AD(H)S Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Störung Bericht Impressum: Eigentümer, Herausgeber und Verleger: Bundesministerium für Gesundheit, Radetzkystraße 2, 1030 Wien Für den Inhalt verantwortlich: Priv.-Doz. Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Leiterin der Sektion III des BMG MR Dr. Magdalena Arrouas, stv. Leiterin der Sektion III des BMG AutorInnen und ExpertInnen: Mitglieder der Arbeitsgruppe AD(H)S Berichterstellung: ADir. Veronika Plank, Abteilung III/2 des BMG Coverfoto: PhotoAlto Internet: www.bmg.gv.at Alle Rechte vorbehalten, jede Verwertung (auch auszugsweise) ist ohne schriftliche Zustimmung des Medieninhabers unzulässig. Irrtümer, Druck- und Satzfehler vorbehalten. Wien, Juni 2013 AD(H)S – Bericht Inhaltsverzeichnis 1. MITGLIEDER DER ARBEITSGRUPPE ............................................................................................... 5 2. PROBLEMDARSTELLUNG .............................................................................................................. 6 3. ÄTIOLOGIE.................................................................................................................................... 6 4. EPIDEMIOLOGIE ........................................................................................................................... 6 5. DIAGNOSE UND DIFFERENZIALDIAGNOSEN .................................................................................. 7 5.1. Definition ............................................................................................................................................ 7 5.2. Durchführung ..................................................................................................................................... 8 5.3. Diagnose und Differentialdiagnostik im Erwachsenenalter ............................................................. 11 6. BEHANDLUNG ............................................................................................................................ 13 6.1. Information über das Störungsbild und die Behandlungsmöglichkeiten ......................................... 13 6.2. Eingehende Aufklärung und Beratung („Psychoedukation“) ........................................................... 13 6.3. Behandlung des Kindes ..................................................................................................................... 13 6.4. Therapie der AD(H)S im Erwachsenenalter: ..................................................................................... 17 7. DARSTELLUNG DER DATEN AUS DEM MEDIKAMENTENVERBRAUCH .......................................... 19 7.1. Hintergrund ...................................................................................................................................... 19 7.2. Datengrundlage und –aufbereitung ................................................................................................. 19 7.3. Analysenergebnisse .......................................................................................................................... 20 7.4. Diskussion ......................................................................................................................................... 23 7.5. Verordnung durch Allgemeinmediziner bzw. Facharzt .................................................................... 23 8. DATEN ZUR PHARMAKOVIGILANZ .............................................................................................. 25 8.1. Zulassungen in Österreich ................................................................................................................ 25 8.2. Marktdaten ....................................................................................................................................... 26 8.3. Fallmeldungen .................................................................................................................................. 26 8.4. Zusammenfassung ............................................................................................................................ 26 3 AD(H)S – Bericht 9. ZIELE UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN ................................................................................... 27 9.1. Diagnose und Therapie ..................................................................................................................... 27 9.2. Fort- und Weiterbildung ................................................................................................................... 27 10. ABKÜRZUNGSREGISTER .............................................................................................................. 29 11. LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................................. 31 4 AD(H)S – Bericht 1. Mitglieder der Arbeitsgruppe Dr. Magdalena Arrouas, Bundesministerium für Gesundheit, Abt. III/2 [email protected] MMag. Michael Berthold; Gymnasium Theresianum Wien [email protected] Univ.-Prof. Dr. Gabriele Fischer; Univ.-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Wien, Mitglied des OSR [email protected] Mag. Ulla Konrad; Präsidentin des Berufsverbands österreichischer PsychologInnen, Mitglied des OSR [email protected] Dr. Alexandra Kutzelnigg; Univ.-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Wien [email protected] Dr. Monika Pataky-Ifkovits; Klinische Psychologin, 1130 Wien [email protected] Mag. Bettina Petershofer-Rieder; Klinische Psychologin, 1090 Wien [email protected] Veronika Plank, Bundesministerium für Gesundheit, Abt. III/2 [email protected] priv. Doz. Dr. Luise Poustka; Zentralinstitut für seelische Gesundheit- Mannheim [email protected] Prim. Dr. Klaus Vavrik; Sozialpädiatrisches Ambulatorium – Fernkorngasse der VKKJ [email protected] Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger; Wiener Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien, MA 15 [email protected] 5 AD(H)S – Bericht 2. Problemdarstellung Aufgrund der steigenden Verordnungszahlen von Methylphenidat sowie Atomoxetin zur Behandlung von Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Störung AD(H)S wurden seitens des Obersten Sanitätsrates die Mitglieder des OSR, Frau Univ.-Prof. Dr. Gabriele Fischer und Frau Mag. Ulla Konrad, beauftragt, diese Problematik mit Unterstützung einer Expertengruppe (Arbeitsgruppe AD(H)S) näher zu beleuchten und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. 3. Ätiologie AD(H)S ist eine phänomenologische Diagnose des Verhaltens. Für die Entstehung des Krankheitsbildes wird eine multifaktorielle Genese verantwortlich gemacht, wobei eine genetischbiologische, eine psychodynamische und eine soziogene Ebene zu beachten ist. Belastende psychosoziale Bedingungen gelten allein zwar nicht als primäre Ursache von AD(H)S, sind allerdings für die Aufrechterhaltung der Erkrankung bedeutsam, da vor allem inkonsistentes Erziehungsverhalten die Störung nachteilig beeinflussen kann (Hackenberg, B. et al., 2012). Weitere Risikofaktoren in Bezug auf die Eltern stellen dar: geringer Ausbildungsgrad, niedriger sozio-ökonomischer Status, Alkoholprobleme und Alleinerziehende (Bundesärztekammer, 2005). 4. Epidemiologie Für Österreich liegt keine umfassende epidemiologische Studie zu AD(H)S im Kindes- und Jugendalter vor. Je nachdem, welche Klassifikationskriterien angewendet werden, variieren die internationalen Prävalenzzahlen für das Schulalter zwischen 2,4 und 7 Prozent, für das Vorschulalter um 1,8 Prozent. Weltweit wird die Prävalenz nach aktuellen Metaanalysen bei ca. 5% angegeben (Polanczyk et al., 2007). Rund zwei Drittel der betroffenen Kinder leiden auch als Erwachsene unter AD(H)S. Etwa 2,5 bis 4,0 Prozent aller Erwachsenen weisen die Diagnose AD(H)S auf (Hackenberg, B. et al., 2012). 6 AD(H)S – Bericht 5. Diagnose und Differenzialdiagnosen Die nächsten beiden Kapitel fußen überwiegend auf dem Konsenspapier „Standards zur Diagnostik und Therapie der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung - AD(H)S im Kindesund Jugendalter“ (Vavrik K. et al., 2005) und zum Thema „AD(H)S im Erwachsenenalter“ auf dem „European consensus statement on diagnosis and treatment of adult ADHD: The European Network Adult ADHD“ (Kooij S. et al., 2010). 5.1. Definition Nach derzeit anerkannter Definition „liegt AD(H)S vor, wenn unaufmerksames und impulsives Verhalten mit oder ohne deutliche Hyperaktivität ausgeprägt ist, nicht dem Alter und Entwicklungsstand entspricht und zu Störungen in den sozialen Bezugssystemen, der Wahrnehmung und im Leistungsbereich von Schule und Beruf führt“ (Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin sowie der AG AD(H)S der Kinder- u. Jugendärzte e.V., 2007) bzw. „sind Hyperkinetische Störungen durch ein durchgehendes Muster von Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität gekennzeichnet, das in einem für den Entwicklungsstand des Betroffenen abnormen Ausmaß situationsübergreifend auftritt“ (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u.a., 2007). Für detaillierte Inhalte das Störungsbild betreffend wird auf die gängigen Lehrbücher bzw. bekannten Diagnoseklassifikationssysteme wie DSM-IV oder ICD-10 verwiesen. In diesem Papier war es gemeinsames Ziel Kriterien zu definieren, welche für das im ambulanten Bereich diagnostische und therapeutische Vorgehen als institutionsübergreifender Standard empfohlen werden können. Dem Störungsbild der AD(H)S liegt oftmals eine multifaktorielle Genese zugrunde und das Bild selbst weist keine scharfe und sichere Entität auf. Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Differenzialdiagnosen, welche eine phänomenologisch ähnliche Symptomatik hervorrufen können. Eine gesicherte Diagnose ist daher nur auf Grundlage einer mehrdimensionalen Abklärung im Sinne einer multiaxialen Diagnostik zu stellen. Eine solche mehrdimensionale Abklärung hat in jedem Fall die Biologische (somatische) psychische und soziale Entwicklungsdimension des Kindes zu berücksichtigen und auf fachlich qualifiziertem Niveau zu untersuchen. 7 AD(H)S – Bericht Für die ordnende Zusammenschau der erhobenen Befunde sowie der div. diagnostischen Aspekte der einzelnen involvierten Berufsgruppen und für die sich daraus ableitende Diagnosestellung ist es sinnvoll im Rahmen eines „Gesamtbehandlungsplans“ eindeutig die Rolle der Fallführung („case-manager“) zu definieren. Dieser ist nunmehr der zentrale Befundempfänger sowie Kommunikator und Koordinator der weiteren Maßnahmen sowohl im interdisziplinären Diskurs wie auch gegenüber Eltern und betroffenem Kind. 5.2. Durchführung Für die Diagnose (Anamnese und Durchführung der Testbatterie) und eine therapeutische Intervention besteht die Notwendigkeit einer genauen Abklärung. Für eine solche ist auf klinischpsychologischer Ebene ein Ausmaß von 2-3 x je 2 Stunden zu veranschlagen, für die medizinische Abklärung ein Zeitaufwand von 1-2 Stunden einzuplanen. 1. Die Grundlage der Diagnostik (aller Altersgruppen) ist das Erheben einer ausführlichen Anamnese von Eltern und Kind bzw. Jugendlichem im Sinne von: Vorstellungsgrund / Aktuelle Anamnese Störungsspezifische Problemanamnese („Kernsymptomatik“) Schwangerschafts-, Geburts- u. Neugeborenenanamnese Entwicklungsanamnese (inkl. Ressourcen und Stärken des Kindes) Familienanamnese Sozialanamnese (inkl. Erhebung abnormer psychosozialer Bedingungen, familiärer Ressourcen sowie Interaktionsanamnese) Außenanamnese mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten (z.B. bei Kindergarten, Schule) Suchtanamnese Differierende Umfeldbelastungen und Problemeinschätzung können mit standardisierten Fragebögen (wie CBCL, SDQ, DISYPS-HKS, Conners Bögen, etc.) erhoben werden. Die Erhebung der Kernsymptomatik mittels standardisierter Fragebögen ist jedoch kein ausreichendes Instrument um alleine daraus eine Diagnose zu begründen. Ihr Wert liegt v.a. in der Erfassung von situationsübergreifenden oder variierenden Umfeldbelastungen, in der Erfassung des jeweiligen Schweregrades einzelner Symptome und Symptomcluster und dementsprechend vor allem auch im Bereich der Verlaufsbeobachtung. Ein detaillierter Explorations-Leitfaden inkl. diagnostischem Entscheidungsbaum ist unter „AWMF online Leitlinien“ zu finden (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u.a., 2007). 8 AD(H)S – Bericht 2. Die Untersuchung oder externe Informationseinholung beinhaltet obligat: Medizinisch: o Kinderärztlich-interne Untersuchung o Entwicklungs- und sozialpädiatrische bzw. neuropädiatrische Diagnostik Kinderpsychiatrische Diagnostik im Hinblick auf häufige Begleitstörungen Psychologisch: o Entwicklungs- u. Begabungsdiagnostik / (Teil-)Leistungsdiagnostik (z.B.: Bayley Scales of Infant Development II (Deutsch), GES, MFED 1, MFED 2-3, ET 6-6, NES, WPPSI-III, AID 2, HAWIK IV, WISC-IV, K-ABC, WET; SLR-T, ZAREKI, BUEVA II, BUEGA, …) Pädagogisch: o Verhaltensbeobachtung (im Einzel-, Familienkontakt und/oder Kontakt mit Gleichaltrigen, evtl. videogestützt) o Lebenswelten des Kindes (Erziehungsstil, pädagogisches Umfeld wie Kindergarten, Schule, etc.) o Situative Einflüsse (aktuell wichtige Beziehungen, life events, etc.) Diese Zuordnung von Inhalten zu Berufsfeldern ist keineswegs als strenge Grenzziehung zu verstehen. Die Zuständigkeitsgrenzen der Professionen für einzelne Untersuchungsinhalte sind vielfach überschneidend. Jede Person möge daher den Teil zur Diagnostik beitragen, in welchem sie den Zugang zum Kind und das nötige Fachwissen hat. 3. Bei Bedarf sind fakultativ zu ergänzen: Ergotherapeutische und/oder logopädische Begutachtung Beobachtung des Sozialverhaltens in diagnostisch – therapeutischen Gruppen Überprüfung von Sinnesfunktionen (Pädaudiologie, Pädophthalmologie) Medizinisch-apparative o. Labordiagnostik wie EEG, MRI, Schilddrüsenfunktion, etc. Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests (z.B. KITAP, TOVA, KKA, TEA-CH K, KLT-R, KT 34 R, TPK, FAIR-2, KVT, d2-R, ...) sowie neuropsychologische Diagnostik (wie WCS-Test, Zoo-Spiel, FWI-Test, etc.) Form, Methodik und Spektrum der Untersuchungen wie auch die empfohlene Therapie müssen dem Lebensalter des Kindes entsprechend angepasst werden. In verschiedenen Entwicklungsphasen sind unterschiedliche Aspekte einer möglichen Symptomentstehung zu beachten und daher entsprechend altersadäquate diagnostische Instrumente zu verwenden. 9 AD(H)S – Bericht Neben der obligaten Untersuchung des allgemeinen Entwicklungs- u. Begabungsprofils sowie der Exploration der Familiendynamik für jede Altersstufe (siehe oben) ist für Säuglinge und Kleinkinder schwerpunktmäßig an videogestützte Interaktions- und/oder Bindungsdiagnostik sowie psychosoziale Stress- u. Traumanamnese; für Vorschulkinder vorrangig an Bindungsdiagnostik, Beachtung der Peer-Group-Dynamik (inkl. soziale und/oder kognitive Unteroder Überforderung im Kindergarten, Geschwisterdynamik, etc.), Diagnostik von SI – Störung (Sensorische Integrationsstörung, Wahrnehmungsverarbeitungsstörung) sowie (projektive) Persönlichkeitsdiagnostik; und für Schulkinder: v.a. an Teilleistungsdiagnostik, (projektive) Persönlichkeitsdiagnostik sowie an soziale und/oder kognitive Unter- oder Überforderung in der Schule inkl. Gruppendynamik zu denken bzw. entsprechende Verfahren zum Einsatz zu bringen. Andere, in ihrem z.T. ähnlichen Erscheinungsbild aber von AD(H)S abzugrenzende Vorstellungsgründe oder auch definitive Differenzialdiagnosen sind: Altersentsprechendes hohes Aktivitätsniveau, v.a. jüngerer Kinder Geistige Behinderung o. Minderbegabung mit Überforderungsproblematik Hochbegabung mit unterstimulierendem Umfeld Teilleistungsschwächen und/oder. Sinnes- u. Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen Milieubedingte und erlebnisreaktive Verhaltensstörungen (inkonsistentes elterliches Erziehungsverhalten, mangelnde Wärme und Strukturgebung in den familiären Beziehungen, reaktive Bindungsstörungen, Traumafolgestörungen, etc.) Psychische Störungen (wie Störung des Sozialverhaltens, der Impulskontrolle, Oppositionelles Verhalten, Affektive Störung, Angststörung, Dissoziative Störung, Zwangsstörung, Depression) Tiefgreifende Entwicklungsstörungen Tic-Störungen (einschließlich Tourette-Syndrom) Anfallsleiden (z.B. Absencen-Epilepsie) Nebenwirkung medikamentöser (Dauer-) Therapie (z.B. Barbiturate, …) Persönlichkeitsveränderung durch somatische Krankheit oder psychotrope Substanzen Folgen eines Schlafapnoesyndroms Schilddrüsenüberfunktion Psychosen des Kindes- und Jugendalters Eine weitere wesentliche Fragestellung ist die Einordnung einer spezifischen Symptomatik als komorbide Störung. Nach verschiedenen Untersuchungen ist AD(H)S in bis zu 2/3 der Fälle von 10 AD(H)S – Bericht einer kinder- u. jugendpsychiatrischen Störung begleitet (umschriebene Entwicklungsstörungen sind hierbei noch nicht einmal berücksichtigt). Häufige komorbide Störungen sind: Oppositionelle Störungen des Sozialverhaltens Andere Störungen des Sozialverhaltens Angst- und Affektstörungen Aggressive Verhaltensstörung Umschriebene Entwicklungsstörungen (inkl. Lernstörungen, Teilleistungsschwächen) Tic-Störungen (inkl. Tourette – Syndrom) Kindliche Depression Tiefgreifende Entwicklungsstörungen Neben diesem umfassenden Diagnosespektrum auf der Seite des Kindes darf eine häufige - leider aber auch häufig zu gering beachtete - Dimension als Ursache für ungewöhnliches kindliches Verhalten nicht übersehen werden: psychosoziale Belastung oder schwere (evtl. chronische) psychische oder körperliche Erkrankung von Mutter oder Vater oder anderen nahen Bezugspersonen im Rahmen der Achse 5 des multiaxialen Klassifiktionsschemas. Nach Beeinträchtigung der psychischen und/oder organischen Gesundheit (wie AD(H)S im Erwachsenenalter, Angst- oder Zwangserkrankung, Depression, chronische oder lebensbedrohliche somatische Erkrankung, etc.) und psychosozialen Belastungen (wie Armut, Arbeitslosigkeit, Streit- oder Krisensituation in der Partnerschaft, etc.) soll im Rahmen der Anamnese immer gezielt gefragt werden, da eine solche Problematik sonst oftmals nicht bekannt wird. 5.3. Diagnose und Differentialdiagnostik im Erwachsenenalter Anhand von epidemiologischen Studien an Erwachsenen sowie Verlaufsstudien an Jugendlichen und Adoleszenten konnte gezeigt werden, dass rund zwei Drittel der betroffenen Kinder auch als Erwachsene noch unter AD(H)S (Symptomatik entweder auch im Erwachsenenalter unverändert vorhanden oder in „partieller Remission“ befindlich) leiden. Etwa 2,5 bis 4 Prozent aller Erwachsenen sind von AD(H)S betroffen. Gängige Diagnosemanuale wie DSM IV und ICD-10 berücksichtigen die Möglichkeit einer Persistenz der AD(H)S Symptomatik bis ins Erwachsenenalter, sind jedoch für die differentialdiagnostische Abklärung bei erwachsenen Patienten derzeit nur teilweise hilfreich, da sie die altersassoziierten Veränderungen der klinischen Symptomatik nicht berücksichtigen. Eine Spezifizierung der Diagnosekriterien für das Erwachsenenalter sind im DSM V zu erwarten (Details 11 AD(H)S – Bericht siehe www.dsm5.org/proposedrevision). Voraussetzung für eine AD(H)S-Diagnose im Erwachsenenalter ist der Beginn der Symptomatik vor dem 7. Lebensjahr. Erster und zentraler Teil der differential-diagnostischen Abklärung bei Erwachsenen ist eine komplette psychiatrische Längsschnitt- und Querschnittuntersuchung inkl. eines ausführlichen AD(H)S-spezifischen diagnostischen Interviews. Speziell zu diesem Zweck stehen mittlerweile semi-strukturierte Interviews (DIVA-Interview, CAADID-Interview) zur Abklärung aktuell vorhandener AD(H)S-Symptome und retrospektiver Erhebung von bereits in der Kindheit vorhandenen AD(H)S-Symptomen zur Verfügung. Weitere wichtige psychiatrische Abklärungsschritte sind die Erhebung von Fremd- (mit einer dem Patienten nahestehenden Person, die möglichst auch Auskunft über evtl. AD(H)S-Symptome im Kindesalter geben kann) und Familienanamnese. Die neuro-psychologische Untersuchung von Exekutivfunktionen, Konzentration und Aufmerksamkeit/ erhöhter Ablenkbarkeit kann ebenfalls wertvolle diagnostische Hinweise liefern. Weitere differential-diagnostische Abklärungsschritte (i.S. einer Ausschlussdiagnostik) sind: Erfassung von psychiatrischen Komorbiditäten und Differenzialdiagnosen, so vor allem: Substanzmissbrauch bzw. -abhängigkeit Persönlichkeitsstörungen (dissozial, impulsiv, emotional-instabil, ängstlichselbstunsicher) affektive Störungen (Depression oder bipolare Störung) Angststörungen Tic-Störungen einschließlich Tourette-Syndrom Teilleistungsstörungen (z. B. Legasthenie, Dyskalkulie, etc. auch im Erwachsenenalter) Schlafstörungen Abklärung von evtl. vorliegenden internistischen und/oder neurologischen Erkrankungen, die AD(H)S-ähnliche Symptome verursachen können, inkl. Erhebung entsprechender Hilfsbefunde (komplettes Labor, bei entsprechender Indikation EEG, bildgebende Untersuchung des Kopfes). Geschlechterdifferenzen: Während AD(H)S im Kindesalter international deutlich seltener bei Mädchen als Buben diagnostiziert wird (Geschlechterverhältnis Mädchen zu Buben ca. 1:5), verändert sich diese Ratio auf ein Verhältnis von 1:1 bei erwachsenen AD(H)S PatientInnen. Dabei spielen vermutlich u.a. folgende Faktoren eine Rolle: Mädchen präsentieren sich im Kindesalter mit tendenziell weniger externalisierenden Symptomen (Hyperaktivität, aggressives und impulsives Verhalten) im Vergleich zu Buben. 12 AD(H)S – Bericht Das Symptomspektrum dürfte bei Mädchen eher in den Bereich der internalisierenden Symptome (Unaufmerksamkeit, erhöhte Ablenkbarkeit) verschoben sein. Geschlechtsspezifische Unterschiede bzgl. der psychiatrischen Begleiterkrankungen sowohl im Kindes- wie auch im Erwachsenenalter. Geschlechtsspezifische Unterschiede bzgl. des Inanspruchnahme-Verhaltens von Gesundheitseinrichtungen im Erwachsenenalter. 6. Behandlung Analog zum mehrdimensionalen Ansatz der Diagnostik ist auch die Behandlung umfassend d.h. unter Einbeziehen aller drei o.g. Dimensionen zu gestalten. Sie beinhaltet ein grundsätzlich stufenweises Vorgehen: 6.1. Information über das Störungsbild und die Behandlungsmöglichkeiten 6.2. Eingehende Aufklärung und Beratung („Psychoedukation“) von Eltern, Kind bzw. Jugendlichen und pädagogischem Umfeld (evtl. Elterntraining und/oder Interventionen in der Familie und in Kindergarten oder Schule) mit dem Ziel, ein adäquates Verständnis für das Störungsbild und einen angemessenen und förderlichen Umgang mit dem Kind im familiären und pädagogischen Umfeld zu erreichen. 6.3. Behandlung des Kindes einzeln oder in Gruppen mit dem Ziel einer Verbesserung der sozialen Regulationsfähigkeit und des Selbstmanagements (je nach Schwerpunkt des Problems durch kognitive Behandlung durch klinische Psychologen und Psychologinnen bzw. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und/oder psychodynamische Psychotherapie, Psychomotorik / Motopädagogik, Maßnahmen der Heilpädagogik, Ergotherapie, Neurofeedback, usw.); Spezielle Eltern-Kind-Behandlung bei Kleinkind oder systemischer Intervention. Die Effektivität der kognitiven Verhaltenstherapie ist vielfach repliziert. Im Rahmen der individuellen Indikationsstellung sind auch psychodynamische Methoden der Psychotherapie anzuwenden. 13 AD(H)S – Bericht 6.3.1. Psychologische Therapieprogramme 6.3.1.1. THOP Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Verhalten (Döpfner, M. et al., 2007). Das Eltern-Kind-Programm für Kinder von 7-12 Jahren besteht aus 21 Behandlungsbausteinen, in denen die familienzentrierte und die kindzentrierte Intervention miteinander verknüpft werden. Die 21 Therapiebausteine umfassen folgende Themen: Die ersten vier Bausteine dienen der Problemdefinition, der Entwicklung eines Störungskonzeptes und der Behandlungsplanung. Im zweiten Themenabschnitt steht die Förderung positiver ElternKind-Interaktionen und der Eltern-Kind-Beziehung im Vordergrund. Die Einheiten des dritten Themenkomplexes sollen den Eltern helfen, oppositionelles und impulsives Verhalten durch pädagogische Maßnahmen besser zu bewältigen. Sie lernen ihrem Kind wirkungsvolle Aufforderungen zu geben, sich bei angemessenem Verhalten des Kindes ihm positiv zuzuwenden und bei problematischem Verhalten angemessene negative Konsequenzen zu setzen. In den Einheiten des vierten Therapiebausteines werden spezielle verhaltenstherapeutische Methoden eingeführt. Sie sollen zur Verminderung der Verhaltensprobleme und zum Aufbau angemessener Verhaltens-alternativen dienen. Im fünften Themenkomplex werden Interventionen zur Reduzierung von spezifischen Verhaltensproblemen zusammengefasst. Das Spieltraining dient bei Vorschulkindern zur Verbesserung der Spielintensität und Spielproduktivität. Zur Förderung von reflexivem, planvollem Arbeitsverhalten wird das Selbstinstruktionstraining eingeübt. Maßnahmen die zur Verminderung von Problemen während der Hausaufgabenzeit und auf die Übertragung der Interventionen auf außerfamiliäre Situationen zielen, werden in weiteren Bausteinen erarbeitet. Abschließend wird besprochen, wie in der Zukunft Probleme alleine bewältigt werden können. 6.3.1.2. PEP Präventionsprogramm für Expansives Problemverhalten (Plück, J. et al., 2007). Unter expansiven Verhaltensweisen versteht man ein ungesteuertes, impulsives, verweigerndes oder aggressives Verhalten. Insbesondere Kinder mit AD(H)S zeigen diese Verhaltensproblematik. Das PEP richtet sich an Eltern und Pädagoginnen von Kindern im Alter von 3-6 Jahren und versucht die Verhaltensinteraktion zwischen Kind und Eltern bzw. Erzieherinnen zu verändern. Das Programm besteht aus zwei Teilen, dem Elternprogramm und dem Programm für Erzieherinnen, und umfasst jeweils zehn Sitzungen. In der ersten Therapiesitzung wird eine Problemanalyse für bis zu drei individuelle Situationen durchgeführt. In der nächsten Stunde wird das Teufelskreismodell der Interaktion erklärt und der Baustein „Gemeinsame Spielzeit“ eingeführt. in der dritten Stunde werden belastende Lebens- und Arbeitsumstände formuliert und Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. In den drei darauffolgenden Stunden werden Regeln aufgestellt sowie positive und negative Verstärkungstechniken vermittelt. In den weiteren Stunden wird das Problemverhalten in der Öffentlichkeit und Hausaufgaben behandelt. 14 AD(H)S – Bericht 6.3.1.3. ATTENTIONER Training für Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen. Ein neuropsychologisches Gruppenprogramm (Jacobs, C. et al., 2005). Das Programm ist geeignet für Kinder zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr mit Problemen in der geteilten und fokussierten Aufmerksamkeit. Die Autoren postulieren als Ursache für die Aufmerksamkeitsstörung eine Inhibitionsstörung, aufgrund derer die Kinder nicht in der Lage sind, die ablenkenden Reize zu hemmen. Das Programm besteht aus 15 Sitzungen à 60 Minuten. In jeder Therapiestunde bearbeiten vier Kinder vergleichbaren Alters vier Aufgaben aus den Bereichen Aufmerksamkeitsfokussierung, Aufmerksamkeitsteilung, Arbeitsgedächtnis und Raumwahrnehmung. Weitere Elemente des Trainings sind die Steigerung der Selbstregulation, der Aufbau sozial erwünschten Verhaltens und der Alltagstransfer. 6.3.1.4. Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern (Lauth, G.W. & Schlottke, P.F., 1999) Ziel der kinderzentrierten Therapieansätze ist es, die Selbstregulationsfähigkeiten und Problemlösekompetenzen des Kindes zu verbessern und damit angemessene Verhaltensmuster zu verstärken. In diesem Programm werden Basisfertigkeiten (Hinsehen, Beschreiben, Selbstinstruktionstechniken) und Strategien für das Kind vermittelt und eingeübt. Des Weiteren wird die Vermittlung von Techniken im Umgang mit Ablenkung vermittelt. Zusätzlich gibt es Anleitungen für Eltern, Pädagoginnen und Lehrer. 6.3.1.5. Marburger Konzentrationstraining (Krowatschek D., 2010) (Krowatschek D., 2004) (Krowatschek D. et al., 2004) Dieses Trainingsmaterial richtet sich vor allem an Pädagoginnen. Das MKT ist eine Trainingsmethode, die Kindern hilft, strukturiertes Denken und Konzentration einzuüben. Therapiemanuale siehe Literaturliste. 6.3.2. Andere Verfahren Auch Entspannungsverfahren wie Biofeedback, Autogenes Training und progressive Muskelrelaxation kommen in der klinisch-psychologischen Behandlung zum Einsatz. Neurofeedback hat sich in einigen Studien bewährt, vor allem Kinder mit ADS profitieren davon. Zur Verfügung stehen hier z.B. Theta/Beta-Training oder das sog. SCP (slow cortical potentials)Training, bei dem eine Veränderung langsamer kortikaler Potenziale angestrebt wird, die ein neurophysiologisches Korrelat der Aufmerksamkeitsregulation darstellen. Ziel des Neurofeedback-Training ist, dass das Gehirn lernt, einen angemessenen Zustand einzunehmen und diesen auch halten zu können. Mit Neurofeedback soll die Selbstregulierungsfähigkeit des Gehirns verbessert werden. 15 AD(H)S – Bericht 6.3.3. Medikamentöse Behandlung (für Kinder > 6 Jahre, darunter nur in Ausnahmefällen) Für den Großteil hyperkinetischer Kinder ist eine nicht-medikamentöse Intervention die Methode der ersten Wahl. Sollte es durch diese Maßnahmen nicht zu einem ausreichenden Erfolg kommen, ist in der Abfolge der therapeutischen Angebote als vierter Schritt auch eine medikamentöse Therapie zu erwägen. Unter folgenden Bedingungen empfehlen die Leitlinien der Fachgesellschaften einen medikamentösen Behandlungsversuch bei Kindern und Jugendlichen mit AD(H)S ab dem Alter von sechs Jahren nach einer umfassenden Beratung: bei einer stark ausgeprägten AD(H)S-Symptomatik, welche die schulische Leistungsfähigkeit oder die Freizeitaktivitäten des Kindes oder Jugendlichen oder das Zusammenleben in der Schule, in der Familie oder mit Freunden erheblich beeinträchtigt; wenn im Rahmen einer Verhaltenstherapie die AD(H)S-Symptomatik sich nicht hinreichend verbessern lässt und beeinträchtigende AD(H)S-Symptome weiterhin bestehen. Vor einer medikamentösen Behandlung des AD(H)S sind folgende Abklärungen erforderlich: Bereitschaft der Familie zur umfassenden Mitarbeit Größe, Gewicht, Blutdruck, Pulsfrequenz (regelmäßige Kontrollen) bei Jugendlichen Suchtanamnese gezielte Frage nach Tics oder Anfallsleiden sowie kardialen Vorerkrankungen oder Belastungen in der Familie (EEG oder EKG bei spezifischer Fragestellung) Es sollte im Rahmen aller diagnostischen und therapeutischen Schritte, besonders aber zu Beginn und im Verlauf einer medikamentösen Therapie eine Selbstverständlichkeit sein auch mit dem Kind altersadäquat befragende und aufklärende Gespräche zu führen (warum es kommt, wie seine Problemsicht ist, ob und was es selbst verändern will, weshalb es ein Medikament nehmen soll, welche Wirkung und Nebenwirkung dieses evtl. haben kann, etc.). Diese Verantwortung ist nicht an die Eltern delegierbar. Die Behandlung kann meist ausreichend erfolgreich ambulant durchgeführt werden. Eine teilstationäre oder stationäre Therapie kann in folgenden Fällen indiziert sein: bei besonders schwer ausgeprägter hyperkinetischer Symptomatik; bei besonders schwer ausgeprägten komorbiden Störungen (z.B. Störungen des Sozialverhaltens) bzw. schwieriger diagnostischer Zuordnung der Symptomatik; bei mangelnden Ressourcen in der Familie oder im Kindergarten bzw. in der Schule oder bei besonders ungünstigen psychosozialen Bedingungen; nach nicht erfolgreicher ambulanter Therapie. 16 AD(H)S – Bericht Ein gut funktionierendes und mit adäquaten personellen und infrastrukturellen Ressourcen ausgestattetes Netzwerk ist unabdingbar für die Diagnostik und Behandlung von AD(H)S bzw. Kindern u. Jugendlichen mit hyperaktivem Verhalten! Aufgabe dieses Netzwerkes aller mit dem Kind befassten Professionen ist es einen integrativen Behandlungsplan zu erstellen und diesen in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit Eltern und Kind zu evaluieren. Die dafür nötigen Versorgungsstrukturen weiter auszubauen und noch bestehende Versorgungslücken zu schließen, bleibt ein wesentliches Ziel im Bereich der Kinderund Jugendmedizin in Österreich. Der 2010 in Deutschland erstellte Health Technology Report zum Thema AD(H)S im Erwachsenenalter (Benkert et al., 2010) hält zur Frage der frühzeitigen Intervention folgendes fest: „Ein früher Beginn einer (medikamentösen) Behandlung der AD(H)S ist gesundheitsökonomisch und –politisch höchst relevant aufgrund: der sozialen Beeinträchtigungen durch die Erkrankung; des hohen Risikos andere psychische Erkrankungen zu entwickeln; der hohen gesellschaftlichen Kosten.“ Frühzeitige Diagnostik und adäquate Therapie unter Einbeziehung aller o.g. therapeutischen Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen mit AD(HS) hat daher vor allem auch unter dem Aspekt der Prophylaxe späterer Komplikationen und Folgeschäden erhebliche Bedeutung für die Betroffenen selbst, aber auch für die Gesellschaft im Sinne der Vermeidung von Folgekosten (Benkert et al., 2010), (Nutt et al., 2007). Hierzu sollten alle Arzneimittelstärken aller Anbieter gleichermaßen im Sinne einer ungestörten medikamentösen Therapie ohne erzwungenen Präparatewechsel oder Mehrfacheinnahmen verschreibbar sein. 6.4. Therapie der AD(H)S im Erwachsenenalter: Evidenz-basierte therapeutische Optionen (störungs-spezifische Psychotherapie, Psychopharmaka) sind im Erwachsenenalter von vergleichbarer Wirksamkeit bzgl. der AD(H)SKernsymptomatik (Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität) wie bei Kindern und Jugendlichen. Die Behandlung der AD(H)S beim Erwachsenen fußt auf vier Säulen: 1. Aufklärung, Psychoedukation, z.B. psychosoziale Intervention 2. Coaching, Erlernen von strukturierenden Fertigkeiten für den Alltag 3. Psychotherapeutische Behandlung (inkl. Aufmerksamkeitstraining, Verhaltensanalyse, etc.) 17 AD(H)S – Bericht 4. medikamentöse Therapie International wurden zwei psychotherapeutische Behandlungsansätze der AD(H)S des Erwachsenenalters in ihrer Wirksamkeit anhand von offenen bzw. derzeit noch laufenden kontrollierten und verblindeten Studien evaluiert: Das kognitive verhaltenstherapeutische Einzelpsychotherapieprogramm nach Safren (Safren, S.A. et al., 2005) und das störungsspezifische Gruppentherapieprogramm nach Hesslinger (Hesslinger B. et al., 2004), wobei eine Reduktion der AD(H)S Symptomatik, depressiver Begleitsymptome und eine Verbesserung der Lebenszufriedenheit beschrieben wurden. Für die medikamentöse Behandlung der AD(H)S bei Erwachsenen liegen mittlerweile ebenfalls zahlreiche kontrollierte klinische Studien für Stimulantien (Methylphenidat, z.B. Concerta®, Ritalin®, Ritalin LA®, Medikinet®) und Atomoxetin (Strattera®) vor. In Österreich ist derzeit jedoch kein Medikament zur Behandlung der AD(H)S im Erwachsenenalter zugelassen. Die Weiterverordnung von Atomoxetin und Methylphenidat bei Erwachsenen ist zugelassen, wenn die medikamentöse Therapie vor dem 18. Lebensjahr begonnen wurde. Die Behandlung der AD(H)S im Erwachsenenalter wird maßgeblich vom Vorliegen psychiatrischer Begleiterkrankungen (affektive Störungen, Angsterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen, etc.) und deren Schweregrad beeinflusst und erfordert eine Hierarchisierung der klinischen (Behandlungs-)Notwendigkeiten bzw. individuell abgestimmte Kombinationstherapien. Zur Behandlung der AD(H)S ist in jedem Lebensalter ein multimodales Therapiekonzept indiziert, das beispielsweise Psychoedukation, störungs-spezifische Psychotherapie und medikamentöse Therapieoptionen umfasst. 6. 4. 1. Konsequenzen der unbehandelten AD(H)S im Erwachsenenalter: In zahlreichen Langzeit-follow-up Studien, epidemiologischen Studien und klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass Erwachsene mit unbehandelter AD(H)S im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen ein erhöhtes Risiko bzgl. folgender Faktoren aufweisen: niedrigerer Ausbildungsstand, häufigerer Abbruch von Ausbildungen niedrigerer sozio-ökonomischer Status Substanzabusus bzw. –abhängigkeit (Nikotin, Alkohol, illegale Substanzen) weitere psychiatrische Begleiterkrankungen (z.B. affektive Störungen, Angsterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen) Unfälle delinquentes Verhalten Der frühzeitigen Abklärung bzw. Diagnose und rechtzeitigen AD(H)S-spezifischen therapeutischen Interventionen im Kindes- und Jugendalter kommt daher auch prophylaktische Bedeutung in Hinblick auf die o.g. möglichen Konsequenzen der AD(H)S bei Jugendlichen und Erwachsenen zu. 18 AD(H)S – Bericht 7. Darstellung der Daten aus dem Medikamentenverbrauch Für Österreich liegen keine umfassenden epidemiologische Daten zu AD(H)S vor. Im Folgenden finden sich Versorgungsdaten der Sozialversicherungsträger zu Methylphenidat und Atomoxetin (DI Berthold Reichardt/Burgenländische Gebietskrankenkasse , BGKK ,Eisenstadt, 7. Mai 2012). 7.1. Hintergrund Nach einer Anfrage des Bundesministeriums für Gesundheit beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und in Folge bei den Sozialversicherungsträgern wurden patientenbezogene aggregierte Daten zur medikamentösen Versorgung mit Präparaten, die die Wirkstoffe Methylphenidat bzw. Atomoxetin enthalten, zur Verfügung gestellt. 7.2. Datengrundlage und –aufbereitung Es wurde eine Datenbankabfrage erstellt, die pseudonymisierte Patientendaten zu den angefragten Analyseparametern enthält. Die von den 13 großen Sozialversicherungsträgern (9 Gebietskrankenkassen, BVA, SVA, SVB, VAEB) zur Verfügung gestellten Daten (sie beziehen sich auf den niedergelassenen Bereich) wurden bei der BGKK zusammengeführt und analysiert. Die verfügbaren und inkludierten Analysenparameter sind: Medikamentenversorgung mit Methylphenidat oder Atomoxetin in den Jahren 2008 bis 2011, Ausnahmen sind die SVA mit Datenverfügbarkeit ab 2009, die VAEB mit Datenverfügbarkeit bis Oktober 2011 und die BVA mit Datenverfügbarkeit bis inklusive August 2011 Alter und Geschlecht der Patienten Beginn und Ende der AD(H)S-Therapie mit Methylphenidat oder Atomoxetin im Analysenzeitraum 2008 bis 2011 Definierte Tagesdosen, Packungen und Kosten pro Patient und Jahr Um den Fehler, der durch die nicht verfügbaren Daten einzelner Sozialversicherungsträger für die Jahre 2008 und 2011 und die Überlagerung durch die Mehrfachversicherung der betroffenen Patienten (in der Regel Kinder) zu eliminieren, wurden alle Abfragen nach Exklusion der Daten der BVA, SVA und VAEB wiederholt. 19 AD(H)S – Bericht 7.3. Analysenergebnisse Die Analyse inkludiert die Daten von 13.699 Patienten, die zwischen 2008 und 2011 mit dem Wirkstoff Methylphenidat oder Atomoxetin auf Kosten eines Sozialversicherungsträgers versorgt wurden. Davon haben 1.012 Patienten = 7,4 % bei mehreren Sozialversicherungsträgern AD(H)SMedikamente bezogen. Durch die Verfügbarkeit pseudonymisierter Daten konnte eine fehlerhafte Darstellung einer Mehrfachzählung von identen Patienten vermieden werden. Es erhielten ein Medikament im Jahr 2008: 6.066 Patienten 2009: 7.499 Patienten 2010: 8.225 Patienten 2011: 8.171 Patienten Bei alleiniger Berücksichtigung der Daten der GKK + SVB erhielten ein Medikament im Jahr 2008: 5.524 Patienten 2009: 6.628 Patienten = Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 20 % 2010: 7.242 Patienten = Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 9 % 2011: 7.277 Patienten = Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 0 % Aus dem Verhältnis der Patientenzahlen von 2009 und 2010 mit/ohne Berücksichtigung der Daten von BVA, SVA, VAEB ergibt sich, dass hochgerechnet 2011 zwischen 8.233 und 8.265 Patienten therapiert wurden. Alters- und Geschlechtsverteilung: Die geschlechtsbezogenen Daten beziehen sich auf die Versicherten der Gebietskrankenkassen + SVB: Tabelle 1: Personen, die auf Kosten eines SV-Trägers mit Methylphenidat bzw. Atomoxetin versorgt wurden, gegliedert nach Alter und Geschlecht Jahr/Geschlecht m w Anteil weiblicher Patienten 2008 4.532 990 18% 2009 5.390 1.255 19% 2010 5.823 1.444 20% 2011 5.774 1.503 21% Quelle: Erhebung der Versorgungsdaten, Reichardt, BGKK 2012 20 AD(H)S – Bericht Tabelle 2: Personen, die im Jahr 2011 auf Kosten eines SV-Trägers mit Methylphenidat bzw. Atomoxetin versorgt wurden Patienten nach Geschlecht 2011 550 m w 500 450 400 Anzahl 350 300 250 200 150 100 50 0 1 11 21 31 41 51 über 60 Alter Quelle: Erhebung der Versorgungsdaten, Reichardt, BGKK 2012 Verteilung nach Altersdekaden 2011: Tabelle 3: Personen, die auf Kosten eines SV-Trägers mit Methylphenidat bzw. Atomoxetin versorgt wurden, gegliedert nach Altersdekaden Verteilung nach Altersdekaden 2011 60% m w 1-10 Jahre 28% 20% 11-20 Jahre 57% 38% 21-30 Jahre 7% 13% 31-40 Jahre 4% 11% 41-50 Jahre 2% 9% 51-60 Jahre 1% 5% über 60 Jahre 1% 3% 50% 1-10 Jahre 11-20 Jahre 21-30 Jahre 31-40 Jahre 41-50 Jahre 51-60 Jahre über 60 Jahre 40% 30% 20% 10% 0% m w Quelle: Erhebung der Versorgungsdaten, Reichardt, BGKK 2012 21 AD(H)S – Bericht Geschlechtsspezifische Patientenentwicklung zum Vorjahr: Tabelle 4: Personen, die auf Kosten eines SV-Trägers mit Methylphenidat bzw. Atomoxetin versorgt wurden, geschlechtsspezifische Gliederung im Vergleich zum Vorjahr Patientenentwicklung Jahrestrend m w 2008-2009 + 19% + 27% 2009-2010 + 8% + 15% 2010-2011 - 1% + 4% Quelle: Erhebung der Versorgungsdaten, Reichardt, BGKK 2012 Anzahl der medikamentös versorgten Patienten in Bezug auf die Gesamtbevölkerung in den Altersgruppen 1-10 bzw. 11-20 Jahre für das Jahr 2010: Tabelle 5: Personen, die auf Kosten eines SV-Trägers mit Methylphenidat bzw. Atomoxetin versorgt wurden, in Bezug auf die Zahl der Gesamtbevölkerung in den Altersgruppen 1-10 bzw. 11-20 Jahre für das Jahr 2010 Jahr 2010 Altersdekade Altersdekade 1 – 10 Jahre 11 – 20 Jahre Gesamtbevölkerung m 412588 490962 Gesamtbevölkerung w 392325 476736 1630 3319 289 549 mit Methylphenidat bzw. Atomoxetin versorgte Patienten - männlich mit Methylphenidat bzw. Atomoxetin versorgte Patienten - weiblich Quelle: Erhebung der Versorgungsdaten, Reichardt, BGKK 2012; Statistik Austria Bevölkerungsstatistik 2010 Im Vergleich werden nachstehend Zahlen zu Antidepressiva-Verordnungen in Österreich aufgezeigt: Tabelle 6: Personen, die im Jahr 2009 mit Antidepressiva versorgt wurden Jahr Patientinnen und Patienten Männlich Weiblich 2009 715.554 31,8 %; 227.546 68,2 %; 488.008 Quelle: „Analyse der Versorgung psychisch Erkrankter“, Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger 22 AD(H)S – Bericht 7.4. Diskussion Datengrundlage Die Erhebung entspricht de facto einer Vollerhebung für Österreich im niedergelassenen Bereich und enthält die Abrechnungsdaten von über 98 % der Einwohner. Nicht inkludiert in die Analyse sind die Versicherten der Betriebskrankenkassen mit ca. 50.000 Versicherten, die Versicherten der Krankenfürsorgeanstalten und die Nichtversicherten. Patientenanzahl Die Patientenzahlen zeigen mit 20 % im Jahr 2009 einen ungewöhnlich hohen Anstieg, der sich in den Folgejahren abflacht. Dies könnte mit der Aufnahme der retardierten Formen von Ritalin in den Erstattungskodex im Jahr 2009 zusammenhängen, unter der Annahme, dass mit der Markteinführung ein verstärktes Marketing des Anbieters verbunden war. Alters- und Geschlechtsverteilung Die Alters- und Geschlechtsverteilung zeigt einerseits einen Trend zu einer Steigerung des Anteils weiblicher Patientinnen und andererseits geschlechtsspezifische Unterschiede in der Altersverteilung. Bei den männlichen Patienten sind 90 % unter 27 Jahre alt und bei den weiblichen wird die 90 % Grenze erst bei 47 Jahren überschritten. Auch die Relation männlicher zu weiblicher Patienten von 5 :1 bei den Jugendlichen nivelliert sich auf ein Geschlechterverhältnis von 1 : 1 bei den über 35-Jährigen. Im Mehrjahrestrend zeigt sich eine leichte Verlagerung der Patientenzahlen zu einem höheren Alter. Dosierung, Packungen, Kosten Die durchschnittlichen patientenbezogenen definierten Tagesdosen, Packungen und Kosten zeigen eine homogene Verteilung bei den Kindern und Jugendlichen und unstete bei den Erwachsenen. Dies könnte ein Anzeiger dafür sein, dass die große Variabilität der Dosierung auf unterschiedlichen Bewertungen zur Dosierung und Therapiedauer bei Erwachsenen beruht. 7.5. Verordnung durch Allgemeinmediziner bzw. Facharzt Die Abrechnungsdaten zeigen folgende Verteilung der ärztlichen Verordnungen von Methylphenidat oder Atomoxetin durch Allgemeinmediziner/Allgemeinmedizinerinnen bzw. Fachärzte/Fachärztinnen für die Jahre 2008 und 2010: 23 AD(H)S – Bericht Tabelle 7: Verordnungen durch Allgemeinmediziner bzw. Facharzt Quelle: Erhebung der Versorgungsdaten, Reichardt, BGKK 2012; Die folgende Grafik zeigt die Summe der Verordnungen (VO) von Methylphenidat oder Atomoxetin durch Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner (AM) bzw. Fachärzte und Fachärztinnen (FA) im Jahr 2010 aufgegliedert nach Alterskohorten: Tabellen 8 und 9: Verordnungen von Methylphenidat bzw. Atomoxetin durch Allgemeinmedizinerin bzw. Fachärztin im Jahr 2010 aufgegliedert nach Alterskohorten Altherskohorten Summe der VO durch AM 0-4 Jahre Summe der VO durch FA 14 24 05-9 Jahre 5158 4083 10-14 Jahre 13358 11059 über 14 Jahre 14123 14114 Gesamtergebnis 32653 29280 Quelle: Erhebung der Versorgungsdaten, Reichardt, BGKK 2012 24 AD(H)S – Bericht 8. Daten zur Pharmakovigilanz 8.1. Zulassungen in Österreich Ritalin® ist zugelassen zur Therapie des Hyperkinetischen Syndroms mit Aufmerksamkeitsdefizit (ADHD-Attention Deficit/Hyperactivity Disorders) bei Kindern ab 6 Jahren als Bestandteil eines Therapieprogrammes, das auch psychologische, erzieherische und soziale Maßnahmen erfasst. Alle Methylphenidat-hältigen Arzneispezialitäten durchliefen im Jahr 2008/2009 ein europäisches Verfahren nach der Richtlinie 2001/83 Art.31 zur Nutzen/Risiko Bewertung. Die im Rahmen dieses Verfahrens beschlossenen Maßnahmen wurden für die in Österreich zugelassenen Präparate nach dem hierzu vereinbarten Zeitplan umgesetzt. Tabelle10: Pharmakovigilanzdaten zu Methylphenidat Bezeichnung Zul_Inh. Abgabe Zul.art Zul. Datum Concerta 18, 27, 36, 54 mg Retardtabletten JANSSEN-AT/02 SG1 UK/H/0544/001, 002, 003, 004 15.01.2003 Equasym Retard 10, 20, 30 mg Hartkapseln mit veränderter SHIRE-IE/01 Wirkstofffreisetzung SG UK/H/0819/001 12.07.2006 Medikinet 5, 10, 20 mg Tabletten MEDICE-DE/01 SG national 08.02.2007 Medikinet retard 5, 10, 20, 30, 40 mg Hartkapseln mit veränderter Wirkstofffreisetzung MEDICE-DE/01 SG DE/H/0690/004, 19.10.2006 005, 006, 007, 008 Ritalin LA 10, 20, 30, 40 mg Kapseln NOVARTIS-AT/01 SG national 04.04.2012 Ritalin 10 mg - Tabletten NOVARTIS-AT/03 SG national 10.07.1997 Quelle: AGES, Medizinmarktaufsicht 2012 STRATTERA® ist zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (AD(H)S bei Kindern ab 6 Jahren und bei Jugendlichen als Teil eines umfassenden Behandlungsprogramms angezeigt. Die Behandlung muss von einem Arzt begonnen werden, der über ein entsprechendes 1 Suchtgift 25 AD(H)S – Bericht Fachwissen in der Behandlung von AD(H)S verfügt. Eine Diagnose sollte gemäß der DSM-IVKriterien oder ICD-10-Klassifikation erfolgen. Tabelle 11: Pharmakovigilanzdaten zu Atomoxetin STRATTERA 10, 18, 25, 40, 60, 80, 100 mg LILLY-AT/01 Hartkapseln UK/H/0686/002, SVOLL NR1 003, 004, 005, 006, 007, 008 20.04.2006 m Quelle: AGES, Medizinmarktaufsicht 2012 8.2. Marktdaten Methylphenidat: Die Abgabemengen von Methylphenidat weisen in den Jahren 2009 bis 2011 steigende Tendenz auf. Marktführend ist hier Ritalin. Bemerkenswert ist insbesondere der Trend zur Verordnung der höheren Dosierungsformen. Atomoxetin: Der Marktanteil von Atomoxetin-hältigen Arzneispezialitäten ist im Vergleich zu Methylphenidat wesentlich geringer, auch ist der Anstieg in Zeitraum zwischen 2009-2011 insgesamt geringer. Auch lässt sich keine so ausgeprägte Verschiebung zu höher dosierten Darreichungsformen feststellen. 8.3. Fallmeldungen Dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) liegen im Mai 2012 insgesamt 6 Fallmeldungen zu Ritalin-hältigen Arzneispezialiäten aus Österreich vor. Betroffen waren Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 19 Jahren. Alle Reaktionen waren als erwartet gemäß Fachinformation einzustufen. Im Zusammenhang mit der Anwendung von Atomoxetin liegen insgesamt 28 Fallmeldungen vor. Betroffen waren Patienten im Alter zwischen 7 und 55 Jahren. Lediglich 2 dieser Fälle waren als unerwartet gemäß Fachinformation einzustufen: Es handelte sich um periphere Durchblutungsstörungen, die ambulant therapiert wurden. Der Ausgang wurde als komplette Erholung berichtet. In Relation zu den steigenden Verordnungs- bzw. Abgabemengen ist die Fallzahl für beide Wirkstoffe vergleichbar gering und über den Zeitraum 2009 bis 2011 fallend. 8.4. Zusammenfassung Aus den dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) gemäß Arzneimittelgesetz und Pharmakovigilanzverordnung zur Kenntnis gebrachten unerwünschten Wirkungen von 26 AD(H)S – Bericht Methylphenidat und Atomoxetin lässt sich derzeit kein Sicherheitssignal ableiten, das akute regulatorische Maßnahmen erfordern würde, die Fach- und Gebrauchsinformationen aller Präparate entsprechen dem europäischen Standard. In wieweit die steigenden Verordnungszahlen jedoch dem tatsächlichen therapeutischen Bedarf entsprechen, lässt sich anhand der dem BASG vorliegenden Daten nicht beurteilen. „Reporting Raten“ in Spontanmeldesystemen werden von vielen Faktoren beeinflusst (nicht zuletzt auch vom Alter des Präparates). Deshalb darf abschließend im Sinne der Vollständigkeit noch darauf hingewiesen werden, dass Absolutzahlen aus dem Spontanmeldewesen keinen direkten Vergleich der Sicherheit mehrerer Präparate / Wirkstoffe erlauben. Grundsätzlich ist es ein Bestreben das Meldeverhalten bezüglich unerwünschter Arzneimittelwirkungen in der Ärzteschaft zu verbessern. 9. Ziele und Handlungsempfehlungen 9.1. Diagnose und Therapie Im Idealfall sollte die Indikationsstellung einer medikamentösen Therapie durch einen Facharzt/Fachärztin für Kinder-und Jugendpsychiatrie oder durch einen Facharzt/Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde (vorzugsweise mit entwicklungs- und sozialpädiatrischer oder neuropädiatrischer Zusatzqualifikation) erfolgen. Für eine differenzierte Verschreibungsmöglichkeit und im Sinne der PatientenCompliance/Adhärenz wäre die Aufnahme aller Arzneimittelstärken aller Anbieter gleichermaßen in den Erstattungscodex zu empfehlen. Ein qualitätsvoller Umgang durch z.B. regelmäßige Evaluation des Therapieverlaufs ist auch im Laufe der langfristigen Weiterbehandlung unabdingbar. 9.2. Fort- und Weiterbildung Eine regelmäßige, einschlägige Fort- und Weiterbildung der verschreibenden Ärztinnen und Ärzte ist anzustreben. Für Psychologinnen/Psychologen und Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten ist eine spezielle Weiterqualifikation im Bereich Kinder- und Jugendalter Voraussetzung für eine gelingende Behandlung. Weiters wäre ein Fokus auf die Bewusstseins- und Fortbildung der Ärzteschaft auch im Hinblick auf AD(H)S Patienten im Erwachsenenalter zu legen. Gezielte Fortbildungsmaßnahmen für die mit erwachsenen AD(H)S Patienten befassten Berufsgruppen (Fachärzte/Fachärztinnen für Psychiatrie, Allgemeinmediziner/Allgemeinmedizinerinnen, klinische Psychologen/Psychologinnen, Psychotherapeuten/Psychotherapeutinnen) zum besseren Verständnis von AD(H)S als häufig 27 AD(H)S – Bericht lebenslange Erkrankung, Weiterbildung im diagnostischen Bereich sowie in der Planung und Umsetzung von multimodalen Therapiekonzepten wären diesbezüglich anzustreben. Präventive Effekte, die sich durch ein gezieltes diagnostisches und therapeutisches Vorgehen ergeben, sollten in Hinsicht auf Folgeerkrankungen und andere Konsequenzen der unbehandelten AD(H)S (siehe Punkt 6.4.1.) genutzt werden. Eine gezielte und spezifische Information der von der Thematik betroffenen Berufsgruppen über Häufigkeit und Therapie von AD(H)S wird empfohlen. Für Gruppen mit speziellen Risikofaktoren soll eine zielgerichtete Prävention mit speziellen Therapiezugängen erfolgen. Die Empfehlungen stellen einen Beitrag zur Umsetzung der Kindergesundheitsstrategie des Bundes dar und werden mit den dort gesetzten Maßnahmen verknüpft. 28 AD(H)S – Bericht 10. Abkürzungsregister AID 2 Adaptives Intelligenz Diagnostikum 2 AM Allgemeinmediziner BUEGA Basisdiagnostik Umschriebener Entwicklungsstörungen im Grundschulalter BUEVA II Basisdiagnostik für umschriebene Entwicklungsstörungen im Vorschulalter II CAADID Conners´Adult ADHD Diagnostic Interview for DSM IV CAT Kinder-Apperzeptions-Test CBCL Child Behavior Checklist d2 -R Aufmerksamkeits- und Konzentrationstest DISYPS Diagnostik-System für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter nach ICD10 und DSM-IV DIVA Diagnostic Interview for ADHD in adults ET 6-6 Entwicklungstest 6 Monate bis 6 Jahre FA Facharzt FAIR-2 Frankfurter Aufmerksamkeits-Inventar 2 FAST Familiensystemtest FWI-Test Farbe-Wort-Interferenztest GEP Geschichten Erzählen Projektiv GES Griffiths Entwicklungsskalen GEV-B Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindungsdiagnostik HAWIK IV Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder IV H-MIM Heidelberger Marschak Interaktionsmethode K-ABC Kaufman Assessment Battery for Children KHV-VK Konzentrations-Handlungsverfahren für Vorschulkinder KITAP Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung für Kinder KKA Kaseler- Konzentrationsaufgabe für 3-bis 8-Jährige KLT-R Konzentrations-Leistungstest - Revidierte Fassung 29 AD(H)S – Bericht KT 3-4 R Konzentrationstest für 3. und 4. Klassen KVT Konzentrations-Verlaufs-Test MFED 1 Münchner Funktionelle Entwicklungsdiagnostik, erstes Lebensjahr MFED 2-3 Münchner Funktionelle Entwicklungsdiagnostik, 2. und 3. LJ NES Neuropsychologisches Entwicklungsscreening SAT Separation Anxiety Test SCP Slow Cortical Potentials (-Training) SDQ Strength and Difficulties Questionnaire SET Satzergänzungstest SLRT Salzburger Lese- und Rechtschreibtest TOVA Test of Variables of Attention TEA-Ch-K Test zur Erfassung von Konzentration und Aufmerksamkeit im Kindergartenalter TEACH The Test of Everyday Attention for Children/Deutsche Adaption TGT Thematischer Gestaltungstest TPK Testreihe zur Pruefung der Konzentrationsfähigkeit WCS-Test Wisconsin Card Sorting Test WET Wiener Entwicklungstest WISC-IV Wechlser Intelligence Scale for Children - Fourth Edition (WISC-IV) WPPSI-III Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - III ZAREKI Neuropsychologische Testbatterie für Zahlenverarbeitung und Rechnen bei Kindern 30 AD(H)S – Bericht 11. Literaturverzeichnis Benkert et al. (2010). 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