Die klinische Bedeutung des carcinoembryonalen Antigens (CEA

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Aus der Medizinischen Klinik Innenstadt
der Ludwig-Maximilians-Universität München
Direktor: Prof. Dr. med. M. Reincke
Die klinische Bedeutung des carcinoembryonalen Antigens
(CEA) für Patienten mit hereditärem nicht-polypösem
kolorektalem Karzinom (HNPCC)
Dissertation
zum Erwerb des Doktorgrades der Medizin
an der Medizinischen Fakultät der
Ludwig-Maximilians-Universität zu München
vorgelegt von
Silke Günther
aus Düsseldorf
2005
Mit Genehmigung der Medizinischen Fakultät
der Universität München
Berichterstatter:
PD Dr. med. U. Schiemann
Mitberichterstatter:
PD Dr. med. F. T. Kolligs
Dekan:
Prof. Dr. med. D. Reinhardt
Tag der mündlichen Prüfung:
17.11.2005
2
Meinen lieben Eltern gewidmet
3
Inhaltsverzeichnis
Seite
6
1.
Einleitung
1.1
Das carcinoembryonale Antigen
7
1.1.1
Entdeckung und erste Erkenntnisse
7
1.1.2
Struktur und Biologie
8
1.1.3
Physiologie und Pathophysiologie
8
1.1.4
Vorkommen im gesunden Gewebe
9
1.1.5
Vorkommen bei verschiedenen Erkrankungen
10
1.2
Das hereditäre nicht-polypöse kolorektale Karzinom
11
1.2.1
Geschichte des HNPCC
11
1.2.2
Systematik und Klassifikation des HNPCC
12
1.2.3
Weitere Merkmale des HNPCC
13
1.2.4
Genetische Aspekte
14
2.
Zielsetzung
16
3.
Patienten und Methoden
17
3.1
Patientenkollektiv
17
3.2
Tumoren
18
3.3
Bestimmung des CEA
19
3.4
Molekulargenetische Untersuchungen
20
3.4.1
Mikrosatellitenanalyse
20
3.4.2
Mutationsanalyse
21
3.4.3
Immunhistochemie
22
3.5
Statistische Auswertung
22
4.
Ergebnisse
24
4.1
Vergleich der Kollektive
24
4.2
CEA bei HNPCC und sporadischem Karzinom
27
4.3
Weitere Ergebnisse im HNPCC-Kollektiv
34
4.3.1
Differenzierungsgrad
34
4.3.2
Tumorhistologie
35
4.3.3
Tumorlokalisation
35
4.3.4
Genetische Merkmale
36
5.
Diskussion
39
4
6.
Zusammenfassung
49
7.
Literaturverzeichnis
51
Lebenslauf
61
Danksagung
62
5
1. Einleitung
Tumormarker haben seit der Zeit ihrer Entdeckung sowohl für Ärzte als auch für viele
Patienten eine besondere Bedeutung; bieten - oder suggerieren - sie doch die Möglichkeit,
eine noch nicht symptomatische maligne Erkrankung frühzeitig zu erkennen.
Das carcinoembryonale Antigen, abgekürzt CEA, ist dabei eines der am längsten
bekannten tumorassoziierten Antigene. Es hat sich inzwischen als „Klassiker“ etabliert und
wird heute wegen seiner gesicherten klinischen Bedeutung allgemein anerkannt.
Seit seiner Entdeckung vor fast 40 Jahren haben sich Arbeitsgruppen in aller Welt
kontinuierlich mit diesem Tumormarker beschäftigt, sodass mittlerweile der Kenntnisstand
sowohl über das CEA an sich, als auch über seine Rolle in der Diagnostik und der
postoperativen Verlaufsbeobachtung v.a. des kolorektalen Karzinoms (CRC) recht
umfangreich ist. Auch nach der Entdeckung weiterer Tumormarker, die relevant für das
kolorektale Karzinom sind (z. B. CA 19-9, CA 242), behielt das CEA seine Stellung als
Spitzenreiter bei.32
In den zahlreichen Untersuchungen rund um das kolorektale Karzinom wurde allerdings
kaum einmal speziell der Blick auf dessen hereditäre Formen gerichtet. Zu diesen gehören
u.a. das Lynch-Syndrom (HNPCC: hereditary non-polyposis colorectal cancer) und die
familiäre adenomatöse Polyposis (FAP). Diese unterscheiden sich in verschiedenem Maße,
z.B. in ihrem klinischen und histopathologischen Erscheinungsbild, vom „normalen“
sporadisch auftretenden kolorektalen Karzinom.
Die vorliegende Arbeit soll daher dazu dienen, Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten
zwischen HNPCC und sporadischem kolorektalem Karzinom bezüglich der CEAExpression herauszuarbeiten.
6
1.1
Das carcinoembryonale Antigen
1.1.1 Entdeckung und erste Erkenntnisse
Das carcinoembryonale Antigen wurde erstmals im Jahre 1965 von Phil Gold und Samuel
O. Freedman, Wissenschaftlern der McGill-Universität in Montreal, beschrieben.21
Sie
identifizierten das CEA als ein Protein, das nach damaliger Meinung sowohl in
embryonaler Kolon-Schleimhaut als auch in Adenokarzinomen des Kolons vorkam, nicht
aber
in
gesundem
Kolongewebe
des
Erwachsenen,
und
nannten
es
deshalb
„carcinoembryonales Antigen“.
Einige Jahre später konnte diese Arbeitsgruppe dasselbe Antigen auch im Serum von
Patienten mit kolorektalen und anderen Karzinomen nachweisen und mit Hilfe des von
Thomson et al. beschriebenen Radioimmunassays sogar quantitativ bestimmen.85
Seit
diesem Zeitpunkt wurde die Möglichkeit des Gebrauchs von CEA als Tumormarker mit
großem Interesse verfolgt. Im Jahr 1974 wurde der CEA-Test für eine Reihe von
Indikationen,
darunter
Früherkennung,
Verlaufsbeobachtung
und
Screening
von
Risikopatienten bezüglich verschiedener Karzinome, durch die amerikanische Food and
Drug Administration (FDA) anerkannt.
Nachdem ganz zu Anfang noch optimistisch von einer fast hundertprozentigen Sensitivität
des CEA für Karzinome des Gastrointestinaltraktes ausgegangen wurde, erwartet man
heute nur noch bei 55 % aller kolorektalen Karzinome erhöhte Werte.8,10 Besser geeignet
ist der Tumormarker für die Detektion von Metastasen (v.a. Lebermetastasen); hier
ergaben verschiedene Studien eine Sensitivität von 80-100 %.
Erkennung
von
(Lokal-)Rezidiven
herrscht
dagegen
4,35,90
geteilte
Bezüglich der
Meinung.19,33,87,89
Grundsätzlich ist das CEA für die postoperative Beobachtung und für das Monitoring unter
Radio-/Chemotherapie unverzichtbar.30,33
Auch die prognostische Bedeutung des präoperativen CEA wurde bereits in den 70er
Jahren erkannt. Patienten mit hohen Werten weisen häufig bereits fortgeschrittene
Tumoren auf und leiden in höherem Maße an Rezidiven als Patienten mit niedrigen
Ausgangwerten.28,33,56,63,65,79-80,90
7
1.1.2 Struktur und Biologie
Die Struktur und die physikalisch-chemischen Parameter des CEA sind in den 70er Jahren
gründlich untersucht worden. Es wurde als ein komplexes Glykoprotein mit einem
Molekulargewicht von 180-200 kDa, einem Sedimentationskoeffizienten von 7-8 S und
der elektrophoretischen Mobilität eines ß-Globulins beschrieben; die Halbwertzeit wird mit
3-8 Tagen angegeben.25,33,86 Inzwischen weiß man darüber hinaus, dass es sich um ein
Monomer mit der stattlichen Größe von 20 x 8 nm handelt, was durch den großen
Kohlenhydratanteil zu erklären ist. Dieser macht bis zu 50 % der Gesamtmasse aus und
weist große Unterschiede in den Seitenketten auf, woraus wiederum die starke
Heterogenität des Moleküls resultiert. Vorwiegend sind L-Fucose, D-Mannose, DGalactose, N-Acetyl-D-Glucosamin und Sialinsäure zu finden.
Dagegen ist der Proteinanteil, eine einzelne Polypeptidkette aus 668 Aminosäuren, recht
homogen.15,25,83
Die Analyse der Aminosäuresequenz brachte die Erkenntnis, dass das CEA der
Immunglobulin-Superfamilie zuzurechnen ist, zu der auch Adhäsionsmoleküle wie ICAM1 sowie MHC-Antigene gehören.59 Mehrere in vitro-Studien haben auch bereits gezeigt,
dass CEA als homo- und heterophiles Adhäsionsmolekül agieren kann. Dies wäre gut mit
der Vorstellung vom Tumorwachstum vereinbar, konnte in vivo jedoch noch nicht bestätigt
werden.5,26,58,93
Die 29 Gene, die für die CEA-Familie codieren, sind inzwischen vollständig identifiziert
worden. Sie befinden sich allesamt auf Chromosom 19q13.2. Von ihnen werden 18 Gene
exprimiert (sieben codieren für die CEA-Gruppe, elf für die verwandte pregnancy-specific
glycoprotein-Gruppe), die restlichen elf sind Pseudogene.84
1.1.3 Physiologie und Pathophysiologie
Mit Hilfe spezifischer monoklonaler Antikörper für CEA ließ sich dessen exakte
Lokalisation nachweisen: Es ist ein zellmembran-assoziiertes Molekül; genauer gesagt, es
findet
sich
fast
ausschließlich
in
der
apikalen
Glykokalyx
(„fuzzy
coat“).25
Elektronenmikroskopische Bilder zeigen es den Mikrovilli der Enterozyten aufgelagert, wo
es aus speziellen CEA-Mikrovesikeln freigesetzt wird. Interessanterweise scheint es
zwischen gesunder und karzinomatöser Kolonschleimhaut keinen Unterschied in der pro
Tag freigesetzten Menge zu geben; sie beträgt nach derzeitigem Kenntnisstand in beiden
Fällen etwa 50-70 mg CEA pro Tag.49 Weshalb dennoch beim gesunden Erwachsenen
8
selten Serumspiegel über 2 ng/ml gefunden werden, während es bei malignen
Kolontumoren
zu
deutlich
erhöhten
Werten
kommen
kann,
lässt
sich
heute
pathophysiologisch folgendermaßen erklären: Die gesunde Kolonschleimhaut setzt das
CEA ausschließlich von der apikalen Seite her in Richtung Darmlumen frei, sodass es
keinen Kontakt mit Blut- oder Lymphgefäßen bekommt und größtenteils mit den Fäzes
ausgeschieden wird. Die Tumorzellen dagegen haben diese Polarität verloren; das CEA
wird von allen Seiten der Zelloberfläche abgegeben. Vor allem bei gutdurchbluteten
Tumoren kann es auf diese Weise natürlich leicht in den Blutkreislauf gelangen und so die
erhöhten Serumspiegel hervorrufen.5,25
Die große Menge an carcinoembryonalem Antigen, die auch im gesunden Kolon
produziert wird, lässt eine funktionelle Bedeutung vermuten. Tatsächlich konnte schon
1990 gezeigt werden, dass CEA in der Lage ist, E.coli zu binden. Seitdem wird ein
adhäsiver (Bakterienbindung) und daher protektiver (Kolonschutz) Nutzen postuliert.25,36
Insgesamt muss der CEA-Wert im Serum als Endgröße verstanden werden, die von
mehreren Faktoren abhängig ist: z.B. der Tumorgröße (Anzahl markerproduzierender
Zellen), der Synthese- und Freisetzungsrate, der Blutversorgung des Tumors, seinem
Nekrosegrad, der Verdünnung des Markers im Gesamtblutvolumen und der Abbaurate.64
Die Basiswerte sind bei älteren Personen im Allgemeinen höher als bei jüngeren, wobei
dies nicht allein durch die häufigere Prävalenz benigner Lebererkrankungen zu erklären ist.
Außerdem konnte epidemiologisch gezeigt werden, dass Männer höhere CEA-Werte als
Frauen, und Raucher höhere als Nichtraucher aufweisen.15,19
1.1.4 Vorkommen im gesunden Gewebe
Zu Beginn der Ära des CEA wurde noch angenommen, das Antigen würde nach der
Embryonalzeit,
während
der
fetalen
Prozesse
(Differenzierung,
Spezialisierung,
Organisation),
verschwinden, und nur im Falle eines Karzinoms - aufgrund von
Disorganisation und Entdifferenzierung - wieder auftreten.22
Dies ist inzwischen revidiert worden; die CEA-Expression lässt sich ab der frühen Fetalzeit
(9.-14. Woche) nachweisen und „scheint dann während des ganzen Lebens zu
persistieren“.57
Sie ist beim Gesunden allerdings auf selektiv epitheliale Expression
beschränkt, und zwar in folgenden Geweben: 25
9
•
Zylinderepithel- und Becherzellen des Kolons
•
Muzinöse Zellen in Kardia und Pylorus (Magen)
•
Plattenepithelzellen von Zunge, Ösophagus und Cervix uteri
•
Drüsenepithel und Ausführungsgänge von Schweißdrüsen
•
Epithelzellen der Prostata
1.1.5 Vorkommen bei verschiedenen Erkrankungen
1969 wurde das CEA von Gold and Freedman noch als systemspezifischer Tumormarker
bezeichnet: „present in all tested malignant tumors of the entodermally derived epithelium
of the digestive system“.22 In neueren Studien und Reviews wurde dagegen festgehalten,
dass die CEA-Expression nicht bei allen, jedoch bei folgenden Malignomen nachgewiesen
werden kann:
Karzinome von Kolon, Magen, Pankreas, Gallenblase, Harnblase, Adenokarzinom und
kleinzelliges Karzinom der Lunge, muzinöses Ovarialkarzinom, und Adenokarzinom des
Endometriums.19,25,75
Auch bei einer Vielzahl von nichtmalignen, z.B. entzündlichen Erkrankungen finden sich
erhöhte CEA-Werte im Serum. Dazu gehören v.a. Lebererkrankungen (alkoholbedingte,
biliäre, chronisch-aktive und kryptogene Hepatitis, obstruktiver Ikterus), gastrointestinale
Ulzera,
Pankreatitis, Divertikulitis, entzündliche Darmerkrankungen, Bronchitis und
fibrozystische Mammaerkrankungen.76
Generell beeinflusst natürlich auch die Funktion des CEA-abbauenden Organs, der Leber,
die messbaren Serumspiegel; eine Leberinsuffizienz kann wegen des verminderten Abbaus
zu höheren CEA-Serumspiegeln führen.
Kreuzreagierende Substanzen sind zwar beschrieben worden (z.b. das non-specific crossreacting antigen, NCA, und das biliary glycoprotein, BGP), spielen aber im allgemeinen
keine Rolle in der klinischen Diagnostik.25,82
Beachtet werden muss allerdings die Möglichkeit einer Wertverfälschung durch antiMaus-Antikörper (HAMA), die bei Patienten nach Immunszintigraphie oder -therapie (sog.
Frischzellenkur) im Serum zu finden sind.82,89
Außerdem wurden bestimmte äußere Faktoren beschrieben, die die CEA-Produktion
steigern können; darunter Lösungsmittel, Retinoide, Natriumbutyrat und Interferone.83
10
1.2
Das hereditäre nicht-polypöse kolorektale Karzinom
Das kolorektale Karzinom gilt in seiner Gesamtheit als einer der häufigsten malignen
Tumoren in den Industrieländern. Bei Männern ist es das zweithäufigste nach dem
Bronchialkarzinom, bei Frauen das zweithäufigste nach dem Mammakarzinom; fasst man
beide Geschlechter zusammen, ist es mit einer Häufigkeit von 12,8 % sogar insgesamt das
häufigste.20,27,81
Dabei werden meist die sporadisch auftretenden mit den verschiedenen hereditären Formen
zusammengefasst. Zu den letzteren zählen einerseits diejenigen Formen, die mit auffälliger
Polyposis einhergehen, wie die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP), die familiäre
juvenile Polyposis, das Turcot- und das Gardner-Syndrom; andererseits die Formen ohne
Polyposis, zu denen das hereditäre nicht-polypöse kolorektale Karzinom (HNPCC, auch
„Lynch-Syndrom“),
dessen
Sonderform
Muir-Torre-Syndrom
(mit
zusätzlichen
Talgdrüsentumoren), und das hereditäre „flat adenoma“-Syndrom (HFAS) gerechnet
werden.
Die häufigste der erblich bedingten Formen ist dabei das Lynch-Syndrom (HNPCC). Sein
Anteil unter den CRC wird allgemein mit 5-10 % angegeben (Ausnahme bildet eine
einzelne, aber renommierte Studie aus Finnland, die einen Prozentsatz von nur 0,7 %
ergab), wobei die Ziffer natürlich abhängig von den verwendeten Kriterien ist und eine
Unterschätzung der tatsächlichen Quote oft vermutet wird.17,41,45,50,81,86 Es ist in jedem Fall
eine bedeutend große Zahl von Menschen, die - wissentlich oder unwissentlich - von einem
erblich erhöhten Karzinomrisiko betroffen sind.
1.2.1 Geschichte des HNPCC
Die Entdeckung des HNPCC kann bis in das Jahr 1895 zurückverfolgt werden, als Aldred
Warthin, ein Pathologe an der Universität Michigan, von der Familie seiner Näherin
erfuhr, die eine ungewöhnliche Häufung von Magen- und kolorektalen Karzinomen
verzeichnete. Seine Untersuchungen über diese „Familie G“ publizierte Warthin bereits im
Jahr 1913.91
Ein halbes Jahrhundert später, 1966, beschrieben Henry T. Lynch und seine Mitarbeiter
zwei weitere ähnlich belastete Großfamilien und nannten erstmals den Begriff „Cancer
Family Syndrome“ (CFS).42 Erst in den 80er Jahren nahmen international das Interesse
und die Zahl der Studien zu diesem Syndrom zu, und der Terminus „HNPCC“ wurde
eingeführt. Synonym dazu wird auch der Begriff „Lynch-Syndrom“ gebraucht.
11
1.2.2 Systematik und Klassifikation des HNPCC
Die Gesamtheit der HNPCC kann in zwei Untergruppen, Typ I und II, unterteilt werden,
basierend auf dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von extrakolonischen
Tumormanifestationen.
Das Lynch-Syndrom I ist charakterisiert durch eine autosomal dominant vererbte Häufung
von kolorektalen Karzinomen vor dem 50. Lebensjahr, ein auffälliges Vorherrschen von
proximal lokalisierten Tumoren (70 %), und eine Neigung zu synchronen und metachronen
Tumoren. Familien, die außer diesen Merkmalen auch Tumoren in Endometrium, Ureter,
Nierenbecken, Magen, Dünndarm, Ovar, Pankreas, Gallengängen, Haut und Larynx sowie
maligne hämatologische Erkrankungen aufweisen (sog. HNPCC-assoziierte Tumoren),
werden unter Lynch-Syndrom II klassifiziert; hierfür wird teilweise auch heute noch der
alte Begriff „Cancer Family Syndrome“ (CFS) verwendet (s.o.).
Seit einem Expertentreffen im August 1990 in Amsterdam, bei der die „International
Collaborative Group on Hereditary Non-Polyposis Colorectal Cancer“ (ICG-HNPCC)
gegründet wurde, bestehen definierte Kriterien zur Diagnostizierung des LynchSyndroms.88
Diese „Amsterdam-Kriterien“ sind wie folgt (alle Kriterien müssen erfüllt sein):
1. mindestens drei Familienangehörige mit histologisch gesichertem Kolon- oder
Rektumkarzinom, einer davon Verwandter ersten Grades der beiden anderen
2. Erkrankungen in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Generationen
3. mindestens ein Patient mit der Diagnose eines Kolon- oder Rektumkarzinoms vor
dem 50. Lebensjahr
4. Ausschluss einer familiären Adenomatosis polyposis coli (FAP)
Da jedoch nicht alle Patienten bzw. Familien mit nachgewiesener Keimbahnmutation die
sehr strengen Amsterdam-Kriterien erfüllen, alle extrakolorektalen Karzinome unbeachtet
bleiben und insbesondere kleinere Familien möglicherweise dieser Klassifikation
entgehen, wurde 1997 ein erweiterter Kriterienkatalog definiert („Bethesda-Kriterien“
Von diesen muss nur ein Kriterium erfüllt sein:
12
66
).
1. positive Familienanamnese entsprechend den Amsterdam-Kriterien
2. synchrone/metachrone Kolon- oder Rektumkarzinome oder andere, HNPCCassoziierte Karzinome (s.o.)
3. zwei erstgradig verwandte betroffene Familienmitglieder mit Kolon- oder
Rektumkarzinom und/oder HNPCC-assoziierter Tumorerkrankung (davon einer vor
dem 45. Lebensjahr) und/oder Adenom des Kolons oder Rektums vor dem 40.
Lebensjahr
4. Kolon- oder Endometriumkarzinom vor dem 45. Lebensjahr
5. Adenom des Kolons oder Rektums vor dem 40. Lebensjahr
6. undifferenziertes rechtsseitiges Kolonkarzinom vor dem 45. Lebensjahr
7. muzinöses/siegelringzelliges Kolonkarzinom vor dem 45. Lebensjahr
Bei Festlegung dieser Kriterien ging es im Übrigen nicht primär darum, ausnahmslos jeden
einzelnen HNPCC-Patienten zu erfassen, sondern vor allem einen internationalen
„gemeinsamen Nenner“ zu schaffen.
Neue Modelle und Algorithmen werden immer wieder diskutiert, aktuell z. B. das
Amsterdam-plus-Modell, das zusätzlich zu den Amsterdam-Kriterien noch fünf weitere
Variablen einbezieht (Gesamtzahl der kolorektalen und endometrialen Karzinome in der
Familie, Zahl der Patienten mit fünf oder mehr Adenomen, Zahl der Patienten mit mehr als
einem
Primärkarzinom
Krankheitsbeginn).
in
Kolorektum
oder
Endometrium,
mittleres
Alter
bei
39
1.2.3 Weitere Merkmale des HNPCC
Zusätzlich zu den bereits genannten klinischen Merkmalen (frühes Erkrankungsalter,
synchrone und metachrone Tumoren, Tendenz zu rechtskolonischer Tumorlokalisation)
weisen die HNPCC-assoziierten Tumoren zum Teil auch bestimmte (histo-)pathologische
Charakteristika auf. Zusammenfassend gesagt sind kolorektale Karzinome des LynchSyndroms häufig gering differenziert, zeigen öfter muzinöse, siegelringzellige und villöse
Elemente, wachsen eher expansiv als infiltrativ, sind häufiger diploid als aneuploid, und
weisen
öfter
Kryptenatrophie
sowie
peritumorale
Entzündungsreaktionen
lymphfollikel-ähnliche Reaktionen („Crohn’s-like lymphoid reaction“) auf.
und
9,45, 51,78
Beim erfahrenen Pathologen kann also schon die genaue Untersuchung des Tumorgewebes
den Verdacht auf ein HNPCC hervorrufen.
13
Die deutlich stärkere Immunabwehr, die sich in der o.g. Entzündungsreaktion zeigt, ist ein
besonderes Merkmal der HNPCC-assoziierten Tumoren. Es ist inzwischen als gesichert
anzusehen, dass das Immunsystem bei diesen erblich belasteten Patienten besser arbeitet
als bei anderen Karzinompatienten: Im Gegensatz zum sporadischen Karzinom können die
Tumorzellen beim hereditären Karzinom vom Immunsystem als „fremd“ erkannt und
somit bekämpft werden. Aus diesem Grund findet man auch weniger Tumoren im
fortgeschrittenen Stadium und weniger Metastasen. Zusätzlich gewähren das weniger
aggressive Tumorwachstum und die Euploidie (s.o.) einen gewissen Vorteil, und auch die
hier häufige rechtsseitige Lokalisation wird an sich als prognostisch günstiger angesehen80
- wenngleich solche Tumoren eher der Gefahr unterliegen, bei Vorsorgeuntersuchungen
dem Untersucher zu entgehen.
Demzufolge ist die 5-Jahres-Überlebensrate von Patienten mit hereditärem CRC
verschiedenen Studien zufolge höher als die von Patienten mit sporadischem CRC (52 vs.
35,3 %, nach Smyrk sogar 83 %).2,78 Zu dieser guten Prognose trägt aber sicherlich auch
die Tatsache bei, dass HNPCC-Patienten im Durchschnitt erstens jünger sind und wegen
fehlender Begleiterkrankungen ein niedrigeres postoperatives Risiko haben, sowie
zweitens verstärkt Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch nehmen,
wenn das familiäre Risiko bekannt ist.2,17
1.2.4 Genetische Aspekte
Das Lynch-Syndrom folgt einem autosomal-dominanten Erbgang mit etwa 80%iger
Penetranz bis zum 80. Lebensjahr.
Seit Beginn der 90er Jahre wurden Keimbahnmutationen von Genen, die für sogenannte
DNA-Reparatur-Enzyme
codieren
(Mismatch-Reparatur-Gene,
MMR),
identifiziert,
darunter der Gene hMLH1, hMSH2, hMSH6, hPMS1, hPMS2 und hMLH3. Die beiden
erstgenannten Gene werden dabei schon für 90 % der Lynch-Karzinome verantwortlich
gemacht.41,87 Zudem werden stetig neue Mutationen und Polymorphismen gefunden, so
dass im Jahr 2001 bereits über 300 Mutationen in einer internationalen Datenbank der
ICG-HNPCC in Leiden (Niederlande) dokumentiert waren.60,62 Dies ist einer der Gründe
dafür, dass eine exakte Zahl für den Prozentsatz hereditärer Tumoren innerhalb der
kolorektalen Karzinome (noch) nicht angegeben werden kann.
Durch Mutation eines der Mismatch-Reparatur-Gene und den konsekutiven Ausfall des
DNA-Reparatursystems, das im Normalfall für die genomische Stabilität sorgt (also eine
„antionkogene“
Funktion
erfüllt),
kommt
14
es
zur
Anhäufung
von
genetischen
Veränderungen und somit unter Umständen zur malignen Entartung der Zelle.17 Diese
„Instabilität“ der DNA spiegelt sich im Tumorgewebe unter anderem in sog.
„Mikrosatellitenmarkern“ wider. Mikrosatelliten sind repetitive Mono-, Di-, Tri- oder
Tetranukleotidsequenzen, die über das gesamte Genom verteilt vorkommen und in jedem
Individuum ein bestimmtes Muster zeigen. Bei HNPCC-Patienten lässt sich durch die PCR
eine Sequenzlängendifferenz zwischen Tumor- und gesundem Gewebe nachweisen, die
durch den Verlust oder die Addition von Nukleotiden zustande kommt und jeweils im
gesamten
Genom
des
Tumors
gefunden
wird.
Dieses
Phänomen
wird
als
„Mikrosatelliteninstabilität“ bezeichnet und nicht nur häufig bei hereditären nichtpolypösen Kolonkarzinomen gefunden, sondern geradezu als Marker für das LynchSyndrom
angesehen.
In
90
%
aller
Amsterdam-positiven
Fälle
ist
eine
Mikrosatelliteninstabilität zu finden.1,11,61
Letztendlich führt dieser Mechanismus zu einer akzelerierten Adenom-Karzinom-Sequenz:
Die Entstehung von malignen Tumoren aus benignen Adenomen (Adenom-KarzinomSequenz) ist bei Anlageträgern beschleunigt; d.h. nicht primär die Tumorinitiation, sondern
die Progression ist durch den Reparaturgendefekt bedingt.31,43
Die endgültige Diagnose einer Keimbahnmutation erfolgt molekulargenetisch durch eine
Mutationsanalyse aus der DNA von peripheren Blutlymphozyten. Auch wenn bisher nur
bei
etwa
der
Hälfte
der
klinisch
als
HNPCC
diagnostizierten
Familien
Keimbahnmutationen identifiziert werden können, ist beim diagnostischen Vorgehen eine
Kombination aus
Mutationsscreening,
Testung
Immunhistochemie derzeit die beste Methode.39,41
15
auf Mikrosatelliteninstabilität
und
2.
Zielsetzung
Das Lynch-Syndrom als hereditäre Form des kolorektalen Karzinoms weist unter
klinischen, pathologischen und natürlich molekulargenetischen Gesichtspunkten einige
deutliche Unterschiede zur normalen, sporadisch auftretenden Form auf.
Bezüglich der Labordiagnostik werden die beiden Typen jedoch meist „in einen Topf
geworfen“. Genauere Aussagen über das Verhalten des carcinoembryonalen Antigens beim
Lynch-Syndrom sind bisher weder in Lehrbüchern der Labormedizin, noch in der Literatur
zum kolorektalen Karzinom zu finden. Somit ist nicht gesichert, ob z. B. die Erkenntnisse
über Tumormarker einfach so von der sporadischen auf die hereditäre Form übertragen,
oder die Referenzwerte analog übernommen werden können. Wie Ergebnisse der CEAMessung beim hereditären Kolonkarzinom, auch im Vergleich zum sporadischen CRC, zu
werten sind, und ob eine standardmäßige CEA-Bestimmung bei HNPCC-Patienten
überhaupt sinnvoll ist, ist also noch unklar.
Ziel der vorliegenden Arbeit war daher, in einer retrospektiv angelegten Studie die CEAWerte von Patienten mit gesichertem HNPCC zu untersuchen und mit Vorergebnissen von
sporadischen kolorektalen Karzinomen zu vergleichen. Dabei sollten nicht nur qualitative
Unterschiede (in der Inzidenz von erhöhten CEA-Werten) ausgemacht werden, sondern die
absoluten präoperativen Werte auch quantitativ analysiert werden.
Ferner sollten die hereditären nicht-polypösen kolorektalen Karzinome bezüglich
verschiedener genetischer und histologischer Merkmale in Subgruppen eingeteilt und
somit auch untereinander verglichen werden. Ziel war die Suche nach möglichen Faktoren,
die bei erblich belasteten Patienten auf die Höhe des Tumormarkers Einfluss nehmen
könnten.
16
3.
Patienten und Methoden
3.1
Patientenkollektiv
Im Rahmen des Verbundprojektes „Familiärer Darmkrebs“ der Deutschen Krebshilfe
werden seit 1999 an sechs Universitätskliniken (Bochum, Bonn, Dresden, Düsseldorf,
Heidelberg und München/Regensburg) die Daten von Patienten mit gesicherter HNPCCDiagnose
systematisch
dokumentiert.
Eingeschlossen
in
diese
Studie
werden
ausschließlich Personen, die entweder die Amsterdam- oder die Bethesda-Kriterien
(s.1.2.2) erfüllen.
Die Daten der Patienten des Zentrums München/Regensburg bis zum Stand Ende
November 2003 dienten als Basis für die vorliegende Arbeit. Es wurden diejenigen
Patienten ausgewählt, von denen die relevanten Tumormarkerwerte (präoperativ, bei
Ersttumor) zu ermitteln waren (insgesamt 105 Fälle). Angaben zu Alter, Tumorbefund,
Laborwerten etc. konnten teils den bereits vorhandenen Patientenakten entnommen
werden, teils bei den jeweiligen Kliniken (Archiv, Labor) erfragt werden. Die Personen,
die für diese Studie herangezogen werden konnten, kamen aus Münchener Kliniken oder
aus kooperierenden Krankenhäusern des Münchener Umlandes (Augsburg, Deggendorf,
Ebersberg, Landshut, Passau, Traunstein).
Zum Vergleich wurden präoperative CEA-Werte von 107 Patienten mit sporadischem
CRC aus der Tumornachsorgekartei des Klinikums Innenstadt der LMU München
(Chirurgische Klinik und Chirurgische Poliklinik) herangezogen, die zwischen Juni 1991
und Mai 2003 operiert worden waren und die keinerlei Kriterien für eine Klassifikation als
„HNPCC“ erfüllten. Ausgewählt werden konnten auch hier nur diejenigen Patienten, bei
denen präoperativ der CEA-Wert bestimmt und dokumentiert worden war.
Das Geschlechterverhältnis der Vergleichsgruppe wurde soweit wie möglich dem der
HNPCC-Gruppe angepasst.
Ein Matching der beiden Kollektive nach dem Alter der Patienten war dagegen per
definitionem nicht möglich: Eines der Kriterien für die Klassifikation „HNPCC“ ist gerade
das
frühe
Erkrankungsalter.
Dagegen
betrifft
das
sporadische
CRC
-
auch
„Alterskarzinom“ genannt - vorrangig ältere Personen, und Patienten < 45 J. durften gar
17
nicht in die Vergleichsgruppe eingeschlossen werden, da sie damit ein Bethesda-Kriterium
für HNPCC erfüllt hätten.
3.2 Tumoren
Alle Tumoren wurden postoperativ durch einen Pathologen der jeweiligen Klinik
makroskopisch sowie mikroskopisch (Hämatoxylin-Eosin-Färbung) untersucht. Der
pathologische Befund beinhaltete eine Tumorklassifikation, basierend auf dem TNMSystem (UICC). Nachträglich wurden alle Tumoren in ein vereinfachtes Schema mit den
vier Gruppen A-D (angelehnt an die gebräuchliche, von Turnbull modifizierte DukesKlassifikation, nachfolgend „Dukes-Stadien“ genannt) eingeteilt: 16,46
T
N
M
T= Ausdehnung des Primärtumors
A
T1-2 N0
M0
N= Befall der regionären Lymphknoten
B
T3-4 N0
M0
M= Fernmetastasen
C
T1-4 N1-3 M0
D
T1-4 N0-3 M1
Ferner wurde von allen Tumoren der Differenzierungsgrad (G1-4 nach WHO-Einteilung)
sowie der histologische Tumortyp, insbesondere das Vorhandensein von muzinösen
(= schleimbildenden) Elementen, dokumentiert.
Bei Mehrfachtumoren wurde jeweils das Stadium und der Differenzierungsgrad des
höchstmalignen Tumors gewertet.
Bei vier HNPCC-Patienten war vor der operativen Resektion eine neoadjuvante Radio-/
Chemotherapie
(RCT)
durchgeführt
worden.
In
diesen
Fällen
war
nur
die
posttherapeutische Tumorklassifikation „yTNM“ verfügbar; dementsprechend ging der
zugehörige CEA-Wert nach RCT, aber vor OP in die Rechnung ein.
18
3.3
Bestimmung des CEA
Die Messung des Tumormarkers erfolgte stets 1-8 Tage präoperativ (meist am Vortag der
Operation) in der jeweiligen Klinik.
Die diversen Laboratorien verwendeten hierbei Analysegeräte von unterschiedlichen
Herstellern (Bayer, Roche, Abbott), bei denen auch verschiedene Messmethoden zum
Einsatz kommen. (Die Methode wurde auf den meisten Laborbefunden mit angegeben. Für
die Longitudinalbeurteilung des einzelnen Patienten muss auf einen einheitlichen Test
geachtet werden, interindividuell sind die verschiedenen Messungen aber im Allgemeinen
„gut vergleichbar“).82 Sie alle basieren auf dem Prinzip der Antikörperbindung
(„Immunoassays“), wobei der zu messende Analyt das Antigen darstellt. Werden zwei
Antikörper verwendet, spricht man vom „Sandwich-Assay“. Drei gebräuchliche Methoden
sollen kurz erläutert werden: 13-14
•
Die älteste und lange Zeit bedeutendste Methode ist der Radio-Immuno-Assay
(RIA). Bei diesem werden die in der Probe enthaltenen Antigenmoleküle zunächst an
einen im Überschuss vorliegenden Antikörper gebunden, dann wird ein zweiter,
radioaktiv markierter Antikörper zu diesen Ag-Ak-Komplexen zugegeben und der
ungebundene zweite Antikörper weggespült. Dadurch entspricht das Maß an
Radioaktivität im Probenröhrchen der Antigenmenge (also der Menge des Analyts).
•
Inzwischen
haben
Enzym-Immuno-Assay
(EIA)
bzw.
Mikropartikel-Enzym-
Immuno-Assay (MEIA) den Vorgänger weitgehend abgelöst. Bei diesen Methoden
wird statt des radioaktiv markierten ein enzymmarkierter Antikörper gebraucht.
Dieser löst mit dem zu messenden Antigen zusammen eine Indikatorreaktion aus, die
durch ein Chromogen sichtbar gemacht und quantifiziert wird.
•
In letzter Zeit hat sich neben diesen beiden noch eine weitere Technik, die
Chemilumineszenz, etabliert, die schneller als RIA und EIA funktioniert. Sie macht
sich das Prinzip der elektromagnetischen Trennung zunutze: An Eisenoxidkristalle
mit magnetischen Eigenschaften wird ein mit Acridiniumester markierter Antikörper
gekoppelt, der wiederum das zu messende Antigen bindet. Durch Anlegen eines
Magnetfeldes werden die Eisenoxidkristalle mit Antigen und Antikörper an der
Küvettenwand fixiert. Zuletzt wird durch Zugabe von Säure und Base die
19
Chemilumineszenz-Reaktion ausgelöst: Durch Oxidation des Acridiniumesters wird
eine bestimmte Lichtmenge produziert, dessen Größe der Antigenmenge entspricht.
Unabhängig von der verwendeten Methode erfolgen CEA-Messungen heutzutage
vollautomatisiert. Bestimmt wird üblicherweise der Gehalt im Serum (seltener Plasma); die
Angabe erfolgt in ng/ml.
3.4
Molekulargenetische Untersuchungen
3.4.1 Mikrosatellitenanalyse
Wie bereits erwähnt, ist bei HNPCC-assoziierten Tumoren gehäuft eine fehlerhafte DNAReparatur zu finden, die durch eine Instabilität der DNA bzw. der Mikrosatelliten im
Tumorgewebe nachgewiesen werden kann.
Die Analyse des Mikrosatellitenstatus erfolgte im Medizinisch-Genetischen Zentrum in
München (Leiterin: Fr. PD Dr. med. Dipl. chem. E. Holinski-Feder).
Hierfür werden formalinfixierte und in Paraffin eingebettete Tumorblöcke zunächst
mikrodisseziiert (10µm dick); anschließend wird aus diesem Tumorgewebe durch
Proteinase K-Verdauung und mehrfache Ethanolausfällung
(QIAmp Tissue Kit von
QIAGEN, Hilden) die DNA extrahiert. Neben Tumor-DNA wird vom selben Patienten
Kontroll-DNA
aus
gesundem
Gewebe
(peripheren
Blutlymphozyten
oder
Normalschleimhaut) nach üblicher Vorgehensweise isoliert und parallel analysiert. Die
gereinigte DNA wird spektrophotometrisch quantifiziert, bevor sie mittels PolymeraseKettenreaktion (PCR) im Thermocycler (Biometra, Göttingen) vervielfältigt wird. Hierfür
wird der Master Mix von QIAGEN, Hilden, verwendet. Das PCR-Produkt kann dann
durch Ethidiumbromidfärbung in einer Agarosegel-Elektrophorese sichtbar gemacht
werden.
Anschließend wird die amplifizierte DNA auf dem Sequenziergerät („Genetic Analyzer
ABI 310“, Applied Biosystems) analysiert. Dabei werden fluoreszenzmarkierte DNAFragmente mittels Gelelektrophorese auf einer Polymermatrix der Größe nach aufgetrennt
und durch Anregung mit Laserlicht detektiert. Länge der PCR-Produkte und Höhe der
20
Peaks werden bestimmt. Das Erscheinen neuer Banden, das Fehlen von Banden oder ein
Bandenshift in der Tumor-DNA kennzeichnet eine genetische Instabilität. Entsprechend
dem
international
empfohlenen
Markerpanel
werden
fünf
verschiedene
Mikrosatellitenmarker untersucht: BAT 25, BAT 26, D2S123, D5S346, und D17S250.
62
Findet sich bei zwei oder mehr Markern (40%) eine Differenz zwischen gesundem und
Tumorgewebe, spricht man von Mikrosatelliteninstabilität (MSI); Tumoren mit nur einem
oder keinem instabilen Marker werden als mikrosatellitenstabil (MSS) bezeichnet. Auf die
Unterscheidung zwischen „low instability“ (MSI-L, bei einem von fünf Markern) und
„high instability“ (MSI-H, bei zwei oder mehr Markern) wird aus Gründen der besseren
Übersichtlichkeit hier verzichtet.
Eine MSI ist weder notwendig noch hinreichend für die Diagnose HNPCC; i.e. eine
genetische Instabilität ist kein Beweis für eine HNPCC-assoziierte Erkrankung, macht
diese aber sehr wahrscheinlich. Der endgültige Nachweis eines Reparaturgendefekts bzw.
einer Keimbahnmutation erfolgt molekulargenetisch durch Mutationsanalyse.
3.4.2 Mutationsanalyse
Die Untersuchung der DNA-Reparaturgene hinsichtlich einer krankheitsverursachenden
Mutation wurde in einem eigens hierfür entwickelten Verfahren an DNA aus peripheren
Blutlymphozyten durchgeführt (Institut für Medizinische Genetik der LMU München).29,54
Zuerst ist auch hier eine PCR nötig, um die relevanten Exons der beiden Reparaturgene
hMLH1 und hMSH2 zu amplifizieren. Anschließend wird als „Mutationsscreening“ eine
automatische Flüssigkeitschromatographie (DHPLC = denaturing high performance liquid
chromatography) (WAVE: Transgenomic, San Jose, Kalifornien) durchgeführt. Dabei
werden die DNA-Stränge getrennt und durch einen linearen Acetonitril-Gradienten
separiert.
Mithilfe
fragmentspezifischer
Schmelzkurven
und
eines
vorgegebenen
Algorithmus (WAVE-MAKER) wird die optimale Temperatur für den Schmelzvorgang
ermittelt. Finden sich in der Probe außer der Wildtyp-DNA auch Mutanten, so entstehen
beim Schmelzen zusätzlich zu den Homoduplices auch Heteroduplices, die bei weiterer
Temperaturerhöhung früher (schon bei niedrigerer Temperatur) von der Polymermatrix
eluieren als die Homoduplices. Auf dem Chromatogramm erscheint dann ein zweiter Peak
vor
dem Wildtyp-Peak,
wodurch
die
genetische Veränderung
(Mutation oder
Polymorphismus) deutlich angezeigt wird.72 In solch einem Fall wird das entsprechende
Exon sequenziert (Medigenomix, Martinsried).
21
Wird eine Mutation dieser Reparaturgene gefunden, wird der Tumor als RER+
(„replication error positive“) bezeichnet. Grundsätzlich werden alle Mutationen vor
Diagnosestellung in einer zweiten unabhängigen PCR bestätigt und bei pathologischem
Befund durch eine zweite Blutentnahme kontrolliert.
3.4.3 Immunhistochemie
Im Pathologischen Institut der LMU wurde die immunhistochemische Untersuchung des
Tumorgewebes, jeweils vom Ersttumor, durchgeführt. Dabei wurde die tatsächliche
Proteinexpression der Gene hMLH1 und hMSH2 mithilfe markierter Antikörper
untersucht.
Verwendet wurde das Vectastain Elite ABC-Kit von Vector Laboratories, das auf der
Avidin-Biotin-Technik basiert:
Gewebeschnitte von Tumor und gesundem Gewebe, mit Xylol entparaffiniert, werden nach
entsprechenden Vorbereitungsschritten zunächst für 20 h in der feuchten Kammer mit dem
jeweiligen Primärantikörper (anti-MLH1, anti-MSH2) inkubiert, dann 30 min. mit einem
biotinylierten Sekundärantikörper und schließlich 30 min. mit dem ABC-Reagenz, dessen
Avidin-Teil - so gut wie irreversibel - an das Biotin am Sekundärantikörper bindet. Dieser
Avidin-Biotin-Komplex wird mit einem Chromogen (3-Amino-9-Ethyl-Carbazol, AEC)
sichtbar gemacht, wodurch sich der Sekundär- und der Primärantikörper und somit im
Endeffekt auch das gesuchte Antigen (hMLH1, hMSH2) darstellt. Nach Gegenfärbung mit
Hämalaun werden die angefärbten (also exprimierenden) Zellen unter dem Mikroskop
ausgezählt, sodass eine quantitative Aussage über Expression oder Expressionsausfall
gemacht werden kann.
3.5
Statistische Auswertung
Die statistische Auswertung der Einzelwerte erfolgte mit dem Programmpaket BMDP,
Version 7.0, des Department of Biomathematics, School of Medicine, University of
California, Los Angeles.
22
Die Annahme einer Normalverteilung der Einzelwerte musste nach Anwendung des
Kolmogorov-Smirnov-Tests verworfen werden. Es wurden daher für alle Berechnungen
entweder
der
Mann-Whitney-U-Test
Rangvarianzanalyse)
verwendet.
oder
der
Kruskal-Wallis-Test
Außerdem kamen Pearson’s Chi2-Test
(Ein-Weg(für die
Untersuchung des Einflussfaktors „Geschlecht“) sowie ein lineares Regressionsmodell (für
die Bestimmung der Beeinflussung durch den Faktor „Alter“) zum Einsatz.
Für jede Untersuchungsgruppe wurden jeweils Rangsumme und Signifikanzniveau
bestimmt. Eine Unterscheidungswahrscheinlichkeit von p < 0,05 wurde als signifikant
bezeichnet.
Die Basisstatistik, wie Sensitivität und Spezifität, Mediane, Perzentilen etc., wurde anhand
von Vierfelder-Tafeln bzw. mit gängiger Computersoftware berechnet.18,74
23
4. Ergebnisse
4.1
Vergleich der Kollektive
Das zu untersuchende Kollektiv der HNPCC-Patienten setzte sich aus 59 Männern und 46
Frauen zusammen, die Vergleichsgruppe bestand aus 61 Männern und 46 Frauen mit
sporadischem Karzinom.
Das mittlere Alter zum Zeitpunkt der Erstmanifestation (OP-Termin), in Jahren +
Standardabweichung, betrug 45,3 +11,5 Jahre bei den HNPCC-Patienten und 65,9 + 10,3
Jahre bei den Vergleichspersonen.
In Tab. 1 sind die genannten Werte zusammengefasst.
Tab. 1: Vergleich der Kollektive
HNPCC
105
n
59 : 46
männlich : weiblich
Mittelwert
+
Standardabw.
45,3 + 11,5
Alter bei OP (in Jahren)
Median
44
25/75 %-Perzentilen
37 / 52
Bereich
20-82
Sporadisches CRC
107
61 : 46
65,9 + 10,3
66
58 / 73
46-86
Die Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Tumorlokalisationen ist für beide Gruppen in
Abb. 1a und 1b dargestellt.
Tumoren, die proximal der linken Kolonflexur gelegen waren (Caecum, Colon ascendens,
Colon transversum),
traten etwas häufiger
bei HNPCC-Patienten als bei der
Vergleichsgruppe auf; ebenso die Mehrfachtumoren. Etwa zwei Drittel der sporadischen
Karzinome waren distal der Flexur lokalisiert (Colon descendens, Colon sigmoideum,
Rectum). Bei je einem einzelnen Fall eines hereditären und sporadischen Karzinoms war
keine Angabe zur genauen Lokalisation im Dickdarm zu ermitteln.
Alle Tumoren beider Kollektive wurden entsprechend der in 3.2 beschriebenen
modifizierten Dukes-Klassifikation in die Stadien A-D eingeteilt. Die prozentuale
Häufigkeitsverteilung (A-B-C-D) war jeweils sehr ähnlich mit 20-38-30-12 % bei den
HNPCC-Tumoren und 21-34-27-18 % bei den sporadischen CRC. (Abb. 2a und 2b)
24
Abb. 1a: Tumorlokalisation bei HNPCC
Abb. 1b: Tumorlokalisation bei
sporadischem Karzinom
HNPCC
Sporadisches Karzinom
1%
8%
1%
1%
37%
43%
61%
48%
proximal
distal
Mehrfachtumor
proximal
keine Angabe
Abb. 2a: Verteilung der Dukes-Stadien bei
HNPCC
distal
Mehrfachtumor
keine Angabe
Abb. 2b: Verteilung der Dukes-Stadien bei
sporadischem Karzinom
HNPCC
Sporadisches Karzinom
12%
18%
20%
21%
30%
27%
34%
38%
Dukes A
Dukes B
Dukes C
Dukes D
Dukes A
Dukes B
Dukes C
Dukes D
Vor weiteren Analysen zunächst die Ergebnisse ergänzender Berechnungen:
1.) Anhand von Tab. 1 wird deutlich, dass das mittlere Alter der Patienten sich in den
beiden Gruppen deutlich unterscheidet. Gerade das Alter eines Patienten hat jedoch für die
CEA-Messung eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung, da die Basiswerte bei Älteren
im Allgemeinen höher sind als bei Jüngeren (s. 1.1.3.). Um sicherzugehen, dass der
Unterschied der CEA-Werte nicht einfach durch das unterschiedliche mittlere Alter in den
25
beiden Gruppen verursacht ist, wurde mit Hilfe eines Regressionsmodells die Assoziation
zwischen Alter und präoperativem Serumwert (log CEA) berechnet. Es ergab sich für
beide Gruppen einen nicht signifikanten Wert (s. Tab. 2). Somit kann ausgeschlossen
werden, dass die nachfolgend dargestellten Ergebnisse durch den Störfaktor „Alter“
verfälscht wurden.
Tab. 2: Regressionsmodell Alter / log CEA
HNPCC
Signifikanzniveau p = 0,1320
Sporadisches CRC
p = 0,1591
2.) Ebenso wie das Alter eines Patienten spielt, wie bereits erwähnt, auch das Geschlecht
eine Rolle bei der Bestimmung der CEA-Werte. Obwohl das Geschlechterverhältnis der
Vergleichsgruppe an das der HNPCC-Gruppe bewusst angeglichen wurde, sollte zusätzlich
auch auf statistischer Ebene eine Verfälschung der Werte durch das Geschlecht
ausgeschlossen
werden.
Pearson’s
Chi2-Test
ergab
für
den
Unterschied
des
Geschlechterverhältnisses in den beiden Gruppen erwartungsgemäß den nicht signifikanten
Wert p = 0,9843.
3.) Ein weitere, sehr bedeutende Frage betrifft die Methodik der CEA-Messung.
Aufgrund der geringen Zahl von sicher als „erblich bedingt“ klassifizierten kolorektalen
Karzinomen wurden bei der vorliegenden Studie die Patienten des HNPCC-Kollektivs aus
diversen Kliniken Deutschlands rekrutiert (s. 3.1), damit eine Gruppe von statistisch
verwertbarer Größe untersucht werden konnte.
Dadurch bedingt wurden jedoch für die Bestimmung der CEA-Serumspiegel in den
verschiedenen Laboratorien mehrere Methoden angewandt (s. 3.3).
Die Meinung über die Vergleichbarkeit von Werten aus verschiedenen Laboratorien geht
auseinander. Im allgemeinen gelten zwar die Differenzen zwischen den gebräuchlichen
Messmethoden
im
interindividuellen
Vergleich
als
nicht
relevant,
zumal
die
Referenzbereiche übereinstimmen; dennoch sollte gewisse Vorsicht bei der Bewertung
geübt werden.
Aus diesem Grund wurde folgender Test durchgeführt :
Von den 105 HNPCC-Patienten waren 41 im Klinikum Großhadern der LMU operiert
worden, die restlichen 64 in verschiedenen anderen Kliniken. 41mal war also eine
einheitliche Methode der CEA-Messung (MEIA) verwendet worden.
26
Nun waren die CEA-Werte dieser Subgruppe (41 von 105) nahezu identisch mit denen des
Gesamtkollektivs, wie Abb. 3 anhand der Medianwerte zeigt. Das Subkollektiv der 41
HNPCC-Patienten aus Großhadern zeigte einen annähernd gleich großen Unterschied zur
Gruppe der sporadischen Karzinome wie das Gesamtkollektiv.
Dieses Ergebnis erlaubte also, nachfolgend durchaus die CEA-Werte aller 105 HNPCCPatienten in die verschiedenen Rechnungen eingehen zu lassen.
Die Vergleichsgruppe bestand einheitlich aus Patienten des Klinikums Innenstadt der LMU
München, sodass hier dieses Problem nicht aufkam.
Abb. 3: Mediane des CEA bei Gesamt- bzw. Subkollektiv der
HNPCC-Patienten und bei der Vergleichsgruppe
3
Median CEA (ng/ml)
2,6
2,5
2,1
2,0
2
1,5
1
0,5
0
Gesamtkollektiv
HNPCC (n=105)
4.2
Subkollektiv HNPCC
(n=41)
Sporadisches
Karzinom (n=107)
CEA bei HNPCC und sporadischem Karzinom
Abb. 4a und 4b zeigen zunächst die präoperativen Einzelwerte des carcinoembryonalen
Antigens bei erblichem und sporadischem Karzinom. Auf den ersten Blick sind sich die
beiden Diagramme recht ähnlich; in beiden Gruppen waren viele CEA-Werte nicht
pathologisch erhöht. Genauer betrachtet fanden sich aber beim hereditären CRC deutlich
mehr Niedrigstwerte (< 1 ng/ml) als beim sporadischen Karzinom. Die „Ausreißer“ waren
bei der sporadischen Form von größerer Zahl und noch höherem Wert.
27
Abb. 4a: Einzelwerte der CEA-Messung bei den 105 HNPCC-Patienten
HNPCC
CEA (ng/ml)
10000
1000
100
10
1
0,1
0
20
40
60
80
100
120
100
120
n
Abb. 4b: Einzelwerte der CEA-Messung bei den 107 Vergleichspatienten
Sporadisches Karzinom
10000
CEA (ng/ml)
1000
100
10
1
0
0
20
40
60
80
n
Ein deutlicher Unterschied ist im Vergleich des präoperativen CEA-Mittelwertes (+
Standardabweichung) bei HNPCC und sporadischem Karzinom zu erkennen. Dieser lag in
der ersten Gruppe bei 31,7 + 180,5 ng/ml, bei der Vergleichsgruppe betrug er etwa das
Doppelte mit 68,3 + 424,5 ng/ml. (Abb. 5)
Als „robuster“ als der arithmetische Mittelwert, d.h. weniger anfällig für Schwankungen
der Einzelwerte (sogenannte „Ausreißer“), gilt in der Statistik der Median, der den
mittleren Wert der nach Größe sortierten Einzelwerte darstellt. Hierbei sind die
Differenzen zwischen den Kollektiven sehr viel geringer, aber dafür aussagekräftiger. Die
28
für die Labormedizin relevanten statistischen Werte - Median, Bereich, Perzentilen - sind
daher nachfolgend jeweils als Tabelle, zur Vervollständigung der Abbildungen, beigefügt.
Im Gesamtvergleich der CEA-Werte war auch der Median bei HNPCC niedriger als bei
sporadischem Karzinom (Tab. 3).
Dennoch konnte insgesamt kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden
Kollektiven ermittelt werden (p = 0,72).
Abb. 5: Mittelwerte der CEA-Messung bei HNPCC
und sporadischem Karzinom
Mittelwert CEA (ng/ml)
80
68,3
70
60
50
40
31,7
30
20
10
0
HNPCC
Sporadisches Karzinom
Tab. 3
n
CEA (ng/ml) Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
HNPCC
105
31,7 + 180,5
2,1
1,1 / 8,1
0,0 – 1819,0
Sporadisches CRC Signifikanzniveau
107
68,3 + 424,5
p = 0,72
2,6
1,1 / 7,5
0,0 – 4276,0
Im Folgenden sollen nun die präoperativen CEA-Werte genauer analysiert werden.
Zunächst wurden sie getrennt nach den vier Dukes-Stadien betrachtet.
Wie in Abb. 6 ersichtlich, steigt der CEA-Mittelwert in beiden Gruppen mit
fortgeschrittenem Tumorstadium an. In allen vier Stadien ist dabei das mittlere CEA bei
HNPCC-Patienten niedriger als bei den Patienten mit sporadischem Karzinom. Die
Differenz der Mittelwerte ist besonders deutlich im Stadium D.
Teilweise werden diese Ergebnisse jedoch durch die Medianwerte widerlegt, und auch eine
statistische Signifikanz konnte in keinem der vier Stadien ermittelt werden. (Tab. 4)
29
Abb. 6: CEA-Mittelwerte in Abhängigkeit vom Tumorstadium
HNPCC
Sporadisches Karzinom
400,0
350,5
Mittelwert CEA (ng/ml)
350,0
300,0
250,0
220,2
200,0
150,0
100,0
50,0
2,5
2,2
12,7
7,3
6,2
4,8
0,0
A
B
C
D
Dukes-Stadium
Tab. 4: CEA-Werte in Abhängigkeit vom Tumorstadium
Dukes A
Dukes B
Dukes C
Dukes D
n
CEA (ng/ml) Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
n
CEA (ng/ml) Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
n
CEA (ng/ml) Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
n
CEA (ng/ml) Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
HNPCC
21
2,2 + 2,5
1,2
0,8 / 2,5
0,0 - 8,6
39
4,8 + 8,2
2,0
1,1 / 5,0
0,6 - 50,0
32
7,3 + 13,4
2,7
1,1 / 5,0
0,5 - 60,0
13
220,2 + 487,7
49,3
16,6 / 194,0
7,4 – 1819,0
30
Sporadisches CRC
23
2,5 + 2,4
1,9
1,0 /2,6
0,5 – 9,9
36
6,2 + 12,4
2,7
1,0 / 5,3
0,5 - 70,3
29
12,7 + 42,2
2,4
1,0 / 6,5
0,2 – 229,3
19
350,5 + 977,6
18,1
4,3 / 143,0
0,5 – 4276,0
Signifikanzniveau
p = 0,17
p = 0,89
p = 0,91
p = 0,24
Vergleicht man - statt der absoluten Werte - den Prozentsatz präoperativer CEAErhöhungen (i.e. die Sensitivität) bei hereditärem und sporadischem Karzinom, so ergibt
sich insgesamt nur ein geringer Unterschied. 31,4 % der CEA-Werte bei HNPCC waren
erhöht (bei Festlegung des Grenzwertes auf 5 ng/ml, wie allgemein üblich), dagegen
34,6 % bei den sporadischen Tumoren.
Die Untersuchung der einzelnen Dukes-Stadien ergab jedoch ein überraschendes Ergebnis.
Bei Tumoren der Stadien A-C war die Sensitivität des CEA bei HNPCC ähnlich niedrig
wie bei sporadischen Karzinomen. Bei hereditären Tumoren im Stadium D dagegen erwies
sich das erhöhte CEA mit 100 % als hoch sensitiv. (Abb. 7)
Abb. 7 : Sensitivität des erhöhten CEA (> 5 ng/ml) bei HNPCC und sporadischem Karzinom
HNPCC
Sporadisches Karzinom
Sensitivität in %
100
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
73,7
37,9
23,1
14,3
25,0
25,0
13,0
Dukes A
Dukes B
Dukes C
Dukes D
Aufgrund dieses Ergebnisses wurde die Aussagekraft des erhöhten CEA-Wertes speziell
für die Erkennung der bereits metastasierten Dukes D-Tumoren ausführlicher untersucht.
Hierfür
wurden jeweils die nichtmetastasierten Tumorstadien Dukes A-C dem
metastasierten Stadium D gegenübergestellt, sodass zusätzlich zur Sensitivität auch die
Spezifität sowie der positiv und negativ prädiktive Wert des erhöhten CEA anhand von
Vierfelder-Tafeln berechnet werden konnten.
Analog zur guten Sensitivität waren dabei auch die übrigen Werte für die hereditären
Tumoren höher als für die sporadischen. (Tab. 5)
31
Tab. 5: Statistische Werte zur Aussagekraft des CEA
bei metastasiertem Karzinom (Dukes D)
%
Sensitivität
Spezifität
Pos.präd.Wert
Neg.präd.Wert
HNPCC
100
78,3
39,4
100
Sporadisches CRC
73,7
73,9
37,8
92,9
Das geschilderte Ergebnis lässt sich auch anhand einer ROC-Kurve (ROC = „ReceiverOperating-Characteristics“) darstellen. Bei dieser werden Sensitivität und inverse
Spezifität des Parameters CEA gegeneinander aufgetragen, im vorliegenden Fall bezogen
auf nicht-metastasierte (Dukes A-C) gegenüber metastasierten Tumoren (Dukes D).
Gewünscht wird von der Messgröße (hier CEA) eine möglichst hohe Sensitivität bei
ebenfalls möglichst hoher Spezifität. In solch einem Fall entfernt sich die Kurve möglichst
weit von der Winkelhalbierenden (d.h. wird steiler). Abb. 8 zeigt deutlich das bessere
Abschneiden des CEA bei den HNPCC-Tumoren gegenüber dem bei den sporadischen
Karzinomen.
Abb. 8: ROC-Kurven für CEA (metastasierte vs. nicht-metastasierte Tumoren ) bei HNPCC und
sporadischem Karzinom
100
Sensitivität [%]
80
60
HNP CC
S p ora dis c h es C R C
40
20
Spezifität [%]
0
100
80
60
40
20
0
Auch die Fläche unter der ROC-Kurve („AUC“ = area under the curve) hat eine
Bedeutung. Sie ist umso größer, je besser das Sensitivitäts-Spezifitäts-Verhältnis des
untersuchten Parameters ist (im Idealfall hat sie den Wert 1).
32
Im vorliegenden Vergleich zwischen hereditären und sporadischen Dukes D-Karzinomen
war diese Flächenmaßzahl, wie es sich schon mit bloßem Auge erkennen lässt, bei HNPCC
etwas größer als bei sporadischen Tumoren. (Tab. 6)
Tab. 6: AUC des Markers CEA bei HNPCC und sporadischem
Karzinom in Stadium D
AUC + Standardabw.
Konfidenzintervall
HNPCC
0,962 + 0,019
0,926 – 0,999
Sporadisches CRC
0,821 + 0,059
0,705 – 0,937
In acht Fällen des HNPCC-Kollektivs lagen außer dem präoperativen CEA beim Ersttumor
auch Werte bei späterer Metastasierung (im postoperativen Verlauf) vor.
Von diesen acht Patienten mit späteren Metastasen hatten drei (= 37,5 %) bereits beim
Ersttumor einen präoperativen CEA-Wert > 5 ng/ml. Der Mittelwert lag mit 21,6 + 32,6
ng/ml ähnlich niedrig wie im Gesamtkollektiv mit 31,7 + 180,5.
Zum Zeitpunkt der Metastasierung war der CEA-Mittelwert dieser acht Patienten dann
signifikant höher mit 170,3 + 343,0 ng/ml (p < 0,02). Fünf der acht Werte (= 62,5 %) lagen
über 5 ng/ml. Die Medianwerte (s. Tab. 7) verhielten sich äquivalent zu den (in Abb. 9
dargestellten) Mittelwerten.
Abb. 9: CEA bei Ersttumor und bei späterer Metastasierung
170,3
Mittelwert CEA (ng/ml)
180
160
140
120
100
80
60
40
21,6
20
0
Ersttumor
Metastasen
Tab. 7
n
CEA (ng/ml)
Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
Ersttumor
8
21,6 + 32,6
3,6
1,8 / 49,0
1,1 – 85,3
33
Metastasen Signifikanzniveau
8
170,3 + 343,0 p < 0,02
33,6
2,6 / 179,5
1,8 – 1000,0
4.3
Weitere Ergebnisse im HNPCC-Kollektiv
Innerhalb des HNPCC-Kollektivs wurde der mittlere CEA-Wert in Abhängigkeit von
verschiedenen histologischen und molekulargenetischen Charakteristika analysiert.
4.3.1 Differenzierungsgrad
Zunächst wurde die Höhe des mittleren CEA-Wertes bei Tumoren mit verschiedenen
histologischen Differenzierungsgraden (G1-4) untersucht. Dieser war bei 103 der
insgesamt 105 Patienten zu ermitteln.
Je ein einziger Tumor wurde als hoch- (G1) und sehr gering differenziert (G4)
diagnostiziert, 53 als mittelmäßig (G2) und 48 als gering differenziert (G3). Aufgrund der
geringen Fallzahlen von G1 und G4 wurden die gutdifferenzierten Tumoren (G1/2) sowie
die schlechtdifferenzierten (G3/4) zusammengefasst.
Dabei ergab sich ein signifikant höherer Mittelwert (p = 0,02) für die stärker
entdifferenzierten Tumoren gegenüber den differenzierteren (62,2 + 262,2 vs. 5,0 + 9,6
ng/ml). (Abb. 10, Tab. 8)
Abb. 10: CEA in Abhängigkeit vom Differenzierungsgrad
Mittelwert CEA (ng/ml)
70
62,2
60
50
40
30
20
10
5,0
0
G1+2
G3+4
Tab. 8
N
CEA (ng/ml) Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
G1+2
54
5,0 + 9,6
1,7
1,0 / 4,5
0,0 – 49,3
34
G3+4
Signifikanzniveau
49
62,2 + 262,2 p = 0,02
3,3
1,1 / 14,7
0,5 – 1819,0
4.3.2 Tumorhistologie
Bei den 105 Patienten wurde in 19 Fällen ein muzinöses und in 86 Fällen ein nichtmuzinöses Karzinom diagnostiziert. Der mittlere präoperative CEA-Wert war bei den
nichtmuzinösen höher (37,1 + 199,2 ng/ml) als bei den muzinösen Tumoren (7,0 + 13,3
ng/ml). Allerdings verhielten sich die Medianwerte umgekehrt (2,1 vs. 3,3), und
dementsprechend war auch keine statistische Signifikanz zu ermitteln (p = 0,62).
(Abb. 11, Tab. 9)
Abb. 11: CEA in Abhängigkeit von der Tumorhistologie
Mittelwert CEA (ng/ml)
70
60
50
37,1
40
30
20
10
7,0
0
muzinös
nichtmuzinös
Tab. 9
n
CEA (ng/ml)
Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
muzinös
19
7,0 + 13,3
3,3
1,7 / 8,6
0,0 – 60,0
nichtmuzinös
86
37,1 + 199,2
2,1
1,1 / 7,8
0,5 - 1819,0
Signifikanzniveau
p = 0,62
4.3.3 Tumorlokalisation
45 Tumoren waren proximal der Flexura coli sinistra im Darm lokalisiert, 50 distal der
Flexur (übrige Verteilung s. Abb. 1a). Der Mittelwert des CEA lag bei den proximal
gelegenen Tumoren deutlich höher als bei den distalen (57,3 + 278,7 vs. 16,1 + 40,9
ng/ml), während sich die Medianwerte hier wieder umgekehrt verhielten (2,0 vs. 3,0).
Somit war der Unterschied auch nicht signifikant (p = 0,64).
(Abb. 12, Tab. 10)
35
Abb. 12: CEA in Abhängigkeit von der Tumorlokalisation
Mittelwert CEA (ng/ml)
70
57,3
60
50
40
30
16,1
20
10
0
proximal
distal
Tab. 10
n
CEA (ng/ml)
Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
proximal
45
57,3 + 278,7
2,0
1,0 / 8,6
0,0 – 1819,0
distal
50
16,1 + 40,9
3,0
1,1 / 8,8
0,5 – 208,0
Signifikanzniveau
p = 0,64
4.3.4 Genetische Merkmale
Das Patientengut, das unter HNPCC klassifiziert werden kann, stellt molekulargenetisch
betrachtet keine homogene Gruppe dar: Nicht bei allen familiär belasteten Patienten lässt
sich eine Mutation der Reparaturgene nachweisen. Aus diesem Grund wurden die HNPCCPatienten in Bezug auf drei „klassische“ Charakteristika des Lynch-Syndroms in
Subgruppen eingeteilt: Nach ihrem Mikrosatellitenstatus (stabil/instabil), ihrem Genotyp
bzgl. der Reparaturgene hMLH1 und hMSH2 (keine/eine/zwei Mutationen), sowie nach
der
entsprechenden
immunhistochemischen
Expression
Untersuchung
der
Mismatch-Reparatur-Proteine
(Expressionsausfall
von
in
der
keinem/einem/beiden
Proteinen). In jeder Gruppe wurde dann die Verteilung der CEA-Werte analysiert.
In die nachfolgend dargestellten Einzelanalysen wurden nur diejenigen 76 HNPCCPatienten einbezogen, von denen Ergebnisse aller drei Untersuchungen vorlagen.
Bei der Untersuchung des Mikrosatellitenstatus zeigten 49 Tumoren eine Auffälligkeit in
zwei oder mehr Markern des internationalen Referenzpanels, sodass sie als „instabil“
(MSI) klassifiziert werden konnten. Die restlichen Tumoren wiesen keinen oder nur einen
abweichenden Marker auf und wurden als „mikrosatellitenstabil“ (MSS) gezählt.
36
Der mittlere CEA-Wert lag bei den mikrosatellitenstabilen Tumoren mit 52,8 + 263,5
ng/ml deutlich höher als bei den instabilen Tumoren (6,9 + 13,4 ng/ml). Dieser
Unterschied konnte jedoch nicht durch die Medianwerte unterstützt werden, welche fast
identisch waren. Daher war das Ergebnis auch nicht signifikant (p = 0,88). (Abb. 13,
Tab.11)
Abb. 13: CEA-Werte in Abhängigkeit vom Mikrosatellitenstatus
Mittelwert CEA (ng/ml)
60
52,8
50
40
30
20
6,9
10
0
stabil
instabil
Tab. 11
n
CEA (ng/ml)
Mittelwert + Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
stabil
48
52,8 + 263,5
2,1
1,0 / 8,5
0,5 – 1819,0
instabil
28
6,9 + 13,4
2,2
1,0 / 6,4
0,0 – 60,0
Signifikanzniveau
p = 0,88
Die Mutationsanalyse ergab in acht Fällen eine Mutation im hMLH1-Gen, in sechs Fällen
eine im hMSH2-Gen, und in neun Fällen sogar in beiden Genen. Bei 53 Patienten konnte
in keinem der beiden Gene eine Mutation nachgewiesen werden. Der höchste mittlere
CEA-Wert sowie auch der höchste Medianwert fand sich in der Gruppe ohne nachweisbare
hMLH1- oder hMSH2-Mutation, dennoch war das Ergebnis nicht statistisch signifikant
(p = 0,63). (Abb. 14, Tab. 12)
In
der
immunhistochemischen
Untersuchung
zeigten
zehn
Tumoren
einen
Expressionsverlust des hMLH1-Proteins, neun einen Verlust des hMSH2-Proteins und ein
einziger wies einen Ausfall beider Proteine auf. In 56 Fällen war die Expression beider
Proteine positiv. Diese Patienten mit normaler Proteinexpression boten auch hier den
höchsten Mittelwert mit 46,2 + 244,2 ng/ml. Die Medianwerte zeigten jedoch ein weniger
deutliches Bild, und auch eine statistische Signifikanz ließ sich nicht feststellen (p = 0,89).
(Abb. 15, Tab. 13)
37
Abb. 14: CEA in Abhängigkeit vom Mutationsstatus
Mittelwert CEA (ng/ml)
60
50
48,4
40
30
20
10,9
10
4,8
4,9
Mutation hMLH1
Mutation hMSH2
0
keine Mutation
Mutation hMLH1 und
hMSH2
Tab. 12
n
CEA (ng/ml) Mittelwert +
Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
keine
Mutation
53
48,4 + 250,8
Mut.
hMLH1
8
4,8 + 5,2
Mut.
hMSH2
6
4,9 + 5,9
Mut. hMLH1
und hMSH2
9
10,9 + 27,9
3,0
1,0 / 8,0
0,5 – 1819,0
2,6
1,2 / 7,9
1,0 – 15,9
1,2
1,1 / 11,9
1,0 – 13,5
2,1
0,6 / 3,1
0,0 – 85,3
Sign.niveau
p = 0,63
Abb. 15: CEA in Abhängigkeit von der Proteinexpression
Mittelwert CEA (ng/ml)
50
46,2
40
30
20
10,3
10
5,0
4,0
0
normale Expression
Ausfall hMLH1
Ausfall hMSH2
Ausfall hMLH1 und
hMSH2
Tab. 13
n
CEA (ng/ml) Mittelwert +
Standardabw.
Median
25/75 %-Perzentilen
Bereich
normale
Expression
56
46,2 + 244,2
Ausfall
hMLH1
10
4,0 + 4,1
Ausfall
hMSH2
9
10,3 + 19,3
2,1
1,0 / 6,9
0,5 – 1819,0
2,2
1,0 / 7,2
0,7 – 13,0
1,2
1,0 / 12,4
0,0 – 60,0
38
Ausfall hMLH1
und hMSH2
Sign.niveau
1
5,0
p = 0,89
5. Diskussion
Seit über 30 Jahren ist das carcinoembryonale Antigen (CEA) als meistverwendeter
Tumormarker anerkannt. Besonders in der Diagnostik und Verlaufsbeobachtung des
kolorektalen Karzinoms ist seine Bedeutung unumstritten.15
Entgegen früherer Behauptung wird das Antigen nicht nur im embryonalen und
karzinomatösen Gewebe produziert, sondern in geringen Mengen auch in der normalen
Kolonschleimhaut. Je nach verwendeter Messmethode werden Serumwerte unter 1,5 oder
unter 5 ng/ml als normal angesehen.82 Leichte, meist transitorische Erhöhungen bis 10
ng/ml können bei Patienten mit benignen Erkrankungen von Darm, Leber, Pankreas und
Lunge, sowie bei starken Rauchern auftreten. Werte über 15-20 ng/ml sind als stark
malignitätsverdächtig zu betrachten.
In den meisten Studien zum CEA wird der Cut-off-Punkt (Grenzwert) zwischen „normal“
und „pathologisch“ bei 5 ng/ml festgesetzt. So ergibt sich für das kolorektale Karzinom
folgender Prozentsatz an CEA-Erhöhungen in Abhängigkeit vom Tumorstadium nach
Dukes (in Klammern die Prozentwerte unserer Patienten mit sporadischem CRC, die den
Daten der Literatur weitgehend entsprachen): A = 0-20 % (13,0), B = 20-40 % (25,0), C =
40-60 % (37,9), D = 60-95 % (73,7).34-35,86
Mit dieser geringen Sensitivität ist das CEA als reine Screeningmethode für die Erkennung
kolorektaler Karzinome als ungeeignet anzusehen.
Nichtsdestotrotz ist die Bestimmung des carcinoembryonalen Antigens durchaus von
Bedeutung. Die Höhe des präoperativen CEA korreliert vielen Studien zufolge mit dem
Tumorstadium, der Rezidivrate und der Überlebenszeit.4,25,27,52,75,80,90,92
Da sich das CEA insgesamt als unabhängiger prognostischer Faktor bewiesen hat, wurde
im Jahr 2000 vom AJCC sogar vorgeschlagen, diesen Wert in das TNM-Staging-System
zur präoperativen Klassifikation von Tumoren aufzunehmen.65,92,12
Klinische, biologische und histopathologische Unterschiede zwischen sporadischen und
hereditären Kolonkarzinomen sind schon von vielen Arbeitsgruppen sehr ausführlich
untersucht worden (s.o.).
Die bisher durchgeführten Studien zum CEA basieren jedoch auf Patientengruppen ohne
Differenzierung zwischen erblichen und nicht-erblichen Formen des Kolonkarzinoms.
39
Zum Serum-CEA speziell bei hereditärem Kolonkarzinom waren dagegen in der Literatur
nur spärliche und z.T. veraltete Ergebnisse zu finden:
Guirgis et al. sowie Lynch et al. erwähnten 1978 „elevated CEA values (...) in the
cancer family syndrome“.24,40 Hierbei wurde allerdings nicht genauer zwischen der
tatsächlichen Höhe der Werte bei sporadischen und der bei hereditären Tumoren
unterschieden.
Die gleichen Autoren werteten das erhöhte CEA als Marker für „erhöhtes genetisches
Karzinomrisiko“ bei Patienten mit Cancer Family Syndrome.23-24 In diesen Studien
wurde jedoch auch bei den jeweiligen nicht-verwandten Ehepartnern der CFSPatienten CEA-Erhöhungen gefunden, sodass andere, unbeachtete Faktoren als Grund
für solch ein Ergebnis anzunehmen sind. Die Validität dieser Aussage muss daher wohl
recht vorsichtig bewertet werden.
In einer Studie von Lau-Werner und Stieber wurde erwähnt, CEA habe „keinerlei
Stellenwert in der Screeningsituation, (...) auch für Risikogruppen mit genetischer
Belastung für ein kolorektales Karzinom“.35 Es wird allerdings lediglich die Qualität
des Tumormarkers im Screening bewertet, und auf die Risikogruppen wird in diesem
Artikel auch nicht näher eingegangen.
Eine aktuellere Publikation (2004) existiert zumindest zu einem verwandten Thema:
Eine Arbeitsgruppe aus Korea untersuchte u.a. die CEA-Werte bei zwar sporadischen,
aber mikrosatelliteninstabilen CRC. Sie ermittelten in dieser speziellen Gruppe nicht
nur niedrigere präoperative Serumwerte des CEA, sondern auch eine Dominanz
proximal gelegener Tumoren, Assoziation mit geringer Differenzierung, sowie
selteneres Auftreten von systemischen Metastasen. Diese Merkmale erinnern sehr an
die „richtigen“ HNPCC-Tumoren, die eine positive Familienanamnese aufweisen. Zu
jenen wurde in der Studie jedoch keine Aussage gemacht.37
Die vorliegende Arbeit diente daher dem Ziel, die Höhe der präoperativen CEA-Werte bei
Patienten mit hereditärem nicht-polypösen Kolonkarzinom genauer zu analysieren, sie
qualitativ und quantitativ mit denen von Patienten mit sporadischem Kolonkarzinom zu
vergleichen und die Bedeutung der CEA-Bestimmung für diese Patientenentität zu
ermitteln.
Hierfür wurden von 105 Patienten mit kolorektalem Karzinom, die entsprechend den
Amsterdam- oder Bethesda-Kriterien in die anfangs beschriebene HNPCC-Studie
40
aufgenommen
worden
waren,
Daten
gesammelt.
Tumorzahl
und
-lokalisation,
pathologische Befunde und weitere Angaben zu Alter, Geschlecht etc. wurden
dokumentiert. Des Weiteren wurde eine Mikrosatellitenanalyse nach den Empfehlungen
der International Collaborative Group on HNPCC (ICG-HNPCC), eine Mutationsanalyse
der beiden höchstrelevanten Gene hMLH1 und hMSH2, sowie eine immunhistochemische
Untersuchung der Proteinexpression durchgeführt. Als Vergleichsgruppe dienten 107
Patienten des Klinikums Innenstadt der LMU München, die wegen eines sporadischen
kolorektalen Karzinoms operiert worden waren.
Wie unter 1.1.3 bereits beschrieben, gibt es Faktoren, die einen gesicherten Einfluss auf die
Höhe des CEA-Wertes haben; hauptsächlich Alter, Geschlecht und Nikotinkonsum des
Patienten sowie das Tumorstadium. Diese sollten natürlich das Ergebnis nach Möglichkeit
nicht verzerren, weswegen zusätzliche Berechnungen nötig waren (s. 4.1).
Das mittlere Alter der HNPCC-Patienten bei Erstoperation lag mit 45,3 Jahren fast
genau bei dem Wert, den Lynch et al. als Durchschnittswert angeben (45,6)44 und
damit deutlich unter dem der familiär nicht belasteten Patienten. Dieses Ergebnis
war aufgrund der Definition des Lynch-Syndroms zu erwarten und ein AltersMatching der beiden Kollektive auch gar nicht möglich (s. 3.1).
Bei älteren Patienten finden sich allerdings im Allgemeinen vermehrt erhöhte CEAWerte. Um diese mögliche Fehlerquelle aufzudecken wurde ein Vergleich zwischen
jüngeren und älteren Patienten beider Kollektive aufgestellt. Da sich hierbei kein
signifikanter Unterschied herausstellte, kann man davon ausgehen, dass der
niedrigere Mittelwert nicht allein durch das niedrigere Alter der HNPCC-Patienten
bedingt ist.
Die
Geschlechterverteilung
im
HNPCC-Kollektiv
zeigte
eine
leichte
Männerdominanz (59 : 46). Diese ist laut einer Studie von Mecklin typisch für das
Cancer Family Syndrome.51 Das sporadische Karzinom dagegen betrifft im
Allgemeinen etwas häufiger Frauen.86
Da der CEA-Wert u.a. auch durch das
Geschlecht des Patienten beeinflusst wird, wurde das Verhältnis männlicher zu
weiblicher Patienten in der Vergleichsgruppe weitestgehend dem des HNPCCKollektivs angepasst. Zusätzlich wurde mit Hilfe von Pearson’s Chi2-Test der nicht
vorhandene Unterschied im Geschlechterverhältnis der beiden Gruppen bestätigt.
Bezüglich der Verteilung der Tumorstadien (Dukes A-D) zeigten die beiden
Kollektive kaum Unterschiede (s. Abb. 2a und 2b), d.h. in beiden Gruppen gab es
41
ähnlich viele Patienten mit fortgeschrittenem Tumor und damit eher erhöhtem
CEA-Wert.
Einzig das Rauchverhalten der Patienten konnte in dieser retrospektiven Studie
nicht
mehr
ermittelt
werden,
sollte
aber
durch
das
gematchte
Geschlechterverhältnis ausgeglichen werden.
Eine erste Betrachtung von Einzel-, Mittel- und Medianwerten der präoperativen CEABestimmung zeigte, dass bei HNPCC-Patienten mit insgesamt niedrigeren Markerwerten
gerechnet werden muss als bei Patienten mit sporadischem kolorektalen Karzinom. Eine
Differenz der Mittelwerte war in allen vier Dukes-Stadien nachzuweisen. Die Medianwerte
bestätigten diese Differenz zumindest in den Stadien A und B.
Für die geringere CEA-Ausschüttung bei HNPCC-assoziierten Tumoren gibt es sicherlich
mehr als eine Erklärung. Eine naheliegende ist die pathophysiologische: Wie in 1.1.3
bereits erläutert, befindet sich das CEA im gesunden Kolon als zellmembran-assoziiertes
Molekül in der apikalen Glykokalyx der Enterozyten und wird aus Mikrovesikeln ins
Darmlumen abgegeben, geht also mit den Fäzes verloren. Tumorzellen dagegen setzen
CEA in alle Richtungen ins Gewebe frei. Bei einem aggressiv wachsenden Tumor, der
evtl. auch Gefäße arrodiert, gelangt das Antigen auf diese Weise also leicht in die
Blutbahn. Die hereditären Karzinome beim Lynch-Syndrom werden jedoch häufiger als
„expansiv“ statt „infiltrativ“ beschrieben, greifen demnach auch weniger Gefäße an und
geben weniger CEA in die Blutbahn ab.
Vermutlich spielen auch anti-CEA-Antikörper eine Rolle. Wie eine Untersuchung von
Albanopoulos et al. zeigte, können solche Antikörper als Zeichen einer guten
Immunantwort des Körpers und somit (ebenso wie CEA selbst, nur in umgekehrter
Relation) als prognostischer Faktor gewertet werden.3 Da sich Patienten mit LynchSyndrom nun gerade durch ein starkes Immunsystem auszeichnen, ist anzunehmen, dass
bei ihnen auch die Zahl der Antikörper gegen CEA besonders hoch ist. Diese Antikörper,
welche die CEA-Moleküle in der Blutbahn eliminieren, bieten also eine weitere
Begründung für den reduzierten Serumspiegel an CEA.
42
Nachdem also insgesamt eher niedrige CEA-Werte bei HNPCC-Patienten ermittelt worden
waren, überraschte das Ergebnis der Sensitivitätsbestimmung umso mehr:
Die unzureichende Sensitivität des erhöhten CEA für die (Erst-)Diagnose eines
kolorektalen Tumors war bereits bekannt (s.o.). Auch die vorliegende Untersuchung an
105
Patienten mit hereditärem Karzinom führte, insgesamt gesehen, zu einem ähnlich
„schlechten“ Ergebnis: Hier waren sogar insgesamt noch weniger CEA-Werte erhöht
(31,4 % der Werte > 5 ng/ml) als bei den Vergleichspatienten mit sporadischem Karzinom
(34,6 %).
Auch für die Subgruppe der Patienten mit HNPCC muss das carcinoembryonale Antigen
also als nicht hinreichend zuverlässiger Tumorindikator gesehen werden.
Eine Ausnahme zeigte sich jedoch bei der Untersuchung der einzelnen Tumorstadien. Für
die Stadien Dukes A-C lag die Sensitivität des CEA bei HNPCC ähnlich niedrig wie bei
den sporadischen Karzinomen - nicht aber für das Stadium D.
Dass das carcinoembryonale Antigen ein guter Indikator für Metastasen (insbesondere
Lebermetastasen) ist, war für sporadische kolorektale Tumoren bereits hinlänglich
bekannt.4,35,90 In der Literatur wird für das kolorektale Karzinom allgemein eine
Sensitivität von 60-95 % für das Erkennen eines metastasierten Erstumors (Dukes D)
angegeben.34-35,86 Bei den hier untersuchten HNPCC-Patienten waren sogar 100 % der
CEA-Werte bei Dukes D-Tumoren erhöht (> 5 ng/ml), womit die Erwartung noch
übertroffen wurde.
Auch Spezifität, positiv und negativ prädiktiver Wert waren überraschend hoch (und
jeweils noch höher als bei den sporadischen Karzinomen). Dieses Ergebnis konnte auch
durch Erstellung der ROC-Kurve und der entsprechenden AUC bestätigt werden.
Daraus kann geschlussfolgert werden, dass ein metastasierter Tumor bei HNPCC-Patienten
zuverlässiger durch den präoperativen CEA-Serumspiegel angezeigt wird als bei Patienten
mit sporadischem CRC.
Auch eine später folgende Metastasierung im postoperativen Verlauf führte bei fünf von
acht HNPCC-Patienten zu einem erhöhten CEA-Wert (> 5 ng/ml). Das mittlere CEA
43
dieser acht Patienten lag zum Zeitpunkt der Metastasierung deutlich höher als bei den
entsprechenden Ersttumoren der selben Patienten.
Das Vorhandensein von Metastasen eines hereditären Primärtumors wird demnach relativ
zuverlässig durch CEA-Erhöhung angezeigt; und zwar auch wenn der Ersttumor nicht mit
erhöhten Tumormarkerwerten einhergegangen war.
Kritisch angemerkt werden muss allerdings, dass diese Ergebnisse auf sehr geringen
Fallzahlen basiert, da nur 13 HNPCC- und 19 Vergleichspatienten einen Dukes D-Tumor
aufwiesen.
Ein weiteres Ziel dieser Studie lag darin, mögliche Faktoren bzw. Tumormerkmale zu
untersuchen, welche die CEA-Ausschüttung beeinflussen bzw. zu den reduzierten
Serumspiegeln führen könnten. Diese sollen im Folgenden einzeln erläutert werden.
1.) Ein besonderes Merkmal der hereditär bedingten Kolonkarzinome ist deren niedriger
Differenzierungsgrad.
differenzierten
In
Tumoren
vielen
zu
Untersuchungen
niedrigen
führten
CEA-Spiegeln,
gerade
diese
sodass sich der
gering
niedrige
Gesamtmittelwert bei HNPCC-Patienten durch die Häufigkeit schlecht differenzierter
Karzinome erklären ließe.4,25,53,76 Im vorliegenden HNPCC-Kollektiv wurde dies allerdings
nicht bestätigt; hier riefen gerade die höherdifferenzierten Tumoren (G1, G2) niedrigere
CEA-Werte hervor als die schlecht differenzierten (G3, G4). In der Summe änderte dieser
Faktor den Mittelwert jedoch nicht; es kam trotz der Vielzahl schlechtdifferenzierter
HNPCC-Tumoren zu dem insgesamt niedrigeren Mittelwert.
2.) Bei Einteilung der 105 Karzinome nach ihrem histologischen Typ (muzinöse /
nichtmuzinöse Tumoren) und Vergleich der jeweiligen Mittelwerte des präoperativen CEA
ergab
sich ein höherer
Wert
für
nichtmuzinöse als für
muzinöse Tumoren.
Bekanntermaßen sind unter hereditären Kolonkarzinomen mehr muzinöse vetreten als
unter sporadischen Kolonkarzinomen. Die häufigeren muzinösen Tumoren, die niedrigere
CEA-Werte hervorrufen, könnten also zu dem niedrigen Mittelwert beitragen. Allerdings
konnte das Ergebnis weder durch die Medianwerte noch durch statistische Signifikanz
gestützt werden.
44
3.) Ebenfalls als Merkmal des Lynch-Syndroms bezeichnet wird die häufigere proximale
Tumorlokalisation. In der Literatur wurde hierzu mehrfach berichtet, dass genau diese
rechtsseitig gelegenen Dickdarmkarzinome zu niedrigeren CEA-Werten führten, bzw. dass
die Sensitivität des CEA für proximale Tumoren geringer sei.4,15,33,48,77,90 Somit würde das
Vorherrschen der proximal lokalisierten Karzinome bei HNPCC-Patienten den niedrigen
CEA-Gesamtwert zusätzlich erklären.
Im untersuchten Kollektiv war das Bild jedoch schwer zu analysieren, da die proximalen
Tumoren keinen niedrigeren, sondern höheren Mittelwert aufwiesen - dafür aber einen
niedrigeren Medianwert. Eine Wiederholung der Untersuchung, möglichst an einem
größeren Kollektiv, wäre daher angebracht.
4.) Des Weiteren sollten die CEA-Werte bei Patienten mit und ohne genetische
Veränderungen verglichen werden. Dafür wurde das Kollektiv der HNPCC-Patienten auf
drei „klassische“ Charakteristika von HNPCC-Tumoren (Mikrosatelliteninstabilität,
Reparaturgenmutation und Ausfall der entsprechenden Proteinexpression) hin untersucht
und die CEA-Werte der jeweiligen Untergruppen einander gegenübergestellt.
Im Vergleich von mikrosatellitenstabilen und instabilen Tumoren ergaben sich
deutlich höhere CEA-Mittelwerte in der stabilen Gruppe.
Bei Einteilung der HNPCC-Tumoren in solche ohne Mutation (weder hMLH1 noch
hMSH2), mit einer Mutation (entweder hMLH1 oder hMSH2) und mit Mutation
beider Gene) stellte sich heraus, dass die mutationsfreien Tumoren wiederum die
höchsten CEA-Werte hervorriefen.
Ebenso verhielt es sich mit den jeweiligen Untergruppen bzgl. der entsprechenden
Proteinexpression; hier zeigten Tumoren mit normaler MMR-Proteinexpression die
höchsten CEA-Werte.
Insgesamt fanden sich also bei Tumoren, die nicht nur nach klinischen Kriterien
(Amsterdam-/Bethesda-) als HNPCC klassifiziert werden konnten, sondern auch die
klassischen
genetischen
„HNPCC-Merkmale“
(Mikrosatelliteninstabilität,
Reparaturgenmutation und entsprechender Expressionsausfall) aufwiesen, niedrigere CEAWerte als bei Tumoren ohne diese Merkmale. Tumoren, die zwar klinisch als HNPCC
klassifiziert wurden, aber nicht die genetischen Charakteristika aufwiesen, ähnelten
bezüglich ihrer hohen Werte eher den sporadischen Tumoren.
45
Diese Auffälligkeit ist gut vereinbar mit kürzlich publizierten Ergebnissen von Schiemann
et al. sowie Müller-Koch et al.55,70-71 Jenen zufolge kann davon ausgegangen werden, dass
innerhalb der HNPCC-Population noch eine Subgruppe von Tumoren ohne genetische
Veränderungen (mikrosatellitenstabil, mutationsnegativ) existiert, die typische Merkmale
von sporadischen CRC aufweisen (höheres Erkrankungsalter, weniger extrakolonische
Tumormanifestationen und vermehrt linksseitige Kolonkarzinome).
In Publikationen anderer Arbeitsgruppen, sowie auch in denjenigen, die aus der hier
vorliegenden Arbeit herausgegangen sind, wurde bereits häufiger auf diese Gruppe von
mikrosatellitenstabilen
Amsterdam-
oder
Bethesda-positiven
Tumoren
und
deren
Ähnlichkeit zu sporadischen CRC hingewiesen.6,67-69,73 Nach Lindor et al. muss diese
spezielle Gruppe sogar als eigene Krankheitsentität gesehen werden, für die seine
Arbeitsgruppe die Bezeichnung „familial colorectal cancer type X“ vorschlägt.38
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie legen nahe, dass auch die höhere CEAAusschüttung als Charakteristikum dieser Gruppe von „HNPCC-Tumoren ohne genetische
Alterationen“ zu sehen ist.
Insgesamt wird es durch die neuen Erkenntnisse schwieriger, zwischen hereditären
Tumoren mit positiver Familienanamnese, aber ohne genetische Merkmale, und
sporadischen CRC ohne familiären Hintergrund, aber mit nachgewiesener Instabilität (die
z.B. die Gruppe aus Korea untersuchte) zu unterscheiden.
Insgesamt sind die meisten der einzelnen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit in sich
konsistent und führen zu dem Schluss, dass bei Lynch-Patienten prinzipiell niedrigere
CEA-Werte zu erwarten sind. Insbesondere zeigte sich dies für die „typischen“ HNPCCTumoren mit genetischen Alterationen (Mikrosatelliteninstabilität, Reparaturgenmutation,
Proteinexpressionsausfall).
Kritisch bewertet werden muss allerdings, dass die errechneten Mittelwerte zwar auf den
ersten Blick sehr deutliche Unterschiede aufweisen und somit ein klares Ergebnis
suggerieren, dieses sich jedoch nicht immer durch statistische Signifikanz bestätigen ließ
und teilweise die Medianwerte ein anderes Bild ergaben. Vermutlich werden die
Berechnungen, gerade die dafür anfälligen Mittelwerte, trotz der relativ großen Fallzahlen
durch die „Ausreißer“, die in beiden Kollektiven auftraten, stark beeinflusst.
46
Dennoch lässt sich eine gewisse Tendenz zu niedrigen Tumormarkerwerten bei HNPCCPatienten nicht leugnen.
Für den klinischen Alltag bedeutet dies, dass bei Patienten mit bekannter familiärer
Belastung im Sinne des Lynch-Syndroms die Bestimmung des CEA-Wertes mit größerer
Vorsicht zu betrachten ist als beim Kolonkarzinom im Allgemeinen.
Während die Höhe des Messwertes bei Patienten mit sporadischem Karzinom ein
bestimmtes Stadium anzeigen kann, darf man sich bei den niedrigeren Werten der
HNPCC-Patienten nicht
darauf verlassen,
dass sich tatsächlich ein Tumor in
Anfangsstadien dahinter verbirgt.
Andererseits zeigte die gute Sensitivität des CEA für hereditäre Dukes D-Tumoren sowie
für spätere (postoperative) Metastasierungen, dass dieser Tumormarker gerade für die
hereditär belasteten Patienten ein guter Metastasenindikator ist.
Dies führt zu dem Schluss, dass der CEA-Wert für Patienten mit hereditärem
Kolonkarzinom zwar wenig Bedeutung im präoperativen Staging des Ersttumors hat, aber
in der Verlaufsbeobachtung und im Erkennen von Metastasen von größerem Nutzen ist.
Die relativ teure Maßnahme (die Kosten einer CEA-Bestimmung nach DKGNTVerrechnungsschlüssel, Stand 17.01.2005, betragen immerhin
für HNPCC-Patienten durchaus sinnvoll, nicht zuletzt weil sie einfach und standardisiert
durchführbar ist und von den meisten Patienten bereitwillig akzeptiert wird.
Weitere Untersuchungen an größeren Kollektiven sind nun nötig, um die Ergebnisse der
vorliegenden Studie zu bestätigen. Zudem werfen die genannten Erkenntnisse wieder neue
Fragen (insbesondere bzgl. des postoperativen Verlaufs des CEA-Wertes bei HNPCCTumoren, was nicht Thema dieser Arbeit war) auf, die der Klärung bedürfen.
Auch andere Methoden wie z.B. die Bestimmung von anti-CEA-Antikörperspiegeln oder
die direkte immunhistochemische Messung von (tissue-)CEA im Tumorgewebe sollten auf
ihre Relevanz für Patienten mit Lynch-Syndrom hin untersucht werden.
Zudem sollte nochmals darauf hingewiesen werden, dass die hier ermittelten Ergebnisse
auf
CEA-Messungen
verschiedener
Krankenhauslaboratorien
basieren
und
daher
unterschiedliche Messmethoden angewandt wurden. Zukünftige Untersuchungen sollten
nach Möglichkeit an einem Patientenkollektiv aus einer einzigen Klinik erfolgen; wobei
47
sich dann natürlich nicht so leicht eine statistisch verwertbare Fallzahl von Patienten
findet.
In jedem Fall zeigt bereits diese erste Studie zu dem Thema deutlich, dass die hereditären
Tumoren innerhalb der Gesamtheit der Kolonkarzinome grundsätzlich - und damit auch in
Bezug auf die Tumormarker-Diagnostik - eigenständig für sich betrachtet werden müssen.
Ist
die
familiäre
Belastung
eines
Karzinompatienten
bekannt,
Tumormarkerbestimmung unbedingt differenzierter bewertet werden.
48
sollte
die
6. Zusammenfassung
Das carcinoembryonale Antigen (CEA) ist ein Tumormarker, der insbesondere für das
prätherapeutische Staging und die Verlaufsbeobachtung kolorektaler Karzinome geeignet
ist.
Auf die hereditäre, nicht-polypöse Form des Dickdarmkarzinoms (HNPCC) lässt sich dies
jedoch nicht äquivalent übertragen.
105 Patienten mit hereditärem und 107 Vergleichspatienten mit sporadischem kolorektalen
Karzinom wurden auf ihre präoperativen CEA-Werte hin untersucht. Folgende Ergebnisse
können zusammenfassend genannt werden :
1. Bei HNPCC-Patienten war der Tumormarker insgesamt etwas seltener erhöht, d.h.
die Sensitivität des CEA war geringfügig niedriger. Auch die absoluten Messwerte
waren im Mittel bei hereditären Tumoren niedriger.
Ist eine familiäre Disposition bei einem Patienten bekannt, dürfen niedrige
präoperative CEA-Werte nicht zu allzu optimistischen Prognosen verleiten, sondern
müssen kritischer betrachtet werden als bei Patienten mit sporadischem Karzinom.
2. Verschiedene Tumormerkmale wurden in Bezug auf ihre Relation zur Höhe des
CEA-Wertes untersucht.
Muzinöse Karzinome, wie sie gehäuft bei HNPCC auftreten, führten zu niedrigeren
Mittelwerten als nicht-muzinöse Tumoren. Für niedrig differenzierte sowie
proximal lokalisierte CRC wäre nach bisheriger Kenntnis dasselbe zu erwarten
gewesen, konnte hier jedoch nicht gezeigt werden.
HNPCC-Tumoren
mit
typischen
genetischen
Alterationen
(Mikrosatelliten-
Instabilität, Genmutation, Expressionsausfall) wiesen niedrigere CEA-Werte auf als
diejenigen ohne genetischen Befund. Letztere ergaben einen ähnlich hohen
Messwert wie sporadische Karzinome.
Niedrige präoperative CEA-Werte sollten daher besonders bei den „klassischen“
HNPCC-Tumoren mit genetischen Veränderungen kritisch bewertet werden.
49
3. Für das Anzeigen von Tumoren im fortgeschrittenen Metastasenstadium erwies
sich das carcinoembryonale Antigen dagegen auch bei HNPCC-Patienten als
geeignet. Es zeichnete sich sowohl durch hohe Sensitivität als auch durch einen
hohen absoluten Mittelwert aus, für bereits metastasierende Ersttumoren ebenso
wie für postoperativ auftretende Metastasen. So muss bei HNPCC-Patienten zwar
insgesamt
mit
eher
niedrigeren
CEA-Werten
gerechnet
werden;
eine
Metastasierung wird dagegen zuverlässiger durch CEA-Erhöhung angezeigt.
Die regelmäßige Markerbestimmung im Zuge der standardisierten Tumornachsorge
ist daher auch bei Patienten aus HNPCC-Familien indiziert.
50
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Specificity of anti-carcinoembryonic antigen monoclonal antibodies and their effects on
CEA-mediated adhesion.
Cancer Res 1993; 53:3817-3822
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Lebenslauf
Persönliche Angaben
Name
Geburtsdatum
Geburtsort
Staatsangehörigkeit
Eltern
Silke Günther
6. April 1979
Düsseldorf-Kaiserswerth
Deutsch
Wolf-Dieter Günther (Zentraleinkäufer)
Monika Günther, geb. Komberez (Schulleiterin)
Schulausbildung
1985-1989
1989-1998
1996
Juni 1998
Besuch der Wilhelm-Busch-Grundschule in Ratingen-Hösel
Besuch des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Ratingen
Sechsmonatiger Besuch der Scone Grammar School, New
South Wales, Australien
Abschluss: Abitur
Studium
WS 1998 – SS 2000
August 2000
WS 2000 – SS 2005
August 2001
September 2003
Mai 2005
Seit September 2005
Studium der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität,
Düsseldorf
Ärztliche Vorprüfung
Studium der Medizin an der Ludwig-MaximiliansUniversität, München
1.Abschnitt der Ärztlichen Prüfung
2.Abschnitt der Ärztlichen Prüfung
3.Abschnitt der Ärztlichen Prüfung
Weiterbildung zur Fachärztin für Innere Medizin,
Krankenhaus Dritter Orden, München
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Danksagung
Ich danke Herrn PD Dr. med. U. Schiemann (ehem. Medizinische Klinik Innenstadt, LMU
München, jetzt Oberarzt am Inselspital-Universitätsspital Bern, Schweiz) für die
freundliche Überlassung des Themas und ganz besonders für die herausragende, engagierte
Betreuung.
Ebenso gilt mein Dank Frau PD Dr. med. Dipl. chem. E. Holinski-Feder, die als Leiterin
der HNPCC-Studie (Zentrum München/Regensburg) die Rahmenbedingungen für diese
Arbeit geschaffen hat.
Herrn Prof. Dr. med. A. König und Frau H. Beranek vom Institut für Biomathematik
(Medizinische Klinik Innenstadt, LMU München) danke ich herzlich für die Unterstützung
bei der statistischen Evaluation.
Weiterhin möchte ich Frau Dr. med. P. Stieber und ihren Mitarbeitern vom Institut für
Klinische Chemie in Großhadern für die hilfreiche und kompetente fachliche Beratung bei
der Auswertung der Laborparameter danken.
Außerdem geht mein Dank an Frau Dr. rer. nat. M. Grabowski sowie an Frau G. Henke
und Frau B. Kerker vom Institut für Medizinische Genetik, die mir während der
Datensammlung immer freundlich mit Rat und Tat zur Seite standen.
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