2005-3-Schwerpunkt Epigenetik.qxd

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Thomas Haaf
Epigenetik
Epigenetische Genomreprogrammierung im frühen Säugerembryo:
Mechanismen und Pathologie
Institut für Humangenetik
Johannes GutenbergUniversität
Mainz
Zusammenfassung
Die beiden hochmethylierten gene
tisch inaktiven Genome aus der väter
lichen und mütterlichen Keimbahn
müssen nach der Befruchtung für die
somatische Entwicklung des neuen
Organismus reprogrammiert werden.
Bei der Maus und den meisten ande
ren Säugetierspezies (einschließlich
des Menschen) wird der väterliche
Vorkern von der befruchteten Eizelle
innerhalb weniger Stunden drastisch
demethyliert. Das mütterliche Genom
ist vor dieser aktiven Demethylierung
geschützt und wird erst ab dem Zwei
zellstadium durch einen replikations
abhängigen Mechanismus schritt
weise passiv demethyliert. Elternspe
zifische epigenetische Modifikationen
bedingen im frühen Säugerembryo
(bis etwa zum Morulastadium) eine
Genomasymmetrie, die als zytologi
sches Korrelat eines Geschlechter
konfliktes bei der Programmierung
des neuen diploiden somatischen Ge
noms interpretiert werden kann. Die
aktiven und passiven Demethylie
rungswellen sind wahrscheinlich not
wendig, um die beiden Keimbahnge
nome, insbesondere das extrem kon
densierte Spermienchromatin für die
somatische Entwicklung „wiederzube
leben“ und bereits im frühen Embryo
von der maternalen zur embryonalen
Kontrolle der Entwicklung überzu
wechseln. Reprogrammierungsstö
rungen sind eine wichtige Ursache für
den Verlust von Embryonen/Schwan
gerschaften und abnormale Phänoty
pen. Häufigkeit und Schwere der epi
genetischen Defekte nehmen zumin
dest im Tierexperiment zu, wenn man
mit artifiziellen Reproduktionstechni
ken (ART) in die Entwicklung von Ga
meten und/oder frühen Embryonen
eingreift oder durch den Transfer von
somatischen Zellkernen in Eizellen bei
der Embryoklonierung die Keimbahn
umgeht. Ein besseres Verständnis des
epigenetischen Reprogrammierungs
prozesses in der befruchteten Eizelle
und im frühen Embryo und von even
tuell modifizierenden genetischen und
Umweltfaktoren ist sowohl für eine
Therapie von infertilen Paaren, als
auch für die Herstellung menschlicher
embryonaler Stammzelllinien für die
Zellersatztherapie wichtig. Obwohl
ART beim Menschen in grossem Um
fang angewandt werden, ist die Epi
genetik der Reproduktion ein bisher
vernachlässigtes Forschungsgebiet.
Schlüsselwörter
DNAMethylierung, Genomrepro
grammierung, Imprinting, Präimplan
tationsphase, Schwangerschaftsver
lust
Abstract
After fertilization the two highly
methylated
genetically
inactive
genomes from the male and female
germ lines must be reprogrammed for
somatic development of the new
organism. In mouse and most other
mammalian species (including hu
mans), the paternal genome is
drastically demethylated within a few
hours of fertilization in the fertilized
egg. The maternal genome is pro
tected from this active demethylation
and gradually passively demethylated
by a replicationdependent mecha
nism after the twocell embryo stage.
Parentspecific epigenetic modifica
tions in the early mammalian embryo
are associated with genome asym
metry, which may be considered as
cytological correlate of a parental
conflict regarding programming of the
new diploid somatic genome. The
active and passive demethylation
waves may be necessary to “revive”
the two germ line genomes, in par
ticular the highly condensed sperm
chromatin for somatic development
and for an early transition from
maternal to embryonal control of
development. Reprogramming distur
bances may contribute to embryo/
pregnancy loss and abnormal pheno
types. At least in animal experiments
the frequency and severity of epi
genetic defects increase after inter
fering with development of gametes
and/or early embryos by artificial
reproductive technologies (ART) or
when bypassing the germ line by
transfer of somatic cell nuclei into
oocytes during embryo cloning. A
better understanding of the epi
genetic reprogramming process in the
fertilized egg and the early embryo
and of possible genetic modifiers and
environmental factors is crucial for
improving human infertility treatment
and/or the generation of human
embryonal stem cell lines for cell
replacement therapy. Although ART
are widely applied in humans, re
search on epigenetics of reproduction
has been neglected so far.
Key words
DNA methylation, genome repro
gramming, imprinting, pregnancy
loss, preimplantation period
medgen 17 (2005)
275
Epigenetik
Abb 1 Elternspezifische Methylierungs
reprogrammierung im frühen
Säugerembryo
Bild oben
Methylcytosinfärbung (mit einem FITCkonjugier
ten grünfluoreszierenden antiMethylcytosin
Antikörper) von einzelligen Mausembryonen
(Vorkernstadien) 1, 3 und 8 Std. nach der Be
fruchtung, sowie einem zweizelligen Embryo
26 Std nach Befruchtung. Die KernDNA ist mit
DAPI (blau) gegengefärbt. Die im väterlichen und
mütterlichen Vorkern räumlich getrennten Keim
bahngenome weisen zunächst beide einen rela
tiv hohen Methylierungsgrad auf. Der (bei der
Maus) etwas größere väterliche Vorkern wird je
doch innerhalb weniger Stunden drastisch de
methyliert und verliert seine grüne Methylcyto
sinfärbung. Nach Vorkernverschmelzung und er
ster Zellteilung zeigen die Kerne von Zweizellem
bryonen eine bereits demethylierte väterliche
Kernhälfte und eine noch komplett methylierte
mütterliche Kernhälfte.
Einleitung
Seit den bahnbrechenden Vorkern
transferexperimenten in den frühen
1980er Jahren (Surani et al., 1984)
wissen wir, dass im Gegensatz zu nie
deren Vertebraten bei Säugetieren so
wohl ein väterliches als auch ein müt
terliches Genom für eine normale Ent
wicklung benötigt werden. Aufgrund
von (reversiblen) epigenetischen Mo
difikationen in der väterlichen und
mütterlichen Keimbahn sind die bei
den elterlichen Genome, die in der
befruchteten Eizelle zusammenkom
men, funktionell nicht gleichwertig.
Die genomische Prägung (engl. „Im
printing“) in der elterlichen Keimbahn
ist dafür verantwortlich, dass be
stimmte Gene während der Entwick
lung und/oder im ausgewachsenen
Organismus nur von den väterlichen
oder mütterlichen Chromosomen ex
primiert werden (Lucifero et al., 2004).
Imprintingmechanismen wurden bei
Säugetieren wahrscheinlich entwi
ckelt, um die unterschiedlichen elter
lichen Interessen bezüglich der Be
reitstellung von maternalen Res
sourcen für das neue Individuum zu
regulieren („Geschlechterkonflikt
hypothese“). Väterlich exprimierte
Gene tendieren dazu, das Embryo
wachstum zu steigern, während müt
terlich
exprimierte
Gene
das
Wachstum soweit reduzieren, dass
auch weitere Schwangerschaften
(eventuell mit anderen Vätern) mög
lich sind (Moore und Haig, 1991).
276
medgen 17 (2005)
Für die zeitlich, räumlich und eltern
spezifisch koordinierte Genexpression
ist die Methylierung von CpGDinu
kleotiden von entscheidender Bedeu
tung. Die DNAMethylierung ist ein
epigenetischer Mechanismus, der
eine posttranslationelle Modifikation
von Histonen zur Etablierung und/
oder Aufrechterhaltung einer inaktiven
Chromatinstruktur bewirkt (Jaenisch
und Bird, 2003). Die Zelltypspezifi
schen Methylierungsmuster in soma
tischen Zellen sind in der Regel stabil
und werden bei der Zellteilung weiter
vererbt. Im Gegensatz dazu finden
nach der Befruchtung dramatische
Veränderungen der DNAMethylierung
der beiden elterlichen Genome statt.
Man nimmt an, dass diese genom
weite Methylierungsreprogrammie
rung für die Wiederherstellung der To
tipotenz von embryonalen Zellen not
wendig ist (Reik et al., 2001).
Die befruchtete Eizelle hat das Poten
tial, einen neuen Organismus zu bil
den. Für die Ausbildung des neuen
diploiden somatischen Genoms müs
sen aber die beiden sehr unterschied
lichen Keimbahngenome erst neu
programmiert werden. Die aus der vä
terlichen bzw. mütterlichen Keimbahn
ererbten elternspezifischen Modifika
tionen von DNA und Chromatin wer
den nach der Befruchtung nahezu
komplett entfernt und in beiden elter
lichen Allelen werden identische neue
somatische Methylierungsmuster ge
setzt. Nur die relativ wenigen elterlich
Bild unten
Schematische Darstellung der Methylierungsre
programmierung von väterlichem (blau) und müt
terlichem (rot) Genom im frühen Mausembryo.
Das aus dem Spermium kommende väterliche
Genom wird von der befruchteten Eizelle aktiv
demethyliert. Das mütterliche Genom wird erst
ab dem Zweizellstadium schrittweise durch ei
nen replikationsabhängigen Mechanismus de
methyliert, d.h. mit jeder DNAVerdoppelung und
Zellteilung geht die Hälfte der Methylgruppen
verloren. Im Morulastadium (der Maus) sind dann
beide elterlichen Genome maximal demethyliert
und es werden neue somatische Methylierungs
muster gesetzt. Durch die genomweiten Deme
thylierungs und Remethylierungswellen werden
die Keimbahnunterschiede zwischen väterlichen
und mütterlichen DNASequenzen weitgehend
beseitigt. Nur relativ wenige geprägte Gene ent
gehen diesem Reprogrammierungsprozess im
frühen Embryo und behalten ihre differentiellen
Keimbahnmethylierungsmuster bei.
geprägten Gene (man schätzt 100
200 der etwa 30.000 Säugergene)
sind durch einen unbekannten Me
chanismus vor diesem Reprogram
mierungsprozess geschützt und be
halten ihre elternspezifischen Keim
bahnmuster während der gesamten
weiteren Entwicklung bei.
Aktive zygotische Demethylierung
des väterlichen Genoms in der
befruchteten Eizelle
Das Spermium bringt nur das väterli
che Genom in die befruchte Eizelle,
die neben dem mütterlichen Genom
auch die gesamte Reprogrammie
rungsmaschinerie bereitstellt. Die
sehr frühe embryonale Entwicklung
ist also fast vollständig unter mater
naler Kontrolle. Durch die Immunfluo
reszenzfärbung mit einem Antikörper
gegen 5Methylcytosin kann die akti
ve Demethylierung des väterlichen
Genoms durch die Eizelle direkt sicht
bar gemacht werden (Mayer et al.,
2000; Santos et al., 2002). Interpre
tiert man diesen Befund im Sinne der
Epigenetik
Geschlechterkonflikthypothese (Moo
re und Haig, 1991), versucht die Eizel
le, d.h. das maternale Genom aus der
väterlichen Keimbahn ererbte epige
netische Informationen weitgehend
auszulöschen.
Das Protaminverpackte Spermienge
nom und die mütterlichen Meiose II
Chromosomen bilden in der Zygote
zwei räumlich getrennte Vorkerne. Das
reziproke Produkt der zweiten meioti
schen Teilung wird mit dem zweiten
Polkörperchen erst nach der Befruch
tung ausgestoßen. Sowohl väterliches
als auch mütterliches Genom sind zu
nächst hochmethyliert (Abb. 1, Zygo
ten 1 und 3 Std. nach Befruchtung),
weisen aber auf DNASequenzebene
elternspezifische (keimbahnspezifi
sche) Unterschiede in den Methylie
rungsmustern auf. Bei der Maus und
den meisten anderen Säugetierspezies
wird innerhalb weniger Stunden nach
Befruchtung der väterliche Vorkern
drastisch demethyliert (Abb. 1, Zygote
8 Std. nach Befruchtung). Da diese
Demethylierung sehr rasch und noch
vor der ersten DNAReplikation statt
findet, muss es sich um einen aktiven
Prozess handeln. Über die zugrunde
liegende enzymatische Aktivität kann
bisher nur spekuliert werden. Es ist
möglich, dass die Methylcytosine
durch eine Art Basenexcisionsrepara
tur gegen Cytosine ausgetauscht wer
den oder die Methylgruppen von der
DNA abgespalten werden.
Bei gleichzeitiger Befruchtung einer
Eizelle durch mehrere Spermien und
in androgenetischen Embryonen wer
den alle väterlichen Genome deme
thyliert, während zusätzliche weibli
che Genome in gynogenetischen und
parthenogenetischen Embryonen me
thyliert bleiben (Barton et al., 2001;
Santos et al., 2002). Dies macht einen
Zusammenhang zwischen aktiver De
methylierung und Remodellierung des
Spermienchromatins in der Eizelle
wahrscheinlich. Das hochkondensier
te, beinahe kristalline Spermienchro
matin muss nach der Befruchtung de
kondensiert und die Protamine müs
sen gegen Histone ausgetauscht wer
den. Während dieses ProtaminHi
stonAustausches ist die väterliche
DNA „nackt“ und bietet im Gegensatz
zur nukleosomal verpackten mütter
lichen DNA eine ideale Angriffsfläche
für eine maternale Demethylierungs
aktivität. Auf der anderen Seite könn
te die zygotische Demethylierung des
paternalen, aber nicht des materna
len Genoms ihre Ursache in unter
schiedlichen Histonmodifikationen
von väterlichem und mütterlichem
Chromatin haben. Der väterliche Vor
kern in der Zygote zeigt eine transien
te Hyperacetylierung von Histon H4
(Santos et al., 2002). Das mütterliche
Genom ist präferentiell mit dem me
thylierten Histon H3 assoziiert (Cowell
et al., 2002).
Die aktive zygotische Demethylierung
des väterlichen Genoms ist bei Maus,
Ratte, Schwein, Rind und Mensch
konserviert (Mayer et al., 2000; Dean
et al., 2001), was für ihre funktionelle
Bedeutung spricht. Es gibt jedoch
wichtige Speziesunterschiede. So
scheint die Demethylierungsaktivität
in Mauseizellen größer zu sein als in
Rindereizellen (Beaujean et al., 2004).
Es gibt auch Spezies, wie z.B. Schaf
und Kaninchen, die zumindest auf zy
tologischer Ebene überhaupt keine
detektierbare Demethylierung des vä
terlichen Vorkerns zeigen (Shi et al.,
2004). Es wird vermutet, dass aktive
Demethylierungsmechanismen eine
frühe Aktivierung des embryonalen
Genoms ermöglichen. Während bei
der Maus das embryonale Genom be
reits ab dem Zweizellstadium transkri
biert wird, läuft beim Kaninchen fast
die gesamte Präimplantationsentwik
klung unter mütterlicher Kontrolle ab.
Passive Demethylierung des
maternalen Genoms
Der hohe Methylierungsgrad des müt
terlichen Genoms bleibt in der Maus
eizelle bis zum Zweizellstadium erhal
ten. Selbst nach Auflösung der Vor
kernmembranen im späten Einzell
Embryo und der ersten mitotischen
Teilung bleiben die beiden elterlichen
Genome räumlich getrennt. Die Kerne
von MausZweizellEmbryonen zeigen
eine hochmethylierte mütterliche und
eine demethylierte väterliche Kern
hälfte (Abb. 1, ZweizellEmbryo 26 Std.
nach Befruchtung). Diese Genomse
parierung löst sich erst ab dem Vier
zellstadium schrittweise auf.
In diesem Zusammenhang ist es inter
essant, anzumerken, dass die be
fruchtete entwicklungsfähige mensch
liche Eizelle ab dem Zeitpunkt der
Kernverschmelzung als Embryo im
Sinne des Embryonenschutzgesetzes
(1990) gilt und deshalb eine Präim
plantationsdiagnostik in Deutschland
nicht möglich ist. Die Genomasymme
trie im ZweizellEmbryo und auch
noch späteren Stadien macht aber
deutlich, dass das neue diploide so
matische Genom nicht einfach mit
Auflösung der Vorkernmembranen
durch eine simple Durchmischung von
väterlichen und mütterlichen Chromo
somen entsteht, sondern dass die bei
Befruchtung sehr unterschiedlichen
elterlichen Genome in einem Repro
grammierungsprozess erst aneinander
angeglichen werden müssen. Die Be
seitigung der aus der männlichen und
weiblichen Keimbahn ererbten Methy
lierungsmuster (mit Ausnahme der dif
ferentiell methylierten Regionen von
geprägten Genen) ist beim Rind im 8
16Zellstadium, bei der Maus sogar
erst in der Morula abgeschlossen
(Reik et al., 2001) (Abb. 1, Graphik).
Deshalb ist es auch frühestens ab die
sem Zeitpunkt sinnvoll, vom somati
schen Genom des neuen Organismus
zu sprechen.
Das mütterliche Genom wird ab dem
Zweizellstadium graduell durch einen
replikationsabhängigen Mechanismus
demethyliert. Weil Methylcytosin nicht
direkt in die replizierende DNA einge
baut werden kann, erfordert die Auf
rechterhaltung der Methylierungsmu
ster DNAMethyltransferase 1 (DNMT1),
die eine hohe Affinität für bei der Re
plikation gebildete hemimethylierte
DNA besitzt. Dieses Enzym erkennt
methylierte CpGs im parentalen DNA
Strang und heftet neue Methylgrup
pen an die komplementären Stellen
im neusynthetisierten Strang an. In
frühen Embryonen ist die oocyten
spezifische Isoform von DNMT1 im
Zytoplasma separiert und kann nicht
an hemimethylierte DNA im Zellkern
binden (Cardoso und Leonhardt,
1999). D.h. mit jeder DNAReplikation
und Zellteilung geht die Hälfte der
Methylgruppen verloren. Im 1632
Zellstadium sind väterliches und müt
terliches Genom gleichermaßen und
maximal demethyliert. Soweit be
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Epigenetik
kannt, scheinen nur die keimbahn
spezifischen Methylierungsmuster
von geprägten Genen die sukzessive
aktive und passive Demethylierung in
der Präimplantationsphase zu überle
ben. Im Blastozystenstadium der
Maus (beim Rind bereits etwas früher)
findet dann eine genomweite Reme
thylierung statt und es werden auf vä
terlichen und mütterlichen Chromoso
men identische somatische Methylie
rungsmuster erzeugt (Abb. 1, Gra
phik). Nur „housekeeping genes“ und
Gene, die im frühen Embryo aktiv
sind, bleiben demethyliert und kön
nen transkribiert werden.
Störungen der
Methylierungsreprogrammierung
Die elternspezifische Methylierungs
reprogrammierung im frühen Säuger
embryo ist ein zeitlich und räumlich
hochkoordinierter und damit auch
störungsanfälliger Prozess, der mit
der Ausbildung eines neuen diploiden
somatischen Genoms einhergeht. Ge
nomweite Reprogrammierungsstörun
gen führen bereits in der Präimplan
tationsphase zum Embryoverlust (Shi
und Haaf, 2002). Superovulierte
Mausweibchen produzieren etwa dop
pelt so viele (1420%) Embryonen mit
abnormalen Methylierungsmustern,
die sich nicht zur Blastozyste ent
wickeln, wie nichtsuperovulierte
Weibchen (510%). Die hormonelle
Stimulation verschlechtert offenbar
Eizell und/oder Embryoqualität. Die
Kultivierung von in vitro fertilisierten
(IVF) Mausembryonen in verschiede
nen Medien, d.h. die Umwelt zum
Zeitpunkt der Befruchtung oder kurz
danach, hat ebenfalls großen Einfluss
auf die Methylierungsreprogrammie
rung. Acetaldehyd, das Abbauprodukt
von Alkohol und wahrscheinlich auch
zahlreiche andere toxische Substan
zen können die Häufigkeit von ge
nomweiten Reprogrammierungsde
fekten dramatisch steigern. Die Zygo
te und der frühe Embryo, in denen
genomweite Reprogrammierungspro
zesse ablaufen, sind vor allem bei
ART schlecht vor Einflüssen aus der
Umwelt geschützt. Die Präimplanta
tion ist deshalb eine äußerst sensitive
Phase in der Entwicklung eines Orga
nismus, was die Entstehung von epi
genetischen Defekten betrifft. Die Ef
fizienz der Methylierungsreprogram
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medgen 17 (2005)
mierung hängt aber nicht nur von
Umwelt, sondern auch von geneti
schen Faktoren ab. Die Embryos ver
schiedener Mausstämme zeigen vor
allem unter suboptimalen Embryokul
turbedingungen sehr unterschiedliche
Raten von genomweiten Methylie
rungs und Entwicklungsstörungen.
Embryonen mit zytologisch detektier
baren abnormalen Methylierungsmu
stern werden bereits in der Präim
plantationsentwicklung arretiert („Al
les oder NichtsRegel“). Wenn aber
nicht die Reprogrammierung des ge
samten Genoms gestört ist, sondern
nur einzelne Gene betroffen sind, ist
dies mit einer weiteren Entwicklung
vereinbar und kann zu abnormalen fe
talen Phänotypen und „Imprinting
krankheiten“ führen. Eine Reihe von
Studien bei Rindern, Schafen und an
Mäusen hat eindrucksvoll gezeigt,
dass die Isolation, Manipulation
und/oder Kultur von Keimzellen und
frühen Embryonen die Methylierungs
muster und Regulation von geprägten
Genen beeinflussen und mit phänoty
pischen Auffälligkeiten einhergehen
können (Lucifero et al., 2004). Kinder,
die durch IVF oder intrazytoplasmati
sche Spermieninjektion (ICSI) gezeugt
wurden, zeigen eine erhöhte Präva
lenz von einigen sehr seltenen Imprin
tingkrankheiten, wie z.B. Beckwith
Wiedemann oder AngelmanSyn
drom (Ludwig et al., 2005). Der zu
grundeliegende epigenetische Defekt
scheint eine abnormale Hypomethy
lierung von normalerweise methylier
ten mütterlichen Allelen zu sein. Bis
her ist allerdings unklar, ob Imprin
tingdefekte und elterliche Infertilität
eine gemeinsame Ursache haben
oder ob ART an sich einen Risikofak
tor darstellen. Mausexperimente las
sen vermuten, dass die hormonelle
Stimulation der Ovarien zur Eizellge
winnung in den Imprintingkontroll
zentren einiger geprägter Gene zum
Verlust der Methylierung führen kann
(Alexandridis et al., 2005).
Die epigenetischen Defekte klonierter
Säugerembryonen sind sehr viel gra
vierender und häufiger, unterscheiden
sich aber wahrscheinlich nicht prinzi
piell von denen in normal oder artifi
ziell gezeugten Embryonen. Die Klo
nierungseffizienz variiert von einer
Säugetierspezies zur anderen, ist je
doch generell sehr niedrig (Solter,
2000). Dies darf vermutlich auf Unter
schiede in der epigenetischen Ge
nomreprogrammierung zurückgeführt
werden. In der Methylcytosinfärbung
zeigten klonierte Rinderembryonen
eine inkomplette und verzögerte Me
thylierungsreprogrammierung des di
ploiden Spendergenoms durch die Ei
zelle (Dean et al., 2001). Daraus resul
tiert ein Gemisch von normal und ab
normal methylierten Sequenzen.
Chipbasierte Expressionsanalysen
von >10.000 Genen in Leber und Pla
centa von neugeborenen klonierten
Mäusen ergaben mindestens 4% ab
normale
Genexpressionsmuster
(Humpherys et al., 2002). Über 95%
der klonierten Mausblastozysten wie
sen Störungen der allelspezifischen
Methylierung und Expressionsmuster
der geprägten Gene auf (Mann et al.,
2003). Die erfolgreiche reproduktive
Klonierung von rund einem Dutzend
Säugetierspezies zeigt zwar, dass die
Eizelle in einem transplantierten so
matischen Zellkern die Totipotenz
wiederherstellen kann, aber die kor
rekte epigenetische Reprogrammie
rung aller Gene für eine somatische
Entwicklung scheint wohl nicht mög
lich zu sein. Stochastisch im Genom
auftretende Reprogrammierungsde
fekte sind für die extrem hohe
Schwangerschaftsverlustrate und die
abnormalen Phänotypen von klonier
ten Tieren (mit) verantwortlich.
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