität nicht als solche existieren kann (J I.310). D. h. lediglich die
vernünftige Fähigkeit des Einzelnen für seine Totalität ist in Gestalt des Kampfes
erwiesen und anerkannt. Wirklich anerkannt ist nur das ideale Vermögen, das nicht mehr
realiter in der Einzelheit eines jeden bestehen kann. Durch den Kampf erwiesen ist
dennoch auf der einen Seite das vernünftige Vermögen des freien Einzelnen, eben das
unendliche Vermögen seiner sich bis zum Tod einsetzenden Freiheit, wie schon erwähnt.
Auf der anderen Seite deutet der Kampf auch an, dass die Vernunft, die sich gänzlich in
der reinen Form des Einzelnen durchsetzen, als die Aufhebung oder Beherrschung des
222
anderen erscheinen will, letztlich im Kampf sogar die Basis ihres Bestehens verliert.37
Der Anerkennungskampf geht de facto vom Bewusstsein aus, das seine Totalität in der
Einzelheit seiner Existenz aufbewahren will. Daher ist zuerst in der Erscheinung die
Einzelheit seiner Totalität anzuerkennen. Jeder steht nur als Einzelner in der Welt. Ich
kann also nicht unmittelbar “von dem andern wissen, ob er Totalität seye”, bevor er,
wenn er von mir “bis auf den Tod” getrieben wird, sein Vermögen erweist, gleichsam
sein Leben daran zu wagen. Wenn er sich selbst von dem Tod fernhält und die
Verletzung durch mich nur als Verlust seines einen Teils oder seines ganzen Besitzes in
Kauf nimmt, ist er mir unmittelbar nur “eine nicht Totalität”. Wenn ich nicht auf den
Tod des anderen ziele, sondern “den Streit vor dem Tödten” beende, erweise ich mich
ebenfalls nicht als Totalität, sondern erkenne nur die Totalität des anderen an. Das
Anerkennen jedes Einzelnen als Totalität kann nicht anders als in den Kampf auf Leben
und Tod geraten. “Diß Anerkennen der Einzelnheit der Totalität führt also das Nichts
des Todes [herbei]” (J I.311). Die Ursache dieses negativen Ergebnisses liegt
entscheidend am totalen Bewusstsein. Das Bewusstsein, das seine Totalität durch die
Einzelheit seiner Existenz durchsetzen will, führt letzten Endes zur Vernichtung der
Einzelheit, also seiner Totalität selbst. Insofern der existierende Einzelne das totale
Bewusstsein hat, ist dies Ende unumgänglich. Die Anerkennung des Einzelnen als
Totalität in der Beziehung auf den anderen ist daher wesentlich der unversöhnbare
Kampf. Mit Hegels Begriff der Anerkennung hat also eine Vertragstheorie der
Gesellschaft oder eine Kommunikationstheorie ohne dieses Moment des bewusstseinsbzw. subjektimmanenten Kampfes nichts Gemeinsames.
Das nur durch den Kampf errungene Anerkennen der Einzelnen ist so “absoluter
Widerspruch in ihm selbst”. Doch der Widerspruch hebt sich auf. D. h. wenn das
Anerkennen meines Bewusstseins als einer Totalität im anderen Bewusstsein
verwirklicht wird, bedeutet dies gerade den Tod der Einzelheit des anderen im Kampf
oder zumindest die Aufhebung seines Bewusstseins als einer anderen Totalität. Die
Anerkennung, die nicht durch einen Gleichrangigen vollzogen wird, ist schon keine
Anerkennung mehr. Daher ist die Verwirklichung des Anerkennens geradewegs die
Aufhebung desselben. Das Bestehen eines solchen widersprüchlichen Anerkennens ist
nämlich das Aufheben des Bestehens. Aber diese Aufhebung des Anerkennens kommt
gar nicht zum Schluss der Unmöglichkeit der Anerkennung schlechthin. Das totale
Bewusstsein kann in der Beziehung auf das andere “nur als ein Anerkanntwerden”
37
Dies ist das alleinige Resultat der ‘unvernünftigen Vernunft’, ‘die herrschen will’, also ‘notwendig zu
Gewalt’ und Kampf mutiert. Dann wäre der Anerkennungskampf Hegels der Geburtsort der mit der
Geschichte vermittelten, vernünftigen Vernunft. Jaeschke, Walter: Eine Vernunft, welche nicht die
Vernunft ist Jc, S. 210-211. HH, S. 147.
223
bestehen. Insofern muss die Anerkennung für es möglich sein. Sie ist zudem bereits
wirklich, insofern die Gesellschaft schon aufgrund ihrer realiter da ist. Zu erklären ist
daher nur, worin die Möglichkeit der bereits präsenten Anerkennung eigentlich liegt.
Diese sieht Hegel weiterhin im Kontext des Kampfes. Das Ergebnis des
Anerkennungskampfes bedeutet gemäß unserer Reflexion, dass das anerkannte totale
Bewusstsein “nur ist, indem es sich aufhebt”. Dieses Sein ist realiter nur das Nichts des
Todes, falls der Kampf wirklich geführt wird. Aber das totale Bewusstsein hat des
Weiteren bereits dies Vermögen unserer Reflexion. Es ist das Bewusstsein, das den
ganzen Kampfprozess für sich reflektieren und erkennen kann.38 Also erkennt es die
Aufhebung seiner selbst als conditionem sine qua non seiner Anerkennung. Es erkennt,
dass es, um anerkannt zu werden, aufgehoben und aufgeopfert werden muss. Es
verwandelt damit seine reale Aufhebung durch den Kampf in eine ideale Aufhebung. Es
will daher nun seine Totalität nicht durch die Einzelheit der unmittelbaren Existenz
durchsetzen, sondern setzt zuerst aus sich selbst seine Totalität “als eine aufgehobene”.
Denn jeder erkennt nun, dass die Totalität seines Bewusstseins in seiner Einzelheit, d. i.
die einzelne Totalität seines Bewusstseins, nur als eine solche aufgehobene anerkannt
werden kann. Die sich so setzende, einzelne Totalität des Bewusstseins ist “eine sich
selbst aufhebende”. Ohne diese Selbstaufhebung ist sie in ihrer Realisierung immer
widersprüchlich und endet in ihrer Vernichtung. Die unmittelbare Totalität des
Bewusstseins des Einzelnen, wie vollständig es auch sein mag, ist unrealisierbar, daher
überhaupt kein wahrhaft Allgemeines. Dagegen ist die einzelne Totalität als von sich
selbst aufgehoben ferner bereits als “eine anerkannte” realisiert. Denn ihr
Aufgehobensein ist eben das, was das andere Bewusstsein in jenem Kampf um seine
Anerkennung erzielt. Sie besteht nun als aufgehobene, so wie im anderen Bewusstsein,
und ist von ihm als solche anerkannt. Ihr durch sich Aufgehobensein ist ihr
Anerkanntsein im anderen. Diese Selbstaufhebung wird freilich wechselseitig vollzogen.
Die daraus resultierende gegenseitige Anerkennung geht also über den Kampf auf
38
Die Bedeutung der Reflexion des Bewusstseins in sich für die Auflösung des Kampfes ist hier zum
ersten Mal thematisiert. Vgl. Bonsiepen, Wolfgang: Der Begriff der Negativität in den Jenaer Schriften
Hegels, HSB 16, S. 88-89. Siep, Ludwig: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, S. 178190. Eben deshalb hat Hegels Rechtslehre eine Entwicklung, die außerhalb ihrer liegt, zur Voraussetzung.
Das Bewusstsein ist bereits als totales zu seiner Freiheit gelangt und hat sein freies Dasein als Recht. Das
totale Bewusstsein in der ersten Jenaer Geistesphilosophie, der selbst erkennende, freie Wille in der
zweiten Geistesphilosophie und das Selbstbewusstsein in der Phänomenologie des Geistes sind zumindest
für sich schon unserer Reflexion fähig, also ist der Begriff des an und für sich freien Willens in der
Rechtsphilosophie nicht nur für uns, sondern auch für das Bewusstsein selbst. Sonst hätte die
Rechtsphilosophie quasi noch eine ‘Phänomenologie des Bewußtseins der Freiheit’ nötig, wie Ilting meint.
Aber sie ist gar keine andere Phänomenologie, sondern schlechthin Ontologie des selbst objektivierenden
und objektivierten Geistes als Recht. Vgl. Ilting, Karl-Heinz: Rechtsphilosophie als Phänomenologie des
Bewußtseins der Freiheit. HPR, S. 225-254.
224
Leben und Tod hinaus. Und die so anerkannte einzelne Totalität ist nun eben “absolut
allgemeines Bewußtseyn”, das Hegel hier als den das Volk konstituierenden, absoluten
Geist ausdrückt (J I.312).
Nach der zweiten Geistesphilosophie beruhen die Aufhebung des Kampfes und das
Erreichen der Anerkennung auf dem Wissen von sich als aufgehoben im anderen,
ähnlich wie auf dem Erkennen des Bewusstseins für sich in der ersten
Geistesphilosophie. Jeder ist durch die Ausschließung und Überwältigung im Kampf
idealiter als ein Aufgehobenes im anderen und realiter als ein Aufzuhebendes durch den
anderen. Charakteristisch hierfür ist, dass der Anerkennungskampf nicht geradewegs in
dem Nichts des Todes, sondern davor in der höheren Ungleichheit endet. Diese “höhere
Ungleichheit”, die als der logische Ausdruck der Beziehung von Herrschaft und
Knechtschaft in der gleichzeitig geschriebenen Phänomenologie des Geistes anzusehen
ist, gewinnt mehr an geschichtlicher39 und gesellschaftlicher Realität, die auch das
Wissen von sich als aufgehoben im anderen konkret kategorisieren kann. Denn in der
realisierten Ungleichheit ist dieses Wissen auch wirklich. Dadurch steht auch das
reflektierende Erkennen des Bewusstseins als das Kernmoment der erreichten
Anerkennung in der ersten Geistesphilosophie ferner auf der wirklichen Basis.
Als ein weiterer Charakter ist in der zweiten Geistesphilosophie schon mehr präzisiert,
dass es im Besitz nicht darum geht, wer sich zuerst eines Dinges sinnlich bemächtigt
und damit den anderen ausschließt, sondern es geht um die schon geschehene Tatsache
selbst, dass irgend jemand bereits, wenn auch “ruhig unbefangen”, etwas in Besitz
genommen und zugleich den anderen ausgeschlossen hat (J III.219). Im bereits
ergriffenen Besitz weiß jeder nur seinesgleichen, d. i. “des Anderen fürsichseyn im
Andern”, das für dessen Selbstständigkeit das Fürsichsein des ersteren ausgeschlossen
hat (J III.218). Der Ausgeschlossene setzt also seinerseits ebenfalls “sein
ausgeschlossenes Für sich seyn”, “sein Mein”, in den Besitz des Ausschließenden,
damit “sein Selbst” “in das Wissen” dieses Besitzers selbst. Dadurch entsteht die
Beleidigung oder Verletzung wirklich, die subjektiv dafür gehalten wird, aber noch
nicht rechtlich ist. Aller Streit um Besitz geht, genauer gesagt, also nicht um die erste
unmittelbare Bemächtigung, sondern um deren Exklusivität und Berechtigung in der
Beziehung des Wissens beider (J III.219). Und insofern es um das Wissen eines jeden
von “sich als fürsichseyn” und dessen Realisierung im ausschließlichen Besitz geht, ist
der Kampf zwischen Individuen um Anerkennung notwendig der bewusst geführte
39
Höchstwahrscheinlich
wegen
der
logischen
Eigenschaft
als
Grundlegung
der
geistesphänomenologischen Erfahrung des Bewusstseins hat der Jenaer Sittlichkeitsbegriff ‘starke
historische Konnotationen’, während er in der Rechtsphilosophie ‘zu einem formell
geschichtsindifferenten Begriff’ wird. HH, S. 385.
225
“Kampf auf Leben und Tod” (J III.221).
Zwischen diesen Kampf und die erlangte Anerkennung stationiert Hegel eben die oben
erwähnte “höhere”, “neue Ungleichheit” als das unmittelbare Resultat des Kampfes. Die
erste Ungleichheit vor dem Kampf ist nur physische, in diesem Sinne auch Gleichheit,
denn “das herrenlose Ding” lässt sich physisch von jedem beliebigen aneignen.
Hingegen hat jeder im Kampf die Absicht, sich nicht eines solchen Dings, sondern des
Fürsichseins des anderen um bereits angeeigneten Besitz zu bemächtigen. Der Kampf
endet mit dem erfolgten Setzen des einen, nicht ins Ding, sondern ins Fürsichsein des
anderen. Dies ist zwar nicht Ungleichheit in der Beziehung der Individuen auf das Ding,
aber eine neue, höhere Ungleichheit in der Beziehung zwischen Individuen.40 Diese
ungleiche Beziehung ist nichts anderes als die zwischen Herrn und Knecht. Und die
Auflösung der Ungleichheit liegt gleichfalls eben in der ungleichen Beziehung selbst.
Diese höhere Ungleichheit erklärt Hegel stillschweigend als den Zustand, in dem die
Beleidigung oder Verletzung des aus der ersten Besitznahme Ausgeschlossenen
gelungen ist. Allerdings könnte auch die Verletzung des Ausschließenden logisch oder
geschichtlich erfolgreich sein, wenn er auf seinen Besitz Leben setzen könnte. Allein
der bereits aus seinem Sein Ausgeschlossene müsste leichter mit seiner nur reinen und
leeren Selbstständigkeit im Kampf die Gefahr des Todes laufen. Wichtig ist aber vor
allem, dass die herbeigeführte Ungleichheit, in der das wahrhafte Fürsichsein beider
äußerlich unmöglich ist, aufgehoben werden muss. Die Ungleichheit ist de facto “schon
an sich aufgehoben”. Denn sie impliziert selbst zugleich die Aufhebung eines jeden als
des Fürsichseins. Das Ausschließen in der Besitznahme ist schon durch die Beleidigung
oder Verletzung aufgehoben, aber in der Ungleichheit als deren Resultat sind beide auch
“ausser sich”, in diesem Sinne aufgehoben. Zum einen setzte sich der Beleidiger im
Kampf in das Fürsichsein des anderen. Daher besteht sein Fürsichsein de facto im
Beleidigten. Nämlich er ist außer sich und “sich Gegenstand” (J III.219). Zudem ist sein
Setzen nur “auf Kosten des andern” möglich, daher hierauf beschränkt. Er restituierte
zwar sein verlorenes Sein für sich, aber hat es nicht im unmittelbaren Besitz, sondern
lediglich im überwältigten anderen. Wer sein Fürsichsein im anderen hat, ist nicht mehr
für sich. Zum anderen verlor der Beleidigte im Kampf seinen Besitz, und sein
Fürsichsein ist nun verletzt und aufgehoben. Stattdessen ist in ihm “ein Fremdes für sich
seyn” des Beleidigers gesetzt, daher gleichfalls unselbstständig und unfrei (J III.220).
Das fremde Fürsichsein in sich gehört nicht ihm, sondern kommt vom Beleidiger her.
Auch er ist also außer sich und “sich Gegenstand”. Jeder hat letztlich sein Fürsichsein
40
Hegels Erwähnung der höheren Ungleichheit erinnert also an Rousseaus Unterscheidung von der
physischen und gesellschaftlichen Ungleichheit.
226
nur gegenständlich, d. i. nur in seinem Gegenstand. Sich Gegenstand zu sein heißt “ein
Wissen” von seinem Selbst zu haben, das an der Stelle des Gegenstandes steht. Sich im
Gegenstand zu haben ist nichts als das Wissen oder Erkennen. Eben durch dies Wissen
entsteht die Aufhebung der Ungleichheit realiter für beide. D. h. jeder ist nun “seiner im
Andern bewußt, zwar als ein aufgehobenes”, obwohl er “dem anderen gelten” wollte (J
III.219). Jeder weiß sein aufgehobenes Fürsichsein im anderen auch in dem Maße
wirklich, wie die höhere Ungleichheit wirklich vorhanden ist. Durch dieses wirkliche
Wissen setzt jeder wiederum, aber nun in anderer Weise, wirklich “sein bewußtes Für
sich seyn”. Weil das Fürsichsein eines jeden nach dem Wissen nur als ein Aufgehobenes
im anderen gilt, also nur so anerkannt werden kann, setzt jeder es nun nämlich als ein
solches Aufgehobenes. Dies Setzen ist nicht mehr das Überwältigen des Daseins des
anderen, sondern vielmehr “das durch sich vollbrachte Aufheben des Daseyns” eines
jeden im Besitz (J III.220).41 Jeder wird nicht als das unmittelbare Dasein im Besitz,
sondern als ein solches anerkannt, dessen Einzelheit vermittels des Wissens aufgehoben
ist. Insofern er so den unmittelbar genommenen Besitz nicht als sein Fürsichsein
verallgemeinert, sondern dies Fürsichsein in seinem einzelnen und äußeren Dasein als
aufgehoben in der Beziehung auf den anderen setzt, ist er schon an sich anerkannt. Denn
als dies Aufgehobene gilt jeder bereits für den anderen. Und als dies Anerkanntsein
kann jeder nun erst in der anerkennenden Beziehung den anderen auch seinen Besitz
anerkennen lassen. D. h. er ist das wirkliche Subjekt der Sittlichkeit.
Das allgemeine Durchsetzen des Fürsichseins durch sein einzelnes Dasein oder das
unmittelbare Verallgemeinern der Einzelheit des Daseins für sein Fürsichsein, was
lediglich zum Kampf führte, wird daher durch das Selbstaufheben der Einzelheit und
durch das Wissen und Setzen seines darin realisierten Fürsichseins als des
Aufgehobenen überwunden. Die vernünftige Selbstverallgemeinerung des Einzelnen ist
in die vernünftige Bildung und Beziehung des allgemeinen Selbst durch die
Selbstaufhebung des Einzelnen verwandelt. Diese notwendige Entwicklung nennt Hegel
also einerseits wiederum die “List” der “Vernunft”. Der Wille zum Anerkennen ist der
Wille, der sein Selbst als dies Aufgehobene weiß. Der dieses wissende Wille ist nicht
ein Wille, der sein einzelnes Dasein unmittelbar mit seinem allgemeinen Fürsichsein
einseitig vereinigt, sondern “vollkommen in seine reine Einheit reflectirter” Wille, der
als das in seinem aufgehobenen Dasein gesetzte, bewusste Fürsichsein rein vereinigt
und allgemein anerkannt ist. “Dieser wissende Willen ist nun allgemeiner” Wille, der
41
Dies oder, mit anderem Wort, das Setzen seines Daseins als Aufgehobenes ist eben das Aufheben des
Kampfes, nicht das Moment dafür, sich im Kampf als Ehre zu behaupten. Vgl. J III., S. 220, Fußnote 2.
und Siep, Ludwig: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, S. 65-66.
227
bereits nichts anderes als “das Anerkanntseyn” ist (J III.221). Der Einzelne mit solch
einem Willen ist also andererseits eben als Subjekt der rechtlichen Beziehung der
Anerkennung, wie des Tauschs, Vertrags u. a. “die Person. Der Willen des Einzelnen ist
der allgemeine, und der Allgemeine ist [der] einzelne”. Der Wille aus dem Wissen des
Einzelnen ist allgemein und zugleich als das Wollen des Einzelnen einzeln. Das
Verhältnis der Einzelnen mit dem Willen gemäß der Allgemeinheit ihres Wissens ist
Hegel zufolge schlechthin “Sittlichkeit überhaupt”, die “unmittelbar aber Recht” der
Person ist (J III.222). Die Einzelnen mit dem wissenden Willen treten in die
anerkennende Beziehung der Personen ein, durch die das Anerkanntsein als ihr freies
Dasein unmittelbar eben Recht ist. Und der Inbegriff der Beziehung, d. i. der
anerkennenden Tätigkeit und der anerkannten Ergebnisse, konstituiert eben die
Sittlichkeit überhaupt, deren anerkannte, also rechtliche Elemente bald zu betrachten
sind.
Die Erreichung der Sittlichkeit durch die Selbstaufhebung und Anerkennung des
Einzelnen ist in der ersten Geistesphilosophie etwas ausführlicher erläutert. Die
Aufhebung der einzelnen Totalität durch sich selbst ist de facto doppelte Aufhebung,
kurz, der Einzelheit und der Totalität. Sie ist einerseits Aufhebung der Totalität des
Bewusstseins, das in der Einzelheit der Existenz besteht. Insofern jeder Einzelne selbst
diese einzelne Totalität seines Bewusstseins aufhebt und als Aufgehobenes setzt, ist das
“Seyn des aufgehobenseyn der einzelnen Totalität” nicht mehr beschränkt in der
Existenz des einen Einzelnen, sondern auch im anderen Bewusstsein als anerkannt. Die
aufgehobene Totalität des Bewusstseins, das über seine einzelne Existenz hinausgeht, ist
eine “absolut allgemeine”, die nun in jedem Einzelnen existieren kann. Das Bewusstsein
dieser Totalität ist “absolut allgemeines Bewußtseyn”, das auch in jedem Einzelnen
insofern absolut realiter vorhanden ist, als er mit anderen in einer Gesellschaft lebt (J
I.312). Dieses Bewusstsein nennt Hegel hier den absoluten Geist oder den “Geist, als
absolut reales Bewußtseyn”. Im letzteren Ausdruck ist der Geist als objektiver gut
hervorgehoben. Dagegen verrät jene Nennung des absoluten Geistes zum einen noch die
Unvollständigkeit seines philosophischen Systems, in dem sie später endgültig durch
den objektiven Geist ersetzt wird, aber zum anderen beruht sie wegen der häufigen
Benutzung des Prädikats höchstwahrscheinlich bloß auf dessen ursprünglicher Semantik
von absolut, d. i. ‘abgelöst, vollendet, vollkommen, uneingeschränkt, unbedingt’.42 Der
absolute Geist hier wäre dann kein spezifischer Titel für eine Stufe des Systems,
sondern hieße allein das allgemeine Bewusstsein, das selbst sogar sich in der Einzelheit
seiner Existenz aufhebt und davon befreit. Allgemeines kann in der Welt nur als
42
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 127.
228
Einzelnes existieren. Aber ohne Aufhebung und Befreiung von seiner Einzelheit kann
kein Allgemeines wahrhaft existieren. Um dieser wahrhaften Existenz willen fällt das
einzelne Naturding letztlich der Vernichtung anheim. Es ist gerade nur das bewusste
bzw. geistige Seiende, das sich in der Einzelheit aufhebt und zugleich als sich
Aufhebendes und bildendes Allgemeines in der Einzelheit weiter bestehen kann.
Insofern ist das Bewusstsein allgemeines und reales Bewusstsein, in dem der Geist als
die Einheit der Einzelheit und der Allgemeinheit nun absolut realisiert wird.
Die Selbstaufhebung besagt freilich keine reale Selbstvernichtung, sondern ideelle
Selbstaufhebung oder ideelles Setzen des Selbst als Aufgehobenes, das also auch
Bereitschaft zur realen Selbstopferung sein kann. Sie ist in diesem Hinblick andererseits
auch Aufhebung der Einzelheit, in der sich das allgemeine Bewusstsein bildet und
erhebt. Die einzelne Totalität des Bewusstseins als ideell aufgehobene ist “nicht mehr
einzelne”, sondern “sich selbst diß aufgehobenseyn ihrer selbst”. Meine Totalität ist
nicht mehr nur meine, sondern als aufgehoben die Totalität aller. Meine Einzelheit ist
nur eine bloße Möglichkeit für das Bestehen der Totalität, gar keine abgesonderte
Wirklichkeit, in der diese für sich ist. Die absolut allgemeine Totalität besteht für sich
lediglich über die Einzelheit hinaus oder in der aufgehobenen Einzelheit. Sie ist, “was
sie unmittelbar für sich selbst ist”, nur im Bewusstsein eines solchen Einzelnen, der “auf
sich Verzicht getan hat” und “immer zum Tode” seiner Einzelheit “bereit ist”. In der
aufgehobenen Einzelheit eines Einzelnen schaut ein anderes Bewusstsein der Totalität
also eben sich selbst an oder ist eben als das Bewusstsein jenes Einzelnen. In der
Einzelheit eines jeden besteht sein Bewusstsein der Totalität als aufgehobenes, als das
auch das andere Bewusstsein in ihm sein kann. Dies ist gerade darum möglich, weil die
Einzelheit eines jeden nicht nur für seine Existenz, sondern darüber hinaus offen für die
Existenz alles Bewusstseins der Totalität ist. Seine Einzelheit ist so aufgehoben, dass sie
für seine Existenz gleichwie für die Existenz anderer totaler Bewusstsein eine
Möglichkeit ist. Des Weiteren kann die Einzelheit seiner Existenz eher um des sich
aufhebenden und bildenden, allgemeinen Bewusstseins willen aufgegeben und aufopfert
werden. Dies bedeutet nicht einmal Vernichtung der Einzelheit, sondern die Bildung der
absoluten Einzelheit, in der die Allgemeinheit existiert. Die so aufgehobene Einzelheit
ist als existierend die “absolute Einzelnheit” (J I.313). Sie ist nichts anderes als die
Unendlichkeit, in der der Geist als die wesentliche Einheit des Mannigfaltigen besteht.
Dies heißt allerdings ebensowenig, dass die aufgehobene Einzelheit eines jeden
unmittelbar die Unendlichkeit, wie oben das Bewusstsein der aufgehobenen Totalität der
absolute Geist ist. Diese Identifikation der aufgehobenen einzelnen Totalität mit der
Absolutheit des Geistes müsste vielmehr in der logischen Identität ihrer Struktur
229
verstanden werden. Dies bedeutet ferner, dass jeder Einzelne nun das wirkliche Subjekt
des Geistes, des geistigen Allgemeinen, daher der Sittlichkeit als der Wirklichkeit des
Allgemeinen geworden ist. Während also die Selbstaufhebung der Totalität dem Weg
zur Bildung und Entwicklung des Allgemeinen angehört, richtet sich die
Selbstaufhebung der Einzelheit nach der wahrhaften Realisierung des Allgemeinen.
Hierin liegt das Moment der Selbstopferung nach der Notwendigkeit des auf den Kampf
reflektierenden Bewusstseins, in jenem ist das Moment der Gemeinschaftlichkeit
impliziert.
Bezeichnend für die sich aufhebende einzelne Totalität eines jeden ist daher zum einen
die absolut allgemeine Totalität, zum anderen die absolute Einzelheit, Unendlichkeit.
Aber insofern diese noch im Werden sind, sind in der einzelnen Totalität de facto die
drei Formen des Seins, des Aufhebens und des Seins als Aufgehobenseins “absolut als
Eines gesetzt”. Jede einzelne Totalität ist da als sich aufhebend und zugleich als so
ideell aufgehoben. Diese drei Formen sind nichts anderes als die Grundstruktur der
Anerkennung. Sie heißen auch die gesellschaftliche Grundstruktur des Bewusstseins,
solange es nur als anerkannt ist. Sein “Anerkanntwerden ist seine Existenz”. Notwendig
dafür ist vor allem die Selbstaufhebung des Bewusstseins. Jedes Ding ist und vergeht,
so wie es gegeben ist. Nur das bewusste Seiende erhebt sich über sein Sein, hebt sich
auf, wird als aufgehoben anerkannt und existiert als anerkanntes Allgemeines. Das
allgemeine Bewusstsein als aufgehoben ist daher “zugleich die ewige Bewegung des zu
sich selbst werden eines, in einem andern, und des sich anders werden in sich selbst”.
Das sich verallgemeinernde Bewusstsein in dieser Bewegung ist “absolute Substanz”
bereits in dem geistesphänomenologischen Sinne der Substanz als Subjekt.43 D. h.
43
Hegels eigener Substanzbegriff ist in seinem ersten philosophischen Auftreten bereits über den
traditionellen Begriff hinaus von der Subjektivität infiltriert. Hegel sieht schon zumindest in der
Frankfurter Zeit das Hauptprinzip des Göttlichen als den Geist, als den er in der ersten Jenaer Zeit des
Weiteren das Absolute entwickelt. Siehe S. 76-79. Zudem weiß er bereits in der Berner Zeit von der
philosophischen Revolution in den Briefen Schellings und Hölderlins, Fichtes absolutes Ich mit Spinozas
Substanz gleichzusetzen. HH, S. 13. Obschon er damals diesen Versuch verfehlt, musste er in dieser
Atmosphäre von Beginn an auf eigene Weise die Substanz auch subjektiv und geistig zu verstehen suchen.
Seine berühmte Formel ‚Substanz = Subjekt’ kommt freilich erst in dem zweiten Jenaer Systementwurf
wörtlich zum Vorschein, aber die Substanz hier in dem ersten Entwurf ist aus dem erklärten Grunde auch
bereits bewusster und geistiger Begriff. J II., S. 140-141. Sie heißt ‘eben die sich mit sich vermittelnde
Wirklichkeit des geistigen Lebens eines Volks’. HH, S. 163. Das irrige oder schematische Verstehen
dieses Substanzbegriffs verursacht eine unzutreffende Kritik der substanzialistisch missdeuteten
Sittlichkeit Hegels oder eine Interpretation, die die Substanz Aristotelischer oder/und Spinozistischer
Provenienz in der ersten Jenaer Geistesphilosophie und die Subjektivität Fichtescher Provenienz in der
zweiten nur als verschiedene Aspekte betrachtet. Über den ersteren, Nagl, Ludwig: Gesellschaft und
Autonomie, S. 27-51. Über den letzteren, Riedel, Manfred: Hegels Kritik des Naturrechts, HS 4, S. 177204. Düsing, Klaus: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, HSB 15, S. 134-149. ders.: Politische
Ethik bei Plato und Hegel, HS 19, S. 133-134. ders.: Hegels Vorlesungen an der Universität Jena, HS 26,
ders.: Ontologie bei Aristoteles und Hegel, HS 32, S.15. 86-89.
230
insofern es nun Allgemeines nicht allein theoretisch erkennt, sondern ferner praktisch
bildet und entwickelt, ist es ein solches Bewusstsein, dessen Bewegung das Allgemeine
der Akzidentiellen absolut zu Grunde liegt (substat) und sich entwickelt. Lediglich in
diesem sich bewegenden Bewusstsein existiert die Substanz absolut. Dies Bewusstsein
nennt Hegel eben den “Geist eines Volks” und “die Seite seiner Bewegung” “die
absolute Sittlichkeit”. Das sich über seine Einzelheit erhebende Bewusstsein ist
Bewusstsein des Gemeinwesens, des Volks, als solchen, Geist des Volkes, und seine
ewige Bewegung also selbst die absolute Sittlichkeit des Volkes. In der Bewegung ist
jeder bewusste Einzelne nun als Mitglied des Volkes “ein sittliches Wesen”. Jeder ist das
wirkliche Subjekt des sittlich verfassten Volkes. 44 Das jeweils durch seine
anerkennende Bewegung erlangte allgemeine Bewusstsein ist die allgemeine Sittlichkeit
als eine bestimmte Wirklichkeit seines Volkes. Das Wesen jedes Einzelnen ist daher “die
lebendige Substanz der allgemeinen Sittlichkeit”, die in mannigfaltigen Existenzformen
erscheint (J I.314). Diese mannigfaltigen Erscheinungsformen der Sittlichkeit sind
Hegel zufolge “die Sitten des Volks”, die als Vielfalt von Zeremonien, Institutionen,
Rechtsverhältnissen u. a. vorhanden sind und in denen sich das sittliche Leben des Volks
vergegenständlicht (J I.315).
Im Hinblick auf Termini und Konzept entfaltet die erste Geistesphilosophie auf der
Linie der “Philosophie der Sittlichkeit” vom Naturrechtsaufsatz (JKS 479-484)
ausgehend aus der anerkennenden Bewegung die institutionellen Konstituentien des
Volkes, während sich die zweite Geistesphilosophie an der Herleitung der immanenten
Rechtsverhältnisse in den institutionellen Konstituentien des Staates orientiert. Aber
trotz der Änderung zwischen beiden fungieren und entwickeln sich ihre sittlichen
Elemente weiter als Momente der sittlichen Wirklichkeit, deren subjektive und
objektive Seite, anerkennende Tätigkeit und anerkannte Entelechie, enzyklopädisch
gesagt, objektivierender und objektivierter Geist nun in Betracht kommen.
2. Volksgemeinschaft
2.1. Volk und Werk
Wie schon gesehen, besteht die Anerkennung nach Hegel aus drei Phasen, deren erste
das geistige Anerkennen selbst als Fähigkeit für die anerkennende Beziehung zu
Anderen, aber nicht durch den Anerkennungsprozess, sondern lediglich durch die
vorhergehende Bewusstseinslehre erklärbar ist, und deren zweite die anerkennende
44
Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 43.
231
Beziehung des totalen Einzelnen, der solche Fähigkeit hat, zu einem Anderen und in
erster Linie eben als der Kampf auf Leben und Tod zu erwägen ist. Aber erreicht durch
diesen typisierten Kampf ist nur das Anerkanntsein jedes Einzelnen als des sich
aufhebenden, also von sich selbst aufgehobenen, oder gerade als der Person, aber noch
nicht in ihrem gesellschaftlichen Dasein selbst, in Besitz, Tausch, Vertrag u. a. Hierin
liegt die nun zu betrachtende dritte Phase der Anerkennung als gesellschaftliche
Beziehung auf Andere.45 Diese Beziehung lässt sich in doppelter Hinsicht markieren.
Sie als die wirkliche Beziehung der Anerkennung in der Gesellschaft erweist zum einen
die Wirklichkeit des Kampfes um Anerkennung in der zweiten Phase, der ohne ideelle
Selbstaufhebung eines jeden realiter nur zum Nichts des Todes gelangt. Sie ist zum
anderen die wirkliche Bestätigung oder Realisierung des durch die Reflexion bzw. das
Wissen des Kampfes erlangten, daher noch ideellen Anerkanntseins als des sittlichen
Wesens oder der Person. Diese Struktur entspricht wiederum dem Standpunkt Hegels,
daß die Wahrheit zweimal, d. i. kognitiv erreicht und praktisch bestätigt und erst dann
etabliert wird.
Das Bewusstsein des Einzelnen ist nun das allgemeine Bewusstsein als Anerkanntsein
durch die Selbstaufhebung. Es bildet in der anerkennenden Beziehung auf anderes die
Allgemeinheit seiner und des anderen, und das so gebildete allgemeine Bewusstsein ist
eben der Geist des Volks. Der Einzelne mit der Bildungsfähigkeit ist also das sittliche
Wesen als Mitglied des Volks, und durch seine Tätigkeit wird das allgemeine
Bewusstsein als Wirklichkeit von Sitten, Institutionen, Rechtsverhältnissen u. a.
realisiert. Die Tätigkeit dieser Realisierung ist in concreto nichts anderes als eine
weitere Beziehung der Anerkennung auf den Anderen in der Gesellschaft, wo es nun
nicht um den totalen Einzelnen selbst vermittels des Besitzes, sondern um sein
gesellschaftliches Dasein als seine dingliche oder objektive Seinsbedingung geht. Die
Wirklichkeit als das Resultat der Tätigkeit konstituiert bekanntlich jeweils die
allgemeine Sittlichkeit des Volks, deren lebendige und tätige Substanz eben das Wesen
des sittlichen Einzelnen ist. Die Tätigkeit selbst des Einzelnen, durch die die allgemeine
45
Eichenseer teilt die Anerkennung Hegels in den Jahren 1803-1806, obwohl abgesehen von der
Fähigkeit des geistigen Anerkennens, doch treffend in drei Phasen ein, d. i. erstens die ‘reine
Anerkennung’ als ‘Kampf’, der ‘dem eigentlichen Anerkennungsverhältnis in jeder Hinsicht’ vorausgeht,
dann die ‘gesellschaftliche Reproduktion’ dieser Anerkennung’ im allgemeinen Verkehrsprozess, und
drittens die Anerkennung als ‘gewalthabendes Gesetz’, die ‘allgemeine Garantie’ derselben. Eichenseer,
Georg: Die Auseinandersetzung mit dem Privateigentum im Werk des jungen Hegel, S. 84. Dagegen wird
Siep zufolge nur der Kampf um Anerkennung in der Jenaer Zeit jeweils nach den Phasen der Ehre, d. i.
der Person, der Familie und des Volks eingeteilt, obwohl er selbst bemerkt, dass de facto ‘der Begriff der
Ehre in der Erörterung dieser Form des Kampfes’ im zweiten Jenaer Systementwurf ‘überhaupt nicht’ fällt.
Und zwar fehle dem Kampf hier die ‘Selbstaufhebung der Einzelheit im vollen Sinne’. Siep, Ludwig: Der
Kampf um Anerkennung, HS 9, S. 155-207, insbesondere 186-187.
232
Sittlichkeit konstituiert wird, ist Hegel zufolge auch formaliter die absolute Sittlichkeit
als die ewige Bewegung. Aber der Begriff der absoluten Sittlichkeit in der ersten Jenaer
Geistesphilosophie, der jedoch später keine Anwendung findet, ist de facto Relikt aus
den zwei früheren Schriften. Deren eine, d. i. der Naturrechtsaufsatz, unterscheidet die
absolute Sittlichkeit, “die ganz innwohnend in den Individuen und ihr Wesen” ist, von
der relativen, “die ebenso in den Individuen”, aber “reell ist”. Diese objektivierte
Realität der Sittlichkeit ist teils absolut indifferent von, und als “das reelle” teils relativ
identisch mit der absoluten Sittlichkeit, weil das als reell Bestehende die Endlichkeit der
Einzelheit der Existenz hat (JKS 454). In dieser Hinsicht verhält sich die absolute
Sittlichkeit zuerst “negativ gegen” das “System der Realität”, bis sie “durch
vollkommene Aufnahme des” formalen und realen “Verhältnisses in die Indifferenz
selbst” real und allgemein wird (JKS 453). Das System der Sittlichkeit definiert die Idee
der absoluten Sittlichkeit als “die Identität” der “Anschauung” des Einzelnen mit
seinem “Begriff”, die zum Erkennen als “ein Adäquatsein gedacht werden” muss und
zuerst “als Natur” im Sinne des Wesens, als “die natürliche Sittlichkeit” erscheint (SE
279-280). Diese Sittlichkeit gelangt ebenfalls durch das negative Verhältnis gegen das
reale System der Individuen hindurch zur positiven absoluten Sittlichkeit. Die
Zwischenstufe der absoluten Sittlichkeit, die sich als negative Sittlichkeit benennen lässt,
ist nach jener Schrift de facto unmittelbar die sittliche Tätigkeit des Einzelnen und in
dieser Schrift ebenso die Tätigkeit der reinen, also gegenüber der Sittlichkeit negativen
Freiheit des Einzelnen. Die “Sittlichkeit des Einzelnen” ist schlechthin “ein Pulsschlag
des ganzen Systems und selbst das ganze System” der Sittlichkeit (JKS 467). Die
absolute Sittlichkeit heißt daher mit einem Wort nichts anderes als die sittliche
Wesenheit des selbstständigen, freien, totalen Einzelnen, die im Naturrechtsaufsatz nur
ansatzweise als das absolute unmittelbare Gegenteil des Absoluten, als die reale
“Gestalt” desselben, also als ein dem Einzelnen selbst zuerst Negatives konzipiert ist
(JKS 453) und deren Organisation oder Verhältnis im System der Sittlichkeit lediglich
als adäquat vorausgesetzt und logisch-strukturell analysiert wird. Nun lässt sich
eingeschränkt auf den Sittlichkeitsbegriff Hegels sagen, dass die erste Jenaer
Geistesphilosophie den Bildungsprozess des Einzelnen bis zu seiner sittlichen
Wesenheit als der absoluten Sittlichkeit bewusstseinstheoretisch und die zweite gemäß
dem Begriff des Geistes entwickelt. Wegen der Einführung dieser genetisch-logischen
Erklärungsweise ist es zudem in der ersten Geistesphilosophie nicht nötig, der absoluten
Sittlichkeit einen systemkonstitutiven Status zuzuschreiben. Die absolute Sittlichkeit
besagt daher nun schlechthin die ewige Bewegung des über seine Einzelheit hinaus
Allgemeines bildenden und als Allgemeines bestehenden Bewusstseins des Einzelnen,
233
also des Geistes des Volks. Diese Bewegung ist ewig, insofern der Einzelne
selbstbewusst, d. i. verallgemeinerungsfähig, ist, also als solch allgemeines Bewusstsein
besteht, und insofern umgekehrt das Volk als die Entelechie des allgemeinen
Bewusstseins, d. i. als das Gemeinwesen der Einzelnen, weiter besteht. Sie ist auch
logisch ewig, insofern das Allgemeine in der Welt nur durch die ununterbrochen
selbstaufhebende Realisierung des Einzelnen existieren kann. Nun sind die realen
Gestalten dieser ewigen Bewegung zu erläutern, die insgesamt als gesellschaftliche
Beziehung der Anerkennung zu nennen ist. Aufgrund der strukturellen und thematischen
Ähnlichkeit entspricht diese Stufe der Geistesphilosophien dem zweiten Teil der
Sittlichkeit im Naturrechtsaufsatz und System der Sittlichkeit, d. i. der negativen
Sittlichkeit, während die erste absolute oder natürliche Sittlichkeit in diesen Schriften
ihre Entsprechung eben in der Bewusstseinslehre der Geistesphilosophien bis zum
sittlichen Subjekt inklusive des Kampfes um Anerkennung, und die dritte reale oder
positive absolute Sittlichkeit in der später zu betrachtenden Staatslehre findet.
Der Einzelne gerät nun als Mitglied des Volks in die gesellschaftliche Beziehung auf
den Anderen, und es kommt zur Beziehung der Anerkennung des gesellschaftlichen
Daseins des bereits als Person anerkannten Einzelnen. Das dadurch anerkannte äußere
Dasein eines jeden konstituiert nun die Grundlage der Volksgemeinschaft bzw.
Gesellschaft. Daher kann die Beziehung hier unter dem Titel der Volksgemeinschaft in
Betracht gezogen werden. Der Ausdruck „Volksgemeinschaft“ ist nach Hegels Begriff
des Volks eine Art Pleonasmus, weil das Volk für ihn, wie schon erwähnt, immer eine
soziale Einheit aus bestimmten Individuen in der Geschichte bedeutet. 46 Aber der
Volksbegriff als Einheit der Gesellschaft ist nur bis zur ersten Geistesphilosophie
beibehalten und wird in der zweiten Geistesphilosophie durch den Staatsbegriff ersetzt.
Jedoch ist der Staatsbegriff in der Jenaer Zeit noch ein solcher, der den
Gesellschaftsbegriff in sich enthält. Der Jenaer Hegel kommt noch nicht dazu, über die
vom Staat unabhängige Gesellschaft oder das Volk als einen getrennten Bereich
nachzudenken. Dies spiegelt zusammen mit der Aufgabe der Vereinigung in einen Staat
den damaligen Zustand der noch unentwickelten oder sich erst gestaltenden
bürgerlichen Gesellschaft47 in Deutschland wider. Eine neue, moderne Gesellschaft
46
Siehe S. 14.
Kimmerle zufolge bereiten die ausführliche Behandlung der ökonomischen Sphäre und die genauere
Erfassung der gegenseitigen Anerkennung in den beiden Jenaer Geistesphilosophien die spätere
Einführung der bürgerlichen Gesellschaft vor, die auch Weisser-Lohmann zufolge in der zweiten
Württemberg-Schrift (1817) nur andeutungsweise und erst in den ersten Vorlesungen über Naturrecht und
Staatswissenschaft (1817/18) als ein zweites Glied der berühmten Trichotomie der Sittlichkeit erörtert
werde, während die bürgerliche Gesellschaft der Frühzeit in der Aristotelischen Einheit mit dem Staat
bleibe. Kimmerle, Heinz: Die Staatsverfassung als „Konstituierung der absoluten sittlichen Identität“ in
47
234
sollte eine solche sein, die sich in einem vereinigten Staat ausformt. Also ist das Volk im
Naturrechtsaufsatz als “die absolute sittliche Totalität” definiert, mit der der antike
Polis-Staat und der naturrechtliche Staat der Neuzeit verglichen und bewertet
werden(JKS 449) 48 . Und auch im System der Sittlichkeit ist es zwar als die
“Anschauung” der “Idee der Sittlichkeit”, als “die Form, in der sie von Seiten ihrer
Besonderheit erscheint”, von der Konstitution des Staates als dem die Anschauung oder
Form der Besonderheit in die Einheit mit deren sittlichen Wesen bringenden, realen
Begriff, d. i. der totalen “Realität des Allgemeinen” Begriffs der Sittlichkeit
unterschieden, aber beide, d. i. das Volk und die in Gestalt der Regierung konkretisierte
Konstitution, bilden eine “wahrhaffte sittliche Totalität” (SE 340). Ebenfalls kann unter
der gleichen Totalität der Sittlichkeit in der ersten Geistesphilosophie, in der für den
verlorenen Textteil gemäß der Darstellung höchstwahrscheinlich eine rechtliche und
konstitutionelle Konstruktion des Volks zu erwarten ist,49das Volk, und in der zweiten
Geistesphilosophie der Staat als hervorgehoben angesehen werden, mit der wichtigen
Differenz, dass Hegel dazwischen auf den Volksbegriff als die natürliche Einheit einer
Gesellschaft verzichtet und sich mehr an dem Staat als bewusst geschaffener sittlicher
Organisation einer Gesellschaft orientiert. Die Volksgemeinschaft und der Staat werden
daher in diesem Kapitel als Volksstaatslehre ausgeführt.
Unter dieser Einteilung lässt sich die Volksgemeinschaft wiederum von zwei Seiten
betrachten. Von der subjektiven Seite der Anerkennung her können zuerst die
gesellschaftliche Tätigkeit des sittlichen Subjekts im Volk und deren Resultat als das
der Jenaer Konzeption des „Naturrechts“ HR, S. 141-147. Weisser-Lohmann, Elisabeth: „Divide et
impera“, HS 28, S. 193-214. Siehe auch HH, S. 387. Dagegen führt die Ignorierung dieser
entwicklungsgeschichtlichen Aussicht zur übertriebenen Missinterpretation wie bei Göhler und Roth, die
in den Jenaer Entwürfen die ‘Staatswerdung der bürgerlichen Gesellschaft’ durch ‘Bewegungen der
Selbsthingabe (Liebe) und der Selbstbehauptung (Kampf)’ sehen, oder bei Horstmann, der die bürgerliche
Gesellschaft des reifen Hegel ‘keineswegs als neues Element der Hegelschen Theorie’, sondern nur als
‘eine verhältnismäßig neue Kategorie’ ansieht, die seit Beginn allein zum Nachweis der Notwendigkeit
des Staates diene. Göhler, Gerhard u. Roth, Klaus: Der Zusammenhang von Ökonomie, Recht und
Staatsgewalt. ZPF 35, S. 501-518. Horstmann, Rolf-Peter: Über die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft
in Hegels politischer Philosophie MR, S. 293-294, 301-303.
48
Der Staat wird hier nur zweimal wörtlich erwähnt. JKS, S. 449, 451. Aber Bobbio zufolge ist hier
‘polis mit Volk übersetzt’, das sich bezüglich der sittlichen Totalität in fünf Hinsichten gut bezeichnen
lasse. D. h. das Ganze in der sittlichen Totalität im Aristotelischen Sinne komme erstens der Natur nach
‘vor den Teilen’ und stehe dann ‘über den Teilen’, insofern es aus diesen bestehe. Drittens sei die sittliche
Totalität als das Leben eines Volks selbst ‘ein historisches Ereignis’, wo viertens eine neue ‘Dimension
der Sittlichkeit’ eingeführt werde. Schließlich werde durch dieses Konzept die neuzeitliche
Naturrechtslehre distanziert. Doch Hegels Volksbegriff sei auch ganz different von dem der Historischen
Rechtsschule als der autogenetischen Matrix des Rechts. Bobbio, Norberto: Hegel und Naturrechtslehre
MR, S. 85-93. Dazu, Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, S. 42-44. HH, S. 147. Über
die Differenz von der Historischen Rechtsschule, Losurdo, Domenico: Hegel und das Deutsche Erbe, S.
272-277.
49
Diese Erwartung aber kann noch nicht als gesichert gelten. Siehe J I., Anhang, S. 350.
235
Werk des Volkes erklärt werden. Dies geschieht im zweiten Teil des Fragments 22 der
ersten Geistesphilosophie, den die Herausgeber unter den Kolumnentitel ‘das Volk’
gestellt haben. Hierin kehren die Kategorien der Bewusstseinslehre, aber diesmal als die
existierenden Formen im Volk wieder. Diesem Teil entspricht das zweite Kapitel,
“Wirklicher Geist”, in der zweiten Geistesphilosophie. Aber diese entfaltet zumeist die
objektive Seite des durch solche Tätigkeit Anerkanntseins, oder enzyklopädisch gesagt,
des objektivierten Geistes, wenn jene Tätigkeit die Seite des objektivierenden Geistes ist.
Und sogar mit der Ein- und Ausführung des Staatsbegriffs treten für den
gesellschaftlichen Bereich auch neue Kategorien wie Vertrag, Strafe und Gesetz auf, die
sich nicht mehr im Nebeneinander mit jenen Kategorien der ersten Geistesphilosophie
erörtern lassen, sondern eher einen Vergleich mit den Elementen der Rechtsphilosophie
erlauben. Wegen der unterschiedlichen Seiten der anerkennenden Beziehung und der
verschiedenen Inhalte der beiden Geistesphilosophien soll die Volksgemeinschaft nun
unter zweifachem Gesichtspunkt getrennt behandelt werden.
Das Volk in der ersten Geistesphilosophie, das unter dem ersteren Gesichtspunkt der
anerkennenden Tätigkeit thematisiert werden soll, hat bekanntermaßen das Spezifikum,
dass unter dem Volksgeist auch der absolute Geist verstanden wird, unbeschadet dessen,
ob dies nun die Unreife des Hegelschen Systems oder nur den etymologischen Sinn von
‘absolut’ zeigt. Aber deutlich ist, dass der absolute Geist hier keineswegs im Sinne der
zweiten Geistesphilosophie oder der Phänomenologie des Geistes zu verstehen ist. Dass
er in diesen beiden Schriften erst in den Bereichen der Kunst, Religion und der
Philosophie vorkommt, ist ein Indiz dafür. Ein anderer, mehr texttreuer Beleg lässt sich
aus dem Fragment zum Ende des ersten Jenaer Systementwurfs ist nur die Form
herausfinden, wo das absolute Bewusstsein, “weil es nur als Begriff existirt”, als “keine
Gegenwart in dem einzelnen Bewußtseyn als solchen” habend, als für dieses ein
“absolutes Jenseits” erklärt ist. Demnach ist das Streben eines Volkes “in der Form der
Einzelnheit”, das absolute Bewusstsein als die “Gestalt”, als dasjenige “Werk”
anzuschauen, das die einzelnen Volksmitglieder selbst hervorbringen und in dem sie
aufgehoben sind, gleich wie “eine göttliche Komödie” (J I.330-331). Dies impliziert,
dass der absolute Geist bzw. das absolute Bewusstsein ‘nicht mehr in den Begriffen der
sittlichen Sphäre’ des Volks schlechterdings zu formulieren ist.50 Darüber hinaus kann
die Rede vom absoluten Geist hier auch als Vorausnahme des Standpunkts unserer
Reflexion angesehen werden.51 Denn ungeachtet dieser Rede wird de facto hier zumeist
50
HH, S. 164.
Diese Vorausnahme stimmt mit der Textstruktur der Anfangsphase der ersten Geistesphilosophie
zusammen, in der zuerst die Erklärung des Geistes, des Wesens des Bewusstseins, und sogar des erst zu
51
236
das ewige Werden des Volksgeistes zu seinem Werk logisch dargestellt. D. h. zunächst
wird nicht der Volksgeist und sein Werk, sondern nur die logische Struktur seines
Werdens zum Werk erläutert, in der der absolute Geist liegt. Nicht erst in irgendeiner
geistigen Tätigkeit und irgendwelchen Werken des Volks wird der absolute Geist
erreicht, sondern eben in der Struktur dieser Tätigkeit, die vom Einzelnen durchgeführt
und ununterbrochen zum Werk des Volks konkretisiert wird, liegt der absolute Geist.
Auf dem Standpunkt unserer Reflexion ist er bereits wirksam in der Tätigkeit des
Einzelnen als Volksmitglied zum Werk des Volks. Diese Reflexion muss und kann auch
für das einzelne Bewusstsein selbst werden, das schon auf dieser Stufe die Fähigkeit
unserer Reflexion hat. Dafür muss zuerst seine gesellschaftliche Tätigkeit, die sein
verallgemeinerndes und verallgemeinertes Bewusstsein als den Geist des Volks und das
Werk des Volks bildet, in Betracht kommen. Erst dadurch wird sich die geistige
Tätigkeit des ganzen Volks unter der ewigen Struktur begreifen lassen. Eben hier ist der
absolute Geist erreicht, der aber dann nicht mehr im sittlichen Bereich, sondern in den
Bereichen des Erkennens des Absoluten selbst verstanden werden kann. Daher müsste
der absolute Geist des Volks in der ersten Geistesphilosophie angesichts der Bildung
und Entwicklung des Bewusstseins selbst auf den nicht erhaltenen, aber hinreichend
antizipierbaren Abschlussteil der Konstitution des Volks übertragen gelesen werden.
Nach unserer Reflexion definiert die erste Geistesphilosophie den absoluten Geist eines
Volks als “das absolute allgemeine Element”, als den “Äther, der alle einzelnen
Bewußtseyne” als Elemente “in sich verschlungen” hat, und als “die absolute einfache
lebendige, einzige Substanz”. Die naturphilosophischen Termini in dieser Definition wie
Element, Äther und Substanz betonen die objektive Realität und Beweglichkeit des
absoluten Geistes. Der absolute Geist ist das objektiv als Element, als Substanz
existierende, lebendige Allgemeine. Er ist das allgemeine Element, das absolut als die
ideellen Wesen aller Seienden existiert, der Äther52 aller einzelnen Bewusstseine, die
das Wesen des Seienden als ideelles Allgemeines selbst erkennend realisieren, und die
einfache und einzige Substanz, aufgrund deren alle Seienden nach ihrem Wesen absolut
erreichenden Geistes des Volks, dann die inhaltliche Entfaltung der Bewusstseinslehre selbst abgehandelt
wird. Hier wird ebenfalls zunächst der absolute Geist, danach die Volksgemeinschaft erklärt.
52
Der Äther ist das fünfte Element, das Aristoteles außer den vier Grundelementen für die Erklärung der
Bewegung der Himmelskörper einführte und die frühneuzeitliche Physik für die Erklärung des
Phänomens der fernwirkenden Kräfte wie Gravitation wieder aufgriff. Er ist in Hegels Geistesphilosophie
als das allgemeine Element der geistigen Bewegung metaphorisiert. Schnädelbach, Herbert: Hegels
praktische Philosophie, S. 114. Freilich, der Ätherbegriff wird vom Jenaer Hegel auch als ein
naturphilosophisches Prinzip einer ‘geistigen Materie’ bzw. eines ‘materiellen Geistes’ benutzt, sofern die
Naturphilosophie dem Systementwurf nach von der Metaphysik ausgeht. Über den Wandel des Begriffs in
der Hegelschen Naturphilosophie und in der damaligen Physik, Frercks, Jan: Artikel Äther, Hegel-Lexikon,
S. 139-142.
237
existieren können. Aber er als das allgemeine Element heißt nicht das Wesen als
irgendein vollkommenes Wassein aller Seienden, sondern schlechthin das Wesen selbst,
die Wesenheit selbst derselben, in der in dieser Hinsicht alle mannigfaltigen Wesen
absolut vereint und vereinfacht sind. Er als der Äther besagt auch nicht irgendein
vollständig allgemeines Bewusstsein aller einzelnen, sondern die Bewusstheit selbst, die
Geistigkeit selbst derselben, anhand deren alle bewussten einzelnen Wesen erkennen
und realisieren. Er als die einfache und einzige Substanz bedeutet letztlich nicht
irgendeine zuhöchst gestaltete Existenz, sondern die Existenz, die Existentialität selbst,
die allen akzidentiellen Existenzen zugrunde liegt (sub-stat). Mit einem Wort, diese
wesentlich existierende Geistigkeit bezeichnet die subjektive Idealität des absoluten
Geistes angemessen. Diese Idealität existiert bereits objektiv, d. h. sie ist bereits bei
allen Seienden da, insofern diese nach ihrem, obzwar auf die Einzelheit ihrer Existenz
beschränkten geistigen Wesen bestehen. In dieser Hinsicht ist er eben die lebendige,
“thätige Substanz” oder die Substanz als das Subjekt.
Des Weiteren existiert er nicht nur in der Natur als dem Anderssein seiner selbst
objektiv und wesentlich, sondern auch selbst in der Tätigkeit des vereinzelten
Bewusstseins seiner selbst objektiv und geistig. Allein der Geist fasst den Geist selbst
auf. Nun ist hier die Wechselseitigkeit des Verhältnisses von Subjekt und Objekt zu
beachten. Das einzelne Bewusstsein in seiner Verallgemeinerung und Realisierung ist
einerseits zwar das Subjekt seiner Tätigkeit auf dem Weg zum Erkennen des absoluten
Geistes, aber andererseits zugleich das Objekt des sich selbst realisierenden, absoluten
Geistes, insofern die subjektive Tätigkeit des ersteren bereits auch in Richtung nach der
absoluten Notwendigkeit des Geistes vollzogen wird oder werden muss. Umgekehrt ist
der absolute Geist das Objekt des allgemeinen Erkennens des einzelnen Bewusstseins
und zugleich das Subjekt, das sich mittels der Erkenntnis und Tätigkeit desselben
realisiert. Das einzelne Bewusstsein in diesem Verhältnis zum absoluten Geist ist das
Bewusstsein des Einzelnen als Volksmitgliedes, d. i. dasjenige, das in der Beziehung auf
Andere über seine Einzelheit hinaus ein allgemeines Bewusstsein seiner und anderer als
den Geist des Volks bildet. Aber diese Beziehung auf Andere ist insofern vor allem
Beziehung von Kampf, Entgegensetzung und Konflikt, als sie Beziehung der
selbständigen und freien Einzelnen ist. In dieser Beziehung selbst, nämlich in der
gesellschaftlichen Beziehung der Anerkennung, wird die Einzelheit jedes Bewusstseins
aufgehoben und der Volksgeist generiert. Aber der so gebildete Volksgeist ist auch gar
nicht von Anfang der gesellschaftlichen Formation an absolut. Sondern der absolute
Geist kann, wie nun verdeutlicht, vielmehr nur am Ende der Bildung von Volk und
Volksgeist durch die Aufhebung des einzelnen Bewusstseins erst für dieses aufgehobene,
238
allgemeine Bewusstsein eben als der Volksgeist sein. Dieses Ende der Bildung besteht
aber realiter nicht; es ist lediglich eine Vollendung der bewusstseinsimmanenten
Rekonstruktion des Absoluten bis zu einer bestimmten Stufe seines Systems. Daher lässt
sich auch umgekehrt vom Standpunkt unserer Reflexion aus sagen, dass der absolute
Geist eines Volks, oder genauer gesagt, in einem Volk, “sich als Bewußtseyn” der
Einzelnen “entgegensetzen” und als ihre “erscheinende Mitte” in der gesellschaftlichen
Beziehung dieser Entgegensetzung tätig sein müsse. In der Bewusstseinslehre war die
Mitte des Bewusstseins die realiter erscheinende Gestalt seiner Einheit zwischen
Bewusstsein und Gegenstand, Begriff und Gegenstand, oder Allgemeinem und
Einzelnem. Sie war als die Mitte, in der beide eins sind und zugleich sich
entgegensetzen, auf dem Standpunkt unserer Reflexion auch selbst ein Phänomen des
Geistes als des absoluten Einsseins des Bewusstseins. Nun in dieser Gesellschaftslehre
des Bewusstseins ist die Mitte ein solcher Ort, wo die einzelnen Bewusstseine selbst
“ebenso eins sind”, wie sie “sich entgegensetzen”. Sie ist gleichfalls zum einen für die
einzelnen Bewusstseine die jeweilige reelle Gestalt ihrer Einheit in ein allgemeines
Bewusstsein als den Volksgeist, zum anderen für uns auch das Phänomen des absoluten
Geistes selbst. Die Tätigkeit der einzelnen Bewusstseine bis zur oder gegen die Mitte ist
zugleich die Vernichtung ihrer Einzelheit bis zur oder gegen die Gestalt ihrer
allgemeinen Einheit. Die Mitte ist eben ein ihre Einzelheit “vernichtendes Eins”, dessen
Tätigkeit “ihre eigene Thätigkeit” ist. Diese ist für uns auch “die Thätigkeit des Geistes”
selbst, in dem Sinne, dass die allgemeine causa finalis der Einzelnen zugleich die causa
efficiens ihrer Aufhebung ist. Die Rede vom absoluten Geist gilt nur bis hierher; danach
geht Hegel nach unserer Reflexion nur auf das Verhältnis des Volksgeistes und seines
Werks ein. Das Werk des Volks ist gerade nichts anderes als die erscheinende Mitte
zwischen den entgegengesetzten einzelnen Bewusstseinen. Der Volksgeist als das
absolut allgemeine Bewusstsein der Einzelnen wird im Werk als dem allgemeinen
Anderssein seiner selbst da sein und sich erkennen, und dies ist eben die hier
voraussehbare Struktur des absoluten Geistes.
Der “Geist des Volkes, muß sich ewig zum WERKE werden, oder er ist nur als ein
ewiges Werden zum Geiste”. Die ideale Wahrheit ist nur erst Halbwahrheit. Damit der
Volksgeist ein absolutes und wahres allgemeines Bewusstsein aller Einzelnen werden
kann, muss er objektiv als Werk aller erwiesen werden. Bekanntlich darf der Volksgeist
bei Hegel keineswegs als Subjekt des Werks im spiritualistischen Sinne verstanden
werden. Er wird, wie im vorigen gesehen, realiter vom Bewusstsein der Einzelnen
gebildet, und insofern diese im Wechsel von Leben und Tod fortbestehen, ist er auch
ewig. Aber der von ihnen nur im Bewusstsein verwirklichte Volksgeist besteht selbst
239
erst idealiter unter ihnen. Daher muss er ferner von ihnen selbst auch objektiviert und
als diese Entelechie ihres allgemeinen Bewusstseins bestätigt werden. Ohne dies
Werden zum Werk ist er “nur als ein ewiges Werden zum Geiste”, solange sie in einem
Gemeinwesen bestehen. Aber eben insofern ist er schon zum Werk geworden. Insofern
sie bereits als Volksmitglieder tätig sind, insofern ihre Tätigkeit bereits in ihrem
Volksgeist “gesetzt ist”, sind sie bereits so als ein Gemeinwesen, das nichts anderes als
das Werk des Volkes ist. Dies Verhältnis des Volksgeistes zum Werk vermittels des
Bewusstseins der Einzelnen hat eine kompliziertere Struktur im Vergleich zur vorigen
einfachen Produktion des Werkzeugs durch den Einzelnen. Dies drückt Hegel als die
Selbstbeziehung des Volksgeistes, d. i. als die Beziehung desselben als des passiven auf
sich als ein tätiges aus. Der Volksgeist ist als das Werden zum Geiste zunächst selbst ein
Resultat der Einzelnen, daher ein passives. Der gewordene Volksgeist, gemäß dem die
Einzelnen nun als das Volk ein Werk ausbilden, ist zweitens auch als das Werden zum
Werk selbst tätig und aktiv. In dem Verhältnis bezieht der Volksgeist sich als das
gewordene Passive wiederum eben auf sich als das Tätige in seinen Mitgliedern,
dadurch wird er zum Werk. Weil dieses Verhältnis einerseits die Objektivierung des
allgemeinen Bewusstseins der selbst aufhebenden Einzelnen ist, ist es auch “unmittelbar
das Aufheben” ihrer einzelnen Tätigkeit, ihrer Einzelheit selbst. Es ist auf der anderen
Seite die Objektivierung des noch ideellen Volksgeistes selbst, aber nun die
Realisierung des bewusst Allgemeinen als des objektiven Allgemeinen selbst, eben das
“anderswerden seiner selbst”. Wenn die Natur in der Naturphilosophie für den Geist das
Anderssein seiner selbst als einzelne ist, ist das Werk des Volks nun das Anderssein des
Geistes als des Geistes selbst, wenn auch in der einzelnen Form der Existenz eines
Werkes. Zwar nur andeutungsweise, aber ohne Zweifel wird im Verhältnis drittens die
Subjekt-Objekt-Beziehung zwischen dem Bewusstsein der Einzelnen und dem
Volksgeist umgekehrt. Der Volksgeist ist zwar durch die Einzelnen passiv geworden,
allein er selbst veranlasst sie des Weiteren, ihn zum Werk auszubilden. Er selbst ist als
ihr Zweck die Ursache ihrer sich aufhebenden und zum allgemeinen Werk
objektivierenden Tätigkeit. Während in der vorigen Bewusstseinslehre bei der
Bearbeitung des Einzelnen sein Werkzeug als die Einheit seines Allgemeinen und des
dinglichen Einzelnen für ihn das Werk war, ist das Werk des Volks nun hier dasjenige
Allgemeine selbst, das, obzwar und weil in der einzelnen Form der Existenz, ewig
objektiv werden muss, und der Volksgeist ist das absolut allgemeine Bewusstsein, das
ebenso ewig zum Geist des Werkes eines Volkes werden muss. Das Werkzeug des
Geistes und Werkes eines Volks ist also hier eher die Einzelnen selbst, die durch die
Selbstaufhebung der Einzelheit ihrer Existenz Allgemeines erzeugen, d. i. die Einheit
240
der Allgemeinheit und der Einzelheit sind.53 Mittels ihrer Tätigkeit als tätiges Volk geht
“ein sich bewußtseyendes überhaupt” ihrer aller, d. i. der Volksgeist, “in das Product,
das sich selbst gleiche” über (J I.315). Also ist das Werk des Volks immer das
gemeinschaftliche und allgemeine Werk aller.
In ihrem Werk schauen die bewussten Einzelnen nun “sich als Ein Volk”, d. h. als eine
gesellschaftliche und sittliche Einheit an. Ihr “Werk ist somit ihr eigner Geist selbst”,
der äußerlich existiert. Ihr Geist ist zwar das Erzeugnis ihrer Tätigkeit, aber weil diese
zugleich “das Aufheben ihrer selbst” ist, erscheint er ihnen als “ein für sich selbst
seyendes” Werk, das sie ihrerseits als ihren Geist verehren. Das Aufheben selbst ist “der
für sich seyende allgemeine Geist” unter ihnen, der “als Geist ihr ideales Einsseyn” und
“als Werk ihre Mitte” ist (J I.316). In diesem sittlichen Werk des Volks ist ihr
allgemeiner Geist als der des Volks lebendig. Die Lebendigkeit des Volksgeistes liegt im
ewigen Kreislauf seines Werdens zum Werk und des Abschiedes vom Werk durch die
ständige Selbstaufhebung der Einzelnen. Der Geist und das Werk des Volks haben
nämlich Geschichtlichkeit, die in der Gesellschaft der Einzelnen präsent ist und im
Kreislauf die absolute Rückkehr des Geistes in sich widerspiegelt. Dieser Kreislauf ist
keine bloße Wiederholung beider, sondern gerade die logische Struktur des absoluten
Werdens der Idee des Geistes. Die Idee des Geistes ist bekanntlich nichts anderes als die
Idee der Einheit seiner selbst und seines Andersseins.54 Insofern der sittliche Geist des
Volks sich noch durch die Tätigkeit der Einzelnen organisiert, hat er auch noch “seine
unorganische Natur”, die mit seiner organischen Einheit noch nicht vereint ist. Diese
unorganische Natur bezeichnet allerdings, wie schon geklärt, nicht etwa Naturdinge,
sondern diejenigen Einzelnen und deren Handlungen, die noch nicht zu ihrem
Volksgeist gelangen oder davon abweichen. Für diese ist der Geist zwar nur ein anderes,
aber sie sind für den Geist seine aufzuhebende “Natur, in der er sich nur ein anderes
geworden ist”. Um diese unorganische Natur als das Anderssein seiner selbst
aufzuheben, realisiert er sich notwendig und ununterbrochen “in der Totalität seines
Werks”, d. h. er veranlasst fortwährend jene Einzelnen, sein Werk auszubilden, setzt
diese als sich selbst, insofern sie dadurch aufgehoben werden, und genießt sich absolut,
indem er sie als aufgehobene “in sich zurückgenommen hat”. Dies alles ist möglich,
insofern sie immerhin das verallgemeinernde Bewusstsein haben, und schon wirklich,
insofern sie bereits bei solcher Tätigkeit sind. Und das, was dadurch im Volksgeist
53
Aus dieser Stelle lässt sich daher auch der in der zweiten Geistesphilosophie zuerst wörtlich
auftretende Begriff der List in dem Kontext des Volksgeistes, ferner des absoluten Geistes herleiten. Siehe
S. 171-175. Die List der Vernunft ist mit einem Wort nichts anderes als das selbst zum Werkzeug Werden
des Subjekts in seinem eigenen Streben nach der Allgemeinheit.
54
Siehe S. 81-83.
241
entsteht und zum Bewusstsein kommt, ist gerade die Idee des Geistes, nämlich, dass der
Geist eins mit seinem Anderen, seinem Werk ist. Eben an diesem Ort muss, wie später
zu zeigen, vom sittlichen Bereich in einen anderen, in den innersten Bereich des Geistes
übergegangen werden, wo seine Idee als Idee selbst, d. i. als Form von Kunst, Religion
und Wissenschaft existieren kann.
Aber davor muss dieser sittliche Geist des Volks für uns nun auch wiederum für das
Bewusstsein der Einzelnen selbst werden. Zu beleuchten ist nun der Weg von den
Einzelnen zum Volk, von ihrem Bewusstsein zum Volksgeist und Werk, eben der Weg
der Vergesellschaftung. Jener Kreislauf von Volksgeist und Werk ist de facto nichts
anderes als der Kreislauf zwischen diesen beiden und den Einzelnen. Er ist realiter ein
solcher Prozess, in dem das Bewusstsein des Einzelnen sich zu einem allgemeinen
bildet und dieses ferner verwirklicht. Daher hat er die Bildung des einzelnen
Bewusstseins zum Volksgeist zur Voraussetzung. Eben aus diesem Grunde wiederholen
sich die Kategorien der Bewusstseinslehre hier. Gegen das einzelne Bewusstsein, das
noch nicht den Geist erreicht, ist der Geist zuerst also negativ, oder das einzelne
Bewusstsein, für das der Geist noch ein anderes ist, bezieht sich lediglich negativ auf
ein anderes. Es ist zum einen das selbstständige und freie Bewusstsein des Einzelnen,
das nach der vorhergehenden Bewusstseinslehre bereits seine absolute Totalität erlangte.
Dies Bewusstsein ist aber zum anderen eben die “unorganische Natur des sittlichen
Geistes” oder “der Geist in seiner Negativität”, insofern es zwar noch kein
Selbstbewusstsein des Geistes, aber doch bereits geistig tätig ist. Es war am Ende der
Bewusstseinslehre die einzelne Totalität, die die ganze Familie repräsentiert. Diese
Familie selbst als die Realität der totalen Einzelheit kann daher auch die unorganische
Natur des Geistes heißen. Das totale Bewusstsein eines Einzelnen ist different vom
totalen Bewusstsein eines Anderen. In dieser Hinsicht ist die äußere Natur überhaupt,
die jedes Bewusstsein im vorigen kognitiv und praktisch in sich vereinigte, de facto in
ihm nur negativ gesetzt. Die in jedem Bewusstsein als eine aufgehobene gesetzte Natur
ist nämlich nur negativ gegen die so gesetzte im anderen Bewusstsein. Daher ist der
Geist selbst, der in einem solchen totalen Bewusstsein wirksam ist, auch “nur different”
und negativ, und insofern hat er Totalität nur als “die Realisirung” des “differenten”
Bewusstseins. Diese Realisierung des totalen, aber differenten Bewusstseins war zuerst
eben der Besitz in der ausschließenden Beziehung. Nun ist diese differente Totalität
jedes Bewusstseins bis zum Geist des Volks aufzuheben. Jedes muss nun diejenige
Totalität erreichen, die von der differenten und ausschließlichen Beziehung ihrer
natürlich bedingten Existenz befreit ist, d. i. nicht die Totalität des einzelnen, sondern
aller einzelnen. Diese wird gerade “ein absolut positiver” und “allgemeiner Geist” sein
242
(J I.317).
Die erste, wichtigste Stufe der Aufhebung der einzelnen Totalität ist bereits abgehandelt.
Sie ist eben der Kampf um Anerkennung. Hierdurch wurde das totale Bewusstsein des
Einzelnen als der ganzen Familie aufgehoben. Jeder Einzelne hat die Einzelheit seiner
Existenz und sein totales Bewusstsein in der Einzelheit als aufgehoben gesetzt. Aber
noch nicht alle Momente des totalen Bewusstseins, die die Familie von Natur aus
konstituieren, vor allem die Sprache, die Arbeit und der Besitz, sind aufgehoben. Diese
thematisiert Hegel daher als die anerkennende oder sie zum Werk ausbildende
Beziehung in der Gesellschaft oder im Volk. Aber er will zunächst hier nicht die
einzelne Konfliktphase der anerkennenden Beziehung zur ausführlichen Darstellung
bringen, sondern diese Beziehung “mit dem Charakter der Allgemeinheit” bezeichnen (J
I.318). Durch jenen Anerkennungskampf hindurch ist jeder schon als das allgemeine
Bewusstsein, aber nur als dieses das Volksmitglied. Jedes Bewusstsein, das bereits
unserer Reflexion fähig ist, kann sich selbst in der anerkennenden Beziehung auf andere
verallgemeinern. Diese allgemeine Seite ist hier Hegels erstes Interesse. Die darauf
folgende Darstellung der einzelnen Konflikt- oder Abweichungsphasen wie
Vertragsbrüche, Verbrechen und die Notwendigkeit des Gesetzes könnten im verlorenen
Teil der ersten Geistesphilosophie erwartet werden, aber auch in der zweiten
Geistesphilosophie ein gutes Muster finden. Schließlich lässt sich der Grund für die
Priorität des Anerkennungskampfes vor dem Werk des Volksgeistes in der Darstellung
höchstwahrscheinlich aus dem doppelten Charakter jenes Anerkennungskampfes
mutmaßen, d. i. aus dem bewusstseinstheoretischen und aus dem gesellschaftsbildenden
Charakter. Die Notwendigkeit des Kampfes ist nur bewusstseinsimmanent explizierbar
und die Realität desselben lediglich in der wirklichen Gesellschaft nachweisbar. Das
Individuum als die ganze Familie ist als das totale Bewusstsein einerseits das
Anerkennen selbst und muss andererseits als das Volksmitglied erst anerkannt werden.
Der Anerkennungskampf vermittelt als der onto-logische Typus des totalen und
sittlichen Subjekts in der Gesellschaft diese zwei Stufen, die auch die zwei Glieder des
Kreislaufes von dem Einzelnen und dem zum Werk werdenden Volksgeist sind. Diese
systematische Darstellungsstruktur rechtfertigt wiederum die oben genannte
Dreistufigkeit der Hegelschen Anerkennungstheorie. Nun ist auf deren dritte Stufe
einzugehen.
2.2. Gesellschaftliche Tätigkeit der Anerkennung
Die Sprache war nach der Bewusstseinslehre auf der inhaltlichen Seite “die Beziehung
243
der Nahmen” als der einzelnen Idealitäten, die das theoretische Bewusstsein den
äußeren Gegenständen gegenüber setzt, und “das gewordene Allgemeine” aus dem
Beziehen dieser Namen, die das selbst noch einzelne Bewusstsein im Gedächtnis behält
(J I.289). Das Aussprechen des einzelnen Bewusstseins als des Aufgehobenen, also
Anerkannten, lässt nun das ausgesprochene Allgemeine nicht in einem einzelnen
Bewusstsein bleiben. Sondern das Allgemeine des einen Anerkannten wird selbst als
aufgehoben unmittelbar zum Allgemeinen des anderen im Anerkanntsein beider.
Dadurch gestaltet sich die Sprache als der gleiche Inhalt der anerkannten Bewusstseine
in einer allgemeinen Existenz, die nichts anderes als die Volksgemeinschaft ist. Aber
Hegel erörtert zuerst, wie oben gesagt, nicht linguistisch den synchronistischen
Gestaltungsprozess der Sprache im Horizont der Gesellschaft, sondern die allgemeinen
Charaktere der so gestalteten Sprache. Die Sprache, die so “im Bewußtseyn aller auf
dieselbe Weise” widerhallt, ist “ein allgemeines an sich anerkanntes”. Das Allgemeine
des selbst aufgehobenen Bewusstseins besteht auch selbst als Aufgehobenes, also als an
sich Anerkanntes im anderen Bewusstsein. Die Sprache als anerkannt ist eben die
“Sprache eines Volks” als Werk desselben, und “Verstand und Vernunft”, die nun nicht
vom Einzelnen, sondern als die Kraft des gemeinsame Namen bzw. Idealitäten
ordnenden Volks gemeinschaftlich besessen werden. Sie ist also ferner als das Werk des
Volks “die ideale Existenz des Geistes, in welcher er sich ausspricht, was er seinem
Wesen [nach] und in seinem Seyn ist”. Der Geist wird nämlich als Allgemeines,
Geistiges, als der Geist selbst ausgesprochen und aufgenommen, und so als die Sprache
des Volksgeistes existiert er in allgemeiner Weise. Diese Existenz ist zwar ideal, aber
zugleich wirklich. Im Gedächtnis des Einzelnen als dem Werden zur Sprache wurde das
Ideelle des äußeren Gegenstandes als aufgehoben gesetzt. Dies Gesetztsein des Ideellen
als Aufgehobenen ist “vorhanden” als die Sprache des Volks, “als ideelles, allgemeines
Bewußtseyn”, als der Geist des Volks. Deshalb ist das Aussprechen dessen, was jeder
meint, das Aussprechen desjenigen Allgemeinen, in dem jeder seine Meinung hat und
ausdrückt. Meine Meinung, dass dieser Baum grün sei, ist ebenso im anderen
Bewusstsein, wie sie ist, weil das ideelle Aufgehobensein ihres Inhalts in Namen wie
„dieser“, „Baum“ u. a. nicht nur in meinem Bewusstsein, sondern auch bereits im
Volksgeist als gesetzt vorhanden ist. Die Sprache in dieser Entsprechung, die jedes
sprechende Bewusstsein unmittelbar in einem anderen Bewusstsein findet, ist ihre
wirkliche, daher wahre Sprache. Sie ist erst als die Sprache des Volks wahr. Die
Wahrheit der Sprache heißt hier nicht Wahrheit des ausgesprochenen Inhalts selbst, die
durch die Entsprechung desselben mit dem äußeren Gegenstand garantiert wird. Für
diese Wahrheit des sprachlichen Inhalts als das Werk des Volks ist noch nötig der
244
Prozess der praktischen Bestätigung der Volksglieder wie Erziehung oder
kommunikative Beziehung. Die wahre Sprache heißt hier nur die wirkliche
Entsprechung ihrer idealen Existenz in allem Bewusstsein.
Dieser Sprache des Volks entspricht die äußere Natur im ganzen, in der das Volk lebt.
Sie ist eher selbst die “ideell gesetzte Natur” des Volks. Sie ist im Volk “ihrem Wesen
nach für sich selbst vorhanden”, daher ist das Sprechen eben das Entäußern dieses für
sich vorhandenen Allgemeinen durch den Einzelnen. Dies ist kein sprachliches
Produzieren des Einzelnen wie in der Bewusstseinslehre, sondern nun “die blosse
Form” “der reinen Thätigkeit”, das “innerlichseyn” der schon produzierten Sprache
unmittelbar äußerlich zu machen. D. i. das Sprechen ist nun immer das unmittelbare
Veräußerlichen eines an sich anerkannten, für sich seienden Allgemeinen in der Sprache
des Volks, eines Inhalts des allgemeinen Bewusstseins, des Volksgeistes. Dies bedeutet
aber seinerseits eine zweifache Beziehung. Als das Sprechen des Allgemeinen in der
Sprache des Volks ist die “Bildung der Welt zur Sprache” “an sich vorhanden” (J I.318).
Diese Bildung ist nun nichts anderes als “die Erziehung”, nicht von einzelnen Eltern,
sondern im Horizont des Volks, dessen ausgesprochene Sprache bzw. entäußerte ideelle
Welt “für das werdende Bewußtseyn” von einer neuen Generation zunächst “als seine
unorganische Natur vorhanden” ist. Damit diese unorganische Natur in sein einzelnes
Bewusstsein als das allgemein Gewordene aufgenommen wird, braucht das werdende
Bewusstsein nur für “die Idealität” der Natur des Volks “die Realität zu finden” und “für
die Sprache” desselben “die Bedeutung zu suchen, die in dem Seyn” der äußeren Natur
ist. Die gesprochene Sprache des Volks ist daher zum einen die Erziehung seines
werdenden Bewusstseins, das sich zugleich seinerseits durch seine Bestätigung des
ausgesprochenen Inhalts das wahre Werk des Volks aneignet. Und dadurch wird jeder
Einzelne eben ein Mitglied des Volks. Eine die Sprache des Volks sprechende Tätigkeit
ist die gesellschaftliche Bildung seines für den Volksgeist auch unorganischen
Einzelnen zu seinem organischen Mitglied. Oder die Erziehung im Horizont des Volks
ist die sich wiederholende Bestätigung seines ideell Allgemeinen durch das werdende
Bewusstsein, das damit die äußerlich ausgesprochene, also für es unorganische Natur in
sein gewordenes allgemeines Bewusstsein als des Volks aufnimmt. Das Moment des
Sprechens ist also für die Sprache des Volks, ferner für das Volk selbst von großem
Belang. Denn ohne die Entäußerung kann das ideell Allgemeine nur subjektiv im
Einzelnen, also gar nicht gemeinsam im Volk existieren. Aber das Subjekt, das es
ausspricht, ist realiter nicht das Volk selbst, sondern das einzelne Bewusstsein, das seine
anerkannte Allgemeinheit im Volk erreicht. Das ausgesprochene Allgemeine des
einzelnen Bewusstseins ist nicht nur als Allgemeines ein Ideelles, in dem der
245
entsprechende, äußere Gegenstand ideell vernichtet ist, sondern auch als
ausgesprochenes “selbst ein aüsseres”, das seinerseits auch “vernichtet, aufgehoben
werden muß”, um das Allgemeine im anderen Bewusstsein zu bedeuten. Ohne ihre
Entäußerung und ohne die Aufhebung ihrer Entäußerung ist die Sprache also auch “im
Volk als ein todtes”. Die ausgesprochene Sprache muss als das äußere nicht nur vom
werdenden, sondern von jedem Bewusstsein aufgehoben und “ihrem Begriff nach”
aufgenommen werden. Diese sprachliche Tätigkeit ließe sich als kommunikative
benennen, obzwar Hegel selbst hier diesen Begriff nicht wörtlich benutzt. Das Sprechen
ist daher zum anderen in Begleitung der Aufhebung seiner Äußerlichkeit eine
Kommunikation, in der das ausgesprochene Allgemeine eines Einzelnen von einem
Anderen geprüft, bestätigt und als die Sprache des Volks anerkannt wird. Es ist nämlich
solch eine Beziehung, jedes in der Sprache des Volks ausgesprochene Allgemeine
anzuerkennen. Allgemein gesagt ist es die gesellschaftliche Beziehung der Anerkennung,
alle Volksmitglieder kommunikativ zu bilden. Auf diese Weise wird die Sprache des
Volks fortwährend im Kreislauf zwischen dem Volk und den Gliedern “reconstruirt” (J
I.319). Sie ist als das Werk des Volks die ideale, aber wahre Existenz des Volksgeistes
und als das tätige Sprechen des Volksmitgliedes die allgemeine Bildung aller zum
Volksgeist.
Schließlich, um die realistische Seite Hegels hier nicht zu übergehen, muss die
Aufmerksamkeit vor allem auf das unentbehrliche Moment der Entäußerung gerichtet
werden. Ohne dieses Moment lässt sich kein Allgemeines in gemeinsamen Besitz
nehmen und als allen gehörig anerkennen. Das Sprechen besagt hier als eine
entäußernde Tätigkeit schlechthin das vom Einzelnen durchgeführte, phonetische und
sinnliche Sprechen des Allgemeinen. Dies ist weder nur einfaches Tauschmittel vom
schon interpersonal erhaltenen, objektiven Allgemeinen, noch bloß äußere Form der
kommunikativen Tätigkeit. Sondern es ist vielmehr schlechterdings “die blosse Form
des aüsserlich machens, was schon producirt ist” (J I.318). Es ist daher mehr als die
bloße Verkehrsform. Es ist nämlich die bloße Form, in der der Einzelne, der das bereits
produzierte Allgemeine im Volk erkennt, selbst sein Bewusstsein davon äußerlich macht.
Es ist also die Selbstrealisierung des einzelnen Bewusstseins als des allgemeinen oder
Verwirklichung des schon reziprok anerkannten, also objektiven Allgemeinen durch den
Einzelnen. Das Gesprochene kann also auch gut oder schlecht geraten sein. Eben
deswegen muss die Äußerlichkeit des Gesprochenen wiederum aufgehoben und das
Gesprochene selbst in den kommunikativen Bildungsprozess einbezogen und dadurch
weiter anerkannt werden. Das Gesprochene und Ausgedrückte des Einzelnen, was so
anerkannt ist, ist sein gesellschaftliches und allgemeines Dasein als sein sprachliches
246
Anerkanntsein. Dies freilich erklärt Hegel hier nicht ausführlich, sondern er erwähnt das
Sprechen nur als die bloße Form. Allein diese ist in erster Linie die Form der
Entäußerung bzw. Realisierung des Selbst. Der Grund für ihre Blöße liegt
höchstwahrscheinlich gerade in der Vorläufigkeit und Idealität des Gesprochenen selbst.
Die Selbstrealisierung müsste eher die vorhandene Entelechie des Volks in der
beständigen äußeren Gestalt sein. Hegels Behandlung dieser Gestalt bei der Sprache
lässt sich erst im Vertragsteil von der zweiten Geistesphilosophie erwarten. Dagegen ist
der praktische Prozess der selbst realisierenden Entäußerung55 eben in der folgenden
Arbeit ausführlich thematisiert, und zwar zumeist im Hinblick auf ihre wirklich
geschehende schlechte Verallgemeinerung.
Wenn die Sprache die theoretische Tätigkeit des Einzelnen zum Werk und Geist des
Volks oder der Gesellschaft ist, ist die Arbeit nun auch solch eine praktische Tätigkeit
desselben. Die Arbeit des einzelnen Bewusstseins als des durch die Selbstaufhebung
anerkannten Allgemeinen wird ebenfalls “in ihrer Einzelnheit selbst” “eine allgemeine”
(J I.319). Ihre Erörterung in den beiden Jenaer Geistesphilosophien spiegelt zum ersten
Mal die seit der Berner Zeit durchgeführten ökonomischen Untersuchungen Hegels
wider.56 Die erste Geistesphilosophie bringt sie im Großen und Ganzen auf zwei Seiten
zur Darstellung, d. i. auf der positiven Seite der Anerkennung der einzelnen Arbeit als
der allgemeinen und gesellschaftlichen und auf der negativen der schlechten
55
Dieser praktische Prozess des einzelnen Volksmitgliedes als Entäußerung des reziprok erreichten, aber
deshalb noch nur intersubjektiv objektiven Allgemeinen fehlt der Kommunikationstheorie. Der Prozess
beruht im Grunde genommen auf Hegels Lehre vom Bewusstsein, das erst durch die gegenständliche
Verwirklichung seines Allgemeinen seine Wahrheit bestätigt. Hegels Einführung der Bewusstseinslehre in
der Jenaer Zeit bedeutet daher nicht den Verzicht auf ‘die Idee einer vorgängigen Intersubjektivität des
Menschen überhaupt’, wie Honneth interpretiert, sondern die ontologische Grundlegung von deren
Möglichkeit, sofern das Bewusstsein das Menschsein des Menschen konstituiert. Des Weiteren muss sich
das gegenseitig bewusst gewordne Allgemeine der Einzelnen in der Gesellschaft realisieren. Diese
Realisierung ist der reale Anerkennungsprozess ihres ideell Anerkannten, d. i. der interpersonale
Etablierungsprozess ihrer anerkannten ideellen Wahrheit, der als Arbeit, Tausch und Vertrag u. a. fortgeht
und sich in den Wahrheitsgestalten von Gesetz, Institution und Staat konkretisiert. Die Unterstellung des
nur intersubjektiven Allgemeinen für die Anerkennung hält diese Gestalten einfach nur für ein
automatisches Resultat desselben Allgemeinen, aber übergeht deren immanente praktische Genese aus
demselben, in der auch ein intersubjektives Allgemeines ab und zu als falsch erwiesen werden kann.
Deshalb missversteht Honneth das Auftreten des Staates im dritten Systementwurf nur als Hegels
Einschiebung der ‘übergeordneten Instanz’ für seine ‘Theorie der Sittlichkeit’ um den Preis des Verzichtes
auf das Prinzip der Intersubjektivität. Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung, S. 11-105, insbesondere 53,
98-99.
56
‘Hegels Rezeption der Nationalökonomie’, die in der deutschen klassischen Philosophie einzigartig
war, wurde motiviert, zum einen de facto durch die Vermittlung der damaligen ‘Populärphilosophie’, die
die Nationalökonomie als eine progressive Gesellschaftstheorie aufnahm, zum anderen durch die
wirkliche Gesellschaftssituation, worin sich die politisch-ökonomische Realität und deren Bestimmtheiten
zum ‘System’ der allgemeinen Abhängigkeit der Individuen verselbständigen. Vgl. Riedel, Manfred:
Zwischen Tradition und Revolution, S. 118-124; HH, S. 388. Zu einer Berichtigung von Riedels
Erwähnung der Ricardo-Rezeption Hegels in der Rechtsphilosophie siehe Arndt, Andreas: Die Arbeit der
Philosophie, S. 62-63.
247
Entäußerung der allgemeinen Arbeit selbst, wie bei Maschine und Arbeitsteilung.
Die Anerkennung des Einzelnen ist die Anerkennung desselben als der aufgehobenen
Totalität. Daher will der Einzelne auch – abgesehen von der kognitiven Tätigkeit -, dass
sein Arbeiten, das seinem Bedürfnis dient, anerkannt wird. Aber die anerkennbare
Arbeit ist nicht die für ihn allein geeignete, sondern die Arbeit in der “Form der
Allgemeinheit”, in der also alle Anderen sie verrichten können. Denn die Arbeit als
Tätigkeit selbst ist realiter immer die Arbeit des Einzelnen, und anerkennbar darin ist
nur die allgemeine Weise seiner Arbeit. Diese ist “für die Arbeit das wahre Wesen”. Sie
muss als “eine Regel aller Arbeit”, in der seine Einzelheit aufgehoben ist, vernünftig
und für sich sein. Sie muss auch nicht nur als die Regel bleiben, sondern des Weiteren
realiter anwendbar und angewendet werden. Sie wird zunächst allerdings von einem
geschickten Einzelnen erdacht und gebraucht. Der Einzelne stellt dann zur Anerkennung
seiner Arbeit diese nicht in seiner eigentümlichen, sondern in allgemeiner Weise auf, die
für die Anderen zuerst “als ein aüsseres”, “als unorganische Natur” erscheint, aber durch
die “Erlernung” und Anwendung eine Regel aller gleichförmigen Arbeit wird. Eben
darum ist die Arbeit “nicht ein Instinct, sondern eine Vernünftigkeit, die sich im Volke
zu einem allgemeinen macht”. Eine einfache Handlung, aus einem Bedürfnis Früchte
einfach zu pflücken und zu essen, ist also nicht einmal Arbeit. Insofern Arbeit die
Grundbedingung für das nur durch solche einzelne Handlungen nicht zu führende Leben
des Einzelnen ist, muss sie selbst auch als äußere Tätigkeit des anerkannten Einzelnen
durch deren allgemeine Weise anerkannt werden. Andernfalls hätte die Arbeit des
Einzelnen weder gesellschaftlichen und ökonomischen Wert, noch würde sie als die
Tätigkeit seines Lebens gewährleistet. Die anerkannte Arbeit in der Allgemeinheit ihrer
Weise wird realiter zwar als die “subjektive Thätigkeit des Einzelnen” verrichtet, doch
sie ist schon die sich in dieser einzelnen Tätigkeit realisierende allgemeine Arbeit. Das
Arbeiten als die Tätigkeit ist also nun eben “in der Weise des Geistes vorhanden”, in der
die Arbeit des Einzelnen durch das Allgemein-, d. i. “Anderswerden ihrer selbst zu sich
zurückkehrt”. Diese Beziehung zwischen der einzelnen und allgemeinen Arbeit hat die
Verallgemeinerung der einzelnen Arbeit und die Erlernung der verallgemeinerten zur
Voraussetzung. Sie ist wiederum nichts anderes als der “Kraislauff” zwischen dem
Einzelnen und dem zum Werk werdenden Volksgeist. “Das Anerkennen der Arbeit, und”
der “Geschicklichkeit” in diesem Kreislauf hängt von der “Erfindung eines
allgemeinen” in der Arbeit und von dessen Nachvollziehbarkeit durch das Erlernen ab.
Die Arbeit, die dadurch im Volk immer allgemeiner entwickelt und anerkannt wird, ist
als ihre Allgemeinheit die ideale Existenz des Volksgeistes und als die erlernte
Geschicklichkeit das Werk desselben. Sie ist unmittelbar ein “allgemeines Gut” des
248
Volks (J I.320).
Aber die Arbeit als die allgemeine Weise ist wie das Sprechen noch zu ideell, um das
Werk des Volks zu sein. Allein sie kann auch als die äußere Existenz, eben als das
Werkzeug, bestehen. 57 Das Werkzeug war nach der Bewusstseinslehre selbst ein
einzelnes Ding, das doch das Zweckverhältnis des Willens als in sich realisiert hat. Weil
die Arbeit die allgemeine Beziehung des Bewusstseins ist, in der der reale
Zusammenhang der auf die Vernichtung des Gegenstandes gehenden Begierde gehemmt
und idealiter als aufgehoben gesetzt ist, 58 hält das Werkzeug, in dem sie als die
allgemeine Weise realisiert ist, “vom Menschen sein materielles Vernichten ab” (J I.321).
Die Bedeutsamkeit des Werkzeugs liegt darin, dass die unmittelbare Beziehung der
Vernichtung zu dem allgemeinen Verhältnis der aufgehobenen Vernunft des Einzelnen
erhoben wird. Während der begehrende Mensch seine einzelne Vernunft unmittelbar für
die Vernichtung des Begehrten und die Befriedigung der Begierde einsetzt, setzt der
arbeitende seine vernichtende Vernunft “als eine aufgehobne” im Werkzeug und
realisiert sie als eine allgemeine Beziehung (J I.320). Daher muss das Werkzeug in
seinem Idealtypus ein solches sein, in dem die unmittelbar vernichtende Beziehung der
Begierde bis zum allgemeinen Zusammenhang des Lebens zwischen der aufgehobenen
Begierde und deren Gegenstand, dem Menschen und dem Naturding, ferner dem Geist
und der Natur erhoben wird. Was unter diesem allgemeinen und lebendigen
Zusammenhang verstanden wird, erwähnt Hegel aber hier nicht deutlich, sondern geht
nur auf die Darstellung der negativen Wirkung der Maschine über. Der Zusammenhang
wäre die organische Einheit des Menschen oder des Geistes mit der Natur als dem
Anderssein seiner selbst, die in der lebendigen Zirkulation beider besteht. Denn es gibt
nichts, was unmittelbar und völlig zunichte gemacht wird, sondern alles lässt sich als in
der Einheit bestehend nur auf geistige Weise auffassen. Aber das Werkzeug ist noch
nicht frei vom Problem, das materielle Vernichten aufzuheben. Denn im Werkzeug
besteht die vernichtende Beziehung des Menschen noch als seine formale Tätigkeit
weiter, “die auf ein todtes” Ding “gerichtet” und “wesentlich” nichts anderes als “das
Tödten desselben” ist. Hierin liegt die Schranke des Werkzeugs. Und diese Schranke ist
für Hegel schon in einer wirklichen Gestalt desselben aufgetreten. Das Werkzeug, in
dem die Absicht des Einzelnen auf die Vernichtung, d. i. seine Einzelheit nicht
aufgehoben ist, kann nicht das Werk des Volks, sondern nur des einzelnen Ich sein. Es
ist nicht die List der das allgemeine Zweckverhältnis realisierenden Vernunft, sondern
57
Im Vergleich zum Werkzeug der Arbeit könnte auch die Sprache die äußere und reale Existenz eben als
die Schrift haben.
58
Siehe S. 160-163.
249
lediglich der “Betrug”, den der Einzelne mit seiner verhüllten, noch einzelnen Vernunft
“gegen die Natur ausübt” (J I.321). Und wenn er seine Vernunft nicht mit dem
aufgehobenen Inhalt seiner Absicht, sondern als solche “aufgehobne” Vernunft, in der
nur die Einzelheit der Existenz seiner Vernunft aufgehoben ist, ins Werkzeug setzt und
diese Vernunft “von sich abhält, wird das Werkzeug “zur Maschine” als nur äußerlich
getrennt, aber innerlich ausgedehnt von seiner Einzelheit (J I.320). Gerade hier liegt der
Ausgangspunkt der ökonomischen Kritik Hegels.
Im Kontrast zur positiven Einschätzung von Werkzeug und Maschine in der
Bewusstseinslehre richtet Hegel hier das realistische Augenmerk auf die aktuell in
Betrieb gesetzte Maschine als Werkzeug. Die Maschine ist zurückzuführen auf die nur
formale, also schlechte Verallgemeinerung der einzelnen Arbeit. Sie lässt sich nach zwei
Seiten einschätzen. Zum einen hebt der Einzelne seine formale Tätigkeit in hohem Maß
in die von ihm getrennte Maschine auf und “lässt sie ganz für ihn arbeiten”. Aber in
dieser Maschinenarbeit ist die Einzelheit seiner Absicht selbst, sich die Natur
anzueignen und zu unterjochen, nicht aufgehoben, und sogar in der Maschine als
Aneignungsmittel ist zum anderen das wesentliche Seinsverhältnis des zuletzt zu
vernichtenden Gegenstandes in der Natur vernachlässigt. Z. B. die Massenproduktion
der Möbel beachtet das natürliche Verhältnis des Waldes nicht. Der Mensch bleibt hier
noch innerhalb der Einzelheit der Natur wie in der Einzelheit seiner Absicht stehen und
will ihr als den einzelnen toten Dingen immer mehr abschwindeln. “Aber jeder Betrug”
des Menschen “rächt sich gegen ihn selbst”. Dies besagt nicht, dass die ausgenutzte
Natur selbst Rache an ihm nimmt, sondern nur, dass der Einsatz seiner betrügerisch
verallgemeinerten Vernunft zwangsläufig auch auf das trügerische Resultat gegen den
Einsetzenden hinausläuft. In der Maschine ist für Hegel mindestens in seiner Zeit nicht
das wesentliche Verhältnis des allgemeinen Bewusstseins des anerkannten Einzelnen als
aufgehobenen zur lebendigen Natur realisiert. Der Mensch hebt darin zwar die
Formalität seiner vernichtenden Arbeit auf, aber nicht “die Nothwendigkeit seines
Arbeitens” selbst. Und zwar in dem Maß, wie er sich der Natur bemächtigt, wird er
selbst mit seiner Arbeit immer “niedriger”. Die Vermehrung der einzelnen Produkte
durch die Maschine führt zur Erniedrigung des Werts des einzelnen Produkts im
Verhältnis zur bestimmten Wertsumme, die nichts anderes als die Erniedrigung des
Werts der einzelnen Arbeit pro einzelnes Produkt bedeutet. Daher wird sein Arbeiten
immer mehr gezwungen, um die gleiche Wertgröße zu erreichen, aber er kann nun in
keiner anderen Weise als immer “maschinenmässiger” arbeiten. Diese kritische Einsicht
Hegels in die Maschine als Aneignungsmittel ist nicht allein die Bilanz der damaligen
ökonomischen Nebenwirkung. Sie stützt sich nicht zuletzt auf die wesentliche
250
Auffassung vom wahren Werkzeug als Werk des Volks. Aber die realisierte Wahrheit in
der Maschine ist noch nicht wahr im vollen Sinne. Eine reale Gestalt von einem wahren
Werkzeug als Werk des Volks in der Gesellschaft herauszufinden wäre also auch ein
Hauptinteresse Hegels. Doch alles Wirkliche wandelt sich nur auf seinem vernünftigen
Wesensverhältnis beruhend, und es gibt nichts, was sinnlos da ist. Der Betrug des
Einzelnen gegen die Natur ist also im Wesentlichen Selbstbetrug. Durch die weitere
Analyse dieses vernünftigen Resultats wird dieser Bereich der gesellschaftlichen Arbeit
später als das notwendige Moment des modernen Staats in der Rechtsphilosophie
herausgestellt. Des Weiteren eröffnet Hegels Auffassung des wahren Werkzeugs sowohl
die Sicht auf die gesellschaftliche Besitzform des Produktionsmittels, in dem die
Einzelheit eines jeden aufgehoben ist, als auch auf die ökologische Aufmerksamkeit des
Produktmaterials, das zum wesentlichen Seinsverhältnis der Natur gehört, nämlich
diejenige Sicht, die zum einen Marx ohne Bewusstsein dieses Hegelschen Elements
hauptsächlich politisch-ökonomisch entwickelte, 59 zum anderen diejenige, die das
Bewusstsein der ökologischen Krise heute begründen kann.60
Als formale Verallgemeinerung der einzelnen Arbeit behandelt Hegel außer der
Maschinenarbeit auch die Arbeitsteilung. Auf seine Analyse des Arbeitswerts wirkt sich
zwar die damalige Nationalökonomie, insbesondere Adam Smiths,61 aus, aber seine
Unterscheidung des Arbeitsbegriffs nach dem Wert lässt sich auch als Vorausnahme der
Marxschen Unterscheidung zwischen der konkreten und abstrakten Arbeit62 ansehen.
59
Das Problem des Kapitalismus liegt Marx zufolge im Widerspruch der sich immer mehr
vergesellschaftlichenden Produktionskräfte mit den Produktionsverhältnissen, d. i. dem Privatbesitz der
Produktionsmittel. Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844) MEW 40, S. 523-567.
Zur Kritik der politischen Ökonomie MEW 13, S. 8-9.
60
Der Vorwurf Hösles in ökologischer Hinsicht gegen den angeblichen Vulgärhegelianismus wegen der
Bejahung des übermäßigen Vorrechts des Geistes gegenüber der Natur, andeutungsweise auch gegen
Hegel wegen seines milden Fortschrittsoptimismus des Geistes, kann aber nur schwer auf Hegel zutreffen,
der bereits früher sowohl die bedrohliche Seite der geistigen Tätigkeit als auch die Notwendigkeit der
Natur als des Andersseins des Geistes einsah. D. h. das Begreifen ist selbst schon das geistige
Beherrschen des Begriffenen (N 376), daher muss der Begriff des Geistes immer mit Vorsicht bestätigt
und realisiert werden, um dem Begriffenen keine Gewalt anzutun, sondern es seinem Wesen nach als das
Anderssein des Geistes bestehen zu lassen. Die Realisierung des Geistes ist nicht einseitige Aneignung
der Natur, sondern das Werden oder Vergegenständlichen des Geistes zur Natur als seinem Anderssein
nach ihrem wesentlichen Seinsverhältnis. Im ähnlichen Sinne sieht Liebrucks bei Hegel eine Art ‘Praxis
des Zen-Buddhismus’, nicht der Gewalt. Hösle, Vittorio: Praktische Philosophie in der modernen Welt, S.
171-177. Liebrucks, Bruno: Recht, Moralität und Sittlichkeit bei Hegel MR, S. 35, 38. Zu Hegels
Ansätzen einer ökologischen Sittlichkeit siehe auch Reusswig, Fritz: Natur und Geist. Grundlinien einer
ökologischen Sittlichkeit nach Hegel, S. 162-167, 194-201, 228-236.
61
J I., Anhang, S. 384-385.
62
Eichenseer, Georg: Die Auseinandersetzung mit dem Privateigentum im Werk des jungen Hegel, S.
100-102. Zu einem etwas groben, aber überprüfungswürdigen Vergleich siehe Tuschling, Burkhard:
Objektiver Geist: Kapital. Dialektik bei Hegel, Dialektik bei Marx, in Die Folgen des Hegelianismus, S.
193-221. Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie MEW 13, S. 19-24. Das Kapital Bd.1 MEW
23, S. 52-61.
251
Ein gutes Beispiel hierfür ist seine Rede von der Arbeit im lebendigen Zusammenhang
mit der Natur und von der Arbeit als formaler Tätigkeit. Dafür sprechen auch die von
ihm genannten Arbeiten “als Arbeiten eines einzelnen für seine Bedürfnisse” und die
“allgemeine ideale” Arbeit, die von Hegel als die Zweifachheit der Arbeit des Einzelnen
in Betracht gezogen werden (J I.321). Die letztere Arbeit, die bei Hegel das Resultat der
formalen Verallgemeinerung der einzelnen Arbeit selbst ist, ist bereits fast die von ihrem
qualitativen Zusammenhang abstrahierte und quantifizierbare Arbeit bei Marx als das
Resultat der Vergesellschaftung der Produktion, deren Hauptmerkmal die Arbeitsteilung
ist. Hierin wird der Mensch den Produkten, dem Produktionsprozess, seiner Arbeit und
ferner seinem Wesen als arbeitendem Menschen entfremdet.63 Diese Entfremdung wird
aber bei Hegel nicht einmal durch die künstliche Verstaatlichung der Produktionsmittel
abgeschafft, sondern insofern sie das wirkliche Resultat der Entäußerung der Einzelnen
ist, kann sie durch die rechtlichen Institutionen eben als das Anerkanntsein von den
Einzelnen selbst überwunden werden.
Die Arbeit ist im Wesentlichen die Tätigkeit des praktischen Bewusstseins, in der die
einzelne Begierde und deren einzelner Gegenstand sich als ideell Aufgehobene auf
einander beziehen. Der ideell aufgehobenen, also nicht unmittelbaren, sondern
menschlich gedachten und gesetzten Begierde verleiht Hegel nun den Ausdruck
„Bedürfnis“. Die Arbeit des Einzelnen hat daher selbst das vernünftige und allgemeine
Verhältnis, und als dieses ist sie anerkennbar. Die anerkennbare Arbeit ist nicht Arbeit,
die Bedürfnisse des Einzelnen unmittelbar befriedigt, sondern in der die Einzelheit
seiner Bedürfnisse selbst aufgehoben, also als das allgemeine und anerkannte Bedürfnis
im Volk ist. Nicht die einzelne Arbeit, die einzelne Bedürfnisse befriedigt, sondern die
allgemeine Arbeit für die Befriedigung des allgemeinen Bedürfnisses wird als die
Tätigkeit des Einzelnen anerkannt, und nur vermittelt durch diese anerkannte Arbeit ist
das Bedürfnis des Einzelnen auch als anerkannt erfüllbar. In diesem Sinne ist die
Freiheit des Einzelnen bei Hegel weit entfernt vom liberalen Individualismus. Der
Einzelne setzt sein einzelnes Bedürfnis als aufgehobenes, als allgemeines im Volk und
befriedigt es durch die allgemeine Arbeit dafür. Insofern ist sein zu befriedigendes oder
befriedigtes Bedürfnis auch anerkannt. Aber dieser begriffliche Prozess der
Anerkennung lief realiter in anderer Weise, und hieran erkennt Hegel eben die schlechte,
aber wirklich notwendige Verallgemeinerung der Arbeit. Denn der Einzelne kann nicht
immer durch die Aufhebung jedes einzelnen Bedürfnisses jede allgemeine Arbeit
verrichten und dadurch sein Bedürfnis erfüllen. Sondern er verallgemeinert de facto
seine Arbeit nicht sowohl jeweils durch die Aufhebung aller seiner Bedürfnisse als
63
Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844) MEW 40, S. 510-522.
252
vielmehr durch die Extraktion und Abstraktion von seinen einzelnen Bedürfnissen. Er
setzt sein Bedürfnis als aufgehobenes allgemeines und betreibt eine allgemeine Arbeit
dafür. Die Produkte dieser Arbeit gehen über seine Not hinaus und sind nun eher
Gegenstände des allgemeinen Bedürfnisses des Volks. In diesem Verhältnis zwischen
der allgemeinen Arbeit und dem allgemeinen Bedürfnis ist ferner sein konkretes
Bedürfnis nicht enthalten, sondern davon getrennt. Was er produziert hat, braucht er
nicht mehr, oder er produziert nicht mehr, was er braucht. Seine allgemeine Arbeit
bezieht sich nur formal auf das allgemeine Bedürfnis, und außerhalb dieser formalen
Beziehung liegt sein konkretes Bedürfnis. Bei ihm sind einerseits seine einzelne Arbeit
als eine allgemeine und sein konkretes Bedürfnis getrennt, und jene wird für dieses
äußerlich verrichtet. Jene seine Arbeit ist andererseits auch für das allgemeine Bedürfnis
des Volks und kann daher anerkannt sein. Aber sie ist bei ihm für sein eigenes Bedürfnis,
und zwar für alle seine Bedürfnisse. In seiner allgemeinen Arbeit ist deshalb die
Einzelheit seines Bedürfnisses nicht aufgehoben, sondern lediglich nicht unmittelbar
enthalten. Seine Arbeit als eine einzelne ist “eine formale abstracte allgemeine”
geworden, und seine Produkte befriedigen nun nicht unmittelbar seine Bedürfnisse,
sondern sind “nur die Möglichkeit” der Befriedigung. Er muss nämlich seine Produkte
für die Not seiner anderen Bedürfnisse tauschen. Hier ist der bedürfende Einzelne
seinen Produkten äußerlich und entfremdet. Diese Entfremdung des Produzenten
überhaupt ist verschieden von der Marxschen Entfremdung des Lohnarbeiters von
seinen Produkten in der Klassenordnung des Produktionsprozesses, vielmehr
gründlicher und ontologischer. Denn sie ist der Tätigkeit des Arbeitenden selbst logisch
immanent, und sie ist geschichtlich entstanden.
Die Befriedigung der Bedürfnisse des Einzelnen ist nun als auf den Tausch angewiesen
unter zwei Bedingungen möglich. Erstens ist “die Befriedigung der Totalität seiner
Bedürfnisse” nun “eine Arbeit aller”, d. i. “die Arbeit des ganzen Volkes”, die seine
Bedürfnisse und seine äußerliche allgemeine Arbeit dafür vermittelt. Diese Vermittlung
läuft über den Tausch seiner Produkte, dessen Möglichkeit eben Vergleichbarkeit der
Produkte voraussetzt. Hegel deutet diese Vergleichbarkeit hier nur als aus der
Vergleichbarkeit der Bedürfnisse nach den Produkten entspringend an. Die
Bedürfnisbefriedigung des Einzelnen hängt von der Möglichkeit der
Bedürfnisbefriedigung aller Anderen durch seine Produkte ab. Die Bearbeitung dieser
Produkte ist daher selbst eine allgemein vergleichbare Arbeit. Die Arbeit eines jeden hat
also zweitens “einen Wert”. Hegel erklärt hier nicht ausführlich den Ursprung des
Wertes, sondern richtet seine Aufmerksamkeit vor allem auf die Tatsache, dass die
allgemeine Arbeit des Einzelnen keineswegs konkret allgemein, sondern selbst abstrakte
253
Arbeit als ein vergleichbarer Wert ist. Die Arbeit des Einzelnen und sein Besitz der
Produkte sind nun “nicht was sie für ihn sind, sondern was sie für alle sind”. Nicht nur
seine Produkte, sondern auch sein Produktionsprozess selbst ist nun seinem konkreten
Bedürfnis äußerlich und bleibt nur die Möglichkeit von dessen Befriedigung. Er arbeitet
nicht als das lebendige Korrelatum seines Bedürfnisses, sondern als der abstrakt Tätige
für dessen Erfüllbarkeit, die nun nichts anderes als “eine allgemeine Abhängigkeit aller
voneinander” ist. In dieser Abhängigkeit der formalen und abstrakten Arbeit eines jeden
verschwindet “alle Sicherheit und Gewißheit daß sein Arbeiten als einzelnes seinen
Bedürfnissen unmittelbar gemäß ist”64 (J I.322).
Die formale Verallgemeinerung der Arbeit beruht im Grunde genommen auf dem
“Auseinanderlegen des Concreten” in dem Bedürfnis und der Arbeit. Zuerst wird ein
Bedürfnis von den konkreten Bedürfnissen des Einzelnen extrahiert und als ein
allgemeines gesetzt, und demgemäß wird seine einzelne Arbeit auch die allgemein
quantifizierbare Arbeit für die Tauschbarkeit der Produkte des allgemeinen Bedürfnisses.
Das Auseinanderlegen entsteht des Weiteren auch in seiner einzelnen Arbeit selbst, die
nun nur den Sinn eines quantitativen Wertes hat. D. h. die einzelne Arbeit wird immer
mehr in Teilarbeiten vereinzelt und differenziert. Dadurch geht zum einen die lebendige
Konkretheit der einzelnen Arbeit zwar auch immer mehr verloren, aber die Teilarbeit,
die in hohem Maß differenziert, also nun indifferent ist, wird zum anderen umso leichter
zu quantifizieren und zu erlernen. Die Vergrößerung dieser Geschicklichkeit hat
anscheinend die leichtere Beherrschung der Natur durch den Menschen zur Folge. Das
64
Hegel versucht auch in seiner eigenen Weise über nationalökonomische Annahmen wie die
Bestimmung des Wertes durch das Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot oder durch die
eingesetzte Arbeitsgröße hinauszugehen. Eine wichtige Rolle spielt hier Landau zufolge eben die
Aristotelische Tradition, die ‘den Wert am Bedürfniss’ messe. Hegel liefere dennoch ‘keine klare Analyse
des Wertbegriffs’. Aber sein Wertbegriff lasse sich an der Rechtsphilosophie ablesen, wo er als ‘objektiv
bestimmbar durch die konkrete Vergleichbarkeit aller individuellen Bedürfnisse’ erklärt sei. Die
Vergleichbarkeit ist nach der ersten Jenaer Geistesphilosophie auf “die Abstraction eines Bedürfnisses als
ein allgemeines” gegründet, für die die Arbeit “eine formale abstracte allgemeine” wird (J I.322). Das
abstrakte Bedürfniss und die abstrakte Arbeit dafür aber fallen bei Hegel nicht in den
nationalökonomischen Kontext. Sondern er betrachtet ihre Rückkehr zur Konkretheit und sogar, wenn
dies unmöglich ist, das Eingreifen der Staatsgewalt als notwendig, weil ihre Wahrheit in der Befriedigung
des mit dem Allgemeinen vermittelten Bedürfnisses liegt. In dieser Hinsicht steht Hegel nicht auf dem
Standpunkt der Nationalökonomie, wie in der Einschätzung von Marx. Sondern die Abstraktheit von
Bedürfnis und Arbeit muss vom Einzelnen oder ferner institutionell aufgehoben werden können, insofern
der Tausch des abstrakten Wertes nicht die materiale und distributive Gerechtigkeit im Aristotelischen
Sinne garantiert, sondern häufig gesellschaftliche Ungleichheit verursacht. Die Arbeit des Einzelnen muss
sein Bestehen als Person durch die Befriedigung seines konkreten Bedürfnisses materialiter sichern
können. Eben darum wird auch ‘Hegels Vertragslehre’, wie Landau erläutert, ‘eine Synthese
naturrechtlicher Gedanken materialer Vertragsgerechtigkeit mit dem Prinzip der Privatautonomie’
versuchen. Landau, Peter: Hegels Begründung des Vertragsrechts MR, S. 182-188. GPR, § 63. Marx,
Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844) MEW 40, S. 574. Zu Hegels Kritik der politischen
Ökonomie siehe Arndt, Andreas: Die Arbeit der Philosophie, S. 56-63.
254
Bedürfnis und die Arbeit scheinen sich also auch in der allgemeinen “Form des
Bewußtseyns” zu entwickeln. Aber diese allgemeine Form ist äußerlich extrahiert vom
Konkreten der ersteren. Das Bewusstsein des Einzelnen ist “nicht eine Absolutheit”,
worin die einzelne Beziehung selbst bei seinen Bedürfnissen und Arbeiten völlig
vernichtet und aufgehoben ist, sondern noch “darauf gerichtet, diese Einzelnheit
aufzuheben”, aber dadurch, dass er ein Einzelnes von ihnen abtrennt, als ein alle seine
anderen Bedürfnisse bzw. Arbeiten Ersetzendes, d. i. als ein quantitativ Allgemeines
setzt und als die mit allen Bedürfnissen bzw. Arbeiten des Volkes vergleichbare
Quantität ununterbrochen vereinzelt, damit verallgemeinert. Die Verallgemeinerung
“auf diese formale falsche Weise” des Auseinanderlegens ist empirisch unendlich, so
wie die empirische Differenzierung einer Linie in unendlich viele Punkte.
Dementsprechend vergrößert die Arbeitsteilung auch vielmehr die Abhängigkeit des
Einzelnen von der Natur. Diese resümiert Hegel unter vier negativen Resultaten. Vor
allem vergrößert sich die Abhängigkeit in der Proportion mit der Steigerung der
Produktmenge, die Hegel nach Adam Smith als die unmittelbare Folge der
Arbeitsteilung betrachtet. Die drastische Vermehrung der Produkte durch den etwas
größeren Einsatz der geteilten Arbeiten unter der gleichen Bedingung von Arbeitslohn
und Arbeitsstunden bedeutet auf der einen Seite die Vermehrung der produzierten
Wertsumme, die aber andererseits nichts anderes als das relative Sinken des Wertes der
gleichen Lohnarbeit ist. D. h. um die der vermehrten Wertsumme entsprechende
Kaufkraft zu haben, muss die Teilarbeit immer mehr und abhängiger verrichtet werden.
Zweitens wird die immer mehr geteilte und vereinfachte Arbeit selbst “umso absolut
todter”, also geeigneter für die Maschinenarbeit. Die allzu leicht zu erlernende
Geschicklichkeit ist äußerst beschränkt und einfach. Die Wiederholung dieser einfachen
und maschinenmäßigen Arbeit führt “zur letzten Stumpfheit” des arbeitenden
Bewusstseins (J I.323). Der Arbeiter wird seinem bewussten, d. i. menschlichen Wesen
entfremdet. Darüber hinaus steht die einzelne Arbeit eines jeden im unübersehbaren
Zusammenhang “mit der ganzen unendlichen Masse der Bedürfnisse”. Jeder kann
trotzdem nicht vermeiden, vom unsicheren Zusammenhang blind abzuhängen, insofern
das Erfüllungsmittel seiner Bedürfnisse solche Arbeit ist. Deshalb ist “die Arbeit einer
ganzen Klasse65 von Menschen” immer gefährdet durch eine entfernte Manipulation,
65
Der Ausdruck “Klasse”, der in der ersten Geistesphilosophie nur einmal (J I.324) und in der zweiten
nur dreimal (J III.244, 245, 270) auftaucht, kann aber kaum als eine deutliche Beziehung für die
gesellschaftliche Klasse der Lohnarbeit, wie Eichenseer interpretiert, angesehen werden. Eichenseer,
Georg: Die Auseinandersetzung mit dem Privateigentum im Werk des jungen Hegel, S. 102. Aber Hegel
bedient sich auch nicht ‘einer sachlich durchaus unpassenden, ideologischen Redeweise’, die LübbeWolff zufolge Rücksicht nur auf den Erwerbsstand mit Ausschluss von Fabrikarbeitern nimmt. LübbeWolff, Gertrud: Hegels Staatsrecht als Stellungnahme im ersten preußischen Verfassungskampf. ZPF 35, S.
255
sie “überflüssig und unbrauchbar” zu machen. Die Arbeit eines jeden ist nun die ihrem
Zweck entfremdete Arbeit. Schließlich ist die immer bequemere “Assimilation” oder
Einbeziehung der Natur in den Produktionsprozess durch die Arbeitsteilung in
unendliche Stufen teilbar. Aber die übermäßig vielen Bequemlichkeiten der so geteilten
Arbeiten machen die Assimilation im Ganzen “wieder ebenso absolut unbequem”. D. h.
für den Einzelnen kann die Beherrschung der Natur durch seine leichte Teilarbeit
bequem sein, aber seine Arbeit ist die teilweise Beziehung mit der zerlegten und
analysierten Natur im Ganzen; daher wird die assimilierende Beziehung auf die Natur
als das organische Ganze immer schwerer und unbequemer.
Diese formale und falsche Verallgemeinerung der Arbeit scheint einerseits von der
geistesphilosophischen, d. i. immanenten und notwendigen Entwicklung des Geistes
abzuweichen und andererseits plötzlich die ökonomische Analyse hervorzuheben. Aber
dieser Eindruck verschwindet sofort, wenn darauf geachtet wird, dass sich die
Geistesphilosophie nun nicht im Bereich des Geistes nach seinem Begriff, sondern
seiner Wirklichkeit befindet. Die Bewusstseinslehre im Vorigen ist nur die Lehre von
der begrifflichen Existenz des Geistes im Zusammenhang mit dem äußeren Gegenstand
als seinem Anderssein. Die vorige Lehre vom Anerkennungskampf ist ebenfalls
lediglich die bewusstseinsimmanente und ontologische Lehre der Anerkennung als
Grund der realiter in der Gesellschaft zumeist ohne extremen Kampf gezollten
Anerkennung. In der Gesellschaft als dem wirklichen Ort der anerkennenden Beziehung
ist der Geist noch nicht, was er ist. Insofern nicht der Geist selbst, sondern das geistige
Subjekt, das gesellschaftliche und sittliche Individuum, sich selbst realisiert und
entäußert, wird der Geist in seiner Andersheit und Endlichkeit realisiert. Die schlechte
Wirklichkeit ist nicht auf dem endlichen Standpunkt dieses Individuums, sondern durch
dessen Reflexion oder auf dem Standpunkt seines Geistes als ein Irrtum erfasst.
Jedenfalls ist sie dennoch die vorhandene Wirklichkeit des Geistes, in der er irgendwie
realisiert und durchgesetzt ist. Wegen dieser Tätigkeit des Geistes hebt auch der
wirkliche Widerspruch sich selbst auf, was nichts anderes als die Entfaltung der
Geschichte durch das sittliche Subjekt ist. Dies ist nämlich ganz und gar keine
natürliche Evolutionslehre, sondern eine Art gesellschaftliche Ontologie des Geistes im
Einzelnen und zugleich Lehre von seiner Entwicklung durch das einzelne, aber geistige
Subjekt. Aber um das Geistige oder die wirkende Vernunft in der Wirklichkeit, nämlich
den wirklichen Geist, zu erfassen, muss in erster Linie die Wirklichkeit selbst zuerst
499. Sondern vielmehr hat er eine jeweilige ganze Gruppe aus Geschäftsmännern und Arbeitern in jedem
Erwerbszweig im Sinne, die das unverschärfte Verhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im damals
industriell noch unentwickelten Deutschland sachlich widerspiegelt.
256
realistisch auf den Begriff gebracht werden. Die Wirklichkeit ist hier die sich
wirtschaftlich entwickelnde und politisch reorganisierende Gesellschaft der Neuzeit.
Deshalb stellt Hegel zunächst die ökonomische Tätigkeit der Einzelnen vor Augen. Aber
er stellt nicht nur ihre ökonomische Diagnose. Die einzelne Arbeit eines jeden als die
formale und abstrakte allgemeine, deren Begriff auch als das dingliche Dasein des
Geldes realisiert ist, bildet zusammen mit dem gleichfalls verallgemeinerten Bedürfnis,
dessen Begriff als die dingliche Ware des Konsums konkretisiert ist, “für sich in einem
grossen Volk “ein ungeheures System von Gemeinschafftlichkeit und gegenseitiger
Abhängigkeit”. 66 In der Gemeinschaft eines so großen Volks, in dem die
Volksmitglieder in einem gesellschaftlichen Ausmaße tätig sind, wird die Gesellschaft
als das System der gegenseitigen Abhängigkeit gebildet, in dem jeder gleichsam wie ein
Toter “blind und elementarisch sich hin und herbewegt” oder wie “ein wildes Thier”
eine beständige Bezähmung und Bildung braucht (J I.324). Eben aus diesem Grunde ist
die neuzeitliche Gesellschaft für Hegel der vorhandene Naturzustand. Aber dieser
Naturzustand ist auch eben der Ort, wo sich die Gesellschaft nach ihrem vernünftigen
Wesen kontrolliert, ordnet und organisiert. Daher ist Hegels Hauptinteresse hier nicht
einfach ökonomisch, sondern vielmehr auf ‘die gesellschaftsbildende Funktion der
ökonomisch-poetischen Tätigkeit’ 67 der Einzelnen gerichtet. Im System der
Abhängigkeit lässt sich die Sicherheit jeder Tätigkeit nur durch die wechselseitige
Anerkennung garantieren, deren konkurrierende und streitende Beziehung im
typisierten Falle jedoch hier im unvollständigen Manuskript der ersten
Geistesphilosophie keine weitere Erklärung findet. Trotzdem lässt sich eine solche
anerkennende Beziehung mit Billigkeit und Gewissheit voraussehen, in der auch das
objektive Dasein des Anerkanntseins als die vernünftige Basis der Gesellschaft, eben als
das Recht 68 , wie später zu sehen, erreicht wird. Aber zuletzt ist in der ersten
66
Auch nach dem System der Sittlichkeit ist niemand im “System der allgemeinen gegenseitigen
physischen Abhängigkeit von einander” “für die Totalität seines Bedürfnisses” selbstständig, und seine
Arbeit oder irgendein Vermögen der Befriedigung seines Bedürfnisses “sichert ihm nicht diese
Befriedigung”. SE, S. 350.
67
Riedel, Manfred: Zwischen Tradition und Revolution, S. 123.
68
Die Wirtschaftslehre Hegels, die Priddat bezüglich der Rechtsphilosophie als eine Lehre der
‘normativen Wirtschaftsverfassung’ aus der rechtlichen Perspektive der Ökonomie bestimmt, gilt auch
hierfür. Hegels Ökonomie sei nämlich ‘keine Smithsche Kapitalwirtschaft’, die durch invisible hands
automatisch ausgeglichen werde, sondern eine arbeitsteilige ‘Tauschwirtschaft aristotelischen Musters’, in
der der schwankende Wert der Dinge im System der Sittlichkeit durch die Regierung, in der
Rechtsphilosophie durch die Korporationen gesichert, ferner die normative Verteilung der Einkommen
und das Recht auf Arbeit versichert werden. Priddat, Birger P.: Hegel als Ökonom, S. 9-42, 185-193. Die
Aristotelische Verbindung von ‘private property’ und ‘common use’ aufgrund der Grundidee, dass
‘property’ ‘an natural and normal extension of personality, a source of pleasure and an opportunity of
good activity’ ist, wird von Hegel eben als die moderne und normative Verbindung vom Privateigentum
und Gemeinwohl aufgenommen und versucht. Ross, David: Aristoteles, S. 245-246.
257
Geistesphilosophie noch der Besitz nach dem allgemeinen Charakter der anerkennenden
Beziehung zu erklären.
Der Besitz war nach der Bewusstseinslehre “das dritte, das Erzeugte”, in dem die
befriedigte Liebe als das Anderssein von den vereinten beiden in Gestalt der Dingheit
vergegenständlicht ist (J III.211). Danach war der Besitz das unmittelbare Moment des
Auftakts zum Anerkennungskampf, weil er vom totalen Bewusstsein des Einzelnen als
eins mit seinem ganzen Wesen, “als ausschliessende Totalität” gesetzt wird (J I.309). Er
ist nun die “ruhende Seite”, nämlich das dingliche Relatum des Arbeitens und
Bedürfnisses des Einzelnen (J I.324). Wenn das, in dem die allgemeine Arbeit eines
jeden als der allgemeine Begriff von Wert in der materiellen Gestalt existiert, das Geld
ist, ist der Besitz des Einzelnen das konkrete Erzeugnis des allgemeinen Bedürfnisses
und der allgemeinen Arbeit, das zugleich auch mit dem Geld, d. i. in allgemeiner Weise,
vorstellbar ist. Der so vorstellbare Besitz des Einzelnen ist im ganzen Volk selber “ein
allgemeiner”. Dieser allgemeine Besitz ist nur insofern der anerkannte Besitz des
Einzelnen, als jeder Einzelne “durch das allgemeine Bewußtseyn” jeden Besitz so setzt.
Nach der Lehre vom Kampf um Anerkennung erreichte jeder als gegenseitig anerkannt
bereits dies allgemeine Bewusstsein, in dem jede Einzelheit aufgehoben ist. Vermittels
dieses Bewusstseins besitzt jeder nun das seinige, dessen Einzelheit ebenfalls
aufgehoben ist. Insofern ist der Besitz jedes Einzelnen anerkannt. Die allgemein
verwertbare Seite des einzelnen Besitzes impliziert daher sein Gesetztsein im
allgemeinen Bewusstsein, im Geist des Volks. Deshalb wird er auch als ein allgemeiner
Besitz im Volk austauschbar. Der so anerkannte, einzelne Besitz des allgemein
abschätzbaren Erzeugnisses ist eben das “Eigenthum”.69 Das Eigentum ist der durch
das allgemeine Bewusstsein als anerkannt gesetzte Besitz jedes Einzelnen in der
beständig anerkennenden Beziehung aller. 70 Im Eigentum sind nun also die
Ausschließlichkeit und der Widerspruch des Besitzes folgendermaßen überwunden.
Zunächst wird die Ausschließlichkeit des Besitzes durch das allgemeine Bewusstsein zu
69
Hegels Eigentumsbegriff ist also kein traditionell-naturrechtlicher Rechtstitel als ‘Okkupation’, die
wegen ihrer kämpferischen Ausschließlichkeit den Gesellschaftsvertrag notwendig macht, sondern alles
der Person Äußere und Dingliche als das äußere Dasein der Person im weiten Sinne von dominium, das
durch die Formen der gesellschaftsbildenden Vermittlung, wie Arbeit und Tausch, steht unter der
anerkannten Herrschaft der Person. Riedel, Manfred: Zwischen Tradition und Revolution, S. 131.
Seelmann, Kurt: Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S. 18. Das Eigentum ist daher weder auf die
nur versachlichte Natur noch auf die nur versachlichte Beziehung der freien Person, in Ritters
Interpretation, zu beschränken. Ritter, Joachim: Person und Eigentum MR, S. 158-164.
70
Nach VNS § 24, “Besitz und Eigentum sind wesentlich eins, das Eigentum ist die rechtliche Beziehung
des Besitzes, und im Besitz bleibt, wenn beide getrennt werden, nur die Seite der äußerlichen Beziehung”.
Jene rechtliche Beziehung des Besitzes ist eben die hier erklärte anerkennende Beziehung. Siehe auch
GPR § 45.
258
einer solchen Ausschließlichkeit aller, in der jeder gemeinschaftlich alle Anderen von
seinem bestimmten Besitz ausschließt und nur diesen bestimmten Besitz hat. In diesem
Sinne ist das ausschließende Besitzen des Einzelnen das ausschließende Besitzen aller.
Die Ausschließlichkeit des Besitzes ist als die gemeinschaftliche Ausschließlichkeit
aller anerkannt und aufgehoben. Der Widerspruch des Besitzes lag ferner zwischen
seiner Allgemeinheit als Ding und seiner bestimmten Zugehörigkeit als Besitz. Das
allgemeine Bewusstsein setzt nun ein allgemeines Ding “als das Gegentheil seiner
selbst” an sich, nämlich als ein einzelnes Ding aller Einzelnen. Allgemeines ist immer
da als ein Allgemeines gegenüber allen Einzelnen. Ein Ding als Ding ist nämlich als der
mögliche Besitz aller nur einem Einzelnen angehörig. Es ist ferner insofern ein
einzelner Besitz, als alle das Ihrige besitzen. Im Setzen eines allgemeinen Dings als
eines einzelnen Besitzes ist aller einzelne Besitz von allen Dingen bereits als anerkannt
realisiert. Ein einzelner Besitz ist eine Wirklichkeit alles einzelnen Besitzes. Indem “in
diesem einzelnen Besitz alle besitzen”, ist der einzelne Besitz zugleich allgemein und
als das allgemeine Ding anerkannt. Die Allgemeinheit eines Besitzes als Dings erscheint
als seine Austauschbarkeit, und die Einzelheit eines Dings als Besitzes tritt als seine
bestimmte Zugehörigkeit auf. Diese gegenseitig anerkannte Allgemeinheit des einzelnen
Besitzes ist nichts anderes als die Allgemeinheit des besessenen Dings als Dings, die
aber nun “die Form des Bewußtseyns” erhalten hat. Deswegen ist auch “die Sicherheit
meines Besitzes” “die Sicherheit des Besitzes aller”, und “in meinem Eigenthum” als
anerkanntem Besitz haben auch “alle ihr Eigenthum”. Mein Eigentum ist nun zwar als
das meinige ein bestimmter Besitz, doch bereits “nicht auf mich allein bezogen sondern
allgemein” als der wechselseitige Grund für das Eigentum aller Anderen.
Der anerkannte Besitz bzw. das Eigentum gründet sich darauf, dass seine
ausschließliche Einzelheit ideell aufgehoben und als eine Einzelheit des allgemeinen
Besitzes aller anerkannt wird. Das Eigentum ist daher realiter einzeln besessen und
zugleich idealiter allgemein anerkannt. Es ist also das Konkrete als die “Identität
entgegengesetzter” oder Einheit des einzelnen und des allgemeinen Besitzes. Aber die
Allgemeinheit des Eigentums ist bekanntermaßen auch in der allgemeinen Weise des
Werts vorstellbar. Der Einzelne kann also sein konkretes Eigentum nur so vorstellen und
ins Allgemeine des Eigentums setzen. Dadurch entsteht auch die Vereinzelung des
Eigentums, wie bei der Arbeit und dem Bedürfnis. Wegen des Setzens der Vereinzelung
werden zwei Momente des Eigentums als Einheit abgetrennt und zwar “für sich, als
Abstractionen” (J I.325). Denn das Eigentum als anerkannt ist nur als die Einheit seiner
Einzelheit und Allgemeinheit konkret einem Einzelnen gehörig. Aber nun bestehen das
allgemeine Eigentum als von seiner Einzelheit getrennt und das einzelne als von seiner
259
Allgemeinheit getrennt nebeneinander. Das erstere ist als das Eigentum, in dem seine
Einzelheit nicht mehr gültig, sondern aufgehoben ist, im ganzen Volk gesetzt. Der
Einzelne besteht in dieser Weise im Volk, weil seine einzelne Totalität nur als
aufgehobene im Volk sein kann. Doch mit dem getrennten allgemeinen Eigentum ist er
nun “nur im ganzen des Volkes”. Hingegen ist das letztere Eigentum nun für den
Einzelnen wiederum lediglich “das Einzelne des Bedürfnisses und Besitzes”, das “in die
Natur seiner Einzelnheit zurück” fällt. Mit diesem getrennten einzelnen Eigentum bleibt
der Einzelne in sich selbst. Diese Auseinanderlegung bedeutet nun nichts anderes als
das freiwillige Aufhören des Einzelnen, “die Ehre zu haben”. Die Ehre heißt die
Totalität des Einzelnen auf der gesellschaftlichen Ebene, als die er im
Anerkennungskampf seinen einzelnen Besitz als eins mit seinem ganzen Wesen setzte.71
Da konnte er lediglich durch das Aufgeben und Aufheben seiner einzelnen Totalität als
Person anerkannt werden. Indem er sein Eigentum abtrennt, bleibt er auf der einen Seite
mit seinem einzelnen Eigentum, das zwar noch durch das allgemeine Bewusstsein des
Volks idealiter anerkannt, aber wegen seiner Abtrennung nun ihm als abstrakt einzelnes
ist, “als eine Organisation”, d. i. als die “Person” bestehen. Auf der anderen Seite
erscheint das allgemeine Eigentum, das der Einzelne von sich abtrennt und als abstrakt
allgemeines setzt, seiner Person “aüsserlich als Sache” (J I.326). Die Darstellung der
ersten Geistesphilosophie bricht hier ab. Aber die Person und die Sache als getrennte
müssten in der antizipierbaren Darstellung die Grundstruktur des Tausches im Handel
ausmachen. Die unmittelbaren Erzeugnisse der konkreten Arbeit sind so unmittelbar
Eigentum des Einzelnen als die Einheit mit seiner Person. Aber die Produkte der
abstrakt allgemeinen Arbeit sind als von der Einheit des Eigentums abgewichen die
Waren. Die Sache ist der rechtliche Terminus der Waren, insofern und weil diese auf
jeden Fall aus der, obzwar abstrakten, dennoch allgemeinen Entäußerung der Person
entspringen und ihr Tausch daher nur in der rechtlichen Beziehung der Personen
möglich ist. Die gerecht ausgetauschte Sache wird wiederum als vereint mit der
aufgehobenen Ehre der Person realiter anerkannt. Aber dafür muss vor allem der Tausch
selbst auch etwas Anerkanntes sein. Dies kann eben nichts anderes als das Recht sein.
Das Recht ist auch das Werk des Volkes, mit dem die Person im Kreislauf steht. Des
Weiteren, wenn alle Formen des Verkehrs im Volk, wie Sprache, Arbeit, Tausch u. a. die
anerkennende Tätigkeit des sittlichen Subjekts sind, müsste das Recht als das objektive
Anerkanntsein72 der Tätigkeit selbst das endgültige Werk des Volkes sein. Aber dies
71
Siehe S. 202. Anm. 5.
Diese Unterscheidung der zwei Seiten der Anerkennung entspricht in Theunissens Analyse der
Rechtsphilosophie der Unterscheidung zwischen dem Verhältnis der Personen und dem der sittlichen
72
260
alles findet hier keine weitere Darstellung. Sie ist erst in der zweiten Geistesphilosophie
zu erwarten, wo Rechtsverhältnisse als das objektivierte Anerkanntsein der Person, wie
unten, thematisiert sind.
2.3. Anerkanntsein der Person als des gesellschaftlichen Subjekts
Die zweite Geistesphilosophie fokussiert die objektive Seite des Anerkanntseins durch
gesellschaftliche Tätigkeit. Die gesellschaftliche Tätigkeit als die anerkennende
Beziehung des sittlichen Subjekts beruht in der ersten Geistesphilosophie auf der
Verallgemeinerung eines jeden Bewusstseins. Jede verallgemeinernde Tätigkeit in der
Gesellschaft gelangt jeweils zu einem Anerkanntsein. Aber diese Tätigkeit ist zugleich
auch die objektivierende Tätigkeit dessen, was durch den Einzelnen verallgemeinert
wird. Insofern ist das Anerkanntsein objektiv-allgemeines. Das Anerkanntsein als dies
objektiv Allgemeine steht hier im Mittelpunkt der Darstellung. Das Anerkanntsein, das
zwischen den Einzelnen nur kognitiv erreicht ist, ist zwar allgemein, aber noch nicht
objektiv oder lediglich ideell bzw. interpersonell objektiv. Die gesellschaftliche
Tätigkeit der Anerkennung hat nicht nur allgemeines, sondern auch objektiv
vorhandenes Anerkanntsein zur Folge. Wenn jene Tätigkeit das Thema der ersten
Geistesphilosophie ist, ist deren Resultat nun hier Hauptinteresse. Das Resultat kann in
so verschiedener Gestalt, wie seine Tätigkeit, erlangt werden. D. h. das Anerkanntsein
Substanz oder zwischen der ausdrücklichen Wechselanerkennung der Vertragspartner und der
unausdrücklich anerkannten Rechtsordnung im Vertrag. Diese normative Rechtsordnung im Vertrag ist
ihm zufolge von Hegel nur so erklärt, dass sie nicht direkt von den Kontrahenten, d. i. intersubjektiv, als
ein allgemeiner Wille ausgebildet werde, sondern lediglich als ein gemeinsamer bestehe. Aber diese
Kritik gründet auf einer falschen Prämisse, dass die intersubjektive Allgemeinheit wahre Allgemeinheit ist
und der intersubjektive Wille im Vertrag u. a. den allgemeinen Willen an und für sich unmittelbar
generieren kann. Hingegen kann erstens die Intersubjektivität allenfalls nur das halbe Element der wahren
Allgemeinheit sein, die bekanntlich gar nicht als solche selbst in der Welt erscheint, sondern nur durch die
Leistung oder Realisierung des gemeinsamen Willens erst als eine jeweilige wahre Entelechie bestätigt
wird. Zweitens ist jeder Vertrag im Grunde genommen verdoppelt, d. i. zum einen als die anerkennende
Tätigkeit jeder Person um eine konkrete Sache, zum anderen als auf dem Anerkanntsein der Person
basierend, das in der Geschichte als die Rechtsordnung beachtet und als Gesetz gesetzt ist. Jene
anerkennende Tätigkeit ist die konkrete Verwirklichung ihres Begriffs, d. i. des allgemeinen Willens in
der Gestalt des gemeinsamen, in diesem Sinne auch der Richtungsweiser der wirklich wahren
Allgemeinheit. Das unmittelbare Bewusstsein im Vertrag ist freilich nicht direkt das Rechtsbewusstsein,
zu dem es aber durch Selbstbildung im Vertrag u. a. gelangt. Deshalb sucht Hegel die unausdrückliche
‘Allgemeinheit nicht im Fortgang der’ ausdrücklichen ‘Gemeinsamkeit’ im Vertrag, sondern bestätigt und
erklärt diese nur eben als die Wirklichkeit der ersteren. Die intersubjektive Bildung des allgemeinen
Willens durch die Gemeinsamkeit des Willens wird von Hegel nicht verdrängt, sondern gehört für ihn
bezüglich des Rechts zur empirischen Sphäre der Rechtsbildung. Die Sache des bereits gebildeten und
gesetzten allgemeinen Willens hingegen ist Sache des Begriffs, eben der Philosophie, auf die Hegel
vornehmlich einzugehen versucht. Theunissen, Michael: Die verdrängte Intersubjektivität in Hegels
Philosophie des Rechts. HPR, S. 317-381. Insbesondere 328, 362-367, 380.
261
kann, wie oben erläutert, als Sprache, Werkzeug, Eigentum o. a. objektiv bestehen.
Diese Gestalten sind aber, ebenso wie ihre Tätigkeiten, zweifach, d. i. einerseits
Resultate der anerkennenden, andererseits der konkret sie erzeugenden Tätigkeiten, wie
Sprechen, Arbeiten, Besitzen u. a. Das gesellschaftliche Bestehen dieser konkreten
Tätigkeiten und ihrer Resultate wird nur durch die gleichzeitig darin implizierte
Tätigkeit der Anerkennung garantiert und ist nur als das objektive Anerkanntsein
möglich. Die adäquate Gestalt des Anerkanntseins müsste daher keine solche Gestalt
sein, in der die jeweilig heterogene Tätigkeit als ein allgemeines anerkannt wird,
sondern die anerkennende Beziehung selbst ist in allen gesellschaftlichen Tätigkeiten
objektiviert. Das wahrhaft objektive Anerkanntsein muss das Objektivierte der
Anerkennung selbst sein, gleich wie die wahre Realisierung der Liebe als des Geistigen
im oben Stehenden nicht in irgendeinem anderen Mittel, sondern erst im geistigen
Seienden selbst möglich war. Das, worauf die zweite Geistesphilosophie abzielt, ist also
vor allem das Anerkanntsein als die Entelechie der Anerkennung selbst. Eben aus
diesem Grunde treten hier andere Kategorien als in der ersten Geistesphilosophie ein,
nämlich diejenigen, in denen es sich gerade um das Anerkanntsein selbst handelt, wie
unmittelbares Anerkanntsein, Vertrag, Verbrechen und Strafe. Das objektiv realisierte
Anerkanntsein in diesen Gestalten ist nichts anderes als das Recht. Die hier
dargestellten Kategorien sind die äußeren Verkehrsgestalten des Rechts, und das Recht
ist das objektivierte Anerkanntsein als die Entelechie der Anerkennung selbst. Das
Recht als dies Anerkanntsein ist adäquat der anerkennenden Tätigkeit selbst, die als
mannigfaltige gesellschaftliche Tätigkeit auftritt. In diesem Hinblick zielt die zweite
Geistesphilosophie endgültig auf die Bildung der Rechtsverhältnisse selbst in den
mannigfaltigen gesellschaftlichen Verkehrsformen. Umgekehrt, damit diese
Verkehrsformen objektiv und allgemein gültig sind, müssen sie auf jenen
Rechtsverhältnissen beruhen. D. h. das Recht muss des Weiteren das verbindliche
Gesetz der gesellschaftlichen Handlung sein. Dies macht das zweite und wesentliche
Thema aus, das in der zweiten Geistesphilosophie als das Gewalt habende Gesetz, und
auch hier als wirkliches Anerkanntsein behandelt wird.
Durch den Kampf um Anerkennung ist das sittliche Subjekt selber unmittelbar
anerkannt. Der Kampf ist ohne gegenseitige Anerkennung durch die Selbstaufhebung
unvermeidlich, und insofern jeder dies reflektiert und vollzieht, wird er unmittelbar
anerkannt. Das sittliche Subjekt als das unmittelbare Anerkanntsein ist gerade “die
Person”. Die Person ist in erster Linie seine “unmittelbare Wirklichkeit” als sein erstes
Anerkanntsein. Sie ist nach der ersten Geistesphilosophie das, was das sittliche Wesen
des Einzelnen mit dem totalen Bewusstsein als das gesellschaftliche Subjekt organisch
262
konstituiert. Insofern weiß sie sich durch die Selbstaufhebung anerkennen zu lassen und
ist als anerkannt. Sie ist gemäß der zweiten Geistesphilosophie derjenige Einzelne, der
seinen einzelnen Willen zur Anerkennung durch das Wissen und Vollziehen der
Selbstaufhebung allgemeingültig realisiert. Sie ist vor allem das Subjekt des allgemein
wissenden, einzelnen Willens. Sein allgemeines Wissen betrifft im Wesentlichen eben
die Notwendigkeit, seine abstrakte und einseitige Einzelheit aufzuheben, um anerkannt
zu werden. Der so wissende Willen des Einzelnen ist gleich dem allgemeinen. Die
Person ist daher das Subjekt des Willens, der Intelligenz, oder der Intelligenz, die Wille
ist. In diesem sittlichen Subjekt ist der Geist erst wirklich. Die Tätigkeit des Subjekts ist
gerade die Verwirklichung des Geistes. Der Geist ist nun nicht mehr nur nach seinem
Begriffe, sondern er tritt ferner wirklich auf, in dem Maß, wie sich die Person dem
Begriff ihres Geistes angemessen realisiert. Also gelangt der in der Person wirkliche
Geist auch zur objektiven Wirklichkeit in dem Volk bzw. der Gesellschaft. Das
unmittelbare Anerkanntsein der Person für sich ist deswegen der Ausgangspunkt des
wirklichen Geistes in der zweiten Geistesphilosophie.
Die Person als das unmittelbare Anerkanntsein kommt zuerst in Bezug auf Begierde,
Arbeit und Tausch in Betracht. Dieser Teil ist mit den vorigen Darstellungen der ersten
Geistesphilosophie vergleichbar, abgesehen von der Abhandlung der Sprache. Aber der
Teil von der Begierde bis zum Verbrechen steht der Struktur nach eher dem ersten Teil,
dem abstrakten Recht, der Rechtsphilosophie näher, in dem Sinne, dass die zweite
Geistesphilosophie wegen ihres geistesphänomeno-logischen Charakters zumeist das
Rechtverhältnis als Anerkanntsein der Person hervorhebt. Dagegen ist der vorige Teil
der ersten Geistesphilosophie, der die Arbeit und den Tausch als die gesellschaftlichen
Tätigkeiten behandelt, dem Inhalt nach ähnlicher dem nächsten Teil der zweiten
Geistesphilosophie über das Gesetz und dem Teil vom System der Bedürfnisse in der
Rechtsphilosophie, in dem das gesellschaftliche System von der Arbeit und dem Tausch
erläutert ist. Dennoch ist der Teil der ersten Geistesphilosophie als die Darstellung der
anerkennenden Tätigkeit de facto nicht sowohl rechtsphilosophisch als vielmehr vorrechtsphilosophisch, daher bewusstseinstheoretisch.73 Dagegen liegt in der Darstellung
der zweiten Geistesphilosophie der Akzent auf der Darlegung des Rechtsverhältnisses –
und deshalb wird der Begriff der Person in den Vordergrund gerückt.
Die Person ist zunächst “als fürsichseyn überhaupt” vor allem “geniessend und
73
Es besteht in den beiden Geistesphilosophien bekanntermaßen kein der Moralität der
Rechtsphilosophie entsprechender Teil, außer der einzigen Rede von der Moralität als dem subjektiven
Relatum der Sittlichkeit in der Staatslehre der zweiten Geistesphilosophie (J III., S. 265). Aber die
Textteile vom Gesetz bis zum Staat hier entsprechen dann dem dritten Teil, d. i. der Sittlichkeit, der
Rechtsphilosophie.
263
arbeitend”. Die Begierde in der Bewusstseinslehre musste als das animalische
Vernichten des Begehrten durch den Begehrenden aufgehoben werden und ferner als die
allgemeine Beziehung des Bewusstseins bestehen. Die Begierde der Person hat nun
selbst “allgemeines, geistiges Seyn”, das bei ihrem unmittelbaren Anerkanntsein
wirklich ist. Denn der Einzelne, der vom Anderen als das ideelle Aufgehobensein
anerkannt ist, weiß in der Beziehung auf den Anderen auch seine Begierde als ideell
aufgehoben. Die Begierde des anerkannten Einzelnen in der Gesellschaft geht nicht
unmittelbar über zum Vernichten oder Erfüllen irgendeines Begehrten, das nicht als ihm
gehörig anerkannt ist. Sondern sie kommt zuerst als die allgemeine Beziehung des
Wissens zum Bewusstsein und gelangt vermittels der Form der Anerkennung zur
Befriedigung. In diesem Hinblick hat die Begierde der Person erst als die wirkliche und
menschliche “das Recht aufzutreten”. D. h. insofern die Begierde nun in allgemeiner
und gesellschaftlich vertretbarer Weise erfüllbare, notwendige Bedingung des Lebens ist,
hat sie das Recht, sich zu zeigen und zu erfüllen. Und das Individuum, das diese
Begierde hat, hat “erst als einzelnes” das gesellschaftliche “Daseyn” (J III.223),
während es in der vorigen Bewusstseinslehre nur nach jedem Moment seines geistigen
Seins abstrakt erläutert wurde.
Die allgemeine Form der Begierdenerfüllung ist bekanntlich die Arbeit. Die Erfüllung
der ideell aufgehobenen Begierde ist gleich wie beim praktischen Bewusstsein
aufgeschoben; demnach verhalten sich die Dinge der Erfüllung als “ihre allgemeine
innre Möglichkeit” zur Begierde. Diese Dinge werden nach dem allgemeinen Verhältnis
der Erfüllung “verarbeitet”, und ihre innere Möglichkeit wird dadurch “als aüssre, als
FORM gesetzt”. Z. B. das Wasser als die allgemeine innere Möglichkeit der
unmittelbaren Befriedigung des Durstes wird durch das Verarbeiten in der Form eines
Getränks gesetzt. Die animalische Befriedigung aller Begierden ist in der Gesellschaft
nicht unmittelbar, sondern lediglich vermittelt durch die allgemeine Tätigkeit möglich.
Das Verarbeiten ist eine solche Tätigkeit, die aufgehobene Begierde als eine allgemeine
zu objektivieren und als ein anerkanntes zu setzen. Es ist nämlich “das sich zum Dinge
machen des Bewußtseyns”. Es wird aber “im Elemente der Allgemeinheit” “ein
abstractes Arbeiten”, denn es besteht nun nicht mehr im konkreten Zusammenhang der
unmittelbaren Erfüllung mit dem begehrten Ding. Die von mir hergestellte Speise ist
nicht um meines Essens willen, insofern habe ich sie mir gegenüber abstrakt gefertigt.
Diese abstrakte Arbeit entspringt eigentlich aus der Abstraktion von den Bedürfnissen.
Im “Elemente des Seyns überhaupt” ist das Individuum zuerst mit einer “Menge von
Bedürfnissen” da. Aber die Tätigkeit des Individuums, wie allgemein sie auch immer
sein mag, ist nur in einzelner Weise durchführbar. Es kann jedes Mal nur für eines seiner
264
Bedürfnisse arbeiten. Oder seine Arbeit wird nur für ein bestimmtes Bedürfnis
verrichtet. Aber dies eine Bedürfnis besteht bei anderen Individuen auch im Kontext
einer Vielheit. Das eine Bedürfnis kann also objektiv verallgemeinert und von ihnen als
ein allgemeines anerkannt werden. Es wird vom Individuum aus seinen mannigfaltigen
Bedürfnissen extrahiert und als ein Allgemeines der vielen Anderen abstrahiert. Der
Extraktion eines Bedürfnisses aus der Vielheit der mannigfaltigen Bedürfnisse des
Individuums entspricht das Bestehen des einen Bedürfnisses als Vielheit in den vielen
Anderen. Diese Vielheit ist es, was das Ich in sich aufnimmt und wofür es arbeitet. Die
von ihm hergestellten Dinge des Bedürfnisses können nun gleichartige Bedürfnisse der
vielen Anderen allgemein befriedigen, deshalb ist sein Arbeiten “die Abstraction der
allgemeinen Bilder” von solchen Dingen. Freilich ist sein Arbeiten “ein sich
bewegendes Bilden”. Aber insofern es sich auf die Verallgemeinerung durch die
Abstraktion gründet, ist es nicht Arbeit als konkrete, sondern abstrakte Selbstbewegung.
Dies ist eben der Grund für die abstrakte Arbeit anlässlich des abstrahierten
Bedürfnisses, der in der ersten Geistesphilosophie nur andeutungsweise erwähnt war.
Das Individuum in dieser Abstraktion seines Bedürfnisses und seiner Arbeit ist auch
selbst abstrakt für sich seiend. Sein Fürsichsein besteht nicht aus einer Vielfalt von
Bedürfnissen, sondern nur als ein abstrahiertes Bedürfnis. “Weil nur für das Bedürfniß
als abstractes Fürsichseyn gearbeitet wird, so wird auch nur abstract gearbeitet” (J
III.224). Kurz gesagt, in der idealen Beziehung zwischen den Einzelnen als unmittelbar
Anerkannten werden die das konkrete Dasein eines jeden konstituierenden Bedürfnisse
durch die Abstraktion zu einem Bedürfnis verallgemeinert und zur abstrakten Arbeit für
dieses eine Bedürfnis geführt. Jeder Einzelne, der nicht anders als in einzelner Weise
tätig sein kann, arbeitet also “für Ein Bedürfniß”, aber nun nicht für sein Bedürfnis,
sondern darüber hinaus “für die Bedürfnisse Vieler”. Die Arbeit eines jeden Einzelnen
besteht in der Beziehung eines jeden auf die vielen Anderen. “Jeder befriedigt also die
Bedürfnisse Vieler, und die Befriedigung seiner vielen besondern Bedürfnisse ist die
Arbeit vieler anderer”. Und wie das Bedürfnis überhaupt von ihm in viele Seiten
analysiert und eine Seite davon als ein allgemeines Bedürfnis abstrahiert wird, so wird
seine Arbeit überhaupt nun eine ebenfalls abstrahierte allgemeine Arbeit. Diese Arbeit
als abstrakte ist weiterhin selbst analysierbar und abstrahierbar, aber nun “nach der
Weise der Dingheit” von ihren Produkten, die vor ihrer Verwendung nicht die
Wirklichkeit, sondern nur die Möglichkeiten der Begierdenerfüllung sind. Jeder
Einzelne arbeitet nicht konkret gemäß dem wirklich befriedigten Bedürfnis, sondern
abstrakt gemäß dessen möglichen Dingen. Daher, wie ein Ding konstruktiv zerlegbar ist,
wird seine Arbeit auch “in viele abstracte Seiten” analysiert. Die Rekonstruktion des
265
abstrakt zerlegten Konkreten ist mechanisch. “Sein Arbeiten selbst wird ganz
mechanisch”. Die mechanische Konstruktion der abstrakt geteilten Arbeiten ist durch
die Maschine substituierbar. Die nötige Arbeit eines jeden wird endlich eine “blosse
Bewegung” gemäß der Maschine.
Die bearbeiteten Produkte als die abstrakte Möglichkeit der Befriedigung müssen nach
dem Abschluss der Arbeit ihrerseits noch weiterhin als wirkliche Gegenstände des
Bedürfnisses aufgenommen und verwendet werden. Diese Rückkehr der Produkte “zum
concreten Bedürfnisse” setzt aber den “Tausch” voraus, dessen Möglichkeit auf ihrer
Gleichheit gründet. Die Gleichheit der Produkte ist “ihre Allgemeinheit” “als bestimmte
Abstractionen”. Diese nennt Hegel den “Werth” von Produkten, während er in der
ersten Geistesphilosophie ihn als Wert der Arbeit erwähnte. Strictu sensu hat die
Gleichheit Vergleichbarkeit zur Bedingung. Hegel stellt den Ursprung der
Vergleichbarkeit hier ebenfalls sehr andeutungsweise als das Bedürfnis dar. Die
Produkte sind zum einen als die Erfüllbarkeit des einen allgemeinen Bedürfnisses aller
nach ihnen abstrakt. Aber insofern sie als Gegenstände des allgemeinen Bedürfnisses
zum konkreten Bedürfnis des Einzelnen zurückkehren, sind sie auch durch die
Bewegung dieser Rückkehr bestimmt. Das so bestimmte abstrakte Allgemeine der
Produkte ist der Wert. Hier unterstrichen ist eben die “Bewegung” selbst der Produkte
“zum Bedürfnisse eines Einzelnen”, obzwar ihre Struktur nicht ausführlich erklärt ist.
Insofern diese Bewegung die Rückkehr zur Konkretheit des Bedürfnisses ist, ließe sie
sich nicht einfach auf die Wertbildung durch das Verhältnis zwischen Nachfrage und
Angebot am Markt, wie bei Adam Smith, zurückführen. Dadurch wird wiederum
verdeutlicht, dass Hegel sich nicht für die ökonomische Gestaltungsweise des Wertes,
sondern für den Erfüllungsprozess des, mit dem gesellschaftlichen Allgemeinen, wie
dem Wert, vermittelten, konkreten Bedürfnisses des Einzelnen interessiert.74 Ferner,
wenn der Wert die Allgemeinheit der abstrakt bestimmten Produkte ist, ist seine
verdinglichte Gestalt, d. i. der “Wert selbst als Ding”, “das Geld” (J III.225). Das Geld
als die materielle Repräsentanz des Wertes ist nach der ersten Geistesphilosophie ein
solcher Begriff, der als “die Form der Einheit oder der Möglichkeit aller Dinge des
74
Nach diesem Interesse wird auch die Analyse des Wertes in der Rechtsphilosophie ausgefeilt. “Die
Sache im Gebrauch ist eine einzelne nach Qualität und Quantität bestimmte und in Beziehung auf ein
spezifisches Bedürfnis”. Wie dies spezifische Bedürfnis “zugleich als Bedürfnis überhaupt” “mit anderen
Bedürfnissen vergleichbar ist”, so ist die spezifische Brauchbarkeit der Sache “zugleich als quantitativ
bestimmt vergleichbar mit anderen Sachen von derselben Brauchbarkeit”, ferner “mit solchen, die für
andere Bedürfnisse brauchbar sind”. “Diese ihre Allgemeinheit” ist “der Wert der Sache, worin ihre
wahrhafte Substantialität” eben als mit dem gesellschaftlich Allgemeinen vermittelt “bestimmt und
Gegenstand des Bewusstseins” von diesem Allgemeinen ist. GPR, § 63. Siehe auch VNS, § 37. Die
abstrakte Arbeit als die Tätigkeit der Vermittlung ist daher auch eine “Bildung in Beziehung auf die
Bedürfnisse” in der bürgerlichen Gesellschaft. VNS, § 91. GPR, § 187.
266
Bedürfnisses” materiell existiert (J I.324). Es ermöglicht nämlich den Ein- und
Austausch aller möglichen Dinge des Bedürfnisses. Hegel erläutert auch nicht
eingehend den Zusammenhang zwischen dem Wert und dem Geld - denn das Geld als
Repräsentanz des Wertes hat selbst auch Eigenwert als Ding –, aber ihn interessiert doch,
wie nun ersichtlich, vor allem die wirkliche Beziehung der Anerkennung beim Tausch.
Der Tausch durch die allgemein anerkannten Mittel wie Wert oder Geld lässt nicht nur
das eingetauschte Ding zum Besitz zurückkehren, sondern ferner zum realiter
anerkannten Besitz, d. i. zum Eigentum.
Der Tausch ist eine wirkliche gesellschaftliche Tätigkeit der Anerkennung. Er ist
überhaupt das Geben und Nehmen zwischen dem Besitz als dem abstrakten Produkt und
dem Besitz als dem Geld, als dem abstrakten Ding des Wertes. Das Stellen des Besitzes
als des abstrakten für den Tausch impliziert de facto an sich schon die ideale Aufhebung
des Daseins des Einzelnen, das seine Totalität konstituiert. Durch diese Aufhebung war
jeder unmittelbar anerkannt. Das Anbieten des Besitzes im Tausch ist ein wirklicher
Erweis oder Ausdruck des ideell aufgehobenen Daseins eines jeden als des unmittelbar
anerkannten. Es ist das Setzen oder Verwirklichen des Aufgehobenseins eines jeden in
dem Anderen. Das Dasein eines jeden ist hier als aufgehoben anerkannt, und der Andere
erhält es als den angebotenen Besitz “mit Einwilligung des Ersteren”. Das Geben und
Nehmen mit der Einwilligung ist wechselseitig, und hier bezieht sich jeder auf den
Anderen, nur insofern der Andere das “negative seiner selbst” ist. D. h. jeder bekommt
“von dem andern den Besitz des andern” lediglich als “vermittelt durch das Negiren des
anderen”. Der Tausch besteht nur so, insofern jeder “das negirende seines Seyns, seiner
Habe” ist. Der erhaltene Besitz durch die Vermittlung dieser Negation ist erst realiter
anerkannt. Die Gleichheit des Wertes im Tausch drückt die vollkommene
Übereinstimmung oder die Einheit beider Willen aus. Der gleichwertig eingetauschte
Besitz eines jeden bedeutet darüber hinaus das Dasein eines jeden als das wirkliche
Anerkanntsein. Das Dasein des Einzelnen beim einfachen Besitzen hat nur die
ungeistige Bedeutung der physischen Aneignung, die aufgehoben werden muss,
insofern jede Person unmittelbar anerkannt ist. Nun beim so vermittelten Besitzen ist
das Dasein eines jeden selbst bereits das Anerkanntsein. Das von mir erhaltene Ding als
das Aufgehobensein des Anderen im Wechsel mit meinem Aufgehobensein bildet mein
anerkanntes Dasein. Es ist nun wiederum vereint mit meinem Selbst, und sogar als
anerkanntes. Es ist mein Sein als Aufgehobensein und mein Eigentum “als im Selbst
befaßtes” (J III.226). Der Besitz als mein wirklich anerkanntes Dasein ist eben das
Eigentum. Das Eigentum ist trotz der Unmittelbarkeit des Habens schon selbst “das
geistige Wesen”. Denn hierin ist “die Zufälligkeit des Besitzergreiffens aufgehoben”
267
und sein Sein nicht allein einzelnes Ding, sondern vielmehr “allgemeines Selbst”,
dessen Allgemeinheit in der vorstellbaren Form des Wertes gemeinsam gewusst und
dessen Haben vermittelt durch das Anerkanntsein der Person ist. Jeder ist nun in seinem
Eigentum wirklich als Anerkanntes da.
Die Arbeit und der Tausch sind daher reale Tätigkeiten der Anerkennung, die in der
Gesellschaft gewöhnlich vollzogen werden. Sie sind zum einen zwar sinnliche und
ökonomische Tätigkeiten, was aber nicht Hegels Hauptinteresse ist. Sondern seine
Absicht ist hier vielmehr, das wesentliche Verhältnis der Anerkennung in solchen
gesellschaftlichen Tätigkeiten zu erläutern. Sie sind zum anderen nämlich die “wissende
Bewegung” der Anerkennung aufgrund der Allgemeinheit. Diese Allgemeinheit kann
außer dem Wert auch in anderer Gestalt erscheinen, ebenso wie die gesellschaftliche
Tätigkeit der Anerkennung. Aufmerksamkeit ist darauf zu richten, dass damit nicht
gemeint ist, dass ihre vorhandene Gestalt wie Wert als wahr angesehen werden soll,
sondern vor allem, dass die Allgemeinheit, abgesehen von der Wahrheitsfrage ihrer
Gestalt, in welcher gesellschaftlichen Gestalt sie immer auftreten mag, in der Beziehung
auf den Anderen auch zugleich als das reale Moment der Anerkennung wirkt. Die Arbeit
und der Tausch, wo solche Allgemeinheit wirkt, sind daher eine Art der konkreten
Realisierung der Anerkennung, die durch die vorige Reflexion auf den Kampf um
Anerkennung nur idealiter erreicht wurde. Hier wurde die einzelne Totalität bzw. das
selbstständige Fürsichsein eines jeden nur ideell aufgehoben, also war auch das Dasein
eines jeden das ideelle Aufgehobensein oder als aufgehobenes gesetzt. Insofern war
jeder unmittelbar anerkannt als die Person. In der Arbeit und im Tausch wird nun das
ideelle Aufgehobensein realiter entäußert. Beide Tätigkeiten sind nicht allein die
“Entaüsserung” des Bewusstseins und seines Besitzes, sondern auch des ideellen
Aufgehobenseins eines jeden. Hegel übergeht allerdings nicht, dass diese Entäußerung
auf der abstrakten Zerlegung des Konkreten basiert und der Wert auch nichts anderes als
die abstrakte Allgemeinheit ist. In Hegels Absicht aber liegt hier nicht, eine
Überwindung dieser bis zur Entfremdung führenden Abstraktheit darzubieten. In seiner
Philosophie gibt es weder unkritische Rechtfertigung des Vorhandenen noch kritische
Umwälzung desselben in Übergehung der Notwendigkeit seiner Genese. Deshalb ist
vom höchsten Belang vor allem das vernünftige Verstehen dessen, was ist. In der Arbeit
mache ich mich oder mein unmittelbares Anerkanntsein als das ideelle Aufgehobensein
unmittelbar zum Dinge, zur Form des Seins. In diesem Sinne ist die Arbeit die erste
Entäußerung bzw. Realisierung des unmittelbaren Anerkanntseins. Im gemachten Ding
schaue ich also “mein unmittelbares Ich”, meine unmittelbare Person als objektiviert an.
Im Tausch entäußere ich mich weiterhin meines Daseins als des Dings und “mache es
268
zu einem mir Fremden”. Eben in diesem Ding, das auf der Basis der Gemeinsamkeit der
Willen vom Anderen aufgenommen wird, schaue ich ferner mein Anerkanntsein, meine
Person als “mein fürmichseyn” an, das nun erst objektiv gültig ist. Hier erhalte ich auch
wieder mein objektives Anerkanntsein in der Gestalt des eingetauschten Dinges, das
eben nichts anderes als mein Eigentum, mein daseiendes Anerkanntsein ist. Die Quelle
der Arbeit, des Tausches und des Eigentums ist daher im Wesentlichen “unmittelbares
Selbst” bzw. “anerkanntseyn”, das durch solche Tätigkeiten in der Beziehung auf
Andere objektiv verwirklicht wird (J III.227). Ich schaue nun mein Anerkanntsein als
Dasein an, das in der gesellschaftlichen Tätigkeit präsent und als Eigentum konkretisiert
ist. Hier gilt mein Wille objektiv in der Gemeinsamkeit mit dem Anderen.
„Entäußerung“ heißt schließlich nicht nur einfach das ideale Allgemeine des Selbst
äußerlich zu machen, sondern des Weiteren besteht ihre Bedeutung vor allem darin, dass,
wer als anerkannt realiter da sein will, zuerst sich und sein Sein zum Negativen seiner
selbst, zum Sein für den Anderen machen soll. Ich bin nicht Subjekt meiner
Anerkennung, sondern der Andere. Für ihn muss ich mich zum Negativen, zum mir
Fremden, was auch von ihm erwogen wird, machen können. Mein Fürmichsein lässt
sich lediglich vermittelt durch mein Sein für den Anderen objektiv gewährleisten. Also,
die “Entaüsserung ist ein Erwerben”. Ohne diese Vermittlung können weder das Dasein
des Einzelnen noch seine Arbeit noch sein Besitz das gesellschaftliche und rechtliche
Thema der Hegelschen Anerkennung sein.
Im Tausch schaut jeder nun nicht nur seinen Besitz, sondern ferner sein Anerkanntsein
selbst als Dasein an. Oder der im Tausch vorhandene Gegenstand ist wesentlich eben
sein Anerkanntsein bzw. Wille, der wirkliche Gültigkeit hat. Mein Wille gilt nun nicht
nur mir, sondern auch dem Anderen, und insofern der Tausch wirklich vollzogen wird,
wird die Gültigkeit auch als wirkliche vorgestellt. Also schauen beide sich als
anerkannte an, “deren Meynung und Willen Wirklichkeit hat”. Das Anerkanntsein im
Tausch ist das Dasein als die wirkliche Meinung bzw. Wille. Das, was da ist, lässt sich
gegenständlich erkennen und begrifflich erfassen. Also kommt das Anerkanntsein als
das Dasein zu einem gemeinsamen Bewusstsein als ihrem gemeinsamen Urteil. D. h.
der “Willen des einzelnen ist gemeinsamer Willen”. Dies ist der gemeinsam erkannte
Inhalt jedes wirklich da seienden Anerkanntseins im Tausch. Der Wille des einzelnen ist
zwar noch nicht selbst allgemein, aber eben darum gemeinsam, weil er selbst “seine
Wirklichkeit als Entaüsserung seiner” ist, was zugleich Wille des Anderen ist. Dieses
Wissen ist auf die wirklichen Willen beider angewiesen, daher auch selber wirklich.
Wegen dieser Wirklichkeit des Wissens wird ferner ein “ideeller Tausch” ohne
unmittelbares Übergeben und Übernehmen der Sachen möglich (J III.228). Denn
269
wesenhaft im Tausch ist nun nicht sowohl ein äußeres Ding als Sache als vielmehr ihr
Willen selbst als wirklicher. Insofern jeder mit dem Anderen einen gemeinsamen Willen
als wirklichen bildet und weiß, ist der Tausch als ideelle Wirklichkeit selbst möglich.
Der sprachliche Ausdruck dieses ideellen Tausches ist gerade der Vertrag,75 den Hegel,
anders als die Kontraktualisten, nur in dieser privatrechtlichen Form als betrachtenswert
ansieht. Der Vertrag ist die dritte Form der Entäußerung als der gesellschaftlichen
Tätigkeit der Anerkennung. Er hat die doppelte Eigenschaft als die Wirklichkeit des
selbst ideellen Willens. Er ist ideell, weil in ihm nichts als das Versprechen d. i. der
sprachlich ausgedrückte Wille selbst unmittelbar entäußert wird, der ausspricht, dass ich
mich später einer Sache entäußern wolle. Diese ideelle Entäußerung ist aber zugleich
auch wirklich, insofern der Wille eines jeden für beide wirklich gilt. Mein Wille zur
Entäußerung ist der Wille des Anderen und umgekehrt. Meine Entäußerung ist
vermittelt durch seine Entäußerung und umgekehrt. Der Wille eines jeden ist ein
gemeinsamer Wille, der diese vermittelte Entäußerung nicht unmittelbar leistet, sondern
zuerst als die sprachliche Wirklichkeit durch das Versprechen weiß. Der Vertrag ist
daher “ein Tausch des Erklärens, nicht mehr der Sachen”, der aber so viel gilt wie die
Sache selbst, insofern der Wille eines jeden wirkliche Gültigkeit für beide hat.
Aber die Wirklichkeit des gültigen Willens im Vertrag beruht nur auf der Idealität der
getauschten Erklärung. Hierin ist der Wille “in seinen Begriff zurükgegangen”. Dies
bedeutet die Trennbarkeit des Willens von der Wirklichkeit. Der Wille ist nur als der
gemeinsame Wille zur Leistung der Entäußerung wirklich gültig. Aber das, was im
Vertrag für beide wirklich ist, ist nicht die Leistung, sondern lediglich der Wille selbst,
der als “befreyt von der Wirklichkeit” der Leistung nun “als solcher Gültigkeit” hat. Die
ideelle Wirklichkeit des Willens selbst kann also von der durch ihn realiter
hervorzubringenden, d. i. realen, Wirklichkeit getrennt werden. Insofern ist der einzelne
Wille, der nun sich als an sich gültig mit dem gemeinsamen identifiziert, auch vom
gemeinsamen Selbst vor der wirklichen Leistung getrennt. Oder abgesehen von der
75
Nach dem interessanten Versuch von de Vos, die Logik der Rechtsphilosophie zu konstruieren, stützt
sich das Auftreten des Vertrags logisch auf das unendliche Urteil des Daseins. D. h. ‘Das Ich ist kein
Eigentum’ wie endliche Dinge. ‘Das Positive dieses Urteils ist die Reflexion des Einzelnen in sich’. Das
Ich ist hier ‘mit seinen unveräußerlichen Rechten’ ‘als reflektiertes Einzelnes gesetzt’. Dagegen lässt sich
das Eigentum, mit dem das Ich nun nicht verwechselt werden kann, vom Ich ‘als nicht mehr das Meinige
setzen’. Mein Recht über das Eigentum ist veräußerbar. Das Setzen dieses veräußerbaren Rechts wird im
Vertrag durchgeführt. Aber das zu entäußernde Eigentum ist eine äußerliche und einzelne Sache, auf die
sich das Ich als das reflektierte Einzelne unmittelbar bezieht. D. h. in meinem Verhältnis zum Äußerlichen,
das nicht das Ich ist, will das Ich als das reflektierte Einzelne es unmittelbar negieren und entäußern.
Wegen dieser Unmittelbarkeit beider reflektierter Einzelnen, d. i. Personen, im Vertrag über die Sache
kann hier nur der gemeinsame Wille auftreten. Aber dieser ist Ein Wille, den jeder Wille mit dem Anderen
bildet, und zugleich eine erste Gestalt der Allgemeinheit des Willens, die an der Sache zustande kommt.
De Vos, Lu: Die Logik der Hegelschen Rechtsphilosophie: Eine Vermutung, HS 16, S. 104-105.
270
Wirklichkeit der Leistung gilt mir mein einzelner Wille, der im Vertrag auch dem
Andern gilt, nun selbst als der gemeinsame. Denn zwischen dem selbst wirklichen und
dem zu verwirklichenden Willen gibt es vor allem kein bündiges oder verbindliches
Verhältnis. Eher ist mein Wille vor der Leistung seines Versprechens bereits als solcher
anerkannt, daher wirklich gültig. Dieser mein gültiger Wille ist der Grund für den
gemeinsamen Willen. Im Wesentlichen haben der einzelne und gemeinsame Wille
einander zur Bedingung. Aber der Einzelne hält nun auf seinem Standpunkt seinen
Willen für die Ursache des gemeinsamen, ferner für den gemeinsamen selbst. “Denn
mein einzelner Willen gilt als solcher”, “nicht nur insofern er gemeinsamer ist, sondern
der gemeinsame Willen ist ja selbst nur, insofern mein einzelner gilt”. Nur insofern und
solange ich anerkannt bin, d. i. mein Wille irgendwie allgemein gilt, besteht der
gemeinsame. Im Vertrag bleibt mein Wille als der gemeinsame bestehen, und insofern
bin ich als anerkannt da. Allein mein Wille ist zwar darin als der gemeinsame, aber doch
nur als der Wille selbst. Er ist darin gültig, “insofern er nur Willen ist, insofern ich noch
nicht geleistet habe”. Der Vertrag nur als der Wille ist aber nicht das Leisten, sondern
der nur im Zustand des Willens verbleibende Vertrag ist vielmehr das Brechen des
Vertrags. Dies Brechen entsteht einseitig, jedoch aufgrund des konsequenten Wissens
des gültigen Willens. So kann im Vertrag der Wille, der ja nur als ideell wirklich ist,
entweder vom Einzelnen realiter verwirklicht werden oder schlechthin nur als seine
ideelle Wirklichkeit bleiben. Während jenes das Leisten des Vertrags ist, ist dieses das
Brechen desselben, und in beiden Fällen ist das Wissen des Einzelnen konsequent.
Hierin liegt eben das Gebrechen des Vertrags. Denn das ideale und das reale Dasein des
allgemeinen Willens, der als ein gemeinsamer gebildet wird, lassen sich im Vertrag oder
nur auf der Basis von dessen Inhalt nicht notwendig unterscheiden. Der Vertrag hat
lediglich solche wirkliche Gültigkeit als das Versprechen der noch nicht vollzogenen
Leistung, aber nicht als das Vollziehen der Leistung.
Aus dem Gebrechen des Vertrags, d. i. aus der Trennbarkeit des einzelnen vom
allgemeinen Willen, kann des Weiteren der Grund des Verbrechens erklärt werden, der
hier von Hegel zwar sehr kurz erwähnt, aber doch von großer Bedeutung ist. Diese
plötzliche Erwähnung des Verbrechens im Kontext seiner Vertragslehre76 ist freilich
nicht als die Ausführung seiner Rechtslehre anzusehen, entsteht aber nicht sinnlos,
sondern impliziert mit höchster Wahrscheinlichkeit wiederum seine Kritik an der
traditionellen Vertragstheorie über Gesellschaft und Recht. Nach dieser Theorie ist das
Subjekt des Verbrechens gemeinhin der einzelne Wille, der sich dem durch den
76
Im Unterschied von der naturrechtlichen Vertragstheorie wird Hegels Lehre über den realen Vertrag
zwischen Personen von nun an hier als Vertragslehre bezeichnet.
271
Kontrakt gebildeten, allgemeinen Willen negativ entgegensetzt. Wenn nämlich der
einzelne Wille “als negativer des allgemeinen” diesen willkürlich oder absichtlich
verletzt, ist er Verbrecher, der als Mitglied der Gesellschaft nicht anzuerkennen ist. Aber
damit er den allgemeinen Willen negieren kann, muss er zuerst selber ihn wissen und im
Voraus idealiter als allgemeiner sein können. Er negiert ihn nicht in bloßer Trennung
und Entgegensetzung. Die Verletzung eines Gegenstandes ohne Wissen desselben ist
nicht imputierbar. Er kann ihn nicht als einzelner, sondern nur als allgemeiner negieren.
Und zwar, insofern der allgemeine Wille aus den Willen der Einzelnen entspringt, kann
die Negierung des allgemeinen Willens nichts anderes als die Handlung des Einzelnen
sein, der ihn gebildet hat. Der einzelne Wille kann lediglich bereits als ein Mitglied des
allgemeinen diesen negieren. Als dies Mitglied ist er schon anerkannt und an sich
allgemein. Nur insofern kann er sich als an sich allgemeinen dem gebildeten,
allgemeinen Willen aller entgegensetzen. Erst dann ist er das Subjekt des Verbrechens.
Hegel zufolge begehe ich Verbrechen, “nur insofern als ich anerkannt bin, mein Willen
für allgemeinen für Willen an sich gilt”. Es besteht überhaupt weder Beleidigung noch
Verletzung “vor dem Anerkennen”.77 Und eben deswegen ist das Verbrechen keine Tat
des einzelnen Willens in der Trennung vom allgemeinen, sondern desjenigen einzelnen,
der anerkannt, also an sich allgemein ist und sich so weiß, d. i. die Selbstdurchsetzung
des einzelnen Willens als des allgemeinen im Gegensatz zum allgemeinen aller. Die
Ursache der Negation des allgemeinen Willens liegt letztlich im allgemeinen Willen
selbst, in seiner Idealität, mit der sich der einzelne identifizieren kann. Alle Verbrecher
haben also Rechtfertigungsgründe für die Allgemeinheit ihrer Taten. Die Vertragstheorie,
die das Verbrechen aus der Trennung beider Willen nur als den Verstoß des einzelnen
gegen den allgemeinen erklärt, behandelt de facto einerseits den einzelnen als
77
Eben deshalb, weil das allgemeine Bewusstsein bzw. der allgemeine Wille das Resultat des Kampfes
der Einzelnen um Anerkennung ist oder weil der allgemeine Wille bereits in der gesellschaftlichen
Beziehung der Einzelnen aufeinander um Anerkennung bewusstseinsnotwendig gebildet ist, ist der
Kampf zwischen dem einzelnen Willen selbst und dem allgemeinen Willen durchaus unmöglich. HH, S.
164. Der einzelne Wille könnte nicht als solcher, sondern lediglich als ein neu allgemeiner gegen den
allgemeinen Willen Widerstand leisten. Daher ist Sieps Kritik am asymmetrischen Verhältnis der
Anerkennung zwischen dem einzelnen und allgemeinen Bewusstsein bei Hegel unpassend. Siep, Ludwig:
Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, S. 278-285. Andererseits lässt sich der allgemeine
Wille auch nicht ‘im Sinne radikaler und schonungsloser Aufklärung’ überschätzen, wie in Eichenseers
Interpretation. Ihm zufolge muss sich das ‘subjektivistische Prinzip’ bei Hegel nach der Notwendigkeit
der Aufklärung ‘bedingungslos am Allgemeinen’ ‘aufopfern’. Aber die ‘Individuen sind’ spekulativ gesagt
nicht nur ‘das Material’, das der allgemeine Wille ‘zu seiner Realisation erzeugt’ und benutzt. Sondern sie
sind eben auch das wirkliche Subjekt der Realisation, ferner in einem gewissen Sinne die Wirklichkeit
desselben. Der allgemeine Wille ist zwar als causa efficiens das Subjekt der Individuen, aber zugleich das
Objekt derselben als causa finalis. Eichenseer, Georg: Die Auseinandersetzung mit dem Privateigentum
im Werk des jungen Hegel, S. 107-119. D. h. der Einzelne bildet seinerseits auch sich als den allgemeinen
Willen und weiß sich so. Nur als dieser allgemeine, freie vernünftige Wille begeht der Einzelne
Verbrechen, und hierin liegt eben Hegels Zurechnungslehre.
272
verallgemeinerungsunfähig und macht andererseits den allgemeinen nur zum Despoten,
dem jeder gehorchen muss. Oder die Vertragstheorie, die nur die kontraktualistische
Bildung des allgemeinen Willens behandelt, weiß nichts davon, dass die Negation
dessen, was sie erklärt, eben auf diesem selbst gründet. Wie die Ursache für das
Brechen des Vertrags im Vertrag selbst liegt, so entspringt das Verbrechen oder der
Verstoß gegen den allgemeinen Willen aus dem allgemeinen Willen selbst. Wegen
seiner idealen Verfügbarkeit kann allein durch den gemeinsamen Willen im Vertrag oder
durch den allgemeinen Willen in der Vertragstheorie keine Notwendigkeit bzw.
Verbindlichkeit für das Leisten des Vertrags oder das Beachten des Rechts hinreichend
begründet werden. Von diesem Gebrechen wäre ferner auch die der Vertragstheorie
treue Kantische Sittenlehre des Sollens nicht befreit, weil auch beim Verbrecher die
Maxime seines einzelnen Willens für ihn selbst als Prinzip einer allgemeinen
Gesetzgebung gelten kann.
Der Grund für das einseitige Brechen des Vertrags liegt nicht zuletzt in der idealen
Eigenschaft des Vertrags selbst, in dem das Sollen nur als Sollen selbst anerkannt ist.
Dies Sollen enthält nicht die Notwendigkeit des realen Daseins in sich selbst. Die
unzulängliche Erkenntnis des Einzelnen im Vertrag heißt zuerst, dass sein einzelner
Wille hier als allgemeiner da ist. Aber dies Dasein ist noch nur die ideelle Wirklichkeit,
nicht das reale Dasein des allgemeinen Willens selbst. Eben das Leisten ist es, durch das
der einzelne Wille realiter als der allgemeine da ist. Erst im Leisten ist er “der seyende
allgemeine Willen”. Eben als diesen Willen missverstand der Einzelne de facto seinen
Willen, der “in der Vorstellung” des Vertrags “als allgemein geltender Willen” ist. Aber
dieser gilt zwar für jenen, ist aber “nicht dasselbe”. Das Missverständnis des Einzelnen
entstand dennoch konsequenterweise daraus, dass der Andere im Vertrag eigentlich
lediglich “meinen nicht daseyenden Willen” anerkannte. Anerkannt von ihm ist nur das
reale Nichtdasein meines Willens oder das Sollen des Leistens, d. i. “das Sollen als
Sollen”. Insofern das Sollen im Vertrag nicht aufgehoben werden soll, macht es meinen
selbst gültigen Willen zur “Gleichgültigkeit gegen das Daseyn und die Zeit” des
Leistens (J III.229). Ich breche also schlechthin den Vertrag. Diese Aufhebung des
Vertrags impliziert die immanente Kritik am idealen Inhalt des Sollens, den der Vertrag
zum Wesen hat, und daher an der Kantischen Sittenlehre, wie schon erwähnt. Das
Sollen des Daseins, oder dass der allgemeine Wille durch das Leisten da sein soll, ist
nur das vorgestellte Dasein. Das vorgestellte Dasein ist zugleich das ideale Dasein und
das reale Nichtdasein. Eben dieser Widerspruch des Sollens ermöglicht das Brechen des
Vertrags. Das zweite Missverständnis des Einzelnen lautet, dass mein einzelner Wille
die Bedingung des gemeinsamen Willens ist. Aber das Setzen meines einzelnen Willens
273
als des gemeinsamen hat umgekehrt den gemeinsamen Willen selbst zur Bedingung.
Denn bevor ich selbst ein gemeinsamer Wille bin, kann ich meinen einzelnen Willen
nicht als den gemeinsamen setzen. Die causa finalis aller Handlungen ist bereits ihre
causa efficiens. Mein Wille ist “nur als anerkannter da”. Als dieser Anerkennung fähig
bin ich schon Person, die unmittelbar anerkannt ist. Als die Person bildete ich bereits
mit dem Anderen einen gemeinsamen Willen, den ich nun meinerseits durch das Setzen
meines einzelnen Willens im Vertrag realisieren will. Darin, “daß ich ihn als
gemeinsamen gesetzt, darin habe ich” bereits “als gemeinsamer [Willen]” ihn “gesetzt”.
Nur als der gemeinsame Wille kann Ich meinen einzelnen als den gemeinsamen setzen.
Mein einzelner Wille im Vertrag ist also “zugleich nur Moment” des gemeinsamen
Willens. Hier handelt es sich um meine Person, die als der gemeinsame Wille meinen
einzelnen in den Vertrag einsetzt. Das Anerkanntsein jeder Person beruht zuerst auf dem
unmittelbar und ideell gebildeten, gemeinsamen Willen, als den jede nun ihren
einzelnen im Vertrag realisieren und erweisen will. Dies ist eben das Leisten des
Vertrags. Im Vertrag kann ich nur durch die Leistung erweisen, dass auch mein
einzelner Wille gemäß dem gemeinsamen von meiner Person her realiter da ist. Und nur
dadurch kann meine Person als anerkannt realiter da sein. Dagegen widerspricht mein
Vertragsbruch dem, dass meine Person oder mein Wille an sich anerkannt ist. Mein
Versprechen ist nicht mehr zuverlässig, und mein Wille kann nicht mehr als meine
“blosse Meynung” sein. Deshalb muss ich das im Vertrag Vereinbarte leisten, d. i. nicht
meinen einzelnen Willen als den gemeinsamen, sondern diesen durch jenen durchsetzen.
Ich tue dies “nicht aus moralischen Gründen”, dass mein Wort gehalten, meine
Charaktereigenschaft nicht geändert werden soll, um das Vertrauen des Anderen zu
erhalten (J III.230). Sondern es geht vielmehr um das objektive und reale Dasein meiner
Person als Anerkanntsein. Meine Gesinnung, Überzeugung oder Anlage kann ich
ausbilden, ändern und entwickeln. Aber unter allen Umständen muss ich als die
anerkannte Person realiter da sein können. Im Fall des Vertrags kann ich dies nur durch
die Leistung erreichen. Der Zwang auf den Einzelnen zur Leistung ist daher überhaupt
kein moralischer, sondern objektiver Zwang, Person zu sein, d. i. die objektive
Notwendigkeit der Person.
Der Zwang hat wegen der Idealität des Vertrags auch zweifache Beschaffenheit. Er geht
zuerst “nicht auf die Person, sondern nur auf ihre Bestimmtheit, ihr Daseyn”. Der
Vertrag ist, kurz gesagt, die Bestimmung des einzelnen Willens zu seiner Realisierung
als des gemeinsamen durch die sprachliche Erklärung. Der so bestimmte einzelne Wille
ist ein besonderer, und seine Bestimmtheit, sein Inhalt, ist, ein besonderes Dasein als ein
Ding zu entäußern. Im Vertrag tritt jeder zuerst nur als der besondere Wille auf, der sich
274
seines besonderen Dings entäußern muss, aber noch nicht selber als der sich rein
wissende, allgemeine Wille oder als die Person. Hier ist nicht die Entäußerung der
Person selbst bestimmt - dies ist ganz und gar nicht möglich –, sondern ihres
besonderen Daseins als Dings. Die Bestimmtheit dieser Entäußerung beinhaltet der
gemeinsame Wille im Vertrag. Im gemeinsamen Willen ist daher die Person als ihr
besonderes Dasein aufgelöst oder geschmolzen. Des Weiteren ist “unter dem
bestimmten Dinge” dem Wesen nach eben der allgemeine Wille “verborgen”. D. h. “im
besonderen” Ding des Vertrags ist der allgemeine Wille von jedem besonderen Willen
einerseits als der gemeinsame vorgestellt, der realisiert werden muss, und andererseits
als meine Person, als mein reiner einzelner Wille, der jenen realisieren muss. Der
Vertrag ist im Wesentlichen eine Realisierungsweise des darin als gemeinsam
vorgestellten allgemeinen Willens durch meine Person, die ihr besonderes Dasein
entäußern muss. Ich kann bekanntlich als die reine Person unmittelbar den allgemeinen
Willen nicht verwirklichen. Denn die reine Person heißt nur die ideelle Person nach der
begrifflichen Allgemeinheit des wissenden Wollens oder wollenden Wissens, die also
realiter immer nur als das einzelne Ich eines jeden auftritt, und ebenfalls ist der
allgemeine Wille zuerst lediglich der ideelle Wille nach der Allgemeinheit des Wissens,
der nur durch den einzelnen Willen eines jeden hier als der gemeinsame, später auch als
das Gesetz, als das Institut realisiert wird. Insofern der einzelne Wille in Entsprechung
mit dem allgemeinen tätig sein will, drückt Hegel ihn hier als den reinen einzelnen
Willen aus. Zur Realisierung des allgemeinen Willens ist daher das Moment der
Einzelheit nötig. Mein reiner einzelner Wille in Befolgung des allgemeinen tritt bereits
hier als ein gemeinsamer auf. Ich setzte bereits als ein gemeinsamer Wille meinen
einzelnen zusammen mit dem Anderen als den gemeinsamen, d. i. schloss den Vertrag,
dann entäußerte ich als der durch den letzteren bestimmte, besondere Wille mein
besonderes Dasein, d. i. leiste den Vertrag, dadurch erweise ich schließlich, dass mein
einzelner Wille eigentlich reine Person, reiner Wille zur Befolgung des allgemeinen
Willens, deswegen nun eben gemäß dem gemeinsamen Willen da ist. Der allgemeine
Wille selbst realisiert und entwickelt sich eben durch diese Realisierung des
gemeinsamen Willens. Daher ist der Zwang im Vertrag nicht nur auf die Bestimmtheit
oder das besondere Dasein der Person, sondern wesentlich auch auf die Person selbst,
genauer gesagt, nicht auf ihre Entäußerung, sondern eben auf ihr Personsein gerichtet,
ihr besonderes Dasein als Ding zu entäußern und dadurch die Person zu sein, das Selbst
der reinen Person zu erweisen. Und sogar das besondere Dasein der Person ist im
Vertrag als dem ideellen Tausch noch nicht unmittelbar präsent, sondern zuerst nur dem
Begriff nach schlechthin als das Dasein überhaupt. Es ist begrifflich “aufgelöst in der
275
Person, und im allgemeinen Willen” oder ist “nur als reine Person und als rein
allgemeiner Willen, als reine Negativität”. Im ideellen Vertrag ist nur die Person eines
jeden als allgemeiner Wille da. Oder jeder ist als mit der Fähigkeit zum Vertrag
daseiend die reine Person, und der allgemeine Wille ist als vor seiner Konkretisierung
zum gemeinsamen daseiend der reine. Das, was im Vertrag “als Seyn überhaupt gilt”, ist
also nichts als der Wille oder die Person. Das, was im Vertrag primär gezwungen
werden kann, ist daher weder mein besonderes Dasein noch mein besonderer Wille, der
später nach der Bestimmtheit jenes entäußern muss, sondern in erster Linie meine
Person, mein reiner Wille, der meinen einzelnen Willen dazu bestimmte und in die
Besonderheit legte. Vor der Vertragsschließung muss ich als Kontrahent im Voraus ein
gemeinsamer Wille, also eine dessen fähige Person sein. Ich konnte nur als Person einen
Vertrag schließen, in dem nun also nur meine Person, mein reiner Wille, da ist. Deshalb
werde ich eben als Person gezwungen. Diesen Zwang sieht Hegel als “die Krafft des
Vertrags” ein.
Die Kraft des Vertrags besteht vor allem darin, dass durch das Setzen des realen
Tausches als des ideellen die Person und der allgemeine Wille vom Einzelnen, obzwar
in beschränkter Weise, doch als wirklich wirksam begriffen werden. Der allgemeine
Wille bedeutet, dass jeder zur Anerkennung zunächst sich selbst aufheben und negieren
muss. Aber die Person selbst ist überhaupt nicht negierbar und veräußerlich.78 Das, was
als eins mit der totalen Person, also als die Person negiert und entäußert wird, ist de
facto nur ein besonderes Dasein der Person. Mein besonderes Dasein ist gleich meinem
Sein überhaupt als der Person. Denn “beydes ist unzertrennlich” nach der Totalität der
Person. Der allgemeine Wille tritt im Vertrag als der gemeinsame auf, der eben über das
besondere Dasein der Person übereinstimmt, und jeder Einzelne ist zuerst die Person,
die als der gemeinsame Wille einen Kontrakt schließt. Beim Brechen des Vertrags geht
es daher nicht nur um den bestimmten Willen des Einzelnen im Vertrag, sondern auch
vor allem um seinen reinen Willen, um seine Person, die als der gemeinsame Wille
durch die Vertragsschließung seinen einzelnen Willen so bestimmte. “Eben im Zwange
kommt” das begriffliche Erkennen der bestrittenen Person und des zu befolgenden
allgemeinen Willens also “zur Gegenwart”. D. h. das, was im Zwang gesetzt ist, ist der
Begriff, dass mein einzelnes Ganzes durch den Vertrag in den allgemeinen Willen
aufgelöst und absorbiert ist und dass ich im Vertrag eben “für mich” “als meine Person”
nicht nur mit dem Eigentum, sondern auch mit “Ehre und Leben” anerkannt bin (J
III.231). Deshalb führt mein Vertragsbruch zur Zurücknahme des unmittelbaren
78
Auch nach VNS, § 29 und GPR § 66 sind “meine Persönlichkeit überhaupt, Freiheit des Willens,
Sittlichkeit” und “Religion” als “Güter”, die “meine eigenste Person ausmachen”, unveräußerlich.
276
Anerkanntseins meiner Person als Daseins durch den Anderen. Dann bleibt entweder
wiederum nur der Kampf um Anerkennung oder meine unbedingte Erfüllung des
Vertrags übrig.
In jenem Fall kommt der Kampf auf Leben und Tod in der Gestalt von Verbrechen und
Strafe zum Vorschein. Aber auch in diesem Fall der Kontrakterfüllung kann das
Verbrechen entstehen, wenn ich reflektiere, dass ich ungleich behandelt wurde und mich
dafür realiter räche. Auch in jenem Fall ist meine Nichtleistung des Vertrags aus
irgendwelchen Gründen noch nicht selbst ein Verbrechen. Nur wenn sie im
absichtlichen Brechen realiter endet, kann gefragt werden, ob sie ein Verbrechen ist oder
nicht. Dann muss vor allem überlegt werden, worauf das innere Motiv fürs Verbrechen
objektiv gründet. Die innere und subjektive Notwendigkeit bzw. Konsequenz des
Verbrechens entspringt Hegel zufolge eben aus der objektiven Notwendigkeit des
Zwangs, der hier der Zwang auf meine Person gemäß dem im Vertrag implizierten
allgemeinen Willen ist. Des Weiteren hat das Verbrechen außer dem kontraktlichen
Zwang allerdings auch in allen aufgrund des allgemeinen Willens als notwendig
hergeleiteten Zwängen seinen subjektiven Grund. Also wird die “innre Quelle des
Verbrechens” von Hegel auch als “der Zwang des Rechts” ausgedrückt (J III.235). D. h.
wo der Zwang objektiv notwendig ist, kann das Verbrechen immer subjektiv motiviert
werden. Und weil der Zwang zuerst hier im Vertrag notwendig enthalten ist und in
dessen Nichtleisten realiter entsteht, erläutert Hegel vom Zwang im Vertrag ausgehend
weiter den Grund des Verbrechens.
Im Zwang zum Leisten des Vertrags scheint die Verletzung meiner Person mit Ehre und
Leben zwar zufällig, weil er nur die Entäußerung meines besonderen Daseins anfordert.
Allein er ist, wie oben gesehen, zugleich auch Zwang auf meine Person als das
daseiende Anerkanntsein. Insofern ist die Verletzung meiner Person durch den Zwang
im Vertrag notwendig. Ich bin “nicht nur meinem Daseyn nach, sondern eben meinem
Ich nach” “gezwungen worden”. Als Kontrahent ist meine Person bereits als daseiend
gültig. Aber durch den Zwang bin ich “als in mich reflectirtes in meinem Daseyn”
behandelt worden, d. i. nur als die Person, die, obzwar schon als daseiend anerkannt,
dennoch von diesem Dasein her in sich reflektiert, also getrennt ist (J III.232). Der
Vertrag hatte das Anerkanntsein meiner Person als Dasein zur Voraussetzung. Sein
Zwang trennt nun mich von meinem Dasein. Er verletzt zuerst durch die Infragestellung
des Daseins meiner Person mich in diesem Dasein. Denn meine Person, mein Wille ist
bereits in meinem Dasein und mit diesem unzertrennlich verbunden. Dies anerkannte
der Andere auch schon. Nun verletzt er also meinen von ihm anerkannten Willen selbst
mit dem Zwang, der beinhaltet, dass ohne Entäußerung meines besonderen Daseins
277
mein Wille oder Person nicht mehr als daseiend anerkannt werde, und der also meinen
Willen, meine Person als von meinem Dasein trennbar ansieht. Dies ist die erste
Bedeutung der Verletzung meiner Person durch den Zwang im Vertrag. Das, was von
meiner Person trennbar ist, ist lediglich mein äußerliches und besonderes Dasein als ein
Ding. Eben hierüber machte der Andere ein bestimmtes Geschäft mit mir ab. Aber er
stellt ferner nun nicht sowohl mein besonderes Dasein, als vielmehr meinen reinen
Willen bzw. meine Person in Frage. Als mein reiner Wille, der unmittelbar anerkannt ist,
gab ich freilich mein Wort. Nun beim Zwang scheint mein Wort, dass bei mir nur mein
besonderes Dasein veräußerlich, daher bestreitbar ist, meinem ersten Wort nicht zu
entsprechen. Dieser Widerspruch lässt sich vom Anderen freilich auch als meine
Inkonsequenz behaupten. Aber der Widerspruch ist de facto ein solcher, der in allen
Verträgen zwischen dem Ich als dem Kontrahenten, als dem gemeinsamen Willen, also
als dem allgemeinen Wollen und dem als dem Vertragsinhalt, als dem bestimmten
einzelnen Willen, also als dem besonderen Dasein besteht. Der Andere nahm bei der
Vertragsschließung bereits den Widerspruch, d. i. mich “als das sich ungleiche, als das
allgemeine, das ein bestimmtes Daseyn hat”, auf, genauso wie ich ihn. Also, wenn er
wegen meines besonderen Daseins gemäß dem Vertrag meinen reinen Willen, meine
Person selbst in Zweifel zieht und zwingt, ist dies für mich auch eine ernste “Verletzung
meines reinen Ich”. Denn mein reines Ich, das als reiner Wille, als Person meinerseits
auch dem allgemeinen Willen folgen will, ist unmittelbar anerkannt und soll daher
durchaus nicht verletzt werden. Das, was der Andere bei mir zwingen und negieren
kann, ist nur mein besonderes Dasein, mein bestimmtes Ich als besonderer Wille zur
Leistung des Vertrags. Er beurteilt und zwingt nicht mich in dieser Bestimmtheit als
solches, sondern als Allgemeines; also wird mein Wille, sogar mein reiner Wille nach
der Bestimmtheit meines besonderen Daseins oder als dieser Bestimmtheit zugehörig
und gebunden angesehen und behandelt. Mein reiner Wille ist dadurch schon
aufgehoben und meine Person verletzt. Drittens ist sein Zwang letztlich nichts anderes
als “eine Entaüsserung meines Willens” selbst, der von ihm als meinem besonderen
Dasein zugehörig behandelt wird. Denn mein Wille muss mindestens in der Beziehung
auf ihn der Bestimmtheit des Daseins folgen, das zu entäußern er auffordert. Er behält
dagegen in seinem Leisten seinen Willen, der von mir gar nicht verletzt worden,
sondern wie immer anerkannt ist, und entäußert sich nur seines bestimmten Daseins.
Mein Anerkanntsein aber ist von ihm verletzt. Ich zeige also gegen seinen Zwang mein
Anerkanntsein, um “mein Für michseyn” zu restituieren, und stelle dafür mich nicht als
einen bestimmten Willen, sondern eben “als Person gegen die Person” des Anderen
entgegen, weil eben meine Person verletzt und wiederherzustellen ist. Des Weiteren,
278
insofern sein Zwang angeblich aufgrund des allgemeinen Willens nicht
zurückgenommen wird, hebe ich persönlich die Ungleichheit, seinen Willen selbst auf,
wie er meinen Willen, und räche mich so auf gleiche Weise. Meine und seine Person
geraten damit in den Kampf, aber “nicht” unmittelbar gleich “wie im Naturzustand”, in
dem jeder durch die selbstbewusste Tätigkeit nur für sich gegen alle entgegensteht (J
III.233). Sondern der Kampf in der Gesellschaft entsteht, wie in der Bewusstseinslehre,
zwischen einem und einem anderen Willen, aber nun realiter, und zwar ist jeder Wille
der allgemein wissende, der sich selbst also als allgemeines, als Person, als anerkannt
weiß.
Das Verbrechen ist daher die unmittelbare Verletzung der anerkannten Person. Vor allem
zu unterstreichen ist, dass jede Person hier ihren einzelnen Willen als den allgemeinen
denkt und setzt. Das Verbrechen ist die Aufhebung des Daseins des Einzelnen als der
Person durch den Anderen, dessen einzelner Wille sich auch als allgemeiner gilt. Das
Wesen des Verbrechens liegt also darin, dass der allgemeine Wille, sei er wahr oder
falsch gemeint, eben durch den einzelnen Willen als sein Wille gegenüber der Person
des Anderen mit Zwang und Gewalt durchgesetzt wird. Gegen den Anderen, der mir
gegenüber seinen Willen als den allgemeinen durchsetzte, hebe ich also sein Sein
gleicherweise auf. Diese Aufhebung bzw. das Verbrechen von meiner Seite kann
ebenfalls auf drei Weisen entstehen. D. h. ich trenne seinen Willen von seinem Dasein,
ordne seinen reinen Willen einem besonderen, sogar unerwünschten Dasein unter oder
erzwinge die Unterwerfung seines Willens selbst gewalttätig. Diese Taten entsprechen
nach der Unterscheidung Hegels dem offenen Mord, der Verbalinjurie und der
Realinjurie. Die Verbalinjurie bedeutet, sein Ganzes als Allgemeines zu einem mit
einem Schimpfwort ausgedrückten an sich Nichtigen zu machen und dadurch
aufzuheben. Die Realinjurie bedeutet, durch Diebstahl, Raub, Gewalttätigkeit o. a. sein
bewusstloses Dasein anzugreifen und demnach seinen Willen mir unterwürfig zu
machen. Schließlich ist der offen begangene Mord “die gröste Verletzung”, seinen
Willen, seine Person von seinem Dasein, seinem Leben, völlig abzutrennen und dadurch
die absolute Macht über sein Leben zu zeigen (J III.234).
Das, was Hegel durch diese Kontinuität zwischen dem Zwang im Vertrag und dem
Verbrechen hervorheben will, ist nicht zuletzt die Grenze des moralischen Sollens bzw.
Zwangs. Die auf der Kantischen Tugendlehre gegründete Vertragslehre enthält das
unmoralische Element in sich selbst. Denn gegen den gemäß dem allgemeinen Willen
angetanen Zwang kann der Verbrecher auch seinen Willen allgemein gesetzgebend
279
machen.79 Der Zwang ist bei Kant und Fichte ein objektiviertes Sollen der Moral, das
als der Inbegriff der Bedingungen für moralische Handlungen eben das Recht ist. Das
‘Recht’ und die ‘Befugnis zu zwingen’ sind ‘also einerlei’.80 “Die innre Quelle des
79
Über die schon mehrere Male erwähnte tautologische Morallehre Kants, aufgrund der beim abstrakt
aufgefassten Inhalt aller Handlungen gute Gründe für die Verallgemeinerung des einzelnen Willens
denkbar sind, Giusti, Miguel: Bemerkungen zu Hegels Begriff der Handlung, HS 22, S. 65-66. Siep,
Ludwig: Was heißt: „Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit“ in Hegels Rechtsphilosophie?, HS 17, S.
81-86. Derbolav, Josef: Hegels Theorie der Handlung MR, S. 206-211. Und siehe S. 16-20, 35-39. Weil
Kant diese Entsprechung des Verbrechens und der Maxime, ‘sich den Gesetzverstoß zur Regel zu machen,
nicht bemerkt, sondern nur vom kontraktlichen Verhältnis von Person und Sache ausgeht, macht er
‘keinerlei Versuch einer Legitimation der Strafe’, sondern entwickelt nur die strenge Vergeltungslehre
nach dem Gesetz. Seelmann, Kurt: Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S. 125-132.
80
MSr, AB35-36. Kant zufolge ist die ‘objektiven Gesetzen gemäße’ ‘Bestimmung eines solchen
Willens’, der ‘nicht an sich völlig der Vernunft gemäß’ ist, ‘Nötigung’, die die Pflicht an sich ist. ‘Der
Pflichtbegriff ist an sich schon der Begriff von einer Nötigung (Zwang) der freien Willkür durchs Gesetz’,
die für ‘ein freies (moralisches) Wesen’ nichts anderes als ‘Selbstzwang’ ist. Und die Rechtslehre ist die
Pflichtlehre auf der äußeren Seite des Gesetzes, d. i. des Zwangs. GMS, AB37. KpV, A144. MSt, A1-2.
Der Zwang ist in Fichtes früherer Wissenschaftslehre das Nicht-können des Ich, das sich äußert, wenn das
Streben des Ich, das Nicht-Ich zu bestimmen, und das Gegenstreben des Nicht-Ich vereinigt werden.
Diese Rolle des Nicht-Ich spielt in seiner Grundlage des Naturrechts eben das Gesetz. Der Grund des
Zwangsgesetzes liegt in der Grenze des Rechtsverhältnisses, nämlich, dass seine Möglichkeit auf dem
Gebiet des Naturrechts zwar durch wechselseitige ‘Treue und Glauben’ der Personen oder Ich bedingt,
aber diese ‘Treu und Glauben’ ‘von dem Rechtsgesetze nicht abhängig’ ist. Das Gesetz muss also
zwanghaft sein, so dass ‘aus dem Wollen jedes unrechtmässigen Zwecks nothwendig, und nach einem
stets wirksamen Gesetze, das Gegentheil des Beabsichtigten’ erfolgen wird, d. i. dass jeder
unrechtmässige Wille ‘der Grund seiner eigenen Vernichtung’ wird. Fichte: Grundlage der gesammten
Wissenschaftslehre, S. 287-291. Grundlage des Naturrechts, S. 139-141. Eben dies Prinzip des
Zwangsgesetzes ist für Hegel unnötig, insofern das Gesetz, wie hier erklärt, das Gesetztsein des im
Einzelnen realisierbaren und unrealisierbaren allgemeinen Willens ist. D. h. wenn der Mord die Handlung
des Verbrechers als seines unrealisierbaren allgemeinen Willens, also selbst der Tod ist, braucht das
Gesetz hierfür keinen Zwang. Der Zwangsbegriff ist nach dem Naturrechtsaufsatz selbst bereits der
nichtige Begriff “der allgemeinen Freyheit Aller, die von der Freyheit der einzelnen getrennt”, abstrahiert
ist, und dann ist “diese Freyheit des einzelnen eben so isolirt”. Dass “die natürliche und ursprüngliche
Freyheit” des Einzelnen eben “durch den Begriff der allgemeinen Freyheit sich beschränken” soll, heißt
nichts mehr als dass die einzelne und die allgemeine Freiheit nicht identisch seien, und die absolute
Freiheit “durch etwas nicht absolutes” absolut sei. “Im Begriff des Zwangs selbst wird” daher
“unmittelbar etwas Aeußeres für die Freyheit gesetzt”, was die absolute Identität der Freiheit des
Einzelnen und aller auf etwas nicht Absolutes zurückführt. Hingegen sieht Hegel im Naturrechtsaufsatz in
der Wirksamkeit des Gesetzes nicht den künstlichen Zwang, sondern eine ontologische “Bezwingung” ein,
durch die der wahre allgemeine Wille des Subjekts auch bei Schwierigkeiten des Verbrechens erreicht
wird. Falls das Subjekt seinen Willen im Allgemeinen nur als +A (ein Mord) bestimmen würde, wäre –A
(ein Leben) für es nur äußeres und negierbares. Durch dies äußere Verhältnis steht es lediglich in der
fremden Gewalt des Zwangs. Aber es kann auch “sein +A als eine Bestimmtheit eben so negativ setzen,
aufheben und entäußern”. Als diese absolute Negativität ist jedes Subjekt frei. Aber die absolut negative
Freiheit ist “in ihrer Erscheinung der Tod”, und eben wegen dieser Fähigkeit des Todes ist jeder absolut
frei und “schlechthin über allen Zwang erhaben”. Das Subjekt, dessen +A unrealisiertes Allgemeines (der
Tod) ist, hebt dies +A (seinen Mord) auf und entäußert es, nämlich nimmt die Todesstrafe in sich auf, und
dadurch wird es bezwungen. Genauer gesagt, indem es –A (ein Leben) durch sein +A negiert
(Ermordung), und auch sein +A negiert (Erleiden der Todesstrafe), ist es bezwungen. Hier wirkt das
Moment des Todes in der absolut negativen Freiheit. Der Tod ist die äußerste Erscheinungsform und
zugleich der endgültige Realbeweis der Unrealisierbarkeit des verbrecherischen Willens. Er ist nämlich
“die absolute Bezwingung” durch die absolute Freiheit. Allerdings für diese Wirksamkeit des Gesetzes
ergänzt Hegel später in der zweiten Jenaer Geistesphilosophie auch das vernünftige Selbsterkennen des
280
Verbrechens” ist Hegel zufolge nichts anderes als dieser “Zwang des Rechts” selbst. Die
befehlende Moral oder das zwingende Recht ist gerade der subjektive Ursprung der
Unmoral oder des Unrechts. 81 Aus dem Zwang des Rechts entspringt die “innre
Rechtfertigung” des Verbrechers, und “sein Wissen” vom Verbrechen heißt für ihn nur
“das wiederherstellen seines einzelnen Willens” “zum Gelten, zum Anerkanntseyn”.
Und zwar sein einzelner Wille ist von ihm verallgemeinert oder als mit dem
allgemeinen Willen konform gedacht und gilt ihm daher als der allgemeine. Z. B. meine
Person als ein Armer hat nach dem allgemeinen Willen Recht auf das Leben. Aufgrund
des allgemeinen Willens zwingt das Recht, die Lebensbedingung des Anderen nicht
anzugreifen. Aber durch den Zwang ist das Lebensrecht meiner Person verletzt und
nicht mehr gültig als anerkannt. Denn ich als der Arme ohne Lebensunterhalt bin wegen
des Zwangs weder mehr lebensfähig noch als zum Leben berechtigt respektiert. Daher
ist der Zwang ungleich, der nur Lebensfähige leben lässt, und jeder muss das Recht
haben, in irgendeiner Weise zu leben. Nach diesem allgemeinen Willen nehme ich also
einem Anderen seinen Teil. Nun müssen sich zwei fragen, nämlich, welche von beiden
Seiten in Wahrheit verbrecherisch ist und aus welchem Grund und wie es bestraft
werden kann und muss. Der Zwang, der mir unter dem Namen des allgemeinen Willens
angetan ist, oder auch mein Wille, der dagegen als der allgemeine ausgeführt ist, kann
ungerecht sein. Auch im obigen Fall des Vertrags ist es nicht anders. Wer, der
Zwingende oder ich, der Gezwungene, dort ein Verbrechen begangen hat, ist de facto
noch nicht festgestellt. Hegel kürzt seine Darstellung für die konsequente Erklärung
vom Zwang zum Verbrechen ab. Der getane Zwang selbst kann auch verbrecherisch
sein, aber vor allem ist zu bemerken, dass, wenn jede von beiden Seiten Verbrechen
begangen hat, hier der allgemeine Wille, auf den jede sich gründen will, wirksam ist.
Der Zwang und die Rache sind de facto reziprok, und derjenige, der zwingen will,
würde seine Handlung eher für die Rache wegen des Zwangs des vermeintlichen
Verbrechers über die Unwirklichkeit seines Willens als des allgemeinen, d. i. das Geständnis des
Verbrechens zur Bedingung der rechtlichen Strafe. JKS, S. 446-448. Über den Vergleich der
kontraktualistischen Straflehre Fichtes mit der Hegelschen, Hösle, Vittorio: Was darf und was soll der
Staat bestrafen? Überlegungen im Anschluß an Fichtes und Hegels Straftheorien in Die
Rechtsphilosophie des deutschen Idealismus, S. 1-55
81
Schnädelbach sieht hier nicht Hegels Kritik am Kantischen Recht als Zwang, sondern eher Hegels
eigene unkontraktualistische Entwicklung desselben, d. i. eine ‘Theodizee des Verbrechens’ für die
Wirklichkeit des Rechts. Aber hier wird behauptet, der Zwang, sei es vom gerechten Vertragspartner, sei
es vom Recht selbst, sei es vom Verbrecher, stehe im notwendigen Zusammenhang mit dem inneren
Motiv des Verbrechens, deshalb müsse das Recht selbst gar nicht allein Zwangssystem werden. Nach
Reusswigs Analyse der Rechtsphilosophie ist das Verbrechen nichts anderes als die Äußerung des
moralischen Defizits bzw. der Amoralität des abstrakten, also äußerlich und zwanghaft gesetzten Rechts,
und auch das explizite Setzen der Zufälligkeit der kontraktlichen Übereinstimmung, in dem Sinne, dass
der Vertrag aufgrund dieses abstrakten Rechts immer gebrochen werden kann. Schnädelbach, Herbert:
Hegels praktische Philosophie, S. 133-134. Reusswig, Fritz: Natur und Geist, S. 167.
281
Vertragsbrechers halten.82 Hier ist mit einem Wort lediglich die subjektive und innere
Quelle des Verbrechens erklärt, aber noch nicht der objektive Grund von dessen
Bestimmtheit. Der Zwang, sei er fiktiv gemeint oder sei er real, ist der subjektive
Ursprung der Rechtfertigung des Rächens, ferner des Verbrechens. Der Zwang, der
aufgrund des allgemeinen Willens vom Einzelnen oder institutionell ausgeführt wird,
kann auch Verbrechen sein. Dies aber erwähnt Hegel hier nicht, sondern er scheint
momentan die Gerechtigkeit des Zwangs vorauszusetzen, höchstwahrscheinlich weil der
ungerechte Zwang des Einzelnen selbst auch ein solches Verbrechen ist, das hier in der
Gegenseitigkeit von Zwang und Rache erklärbar ist, und der ungerechte institutionelle
Zwang ein Problem des Widerstandsrechtes verursacht, was aber nicht hier, sondern
später in der rechtlich eingerichteten Gesellschaft zu erläutern ist. Dennoch ist ein
Grund für die Bestimmtheit einer Handlung als eines Verbrechens aber
erstaunlicherweise sehr einfach, wenn ein Blick auf Hegels realistischen Standpunkt der
Wahrheit geworfen wird. Die Handlung des Einzelnen, die, wie auch immer auf der
Basis des allgemeinen Willens, der gesellschaftlichen Entelechie des allgemeinen
Willens widerspricht, ist ungerecht und verbrecherisch, und sein allgemeiner Wille, der
nicht harmonisch realisiert werden kann, ist nur gemeint oder falsch. Allgemeines wird
nur als ein Allgemeines aller in Einzelnen realisiert. Das Allgemeine, das nicht so
realisierbar oder lediglich in gewissen Einzelnen, unmittelbar allein im Verbrecher
realisiert ist, ist nicht allgemein wahr. Und nur das, was in der Gesellschaft als
allgemein wahr realisiert ist, kann da sein und ist da gewesen. Das realisierte Objekt des
allgemeinen Willens tritt eben als Gesetz, Institut und Staat auf. Nur derjenige, der in
der Gesellschaft dieser Entelechie leben kann, ist das sittliche Subjekt seines einzelnen
Willens, der sich gemäß dem allgemeinen verwirklicht. Sonst wird seine Einzelheit
aufgehoben, gleich wie das unangemessene Einzelobjekt für die Realisierung des
allgemeinen Willens. Eben hieraus wird der Grund der Strafe abgeleitet.
Das Verbrechen, das dem zwingenden allgemeinen Willen zum Trotz vollzogen ist, hat
zwei Elemente. Zum einen ist der Wille des Verbrechers nun ein solcher, der “sich als
einzelnen für sichseyenden weiß” und “zum Daseyn gekommen” ist. Er machte
seinerseits seinen einzelnen Willen zum Dasein als Anerkanntsein. Zum anderen ist sein
einzelner Wille nicht als solcher, sondern als ein allgemeiner durchgesetzt und
verwirklicht. In dieser Hinsicht ist auch in ihm der allgemeine Wille tätig. Das
Verbrechen ist ein Zusammenstoß des einzelnen Willens als seines allgemeinen mit dem
82
Dies ist in der Rechtsphilosophie etwas mehr verdeutlicht. Weil “Zwang durch Zwang aufgehoben
wird”, ist er “nicht nur bedingt rechtlich, sondern notwendig – nämlich als zweiter Zwang, der ein
Aufheben eines ersten Zwangs ist”. GPR, § 93.
282
vorhandenen allgemeinen Willen aller Anderen. Es ist also selbst “die Belebung, die
Bethätigung” “des allgemeinen Willens”. Und wenn die Tätigkeit des Verbrechers
anerkannt werden soll, muss sie allgemein, nicht einzeln sein. Die allgemeine Tätigkeit
muss eine solche sein, die vom Verbrecher nicht nur dem Anderen, sondern auch ihm
selbst gegenüber durchgeführt wird. Die vollkommene Realisierung des Einzelnen als
Allgemeinen ist die Realisierung des Allgemeinen im Einzelnen. Die “anerkannte
Thätigkeit” des Verbrechers ist daher “ein Aufheben des einzelnen” Verbrechers. Denn
sein einzelner Wille, der nicht das Leben, sondern die Zerstörung und Vernichtung des
Lebens zum Prinzip, zum allgemeinen Willen hat, kann schlechthin nicht realisiert
werden, aus dem bloß ontologischen Grunde, dass nur das Allgemeine, das realisiert
werden, da sein, leben kann, realisiert wird, da ist, und lebt. Und nur das Allgemeine,
das adäquat realisiert ist, ist wahr. Die Strafe ist eben die Anerkennung des einzelnen
Willens des Verbrechers als des allgemeinen und Realisierung dieses Allgemeinen in
ihm. Das Wesen der Strafe liegt weder in der Überwältigung von der Seite des nach der
Vertragstheorie vereinbarten allgemeinen Willens noch in der Prävention des
Verbrechens noch in der Besserung des Verbrechers. Die Strafe ist wesentlich, die
einzelne Handlung des Verbrechers als die allgemeine seines allgemeinen Willens
anzuerkennen und an ihm selbst anzuwenden.83 Ihm wird zwar “das Gleiche was er
gethan hat”, getan, aber nun nicht als ein Einzelnes, wie in der Rache, sondern als “das
Allgemeine als solches”.84 In dieser Hinsicht ist die Strafe ein “Umschlagen” vom
Vernichten des Willens des Verbrechers als des allgemeinen ins Wiedergelten des in
Anderen vorhandenen allgemeinen Willens. Hier ist immer der allgemeine Wille tätig.
Dies darf nicht so missverstanden werden, dass es einen schlechten, beim Verbrecher,
und einen guten allgemeinen Willen bei den Anderen gibt. Das Allgemeine ist immer als
83
Nach der Rechtsphilosophie: Dass “die Strafe darin als sein eigenes Recht enthaltend angesehen wird,
darin wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt”. GPR, § 100. Auch VNS, § . 110. Primorac zufolge
kommt die Strafe erstens nicht nur vom Willen aller und dessen Objektivation im Gesetz, sondern auch
vom allgemeinen Willen als dem wahren des Verbrechers selbst her. D. i. sie drückt den eigenen Willen
des Verbrechers aus. Dann ist die Zustimmung des empirischen und subjektiven Willens des Verbrechers
zur Strafe bereits in seinem Verbrechen geschworen. Letztlich erscheint das Recht des Verbrechers auf
seine Strafe als das Recht auf die retributive Strafe, d. i. nicht nach irgendeinem anderen Maßstab,
sondern nach dem Grad seines Verbrechens gemessen. Primorac, Igor: Punishment as the criminal’s right,
HS 15, S. 193-195. Auch, Mitias, Michael H.: Another look of Hegel’s concept of punishment, HS 13, S.
176-182. Wenn diese Anerkennung und Anwendung des Willens des Verbrechers der subjektive Grund für
seine Strafe ist, liegt der objektive Grund in der gleichen, an sich bestehenden Nichtigkeit von Gesetz und
Bösem, die oben ontologisch als der unrealisierbare allgemeine Wille erklärt und kurz später unten
bezüglich des Gesetzes zu erklären ist. Auch Seelmann sieht das Element der Hegelschen Straflehre, das –
bloß als auf die Vergeltung des Gleichen an Anerkennungsverlust angewiesen – schwer zu erklären ist.
Seelmann, Kurt: Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S.77-79. Das Gesetz, das als Zwang für den
Einzelnen erscheint, ist ebenso nichtig wie das Böse, das als Verbrechen des Einzelnen erscheint.
84
Dies entwickelt sich eben zur späteren Straflehre als Wiedervergeltung durch das verletzte Allgemeine
selbst nach dem Wert der verbrecherischen Handlung. VNS, § 47, 48, 111. GPR, § 101, 102, 220.
283
Einzelnes da. Die Strafe heißt nur, dass der allgemeine Wille einerseits als der einzelne
des Verbrechers weiter in ihm gilt, dadurch andererseits als der von ihm verletzte, aber
in den Anderen vorhandene, allgemeine wieder gilt. Sie kann auch als Vergeltung, als
Rache, angesehen werden. Aber sie ist weder die Rache eines Einzelnen noch aller,
sondern als “Gerechtigkeit, d. h. das Anerkanntseyn, das an sich ist, und (aüsserlich)
verletzt” ist, “wiederherzustellen” (J III.235). Im Element dieses Anerkanntseins muss
daher auch das Vergelten durchgeführt werden. Alles geht also vermittels des
Anerkanntseins vor. Selbst der Verbrecher weiß, dass eine Person nicht nur von ihm,
sondern auch an sich anerkannt und die Verletzung der Person verboten ist. Das, was er
verletzen kann, ist de facto nur das äußerliche Dasein der Person, nicht die Person selbst,
wie im Naturzustand. Die äußerlich gestohlene oder gemordete Ehre der Person selbst
ist aber “nicht gekränkt”, insofern jeder “im Elemente des Anerkanntseyns lebt” und
dies weiß. Die Person selbst, die reine Person, kann schlechterdings nicht verletzt
werden. Denn die Negation derselben heißt nichts anderes als die Negation des
Menschseins des Menschen, der allgemein wissender Wille oder allgemein wollendes
Wissen ist. Die Person, die als anerkannt da ist, muss daher auch realiter nicht verletzt
werden können. Ihr Dasein kann äußerlich beschädigt werden, aber ihre Ehre muss
unverletzbar sein. Das sich wissende Verbrechen weiß auch dies Anerkanntsein der
Person, die in ihrem äußeren Dasein verletzt ist. Das Selbstwissen des Verbrechens wird
eben deshalb, wie nachher zu erklären ist, in der Strafrechtslehre Hegels als das
Geständnis des Verbrechers notwendig beansprucht. Die Strafe stellt so das äußerlich
verletzte Anerkanntsein der Person wieder her und bewahrt und garantiert wiederum das
Dasein derselben.
Nun ist das System der Entelechie des allgemeinen Willens, d. i. des realisierten
Anerkanntseins der Person zu erläutern. Dies ist eben der objektive Grund für die
Bestimmtheit des Verbrechens und die Gerechtigkeit des Zwangs. Der Zwang des
Einzelnen im oberen Beispiel des Vertrags kann gründlich ungerecht sein, wie er auch
immer auf dem allgemeinen Willen gründen mag. Er ist eher nur als Selbstzwang, als
das Institut des Selbstzwangs, gerecht. Vor allem muss jeder vorstellen und wissen
können, ob sein einzelner Wille, den er als den allgemeinen realisieren will, in Wahrheit
realisierbar und dem Dasein des schon realisierten allgemeinen Willens entsprechend ist.
Dieser ist bereits geschichtlich in der Gesellschaft realisiert und da. Jeder kann nun sein
Anerkanntsein als durch seine Tätigkeiten realisiert vorstellen. Dies ist die Bedeutung
der Entelechie des allgemeinen Willens als Gesetz, Institut, Staat, o. a. Hierin sind das
bestimmte Dasein und der besondere Willen eines jeden enthalten, der also “in dem
aufgeben seiner selbst, in seiner Aüsserung sich zu erhalten, seinen Willen zu behalten”
284
weiß. Denn die Verwirklichung des Allgemeinen ist meine Verwirklichung, und ich
kann nur als ein Einzelnes des Allgemeinen da sein. Außerdem weiß jeder durch sein
realisiertes Anerkanntsein auch, dass das “Zurükgehen in die Einzelnheit” zum
Verbrechen führt (J III.236). Das System des realisierten Anerkanntseins der Person, das
nun also mit der realen Gewalt für jeden wirkt und gilt, ist vor allen Dingen das Gesetz,
das ein wirkliches Anerkanntsein der Person zu nennen ist.
2.4. Gesetz als wirkliches Anerkanntsein
Das Gesetz ist nach dem gewöhnlichen Verständnis vom Recht als ‘Inbegriff der
Gesetze’85 unterschieden. Aber das Recht ist bei Hegel das allgemeine Element des
freien Seins der Person. Es wurde im Kampf um Anerkennung als das Anerkanntsein
der Person erreicht und in der anerkennenden Beziehung der Gesellschaft als ihr
daseiendes, unmittelbares Anerkanntsein entwickelt. Es ist in diesem Sinne der
realisierte Begriff der freien und selbstbewussten Person. Aber diese Realisierung der
Person ist noch eine begriffliche Realisierung, ihre interpersonelle als Begriff, also ist
ihr realisierter Begriff, d. i. das Recht in den gesellschaftlichen Tätigkeiten noch als der
Begriff des allgemeinen Willens wirklich wirksam. In diesem Sinne ist das Recht erst
nur die begriffliche Wirklichkeit der Person. Es muss nun nicht als Begriff, sondern
einen Schritt weiter gegenständlich, als das Objekt des Begriffs selbst realisiert werden,
damit jede Person darin das wirkliche Dasein ihres Anerkanntseins erkennen kann. Vor
allem ist der wahre Begriff das, was als sein Objekt selbst verwirklicht werden kann.
Das Recht, das als sein Objekt realisiert ist, ist bei Hegel eben das Gesetz. In dieser
Hinsicht ist es nicht nur die Gesamtheit der Gesetze, sondern auch der begriffliche
Grund derselben. Dagegen ist das Gesetz die objektive Wirklichkeit des Rechts, die
Entelechie seines Begriffes. Das Recht hat also die begriffliche Notwendigkeit der
Person, während das Gesetz die phänomenale Adäquatheit des Rechtsbegriffes hat. Weil
sich das Gesetz so in der Erscheinung darstellt, vermag es nach dem Naturrechtsaufsatz
nicht, “das, was aufs genauste und ganz allgemein das vortrefflichste und gerechteste
wäre, vollkommen vorzuschreiben” (JKS 452). Trotz dieser platonischen
Beschränktheit muss das Gesetz aber als die Aristotelische Entelechie des Rechts
85
Maximilian, Herberger: Artikel Recht HWP 8, S. 223. Das Recht als ‘eine Sammelbezeichnung für den
Inbegriff der Gesetze’ gehört Kaufmann zufolge zum nominalistischen Rechtsbegriff, nach dem ‘Recht
nichts Wirkliches’ und ‘nur das Gesetz’ zwar ‘wirklich’, aber dem Inhalt nach ‘beliebig’ ‘im Rahmen der
verfassungsmäßigen Ordnung’ sei. Dagegen sei der realistische und inhaltliche Rechtsbegriff bisher noch
nicht festgelegt und nach dem Gesichtspunkt jeder Rechtslehre verschieden, z. B. Hegels Recht als das
Dasein des freien Willens. Kaufmann, Arthur: Grundprobleme der Rechtsphilosophie, S. 121-124.
285
immerfort und notwendig versucht und entwickelt werden. Denn nur der Begriff, der
objektiv realisiert ist, kann endgültig wahr sein. Zudem erlangt das Recht als die
begriffliche Wirklichkeit noch nicht die objektiv wirksame Kraft, die von allen
Einzelnen als ihr realisiertes Anerkanntsein, also als die Gewalt aller vorgestellt wird.
Das Gesetz ist eben die als solche Gewalt wirkende, reale Wirklichkeit des Rechts. Das
Gesetz, das Hegel hier thematisiert, ist daher kein solches, das in der Erscheinung als
Rechte in engerem Sinne dargestellt, also als positives Recht oder als Gewohnheitsrecht
vorhanden ist, sondern in der Beziehung auf den Rechtsbegriff selbst als die objektive
und reale Wirklichkeit desselben betrachtet wird. Als diese Wirklichkeit für den
Einzelnen ist das Gesetz ferner die Vermittlung des Einzelnen mit seinem Rechtsbegriff.
Es ist nämlich das nach seinem Begriff realisierte Recht, in dem sich jede Person in
ihrer Wirklichkeit mit ihrem Rechtsbegriff vermittelt. In dieser Hinsicht lässt sich das
Gesetz also auch mit dem Recht in weiterem Sinne, in seiner Realisierung vertragen. D.
h. die Hegelsche Gesetzeslehre hier ist nicht juristisch, sondern philosophisch.86
Das Gesetz ist das realisierte Anerkanntsein der Person selbst, das sie durch ihre
gesellschaftlichen Tätigkeiten als die objektive Grundlage derselben erreichte. In den
vorigen gesellschaftlichen Tätigkeiten war die Person unmittelbar als daseiend
anerkannt. Aber das Dasein der anerkannten Person trat noch in der äußeren Gestalt des
Gegenstandes der Arbeit, des Tausches und des Vertrags auf. D. h. in ihrem äußeren
Dasein war die Person als anerkannt idealiter da. Daher war mein Anerkanntsein mein
Fürmichsein in meinem äußeren Dasein vermittels meines Seins für den Anderen. Nun
ist das Gesetz das wirkliche Dasein der anerkannten Person selbst, in dem mein Selbst
nach meinem Dasein und meinem Wissen enthalten ist. Es ist nämlich als das selbst
vergegenständlichte Wesen der Person ein “intelligentes Anerkanntseyn”, nach dem ich
als mein allgemeines Selbst da sein kann und soll und in dem ich das Allgemeine des
Rechts und mich selbst darin weiß (J III.237). Es ist das Dasein und zugleich das
Selbstwissen jeder Person als allgemeines Selbst. Jeder Einzelne in der Gesellschaft ist
nun nach dem Gesetz Person und existiert auf das Gesetz gestützt als Person. D. h. das
Gesetz ist “die Substanz der Person” (J III.236), und zwar “ihrer Existenz” in der
Gemeinschaft. Das Gesetz als diese Substanz hat drei Momente nach der Existenzweise
der Person. Die Person ist zuerst nur in einer “Gemeinschafft mit den andern”
86
Hegels Zurechnungslehre, die den allgemeinen und vernünftigen Willen des Einzelnen als des
Verbrechers zur Voraussetzung hat, steht im Zusammenhang mit dem Recht der Person, aber nicht
unmittelbar mit dem positiven Recht. Wie sie daher strafrechtsdogmatisch unmittelbar unbrauchbar ist, so
ist auch die Gesetzeslehre hier nicht spezifisch juristisch, sondern rechtsphilosophisch, wie Schild auch
bezüglich der Rechtsphilosophie die unjuristische, aber philosophische Bedeutsamkeit der Hegelschen
Zurechnungslehre für die Strafrechtswissenschaft auslegt. Schild, Wolfgang: Der Strafrechtsdogmatische
Begriff der Zurechnung in der Rechtsphilosophie Hegels. ZPF 35, S. 445-476.
286
unmittelbar als anerkannt da, insofern der Einzelne das geistige Anerkennen selbst ist
und dies die Beziehung auf den Anderen voraussetzt. Die Gemeinschaft ist eben die
Familie, und das Gesetz in seinem ersten Moment ist die Vermittlung der so unmittelbar
daseienden Person mit der Person selbst, mit ihrem Rechtsbegriff. Der Einzelne ist eben
darum als die anerkannte Person unmittelbar da, weil er in der Gemeinschaft besteht.
Das unmittelbare Dasein der Person in der Gemeinschaft impliziert also auch “die
absolute Nothwendigkeit” der Gemeinschaftlichkeit der Person selbst oder in ihrem
Begriff. In der Gemeinschaft wird nicht der Einzelne, sondern werden alle als das
Ganze allgemein besorgt, und jener für dieses aufgehoben und aufgeopfert. Das Gesetz
in diesem Moment kommt als Familienrecht zum Vorschein. Zweitens hat der Einzelne
das gesellschaftliche Dasein als Besitzer des Eigentums. Das Gesetz ist die Vermittlung
der gesellschaftlich daseienden Person mit ihrem Rechtsbegriff. Die Person ist vor allem
im Vertrag gesellschaftlich da und wird durch das Gelten des gemeinsamen Willens im
Vertrag gesichert. Hier muss nicht der einzelne, sondern nur der gemeinsame Wille
gelten, und durch diesen wird jener als Person garantiert. Das Gelten des gemeinsamen
Willens nach dem Rechtsbegriff der Person ist eben “die Substanz des Vertrags”, nach
der jeder als Person gesellschaftlich anerkannt ist. Das Gesetz hier tritt als
“Gerechtigkeit” und “Macht” über die Lebenserhaltung eines jeden auf und wird
zunächst als Eigentumsrecht gestaltet. Schließlich ist der Einzelne nun in der
Gerechtigkeit des Gesetzes als die anerkannte Person da. Seine Existenz selbst ist also
“das Werden an ihm selbst zum Allgemeinen” des Rechtsbegriffs. Das Gesetz in diesem
dritten Moment drückt das Bestehen des Einzelnen im Allgemeinen oder das Werden
jenes zu diesem aus. Aber das Einzelne eines jeden besteht nur als die rechtliche
Bewegung, daher ist das Gesetz auch “die Bildung” des Einzelnen an ihm selbst zum
Allgemeinen. Dies Gesetz tritt in der Gestalt der Rechtspflege und des Prozessrechts auf
(J III.237).
Zu achten ist hier vor allem darauf, dass Hegel de facto gar nicht für seine Gesetzeslehre,
oder nur sehr selten für seine Anmerkungen die Termini der positiven Rechte
unmittelbar benutzt. Hierfür lassen sich zwei Gründe nennen. Zunächst gelangte Hegel
bereits im früheren Fragment, Verfassung Deutschlands, zur Einsicht, dass ‘die Einheit
des bürgerlichen Rechts’ ‘nicht einmal’ genügend für die Konstitution eines Staates ist.87
Selbst ein vereinheitlichtes Recht kann, wie in der französischen Revolution, auch als
Apparat der Kontrolle fungieren, der in alle Details des Lebens eingreift, aber keinen
Raum für die freie Tätigkeit der Bürger gewährt. Das, was für die Organisation und
Sicherheit der öffentlichen Gewalt nicht bestimmt nötig ist, muss also “der Freyheit der
87
HH, S. 105.
287
Bürger überlassen” werden (SE 175). Zweitens liegt Hegels Interesse nicht in der
rechtswissenschaftlichen Behandlung von einzelnen Gesetzen, sondern in der
philosophischen Begründung des gemäß dem Rechtsbegriff zu setzenden Gesetzes. Das
Gesetz ist zwar die Substanz des Einzelnen als Person, aber das Leben dieser Substanz
ist in erster Linie der Einzelne selbst. Das Gesetz ist, nach der Rechtsphilosophie, zwar
das Gesetztsein des Rechts an sich als das objektive Dasein, aber das zu setzende Recht
an sich oder der Rechtsbegriff ist nichts anderes als die Person selbst des Einzelnen. Nur
in der “Identität des Ansichseins und des Gesetztseins” des Rechts kann das Gesetz die
verbindende Kraft sein (GPR, § 211). Das Gesetz muss also “für den Einzelnen” vor
allem “sein Wesen, sein Ansich” sein, das als “Gegenstand” realisiert und zu erkennen
ist. Für den Einzelnen, der sich in dem Gegenstand nicht erkennen kann, ist das Gesetz
freilich eine fremde Kraft. Aber selbst durch das passive Leben nach diesem Gesetz
wird er jedoch auch “an ihm selbst das allgemeine” Bewusstsein, das aber allerdings
selbst “das todte, stumpfe” ist, insofern es vom rechtlichen Selbst ohne Selbsterkennen
geleitet wird. Dagegen wird er durch das Erkennen des gegenständlichen Ansich im
Gesetz als des Selbst zum allgemeinen Selbst gebildet. Sein “gebildetes Bewußtseyn”
erkennt und erhält “sich in seiner reinen Abstraction selbst”, in der reinen Allgemeinheit
seiner Person, eben in seinem Ansich, das als Gegenstand, als Gesetz, gesetzt ist. Für
ihn ist das Gesetz nun die selbst verbindende Kraft seiner reinen Person. Das Gesetz ist
die Substanz der Person und die Person das Subjekt des Gesetzes. Die sich im Gesetz
wissende und verbindende Person ist das sittliche Subjekt ihrer Substanz. Dieses Gesetz
nach seinem Wesen ist nun in jedem Bereich zu erläutern.
2.4.1. Familiengesetz
Zunächst kommt das Gesetz bezüglich der Familie in der Ehe, dem Familiengut und der
Erziehung der Kinder zum Ausdruck. Diese Unterteilung ist bekanntlich die
Wiederholung des Inhalts des totalen Bewusstseins und seiner Tätigkeit der
Anerkennung in der Gesellschaft, aber nun als des wirklichen Anerkanntseins der
Person, dessen Inhalt später auch einen Teil des Kapitels der Sittlichkeit in der
Rechtphilosophie bildet. Insofern versichert das Gesetz das Bestehen des unmittelbaren
Daseins des Einzelnen als der anerkannten Person. Aber der Einzelne, der unmittelbar
da ist, ist einerseits zuerst “unmittelbar als natürliches Ganzes”, “als Familie”, aber noch
“nicht als Person”. Sein unmittelbares Dasein als Person muss erst werden. Als die
ganze Familie ist er aber andererseits zugleich durch die Liebe mit dem Anderen
verbunden. Als dies Verbundene ist er ein “unmittelbares Anerkanntseyn”, und die
288
Verbindung durch die Liebe ist für ihn de facto sein Ganzes als Anerkanntsein. Die
Verbindung tritt in concreto als viele Tätigkeiten in der Familie auf, die als einzelne
immer für die Verbindung selbst, für das Ganze, durchgeführt werden. Das “einzelne ist
in diesem Ganzen absorbirt”. Und das Einzelne, das für das Ganze als das Ganze
ausgeführt wird, ist eben “für das Gesetz, für das Allgemeine”. D. h. der Einzelne, der
für sein Ganzes, für seine Verbindung tätig ist, ist wirklich so für sein unmittelbares
Anerkanntsein, für seine unmittelbar anerkannte Person in der Verbindung, für das, was
nichts anderes als das Allgemeine des Gesetzes oder der Rechtsbegriff ist. Insofern er
um der durch die Liebe verbundenen, ganzen Familie willen als dies Ganze da ist, ist er
die anerkannte Person, die als unmittelbar daseiend wirklich geworden und realisiert ist.
Und das Allgemeine, für das er als das Ganze tätig da ist, ist als Gesetz eben die “Ehe”.
Die Ehe ist nicht einmal wegen eines bestimmten Zwecks, sondern für und “als das
Allgemeine” der Person geschlossen, was vom Einzelnen in der Familie als sein Ganzes
unmittelbar anerkannt und realisiert wird (J III.238). Daher, wie die Person selbst ganz
und gar nicht zur Disposition gestellt werden kann, so kann die Eheschließung auch
durchaus kein Kontrakt sein. Hier wiederholt sich wiederum Hegels heftige Kritik an
der Ehevertragstheorie Kants, wie schon im Vorigen erwähnt.88 Über die Person und
den Körper als ihre erste einzelne Existenz kann und soll gar nicht kontrahiert werden,
weil dies ihrer Freiheit und ihrem freien Dasein schlechthin widerspricht. Die zum
Kontrakt vorausgesetzte Handhabung der Person und des Körpers als Eigentum, als
Sache könnte sogar “durch die Soldaten” “zusammengezwungen werden”. Dieser
Gegengrund Hegels scheint auf den ersten Blick zwar banal und mangelhaft, aber
gewinnt erheblich an Bedeutung, wenn der aus der Zwangsläufigkeit von beiden Seiten
militärisch geschlossene Vertrag nach dem Krieg gültig ist. Ein Vertrag dieser Art würde
die erzwungene Ehe als Geisel, ferner die Knechtschaft, ermöglichen.
Hegel spricht des Weiteren gegen das positive Gesetz, das die Verwandtenehe in einem
eingeschränkten Umfang erlaubt. Zuerst ist den Verwandtschaftsgrad zu bestimmen sehr
beliebig, geradezu unbestimmt. Der Grad von etwas Gleichem kann nur als Gleiches
bestimmt werden. Die gleiche Bestimmtheit ist Unbestimmtheit. Diese Unbestimmtheit
ist auch “dem Begriff der Liebe entgegengesetzt”. Denn die Liebe ist die Vereinigung
von beiden selbstständigen freien Einzelnen, die noch nicht im unmittelbaren
Anerkanntsein gesetzt sind. Sie ist einerseits die Verbindung aus dem natürlichen
Gefühl, andererseits die unmittelbare Wechselanerkennung von jedem getrennten
Einzelnen, solange er für die Verbindung, für das Allgemeine da ist. Die Verwandten, d.
i. schon Verbundenen, können weder verbunden noch können die schon unter sich
88
Siehe S. 184-185. Auch GPR, § 75, 161-169. HH, S. 386.
289
Anerkannten voneinander anerkannt werden. Diese strenge Verweigerung der
Verwandtenehe, die bis heute noch nicht in Kraft gesetzt ist, müsste aber nicht als eine
unrealistische, sondern als ein Hinweis auf die Grenze eines solchen positiven Gesetzes
und als Nachdruck auf das Wesen der Ehe als des Gesetzes verstanden werden. Der
Grund für die Ehe als das Gesetz liegt für Hegel nicht als Gesetzgeber, sondern als
Philosophen, darin, dass sie die Vereinigung aufgrund der durch die Liebe motivierten,
freiwilligen “Einwilligung” von beiden selbstständigen, also getrennten und
ausschließlichen Personen ist, insofern die Personen selbst dadurch zu einem Ganzen,
zu einem Allgemeinen, gelangen und als im Allgemeinen daseiend unmittelbar
anerkannt werden. Dies unmittelbare Anerkanntsein ist der Rechtsbegriff oder
Rechtsgrund, und dessen unmittelbares Dasein ist die geschlossene Ehe, deren Bestand
eben vom Gesetz der Ehe versichert ist. Interessant ist, dass in der Einwilligung der
beiden auch die Einwilligung ihrer Familien enthalten ist. Insofern jeder nach der
Bewusstseinslehre nur in der eigenen Familie zur Person an sich geworden ist, braucht
er zugleich als ein Familienmitglied auch die Einwilligung seiner Familie. Seine
Familie charakterisiert sein natürliches Dasein als der Person. Die Ehe ist daher eben die
“Vermischung der Persönlichkeit, und Unpersönlichkeit des Natürlichen”, gleich wie
die Zweiseitigkeit der Verbindung durch die Liebe. Sie ist als Natürliches eine göttliche
Vereinigung und als Persönliches eine geistige in ihrer Natürlichkeit. Sie ist nämlich
zum einen eine “religiöse Handlung”, zum anderen “eine bürgerliche”. Und gerade aus
diesem Grunde kann sie nicht nur vom Kirchenrecht abhängig sein. Als bürgerliche
Handlung muss sie nicht zuletzt “vor das Gesetz” der Bürger treten, das seinerseits als
ihr reiner Wille, als ihre Freiheit von aller Einzelheit und Natürlichkeit bestehen muss (J
III.239). Also gelangt die freie Lebendigkeit ihrer Liebe durch das Wechselspiel mit
dem reinen Gesetz zum reinen Wollen, die Ehe zu erklären. Sie vermitteln durchs
Gesetz ihr unmittelbares Dasein mit ihren reinen Willen, mit ihrer Person selbst, eben
mit ihrem Rechtsbegriff.
Das Gesetz bezüglich der Ehe tritt zuerst von Seiten des reinen Wollens beider zwar als
die Versicherung desselben auf, aber darf nicht bloß in dieser Reinheit bleiben, insofern
ihr Leben, obzwar nach ihrem reinen Willen, doch realiter nach ihrer lebendigen
Freiheit geführt wird. Das Gesetz, das lediglich am reinen Willen festhält und die
Ehescheidung als nicht zu gestatten ansieht, ist bestenfalls nur einseitige und
“unlebendige Allgemeinheit”. Im Eheleben können viele Probleme nach der
Individualität eines jeden geschehen, also muss das einmal durch die Ehe erfüllte Gesetz
auch die “freye Lebendigkeit” der Ehe berücksichtigen. Aber damit sind nicht gemeint
die detaillierten Bestimmungen des Gesetzes über die konkreten Bedingungen des
290
Ehelebens, sondern es muss nur auf den positiven und aktuellen Willen eines jeden
eingehen, seine Ehe bestehen oder nicht zu lassen. Wie die Ehe vor dem Gesetz nicht
durch das Eheversprechen, den Beischlaf u. a., 89 sondern schlechthin “durch den
erklärten Willen, das Aussprechen” geschlossen wird, so können “Ehbruch”, “bösliche
Verlassung”, “Unverträglichkeit” der Gemütsart, “schlechte Wirtschafft”, u. a. kein
direkter Grund für die Ehescheidung sein, sondern entscheidend ist eben der Wille der
Eheleute, diese Elemente für einen solchen Grund zu halten und demnach ihre Ehe
aufzulösen (J III.240). Das Gesetz muss hier nach ihrem Willen des Dafürhaltens
auftreten und Rücksicht darauf nehmen, ob der Inhalt des Dafürhaltens realiter und an
sich so oder nicht ist.90
Wie in Bezug auf die Ehe muss das Gesetz auch über das Familiengut den Willen des
Einzelnen am meisten respektieren. Wie die Ehe selbst zweiseitig ist, so ist der Einzelne
in der Ehe einerseits als unmittelbar anerkannt durch seinen Willen und seine
Tätigkeiten für diese Verbindung, d. i. als Person, andererseits als unmittelbar lebend in
der Familie, als natürliches Ganzes, d. i. als “nur eins mit der Familie”. Das Fundament
seines unmittelbaren Daseins in der Familie ist das Eigentum, das aber nicht ihm als
dem Einzelnen, sondern der Familie selbst gehört. Es ist das “Familiengut”, weil er nur
in der Einheit mit der Familie als Person da ist. Die Familie ist notwendig für das
Dasein des Einzelnen als der Person, während sein unmittelbares Dasein der Person
zufällig für die Familie oder nämlich allein von seinem Willen für die Familie abhängig
ist. Also, wenn er auch stirbt, bleibt die Familie, solange ein anderes Mitglied am Leben
ist. Damit bleibt auch das der Familie gehörige Eigentum, das Familiengut, weiter
bestehen. Das Familiengut in diesem Fall ist die “Erbschafft”, die über Geburt und Tod
eines Einzelnen hinaus das Dasein aller als Person in der Familie objektiv garantiert.
Den Grund des Erbens enthält Hegel zufolge das Familiengut selbst. Denn dies hat der
Einzelne nach seinem reinen Willen für die Familie angeschafft. Es ist in diesem Sinne
auch das Eigentum des Einzelnen als der reinen Person. Hierin ist sein Wille allgemein
und gültig im Familiengut, ferner in der Erbschaft, obzwar der Einzelne stirbt. “Sein
erklärter Willen” als der reinen Person über sein Eigentum oder Familiengut ist der
Grund des Erbens (J III.241). Entscheidend ist es hier nicht, ob er am Leben oder tot ist,
sondern lediglich sein reiner Wille, das Familiengut bestehen zu lassen. Er ist weiterhin
gültig, gleichsam wie im Vertrag, der noch besteht, falls dessen Wille ohne sein Leben
erfüllbar ist. Aber Hegel sieht, anders als in diesem Vertrag, das Leben des Empfängers
89
Siehe S. 189-190.
Nach dem Zusatz von Eduard Gans zur Rechtsphilosophie müssen aber ‘die Gesetzgebungen’
andererseits die ‘Möglichkeit’ der Ehescheidung ‘auf höchste erschweren und das Recht der Sittlichkeit
gegen das Belieben aufrechterhalten’. GPR, § 165, Zusatz.
90
291
als notwendig für die Erbschaft an. Im Vertrag kann die Stelle des toten Empfängers z.
B. aufgrund seiner Identität mit der Familie von einem anderen Familienmitglied
vertreten werden. Hingegen im Fall der Erbschaft macht die Abwesenheit des
lebendigen Empfängers die Vermittlung der in der Familie anerkannten reinen Person
mit ihrem unmittelbaren Dasein unmöglich. Die reine Person, die unmittelbar weder da
noch realisiert ist, oder ihr reiner Wille ist gleich Unperson ohne Willen, und die
Erbschaft, die das Dasein eines vorhandenen Mitgliedes nicht konstituiert, ist Gut ohne
Familie oder gebundenes Ding ohne Herrn. Das Gesetz muss daher den Willen des
Vererbers möglichst bestimmt konkretisieren lassen, möglichst streng ausführen, damit
er realisiert und dadurch respektiert wird.
Das Gesetz, das schließlich bezüglich der Kinder kurz gefasst ist, ist über den Inhalt des
Willens “ebenso unbestimmt”. Denn das Kind selbst ist auch eben die Zweiseitigkeit
von der Persönlichkeit und der natürlichen Unpersönlichkeit im Sinne des Werdens zur
Person. Sein Wille ist also für es zugleich ein eigener unmündiger und ein noch zu
bildender fremder, und die “Vermischung” dieser beiden ist hier das Gesetz. Also im
Gesetz über Kinder muss zum einen “ihre Mündigkeit” bestimmt werden. Diese
bestimmte Mündigkeit im positiven Gesetz ist angesichts des Abschlusszeitpunkts ihrer
persönlichen Bildung noch “unbestimmter”. Zum anderen ist auch für ihre demnach
bestimmte Unmündigkeitszeit “die Vormundschafft” im Gesetz zu bestimmen. Ihr erster
Vormund ist allerdings ihre Familie, deren Unvollständigkeit durch “die Aufsicht des
Gesetzes” ergänzt wird (J III.242). Die Aufsicht des Gesetzes hier heißt eben eine
solche Aufsicht allein nach dem reinen Willen der Eltern darüber, ob dieser durch die
Erziehungsanstalten des Staates u. a. richtig realisiert wird. Welche Anstalt, welches
System u. a. auszuwählen ist, ist ganz zufällig und steht lediglich dem Familienwillen
zur Verfügung. Hier wird nämlich der Familienwille bis zur Mündigkeit der Kinder
auch am meisten respektiert.
2.4.2. Eigentumsgesetz
Der zweite Bereich, in dem das Gesetz gesetzt wird, ist das Eigentum des Einzelnen in
der Gesellschaft. Die Gesellschaft hat hier noch den Charakter der Volksgemeinschaft,
aber das, was die Gemeinschaft begründet, wird nun nicht als Volk, sondern als Staat
hervorgehoben. Der Volksbegriff, der im unteren dritten Bereich des Gesetzes nur
einmal als “das lebendige Volk” ausgedrückt (J III.249-250) ist, ist de facto ‘durch den
292
Begriff des Staates abgelöst’,91 der schon in diesem zweiten Bereich erwähnt ist. Dies
ergibt sich aus Hegels Reflexion, dass das Volk als die subjektive Grundlage der
Gemeinschaft ohne politische Objektivierung des allgemeinen Willens, d. i. ohne
institutionelle Entelechie nichts mehr als die natürliche, organische Substanz sein kann.
Daher wird der Volksgeist, von dem im unteren Staatsteil der zweiten
Geistesphilosophie noch gesprochen wird (J III.254), später in der Rechtsphilosophie
den systematischen Ort völlig verlieren, stattdessen tritt der Geist als objektiviert im
System des Staates auf.92 Damit wird der Volksbegriff in den Begriff des Bürgertums
als der politischen Einheit des Staates absorbiert, die nicht den Sinn von bourgeois,
sondern von citoyen hat, wie auch bereits in der zweiten Jenaer Geistesphilosophie
betrachtet. Daher bleibt Hegels Gesellschaftsbegriff auch später noch ein Implikat der
Volksgemeinschaft. D. h. die bürgerliche Gesellschaft des reifen Hegel bedeutet nicht
nur société bourgeois im geschichtlichen Sinne, sondern auch nach ihrem Zweck die
Gesellschaft von Bürgern als Mitgliedern einer politischen Gemeinschaft, die
zusammen den allgemeinen Willen bilden und ihn im Staat verwirklichen.93 In diesem
Sinne bezieht sich das Gesetz über das Eigentum hier im Grunde genommen auf das
Dasein des Einzelnen in der Gesellschaft im Sinne der Volksgemeinschaft, die dann
ihrerseits selbst wiederum das Dasein im Staat hat, also auf das Gesetz über
Rechtspflege, Prozess und Strafe bezogen wird. D. h. das Gesetz bezüglich des
Eigentums ist die Vermittlung der gesellschaftlich daseienden Person mit der Person
selbst oder ihrem Rechtsbegriff.
Zu achten ist hier aber vor allem darauf, dass der Einzelne zu Beginn noch nicht als
citoyen, sondern zunächst als unmittelbar anerkannt in der Familie, also als die ganze
Familie, die für ihr wirkliches Dasein Eigentum braucht, zum Vorschein kommt. Das
unmittelbare Dasein des Einzelnen in der Familie ist zufällig und vergänglich. Das
Gesetz seines unmittelbaren Daseins als Anerkanntseins darin hingegen drückt nicht
diese Zufälligkeit, sondern die geistige Notwendigkeit vom Willen des Einzelnen als der
ganzen Familie, vom Willen der Eltern, also vom Familienwillen aus. Das Gesetz als
dies Gesetz des Willens verschwindet nicht zusammen mit dem Tod der Eltern, die
91
HH, S. 171.
HH, S. 390. Als Ursachen des Verzichtes auf den Volksgeistesbegriff zählt Jaeschke Hegels
‘systematische Orientierung am Willensbegriff statt am substantialen Sein’, die ‘stärkere Verrechtlichung’
und ‘organische Strukturierung’ ‘der politischen Sphäre’ und die ‘Distanz’ zur damaligen romantischen
‘Forderung nach einem Nationalstaat’ auf.
93
Weisser-Lohmann hebt zumeist die letztere Seite der bürgerlichen Gesellschaft hervor. WeisserLohmann, Elisabeth: „Divide et impera“, HS 28, S. 213. Aber die erstere Seite derselben zunächst als der
Kampfplatz der egoistischen Einzelinteressen darf auch nicht vernachlässigt werden. In dieser Hinsicht ist
sie ‘die geschichtliche Wirklichkeit’ des vom neuzeitlichen Naturrecht nur als fiktiv aufgefassten
‘Naturzustands’. HH, S. 387.
92
293
mündige und anerkannte Personen in der Familie sind. Sondern wie die Familie das
Dasein ihrer reinen Person als das Eigentum hat, so wird das Gesetz ihres Willens
positiv gesetzt und tritt dadurch “als das Daseyn auf”. Dies positive Dasein des
Gesetzes ist eben vom “Staat” verbürgt. Das im Staat daseiende Gesetz ist nun “das
wirkliche Gelten des Eigenthums, Element des wirklichen Daseyns, durch das Wollen
aller”. Es ist das Gesetz des Willens aller, dass jeder auf sein eigenes Eigentum
angewiesen wirklich da sein können muss. Wie die Familie “die Substanz und
Nothwendigkeit” des Daseins des Einzelnen als Anerkanntsein ist, so garantiert das
Gesetz auch dasselbe Dasein des Einzelnen in der Gesellschaft, und zwar, obwohl seine
“Familie gestorben” ist. Das Gesetz ist die Familie jedes Einzelnen in der Gesellschaft,
insofern er lediglich “als Einzelner auftritt”. Es ist “die bewußtlose Vormundschafft”
dafür, dass der Einzelne in der Gesellschaft im gleichen Verhältnis zu seinem Eigentum,
wie im Verhältnis der Familie zum Familiengut, als anerkannte Person wirklich da sein
kann. Die Vormundschaft des Gesetzes ist aber zuerst bewusstlos, indem der Einzelne es
noch nicht als die Entelechie seines allgemeinen Willens in der politischen
Gemeinschaft, im Staat begreift, sondern nur in Bezug auf sein Eigentum einfach kennt.
Das Gesetz in diesem Moment ist zunächst “das allgemeine Recht” jedes Einzelnen auf
“das Eigentum überhaupt”, das “bey seinem unmittelbaren Besitz, Erbschafft und
Tausch” unterschiedlich auftaucht. Und der Einzelne, der so als die ganze Familie sein
Eigentum erwirbt, dafür arbeitet und tauscht, ist daher auch zuerst nicht citoyen,
sondern Bürger im allgemeinen Sinne vom Eigentümer. Des Weiteren, weil er sein
Eigentum realiter in verschiedener und ganz freier Weise bekommt, ist sein allgemeines
Recht noch nur erst ein solches “formales”, “daß ihm gehört, was er bearbeitet, und was
er eintauscht” (J III.242). Eben wegen dieser formalen Allgemeinheit seines Rechts auf
Eigentum wird der Einzelne aber bei seinen rechtlich freien Erwerbstätigkeiten
aufgeopfert und aufgehoben.
Das Gesetz bezüglich des Eigentums ist das allgemeine Recht, das Vielfalt des
Eigentums des Einzelnen formell als das Eigentum überhaupt garantiert. Es wird nicht
von außen her in die Gesellschaft eingeführt, sondern ist selbst die Notwendigkeit des
gesellschaftlichen Daseins des Einzelnen als der anerkannten Person, indem er in der
Gesellschaft nur von seinem Besitz abhängig da sein, d. i. leben, aber sein Besitz nicht
in besonderer Gestalt von Grundstück, Produkten, Erbschaft u. a., sondern nur als
Eigentum überhaupt von der reinen Person gesellschaftlich anerkannt werden kann. Der
Einzelne in der Gesellschaft ist eine solche Person, die als auf ihr Eigentum im
Allgemeinen angewiesen daseiend anerkannt ist. Aber die Notwendigkeit des Einzelnen
ist zugleich die Notwendigkeit seiner Aufhebung. Denn er arbeitet nun nicht für die
294
Erlangung irgendeines bestimmten Gegenstandes, sondern seines allgemeinen
Eigentums. “Das Allgemeine” seines Eigentums ist zum einen die “reine
Nothwendigkeit” seiner Arbeit, zum anderen die “bewusstlose” Grundlage seiner
gesellschaftlichen Existenz. D. h. die Gesellschaft, in der die Arbeit jedes Einzelnen für
das Allgemeine ganz frei verrichtet wird, ist nun für ihn nichts anderes als “seine Natur”,
deren Elemente als Arbeiten aller Anderen blind bewegend, daher unvoraussehbar sind.
Das Allgemeine des Eigentums ist in concreto der Wert im Arbeitsprozess und die
Arbeit dafür die “abstracte Arbeit”. Hieraus werden die vorher erläuterten, negativen
Wirkungen wiederum erwähnt wie die Verringerung des Arbeitswertes gemäß dem
Produktionsanstieg, die Arbeitsteilung und die Mechanisierung durch die Abstraktion
der Arbeit, die einseitige Vereinfachung und Paralysierung der Menschenarbeit durch
die Maschinenarbeit, die plötzliche Verelendung einer Arbeitermenge in einem gewissen
Industriezweig wegen der neuen Mode oder wegen der Erfindung einer anderen
Geschicklichkeit u. s. w.
Bemerkenswert hier ist vor allem, dass Hegel die Seite des Konsums mit berücksichtigt.
Die Arbeit ist im Wesentlichen die Tätigkeit für das Erwerben des begehrten
Gegenstandes. Das Bedürfnis nach einem Gegenstand veranlasst nämlich die Arbeit.
Aber nun wird diese Beziehung umgekehrt. Die Vermehrung der mannigfaltigen
Produkte mit dem erniedrigten Preis macht auf der einen Seite den Kauf und Gebrauch
immer leichter, “vervielfältigt” demnach Bedürfnisse. Andererseits führt die
Arbeitsteilung auch die Teilung des begehrten Gegenstandes, einen neuen begehrten
Gegenstand der Teilarbeit herbei. Z. B. für den gut mit einem Korken verschlossenen
Wein ist ein guter Korkenzieher nötig. Auf diese Weise wird jedes einzelne Bedürfnis
“in mehrere abgetheilt”, und damit wird der Geschmack vom komplexen Gebrauch
“verfeinert”. Dies motiviert die Produktion eines neuen Anhängsels für den leichteren
Gebrauch des zuerst begehrten Gegenstandes, und dieser Prozess wiederholt sich
unablässig. Der Einzelne wird dadurch von einem nur natürlich Genießenden zum
Konsumenten gebildet, und auch durch den freien und zufälligen Gebrauch relativ vieler
Einzelner wird “die Mode” erzeugt. Diese Einsicht Hegels gibt einen reichen Wink für
die Beförderungsmöglichkeit der Produktion und der Kapitalzirkulation durch die
künstliche Manipulation von Bedürfnis und Konsum. 94 Ihm zufolge ist die
94
Auch Marx sieht die Konsumtion als Produktion ein, nicht nur als die der Arbeitskräfte und des
Bedürfnisses nach neuer Produktion, sondern auch als ein Teil der Produktion selbst, die die Konsumtion,
d. i. Gegenstand, Weise und Trieb der Konsumtion, produziert. Aber die Konsumtion in dieser Hinsicht ist
in seinem Kapital nicht unmittelbar werttheoretisch analysiert, sondern nur erst als die Mittel der
Kapitalzirkulation, als ‘der abschließende Akt’ der Produktion des Produkts durch Produzenten behandelt.
Über diese erst heute verschärfte, produktive Funktion der Konsumtion, deren Analyse mit dem Begriff
nicht vom rein ökonomischen, sondern vom sozial-ökonomisch-politischen Wert, wie von Prestige,
295
Verfeinerung des Geschmacks de facto nur die Vereinfachung durch Zerlegung in
dessen Teile, die der Abstumpfung des Einzelnen durch die Abstraktion der Arbeit
entspricht. Der Konsum ist nur eine freie und formelle Verknüpfung der vereinfachten
Teilgeschmacksrichtungen. Das “erfüllte selbstbewußte Leben” oder die “Krafft des
Selbsts”, das seinen begehrten Gegenstand völlig beherrschen und umfassen kann, darf
nicht von einem solchen Konsum abhängen, sonst würde das Selbst damit immer mehr
auf die Konsumfähigkeit eines Teiles des Gegenstandes beschränkt oder lediglich erst
als Gesamtheit dieser Fähigkeiten bestehen können. Sein Leben würde nach der Mode
des Konsums die leere und formelle Verbindung der Konsumtionen sein, deren er fähig
ist. Aber die Mode ist nichts mehr als “die Freyheit im Gebrauche” nicht des begehrten
Gegenstandes selbst, sondern nur “der Formen” desselben. Diese Formen sind
unbeständig, zufällig und ihrem Gegenstand akzidentiell zugehörig. Die Mode ist nur
untergeordnete Schönheit, die ihren Gegenstand verziert und Trieb, Begierde danach
reizt. Die zugehörige Schönheit als “die Zierrath eines Andern” ist “keine freye
Schönheit” im wahren Sinne (J III.244). Hierauf kann das gesellschaftliche Dasein des
freien Einzelnen ganz und gar nicht beruhen. Dennoch kann der Einzelne auch nicht
mühelos aus diesem Verhältnis der formalen Verallgemeinerung heraustreten.
Außerdem ist auch darauf zu achten, dass Hegel gegenüber der Polarisierung von
Reichtum und Armut das Eingreifen der Staatsgewalt unter der Versicherung der
“Freyheit des Gewerbes” für unausweichlich hält. Wegen der zufälligen Faktoren oder
der feineren Arbeitsverteilung wird der Reichtum immer mehr auf einen Punkt
angehäuft, damit gerät die sonstige Bevölkerung in hilflose Armut. Diese notwendig
bewirkte Ungleichheit ist für den Einzelnen völlig zufällig, zerreißt seinen Willen im
höchsten Maß und ruft “innre Empörung und Haß” in ihm hervor. Dies bedeutet nichts
anderes als die völlige Zufälligkeit des gesellschaftlichen Daseins des Einzelnen. Dies
entspringt zum einen daraus, dass der Einzelne sich selbst, also seine Arbeit als
unmittelbar anerkannt in der Gesellschaft ebenfalls unmittelbar verallgemeinert. Die
unmittelbare Verallgemeinerung eines Einzelnen kann nichts anderes als die
Verallgemeinerung durch die Abstraktion vom Einzelnen selbst sein. Der Einzelne wird
mit dem Verlust seiner konkreten Eigenschaften in ein Allgemeines nivelliert und als ein
Teil des Allgemeinen quantifiziert, weil das in dieser Weise durchschnittliche
Allgemeine nichts außer dem quantitativen Begriff sein kann. Also wird die konkrete
Arbeit des Einzelnen in die abstrakte, der Gebrauchswert seiner Produkte in den
Tauschwert verwandelt. Insofern der Einzelne als anerkannt auch gesellschaftlich da
Zeichen, Kredit u. s. w. versucht wird, siehe Baudrillard, Jean: The Consumer Society, insbesondere S.
49-98. Marx, Karl: Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie MEW 13, S. 622-626.
296
sein muss, ist dieser Prozess des Gewerbes für sein Dasein notwendig. Diese
Notwendigkeit ist zugleich die Zufälligkeit seines Daseins und “ebenso die erhaltende
Substanz desselben”. Zum anderen ist dieser Widerspruch auch der Widerspruch des
Gesetzes über das Eigentum als Gesetz seines Daseins. Dies Gesetz als das allgemeine
Recht auf das Eigentum überhaupt gewährleistet das gesellschaftliche Dasein des
Einzelnen als der anerkannten Person. Aber es ist nur ein formales Recht auf das gerecht
erhaltene oder erhältliche Eigentum, nicht auf das Erhalten des Eigentums selbst. Es
versichert nicht unmittelbar das gesellschaftliche Dasein der Person, sondern lediglich
dessen Möglichkeit, die durch das freie Gewerbe eines jeden realisiert wird. Es ist daher
selbst unvollkommen und ungenügend für die Stabilität des gesellschaftlichen Daseins
eines jeden, ferner der Gesellschaft im Ganzen. Gerade aus diesen Gründen muss die
Staatsgewalt möglichst ohne “Schein der Gewalt” “ins Mittel treten”, “daß jede Sphäre”
der Gesellschaft “erhalten werde” (J III.244). Als mögliche Maßnahmen zählt Hegel
einerseits das Aufsuchen des neuen Absatzgebietes, das Behindern oder Handikapen
einer zu sehr betonten Profitabilität für das faire Geschäft, andererseits Armentaxen,
Armenanstalten usf. auf.95 Nicht nur für diese ordnenden Rollen, sondern auch für die
Erhaltung einer solchen Staatsgewalt selbst sind ferner Abgaben als “ein allgemeines
Gut” “des Ganzen” nötig. Für das Abgabensystem zieht Hegel den direkten Abgaben
über den festen Privatbesitz wie Grundstücke oder Domänen die “allenthalben” und
“unscheinbar” eintreibbaren indirekten, vor. Dieses Eingreifen der Staatsgewalt scheint
von Hegel äußerlich eingeführt zu sein.96 Aber betont ist hier nicht sowohl der Staat als
vielmehr dessen Gewalt als die Macht des Rechts. Das Gesetz muss das Gesetz des
gesellschaftlichen Daseins der Person nach ihrem Rechtsbegriff sein. Das Gesetz
bezüglich des Eigentums garantiert zwar die Möglichkeit ihres Daseins nach ihrem
freien Willen, aber nicht die Wirklichkeit dieses Daseins selbst. Nur auf das
Eigentumsrecht angewiesen kann nicht jede freie Person zum wirklichen Dasein
gelangen. Das Gesetz muss daher auch eben das Gesetz dieses wirklichen Daseins der
95
Hegel ist ‘kein Anhänger einer aus „abstrakt” liberalen Grundsätzen abgeleiteten unbeschränkten
Gewerbefreiheit’. Lübbe-Wolff, Gertrud: Hegels Staatsrecht als Stellungnahme im ersten preußischen
Verfassungskampf. ZPF 35, S. 495. Er ist auch kein Anhänger allseitiger Planwirtschaft, um das
Besondere des individuellen Lebens unter die Allgemeinheit des Ganzen zu subsumieren. Losurdo,
Domenico: Logik, Politik und soziale Frage: Hegelsche „Rechte“und Hegelsche „Linke“ in Die Folgen
des Hegelianismus, S. 280-285.
96
Riedel sieht den Staat hier als ‘Deus ex machina’ eingeführt an. Riedel, Manfred: Zwischen Tradition
und Revolution, S. 135-136. Aber dieser als die Gewalt erscheinende Staat ist eben der “Not- und
Verstandesstaat”, der in der Rechtsphilosophie als das bürgergesellschaftliche System allseitiger und
äußeren Abhängigkeit mit den Aufgaben der Aufsicht über dieses System, der Rechtspflege und der
Polizei auftritt. Schon nach den Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft (1817/18) soll der
Fichtesche Notstaat mit der übermäßigen Polizeigewalt in Schranken gehalten und in die Substanz des
innerlich konstituierten, sittlichen Staates zurückgeführt werden. GPR, § 183. VNS, § 119, 128.
297
Person sein. Dafür kann es nicht umhin, selbst das wirkliche Dasein zu werden, das
eben das allgemeine Gut des Ganzen aus Abgaben ist. Dies Gesetz gründet sich zum
einen auch auf dem Rechtsbegriff, dass jede freie Person gesellschaftlich da sein können
muss. Als dies Gesetztsein des Rechts selbst muss es, zum anderen, das selbst wirkende
Gesetz sein. Die Wirkung des Gesetzes ist unmöglich außer in der Gestalt der Gewalt,
die aber nicht von Einzelnen, sondern vom allgemeinen Willen aller herkommt. Die
Gewalt des Gesetzes kann für den Einzelnen nicht anders als die Staatsgewalt
erscheinen. Nur in diesem Sinne redet Hegel vom Eingreifen der Staatsgewalt, dessen
Zweck lediglich in der Versicherung des wirklichen Daseins der Person nach ihrem
Recht selbst liegt. Und gerade deshalb muss das Eingreifen ihm zufolge möglichst
unscheinbar und allgemein, möglichst nicht vom Besitz der Privatperson, sondern aller
abhängig sein.97 In der Gesellschaft ist der Einzelne noch nicht zum Allgemeinen des
Rechts gebildet. Er will nur nach seinem Recht frei, d. i. nach dem gemeinsamen Willen
im freien Tausch, Vertrag u. a., bestehen. Aber dieser einzelne Wille, nach der
Allgemeinheit des formalen Rechts als anerkannt zu bestehen, enthält bekanntlich
Momente der Aufhebung des Einzelnen selbst. Die daraus herbeigeführte allseitige
Instabilität des Daseins aller in der Gesellschaft leitet jeden zum Wollen des Daseins
nicht des Einzelnen als Allgemeinen, sondern des Allgemeinen aller Einzelnen. Als das
Bestehen dieses Allgemeinen tritt eben die Staatsgewalt auf. Diese ist nicht Gewalt vom
Staat her, sondern Gewalt des allgemeinen Willens aller bis zum Staat. Die hier
erwähnte Staatsgewalt lässt sich daher schließlich auch als ein Ausdruck der Bildung
des Einzelnen zum Allgemeinen des Rechts innerhalb der Gesellschaft selbst ansehen.
Diese Bildung wird auch vor allem in der Rechtspflege und dem Prozess durchgeführt,
wo das gesellschaftlich nicht beachtete und realisierte Recht selbst durch und als die
Gewalt des Staates durchgesetzt wird.
2.4.3. Gesetzliches Bestehen des Einzelnen
2.4.3.1. Privatrechtsstreit
Das dritte und letzte Moment des Gesetzes ist das Bestehen oder Werden des Einzelnen
in oder zu der Gerechtigkeit des Gesetzes. Dies Bestehen bzw. Werden muss auf der
einen Seite vom Einzelnen selbst erwiesen werden, andererseits muss das Gesetz selbst
97
Rosenzweig sieht Hegels ‘Forderung des steuerpolitischen Liberalismus’ bereits im System der
Sittlichkeit. HStaata, S. 152-153. SE, S. 355-356. Rosenkranz berichtet auch über Hegels Interesse in der
Frankfurter Zeit an der Armentaxe in England. HLeben, S. 85.
298
auch als der Maßstab des Erweises, nämlich als Vielfalt von positiven Rechten98 da sein.
Denn das gesellschaftliche Dasein des Einzelnen mit Besitz, Geschicklichkeit, Verstand
u. a. ist sehr zufällig, und seine Vermittlung mit dem Recht selbst bei Arbeit, Tausch,
Vertrag u. a. ist daher auf diese Zufälligkeit beschränkt. Der Einzelne aber nimmt dem
Wesen nach auch “als allgemeiner”, als anerkannte Person an diesen zufälligen
Tätigkeiten teil. Er hat da “als Eigenthum überhaupt besitzend” das allgemeine, aber
formale und “abstracte Recht” darauf (J III.245). Aber weil die Vermittelung der
einzelnen und zufälligen Tätigkeiten mit dem abstrakten Recht also manchmal
unvollkommen sein kann, entsteht unvermeidlich der Rechtsstreit. Der Einzelne muss
seine konkrete Anwendung des Rechts auf seine gesellschaftliche Tätigkeit als rechtlich
beweisen können, und dieser Beweis muss auch objektiv beurteilbar sein. Der Beweis
von seiten des Einzelnen wird durch das Gesetz über den Prozess gewährleistet, und das
Urteil von seiten des Gesetzes selbst als die Rechtspflege gefällt. Das Urteil ist die
Anwendung des Gesetzes durch das Gesetz selbst auf die Tätigkeit des Einzelnen. Dafür
muss das Gesetz ebenfalls auch selbst als das wirkende Dasein, d. i. in der Gestalt der
Gewalt bestehen. Diese Gewalt des Gesetzes ist eben “die richterliche Gewalt”, die auch
als Staatsgewalt auftritt.99 Sie setzt sich aus zwei Hauptelementen, d. i. Rechtspflege
und Prozess, zusammen. Hegel scheint hier plötzlich bezüglich der Vertragslehre den
Staat als die Grundlage der richterlichen Gewalt zur Darstellung zu bringen. Aber
während die richterliche Gewalt die Gewalt des wirkenden und anwendenden Gesetzes
ist, ist das darin angewendete Gesetz doch nicht einfach das Gesetz selbst als das
positive Recht, sondern nach seinem Wesen, nach dem Recht an sich. Also muss das
98
Aber die Kodifikation besteht bei Hegel nicht allein aus positivem Recht, sondern auch aus
Gewohnheitsrecht. Sie ist einerseits zwar notwendig für den Ausdruck des Daseins des sich in der
Geschichte entwickelnden Volksgeistes als Recht, d. i das Selbstbewusstsein des Volksgeistes, aber das
Recht zum Ausdruck zu bringen gehört andererseits zur empirischen Bearbeitung. Eben deshalb ist kein
Gesetzbuch vollkommen und unabänderlich. Vor allem wichtig für Hegel ist die ‘förmliche Erhebung des
Rechtes zum Gesetz’ als die größte Wohltat der Herrscher. Aber weil diese Erhebung gemäß der
Entwicklung des Volksgeistes empirisch und abänderlich durchgeführt wird, thematisiert er sie
rechtsphilosophisch nicht ausführlich. HH, S. 389, 391-392. Jaeschke, Walter: Die Vernünftigkeit des
Gesetzes HR, S. 246-256. GPR, § 214. Siehe auch Aristoteles: Politica, 1269a. Aus diesem Grunde ist
auch darauf zu achten, dass Hegels Beispiele des Rechts in seiner rechtsphilosophischen Darstellung,
insbesondere die Todesstrafe für den Mord als ein Beispiel für das Vergeltungsmoment des Strafrechts,
weder im zu strengen Sinne noch im Kontext der realen Gesetzgebung interpretiert werden darf.
99
Die richterliche Gewalt, die später in Hegels Gewaltenteilungslehre als der ausübenden Gewalt der
Regierung zugehörig aufgestellt wird, hat aber Siep zufolge auch Unabhängigkeit von äußeren
Einwirkungen durch viele Maßnahmen, wie für die Rechtsprechung die ‘wissenschaftliche Ausbildung,
die Zugehörigkeit zu einem Stand’ ‘der Allgemeinheit’, ‘eine vertikale Gewaltenteilung bei der
Einsetzung von Richtern’, deren einer Teil zumindest ‘durch Kommunen und Bürger selber bestimmt
werden’ soll, und für die Rechtspflege ‘Geschworenengerichte, Öffentlichkeit, Mehrheit der Instanzen,
Kollegialität sowie funktionale und materielle Unabhängigkeit der Richter’, u. a. Siehe Siep, Ludwig:
Hegels Theorie der Gewaltenteilung, HR, S. 395-396.
299
Recht selbst auch als Macht bestehen, um die rechtliche Anwendung des Gesetzes selbst
zu versichern. Daraus wird die Notwendigkeit des Staates als der Macht des Rechts
hergeleitet. Aber das Bewusstsein der Einzelnen in der Gesellschaft ist noch nicht zu
einer solchen Notwendigkeit gelangt. Diese ist allein die bestehende Notwendigkeit für
die richterliche Gewalt. Nur in dieser Hinsicht redet Hegel hier vom Staat. Der Einzelne
bezieht sich dagegen nur auf die richterliche Gewalt. Durch diese Beziehung wird der
Staat auch zur Notwendigkeit des Bewusstseins.
Die richterliche Gewalt ist das wirkende Dasein des Gesetzes nach seinem Wesen, dem
Recht. Der Staat ist eben die daseiende “Macht des Rechts” selbst. Und wenn das Recht
jedes Bürgers das Dasein seines frei wissenden Willens oder frei wollenden Wissens als
die anerkannte Person ist, ist nun die Gewalt, in der dies Dasein selbst als das Gesetz
unmittelbar wirkt, die richterliche Gewalt, und die Macht als die Wirklichkeit dieses
Daseins eben der Staat. Mit einem Wort ist der Staat die daseiende Macht des Rechts der
Bürger. Diese Macht des Rechts in der Anwendung durch die richterliche Gewalt ist z.
B. “das Halten des Vertrags” oder “die daseyende Einheit des Worts, des ideellen
Daseyns und der Wirklichkeit, so wie die unmittelbare Einheit des Besitzes und Rechts”
oder das anerkannte “Eigentum” überhaupt “als allgemeine Substanz” in dem Sinne,
dass der rechtlich anerkannte Besitz, d. i. die unmittelbare Einheit des Besitzes und
Rechts, eben das Eigentum ist.100 Im Grunde genommen, auf die allgemeine Substanz
angewiesen, erhält und behält der Einzelne als ihr Akzidentielles einen Besitz als sein
unmittelbares Eigentum. Die allgemeine Substanz hat als die daseiende Macht des
Rechts ein zweiseitiges Attribut. Sie ist zum einen als das Dasein der Macht “das
unmittelbare Bestehen” jedes Eigentums, zum anderen als die daseiende Macht das
wirkende, “allgemeine Gesetz” oder Recht selbst. Das allgemeine Gesetz ist für den
Einzelnen zwar abstrakt, aber von ihm selbst als notwendig gewusst und gewollt. Das
Wirken dieses Gesetzes heißt also “das Festhalten” des Gesetzes als “dieser
Abstraction” für den Einzelnen “gegen den Einzelnen” selbst, “seine gewusste und
gewollte”, aber noch leere, also durchzusetzende “Nothwendigkeit gegen ihn” und
demnach selbst auch “die versuchte Ausgleichung dieser leeren Nothwendigkeit und
seines Daseyns”. Die allgemeine Substanz ist als das Dasein der Macht also “das
Bestehen” oder “der Schutz des unmittelbaren Eigenthums” jedes Einzelnen, d. i. das
100
Begrifflich zusammengefasst, auf der Seite des Ansich ist das Dasein des freien Willens das Recht,
das wirkliche Dasein desselben mit der Macht oder das Dasein des Rechts als Macht der Staat, auf der
Seite des Gesetztseins das Gesetztsein des Rechts das Gesetz, das wirkende Gesetz als das Gesetztsein der
Staatsmacht die Gewalt des Gesetzes oder die richterliche Gewalt als eine Staatsgewalt, genauer gesagt
eine Gewalt der Regierung. Wenn die daseiende Macht des Rechts als der Staat die allgemeine Substanz
ist, hat sie das zweifache Attribut des unmittelbaren Bestehens des Gesetzes als der Gewalt und des
unmittelbaren Wirkens desselben als des Allgemeinen.
300
Dasein selbst des allgemeinen Willens, und als die daseiende Macht eben “die Kraft
aller Einzelnen”, d. i. des allgemeinen Willens selbst. Sie ist des Weiteren als die Einheit
ihrer Zweifachheit auch “der Schutz des Vertrags, des erklärten gemeinsamen Willen”
überhaupt bzw. “das Band des Wortes und der Leistung”. Und wenn das Wort nicht
geleistet wird, tritt die richterliche Gewalt des Gesetzes als die Tätigkeit der
allgemeinen Substanz bzw. der daseienden Macht auf, um dem Wort das Leisten folgen
zu lassen.
Die richterliche Gewalt ist die Anwendung oder Realisierung der daseienden Macht des
Rechts, d. i. der Staatsmacht im Einzelnen. Daher ist zuallererst wichtig für sie die
Erfüllung des Vertrags, während im Vertrag vor allem der einzelne Wille, einen
gemeinsamen Willen zu bilden, wesentlich ist. Durch die einzelnen Willen entsteht zwar
der Vertrag, dessen Wesen aber für die richterliche Gewalt ihr gemeinsamer Wille selbst
ist. Im Vertrag gilt zwar nur der einzelne Wille selbst zum Leisten, der also noch nicht
geleistet hat, “von der Unmittelbarkeit des Leistens” getrennt ist, aber für die
richterliche Gewalt ist dies Dasein des einzelnen, kontraktlich besonderen Willens
lediglich sein “unmittelbares”, mit dem Recht noch “nicht vermitteltes” Dasein. Dies
Dasein des einzelnen Willens im Vertrag ist Sollen, das als Sollen selbst anerkannt ist.
“Die Zweydeutigkeit des Sollens”, dass geleistet werden soll, also zuerst noch nicht
geleistet, jedoch als solches anerkannt ist, verschwindet aber vor der richterlichen
Gewalt. Denn während jeder Einzelne im Vertrag sich nur “seines gemeynten Rechts”
auf ein Eigentum “entaüssert” hat, also die reale Überlieferung des Eigentums nach dem
entäußerten Recht als ein Sollen, ein Gebot gilt, ist dieses Sollen, das nicht mehr als ein
unvermitteltes Dasein ist, für die richterliche Gewalt nicht mehr gültig. Sondern gültig
ist für sie vielmehr eben das mit dem Recht vermittelte Dasein des einzelnen Willens,
das Vorhandensein des gemeinsamen Willens selbst. Dies ist nichts anderes als das
Gesetz, weil das Gesetz das Gesetztsein des Rechts an sich im objektiven Dasein ist,
nämlich das objektive Dasein, in dem das Recht an sich realisiert und gesetzt, oder das
mit dem Recht an sich vermittelt und realisiert ist. Daher ist das, was im Vertrag das
Sollen bzw. Gebot ist, für die richterliche Gewalt eben das “Gesetz, das Gewalt hat”,
das wirkende Gesetz, um zu werden, was es ist (J III.246). Die Gewalt des Gesetzes ist
zwar für den Einzelnen eine Strafe, aber für die richterliche Gewalt schlechthin nur die
Verwirklichung des Gesetzes selbst. Diese ist nichts anderes als die Verwirklichung der
Bedeutung des gemeinsamen Willens im Vertrag. Ich bin im Vertrag vom Anderen
anerkannt, aber nicht nur als der einzelne Wille, sondern zugleich als der gemeinsame
Wille selbst, als die reine Person, meinen Willen als den gemeinsamen zu setzen, weil
dies Setzen bekanntlich unmöglich ist, außer dass ich selber zuerst der gemeinsame
301
Wille bin. Die Bedeutung des gemeinsamen Willens im Vertrag ist eben meine innere
“reine Person”, die nach dem allgemeinen Willen als anerkannt da sein können muss.
Diese reine Person ist eben das Gesetz, und deren Verwirklichung eben der Gegenstand
der richterlichen Gewalt. Die Bedeutung des gemeinsamen Willens in allen Verträgen,
ferner in allem gesellschaftlichen Verkehr ist die reine Person, deren Dasein als
Anerkanntsein der allgemeine Wille ist. Das Gesetz erzwingt die Verwirklichung der
reinen Person eben nach dem allgemeinen Willen, nach dem Recht der Person. Der
Zwang des Gesetzes ist also nicht bloß Zwang gegen das Dasein des Einzelnen, sondern
wesentlich gegen seine reine Person als Grund seines Daseins, oder gegen sein Dasein,
insofern dies mit seiner reinen Person nicht vermittelt ist.101 Der Zwang des Gesetzes
ist darüber hinaus nicht Zwang zur Verletzung, sondern zur Verwirklichung meiner
Person, und sogar Zwang “meiner gegen mich selbst”. Er enthält nicht meine
Unterwerfung, sondern nur “das Verschwinden” “meiner als Besondern, gegen mich
selbst als Allgemeinen”, “als Macht des Gesetzes, das ich anerkenne”. Er ist die
Erhaltung meiner Person “nicht nur in meinem Gedanken”, “sondern auch in meinem
Seyn”. Aber damit der negative Zwang auf mich von mir als die positive
Verwirklichung meiner selbst aufgenommen und gewusst wird, ist auch “die Bildung”
nötig, mich im Allgemeinen des Gesetzes anzuschauen (J III.247). Diese Bildung wird
einerseits durch die Erziehung der Familie und der Gesellschaft durchgeführt,
andererseits auch vom Einzelnen selbst eben in der Rechtspflege und dem Prozessgang.
Die Notwendigkeit der Rechtspflege und des Prozesses entspringt aus der trotz des
Zwangs des Gesetzes entstehenden Zufälligkeit des zu leistenden Inhalts. Der Zwang
des Gesetzes überwindet nur die Zufälligkeit des Leistens selbst durch den Einzelnen.
Doch die Zufälligkeit des zu leistenden Inhalts lässt sich Hegel zufolge in drei
Hinsichten nicht völlig überwinden. Der Inhalt kann und muss zunächst nicht durch das
abstrakte Gesetz selbst, sondern dessen vereinzeltes Gesetz konkret bestimmt werden.
Das “Allgemeine” des Gesetzes ist “hier unmittelbar aufs Besondere” des
Leistungsinhalts so angewendet, “daß das letztere bestehen soll”. Daraus entsteht aber
“die schlechte Unendlichkeit” unausweichlich. Denn wenn die einzelnen Gesetze immer
bestimmter werden, werden sie immer mannigfaltiger, demnach muss ein konkreter Fall
“um so mehr zerlegt” werden. Umgekehrt, wenn sie möglichst vereinfacht werden,
damit sich ein Fall auf nicht zu viele Gesetze bezieht, werden sie eher unbestimmter.
Insofern die analytische Abstraktion der einzelnen Arbeit und die Vermannigfaltigung
101
Z. B. in der Todesstrafe als dem höchsten Zwang des Gesetzes wird also alle Zweiheit des
gesellschaftlichen Daseins und der reinen Person als dessen Bedeutung aufgehoben. Die Todesstrafe ist
die völlige Durchsetzung der reinen Person in ihrem Dasein, die insofern im Tod endet, als die Person des
Einzelnen in ihrer Reinheit das Nichtdasein der Person selbst will.
302
des Vertrags unvermeidlich sind, bleibt dieses Dilemma bestehen. Außerdem erschwert
die vergrößerte Mannigfaltigkeit der Gesetze das Wissen der Bürger davon. Und zwar
ist dies noch schwieriger für die Richter, die alle Sachen der Bürger behandeln müssen.
Letztlich ist auch die Fähigkeit der Richter, Gesetze immer angemessen anzuwenden,
der Zufälligkeit ausgesetzt. Aus diesen Gründen ist die Einführung der Rechtspflege
und des Prozessganges notwendig. Diese sind “die Ausführung des Rechts” selbst, in
der jeder nötigenfalls sich im Allgemeinen des Gesetzes, in seinem Recht anschauen
und verteidigen kann. Die Rechtspflege ist der “Schutz der Ausführung des Rechts”
beider Parteien, und der Prozessgang die unmittelbare Ausführung des Rechts durch
beide Parteien. Insbesondere der Prozessgang ist in einem gewissen Punkt “noch
wesentlicher fast als die Gesetze selbst”, dass der Einzelne selbst in mannigfaltigen
Gesetzen ein seinem Recht Angemessenes herausfindet und vertritt. Der Prozessgang,
der zuerst hier im bürgerlichen Sinne erwähnt ist, muss aber nicht nach der Strenge des
Gesetzes, sondern nach dem Willen des Einzelnen zum Prozess in Angriff genommen
werden. Denn sonst würden eine Verlängerung der Prozessfrist und eine Vergrößerung
der Kosten verursacht, welcher der Einzelne nicht gewachsen ist, und zuletzt würde der
Prozess selbst unmöglich. Deshalb bringt Hegel auch die Beförderung der spontanen
“Vergleiche” und die Einrichtung der “Vergleichscommissionen” in Vorschlag (J
III.248) und hält auch eine Strafe für Prozesssüchtige und Rabulisten für nötig.
2.4.3.2. Strafrecht
Das Gesetz, das nach dem Recht jedes Einzelnen wirkt, ist nun nichts anderes als die
Macht des Rechts, das “als rein allgemeiner Willen” jedes Einzelnen wirklich da ist.
Das Gesetz ist die “absolute Macht selbst” über das Leben jedes Einzelnen, durch die
jeder zwar als ein besonderes Leben verschwindet, aber als ein Allgemeines, als ein
Mitglied des allgemeinen Lebens beständig besteht. Jeder ist daher das sittliche Subjekt,
das selber sich selbst mit dem Allgemeinen des Gesetzes vermittelt. Das Leben eines
jeden selbst steht nun unter der Gewalt des Gesetzes. Diese Gewalt des Gesetzes in
Hinsicht seiner absoluten Macht über das Leben selbst ist eben “die peinliche
Rechtspflege”. Die peinliche Rechtspflege ist die Ausführung des Rechts als der Macht
über alles, was das Bestehen selbst des Einzelnen bedingt und charakterisiert. Das
Gesetz hier ist “das reine Leben”, das das Leben jedes Einzelnen ermöglicht, gründet
und mit seiner Gewalt schützt. Es ist also “Meister” “über das Böse”, das das Leben
verletzt und verunmöglicht. Es ist in seiner Wirkung aber auch “die Befreyung vom
Verbrechen und die Begnadigung” für ein neues allgemeines Leben des Verbrechers.
303
Das wirkende Gesetz in der peinlichen Rechtspflege ist das Strafrecht, und das Subjekt,
das sich mit dem Gesetz vermitteln muss, der Verbrecher.
Der Verbrecher ist freilich nicht sittlich, aber nicht unrechtlich. Er ist eher ein solches
Subjekt, das seine Vermittlung mit dem Gesetz durch seine völlige Aufhebung
durchführt. Hier kommt Hegels große Einsicht in den objektiven Grund des Verbrechens
ans Licht. Wenn der Zwang des Rechts, wie oben gesehen, die innere Quelle des
Verbrechens ist, ist das Gesetz als die nach dem Recht wirkende Gewalt selbst bereits
auch die objektive Quelle desselben. D. h. das Gesetz selbst kann nicht nur der Grund
für die Sittlichkeit, sondern auch für die Unsittlichkeit sein. Daher kann die
Gesetzlichkeit bzw. Rechtlichkeit oder, Kantisch gesagt, die Selbstgesetzgebung nach
dem Gesetz des freien Willens kein alleiniger Grund für die Sittlichkeit sein. Hierfür ist
also noch das Moment der wahren Wirklichkeit der Sittlichkeit notwendig. Denn das
Verbrechen kommt Hegel zufolge eben von der rechtlichen Person her. Jeder Einzelne
ist die “rechtliche Person”, d. i. die Person, die eigenes Recht nach dem Wesen des
Rechts hat. Nach dem Recht besteht der Einzelne als sein besonderer Wille, einen
Vertrag über die Entäußerung seines gemeinten Rechts auf sein Dasein zu schließen.
Insofern die richterliche Gewalt als die Bewegung dieser Entäußerung das Recht der
Person schützt und realisiert, wird auch sein besonderer Wille als das Recht befolgend
respektiert. Des Weiteren, indem der Einzelne “sein Meynen von Recht”, sein eigenes
Recht “an das Allgemeine” des Gesetzes, an das Recht jeder Person aufgegeben und
diesem Folge geleistet hat, gilt er auch “als reine Person”. Jeder Einzelne in der
Gesellschaft befolgt auf irgendeine Weise das Allgemeine des Gesetzes und ist daher
zugleich als eine konkrete Person mit den besonderen Willen und als die reine Person
mit dem reinen Willen, dem Allgemeinen des Gesetzes zu folgen. Aber eben in diesem
Moment seines Seins kann er auch das Böse werden, wenn er lediglich “als reine Person,
als reiner Wille sich vom allgemeinen” des Gesetzes abtrennt (J III.249). Er ist nicht
mehr die reine Person, das allgemeine Dasein aller freien Willen als Person zu wollen,
sondern selbst die allgemeine Person werden zu wollen, nicht mehr der reine Wille, das
Allgemeine des Gesetzes, das Recht zu befolgen, sondern selbst dieses Allgemeine zu
werden. Im bürgerlichen Streit tritt er nicht als der reine Wille, sondern als der
besondere Wille nach seinem gemeinten Recht gegen das Allgemeine des Gesetzes auf,
sich als diesem Allgemeinen angemessen zu behaupten. Das Allgemeine des Gesetzes,
das Recht selbst, umgeht hier seinen besonderen Willen. Aber die wirkende Gewalt des
Gesetzes besteht im Grunde genommen in keinem bloß äußeren Zwang, sondern eben
im Selbstanschauen oder Selbstwissen des Einzelnen im Allgemeinen des Gesetzes.
Jeder Einzelne in der Gesellschaft unter der Gewalt des Gesetzes ist dieses Wissens
304
fähig, trotz des Gradunterschiedes. Er kann daher auch ein solcher reiner Wille sein,
sich als das Allgemeine des Gesetzes zu wissen und zu benehmen. Die unmittelbare
Äußerung dieses reinen Willens des Einzelnen ist eben das Verbrechen. Das Verbrechen
entspringt einerseits aus dem sich als allgemein wissenden, reinen Willen des Einzelnen,
andererseits aus dem nur rein als Allgemeines bestehenden Gesetz. Eben wegen der
gleichen Reinheit des Willens des Einzelnen und des Allgemeinen des Gesetzes, des
Rechts selbst lassen sich beide gleichsetzen. In der Reinheit ist das Gesetz das Gute und
zugleich das Böse. Eben dies ist der Einzelne in der Reinheit seines Willens. Aber die
unmittelbare Äußerung dieser Reinheit ohne Vermittlung mit der Einzelheit ist das
begangene Böse, d. i. das Verbrechen.
Die Entstehung des Verbrechens lässt sich nun folgendermaßen resümieren. Ein
Einzelner gibt sein gemeintes Recht auf sein besonderes Leben auf, sei es wegen seines
wertlosen Lebens, sei es nur aus seinem reinen Willen. Durch die ideale Aufhebung
seiner Besonderheit stellt er sich als ein reines Anerkanntsein der Person dar. Diese
Selbstdarstellung impliziert, dass er sich bereits gemäß dem Gesetz denkt und
rechtfertigt. Denn das Gesetz ist eben auch unter der Bedingung der Aufhebung der
Besonderheit das Gesetztsein des Rechts aller, als die anerkannte Person zu sein. Das
Gesetz ist als Gewähr für das Anerkanntsein der Person das reine Anerkanntsein
derselben und als Gewähr für das Dasein der anerkannten Person das reine Sein
derselben. Der Einzelne hat daher ebenfalls diese zwei Seiten des Gesetzes. Zuerst als
ein reines Anerkanntsein ist er, wie durch das Gesetz, “geschützt gegen Gewalt” des
fremden Willens “über sein Eigenthum und Thun, und sein Leben überhaupt”. Oder
nach seinem gesetzlichen Denken sind seine Person und deren Dasein unverletzbar.
Dann ist er ein reines Sein, dessen besonderes Leben aufgegeben ist, oder ein reiner
Wille, durch Verzicht auf sich allein allgemein zu sein. Er ist “nicht mehr ein Meynen
von seinem Rechte” auf sein besonderes Leben, sondern “die Abstraction des reinen
Seyns” davon. Er ist gerade “ein lebloses”, insofern ein Leben nur durch die gesetzliche
Realisierung der gemeinten reinen Rechte geführt wird. Der Einzelne, der sein
besonderes Leben mit dem Allgemeinen des Gesetzes nicht wiederum vermittelt, sieht
sein gesetzliches Allgemeines nur im Gegensatz zu seinem Leben, und ferner sieht er
dies Allgemeine, worin sein Leben aufgegeben und er also nur die “reine Abstraction”
ist, als sein Wesen an, das von ihm selbst anerkannt ist. Wie Richter über das gemeinte
Recht urteilen, so verurteilt er sich “über sein reines Seyn” zum Verzicht auf dessen
Leben. Und wie das Allgemeine des Gesetzes in der Wirkung “die absolute Macht über
das Leben” ist, ist sein Allgemeines für ihn auch eine solche Macht. Eben in seinem
Allgemeinen, seinem anerkannten Wesen weiß er nun “sich positiv”. Er tritt daher als
305
die “absolute Macht für sich” auf oder ist “für sich absoluter unendlicher Willen”,
dessen Leben aufgehoben, also gleichgültig ist. Als der einzig absolute Wille mit der
absoluten Macht hebt er einen anderen absoluten Willen zum Leben auf. Außerdem
kann er mit der Macht das Leben selbst des Anderen realiter aufheben, weil dies gemäß
seinem reinen abstrakten Sein nichts als ein Sein ist, das einfach durch ein anderes Sein,
ein physisches oder listiges Mittel, “quantitativ” “bestimmbar” und beschränkbar ist.
Diese quantitative Behandlung des Lebens selbst ist eben das Verbrechen, das als
Betrug, Diebstahl, Raub, und Mord auftritt. Es ist nun das Böse, das in die Tat
umgesetzt ist. Der Verbrecher ist, kurz gesagt, Vollstrecker seines verabsolutierten
reinen Willens, mit der Gewalt oder List gemäß dem reinen Sein seines völlig
aufgegebenen und aufgehobenen Lebens auch das Leben des Anderen unmittelbar
quantitativ zu beschränken.
Der Einzelne begeht nur als die rechtliche Person Verbrechen, schlechterdings insofern
er in der Gesellschaft da ist. Das Gesetz ist für ihn auch als sein gesetzliches Denken,
als ein reines Anerkanntsein seiner Person. Aber das Gesetz als das wirkende ist nun
selbst auch “die wirkliche Straffe”. Das Allgemeine des Verbrechers, das nicht mit
seinem Leben vermittelt, also nur als reines der Grund für die reale Aufhebung des
anderen Lebens war, wird nun als das Allgemeine des Gesetzes durch das wirkende
Gesetz mit seinem Leben selbst vermittelt. Das wirkende Gesetz ist die Realisierung
seines Allgemeinen in seinem Leben, aber weil dies Allgemeine nicht realisierbar ist,
endgültig gleichfalls die reale Aufhebung seines Lebens selbst. Das Gesetz als die Strafe
ist daher “die Umkehrung” seines Begriffs, dass er nach seinem Allgemeinen, nach
seinem reinen Sein das andere Leben realiter aufheben kann und aufhebt. Das andere
Leben, das er realiter aufgehoben hat, ist nichts anderes als sein Leben, das durch
dessen ideale Aufhebung von ihm als unverletzbar gedacht wurde. Das, was er realiter
aufgehoben hat, ist de facto das besondere Leben überhaupt, das als das Leben selbst
gleich ist und erst durch die Vermittlung mit dem Allgemeinen des Gesetzes besteht. Er
hat eben “sich selbst umgebracht”. Das Allgemeine, das sich nicht mit dem Leben
vermitteln lässt, sondern dies eher vernichtet, ist an sich das Böse. Als dies Allgemeine
des Verbrechers realisiert und befriedigt das Gesetz seinen Begriff in ihm selbst. Das
wirkende Gesetz hier ist die “Straffe als Straffe”, “nicht als Rache” des anderen
Einzelnen, “als Böses” überhaupt “gegen das Böse” des Verbrechers. Das Gesetz führt
eben das “reine Recht” des Verbrechers auf das reine Sein oder das Leben überhaupt in
ihm selbst aus.
Das reine Recht des Verbrechers kann von ihm bei Gelegenheit in mannigfaltigen
Gestalten der Gewalt geäußert werden. Das Gesetz ist als das reine Recht aller, das es
306
anwenden und realisieren muss, ebenso auch die Abstraktion, deren Realisierung der
Zufälligkeit ausgesetzt ist. Aber nach der Eigenschaft der Gewalt muss das Gesetz
Hegel zufolge nach vier Seiten berücksichtigt und vereinzelt werden. Vor allem muss es
“den Willen als solchen” jedes Einzelnen beschützen (J III.250). Repräsentativ für die
Gewalt gegen den Willen selbst ist zuerst “die Betrügerey” im Vertrag zwischen
Bürgern. Aber es ist de facto schwer zu bestimmen, wo im einzelnen Vertrag die Gewalt
angefangen hat, weil der Zweck des Vertrags währenddessen vom Kontrahenten
geändert oder verborgen werden kann. Und sogar der Kontrahent kann zum Glauben an
die Erreichung seines realiter zerstörten Zweckes verleitet werden. Gegen die große
Läsion, die trotz Abwesenheit der eigentlichen und unmittelbaren Gewalt im Vertrag
entstanden ist, muss das Gesetz “den eigentlichen Zweck” des Geschädigten oder “die
innre Bedeutung” des Vertrags in Schutz nehmen. D. h. in diesem Fall muss der
besondere Wille des Einzelnen geschützt werden, gegen den gemeinsamen Willen, der
im Vertrag zwar wesentlich erklärt, aber an einer Stelle betrügerisch manipuliert ist.
Dann kann die Gewalt unmittelbar geschehen, als “Diebstahl”, der den Willen des
Einzelnen in einem bestimmten Dasein seines Eigentums ohne sein Wissen verletzt,
oder als “Raub”, der alle beide, d. i. seinen Willen und sein Wissen zugleich, verletzt.
Weil die Gewalt hier nicht den absoluten Willen zum Leben, sondern den Willen zu
einem bestimmten Ding für das Dasein des Lebens verletzt, muss das Gesetz gleichfalls
darauf nicht absolut, sondern relativ, nämlich als Freiheitsstrafe oder Leibesstrafe
rückwirken. Aber für die Gewalt der Art, die “die öffentliche Sicherheit” “zu sehr
compromittirt”, muss auch “die Todesstraffe” möglich sein, weil Diebstahl oder Raub
de facto einen solchen Willen teilweise verletzt, der wesentlich nur als ein reiner Wille
zum Leben ein einzelner Wille zu einem bestimmten Ding ist und daher durch die
äußerste Gewalt der Art eben als der reine Wille verletzt wird. Aber es ist auch hier
schwer, den Grad des Verbrechens und dessen angemessene Strafe zu bestimmen.
Drittens ist das Verbrechen als das Böse selbst eben der eigentliche “Mord” (J III.251).
Aber nicht die zufällige, wie im Unfall, sondern nur die absichtliche Tötung ist strafbar.
Jedoch ist auch hier schwer, die innere Absicht zu vernehmen, da sie sich aus den
äußeren Umständen nur unvollständig folgern lässt. Deshalb hat das Gesetz das
“Geständniß des Verbrechers” zur Bedingung seiner Strafe.102 Aber das Gesetz muss
auch darauf achten, dass der “Eigensinn” selbst des Verbrechers, der ein Geständnis
abgelegt hat, dennoch vom Gesetz nicht zwanghaft überwunden wird. Auch der
102
Die Erforderung des Geständnisses des Verbrechers ist nach den Heidelberger Vorlesungen “auch eine
Ehre für die Vernünftigkeit”, in dem Sinne, dass “der Verbrecher selbst als Richter gegen sich den
Spruch” ausspricht. VNS, § 110. Siehe auch GPR, § 227 Zusatz.
307
Verbrecher, wie das Gesetz, hat bekanntlich gemäß seinem gesetzlichen Denken Gewalt
angetan. Das Gesetz muss nicht zuletzt nur die reale, also nichtige Realisierung seines
Willens selbst sein.
Viertens und schließlich muss das Gesetz sich selbst in der an sich seienden Nichtigkeit
des Bösen erkennen. “Das Böse ist das an sich nichtige” wegen des reinen Wissens von
sich selbst (J III.252). Das Verbrechen ist die gewaltsame Äußerung des sich selbst nur
rein wissenden, absoluten Willens oder des Bösen als des Willens. Der absolute Wille
als dies reine Selbstwissen ist dem Gesetz nicht fremd, weil das Gesetz eben das
Gesetztsein des absolut freien Willens jedes sich selbst rein als Person wissenden
Einzelnen heißt. Rein Absolutes, das weder mit dem Einzelnen vermittelt, noch im
Einzelnen realisiert ist, ist lediglich abstrakt Allgemeines. Dessen unmittelbare
Anwendung auf das Einzelne ohne Rezeptivität vom Einzelnen her ist nichts anderes als
die reine Gewalt oder Vernichtung dem Sein des Einzelnen gegenüber. Das Gesetz ist an
sich oder als vor und zu der Vermittlung mit dem konkreten Leben des Einzelnen
bestehend selbst ebenfalls nichtig. Und “das daseyende” Gesetz oder das Böse hat “als
solches keine Wahrheit” für das konkrete Leben oder die Tat (J III.249). Erst wenn das
Gesetz als das reine Leben im konkreten Leben des Einzelnen realisiert wird, ist es
wahrhaft Allgemeines. Es ist auf diesem Standpunkt die Wahrheit des vorhandenen
Lebens. Aber die Ausführung des Allgemeinen, das nicht im Einzelnen realisierbar und
konkretisierbar ist, ist schlechterdings nichts anderes als der Erweis des an sich
Nichtigen als des realen Nichts. Das Gesetz ist auf dieser Seite die Selbstrealisierung
des daseienden Bösen in ihm selbst als das Böse im Allgemeinen, daher die
Selbstvernichtung desselben als das realiter Nichtige. Dies ist eben der Grund für die
Strafe des Gesetzes, der in der Identität des Gesetzes und des Bösen auf dem Standpunkt
der an sich seienden Nichtigkeit liegt. Die Strafe als diese Selbstrealisierung des
daseienden Bösen ist des Weiteren die Selbstopferung des Gesetzes als des reinen
Lebens gegenüber dem Bösen, also die Versöhnung des Lebens in der Reinheit mit dem
Leben.
Das Gesetz ist nun vom Jenaer Hegel eben als das Prinzip der Versöhnung selbst
begriffen. Dagegen war das Gesetz in der Frankfurter Zeit fast gleich mit dem Gesetz
der objektiven Natur, das vom Leben des Subjekts abgetrennt ist. Deshalb war die Strafe
nach dem Gesetz der Kausalität nur die Rückwirkung der Verletzung des Lebens als
objektiven auf das Leben des Verletzers. Denn die geschehene Tat als schon objektiviert
lässt sich nach dem Geist des Christentums und sein Schicksal gar nicht ungeschehen
machen, sie muss daher als objektives selbst der Kausalität folgen. Die Tat war also “die
Strafe in sich selbst” (N 392). Das Gesetz als die Strafe hatte dort letztlich nur die
308
Vernichtung des Lebens des Verletzten und des Verletzers, nicht die Versöhnung
desselben zur Folge. Hierfür musste Hegel ein anderes Prinzip der Versöhnung
ausarbeiten. 103 Aber nun ist das Gesetz als das reine Leben das Gute des es
realisierenden Lebens und zugleich das Böse des Lebens, das es nicht realisieren kann.
Das Gesetz als die Strafe kann und muss nun das daseiende Böse “als sich selbst
erkennen”, ihn als allgemeinen “verzeihen” oder “als That”, als dessen
Selbstrealisierung “ungeschehen machen”. Denn die “einzelne Tat” ist nichts als “ein
Tropfen”, der im Allgemeinen des reinen Lebens “absorbirt ist”. Das selbstrealisierte
Nichts der Tat ist schlechterdings nur nichts oder “Ungeschehenes”, und das Gesetz
besteht als das reine Leben aller weiter, die es als eigenes Leben realisieren (J III.252).
Das Leben gemäß dem Gesetz ist hier in der Reinheit mit dem einzelnen Bösen oder
Tod versöhnt. Es ist in der Allgemeinheit das Leben des Geistes als eins mit dem
Anderssein seiner selbst, und in der Realität das Zusammenleben aller, d. i. das
Gemeinwesen des Volks als die sittliche Entelechie des Geistes.
2.4.3.3. Gesetz im Leben des Volks
Das Gesetz als das reine Sein bzw. Leben jeder anerkannten Person wirkend ist daher
die “Macht über alles Daseyn, Eigenthum und Leben, und eben so den Gedanken, das
Recht und das Gute und Böse” (J III.249). Und die Entelechie der Macht ist eben “das
Gemeinwesen, das lebendige Volk” (J III.249-250). Das wirkende Gesetz ist nämlich
die Wirklichkeit des Geistes, dass das Leben des Einzelnen nur durch das Leben aller
oder ein Leben nur im Zusammenhang mit einem anderen möglich ist. Der Einzelne ist,
nach einer späteren rechtsphilosophischen Vorlesung, immer “Sohn seines Volks” (VNS
§ 129). Und das Leben des Volks ist eben die Wirklichkeit des wirkenden Gesetzes.
Dieses wirkliche Gesetz als das Leben des Volks ist daher selbst ein “vollkommenes,
lebendiges selbstbewußtes Leben” des Volks “als der allgemeine Willen” (J III.250).
Jedes selbstbewusste Mitglied, das sein einzelnes Leben als auf dem Gesetz des
allgemeinen Willens gegründet führt, erfasst diesen allgemeinen Willen in aller
gemeinschaftlichen Wirklichkeit und weiß ihn als die darin tätige, allgemeine Macht
aller lebendigen Mitglieder, aller ihrer begrifflichen Bestimmungen und aller ihrer
geschaffenen Wesen. Das Gesetz ist als ein wirkliches Leben also auch dies
Selbstwissen des allgemeinen Willens durch die Mitglieder der Volksgemeinschaft.
Das Gesetz als die absolute Macht wirkt des Näheren in den drei Momenten des Lebens
103
Siehe S. 61-65.
309
des Volks. Es ist zuerst als die wirkliche Basis für das Zusammenleben “der allgemeine
Reichthum” und dessen “allgemeine Nothwendigkeit”, die als solche objektiv gewusst
wird (J III.251-252). D. h. nach der allgemeinen Notwendigkeit des allgemeinen
Reichtums erhalten alle durch ihre Tätigkeit ihre Existenz. Aber die allgemeine
Notwendigkeit wird ab und zu auch vom Einzelnen mit Wissen für den Reichtum
überhaupt als die einzelne Notwendigkeit seines Erwerbes erkannt, also ihm als “diesem
Bösen geopfert”, insofern der allgemeine Reichtum dadurch in ihm allein konzentriert
wird. Diese Notwendigkeit der Ungleichheit des Reichtums ist aber wiederum nach
ihrer Allgemeinheit zugleich die Notwendigkeit eines Abgabensystems, das allseitige
Instabilität des Bestehens wegen der absoluten Armut mildert. Die Abgaben sind keine
karitative, sondern notwendige Aufopferung der Reichen, denen der allgemeine
Reichtum als das Gesetz des Zusammenlebens bereits geopfert ist – ebenso wie der
Verbrecher, dem das Gesetz des reinen Lebens schon durch seine Tat geopfert ist, ohne
Selbstopferung, d. i. ohne Selbstrealisierung, als das Böse nicht als eine anerkannte
Person in die Gesellschaft zurückkehren kann. Die Anhäufung des Reichtums ist freilich
nicht Verbrechen, aber ein gesellschaftlich erscheinendes, ontologisches Böses aus der
Endlichkeit des der Allgemeinheit inadäquaten Einzelnen.104 Und wie der Verbrecher,
der sich der Strafe des Gesetzes widersetzt, der unmittelbaren Gewalt des Anderen
ausgesetzt ist, so stehen Reiche, für Hegel insbesondere “Aristokraten, die keine
Abgaben bezahlen”, “in der grösten Gefahr mit Gewalt” ihren Reichtum zu verlieren.
Denn das Gesetz ist wesentlich das Recht jedes Einzelnen auf das Dasein als Person,
das als Aufgehobensein vom Anderen anerkannt wird. Also würde das Dasein meiner
Person, das das Dasein der anderen Person verunmöglicht, ohne meine Selbstaufhebung
zum Naturzustand nach dem natürlichen Gesetz, d. i. nach dem Naturrecht des freien
Menschen, führen. Nach dem Gesetz, das das Dasein jeder durch die Selbstaufhebung
anerkannten Person garantiert, müssen die Abgaben daher weder als eine feudalistische
Erkaufung des gesicherten Laisser-faire noch als eine nur vom guten Gemüt abhängige
wohltätige, sondern als die notwendige Aufopferung zum Zusammenleben eingetrieben
werden. Sonst könnte die Regierung für das Gewährenlassen des Einzelnen den
eingetriebenen Reichtum nach Belieben verschleudern.
104
Dieses “Böse als Nothwendigkeit der endlichen Natur, Eins mit dem Begriff derselben”, aus dem erst
auch das moralische Böse, das Verbrechen entspringt, setzt Hegel in Glauben und Wissen dem
Naturbegriff als dem im absoluten Gegensatz ununterbrochen zu vernichtenden Bösen bei Kant und
Fichte entgegen. Für die Notwendigkeit der endlichen Natur muss “eine ewige, d. h. nicht in den
unendlichen Progreß hinaus verschobene und nie zu realisirende, sondern wahrhaft reale und vorhandene
Erlösung” dargestellt und “der Natur, insofern sie als endliche und einzelne betrachtet wird, eine
mögliche Versöhnung” dargeboten werden, deren Möglichkeit auch in dieser sittlichen Konstruktion der
Welt besteht. JKS, S. 407.
310
Diese Macht des Gesetzes über alles Sittliche ist nun die “StaatsMacht” (J III.252). Die
Staatsmacht ist als ein Pleonasmus eben die daseiende Macht des Rechts als der Staat.
Diese Staatsmacht wird als Gewalt der Regierung in die Wirklichkeit umgesetzt. Aber
die Regierung in ihrer Rechtshandlung ist für die Einzelnen noch abstrakt. Die Gewalt
der Regierung wird nämlich zweitens von ihnen als ihr gedachtes Wesen, aber abstrakt
angeschaut und respektiert, weil sie nun durch die Gewalt des Gesetzes ihr Recht, d. i.
sich ebenfalls als Personen, als Bürger respektiert wissen. Aber die Person als
Rechtsperson ist erst abstrakt allgemein. Also kann ein solches Wissen eines jeden auch
nur eine Meinung sein. Denn die Regierung in ihrer Wirksamkeit ist für ihn noch nicht
verwirklichter Gegenstand oder konkrete Entelechie seiner Person selbst. In der
unmittelbaren Beziehung des Rechts auf die Einzelnen stellt die Regierung dennoch sie
ihrer freien Bildung, also hin und wieder dem Betrug, aus ihrem abstrakten Wissen ihr
Recht zu erlangen, anheim, und hat aufgrund ihrer Achtung lediglich “die Güte”, ihr
“Recht durch Vergleich und Billigkeit zu corrigiren”. Denn die Gewalt der Regierung
als die abstrakt allgemeine für die Einzelnen darf nicht unmittelbar ihr Erkennen, ihr
gemeintes Recht, kontrollieren. Sonst würde die Gewalt Zwang bzw. Gewalttätigkeit
des Staates im Namen des Gesetzes. Die Gewalt der Regierung als das Dasein der
Staatsmacht ist noch diese “abstracte Allgemeinheit”.
Die Gewalt der Regierung ist aber nicht nur für die Einzelnen abstrakt. Sie hat dem
Wesen nach für sich auch die Abstraktheit der Staatsmacht. Die Staatsmacht als “die
Macht über Leben und Tod” erscheint also drittens für die Einzelnen als “das
Furchtbare” eines Einzelnen, der als im Griff der Macht vorgestellt wird. Diese Furcht
ist insofern auch die Ehrfurcht, als die Staatsmacht “Meister” “über das reine Böse” ist.
Die Staatsmacht als die Macht des Gesetzes ist “der göttliche Geist”, der bekanntlich
das Böse, d. i. das absolut Andere, in seinem Gedanken eben “als sich selbst weiß” (J
III.253). Dies besagt nicht, dass die Staatsmacht oder deren Inhaber der unmittelbare
Geist Gottes, wie in der Providenz der königlichen Gewalt, sondern, dass sie als der sich
in der Selbstbeziehung realisierende Geist des Rechts des Menschen zwar absolut ist,
aber nach der Vorstellung des gemeinen Einzelnen als abstrakt und göttlich erscheint.
Sie ist noch das abstrakt Allgemeine, das ununterbrochen in mannigfaltigen Gestalten
konkretisiert und entwickelt werden muss. Ihre konkretisierte Gestalt ist eben die
Regierung und ihre konkrete Wirkung die Gewalt der Regierung.
Der Staat ist immer da als die mit Gewalten ausgestattete Regierung. Die neuzeitliche
Organisation der Regierung durch die geteilten Gewalten ist nun notwendig, aus dem
Grunde, dass die Staatsmacht in ihrer Wirkung nach dem Recht der Person auf
verschiedene Weise auftreten muss. D. h. sie muss, wie vor kurzem gesehen, den
311
allgemeinen Reichtum verwalten, das Recht zum verwirklichten Gegenstand der Person
selbst, nämlich zu positiven Rechten machen und korrigieren und selbst als die
Furchtbarkeit nicht für den Einzelnen, sondern als Persönlichkeit aller vertretenden
Einzelnen verkörpert werden. Diese Momente bilden das Hegelsche Modell der
Gewaltenteilung in exekutive, gesetzgebende und monarchische Gewalt aus. Die mit der
ersten Gewalt ausgestattete Regierung ist hier die Regierung im engen Sinne. Und die
Organisation der Regierung im weitesten Sinne eines Regimes durch ihre Gewalten ist
eben die Konstitution des Staates, die nun zuletzt darzulegen ist.
3. Staat
“Die peinliche Gerichtsbarkeit” der Staatsgewalt zeigt das Maximum derselben als die
absolute Macht über Leben und Tod, die sich ihrerseits aber auf “das Allgemeine” als
“die gewußte und gewollte Substanz” des Einzelnen gründet. Das Allgemeine, von dem
als seiner Substanz der Einzelne völlig abhängt, ist eigentlich durch die
Selbstentäußerung des Einzelnen gewollt und so gewusst. Daher liegt der Grund der
Staatsgewalt im Ganzen eben in dieser Selbstentäußerung und der Verzichtleistung des
Einzelnen auf sein Recht. Sein aufgegebenes Recht ist das gemeinte Recht auf sein
Selbst, dessen Leben und Willen er damit auch “in die Gewalt des Staats gegeben” hat.
Aber der Einzelne ist als das Subjekt dieses Verzichtes andererseits nur “abstractes
allgemeines” und durch den Verzicht bzw. die Entäußerung nur “reiner Wille” oder
“reine Person”. D. h. die Basis der Staatsgewalt ist noch das abstrakte Allgemeine, das
als Gesetz des reinen Willens oder der reinen Person des selbstentäußerten Einzelnen
realisiert, und als solches also nichts anderes als das Böse ist. Das Dasein des Einzelnen
hängt ganz von diesem Gesetz als dem abstrakten Allgemeinen ab, dessen Gewalt eben
die Staatsgewalt ist. Insofern ist der Staat mit dieser Gewalt dem Leben und Dasein des
Einzelnen gegenüber noch abstrakt und äußerlich.
Aber der Einzelne als die Person hat nicht nur sein Dasein, sondern auch sein Sein und
Denken “allein im” und gemäß dem “Gesetze”, insofern das Gesetz sein Dasein als
Person selbst ist. Das Gesetz ist ihm also nicht bloß äußerlich vorgegeben, sondern es
weiß durch jeden Einzelnen sich als solche absolute Gewalt, die als der allgemeine
Reichtum das Recht und Leben eines jeden beschützt. Der Staat mit dieser Gewalt des
Gesetzes oder als der allgemeine Reichtum ist daher “das Aufgehobenseyn” nicht nur
“des vereinzelnten Daseyns” der Person, sondern ferner “des Ansichs im Daseyn” und
“des reinen Ansichseyns” derselben (J III.253). Im Staat ist jede Person als der einzeln
daseiende Eigentümer, Kontrahent u. a., nämlich als die Person an sich dieses
312
daseienden Einzelnen und auch als die von ihm an sich gedachte, reine Person
aufgehoben. Darin realisiert ist das wirkende Gesetz als das Fürsichsein jeder Person
selbst. Jeder weiß das Gesetz nun als die absolute Gewalt. Oder das Gesetz ist der
“Geist” eines jeden, der sich als “die absolute Macht” weiß. Es ist eben der sich so
wissende Geist des Volks. Dieser Geist lebt überall in sich selbst, insofern er die
absolute Macht über Leben und Tod ist. Er muss sich nun über das Selbstwissen als die
absolute Macht hinaus eben “die Anschauung seiner selbst als dieses” Lebens geben. D.
h. er muss nicht lediglich als die absolute Macht über das Leben jedes Volksmitgliedes
bleiben, sondern darüber hinaus sich als das Leben des Volks selbst organisieren und
anschauen können. Der Staat als die absolute Gewalt105 des Gesetzes ist also auch “die
Organisation” des gemeinschaftlichen Lebens durch den “Geist eines Volks, der sich
selbst beabsichtigt” und organisiert.
Dieser Staatsbegriff Hegels deckt sich offensichtlich nicht mit der neuzeitlichen
Auffassung, dergemäß der Staat mechanisch als eine Maschine, naturrechtlich als ein
Zusammenhang von Schutz und Gehorsam oder transzendentalphilosophisch als
Vereinigung einer Menschenmenge unter Rechtsgesetzen definiert wird. Sein
Staatsbegriff ist freilich auch weder im spiritualistischen Sinne von Geist noch im
nationalistischen Sinne von Volk zu verstehen. Er zielt ferner keineswegs auf die
rechtfertigende Anpassung an den vorhandenen Staat,106 sondern auf das Wesen des
105
Beide Begriffe, Macht und Gewalt, die hier in der Hinsicht der Absolutheit zusammen gebraucht sind,
sind aber, wie schon erwähnt, bei Hegel begrifflich unterschieden. Nach der Wissenschaft der Logik ist
die “Gewalt” “die Erscheinung der Macht oder die Macht als äusserliches” (WL I.405). Bienenstock
zufolge erscheine dies Begriffspaar bereits beim Frankfurter Hegel, aber habe von Beginn an keine
politische Bedeutung. Die Macht als ‘potentia’ oder ‘power’ werde eben in der Jenaer Zeit mit dem
Begriff des Geistes als Totalität des Volkslebens verbunden, dadurch als die vernünftige Macht des das
Staatsleben organisierenden Geistes verstanden, demnach werde auch die Gewalt als ‘potestas’ oder ‘the
authority to give orders’ im Unterschied von ihrem anderen Sinn von ‘violentia’ die Gewalt des Staates,
die die Äußerung der Macht des Geistes sei. Diese vernünftige Macht des Geistes, der das Selbsterkennen
durch die Bildung des Volks zur Bedingung seiner Realisierung habe, könne gar nicht als die
Verherrlichung des späteren Machtstaates Preußen angesehen werden. Bienenstock, Myriam: „Macht”
and „Geist” in Hegel’s Jena writings, HS 18, S. 139-172. Siep definiert die Gewalt noch spezifischer als
‘die Durchsetzbarkeit eines Willens’, die also auch in den kontinuierlichen Zusammenhang mit dem
anderen Sinn von violentia oder Verbrechen als dem inneren Moment der Staatsgewalt gebracht werden
könnte. Siep, Ludwig: Hegels Theorie der Gewaltenteilung HR, S. 390-391.
106
Diese Hegel-Kritik, die seit Rudolf Haym immer wieder auflebt, verfehlt zumeist, dass das, was ist,
bei Hegel nur durch dessen Verstehen dem Wesen nach auch erst frei kritisiert und verbessert werden
kann. Daher ist der Staat nicht unbedingt die objektive und reale Absolutheit des absoluten Geistes, wie
Haym dafürhält, sondern lediglich so nach seinem Wesen. Die ‘sittliche Wirklichkeit des Staatslebens’
lässt sich ebenso nicht ‘als das absolut-Absolute’, ‘als das Göttliche’, charakterisieren. HZeit, S. 162-163.
Über diese Polemik um die Rechtsphilosophie nach Hegels Tod, Pöggeler, Otto: Hegels Option für
Österreich, HS 12, S.107-116. Lucas, Hans-Christian: „Wer hat die Verfassung zu machen, das Volk oder
wer anders?“ Zu Hegels Verständnis der konstitutionellen Monarchie zwischen Heidelberg und Berlin
HR, S. 177-195. Theunissen, Michael: Die Verwirklichung der Vernunft, S. 2-28. Jaeschke, Walter:
Urmenschheit und Monarchie, HS 14, S. 73-107. HH, S. 525-529. Bezüglich des Marxismus, siehe
313
Staates. Der Staat nach dem Wesen darf nicht mit einzelnen Staaten verwechselt,
sondern muss als ‘ihre Gattung’ angesehen werden, 107 obzwar er institutionelle
Elemente der damaligen Staaten in sich einschließt. Wie sich das allgemeine Wesen
immer als Einzelnes verwirklicht, so ist Hegels Anliegen eben die einzelne und
institutionelle Realisierung des Staates nach dem Wesen. Der Staat ist wesentlich die
daseiende Macht des Rechts, das sich aus der Notwendigkeit des allgemeinen
Bewusstseins aller ergibt, dass für das Recht jeder Person das gemeinte Recht des
Einzelnen aufgegeben und entäußert werden muss, so wie sich der Einzelne, um
anerkannt zu werden, zuerst aufheben musste. Und insofern die Macht des Rechts
immer in einem Staat wirksam ist, ist das allgemeine Bewusstsein der wirkliche Geist
eines Volks. 108 Der Staat beruht daher dem Wesen nach auf Selbstaufhebung und
Selbstentäußerung aller Einzelnen. Insofern der Staat sein Wesen besorgen und
realisieren muss, ist der Zweck der Staatsgewalt “nur der Einzelne”, der sich aufhebt
und zum Allgemeinen erhebt. Aber das, was dadurch gestaltet ist, ist der Staat erst nur
als die Macht des Rechts über das Leben, nicht als die Erhaltung des Lebens nach dem
Recht. Die Staatsgewalt, die das Leben des Einzelnen beschützt, ist für den Einzelnen
noch abstrakt. Die Selbsterhaltung des Einzelnen kann nicht nur von der Gewalt über
sein Leben abhängen. Seine Selbsterhaltung liegt wesentlich eher in der “Organisation
seines Lebens” selbst. Die Staatsgewalt muss also auch die organische Konstruktion des
Lebens aller Einzelnen nach dem Recht sein. Der Einzelne ist, naturphilosophisch
gesagt, die organische Einheit der natürlichen allgemeinen Elemente durch seine
Lebenskraft. Diese Lebenskraft aber ist vor allem geistig und frei. Der Staat muss auch
sich als die absolute Macht des Rechts von freien Einzelnen ebenso organisch
konstruieren. 109 Diese Konstruktion des Staates ist gerade die Konstitution bzw.
Verfassung, die eigentlich vom physiologischen Kontext in den sozialpolitischen
Bereich übertragen ist. Die Konstitution, die von Hegel hier entfaltet wird, ist die
politische Konstitution des Staates mit den Gewalten als Momenten seiner Macht, die
nichts anderes als der Geist des Volks ist. Der Staat, der mit den Gewalten konstituiert
wird, ist der vereinzelte Staat, der sich nämlich als die Regierung im weitesten Sinne
Mayinger, von Josef: Hegels „Rechtsphilosophie” S. 98-167.
107
Fulda, Hans Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, S. 212.
108
In diesem Sinne ist ‘die Rationalität des Staates für Hegel keine Forderung mehr’, sondern ‘eine
Wirklichkeit’, ‘kein Ideal’ seiner Zeit ‘mehr, sondern ein historisches Ereignis’. Bobbio, Noberto: Hegel
und die Naturrechtslehre MR, S. 95.
109
Das Übergehen des freien Einzelnen, der auch allgemein verfahren kann, nämlich das Ignorieren von
dessen Geistigkeit lässt Hegels Staat, der auch seinerseits den sich nur differenzierenden Einzelnen
züchten und bilden muss, lediglich als einen ‘organischen Nationalismus’ erscheinen, den Durst beim
früheren Hegel einseitig bemerkt. Durst, David C.: Zur politischen Ökonomie der Sittlichkeit bei Hegel
und der ästhetischen Kultur bei Schiller, S. 176-183.
314
organisiert.110
Der Verfassungsbegriff war zu Hegels Zeit ein Inbegriff, der ‘die Gesamtheit der
landrechtlichen und altständischen Sozial- und Herrschaftsordnung so gut’ ‘wie
provinzielles oder lokales Herkommen’ umschließt und zugleich durch die Entstehung
der schriftlich verfestigten Verfassungen allmählich ‘zum Kollektivsingular’ ‘als Begriff
der politischen Gesamtordnung’ gerinnt. Um sich von diesem Begriff abzuheben, wurde
für ‘den Plan einer gewaltenteiligen Verfassung’ der Begriff der „Konstitution“ oder der
Ausdruck einer „konstitutionellen Verfassung“ gebraucht. 111 Eben in diesem Sinne
spricht Hegel hier von der Konstitution, und später in der Rechtsphilosophie auch von
der politischen Verfassung. Aber nicht zuletzt ist zu berüchsichtigen, dass die
Konstitution Hegel zufolge nicht von außen her rechtlich oder politisch gemacht
wird, 112 sondern selbst die rechtliche und politische Organisation des lebendigen
Volksgeistes ist, der bereits als die absolute und allgemeine Macht des Rechts
vorhanden ist. Sein Konstitutionsbegriff enthält in dieser Hinsicht auch den
traditionellen Begriff der Verfassung im Sinne der Gesamtordnung der Gemeinschaft.
Die konstitutionelle Konstruktion eines Staates ist daher nichts als die rechtliche und
politische Reorganisation seines Volksgeistes, die eben alles ist, was über die
Konstitution künstlich hergestellt werden kann. Dagegen ist die Konstitution oder
Verfassung selbst immer schon geschichtlich vorgegeben und gesellschaftlich
110
Die Regierung als ein bestimmtes Regime muss von der Regierung als einer der geteilten Gewalten
unterschieden werden. Jene ist der nach seinem Wesen in der Erscheinung vereinzelte Staat, und diese ist
eine Teilgewalt der Verfassung des vereinzelten Staates. Diese Unterscheidung ist auch in Fuldas
Interpretation der Enzyklopädie beachtet. Fulda, Hans Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, S. 227228. Dagegen wird in Sieps Darlegung der Hegelschen Gewaltenteilung die erstere Regierung als ‘die
Gesamtgewalt des Staates’ mit der letzteren identifiziert. Siep, Ludwig: Hegels Theorie der
Gewaltenteilung HR, S. 392-393.
111
Koselleck, Reinhart: Preußen zwischen Reform und Revolution, S.163-165. Begriffsgeschichten, S.
365-382. Dazu, HStaatb, S. 134-136.
112
Diese These, die erst in Hegels Vorlesungen über Naturrecht und Staatsphilosophie (1817/18) zum
ersten Mal formuliert wird (VNS § 131, 134), ist in der zweiten Jenaer Geistesphilosophie nur
ansatzweise lesbar, der zufolge die Konstitution eben durch das “Constituiren des allgemeinen Willens”,
also des Volksgeistes, gegeben ist (J III.257). Das Subjekt des Volksgeistes ist nach Lucas’ Analyse der
Heidelberger und Berliner Vorlesungen aber nicht unmittelbar das Volk selbst, obwohl dies Träger der
bestimmten Entwicklungsstufe des Weltgeistes sei. Hierfür sei die Bildung des Volks auch nötig, dessen
Geist zuerst ‘durch (philosophische) Intellektuelle’ zum Selbstwissen bzw. Selbstbewusstsein gelange.
Auch der Geber der politischen Verfassung, wie der König oder Held in der Geschichte, sei ‘quasi
Geburtshelfer’ der Verfassung, die bereits ‘als Resultat der Fortbildung des Volksgeistes hervorgegangen’
sei. Lucas, Hans-Christian: „Wer hat die Verfassung zu machen, das Volk oder wer anders?“ Zu Hegels
Verständnis der konstitutionellen Monarchie zwischen Heidelberg und Berlin HR, S. 200-220. Siehe auch
Fulda, Hans Friedrich: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, S. 226. HH, S. 393-394. Dagegen kommt Hans
Boldt, der im Voraus die Verfassung voreingenommen nur als ‘schriftlich fixierte Staatsgrundgesetze’
‘seit der amerikanischen und französischen Revolution’ definiert, über jene Hegelsche These zur
Missdeutung, dass Hegel ‘eine konstitutionelle Monarchie ohne „Konstitutionen“’ denke. Boldt, Hans:
Hegel und die konstitutionelle Monarchie, HSB 42, S. 167-209.
315
vorhanden, insofern jeder Einzelne immer lediglich als Mitglied seines Volks auf dessen
Geist angewiesen denkt, spricht und lebt. Das Volk ist die konstitutive Einheit einer
Gesellschaft. Insofern das Volk immer durch ein allgemeines Bewusstsein seiner
Mitglieder, durch seinen Geist besteht, ist die Gesellschaft immer bereits rechtlich und
politisch verfasst. Eben das Vorhandensein dieser sozialpolitischen Verfassung muss vor
allem erkannt und als institutionellpolitische Verfassung konkretisiert werden. Dies ist
einzige Bedeutung davon, eine Konstitution zu machen. Die Bearbeitung einer
Konstitution kann also keineswegs rein juristisch sein, sondern muss vor allem
Rücksicht auf die rechtliche Wirklichkeit und den Geist des Volks nehmen. Eben diese
Konstitution des Staates gemäß dem Geist des Volks bringt Hegel auch hier zur
Entfaltung.
Der Geist des Volks ist nun “die Natur” und die “unmittelbare Substanz” der gebildeten
Individuen, die durch die Selbstaufhebung und Selbstentäußerung das Allgemeine
erreichen können und, insofern sie dies wollen und dafür arbeiten, ferner die
notwendige Bewegung der unmittelbaren Substanz. Der Volksgeist ist ebenso “ihr im
Daseyn persönliches Bewußtseyn, wie ihr reines Bewußtseyn ihr Leben, ihre
Wirklichkeit”, insofern sie durch ihr Bewusstsein “den allgemeinen Willen” wissen, der
nichts anderes als der Volksgeist ist. Ihr Wissen vom allgemeinen Willen ist daher das
Selbstwissen des Volksgeistes. Dies Wissen der Individuen lässt sich Hegel zufolge in
drei Arten unterscheiden, durch die auch dreierlei Bewegung der Gewalten
unterschieden werden kann. Des Weiteren werden auch drei Arten der Konstitution je
nach der Hervorhebung einer der drei Gewalten unterschieden. Daher steht bei Hegel
die Gestaltung der Gewalt gemäß dem Wissen der Individuen vom allgemeinen Willen
im engen Zusammenhang mit der Entwicklung der Konstitution, die ihrerseits auch drei
Gewalten elementarisch in sich einschließt. Die Individuen können nun erstens den
allgemeinen Willen “als ihren besondren” entäußerten Willen, zweitens “als ihr
gegenständliches Wesen”, und schließlich “wie in ihrem Wissen” wissen. Der
allgemeine Wille wird zunächst von ihnen als der durch die allgemeine Entäußerung
ihres eigenen Willens erreichte, als der allgemein einzelne, in diesem Sinne als ihr
besonderer gewusst. Demnach ist die Gewalt auch “als geworden durch die
Entaüsserung” ihres besonderen Selbst angesehen (J III.254). Diese Entäußerung ist
nichts anderes als das Setzen ihres Selbst “auf die Seite der Allgemeinheit”. Die Gewalt
des Allgemeinen ist nämlich die Gewalt des Selbst aller Individuen, das durch ihre
Entäußerung als Allgemeines gesetzt ist, d. h. die Gewalt ihres allgemeinen Selbst, weil
das Allgemeine ohne Selbstheit nur “todter Buchstabe” wäre. Das Leben des
Allgemeinen ist eben “das Selbst der Individuen” (J III.255). Eben die Individuen sind
316
die Gewalt des Allgemeinen. Ohne Wissen hiervon helfen sie alle bei alledem dem
Allgemeinen, insofern dies jedenfalls als ihr entäußerter Wille gewusst wird. Aber ihr
entäußerter Wille, der ohne ihr Selbstwissen darin von ihnen nur für den allgemeinen
gehalten wird, erscheint ihnen zuerst als Träger der äußeren Gewalt, d. i. als Tyrann. Der
allgemeine Wille wird dann von ihnen als ihr gegenständlich bestehendes Wesen
gewusst, d. i. als “ihre reine Macht, die an sich ihr Wesen ist”. Ihn wissen sie nun als die
Macht ihrer selbst, in der ihr Wesen an sich vergegenständlicht ist. Er ist das Allgemeine
der Einzelnen, ihr einzeln Allgemeines. Seine Gewalt besteht daher als das “Wissen der
Einzelnen” von ihrem Selbst in ihm (J III.254). Sie wissen sich als den Ursprung seiner
Gewalt und verhalten sich nicht mehr als Objekt, sondern als Subjekt derselben. Denn
“ihr reines Wissen” von ihrem entäußerten Selbst gehört dem allgemeinen Willen an,
den sie eben als ihr Wesen, als ihre Macht wissen. Ihr gegenständliches Wesen als
vorhanden ist nichts anderes als “ihre Sitte” (J III.255), und seine Macht erscheint als
die “öffentliche Gewalt” (J III.256). Schließlich wissen sie den allgemeinen Willen “wie
in ihrem Wissen”. Das, was sie als besondere Selbste über den allgemeinen Willen
wissen, d. i. der allgemeine Wille in ihrem Wissen, ist gleich eben dem allgemeinen
Willen als ihrem gegenständlichen Wesen. Sie sind nun nicht nur das Subjekt, das die
öffentliche Gewalt als sein gegenständliches Wesen weiß oder dies als jene Gewalt
vergegenständlicht, sondern ferner dasjenige, das den allgemeinen Willen verwaltet und
realisiert, wie es ihn weiß. Denn die Gewalt des allgemeinen Willens besteht nun nicht
nur gegenständlich, sondern auch subjektiv als ein “allgemeines Wissen” (J III.254).
Gemäß diesem Wissen werden die Einzelnen und ihr besonderes Selbst “erhalten” (J
III.255). Und insofern jeder sein Selbst so durch und als das Allgemeine realisiert, ist er
“Regent” (J III.256).
Das dreiseitige Wissen der Einzelnen vom allgemeinen Willen zeichnet so die drei
Existenzweisen der Gewalt und deren politische Subjekte aus. D. h. aus dem Wissen der
Einzelnen werden die Gewalten. Dies Wissen heißt nichts anderes als je eine “Bildung
überhaupt” des Volksgeistes. Deshalb ist das “Werden der Gewalten” zwar unmittelbar
“die Entaüsserung”, aber diese Entäußerung ergibt sich nicht aus einer blinden
Notwendigkeit, wie in der Naturrechtslehre zum Schutz und Rechtszustand der
Einzelnen ihnen äußerlich aufgeladen wird, sondern sie wird vermittels ihres Wissens
von ihnen selbst durchgeführt, weil sie “die Gewalt des Allgemeinen” aus ihnen her “als
Wesen” wissen (J III.254). Die nach diesem Wissen gestaltete Gewalt ist schon in sich
verfasst und charakterisiert damit auch das Subjekt der Gewalt. Die so in sich verfasste
Gewalt des Staates erscheint jeweils als Gewalt von Tyrannei, Demokratie und
Monarchie u. a.; demnach wird auch der Träger der Staatsgewalt bestimmt. Jeder
317
Einzelne entäußert sich daher nicht wegen dieses Trägers, der ihn beschützt. Er
entäußert sich freilich oberflächlich gegen diesen oder jenen Träger der Gewalt, aber
wesentlich eben gegen die Gewalt des Allgemeinen selbst “in der Form seines reinen
Wissens, d. h. seiner als eines Entaüsserten, oder seiner als Allgemeinen”. Diese
allgemeine Form seines Wissens ist allerdings nichts anderes als das Niveau der
Bildung überhaupt seines Volks, die das Werden des gebildeten Einzelnen zum
Allgemeinen und damit das “Werden des Allgemeinen” zeigt.113 Eben aus diesem
Grunde ist auch kein von Hegel erklärtes Staatswesen auf die Rechtfertigung desselben
und seines heroischen Trägers114 zurückzuführen. Von ihm erklärt ist vielmehr der
wesentliche Bestandsgrund eines geschichtlich auftretenden Staatswesens, der eben
darin liegt, wie die Einzelnen ihren allgemeinen Willen wissen und zu einer
Staatsgewalt und deren Träger ausbilden. Hier lässt sich nichts sagen über die
Rechtfertigung dessen, was ist, also auch z. B. über seine angebliche Verteidigung der
späteren Restauration Preußens. Sondern eher handelt es sich um das vernünftige und
wesentliche Verstehen dessen, was gewesen ist und nun ist. 115 Jede vorhandene
Staatsgewalt gründet demnach wesentlich auf der Selbstentäußerung nach dem
allgemeinen Wissen jedes Einzelnen, der “sich selbst Zweck” ist. Dieser Selbstzweck
war bereits causa efficiens für das Interesse und die Handlung jedes Einzelnen. Aber
jeder handelt nicht nur nach seinem einzelnen, sondern auch nach dem allgemeinen
Wissen vom Selbst aller, d. i. dass das Selbst nur als das Allgemeine aller erreicht
werden kann, weil der Wille jedes Einzelnen, er selbst zu sein, allgemein ist. Hierfür ist
die Selbstentäußerung notwendig. In der Gewalt als Resultat dieser Entäußerung ist
daher das Selbst jedes Einzelnen nicht verwischt, sondern als das Allgemeine realisiert.
Dies ist das Wesen der Staatsgewalt.
113
Eben deshalb ist in Hegels ‘Begriff des sittlichen’ Staates ‘der des Kulturstaates analytisch enthalten’,
wie Jaeschke den Begriff des Berliner Hegel im Vergleich zur Politik Preußens auslegt. Jaeschke, Walter:
Politik, Kultur und Philosophie in Preußen, HSB 22, S. 29-48.
114
Siehe S. 171-172. Über die Beschreibung des Sokrates als des Hegelschen Helden, der nicht Träger
einer neuen Sittlichkeit, sondern zum Märtyrer dafür wird, siehe Lamb, David: Hegel on civil
disobedience, HS 21, S. 151-166.
115
Das Verstehen dieser Art lässt sich ganz und gar nicht auf die ‘Affirmation’ der vorhandenen
Verhältnisse reduzieren, insofern das Vorhandene immer in der Diskrepanz zwischen seiner Erscheinung
und seinem Wesen stehen kann. Es muss nicht deshalb so verstanden werden, um ‘revolutionär denken zu
können, ohne politisch handeln zu müssen’ und um dadurch ‘die gegenwärtige Gesellschaft gegen jede
wirkliche politische Veränderung zu immunisieren’, wie Kirn Hegels Sozialphilosophie einschätzt.
Vielmehr ist sehr schlagend, dass die Revolution mit dem vernünftigen Verstehen dessen, was bereits
objektiv revolutionär geworden und da ist, und die Revolution ohne es einen großen Unterschied machen.
Kirn, Michael: Der Begriff der Revolution in Hegels Philosophie der Weltgeschichte, HSB 11, S. 339-363.
Die ungerechte Interpretation des Hegelschen Motivs gibt die Grundlage der marxistischen Hegelkritik
her, die ihm vorwirft, die Rechtslehre ‘als eine Wissenschaft des wirklichen Staats’ zu entfalten und
‘Norm und Faktum’ gleichzumachen. Brandt, Reinhard: Dichotomie und Verkehrung, HS 14, S. 225-242.
318
“Daß ich mein positives Selbst in dem gemeinsamen Willen” zu einer konkreten
Handlung der Entäußerung habe, ist “Anerkanntseyn als Intelligenz, als von mir
gewußtes”. Weil der gemeinsame Wille eben “durch mich gesetzt ist”, weiß ich mich
positiv als darin anerkannt. Mein Anerkanntsein im gesellschaftlichen Verkehr ist
nämlich mein Wissen von meinem positiven Selbst im gemeinsamen Willen. Für dieses
mein Anerkanntsein weiß ich andererseits auch, dass der gemeinsame Wille auf dem
allgemeinen Willen oder auf dem Allgemeinen des Selbst mit der Macht basieren soll.
Nach dieser Notwendigkeit entäußere ich mich meiner selbst und erreiche meine
allgemeine Macht oder das Allgemeine als “das negative meiner” selbst (J III.255).
Mein Anerkanntsein im gesellschaftlichen Verkehr wird lediglich durch diese Macht
meines negierten Selbst im allgemeinen Willen gesichert. Hierin habe ich auch das
Bewusstsein meiner selbst als eines Entäußerten, als eines Anvertrauten und als eines
Wirklichen. Das Allgemeine, das die daseiende Macht des reinen Willens über mein
Leben ist, ist zuerst als “das unmittelbare Andersseyn” meines entäußerten Selbst eben
“Herr”, dem “nur als meinem negativen Wesen” gegenüber ich “Furcht” habe. Das
Allgemeine ist die “unmittelbare Einheit” “des reinen Willens und des Daseyns” oder
“des reinen Bewußtseyns” des Allgemeinen und “meiner selbst” als des Entäußerten.
Als diese unmittelbare Einheit ist es mein Herr. Ich habe ferner “Vertrauen” zum
Allgemeinen, das “unmittelbar mein Willen ist” und mit meinem Willen übereinstimmt.
Das Allgemeine, dem mein Selbst ganz frei vom Dasein und völlig anvertraut ist, ist
dann als die daseiende Macht in der Übereinstimmung mit meinem Willen zum
Allgemeinen die “öffentliche Gewalt”. Das Allgemeine ist also schließlich nichts
anderes als mein Selbst, das als das Entäußerte wirklich besteht und als die Macht
meines Willens wirkt. Das Allgemeine als “mein wirkliches Selbst” ist, oder ich selber
bin nun eben “Regent” (J III.256). Diese dreierlei Gewalten des Allgemeinen, die nach
meinem Wissen davon gestaltet werden, implizieren daher den Grad meines
Bewusstseins vom Selbst. Oder mein Wissen vom Allgemeinen, nach dem die Gewalten
werden, ist eben mein Bewusstsein vom Selbst im Allgemeinen meines entäußerten
Selbst.
Dies Verhältnis jedes Einzelnen zum Allgemeinen und dessen Gewalt ist nichts anderes
als das Verhältnis des Volks zum allgemeinen Willen und dessen Gewalt. Die drei
Gestalten der Gewalt als Gewalt des allgemeinen Willens des Volks bestimmen daher
zum einen je nach ihrer Konstruktion oder Hervorhebung eben das konstitutionelle
Staatswesen des Volks in der Geschichte. Sie sind zum anderen auch Konstituentien der
Macht des entwickelten Staats in der Neuzeit. Hegel bringt zunächst hier die
Konstitutionen der geschichtlich auftretenden Staatswesen zur Darstellung. Die
319
Konstitution eines Staates stützt sich ihm zufolge eben auf das “Constituiren des
allgemeinen Willens” durch das Volk. Das Konstituieren ist bekanntermaßen durch die
Selbstentäußerung der Volksmitglieder nach ihrem Wissen als Bildung überhaupt des
Volks vollzogen. Diese Entäußerung ist von ihnen als notwendig idealiter gewusst und
realiter ausgeführt, aber nicht einmal kontraktualistisch. Diesbezüglich unterscheidet
sich Hegel wiederum von der Vertragstheorie, nach der durch die Stimmgebung aller
Bürger “die Mehrheit den allgemeinen Willen mache”, weil der allgemeine Wille nach
dem von allen stillschweigend bewilligten, ursprünglichen Vertrag bereits als der Wille
aller ausgebildet, daher nun im Willen der Mehrheit enthalten sei. Der allgemeine Wille
solle daher vertragsmäßig im Willen jeder konkreten Stimmenmehrheit vorausgesetzt
werden.116 Diese kontraktualistische Vorstellung ist Hegel zufolge in zwei Hinsichten
fehlgeschlagen. Zuerst: In Hinsicht des allgemeinen Willens ist das Machen desselben
durch die Stimmmehrheit nur unter der Voraussetzung möglich, dass der allgemeine
Wille schon als der Wille aller durch den ursprünglichen Vertrag erreicht ist. In der
Mehrheit ist also der allgemeine Wille, dessen Werden erklärt werden soll, bereits
vorausgesetzt. Der Wille der Mehrheit ist der allgemeine, zu dem sich der Einzelne,
insbesondere auch die Minderheit, durch Selbstnegation, “durch sich Aufgeben”
“machen müsse”. Aber hier ist nur die Tatsache gesetzt, dass sich jeder aufgeben muss,
aber nicht erklärt, warum und wie. Hierfür führt die Vertragstheorie den fiktiven
Naturzustand ein, der allerdings dem Werden des allgemeinen Willens äußerlich ist. In
diesem Sinne ist es nicht die Erläuterung des Willens der Mehrheit, sondern gerade die
Rechtfertigung desselben als des allgemeinen, zu der die Vertragstheorie beiträgt. In
Hinsicht der Menschenmenge stellt die Vertragstheorie die Menge etwas “wirklicher”
auch “als das Gemeinwesen constituirend” vor. In dieser Konstitution tritt jeder
Einzelne als wirklicher auf und will seinen Willen nur als positiv konstitutiv für den
allgemeinen Willen wissen. Die Einzelheit seines Willens ist hier weder entäußert noch
negiert, sondern lediglich positiv. Aus dieser Einzelheit ergibt sich Hegel zufolge keine
wahre Allgemeinheit. Denn dann wäre die Allgemeinheit eine generelle Summe der
Einzelheiten. Die Position ohne Negation ist nur das bloße Setzen, ponere. Bloß daraus,
116
Über diesen Standpunkt von Emmanuel Sieyès, auf den sich Hegel hier bezieht, J III., Anhang, S.
345-346. Auch Kant zufolge gilt: Wenn das Zusammenstimmen zum Gesetz ‘von einem ganzen Volk
nicht erwartet werden darf, mithin nur eine Mehrheit der Stimmen und zwar nicht der Stimmenden
unmittelbar (in einem großen Volke), sondern nur der dazu Delegierten, als Repräsentanten des Volks,
dasjenige ist, was allein man als erreichbar voraussehen kann, muss doch selbst der Grundsatz, sich diese
Mehrheit genügen zu lassen, als mit allgemeiner Zusammenstimmung, also durch den Kontrakt,
angenommen, der oberste Grund der Errichtung einer bürgerlichen Verfassung sein’. Kant: Über den
Gemeinspruch, A248-249. Zum Vergleich von Sieyès als Volkssouveränitätstheoretiker mit Hegel als
Staatssouveränitätstheoretiker siehe Thiele, Ulrich: Gewaltenteilung bei Sieyès und Hegel, HS 37, S. 139167.
320
dass diese Föhre, jene Eiche, u. a. grün ist, lässt sich nicht das Grün als das allgemeine
Wesen des Baums überhaupt herleiten. Jenes empirische Grün ist de facto zufällig für
dies allgemeine Grün des Baums, das nur durch die Aufhebung der Einzelheit
wesentlich denkbar ist. Sogar der geistig Einzelne, um nicht nur das Konstituens,
sondern ferner das wahre Subjekt des Allgemeinen zu sein, muss sich selbst vor allem
seinerseits aufheben und entäußern. Die Mehrheit der Einzelnen, deren Einzelheit im
allgemeinen Willen nicht aufgehoben, sondern lediglich als positiv gesetzt und gewusst
ist, ist nichts mehr als das zufällige Konglomerat für das Allgemeine. Ihr Konstituieren
ist gar nicht ihr Nachweis, sondern nur Selbstbehaupten als des Allgemeinen. Hier wäre
wiederum nur der Kampf um Anerkennung zwischen denjenigen Einzelnen möglich,
deren Wille als positiv konstitutiv für den allgemeinen Willen, und denjenigen, deren
Wille als negativ gegen den allgemeinen Willen angesehen wird. Denn im Allgemeinen
der Mehrheit, in dem also ihre Einzelheit weiter besteht, liegt “keine Notwendigkeit”
dafür, dass alle es wollen müssen, und “keine Verbindlichkeit, daß die Minderheit sich
der Mehrheit unterwerfe”. Und der Anerkennungskampf ohne Selbstaufhebung hätte nur
entweder Niederdrückung des einen oder die Flucht des anderen zur Folge.
Hegel akzeptiert auf der einen Seite freilich die Einsicht der Vertragstheorie in die
Fähigkeit der Menge zur Konstituierung des Gemeinwesens. Diese Einsicht ist noch
“wirklicher” als das Verstehen der Einzelnen im Naturzustand. Aber obzwar die
Vertragstheorie richtig voraussetzt, dass die Einzelnen “an sich allgemeiner Willen
seyen”, versteht sie ihre Fähigkeit nur als das positive Moment des kontraktlich
ausgebildeten, allgemeinen Willens (J III.257). Hegel lehnt also andererseits das
Konstituieren des allgemeinen Willens durch den Vertrag schlechthin ab. 117 Die
Fähigkeit der Einzelnen für das Allgemeine kommt gänzlich von ihrer Geistigkeit her.
Insofern sie das Allgemeine wissen und wollen können, können sie auch über ihre
eigene Einzelheit hinausgehen. Die Aufhebung und Entäußerung ihrer Einzelheit hat
daher innere und freiwillige Notwendigkeit nach ihrem Wissen und Wollen vom
117
Schnädelbach fasst Hegels Kritik an der Vertragstheorie in der Rechtsphilosophie mit drei
Argumenten gut zusammen: Sie richtet sich gegen ‘die Einmischung des ‘Vertragsverhältnisses’ über das
Privateigentum ‘in das Staatsverhältnis’, gegen die Unaufhebbarkeit der Einzelheit im Vertrag, also die
Möglichkeit allein der jeweiligen ‘Gemeinsamkeit’ derselben, und gegen die Rekonstruktion der
Verfassung und/oder des Staatsrechtes ‘nach privatrechtlichen Mustern’. Dagegen beansprucht ihm
zufolge Hegels Erwähnung von der ‘Existenz einer transsubjektiven sittlichen Macht’ als Grundlage der
nicht gemachten Verfassung mehr als die Vertragstheorie, zu deren Figur Schnädelbach also letztlich sich
neigt. Schnädelbach, Herbert: Hegel und die Vertragstheorie, HS 22, S. 111-128. Aber die sittliche Macht
bei Hegel ist nicht so transzendent, sondern im konkreten sittlichen Leben des Volks enthalten, in dem der
private Vertrag statt seiner unrealistisch unmittelbaren Anwendung auf das Staatsrecht konkret und
wirklich entsteht, und dessen Reflexion das Selbstbewusstsein des Volksgeistes, also die Bildung des
allgemeinen Willens für die Gesetzgebung herbeiführt.
321
Allgemeinen. Eben wegen dieser Fähigkeit sind sie bereits an sich der allgemeine Wille.
Aber dies “Ansich ist ein anderes als ihr wirklicher” Wille in der Arbeit, im Tausch, im
üblichen Vertrag u. a. um ihrer Einzelheit willen. Insofern ihnen nur ihre Einzelheit im
allgemeinen Willen gilt, in dem ihr Wille “noch nicht entaüssert” ist, anerkennen sie den
allgemeinen Willen als solchen nicht. Insofern sind sie weder wahres Element noch
Subjekt des allgemeinen Willens. Trotzdem sind sie dessen fähig. Der allgemeine Wille
ist “ihr Ansich”, und “er ist da” (J III.258). Eben das Dasein des allgemeinen Willens
belegt die Wirklichkeit ihrer Fähigkeit. Er ist immer in der Gestalt der Gewalt wirklich
da. Allein weil sie nicht von Anfang an ihr Selbst in der Gewalt erkennen, erscheint er
ihnen nur als die äußere Gewalt, also zuerst als Tyrannei. Es dreht sich hier nicht um die
ideelle oder apriorische Entäußerung in der Vertragstheorie. Insofern die Gewalt
wirklich da ist, muss ihre Entäußerung auch real und wirklich sein. Es geht vielmehr
darum, ob sie durch die freiwillige Entäußerung ihrer selbst das Allgemeine als ihre
Gewalt ausbilden können oder, ob die Gewalt als auf ihrer Entäußerung beruhend, also
als ihnen gehörig gestaltet ist. Kurz gesagt, geht es um das Selbstbewusstsein der
Einzelnen in der Gewalt ihres Gemeinwesens118, in der der allgemeine Wille da ist.
Ohne das Selbstbewusstsein tritt das Verhältnis zwischen den Einzelnen und ihrer
Gewalt äußerlich auf. Insofern scheint ihre Entäußerung von der Gewalt zwanghaft
gefordert zu sein. Dies Verhältnis liegt bereits in der Tyrannei. Hier beabsichtigt Hegel
den Nachweis der Wirklichkeit des allgemeinen Willens, der sich nach dem
Bildungsniveau der Einzelnen in ein mannigfaltiges Gewand der Gewalt kleidet.
Dadurch, dass ein Wesen als der Existenzgrund seines Phänomens bestätigt wird, wird
die Wirklichkeit des Wesens nachgewiesen. Und insofern die Bestätigung nicht nur für
uns, sondern auch für die geistig Einzelnen selbst im Phänomen entsteht, sind diese
zumindest das kognitive Subjekt des sich in der Wirklichkeit entwickelnden Wesens.
Auch für den allgemeinen Willen gilt diese Betrachtungsweise, wodurch dann die
Fiktivität der Vertragstheorie überwunden wird.
Das erste Allgemeine der Einzelnen besagt, dass sie in einem Gemeinwesen, in einem
Volk zusammenleben. Ihr Allgemeines ist also zuerst das “Volk” als ihr “daseyendes
Ganzes” oder ihre “allgemeine Gewalt”, in der jeder “nach seinem Anerkanntseyn”
seine Stärke hat. Die Stärke jedes Einzelnen im Volk ist eben die Stärke “des Volks” als
118
Avineri zufolge ist Hegels Staat in der Rechtsphilosophie ‘die Verkörperung des menschlichen
Selbstbewußtseins’ in diesem Sinne. Avineri, Schlomo: Der Staat – das Bewußtsein der Freiheit MR, S.
397-399. Auch Dieter Henrich kommt in seiner Analyse der Enzyklopädie zum gleichen Schluss, dass
Hegels Staat ‘auf dem Selbstbewußtsein’ der ‘verwirklichten’ freien ‘Subjektivität beruht’, in dem Sinne,
dass das subjektive Einzelne das Prinzip der Einheit in der Hegelschen ‘monistischen Ontologie’ ist.
Henrich, Dieter: Logische Form und reale Totalität. HPR, S. 428-450.
322
der allgemeinen Gewalt. Gerade hierin liegt der “Begriff der Constitution”. Aber die
Stärke bzw. Gewalt des Volks ist als solche “wirksam nur insoweit sie in ein Eins
verbunden ist”. Sie ist nämlich nur als ein Wille “Aller und Jeder” die Lebendigkeit des
Volks. Dieser eine Wille ist eben der allgemeine Wille, der immer nur als “ein Eins” die
Gewalt ausüben kann. Er ist als daseiend “schlechthin nur dieses Selbst” aller Einzelnen
(J III.256). Dieses Selbst, d. i. dieses bzw. die Einzelheit des Selbsts aller ist die Einheit
des Wirkens des allgemeinen Willens als eines Eins. Der allgemeine Wille hat sich also
“in dieses Eins zusammen zu nehmen”, und insofern er “zuerst aus dem Willen der
Einzelnen” entspringt, sich als ihr allgemeiner “zu constituiren”. Eben hierin liegt das
Prinzip der Konstitution. Dies heißt nicht, dass der allgemeine Wille selbst sich
konstituiert; es heißt nur das Konstituieren des allgemeinen Willens durch die Einzelnen.
Nicht im spiritualistischen, sondern im subjektivitätsontologischen Sinne konstituiert
sich der allgemeine Wille lediglich als der Wille aller und jeder. Dies bedeutet ferner,
dass das Allgemeine ontologisch für seine Wirksamkeit als der realen Existenz
seinerseits auch das Moment der Einzelheit braucht. Das Allgemeine ist das Wesen der
Einzelnen. Das Einzelne ist aber die Wirklichkeit des Allgemeinen. Das Allgemeine ist
dem Wesen nach früher als die Einzelnen. Aber das Einzelne ist der Zeit nach Träger
des Allgemeinen. Hegel denkt in dies Verhältnis zwischen dem Allgemeinen und
Einzelnen den berühmten Satz des Aristoteles hinein, ‘das Ganze ist der Natur nach eher
als die Teile’.119 Das Allgemeine als das Wesen der Einzelnen ist schon als ihr Ganzes,
als das Volk, da. Der allgemeine Wille ist bereits “absolut da” für die Einzelnen,
insofern sie nur in einer Gemeinschaft als Volk zusammenleben können und wollen.
Aber er ist noch nicht wirklich wirksam, insofern sie nur als die einzelnen Willen um
ihrer selbst willen “gar nicht unmittelbar derselbe” sind (J III.257). Um sich zum
allgemeinen Willen zu machen, brauchen sie allerdings ihrerseits die Bildung als
Fähigkeit für die Selbstentäußerung. Eben hierdurch wird der allgemeine Wille als ein
wirklich wirksamer Wille aller konstituiert. Aber davor tritt lediglich das äußere
Verhältnis zwischen dem allgemeinen Willen und den Einzelnen auf. Der allgemeine
119
Also ist ‘der Staat der Natur nach mit Klarheit eher als die Familie und der Einzelne’. Aristoteles:
Politica, 1253a, 1288a. Den Staat (πολις) in diesem Satz liest Hegel im Naturrechtsaufsatz als “das Volk”.
JKS, S. 467. Insofern der Staat als das Ganze aus Gesetzen seiner Natur besteht und diese Gesetze von
den Sitten und Gebräuchen herkommen, ist die Verfassung des Staates bei Aristoteles auch vom sittlichen
Leben des Volks (ηθος) abhängig. Bienenstock zufolge ist es deshalb auch für Aristoteles ‘nicht
entscheidend’, ‘ob die „Gesetze“ geschrieben oder ungeschrieben sind’, sondern die Sitten des Volks als
die Grundlage der Gesetze, gleich wie in Hegels Stellung zur Konstitution, die überhaupt nicht künstlich
gemacht werden kann. Bienenstock, Myriam: Die „Ungeschicklichkeit, die wahrhaften Sitten in die Form
von Gesetzen zu bringen“, ist „das Zeichen der Barbarey“: Hegels Kodifikationsforderung um 1802,
HSB 42, S. 89-92. Über die Gesetzgebung bei Aristoteles, siehe Ritter, Joachim: Metaphysik und Politik,
S. 106-132. Siehe auch Aristoteles: Politica, 1269a.
323
Wille wird also zuerst durch einen Einzelnen konstituiert, der wegen seiner allgemeinen
Gemütsanlage die Gewalt des allgemeinen Willens zu tragen bekommt, aber dessen
Gewalt allen anderen äußerlich ist.
Ein solcher Einzelner, der die Gewalt des allgemeinen Willens trägt, ist Hegel zufolge
der Tyrann. Er kommt als “der grosse Mensch” zum Vorschein, der das Ansich der
Einzelnen, d. i. ihren unmittelbar reinen Willen als seinen Willen hat. Der große Mensch
bedeutet bei Hegel weder einfach die physische Stärke noch die Vortrefflichkeit seiner
Persönlichkeit oder Bildung. Seine Größe liegt eher “in seinen Zügen”, den an sich
allgemeinen und bereits absolut daseienden Willen der Einzelnen als seinen Willen “zu
wissen” und “auszusprechen”. Alle Staaten wurden zu Beginn “durch die erhabne
Gewalt” dieses großen Menschen gestiftet, dem sich die Einzelnen wider ihren
bewussten und wirklichen Willen zu gehorchen nicht entziehen können. Auf der
ungebildeten oder unaufgeklärten Stufe tritt der allgemeine Wille nämlich als der Wille
eines so bestimmten Einzelnen auf, der als der große Mensch mit erhabener Gewalt
angesehen wird. Seine Gewalt ohne Selbstbewusstsein der Einzelnen ist für diese
äußerlich und entsetzlich. Sie müssen ihm dennoch Folge leisten, insofern sein Wille als
ihr Ansich mit der Gewalt erscheint. Ihre Selbstentäußerung ist also zwanghaft und
unfreiwillig. Die Einzelnen wie auch der große Mensch wissen den zwanghaft
entäußerten Willen der Einzelnen noch nicht als das Wesen der äußeren Gewalt. D. h.
bei den Einzelnen sind ihr wirklicher und ihr zu entäußernder Wille getrennt. Jedoch ist
der Grund für ihren Gehorsam im Wesentlichen nicht der äußere Träger der Gewalt,
sondern eben der allgemeine Wille, der als der einzelne Wille des Trägers zum Ausdruck
und in Gang gebracht wird. Der einzelne Wille des großen Menschen ist der allgemeine
Wille aller, aber ohne ihr Selbstwissen. Die Gewalt des ersteren basiert also auf der
Geeignetheit seines einzelnen Willens für das Allgemeine aller. Seine Gewalt in diesem
Sinne ist die “Tyranney” als die “reine entsetzliche Herrschaft”, nicht einmal die
Herrschaft des Despoten, der umgekehrt seinen einzelnen und willkürlichen Willen als
den allgemeinen gewaltsam durchsetzen will. Der Despotismus bei Hegel ist wie die
Pöbelherrschaft oder Autokratie kein wesentliches Moment für die Gestaltung der
Gewalt. Mangelhaftes oder Verdorbenes kann nie für das Wesen konstitutiv sein.
Dagegen ist die Tyrannei wegen der Repräsentativität ihrer Gewalt für den allgemeinen
Willen notwendig für die Konstitution des Staates.
Hegels Einschätzung der Tyrannei lässt sich in drei Hinsichten resümieren. Die Tyrannei
eines großen Menschen ist in erster Linie “nothwendig und gerecht, insofern sie den
Staat als dieses wirkliche Individuum constituirt, und erhält”. Sie ist die erste
Konstitution, in der der Staat als die daseiende Gewalt gestaltet wird. Die Gewalt des
324
Staates wird hier von einem Einzelnen getragen. Aber der Wille dieses Einzelnen
kommt vom allgemeinen Willen aller her. Im Tyrann steht der allgemeine Wille nämlich
in der Beziehung auf sich selbst als Einzelnes, auf seine Wirklichkeit. Der tyrannisch
konstituierte Staat ist daher “der einfache absolute Geist, der seiner selbst gewiß ist, und
dem nicht bestimmtes gilt, als er selbst”. Er ist der einfache Geist, insofern der Geist des
Volks seine Existenz bloß in einem Einzelnen findet. Er ist dennoch der absolute Geist,
weil der Volksgeist erst in der Beziehung auf sich als verwirklicht steht. Hierin ist nichts
als er selbst bestimmtes oder bestimmend. Der tyrannische Staat ist die erste, politisch
verfasste, Wirklichkeit des sich selbst wissenden Volksgeistes. Das phänomenale
Subjekt dieses Selbstwissens ist allerdings der Tyrann, der am Anfang als der große
Mensch mit einem solchen Wissen den Staat errichtete. Nur in diesem Sinne ist die
Tyrannei notwendig und gerecht. Damit ist von Hegel keine Legitimation des Bestandes
der Tyrannei gemeint, sondern lediglich die gerechte Notwendigkeit der konzentrierten
Gewalt für die Stiftung des Staates. Als Beispiele hierfür führt Hegel Theseus von Athen
und die fürchterliche Gewalt in der französischen Revolution an. Diese Gewalt lässt
sich zum einen nicht einfach moralisch bewerten. Denn der Volksgeist, der sich als
solche Gewalt realisiert, kennt “keine” moralischen “Begriffe von gut und schlecht,
schändlich” o. a. Entscheidend ist hier allein die Selbstdurchsetzung des Volksgeistes als
wirkliche Gewalt. In diesem Geist ist “das Böse” “mit sich selbst versöhnt”. Diese
Eigenschaft der staatsbildenden Gewalt der Tyrannei sah Hegel zufolge vor allem
Machiavelli ein. In “der Constituirung des Staats überhaupt” haben alle bösen
Handlungen, wie “Meuchelmord, Hinterlist, Grausamkeit u. s. w.” “keine Bedeutung”,
insofern das Land noch kein selbstständiger Staat, sondern von der fremden Macht oder
von den sich als souverän behauptenden, einzelnen Inhaber von Privilegien verheert und
zerspalten ist (J III.258). Solche bösen Mittel werden gegen diesen bösen Zustand, in
dem das Land steht, unumgänglich angewendet, und nur in diesem Sinne sind sie
gerecht und notwendig. Gegen die behaupteten Souveränitäten der privilegierten
Einzelnen, die zur Zertrennung des Landes und zum Tod des Volksgeistes führen,
können nur die Maßnahmen für den Tod der Einzelnen oder der Schrecken ihres Todes
wirksam sein. Hegel bemerkte bereits in den Fragmenten über die Verfassung
Deutschlands die Ähnlichkeit der Machiavellischen Situation mit der deutschen, in der
das deutsche Reich seit dem Westfälischen Frieden “in unabhängigen Staaten” aufgelöst
nur als die Summe dieser Staaten, daher nur als “Gedankenstaat”, besteht120 (SE 105,
120
Das “Princip der absoluten Einzelnheit”, welches Hegel nicht nur hier, sondern an vielen Stellen als
das Prinzip des Nordens, also auch “der Teutschen” erwähnt, ist ein solches, das deswegen einerseits ein
anderes Prinzip der mächtigen Einheit braucht und andererseits als das Prinzip der Freiheit zugleich jede
325
131, 194). Aber er beabsichtigt damit nicht die bloße Einführung der
Schreckensherrschaft in Deutschland. Die konzentrierte Gewalt ist lediglich für die
Konstitution des vereinigten Staates notwendig, muss aber danach auch aufgehoben und
zu einem Moment der Staatsgewalt werden. Denn eine solche Gewalt ist zum anderen
jedenfalls das mit sich selbst versöhnte Böse selbst. Und wie sich das Böse vernichtet,
so hebt sich die tyrannische Gewalt folgendermaßen auf.
Gegen “die Einzelnen als solche, die ihren unmittelbaren positiven Willen absolut
behauptet wissen wollen”, kann der allgemeine Wille nicht umhin, zuerst als “Herr,
Tyrann”, als die “reine Gewalt” aufzutreten, die für sie fremd und tyrannisch verfährt.
Durch diese Tyrannei werden die Einzelnen aber des Weiteren zur Entäußerung und
Befolgung gebildet. Der wirkliche und einzelne Wille jedes Einzelnen wird unmittelbar
und wirklich entäußert, und das Allgemeine dieses entäußerten Willens, also der
allgemeine Wille wird nun eher der wirkliche Wille eines jeden. Diese “Bildung zum
Gehorsam” ist eben die zweite Bedeutung der Tyrannei (J III.259). Jeder Einzelne wird
zuerst von der tyrannischen Gewalt gezwungen, sich seines wirklichen Willens zu
entäußern. Dies Element des Zwangs des Einzelnen ist notwendig für die “Bildung, sich
im Allgemeinen anzuschauen”, insbesondere falls sich der Einzelne gegen das
Allgemeine durchsetzen will (J III.247). Aber die wahre Bildung macht den Zwang zum
Selbstzwang des Einzelnen. Sie endet nicht in der Abnötigung des Allgemeinen
gegenüber dem Einzelnen, sondern zielt auf das Selbsterkennen des Einzelnen im
Allgemeinen. Und dies ist schon in der Tyrannei möglich, insofern hier die wissende
Beziehung des entäußerten einzelnen Willens auf den allgemeinen besteht. Der
allgemeine Wille ist nun der Wille, dessen sich jeder entäußerte und der nun für jeden
wirklich ist. Der Gehorsam gegenüber dem allgemeinen Willen ist daher der Gehorsam
jedes Einzelnen gegenüber dem entäußerten Selbst.
Aufmerksamkeit ist darauf zu richten, dass der Tyrann nur das Subjekt der
Unterwerfung, nicht der Bildung zum freiwilligen Gehorsam ist. Der Tyrann unterwirft
andere, nicht deshalb, weil er gebildeter oder selbstbewusster ist, sondern weil er das
Ansich der Einzelnen als seinen Willen wissen und ausführen kann. Er ist nur das Mittel,
durch das der an sich allgemeine Wille als die gegenständliche Einzelheit in der Welt
realisiert und erkannt wird. Er ist freilich als ein bewusstes Subjekt das Mittel des
allgemeinen Willens. Aber sobald die Einzelnen durch seine Ausübung der
unterwerfenden Gewalt hindurch den in ihm vergegenständlichten allgemeinen Willen
nun als ihren entäußerten Willen für sich zu wissen gebildet werden, wird die Tyrannei
tyrannische und autoritäre Gewalt auflöst. J III., S. 259. Dazu, FN, S. 53. JKS, S.316. SE, S. 110. GPR, §
358. VPW IV., S. 763.
326
“überflüssig”, und damit tritt “die Herrschaft des Gesetzes” ein. Eben in dieser
notwendigen Selbstauflösung liegt die dritte Bedeutung der Tyrannei. Die Gewalt des
Tyrannen ist die Gewalt des allgemeinen Willens, der durch die Entäußerung aller nur
als der Wille des Tyrannen kristallisiert wird, daher als die Beziehung des Willens eben
“die Gewalt des Gesetzes, an sich” (J III.259). Entscheidend sind nun eben die Willen
der Einzelnen, die sie als ihren allgemeinen Willen durch die Entäußerung bilden.
Herrschen kann daher nicht ein einzelner Tyrann als der Träger des allgemeinen Willens,
sondern ein formaler Vertreter lediglich gemäß dem allgemeinen Willen, dessen
bildendes Subjekt die Einzelnen selbst sind und der also als ihr Gesetz auftritt. Hierin
liegt eben der Grund für den Umsturz der Tyrannei bei vielen Völkern. Der allgemeine
Wille wird von den Einzelnen als ihr entäußerter Wille gewusst und gebildet. Insofern
ist dessen tyrannischer Träger nicht mehr nötig. Der weise Tyrann, der diese Bildung
seines Volks erfasste, würde selbst Verzicht auf seine Tyrannei leisten. Sonst müsste sein
nur “seiner selbst gewisser Geist”, gleichsam wie der Gott, der kein bewusstes Volk
haben will und dessen Göttlichkeit also “nur die Göttlichkeit des Thiers” sein kann, in
“die blinde Nothwendigkeit” seines Umsturzes geraten. Der Tyrann als das bewusste
Medium des allgemeinen Willens ist letztlich ein solcher absoluter Geist, der einfach
nur darin seiner selbst gewiss ist, dass er “auf Undank seines Volkes gefaßt” ist und also
nach der ihm blinden Notwendigkeit zu Grunde geht.
Die Herrschaft des Gesetzes beruht nun nicht auf der Gesetzgebung jenseits der
Einzelnen, sondern auf der “Bewegung der zum Gehorsam gebildeten gegen das
Gemeinwesen”. Dies Gemeinwesen ist ihr daseiendes Wesen, in dem jeder sein Selbst
als erhalten findet. Das Verhältnis des Gehorsams der Einzelnen gegenüber dem
Gemeinwesen ist daher das Verhältnis des Vertrauens, in dem das Gesetz “nicht mehr
die Gestalt des einzelnen Willens” eines Tyrannen, sondern “des eignen” Willens eines
jeden hat, obzwar sie zunächst freilich die Art und Weise der Herrschaft des Gesetzes
nicht wissen (J III.260). Das Gesetz kommt hier als die unmittelbare Einheit des
gegenständlichen Allgemeinen mit dem Selbst der Einzelnen vor. Es ist nämlich noch
kein Selbstgegebenes der Einzelnen, sondern besteht nur als die Negation der
tyrannischen Gewalt. Im Gesetz ist aber auch das Selbst eines jeden erhalten. Das
Allgemeine als das Gesetz hat daher unmittelbar die doppelseitige Bedeutung der
Negation der Gewalt des einen Einzelnen und der Position der Selbsterhaltung aller
Einzelnen. Das Allgemeine braucht freilich für seine Realisierung das Einzelne. Aber
das Allgemeine muss nicht als dem Einzelnen gehörig, sondern in der negativen
Beziehung des Einzelnen auf sich realisiert werden. Denn es muss das Bestehen aller
Einzelnen ermöglichen. Ebenfalls, insofern sich der allgemeine Wille aus der
327
Entäußerung aller Einzelnen ergibt, muss er sich seinerseits entäußern und ihr Erhalten
zum Zweck haben. Daher entsteht die Einheit des Allgemeinen mit den Einzelnen als
die daseiende Gewalt des Gesetzes auch “auf die gedoppelte Weise”, d. i. im Extrem des
Allgemeinen und im Extrem der Einzelnen. Beide sind nur zwei Seiten der gleichen
Einheit. Sie alle sind nun die Einheit des Begriffs und der Existenz, d. h. sie alle
existieren zum einen realiter in der Individualität und bezwecken zum anderen idealiter
das Allgemeine.
Die Einheit im Extrem des Allgemeinen ist zuerst als die Gewalt eines einzelnen
Trägers von den Einzelnen negiert und gestürzt. Alles, was existiert, existiert jedoch nur
als ein Einzelnes. Das Extrem des Allgemeinen, das zwar selbst wiederum als
Individualität existiert, aber keinem Einzelnen gehört, ist eben die “Regierung”. Die
Regierung ist das Allgemeine als die allgemeine Einheit der Einzelnen, die selbst eine
Individualität ist. Diese Individualität hat nur “das Allgemeine als solches zum Zwecke”,
weil sie ihre Existenz nur als Vertreter des Allgemeinen hat. Dagegen ist die Gestaltung
des Allgemeinen als der Einheit völlig auf die Einzelnen angewiesen, die sich im
Extrem der Einzelheit entäußern. Die Einzelnen im Extrem der Einzelheit oder
Individualität haben aber zuerst “das Einzelne zum Zweck”. D. h. es ist gerade um
seiner selbst und seiner Familie willen, worum jeder Einzelne arbeitet, tauscht, Verträge
schließt u. s. w. Jeder ist tätig, doch zugleich verallgemeinernd, also “auch für das
Allgemeine”. Insofern dieses Allgemeine als das Selbst aller zum Bewusstsein kommt,
hat jeder “dieses zum Zwecke”. In dieser Hinsicht wird das Allgemeine im Extrem der
Individualität als die Einheit derselben gestaltet. Derselbe Einzelne ist also Hegel
zufolge als tätig um seiner selbst willen “bourgeois” und als auf das Allgemeine zielend
“citoyen”(J III.261). Diese zwei Begriffe, die bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts den
Bürger einer Stadt, d. i. cité oder bourg zusammen, bezeichneten, sind schon zur Zeit
Hegels durch den gesellschaftlichen und politischen Umschwung differenziert.121 Hegel
benutzt zum ersten Mal hier diese Termini als Begriffspaar im neuzeitlichen Sinne. In
der späteren Rechtsphilosophie wird noch geschickter der bourgeois als die Privatperson,
der es vor allem um “ihr eigenes Interesse” geht, vom citoyen als Staatsbürger
unterschieden (GPR § 187). Der Bürger als bourgeois ist daher bei Hegel kein
Stadtbürger im traditionellen Sinne, wie ihn Kant noch versteht, 122 sondern der
Wirtschaftsbürger, der mit der ökonomischen Selbstständigkeit sein eigenes Leben in
der Gesellschaft führt. Dagegen ist der Bürger als citoyen der Staatsbürger, der um das
staatliche Allgemeine als Bedingung für sein Leben bestrebt ist. Aber bemerkenswert ist
121
122
Riedel, Manfred: Zum Artikel Bürger, bourgeois, citoyen HWP1, S.964-966.
Kant: Über den Gemeinspruch, A245.
328
nicht zuletzt, dass Hegel beide Termini nicht in der abgeschnittenen Trennung, sondern
als zwei Charakteristika des gleichen Bürgers in einer Kontinuität auffasst. D. h. dem
Staatsbürger liegt der Wirtschaftsbürger zugrunde, dieser wird eben durch die Bildung
mit jenem vermittelt. Diese Bildung ist bekanntlich seinen sich immer mehr
verallgemeinernden gesellschaftlichen Tätigkeiten und seiner politischen Erfahrung mit
der Tyrannei immanent. Und eben aus diesem Grunde ist der Bürger als citoyen bei
Hegel nicht nur der Staatsbürger, sondern im Voraus auch der Bildungsbürger,123 der
später in der politischen Modernisierung Deutschlands eine Hauptrolle spielte.
Die Einzelnen als diese Bürger gestalten nun im Extrem der Individualität den
allgemeinen Willen, der der individuellen Regierung im Extrem der Allgemeinheit als
Zweck auferlegt wird. Aber der allgemeine Wille wird bei seiner Gestaltung zuerst von
den Einzelnen nicht als ihr begriffenes Allgemeines, sondern als ihre “Mehrheit” “durch
das bestimmte Aussprechen und Stimmen” ausgebildet, und demnach wird auch die
Regierung konstituiert, die eben die “Demokratie” ist. Das Prinzip der Demokratie
besagt, dass alle der Majorität als ihrem allgemeinen Willen Folge leisten sollen. Dies
bedeutet aber keinen Zwang für die Minderheit, ihre Überzeugung aufzugeben. Die
Überzeugung kann nur äußerlich unterworfen, aber als Grundrecht der Freiheit ganz und
gar nicht bezwungen werden. Das demokratische Verhältnis der äußeren Unterwerfung
impliziert daher das Recht, die innere “Überzeugung zu verwahren”, ferner “zu
protestiren”, was aber unter der wirklichen Herrschaft der Mehrheit machtlos und
“abgeschmackt” bleibt. Daraus entstehen Probleme der Demokratie auf zwei
Standpunkten. Zunächst kann der Einzelne auf dem Standpunkt der Minderheit immer
nur auf seiner Überzeugung insistieren. Diese “Zähigkeit an der Überzeugung”, die
auch zur Abtrennung von der realen Herrschaft der Mehrheit führt, ist aber nichts
anderes als der “Eigensinn des abstracten Wollens, des leeren Rechts”, das sich nicht zur
eigenen Gewalt kristallisieren, sondern nur als Kraft der Spaltung bleiben kann. In
dieser Hinsicht ist sie für Hegel auch das Problem des schon ziemlich vereinzelten
Deutschlands. Jedoch ist damit nicht die Bedeutungslosigkeit des Rechts der Bürger auf
den Protest gemeint, sondern es wird dessen Unwirksamkeit in der Demokratie kritisiert,
wenn der allgemeine Wille noch im Verhältnis des äußeren Gehorsams besteht. Deshalb
zieht Hegel dem unbeschränkten Erlauben des Protestrechts aus der eigenen
Überzeugung die Institutionalisierung desselben als einer organischen Instanz124 in der
123
Dieser Terminus, den Hegel nicht kannte und der erst im frühen 20. Jahrhundert entstand, ist
Koselleck zufolge aber nicht geeignet für den allgemeinen Ausblick der geschichtlichen Phänomene,
daher wird er auch hier nur für die Bezeichnung des bestimmten Bürgerbegriffs Hegels benutzt. Über den
deutschen Bildungsbegriff im 19. Jahrhundert, Koselleck, Reinhart: Begriffsgeschichten, S. 105-158.
124
Diese wäre mannigfaltige Beratungs- oder Kollegialinstanz im ständischen Repräsentativsystem der
329
Regierung vor. Hingegen wird auf dem Standpunkt der Mehrheit der allgemeine Wille
auch nicht als notwendig gestaltet, weil sich “der Willen des einzelnen” dafür “noch
zufällig” “als Meynung überhaupt” entscheidet. Das, dem gehorcht werden muss, ist
gerade die Majorität der Meinungen, die zufällig in Übereinstimmung stehen; daher
kann diese die Notwendigkeit des allgemeinen Willens nicht bestätigen. Außerdem ist
der so als der allgemeine gestaltete Wille de facto als der wirklich wirksame Wille auch
“selbst einzeln”. D. h. er muss sich als der einzelne Wille der Regierung durchsetzen,
demzufolge setzt er für seine Ausführung realiter “das willenlose wirkliche Gehorchen”
aller. Dieser Zwang zum Gehorsam ist also in Wirklichkeit die Bedingung für die
Ausführung des Willens der Mehrheit. Schließlich sind die Inhalte dieses Willens, d. i.
“die Beschlüsse, Gesetze” bezüglich “nur auf besondre Umstände”, also auch “selbst
zufällig” zu bestätigen, obwohl ihr Zusammenhang mit dem Allgemeinen von allen
Einzelnen eingesehen wird (J III.261). Z. B. ist die Wahl der Beamten durch die
Gemeinde nicht mehr als “ein Zutrauen”, das aber erst durch den zufälligen Erfolg nach
den Umständen gerechtfertigt wird.125
Hegel bewertet hier nicht die moderne Demokratie, die bis zur heutigen Gestalt erneut
erdacht und entwickelt wird, sondern die unmittelbare Anwendung der traditionellen
Demokratie in der Neuzeit. Diese Anwendung kann im höher entzweiten Volk der
Neuzeit keineswegs erfolgen. Denn sie ist nicht frei vom Zwang der bloß auf der
Mehrheit beruhenden Pöbelherrschaft und vom darauf folgenden Protest. Daher
differenziert Hegel zuerst die Demokratie im streng traditionellen Sinne. Das “Reich der
Sittlichkeit”, wo der allgemeine Wille nur durch die Wahl unmittelbar bestätigt wird,
war möglich lediglich in der griechischen Antike, weil hier jeder Einzelne selbst “Sitte,
unmittelbar eins mit dem Allgemeinen”, war. Das Volk im Ganzen war zugleich
“Bürger” im Einzelnen und “das Eine Individuum, die Regierung”. Die Wahl war also
die unmittelbare Bestätigung des Einzelnen als des verwirklichten Allgemeinen und
insofern “die schöne glükliche Freyheit” jedes Einzelnen. Weil jeder “sich unmittelbar
als allgemeines” wusste, war “die Entaüsserung der Einzelnheit des Willens” die
“unmittelbare Erhaltung desselben” durch sich selbst. Hierfür war also kein Protestieren
nötig. Aber diese Unmittelbarkeit gründet Hegel zufolge auf einer höheren Abstraktion
bzw. einem größeren Gegensatz. D. h. jeder war von seiner Einzelheit oder
späteren Rechtsphilosophie. Trotzdem sind der Protest und dessen Unterdrückung immer möglich,
solange der Nachteil dieser demokratischen Entscheidung nicht völlig beseitigt werden kann.
125
Dieses Zutrauen, das durch eine Entzweiung des unmittelbaren Vertrauens in die Abstraktion des
Rechts des Einzelnen auf sein Selbst wieder erreicht ist, ist nichts anderes als “das absolute Mistrauen”
(JIII.266), das im modernen Staat ein ‘institutionell gehegtes’ ist und also ‘die individuelle Freiheit’
ermöglicht. Schnädelbach, Herbert: Hegels praktische Philosophie, 137-138.
330
Besonderheit so sehr abstrahiert oder im zu großen Gegensatz zum Allgemeinen, um
seine Besonderheit “als solche, als dieses Selbst, als das Wesen zu wissen”. Er
verzichtete also unverzüglich auf seine Eigenschaft, wusste sich unmittelbar nur
abhängig vom Allgemeinen oder allein als das Allgemeine. Hier war der Volksgeist “ein
tieferer Geist”, der den um die Vermittlung nicht wissenden Einzelnen zur unmittelbaren
Identifikation mit dem Allgemeinen bildet. Dieser Geist ist in der höheren Entzweiung
der Neuzeit nicht mehr präsent. Daher ist auch die Demokratie als seine Entelechie nun
nicht mehr möglich. Insofern “jeder vollkommen in sich zurükgeht, sein Selbst als
solches, als das Wesen weiß”, lässt sich der allgemeine Wille im Extrem der Einzelheit
nun nicht mehr ohne das Selbstwissen jedes Einzelnen oder im äußeren Verhältnis zum
Selbstwissen ausbilden.126 Das äußere Verhältnis des Gehorsams vermehrt eher die
Latenz der Zerspaltung und die schlechte Unendlichkeit der Wahl gemäß verschiedenen
Umständen. Aber damit behauptet Hegel nicht die völlige Abschaffung der Demokratie.
Sondern er verweist vielmehr auf die Notwendigkeit der in einer eigenen Weise
modernisierten Demokratie, nach der der allgemeine Wille als eine solche Gewalt
bestehen kann, in der das Selbstwissen jedes Einzelnen anwesend ist. Die Demokratie
dieser Art entwickelt er eben als die erbliche Monarchie. Hierfür braucht der
demokratisch gestaltete, allgemeine Wille wiederum im Extrem der Allgemeinheit die
Individualisierung als das Selbst aller.
Die Schwäche der Demokratie besteht darin, dass der allgemeine Wille im äußeren
Verhältnis des Gehorsams ausgebildet wird. Der allgemeine Wille muss sich also des
Weiteren ins innere Verhältnis des Selbstgehorsams verwandeln. Er muss dafür vor
allem das sich wissende Selbst aller sein, das selber vergegenständlicht ist, also von
allen bestätigt werden kann. Seine Individualisierung als das Selbst nimmt daher das
Selbst jedes Einzelnen zum Vorbild. Aber das Selbst des Einzelnen, der völlig in sich
zurückgegangen ist, steht in der höheren Entzweiung vom Allgemeinen. Bezeichnend
für das Selbst des Einzelnen ist Hegel zufolge eben die ideelle Absolutheit. Sogar selbst
gegen das Allgemeine, das bereits von allen ausgebildet ist, entäußert sich niemand
seines Selbst. Das Selbst ist ein der freien Person in der Neuzeit ganz und gar
unveräußerliches. Eher bleibt es, obzwar “vom daseyenden Allgemeinen abgetrennt”,
im Eigensinn, “doch absolut zu seyn”. Jeder will immer “in seinem Wissen sein
126
Hier ist eben die erste Abschiedsstelle des jugendlichen Ideals Hegels. HH, S. 172. Die griechische
Sittlichkeit ist von nun an nicht mehr wünschbar, weil in ihr vor allem die Form der Selbstüberzeugung
des Einzelnen in seinem Bewusstsein fehlt, wie auch Rameil bezüglich der späteren Rechtsphilosophie
und der Vorlesungen darüber darlegt. Rameil, Udo: Sittliches Sein und Subjektivität, HS 16, S. 139-162.
Hegel ist zu seiner Einsicht in die Beschränktheit der für den kleinen Freistaat geeigneten Demokratie
nach dem Bericht von Rosenkranz bereits vor der Jenaer Zeit gelangt. HLeben, S. 520.
331
Absolutes” Selbst “unmittelbar” “besitzen”. Das, was er entäußert, ist nur allein sein
wirklicher Wille. Für den Verzicht auf seine Wirklichkeit will er sich immer “nur in
seinem Wissen” gelten. Sein Bestehen als das absolute Selbst im Wissen ist zugleich die
Entäußerung der Wirklichkeit seines Willens. Realiter kommt “nur diese Entaüsserung
selbst überhaupt zum Vorschein”. Das so ausgebildete Allgemeine ist das vom
Einzelnen freie und Wirklichkeit habende Allgemeine. Jeder Einzelne hat idealiter die
“vollkommene Selbstständigkeit in sich”, und deren Wirksamkeit realiter im wirklichen
Allgemeinen. D. h. die Wirklichkeit des Selbst, das in seinem Wissen allgemein gilt,
liegt im von ihm freigelassenen Allgemeinen. Dies freie und wirkliche Allgemeine ist
daher “der Punkt der Individualität” als das Selbst aller. Das Wissen jedes Einzelnen
vom gültigen Selbst ist mit anderen Worten gerade die “öffentliche Meynung”, auf die
die wirkliche Allgemeinheit angewiesen ist, und das Selbst jedes Einzelnen im Wissen
ist eben die Individualität, die die Wirklichkeit des wirklichen Allgemeinen gestaltet (J
III.262). Aber insofern diese Wirklichkeit von allen Einzelnen aufgegeben und
freigelassen ist, ist sie als die Individualität frei vom Wissen aller und wird deshalb
nicht durch alle konstituiert. Vom Wissen aller abhängig konstituiert wird lediglich die
Allgemeinheit des freien wirklichen Allgemeinen. Der Träger des allgemeinen Willens,
dessen Individualität frei vom Wissen aller, aber dessen Allgemeinheit abhängig vom
Wissen aller ist, ist Hegel zufolge eben “der erbliche Monarch”.
Der erbliche Monarch ist im Extrem der Allgemeinheit, d. i. der Regierung, die
wirkliche Individualität, die nur das Allgemeine selbst zum Zweck hat. Seine
Erblichkeit ist zum einen die unmittelbare Natürlichkeit, die vom Wissen aller
unabhängig ist. Wenn der allgemeine Wille als ein bestimmtes Individuum gemäß dem
Wissen aller konstituiert werden sollte, wäre dies Individuum de facto jeweils nichts
mehr als ein Vertreter für ein bestimmtes Allgemeines nach dem Wissen der Mehrheit.
Dies wäre kein Überwinden, sondern nur das Festhalten des Problems der Demokratie
als die Wahl des zufälligen Vertreters aufgrund der Gewalt der Mehrheit. Zum anderen
ist die Monarchie die individuelle Wirklichkeit des allgemeinen Willens, der durch den
Monarchen erst als die Gewalt in Wirksamkeit tritt. Ohne dieses Moment würde der
durch das Wissen aller ausgebildete, allgemeine Wille nur ideell bleiben. Der erbliche
Monarch ist mit einem Wort das wirkliche Dasein des allgemeinen Willens als das
Selbst aller. Sein eigenes Selbst muss also nur rezeptiv für das Allgemeine sein, das
jeweils durch das Selbstwissen aller ausgebildet wird. Er ist wegen seiner natürlichen
Erblichkeit die selbstständige Wirklichkeit des allgemeinen Willens selbst und setzt als
Monarch zuerst das jeweilige Allgemeine in die Tat um.
Diese von Hegel verteidigte erbliche Monarchie ließe sich durch seine geschichtliche
332
Bedingtheit erklären. Aber sein Konzept ist nicht sowohl zeitlich bedingt als vielmehr
auf einer exakten Diagnose über seine Zeit gegründet, in der das demokratisch
ausgebildete Allgemeine es nötig hat, mit der stark zentralisierten Macht verbunden zu
werden. Dass später eben durch diese Macht von Bismarck die Vereinigung
Deutschlands erreicht wird, ist sehr vielsagend.127 Und zwar gehört die Macht des
Monarchen nicht einmal zu seiner Alleinherrschaft, sondern sie ist innerhalb der
Konstitution der Regierung funktionell eingerichtet. In diesem Sinne eröffnet sein
Konzept der Monarchie eine Vergleichbarkeit mit der Kanzlerschaft oder
Präsidentschaft heute.128 Vor allem ist seine Monarchie als Ergänzung und zugleich
Vollendung der Demokratie konzipiert. Der Monarch ist ihm zufolge ein solches
Individuum, das von Geburt an allein für den allgemeinen Willen bestimmt ist. Er kann
nicht nach seinem eigenen einzelnen, sondern nach dem allgemeinen Willen an der
Macht sein. Hierfür muss er als ein Einzelner höchstwahrscheinlich auch seinerseits
gebildet werden.129 Er ist nur als “der feste unmittelbare Knoten des Ganzen” mächtig.
Seine Gewalt ist zweitens auch nicht willkürlich und autoritär, sondern funktionell und
autoritativ. Er lebt nur “in der Execution aller Befehle”, die als der allgemeine Wille
entschieden und erklärt sind. Er ist die natürliche Festigkeit und treibende Kraft des
bereits erklärten allgemeinen Willens. Und diese Erklärung kommt ursprünglich eben
von der öffentlichen Meinung her. Wenn der Monarch der natürliche Festpunkt des
Ganzen ist, ist die öffentliche Meinung das “geistige Band” aller, daher ist nur das
hierauf beruhende, legislative Korps wahr, wie z. B. die “Nationalversammlung”.130
Eine gesetzgebende Instanz ohne solche Basis der öffentlichen Meinung wäre nichts als
127
HH, S. 104.
HH, S. 393.
129
Aber diese Bildung des Fürsten braucht nach den Heidelberger Vorlesungen keine spezielle Erziehung
zu sein, weil der Fürst bereits “durch die Natur” der Geburt “der Erste und so über alle Zwecke der
Besonderheit hinausgesetzt” ist. Der Fürst sieht nach der optimistischen Erklärung des reifen Hegel also
nur “mit einfach gebildetem Verstand” alle Angelegenheiten unbefangen an, für deren vernünftigen Inhalt
andererseits nur das Ministerium Verantwortung übernimmt. VNS, § 140.
130
Siep im Gegenteil interpretiert die Nationalversammlung als ‘von Hegel ausdrücklich abgelehnt’. Siep,
Ludwig: Hegels Theorie der Gewaltenteilung HR, S. 396. Ebenso Eichenseer, Georg: Die
Auseinandersetzung mit dem Privateigentum im Werk des jungen Hegel, S. 111. Aber vom Text her
gesehen ist es eher unklar, ob eine solche Instanz selbst negiert oder nicht ist. Gewiss ist nur, dass der
institutionelle Versuch, ohne Bezug auf die öffentliche Meinung Gesetze künstlich zu verbessern, also
vielleicht die von privilegierten Interessen vertretene Nationalversammlung wie die Assemblée nationale
während der französischen Revolution, von Hegel verweigert werden müsste, wie auch Otto Pöggeler den
Wandel der Abschätzung Hegels gerade in Bezug auf die ‘Représentation nationale’ des revolutionären
Frankreich erblickt. Dagegen konzipiert Hegel “das wahre legislative Korps” freilich hier noch elementar,
aber doch mit Sicherheit als eine der “Gewalten”. Pöggeler, Otto: Hegels Option für Österreich, HS 12, S.
116-123. Über die öffentliche Meinung, die in der Hinsicht der demokratischen Mehrheit, wie oben
erwähnt, beschränkt, daher zweideutig ist, siehe zum Vergleich S. 14-15. Siep, Ludwig: Was heißt:
„Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit“ in Hegels Rechtsphilosophie?, HS 17, S. 92-93.
128
333
unnütze Künstelei. Dieses repräsentative Element konstruiert auch die Regierung. Der
Monarch allein kann nicht verwalten; für die reale Durchführung des allgemeinen
Willens werden ferner “die Regierungsbeamte”131 gewählt, die “in der Verwaltung ihrer
besondren Angelegenheiten” jede Sphäre der öffentlichen Meinung vertreten. Sie
ändern und leiten umgekehrt auch wirkliche Willen und wirkliches Tun der Einzelnen
durch die Vermittlung mit dem Allgemeinen zum Allgemeinen des Ganzen. Alles dies
aber lässt sich durch die Überzeugung des erklärten allgemeinen Willens in Angriff
nehmen. Der Monarch ist drittens also eben “der letzte”, “der überzeugt” davon ist (J
III.263). Von seiner Überzeugung geht die Verwaltung aus, die den erklärten
allgemeinen Willen anwendet und verwirklicht. Hier ist die reale Rolle des Monarchen
daher, obzwar noch nicht deutlich, aber doch de facto als ziemlich begrenzt dargestellt.
Dementsprechend wird der Monarch später in der Rechtsphilosophie als “die
Persönlichkeit des Staats” definiert, durch die der allgemeine Wille zur Gewissheit
seiner selbst als des objektiven und zur Realisierung gebracht wird. Nämlich durch das
Raten und Abwägen beschließt er in der Form des “„Ich will“” den auszuführenden
allgemeinen Willen (GPR § 279). Er ist daher die letzte Instanz der Überzeugung des zu
realisierenden allgemeinen Willens und zugleich der Anfangspunkt von dessen
Realisierung. Diese funktionelle Rolle ist noch heute nicht fremd.132
Hegels konstitutionelles Konzept ist nun als ein Versuch einzuschätzen, die höhere
Entzweiung der Neuzeit selbst als “das höhere Princip” der Sittlichkeit zu entwickeln.
131
Das Staatsbeamtentum, dessen Bedeutsamkeit Hegel bereits in den Fragmenten über die Verfassung
Deutschlands betonte und dessen Bildung er in der Rechtsphilosophie betont forderte, spielte Koselle
Herunterladen