Krebs und Gene

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ren Teil Mutationen des Gens BRCA2 identifiziert. Risikopatienten besitzen in allen Körperzellen ein normales und ein mutiertes Allel. Sobald das normale Allel mutiert, kommt
es zum Ausfall der betreffenden Genfunktion mit der Konsequenz von Brustkrebs. Die
anfänglichen Befunde wiesen bei Trägern der
Mutation auf ein etwa 90%iges Risiko für
Brustkrebserkrankung bis zum Alter von 70
Jahren hin. Dementsprechend war die Hoffnung anfänglich sehr groß, einen prädiktiven
genetischen Marker für die präsymptomatische Identifizierung von Hochrisiko-Patien-
Manfred Schwab
Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg
Krebs und Gene
In die Geschichte der Biowissenschaften
dürfte die nunmehr vorgestellte Ausarbeitung des menschlichen Genoms als ein
„Meilenstein“ eingehen. Gleichzeitig
markiert das Jahr 2001 aber das Jubiläum
des Geburtsjahres molekulargenetisch
orientierter Krebsforschung: Vor genau 25
Jahren gelang erstmals die molekulare
Identifizierung von Genen mit onkogenem
Potential im Genom von Vertebratenzellen
(Stehelin et al., 1976). Die – im Jahre 1989
dann „Nobel-igene“ – Erkenntnis war, dass
es sich bei den Zell-transformierenden
Genen (Onkogene) bestimmter RNATumorviren von Geflügel, Mäusen, Ratten
und Affen eigentlich nicht um Virusgene
handelt; sondern dass sie ursprünglich aus
der Wirtszelle (Proto-Onkogene) stammen,
ihr onkogenes Potential wurde erst durch
die Transduktion in das Virusgenom
aktiviert. Es waren exakt diese ProtoOnkogene sowie ihre Verwandten, die
durch Veränderung im Genom der Zelle zur
Krebsentstehung beim Menschen beitragen (Bishop, 1987).
Heute gehen wir davon aus, dass die
starken genetischen Determinanten für
Krebsentstehung als Onkogene und TumorSuppressorgene weitgehend identifiziert
sind, offensichtlich existiert aber darüber
hinaus eine Vielzahl schwächerer Faktoren,
die das Krebsrisiko oder den Verlauf der
Erkrankung entscheidend beeinflussen. Im
Verständnis dieser Faktoren liegt der
Schlüssel für eine feinere Diagnose sowie
die Anwendung Patienten-individueller,
Risiko-adaptierter Therapieformen.
Amplifikation von MYCN in Neuroblastomen: Klinisches Debüt von Onkogenen
Zellen von Neuroblastomen, Tumoren
des peripheren Nervensystems von Kleinkindern, enthalten häufig das MYCN-Gen in
amplifizierter Form, es können bis zu 500
Gen-Kopien pro Zelle vorhanden sein
(Schwab et al., 2000; Savelyeva und Schwab,
2001). Als zytogenetische Manifestation enthalten diese Zellen entweder „double minutes“ (DMs) oder eine „homogen-färbende Region“ (HSR), in der die amplifizierten Genkopien lokalisiert sind (Abb. 1). Internationale Studien führten zur Etablierung eindeutiger Korrelation von Amplifikation und
schlechter Prognose, dies insbesondere bei
Patienten mit Neuroblastomen niedrigen Stadiums, welche eigentlich eine günstige Prognose besitzen. Aus diesen Befunden haben
sich neue Therapieschemata abgeleitet, die
in Abhängigkeit von der Prognose spezifisch
für die entsprechenden Risikogruppen durchgeführt werden. Im wesentlichen werden nun
Patienten mit Tumoren niedrigen Stadiums
positiv für amplifiziertes MYCN intensiv therapiert. Neue Erkenntnisse weisen darauf hin,
dass bei Patienten mit Tumoren niedrigen
Stadiums und normalem MYCN-Status die
Chemotherapie keinen Nutzen bringt.
Familiärer Brustkrebs als Resultat mutierter
BRCA1/2 Tumorsuppressorgene: Was sind
die wahren Risiken?
Brustkrebs gehört zu den häufigsten
Krebserkrankungen, er tritt in der Regel bei
Frauen auf, zu einem geringen Prozentsatz
aber auch bei Männern. Etwa 10 bis 15% aller Brustkrebserkrankungen sind erblich bedingt. Als genetische Determinanten wurden
bei einem Teil der Familien Keimbahnmutationen des Gens BRCA1, bei einem ande-
A
B
Abb. 1: Chromosomale Strukturen amplifizierter
DNA in Krebszellen
a. Double minutes (DMs) ; DNA-Färbung mit
Fluoreszenzfarbstoff
b. Homogenfärbende Region ; FISH-Analyse mit
MYCN-Probe; in der Metaphase sind gleichzeitig
die beiden Allele 2p24 in Einzelkopie wie auch
die amplifizierte Version in einem anderen
Chromosom sichtbar
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Abb. 2: Statistisches Risiko für Brustkrebs bei
Trägern von BRCA2 -Mutation. - - - - - HochrisikoFamilie, ——— populationsbezogen. Der Risikoverlauf unterscheidet sich deutlich bei den beiden
Populationen, ein Hinweis auf weitere modifizierende Faktoren (nach Easton, 1997; modifiziert)
ten gefunden zu haben. Erst die sorgfältige
weitere genetisch-epidemiologische Analyse
führte zu der Einsicht, dass dieses hohe Risiko auf Hochrisikofamilien beschränkt ist,
eben solche, die zur Identifizierung der
BRCA1/2-Gene als besonders geeignet ausgewählt worden waren. Solche Familien sind
aber relativ selten. Das statistische Risiko
nicht ausgewählter Populationen erwies sich
als wesentlich niedriger, etwa 55% bis zum
Alter von etwa 70 Jahren (Abb. 2), neuere Studien gehen sogar von einem noch geringeren
Risiko aus (etwa 35 %). Derzeit lässt sich also
das individuelle Risiko nach Identifizierung
einer BRCA1/2-Mutation nicht abschätzen, es
kann in Gegenwart derselben Mutation bei
der einen Familie hoch, bei der anderen niedrig sein. Offensichtlich wird die Höhe des Risikos durch weitere genetische Faktoren determiniert – sogenannter Modifikationsgene
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(Nadeau, 2001). Die Existenz solcher Modifikationsgene deutet sich auch durch zwei
weitere Phänotypen an: dieselbe BRCA2Mutation bedingt in manchen Familien Brustkrebsrisiko bei männlichen, in anderen bei
weiblichen Mitgliedern; und wiederum dieselbe Mutation bedingt bei manchen Familien ausschließlich Brustkrebs, bei anderen
Familien treten aber auch andere Typen von
Krebs auf. Dies lässt sich insbesondere bei
Familien in Island zeigen, hier ist die BRCA2Mutation in allen Familien identisch.
Da die sichere Bestimmung des Brustkrebsrisikos hohe Bedeutung besitzt, wird
intensiv nach Modifikationsgenen gesucht.
Als technischer Ansatz existieren zwei Möglichkeiten. Zum einen die genetische Kopplungsanalyse, die aber gerade bei Genen mit
geringer oder variabler Penetranz problematisch ist. Zum anderen die zytogenetische
Analyse, die zunächst auf den Nachweis zusätzlich konstitutioneller Chromosomenveränderungen abzielt. So gelang kürzlich in
Zellen von Hochrisiko-Patienten mit BRCA2
Mutation erstmals der Nachweis der Koexistenz von konstitutioneller distaler 9p-Chromosomeninstabilität (Abb. 3). Diese Patienten besitzen also bereits in ihren normalen
Zellen sowohl die BRCA2-Mutation wie auch
die 9p-Instabilität. Sollte im distalen 9p einer
der gesuchten Modifikationsfaktoren lokalisiert sein? Gerade für die Klärung solcher Fragen dürfte die etablierte Sequenz des menschlichen Genoms als hervorragendes Werkzeug
dienen.
Ausblick
Die vergangenen 25 haben das Konzept
von Krebsentstehung als die Konsequenz
bestimmter genetischer Veränderungen auf
eine experimentell nachprüfbare Basis gestellt. Diese Entwicklung hat die molekulare
Krebsforschung wie keine andere Disziplin
als Leitwissenschaft der biomedizinischen
Forschung etabliert, und die Ausarbeitung des
Sequenz des humanen Genoms war in hohem
Maße durch die Suche nach „Krebsgenen“
motiviert. Bereits die Frage nach dem klinischen Nutzen genetischer Veränderungen
offenbart aber unsere unvollständige Kenntnis des Zusammenspiels unterschiedlicher
Faktoren bei der Progression von Krebs sowie beim familiären Krebsrisiko. Noch deutlicher wird unser begrenzter Kenntnisstand
bei der Beurteilung der Perspektiven somatischer Gentherapie. Hier ist noch viel Detailarbeit zu leisten, die erst durch den Einsatz
sich rapide entwickelnder neuer Hochdurchsatz („high-throughput“)-Technologien auf
der Basis der Kenntnis des Sequenz des humanen Genoms möglich geworden ist. Eins
sollte bei den Strategieplanungen künftiger
Forschungsperspektiven aber nicht übersehen werden: Wesentliche Weichenstellungen
des Erkenntnisfortschritts waren in der Vergangenheit nicht das Ergebnis gut strukturierter und logistisch fein abgestimmter Planungsvorhaben. Auch für die Zukunft ist abzusehen, dass die geduldige Einzelleistung motivierter Wissenschaftler ein wesentliches Element für weitere klinisch nutzbare Fortschritte, gar den Einstieg in kausale Therapien sein
dürfte.
Literatur
Stehelin, D., Varmus, H.E., Bishop, J.M., Vogt, P.K. DNA
related to the transforming gene(s) of avian sarcoma
virus is present in normal Avian DNA. Nature 260, 170173 (1976)
Bishop, J.M. The Molecular Genetics of Cancer, Science
235, 305-311 (1987)
Easton, D. Breast cancer genes – what are the real risks?
Nature Genetics 16, 210-211 (1997)
Schwab, M. Human neuroblastoma: From basic science
to clinical debut of cellular oncogenes. Naturwissenschaften 86, 71-78 (1999)
Schwab, M., Shimada, H., Joshi, V., Brodeur, G.M.
Neuroblastic tumours of adrenal gland and sympathetic
nervous system. In: Kleihues, P. & Cavenee, W.K. (eds.)
Pathology & Genetics. Tumours of the nervous system.
International Agency for Cancer Research, Lyon pp. 153161 (2000)
Nadeau, J.H. Modifier genes in mice and humans.
Nature Reviews Genetics 2, 166-174 (2001)
Savelyeva, L., Schwab, M. Oncogene amplification
revisited: From expression arrays to prognostic
significance. Cancer Letters 167 (2), 115-123 (2001)
Savelyeva, L., Claas, A., Matzner, I., Schlag, P.,
Scherneck, S., Weber, B. Schwab, M. Constitutional
genomic instability with inversions, duplications and
amplification in 9p23-24 in BRCA2 mutation carriers.
Cancer Research (im Druck) 2001
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Manfred Schwab
Abb. 3: Zwei genetische Veränderungen in normalen Zellen von Trägern der BRCA2 -Mutation;
zusätzlich zur BRCA2 -Mutation tritt bei Hochrisikofamilien genetische Instabilität in 9p23-24 auf (aus
Savelyeva et al., 2001; mit Genehmigung)
Abteilung Zytogenetik H0400
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Weg 280
D-69120 Heidelberg
eMail: [email protected]
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