M E D I Z I N Thomas Haaf Geschlechterkonflikt im frühen Embryo Elternspezifische Reprogrammierung des väterlichen und mütterlichen Erbguts nach der Befruchtung Zusammenfassung Im frühen Säugerembryo findet eine epigenetische Reprogrammierung von väterlichem und mütterlichem Genom statt. Um die Totipotenz der embryonalen Zellen wiederherzustellen, müssen die elternspezifisch modifizierten Erbanlagen aus Spermium und Eizelle für die somatische Entwicklung kompetent gemacht werden. Genomweite Veränderungen der DNA-Methylierung spielen dabei eine entscheidende Rolle. In der befruchteten Eizelle kommt es innerhalb weniger Stunden zu einer aktiven Demethylierung des väterlichen Genoms, während das mütterliche Genom erst nach dem Zweizellembryonalstadium schrittweise demethyliert wird. Diese Asymmetrie ist Ausdruck eines Geschlechterkonfliktes. Die Eizelle, das heißt das mütterliche Genom, versucht aus der männlichen Keimbahn vererbte Methylierungsmuster, die das Embryowachstum im väterlichen Sinne beeinflussen, weitgehend auszulöschen. Stö- W ie alle höheren Lebewesen besitzt der Mensch ein diploides somatisches Genom. Das Genom ist die Summe aller DNA-Sequenzen eines Individuums. Bei der Befruchtung werden ein väterliches und ein mütterliches Genom vereinigt und bilden damit einen neuen Organismus. Kerntransferexperimente im Modellorganismus Maus haben erstmals die funktionelle Nichtäquivalenz der beiden elterlichen Genome für die embryonale Entwicklung gezeigt (24, 35). Androgenetische Embryonen mit zwei männlichen Genomen (Grafik 1) sind im Wachstum stark retardiert, während Trophoblast und Dottersack relativ gut ausgebildet sind. Dagegen entwickeln sich gynogenetische Embryonen mit zwei weiblichen Genomen relativ normal bis zur Schwangerschaftsmitte, haben aber kaum extraembryonales Gewebe. In beiden Fällen kommt es zum vorzeitigen Absterben der Schwangerschaft. Ursache ist die elternspezifische Prägung (Im- A 2300 rungen bei diesem hoch koordinierten Prozess sind wahrscheinlich eine wichtige Ursache für den Verlust von Embryonen und abnormale Entwicklungen. Langzeitstudien zur Abschätzung des epigenetischen Risikos für das Auftreten von Reprogrammierungsfehlern bei künstlicher Fortpflanzung sind dringend notwendig. Schlüsselwörter: DNA-Methylierung, früher Embryo, genomische Prägung, Genomreprogrammierung, künstliche Fortpflanzung Summary The Battle of the Sexes in the Early Embryo: Parent-Specific Reprogramming of the Paternal and Maternal Genomes after Fertilization In the early diploid mammalian embryo, the paternal and maternal genomes undergo epigenetic reprogramming of the two very printing) von einigen Genen, die ausschließlich von den väterlichen beziehungsweise mütterlichen Chromosomen exprimiert werden (4, 6, 36). Eine normale Entwicklung und ein normaler Phänotyp erfordern deshalb nicht nur einen diploiden Chromosomensatz, sondern auch eine biparentale (väterliche und mütterliche) Vererbung. Bei uniparentalen Disomien (UPD) stammen beide Chromosomen eines Paarlings, zum Beispiel beide Chromosomen 15 von einem Elternteil, während alle übrigen Chromosomen in einer väterlichen und einer mütterlichen Kopie vorliegen. Uniparentale Disomien kommen wahrscheinlich dadurch zustande, dass Embryonen, die aufgrund von Chromosomenfehlverteilungen in der mütterlichen oder väterlichen Meiose beispielsweise eine Trisomie 15 oder eine Monosomie 15 Institut für Humangenetik (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas Haaf), Johannes Gutenberg-Universität Mainz different gamete nuclei for somatic development and formation of totipotent embryonal cells. Genome-wide opposing patterns in DNA methylation are fundamental to this process. Active demethylation of the paternal genome occurs within a few hours in the fertilized egg, whereas similar demethylation of the maternal genome occurs passively step by step after the two-cell embryo stage. This asymmetry can be viewed as a battle of the two sexes, in which the egg which carries the maternal genome tries to strip off male germline-derived methylation patterns. Disturbances in this highly coordinated process may contribute to pregnancy failure and abnormal development. Long-term follow up studies are needed to estimate the epigenetic risk of reprogramming defects associated with assisted reproductive technologies. Key words: DNA methylation, early embryo, genomic imprinting, genome reprogramming, assisted, reproductive technology, aufweisen, durch den zufälligen Verlust eines überzähligen Chromosoms 15 beziehungsweise eine Chromosomenduplikation in einer der ersten Teilungen nach der Befruchtung „gerettet“ werden (Grafik 2). Mit Ausnahme der Geschlechtschromosomen führt das Fehlen eines Chromosoms immer zum Schwangerschaftsverlust. Trisomien sind nur für die Chromosomen 21 (Down-Syndrom), 13 (Pätau-Syndrom) und 18 (Edwards-Syndrom) sowie für die Geschlechtschromosomen überlebensfähig. Entsteht durch solche embryonalen „Rettungsversuche“ aus aneuploiden Zellen eine maternale oder paternale UPD 15, beobachtet man sehr unterschiedliche Krankheitsbilder (11, 15). Das Prader-Willi-Syndrom infolge maternaler UPD 15 ist durch Stammfettsucht und kurze Extremitäten mit kleinen Händen und Füßen charakterisiert. Im Neugeborenenstadium beobachtet man eine Muskelhypotonie und Trinkschwäche, die nach etwa einem Jahr in eine Fress- Jg. 100 Heft 36 5. September 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N sucht übergeht. Kinder mit AngelmanSyndrom infolge paternaler UPD 15 werden wegen der ataktischen puppenartigen Bewegungen, des lachenden Gesichtsausdrucks und der inadäquaten Lachanfälle auch als „happy puppet“ beschrieben. Sie entwickeln meist keine Sprache und leiden an progredienten Krampfanfällen. Die mentale Retardierung ist sehr viel schwerer als beim Prader-Willi-Syndrom. In der für Prader-Willi- und Angelman-Syndrom kritischen Chromosomenregion 15q11-13 liegt eine Gruppe von väterlich beziehungsweise mütterlich geprägten Genen. Das Fehlen der väterlichen Genexpression bei maternaler UPD 15 bewirkt den Prader-Willi-Phänotyp, während das Fehlen der mütterlichen Genexpression bei paternaler UPD 15 mit dem Angelman-Syndrom einhergeht. Eine andere geprägte Region liegt auf Chromosom 11p15. Bei paternaler UPD 11 bewirkt die Überexpression des väterlich exprimierten embryonalen Wachstumsfaktors Igf2 (insulin like growth factor 2) einen prä- und postnatalen Gigantismus, das so genannte Beckwith-Wiedemann-Syndrom. Weitere Auffälligkeiten sind Exomphalos, Makroglossie, Viszeromegalie und ein akzeleriertes Knochenwachstum. Die geistige Entwicklung ist dagegen normal. Etwa 10 Prozent der BeckwithWiedemann-Patienten entwickeln embryonale Mischtumoren der Niere. Für die meisten menschlichen Chromosomen wurden inzwischen UPD gefunden. Bisher sind aber nur die paternale UPD 6 (transienter neonataler Diabetes), die maternale UPD 7 (Russell-Silver-Syndrom, Wachstumsstörungen), die paternale UPD 11, die maternale und paternale UPD 14 (multiple Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen), sowie die maternale und paternale UPD 15 mit charakteristischen Krankheitsbildern verknüpft (10, 21). Bei manchen Chromosomen, zum Beispiel 13, 21 und 22, scheinen UPD keine phänotypischen Auswirkungen zu haben. UPD, die sehr früh in der Schwangerschaft zum Abort führen oder nur mit relativ unspezifischen Merkmalen (zum Beispiel Wachstumsstörungen, Fertilitätsprobleme oder er- A 2302 höhtes Krebsrisiko) einhergehen, sind allerdings nur sehr schwer nachzuweisen. Andererseits zeigen nur einige Dutzend bis 100 der 30 000 bis 40 000 menschlichen Gene eine elternspezifische Aktivität. Da diese relativ wenigen Gene nicht zufällig im Genom verteilt, sondern in Gruppen angeordnet sind (4, 6, 36), müssen nicht auf allen Chromosomen geprägte Regionen vorhanden sein. Passwort-Kodierung der elterlichen Genome durch DNA-Methylierung Die elternspezifische Prägung von Genen und Genomen findet in der väterlichen und mütterlichen Keimbahn statt. Während der Reifung der Geschlechtszellen erhalten die Chromosomen beider Elternteile verschiedene Kodierungen in Form von DNA-Methylierung, die kritisch für die Regulation der väterlichen und mütterlichen „Interessen“ bei der Entwicklung des Embryos in der nächsten Generation sind. Durch enzymatische Methylierung bestimmter Cytosinbasen wird die Chromatinstruktur und damit die Zugänglichkeit von Genen für die Transkriptionsmaschinerie gezielt beeinflusst (2, 30). Im Gegensatz zu Mutationen, welche die Basenabfolge im DNA-Molekül irreversibel verändern, wird durch Methylierung die „Lesbarkeit“ der Gensequenz reversibel modifiziert. Dieses Phänomen wird als Epigenetik bezeichnet. In Analogie zu Computerdatenbanken, in denen das Zugriffsrecht auf elektronisch abgespeicherte Informationen durch Passworte reguliert wird, verteilt die DNAMethylierung die Leserechte für genetische Informationen. Durch das Setzen von Methylierungsmustern werden Gene oder ganze Genomabschnitte für den „User“, das heißt die Zelle, lesbar beziehungsweise unlesbar gemacht. Eine Leberzelle benötigt andere Informationen aus dem gesamten genetischen Repertoire (Genom) eines Organismus als eine Muskelzelle. Die zelltypspezifische Methylierungskodierung ist in der Regel stabil und wird bei der Zellteilung an beide Tochterzellen weitergegeben („vererbt“). Grafik 1 Herstellung von uniparentalen Embryonen durch Kerntransfer. Die befruchtete Eizelle enthält ein väterliches (blau) und ein mütterliches (rot) Genom, die im Vorkernstadium durch eigene Kernmembranen voneinander getrennt sind. Entfernt man mit einer Pipette den mütterlichen Vorkern und transplantiert den väterlichen Vorkern aus einer anderen befruchteten Eizelle, erhält man einen androgenetischen Embryo mit zwei männlichen Genomen. In analoger Weise können gynogenetische Embryonen mit zwei weiblichen Genomen hergestellt werden. Entwicklungs- und Differenzierungsprozesse sind aber nur möglich, wenn die dazu benötigten passwortgeschützten Gene durch Demethylierung wieder lesbar gemacht und nicht mehr relevante Gene durch Methylierung inaktiviert werden. Die Methylierungsmuster und damit das genetische Programm einer Zelle müssen also veränderbar sein (Grafik 3). Epigenetische Reprogrammierung im frühen Säugerembryo Der Einzellembryo (befruchtete Eizelle, Zygote) wird von zwei sehr unterschiedlichen Arten von Chromatin gebildet. Die Spermien-DNA ist durch Protamine in eine fast kristalline Struktur kondensiert. Protamine sind sehr kleine basische DNA-Verpackungsproteine, die in den Spermienchromosomen die Histonproteine ersetzen. In somatischen Zellen und in der Eizelle besitzt das Chromatin eine nukleosomale (perlenkettenförmige) Struktur. Jeweils zwei Histonproteine H2a, H2b, H3 und H4 bilden das Nukleosom, um das sich die DNA-Doppelhelix windet. Die histonverpackten Chromosomen Jg. 100 Heft 36 5. September 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N der Eizelle sind sehr viel weniger kondensiert als die Spermienchromosomen und im zweiten meiotischen Metaphasestadium arretiert. Erst nach der Befruchtung komplettiert die Eizelle die Meiose durch Ausstoßung des zweiten Polkörperchens (27). In der befruchteten Eizelle und den darauf folgenden frühen Embryonalstadien findet eine dramatische Reprogrammierung von Spermien- und Eizellgenom in ein neues diploides somatisches Genom statt. Dadurch wird die Totipotenz, das heißt die Fähigkeit der embryonalen Zellen, ein ganzes Individuum zu bilden, wieder hergestellt. Bei diesem Prozess spielen genomweite Veränderungen der DNA-Methylierung eine entscheidende Rolle. Mit Ausnahme der wenigen geprägten Gene, deren keimbahnspezifische Methylierungsmuster die gesamte Entwicklung hindurch erhalten bleiben, kommt es im frühen Embryo zu einer genomweiten Demethylierung der väterlichen und mütterlichen Erbanlagen. Diese postzygotische Demethylierung ist wahrscheinlich notwendig, um die in der männlichen und weiblichen Keimbahn erworbenen elternspezifischen DNA-Modifikationen weitgehend auszulöschen und die embryonalen Zellen für eine somatische Entwicklung zu reprogrammieren. Erst nach Entfernung der keimbahnspezifischen epigenetischen Modifikationen werden entwicklungsspezifische somatische Methylierungsmuster gesetzt. Interessanterweise gibt es bei der Methylierungsreprogrammierung Unterschiede zwischen den Spezies. Bei der Maus findet die Remethylierung der embryonalen Zellen erst in der Blastozyste statt (Grafik 4), beim Rind dagegen bereits im 8- bis 16-Zellstadium (26, 28). Es ist wichtig anzumerken, dass diese dramatischen Prozesse im frühen Embryo beinahe oder vollständig unter mütterlicher Kontrolle ablaufen. Im Gegensatz zum Spermium liefert die befruchtete Eizelle nämlich nicht nur das mütterliche Genom, sondern auch die zelluläre Maschinerie für die Reprogrammierung von väterlichem und mütterlichem Genom. Grafik 2 1. Meiotische Teilung 2. Meiotische Teilung Non-Disjunction Befruchtung Embryo mit Embryo mit Trisomie eines Monosomie Chromosoms Zufälliger Verlust eines Chromosoms Biparen- Matertale nale Vererbung UPD A 2304 Ordnungsgemäße Segregation der Chromosomen Chromosomenduplikation Paternale UPD Geschlechterkonflikt beginnt unmittelbar nach der Befruchtung Durch Antikörper gegen 5-Methylcytosin kann die Dynamik der Reprogrammierungsvorgänge im frühen Mausembryo direkt sichtbar gemacht werden (22, 31). Das Spermienchromatin wird in der befruchteten Eizelle zunächst dekondensiert und die Protamine werden gegen Histone ausgetauscht. Es bildet sich der väterliche Vorkern, der bei der Maus etwas größer ist als der mütterliche. Die Immunfluoreszenzfärbung zeigt, dass beide elterlichen Genome nach der Befruchtung hochmethyliert sind (Abbildung 1a, b). Väterliches und mütterliches Genom sind in der befruchteten Eizelle zunächst noch durch eigene Kernmembranen voneinander getrennt (Abbildung 1c). In diesem Vorkernstadium wird das väterliche Genom innerhalb von ein bis zwei Stunden drastisch demethyliert, während das mütterliche Genom gleichmäßig methyliert bleibt (Abbildung 1d). Da dieser Prozess sehr rasch und Entstehung von uniparentalen Disomien. Die Meiose noch vor der ersten DNAdient der Differenzierung von haploiden Keimzellen Verdoppelung stattfindet, aus diploiden Vorläuferzellen. In der ersten meioti- muss es sich um eine aktive schen Teilung werden die homologen Chromosomen Demethylierung handeln eines Paarlings getrennt, in der zweiten meiotischen Teilung die Schwesterchromatiden eines Chromo- (Grafik 3). Erst im späten soms. In dem gezeigten Beispiel resultiert eine Fehl- Einzellembryo lösen sich verteilung (Non-Disjunction) in der Meiose II in die Vorkernmembranen auf aneuploiden Gameten, die ein Chromosom zu viel und väterliches und mütterbeziehungsweise zu wenig haben. Nach Befruchtung mit einem normalen Spermium entstehen trisome liches Erbgut kommen zum beziehungsweise monosome Embryonen, die bis auf ersten Mal in direkten Konwenige Ausnahmen nicht lebensfähig sind. Kommt takt. Ab diesem Zeitpunkt es in dem trisomen Embryo durch eine weitere gilt die befruchtete entwick(postzygotische) Chromosomenfehlverteilung zum lungsfähige menschliche EiVerlust eines überzähligen Chromosoms, entsteht wieder ein normaler (euploider) Chromosomensatz. zelle als Embryo im Sinne Hier gibt es wiederum zwei Möglichkeiten: Geht ei- des Embryonenschutzgenes der beiden aus der Eizelle vererbten Chromoso- setzes (13). Erstaunlichermen verloren, besitzt der Embryo ein väterliches weise kommt es nach der und ein mütterliches Chromosom und wird sich vollKernverschmelzung aber kommen normal weiterentwickeln. Geht aber zufällig das väterliche Chromosom verloren, besitzt der nicht zu einer sofortigen Embryo zwei mütterliche, aber keine väterliche Durchmischung von väterliChromosomenkopie. Dies bezeichnet man als mater- chen und mütterlichen Erbnale uniparentale Disomie. Der Embryo mit Monosoanlagen, wie das Embryomie kann nur „gerettet“ werden, wenn es nach der Befruchtung zu einer Duplikation des aus der väter- nenschutzgesetz unterstellt. lichen Keimbahn vererbten Chromosoms kommt. Es In der ersten Mitose liegen entsteht ein euploider Embryo mit zwei väterlichen sich hochmethylierte mütChromosomenkopien, das heißt einer paternalen terliche und demethylierUPD. Das Fehlen der väterlichen oder mütterlichen te väterliche Chromosomen Genexpression bewirkt bei der UPD 15 und einigen anderen uniparentalen Disomien schwere Entwick- getrennt gegenüber (Abbildung 1e). Der Methylielungsstörungen. UPD, uniparentale Disomie. Jg. 100 Heft 36 5. September 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N Grafik 3 rungsgrad der mütterlichen DNA bleibt nen Genome. Da überzählige mütterlivon der unbefruchteten Eizelle bis zum che Genome in gynogenetischen oder Zweizellstadium unverändert. In beiden parthenogenetischen Mäuseembryonen Zellkernen eines Zweizellembryos im- nicht demethyliert werden (1), kann die ponieren eine methylierte mütterliche Eizelle die DNA aus der väterlichen und eine demethylierte väterliche Kern- und der mütterlichen Keimbahn offenhälfte (Abbildung 1f). Diese Genomse- bar unterscheiden und das mütterliche parierung löst sich erst ab dem Vierzell- Erbgut vor der Demethylierungsaktistadium schrittweise auf (23). Nach dem vität schützen. Die dramatische DemeZweizellstadium kommt es dann passiv thylierung der paternalen zygotischen zu einer graduellen Demethylierung des DNA kann als „Waffe“ im Geschlechweiblichen Genoms. Da die enzymati- terkonflikt interpretiert werden (14, 29). sche Maschinerie zur Weitergabe der Die genetische Konflikthypothese von Methylierungsmuster an die Tochterzel- Moore und Haig (25) erklärt die Evolulen im frühen Embryo inaktiviert ist (5), tion von Imprintingmechanismen bei geht bei jeder DNA-Verdoppelung die Säugetieren mit den unterschiedlichen Hälfte der Methylgruppen verloren. Die elterlichen Interessen bezüglich der Methylierung der mütterlichen Kernhälfte ist deshalb im Vier- Methylierungsreprogrammierung im frühen Grafik 4 Säugerembryo. Zum Zeitpunkt der Befruchzellembryo deutlich schwächer tung sind beide Genome hochmethyliert. (Abbildung 1g) als im Zweizel- Das väterliche Genom (blau) wird noch in der ler. Im 16- bis 32-Zellstadium Zygote aktiv demethyliert. Der Methylieist dann auch das mütterliche rungsgrad des weiblichen Genoms (rot) Genom nahezu vollständig de- bleibt bis zum Zweizellstadium unverändert hoch und reduziert sich dann mit jeder Zellmethyliert (Grafik 4). teilung (DNA-Verdoppelung) um die Hälfte. Die befruchtete Eizelle, das Bei der Maus sind die embryonalen Zellen bis heißt das mütterliche Genom, zum Blastozystenstadium maximal demethydemethyliert unmittelbar nach liert, das heißt mit Ausnahme einiger weniger geprägter Gene ist die gesamte Erbinforder Befruchtung das väterliche mation lesbar gemacht. Aus der inneren ZellGenom, und zwar unabhängig masse der Blastozyste können embryonale von der Anzahl der vorhande- Stammzellkulturen etabliert werden. A 2306 Entwicklung des Embryos. Väterlich exprimierte Gene tendieren dazu, das Embryowachstum ohne Rücksicht auf die mütterlichen Ressourcen zu steigern. Mütterlich exprimierte Gene wirken dem entgegen und reduzieren das Embryowachstum soweit, dass auch weitere Schwangerschaften (eventuell mit anderen Vätern) möglich sind. Das maternale Genom benutzt aktive Demethylierungsmechanismen, um das väterliche epigenetische Programm weitgehend auszuschalten. Soweit bekannt, scheinen nur sehr wenige Methylierungen aus der männlichen Keimbahn diesem Prozess zu entgehen (28, 29). Das väterliche Genom hat deshalb im Lauf der Evolution alternative Strategien entwickelt, um „missliebige“ Gene zum Beispiel durch die Expression von Antisensetranskripten zu inaktivieren. Die dynamischen DNA-Methylierungsmuster sind das Resultat von Methylierungs- und Demethylierungsprozessen. a) Die Genome aus der männlichen und weiblichen Keimbahn sind hochmethyliert. An die Cytosinbasen von GC/CG-Dinukleotiden angeheftete Methylgruppen bewirken eine spiegelsymmetrische Methylierung beider DNA-Stränge der Doppelhelix. Bei der aktiven Demethylierung der väterlichen DNA in der befruchteten Eizelle entfernt eine bisher unbekannte Demethylase diese Methylgruppen vom DNA-Molekül. b) Die DNA in 16- bis 32-zelligen Mausembryonen ist vollkommen demethyliert. c) Bestimmte DNA-Methyltransferasen können Methylgruppen an die Cytosinbasen von unmethylierten GC/CG-Dinukleotiden anheften. So werden in den embryonalen Zellen der Blastozyste zelltyp- und entwicklungsspezifische Methylierungsmuster gesetzt. d) Methylcytosin kann nicht direkt in die neu synthetisierte DNA inkorporiert werden. Bei der DNA-Verdoppelung (Replikation), die der Zellteilung vorausgeht, entstehen deshalb hemimethylierte DNA-Moleküle, die nur im parentalen Strang Methylgruppen aufweisen. Erst nachdem die DNA-Methyltransferase wieder Methylgruppen an die entsprechenden Stellen im neu synthetisierten (grauen) Strang angeheftet hat, ist auch das Methylierungsmuster kopiert. Bei der passiven (replikationsabhängigen) Demethylierung, zum Beispiel der mütterlich DNA im Präimplantationsembryo, ist die DNAMethyltransferase inaktiv. Wenn keine Methylgruppen an die neusynthetisierte DNA mehr angeheftet werden, geht mit jeder DNA-Verdoppelung und Zellteilung die Hälfte der Methylierungen verloren. Reprogrammierungsdefekte als Ursache für Embryoverlust und Imprintingkrankheiten Die Methylierungsreprogrammierung der beiden elterlichen Genome im frühen Embryo ist ein zeitlich und topologisch hoch koordinierter Prozess. So ist es nicht verwunderlich, dass es dabei zu Jg. 100 Heft 36 5. September 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N Fehlern kommt, die nicht mit einer a normalen Entwicklung vereinbar sind. Ungefähr 10 Prozent normal befruchteter Mäuseembryonen zeigen im Zweizellstadium abnormale Methylierungsmuster. In einem Teil der Zellkerne wurde das mütc terliche Genom vorzeitig demethyliert (Abbildung 2a, b), in anderen Zellkernen ist die zygotische Demethylierung des väterlichen Genoms ausgeblieben (Abbildung 2c, d). Die Häufigkeit von solchen e Embryonen mit androgenetischen (rein männlichen) oder gynogenetischen (rein weiblichen) Methylierungsmustern korreliert mit der Anzahl der Embryonen, die sich in Kultur nicht zur Blastozyste weiterentwickeln (33). Bei Superovug lation der Mausweibchen verdoppeln sich die Inzidenz abnormal methylierter Embryonen und die Embryoverlustrate. Die Kulturbedingungen von in vitro fertilisierten (IVF) Mäuseembryonen haben ebenfalls erheblichen Einfluss auf die Häufigkeit von Reprogrammierungsdefekten. Die unterschiedlichen Embryoverlustraten in Mäusestämmen mit verschiedenem genetischem Hintergrund weisen darauf hin, dass auch genetische Faktoren eine Rolle spielen. Störungen der Methylierungsreprogrammierung sind wahrscheinlich für den häufigen Verlust von menschlichen Embryonen nach normaler und künstlicher Befruchtung mitverantwortlich. Im Vergleich zur Keimbahn, in der ebenfalls genomweite elternspezifische Umprogrammierungsprozesse stattfinden (28), ist der Präimplantationsembryo relativ schlecht vor Umwelteinflüssen geschützt. Zu keinem anderen Zeitpunkt in der Entwicklung ist die Epigenetik eines Individuums so anfällig gegenüber der Umwelt. Es besteht begründeter Verdacht, dass Imprintingkrankheiten, wie zum Beispiel Beckwith-Wiedemann- (9) und AngelmanSyndrom (7) bei Kindern, die durch IVF oder intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) gezeugt wurden, gehäuft vorkommen. Das erniedrigte Geburtsgewicht bei künstlicher Befruchtung (32) passt ebenfalls gut zu einer Fehlregulation von geprägten Ge- b d f nen, welche das Embryowachstum steuern. Tierexperimentelle Studien haben bereits gezeigt, dass die Kulturbedingungen und Manipulation von in vitro kultivierten Embryonen die Expression von geprägten Genen und das fetale Wachstum beeinflussen können (12, 20). Außerdem scheint die Fehlbildungsrate bei ICSI erhöht (16), wobei man allerdings berücksichtigen muss, dass die Eltern oft älter und/oder genetisch vorbelastet sind. Langzeitstudien bei einer größeren Zahl von IVF- und ICSI-Kindern sind für die Abschätzung des genetischen und epigenetischen Risikos bei den modernen Reproduktionstechnologien unbedingt erforderlich. Geprägte Gene beeinflussen nicht nur das Wachstum von Fetus und Plazenta, sondern spielen auch für die Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten und Verhalten, sowie bei der Krebsentstehung eine wichtige Rolle (11, 15, 36). Vor einer künstlichen Befruchtung sollte das erhöhte Risiko für Imprintingstörungen und größere Fehlbildungen mit den Eltern im Rahmen einer genetischen Beratung besprochen werden. Jg. 100 Heft 36 5. September 2003 Deutsches Ärzteblatt Abbildung 1: Elternspezifische Methylierungsreprogrammierung im frühen Mausembryo. Methylierte DNA-Sequenzen sind durch Immunfluoreszenz mit einem Anti5-Methylcytosin-Antikörper grün markiert, demethylierte Sequenzen erscheinen durch die Gegenfärbung mit DAPI blau. a) Befruchtete Eizelle mit Spermienkern (m), mütterlichem Chromosomensatz (w) und zweitem Polkörperchen (Pk). b) Weiblicher (w) und männlicher (m) Chromosomensatz sind ein bis drei Stunden nach der Befruchtung hochmethyliert. c) Phasenkontrastaufnahme eines Vorkernstadiums. Weiblicher (w) und männlicher (m) Vorkern liegen sich in der Zygote getrennt gegenüber. d) Die Immunfluoreszenzfärbung einer vergleichbaren Zygote zeigt mehrere Stunden nach Befruchtung einen vollkommen demethylierten väterlichen Vorkern (m). Mütterlicher Vorkern (w) und zweites Polkörperchen bleiben hochmethyliert. e) Erste Mitose nach der Kernverschmelzung etwa 20 Stunden nach Befruchtung. Hochmethylierte mütterliche und demethylierte väterliche Chromosomen sind nicht durchmischt. f) Zweizellembryo etwa 30 Stunden nach der Befruchtung. Jeder Zellkern hat eine hochmethylierte mütterliche (w) und eine demethylierte väterliche (m) Hälfte. g) Vierzellembryo etwa 45 Stunden nach der Befruchtung. Der Methylierungsgrad der mütterlichen Kernhälfte hat deutlich abgenommen. Das zweite Polkörperchen bleibt unverändert hoch methyliert und dient als Färbekontrolle. Für alle neugeborenen Kinder besteht ein allgemeines Basisrisiko von 3 bis 5 Prozent, dass bei Geburt eine nicht vorhersehbare Störung oder Erkrankung vorliegt. Dieses Risiko ist bei ICSI-Kindern wahrscheinlich verdoppelt. Medizinische Unverantwortlichkeit der Embryoklonierung Dass die reproduktive Klonierung von Säugerembryonen – wenn auch mit einer geringen Effizienz – möglich ist, wurde an bisher acht Spezies gezeigt, darunter Schaf, Rind, Schwein und Maus. Bei der Klonierung wird das diploide Spendergenom einer Körperzelle in eine aktivierte entkernte Eizelle eingesetzt. Abhängig von Spezies und Spenderzelltyp entwickeln sich aber nur sehr wenige (0,1 bis 3 Prozent) Klone bis zur Geburt (34). Plazenta und Fetus sind häufig zu groß (Largeoffspring-Syndrome) und erinnern an epigenetischen Gigantismus, wie er zum Beispiel beim Beckwith-Wiedemann- A 2307 M E D I Z I N a b c d Abbildung 2: Reprogrammierungsdefekte in zweizelligen Mausembryonen. a, b) Vorzeitige Demethylierung des weiblichen Genoms in einem oder beiden Zellkernen. c, d) Fehlende Demethylierung der väterlichen Chromosomen. Abnormale Methylierungsmuster sind Zeichen einer frühen Entwicklungsstörung. Syndrom durch die gesteigerte Aktivität des väterlich exprimierten Wachstumsfaktors Igf2 verursacht wird. Die perinatale Sterblichkeit ist erhöht, und auch bei Geburt scheinbar normale Klone haben später häufig Probleme, unter anderem Lungenversagen, Leberfibrose, Nierenfibrose, Kardiomyopathien, Anämien und Immundefekte. Da diese Erkrankungen im Allgemeinen nicht an die Nachkommen von klonierten Tieren weitervererbt werden, liegt die Ursache wohl nicht in genetischen Veränderungen (Mutationen) sondern epigenetischen Störungen (17, 37). Die Reprogrammierungsmaschinerie der befruchteten Eizelle erwartet zwei unterschiedlich modifizierte Keimzellgenome und ist darauf spezialisiert, aus der männlichen Keimbahn vererbte Methylierungsmuster auszulöschen. Die väterlichen und mütterlichen Chromosomen einer transplantierten Körperzelle zeigen im Vergleich zu Spermium und Eizelle weitgehend identische DNAModifikationen (nur geprägte Gene haben ihre Keimbahn-spezifischen Muster beibehalten), sodass die Methylierungsreprogrammierung nicht ordnungsgemäß ablaufen kann. Tatsächlich haben mehrere Studien die inkomplette und sehr variable Demethylierung des di- A 2308 ploiden Spendergenoms in klonierten Rinderembryonen gezeigt (3, 8, 19). In den meisten Fällen sind diese Reprogrammierungsdefekte offenbar nicht mit einer normalen Entwicklung bis zur Geburt vereinbar. Bei Klonierungsexperimenten in der Maus wiesen die wenigen bis zur Geburt überlebenden Klone abnormale Genexpressionsmuster in somatischen Geweben (Leber) und Plazenta auf (18). Der immense Verlust von Schwangerschaften und die abnormalen Phänotypen bei klonierten Säugetieren beweisen, dass die korrekte Reprogrammierung eines somatischen Zellkerns durch die aktivierte Eizelle ein extrem seltenes Ereignis ist oder, wenn man die korrekte Expression des gesamten Genoms als Maßstab nimmt, gar nicht möglich ist. Allein aus medizinischen Gründen ist die reproduktive Klonierung eines menschlichen Embryos deshalb in höchstem Maße unverantwortlich. Chromatin: Das Material (DNA, chromosomale Proteine und geringe Mengen RNA), aus dem die Chromosomen bestehen. Durch basische Histonproteine und saure Nicht-Histone wird der (in menschlichen Körperzellen) auf 46 Chromosomen verteilte und insgesamt etwa zwei Meter lange DNA-Faden in höhergeordnete Strukturen verpackt und dabei um einen Faktor von etwa 10 000 kondensiert. Embryoklonierung: Herstellung von Embryonen mit dem Erbmaterial aus somatischen Zellen unter Umgehung der Keimbahn. Durch Kerntransfer wird das diploide Spendergenom einer Körperzelle in eine aktivierte entkernte Eizelle eingesetzt. Beim therapeutischen Klonieren wird der in vitro kultivierte Embryo zur Herstellung von individualspezifischen embryonalen Stammzellen benutzt. Beim reproduktiven Klonieren wird der Embryo in den Uterus einer Leihmutter implantiert, um ein mit dem Spender genetisch identisches Individuum zu erzeugen. Embryonale Stammzellen: Undifferenzierte pluripotente Zellen eines Embryos (innere Zellmasse der Blastozyste), die noch jeden beliebigen Zelltyp, aber kein ganzes Individuum mehr bilden können. Epigenetik: Mitotisch oder meiotisch vererbbare Veränderungen des genetischen Informationsgehaltes einer Zelle, die ihre Grundlage in reversiblen Modifikationen der Erbinformation haben, jedoch keine konstanten Veränderungen (Mutationen) der genetischen Information darstellen. Genom: Alle DNA-Sequenzen eines Individuums oder im weiteren Sinn einer Spezies. Transkribierte und/oder proteinkodierende Sequenzen (Gene) repräsentieren nur wenige Prozent des menschlichen Genoms, während repetitive Sequenzen ohne direkte Funktion über 50 Prozent des Genoms ausmachen. Im Rahmen des Humangenomprojektes wurden die etwa 3,1 Milliarden Basenpaare des menschlichen Genoms entschlüsselt. Genomische Prägung (Imprinting): Im Gegensatz zu den Mendelschen Regeln, nach denen elterliche Allele unabhängig voneinander segregieren und phänotypisch aktiv sind, weisen einige Gene eine klare elternabhängige Aktivität auf, das heißt nur die väterliche oder die mütterliche Genkopie wird exprimiert. Parthenogenetische Embryonen: Durch die experimentelle Aktivierung einer unbefruchteten Eizelle wird die Ausstoßung des zweiten Polkörperchens verhindert. Der sich entwickelnde Embryo besitzt zwei mütterliche Genome (aus Eizelle und Polkörperchen). Totipotenz: Die Eigenschaft von undifferenzierten Zellen eines frühen Embryos (Vier- bis Achtzellstadium), ein komplettes Individuum zu bilden. Manuskript eingereicht: 1. 4. 2003, revidierte Fassung angenommen: 10. 6. 2003 ❚ Zitierweise dieses Beitrags: Dtsch Arztebl 2003; 100: A 2300–2308 [Heft 36] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit3603 abrufbar ist. Glossar Blastozyste: Frühes Embryonalstadium aus 64 bis 128 Zellen, das beim Menschen etwa am fünften Tag nach der Befruchtung beginnt. Die Zellen nisten sich in die Gebärmutterschleimhaut ein. Die Blastozyste ist bereits in eine innere Zellmasse (Embryoblast) und eine äußere Zellschicht (Trophoblast) differenziert. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Thomas Haaf Institut für Humangenetik Johannes Gutenberg-Universität Mainz Langenbeckstrasse 1 55131 Mainz E-Mail: [email protected] Jg. 100 Heft 36 5. September 2003 Deutsches Ärzteblatt