Elektronischer Sonderdruck für Relevanz der genetischen

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Der Nephrologe
Zeitschrift für Nephrologie und Hypertensiologie
Organ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin | Organ des Berufsverbandes Deutscher Internisten
Elektronischer Sonderdruck für
C. Bergmann
Ein Service von Springer Medizin
Nephrologe 2015 · 10:176–194 · DOI 10.1007/s11560-014-0942-5
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
C. Bergmann
Relevanz der genetischen Diagnostik erblicher
Nephropathien in der Klinik
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Leitthema
Nephrologe 2015 · 10:176–194
DOI 10.1007/s11560-014-0942-5
Online publiziert: 15. Mai 2015
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
Redaktion
R.P. Wüthrich, Zürich
Das Verständnis teils seltener genetischer Erkrankungen hat in den letzten
Jahren rasante Fortschritte gemacht und
wichtige Einblicke in pathophysiologische Grundprinzipien auch der häufigen
„Volkskrankheiten“ erlaubt. Für viele Erkrankungen hängt die Therapie bereits
entscheidend von der Genetik ab, für andere laufen, basierend auf den Erkenntnissen der Grundlagenforschung, entsprechende Studien. Somit gewinnt die
genetische Diagnostik im klinischen Alltag zunehmend an Bedeutung, und eine
enge interdisziplinäre Zusammenarbeit
zwischen Nephrologe und Humangenetiker ist sinnvoll. Im Folgenden sollen kurz
die neuen Möglichkeiten der zunehmend
NGS (Next Generation Sequencing)-basierten Analytik vorgestellt und die Klinik
und Genetik wichtiger erblicher Nierenerkrankungen erläutert werden.
Das seit 2010 geltende Gendiagnostikgesetz (GenDG) hat einen zu begrüßenden Rahmen für die genetische Diagnostik geschaffen, gleichzeitig aber auch
zu Verunsicherungen auf Seiten der Ärzteschaft geführt. Grundsätzlich war es
schon vor Inkrafttreten des GenDG sinnvolle und übliche Praxis, Patienten über
geplante genetische Untersuchungen aufzuklären und ihr Einverständnis zu dokumentieren. Das GenDG unterscheidet:
1.Diagnostische genetische Untersuchungen, die bei Patienten mit klinischen Symptomen durchgeführt werden (sprich: die Konstellation, die für
die überwiegende Mehrzahl der Ärzte relevant ist): Diese Untersuchungen
können von jedem betreuenden Arzt
nach dessen Aufklärung und schriftlicher Einwilligung (z. B. Einverständ-
176 | Der Nephrologe 3 · 2015
C. Bergmann
Bioscientia – Zentrum für Humangenetik, Ingelheim
Relevanz der genetischen
Diagnostik erblicher
Nephropathien in der Klinik
niserklärung auf dem Anforderungsschein) veranlasst werden. Eine spezielle Qualifikation für die fachgebundene genetische Beratung ist bei
diesen genetischen Untersuchungen
nicht erforderlich.
2.Vorgeburtliche Untersuchungen oder
prädiktive genetische Tests bei gesunden Personen: Bei diesen Untersuchungen muss schon vor der Analyse eine genetische Beratung durchgeführt werden. Der behandelnde Arzt
muss diese genetische Beratung empfehlen oder veranlassen, sie aber nicht
selbst durchführen. Eine solche genetische Beratung können Ärzte mit der
Qualifikation zur fachgebundenen
genetischen Beratung, Ärzte mit der
Zusatzbezeichnung „Medizinische
Genetik“ und Fachärzte für Humangenetik durchführen.
Obgleich genetische Untersuchungen im
Vergleich zu vielen anderen Untersuchungen in der Medizin verhältnismäßig teuer sind, ist ihr Einsatz für eine optimale
Patientenbetreuung, aber auch gesundheitsökonomisch betrachtet, effizient,
helfen sie doch, vielfach schneller und somit letztlich auch kostengünstiger zu einer
Diagnose zu kommen. Genetische Diagnostik muss zudem in der Regel nur einmalig im Leben eines Patienten durchgeführt werden, da der genetische Befund
anders als in anderen Bereichen der Medizin einen stabilen Zustand beschreibt und
keine Verlaufs- und Kontrolluntersuchungen im Intervall notwendig sind. Für den
niedergelassenen Arzt sind die humangenetische Beratung sowie die genetische
Diagnostik grundsätzlich nicht budge-
tiert und belasten durch Angabe der Ausnahmekennziffer 32010 auf dem Überweisungsschein nicht das Laborbudget. Aktuell gibt es im Unterschied zu den konventionellen Techniken noch keine eigene EBM-Ziffer für NGS; eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse ist daher nach entsprechendem Kostenvoranschlag möglich. Eine Absprache mit dem
die Untersuchung durchführenden Labor
erscheint hierbei sinnvoll.
Next Generation
Sequencing (NGS)
Die molekulargenetische Diagnostik erblicher Nephropathien wird vor allem
durch die häufig ausgeprägte Heterogenität vor besondere Herausforderungen gestellt. So war und ist eine schrittweise Diagnostik durch konventionelle DNA-Sequenzierung oftmals zeitlich und finanziell sehr aufwändig. In Anbetracht überlappender Phänotypen und zunehmend
ausgeprägter Komplexität müssen häufig
viele verschiedene Gene als krankheitsrelevant betrachtet werden. In den letzten
Jahren wurden neue Verfahren der Hochdurchsatzsequenzierung entwickelt, die
unter dem Begriff „Next Generation Sequencing“ (NGS), zusammengefasst werden [20]. Sie beruhen auf der Idee der
massiven parallelen Sequenzierung von
Millionen DNA-Fragmenten in einem
einzigen Sequenzierlauf (. Abb. 1). Zunächst in der Forschung insbesondere für
die Identifizierung neuer Krankheitsgene
eingesetzt, hat die Anwendung von NGS
mittlerweile das gesamte Feld der Humangenetik revolutioniert: So ist es nun
im diagnostischen Bereich möglich, ins-
Leitthema
Abb. 1 8 Darstellung des NGS-Arbeitsablaufs in unserem Institut. 1 Probenvorbereitung: Genomische DNA wird zunächst
mittels AFA-Technologie auf einem Covaris-Gerät fragmentiert und mit speziellen Adaptoren versehen. 2 „Sequence capture“: Die gewünschten Genbereiche werden mittels Hybridisierung gegen eine von uns definierte NimbleGen-SeqCap-Library
gezielt aus der gesamt-genomischen DNA angereichert. 3 Sequenzierung: Die angereicherten DNA-Fragmente werden auf
einer Illumina-Plattform (MiSeq- oder HiSeq-1500-System) sequenziert. (Mit freundlicher Genehmigung von Illumina)
besondere auch Krankheitsbilder mit ausgeprägter genetischer Heterogenität umfassend zu analysieren.
Gen-Panels ermöglichen die simultane Sequenzierung von mehreren Hundert
Krankheitsgenen. Bei der Zusammenstellung der Gen-Panels werden alle Gene,
deren Mutationen nach aktueller Literaturlage mit dem entsprechenden Phänotyp verbunden sind, berücksichtigt. Dies
bedeutet, dass auch mögliche Differenzialdiagnosen simultan beurteilt oder abgeklärt werden können, was einen großen
Vorteil im klinischen Alltag darstellt.
»
Für Next Generation
Sequencing ist die
Beachtung strenger
Qualitätskriterien essenziell
Verschiedene NGS-Plattformen sind auf
dem Markt vertreten, wobei Illumina mit
seinen Systemen aktuell führend ist. Meist
werden die entsprechenden Genabschnitte (Exons und angrenzende intronische
Sequenzen) sequenziert, nachdem diese aus der gesamtgenomischen DNA des
Patienten angereichert wurden (sog. „sequence capture“). Die NGS-Daten werden durch eine kontinuierlich weiterzuentwickelnde bioinformatische Pipeline
prozessiert. Gute Einrichtungen sind in
der Lage, bei entsprechender Sequenziertiefe zudem strukturelle Varianten („copy number variations“, CNV) wie größere Stückverluste (Deletionen) und Verdopplungen (Duplikationen) im Genom
178 | Der Nephrologe 3 · 2015
zu detektieren. Diese CNV entgehen regelhaft der konventionellen Sequenzierung. Dies stellt insbesondere einen Vorteil bei solchen Genen dar, für die eine
MLPA („multiplex ligation-dependent
probe amplification“) als sonstige Methodik zur Detektion größerer Deletionen
und Duplikationen nicht verfügbar ist.
Für die meisten Gene machen Deletionen/Duplikationen etwa 5–10% aller Mutationen aus, für einzelne Gene kann dieser Prozentsatz jedoch auch deutlich darüber liegen (z. B. HNF1β, NPHP1, CTNS).
Mehr noch als für die meisten anderen labordiagnostischen Verfahren ist für
NGS die Beachtung strenger Qualitätskriterien essenziell [21]. Ist dies gewährleistet,
bieten die neuen Techniken große Vorteile, nicht nur hinsichtlich des Durchsatzes, sondern auch hinsichtlich der Qualität (z. B. Nachweis von CNV und Detektion von Mosaiken). Mittels NGS nachgewiesene pathogene Veränderungen sollten zumindest im diagnostischen Bereich
weiterhin mit einer zweiten unabhängigen Methode validiert werden. In der Regel geschieht dies mittels konventioneller
Sanger-Sequenzierung bzw. MLPA, Array-CGH („array-based comparative genomic hybridization“) oder quantitativer
„Real-time“-Polymerasekettenreaktion
(qPCR, bei nachgewiesenen CNV). Der
an den einsendenden Arzt übermittelte
Befund sollte eine auch für Nichtgenetiker klar verständliche Interpretation der
identifizierten Varianten enthalten und
von einem erfahrenen Team biomedizi-
nischer Experten und Fachärzten für Humangenetik verfasst werden.
Grundsätzlich erlaubt die parallele Analyse aller bei einem Patienten differenzialdiagnostisch zu diskutierenden
Gene eine bessere Interpretation identifizierter Veränderungen und vermeidet
auf diese Weise genetische Fehldiagnosen. Der beschriebene NGS-Ansatz mittels gezielter Anreicherung aller Gene für
eine Erkrankung/Erkrankungsgruppe erhöht die Detektionsrate maßgeblich, und
der zugrunde liegende genetische Defekt
kann in der Mehrzahl der Fälle identifiziert werden. Das rasante Tempo in der
Molekulargenetik widerspiegelnd, wird
mitunter sogar bereits zu diagnostischen
Zwecken eine Sequenzierung des gesamten Exoms (sog. „whole exome sequencing“, d. h. Sequenzierung des proteinkodierenden Teils des Genoms) diskutiert, während die ebenfalls technisch bereits mögliche Untersuchung des gesamten Genoms (sog. „whole genome sequencing“) aktuell für die Diagnostik noch keine Rolle spielt.
Die Genetik und deren technische
Möglichkeiten entwickeln sich rapide.
Wichtig bleibt bei allem technischen Fortschritt jedoch auch weiterhin zu überlegen, wann was am besten ist, sprich welche Art von Untersuchung und welches
Vorgehen im Einzelfall am sinnvollsten
ist. So mag es für einzelne Erkrankungen
weiterhin sinnvoll sein, primär gezielt ein
bestimmtes Gen mittels konventioneller Technik zu untersuchen, v. a. wenn
das Gen klein und leicht zu untersuchen
Zusammenfassung · Abstract
ist [z. B. VHL bei Von-Hippel-Lindau
(VHL)-Erkrankung]. Bei heterogenen
Erkrankungen wie z. B. den Ziliopathien
oder dem atypischen hämolytisch-urämischen Syndrom (aHUS) spricht hingegen
vieles bereits primär für ein NGS-basiertes Vorgehen. Eine qualitativ hochwertige
medizinisch-genetische Betreuung zeichnet sich durch eine strukturierte, interdisziplinäre Herangehensweise aus und gewinnt so zunehmend im klinischen Alltag an Bedeutung.
Zystische Nierenerkrankungen
Zystische Nierenerkrankungen umfassen
eine klinisch und genetisch heterogene
Erkrankungsgruppe (. Tab. 1, . Abb. 2).
Mit einer Prävalenz von etwa 1:500 zählen sie zu den häufigsten Erbkrankheiten
überhaupt [12]. Die wichtigsten Formen
umfassen die als Zystennieren bezeichnete autosomal-dominante (ADPKD) und
-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD). Es folgen die heterogenen Gruppen zystisch-dysplastischer Nierenerkrankungen sowie der Komplex der
Nephronophthisen (NPHP) und anderer
medullär-zystischer Nierenerkrankungen. Die Produkte der verantwortlichen
Gene werden unter dem Begriff „Zystoproteine“ zusammengefasst und sind primär im Bereich des Zilium-ZentrosomenKomplexes lokalisiert. Zilien sind antennenartige Ausstülpungen auf der Oberfläche der meisten Zellen, die einen intensiven Informationsaustausch in und zwischen Zellen erlauben und für die Kontrolle des Zellzyklus essenziell sind. Strukturelle und funktionelle Störungen dieser
Strukturen führen zu einer Vielzahl sehr
unterschiedlicher, kollektiv als Ziliopathien bezeichneter Krankheitsbilder ([2];
. Abb. 3). Zur diagnostischen Abklärung wird als erster Schritt eine abdominale Ultraschalluntersuchung empfohlen.
Die Abgrenzung der verschiedenen Entitäten voneinander kann im Einzelfall sehr
schwierig sein. Einen wertvollen Beitrag
zur klinischen und genetischen Einordnung kann neben Informationen zur Familienanamnese, Klinik und Morphologie der Fehlbildungen insbesondere auch
die in den vergangenen Jahren stark verbesserte molekulargenetische Diagnostik
liefern.
180 | Der Nephrologe 3 · 2015
Nephrologe 2015 · 10:176–194 DOI 10.1007/s11560-014-0942-5
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
C. Bergmann
Relevanz der genetischen Diagnostik
erblicher Nephropathien in der Klinik
Zusammenfassung
Hintergrund. Die meisten genetischen Nierenerkrankungen sind sowohl klinisch als
auch genetisch heterogen. Die genetische
Diagnostik gewinnt dabei an Stellenwert für
die klinische Betreuung, auch dank der neuen Möglichkeiten des Next Generation Sequencing (NGS) mit Vorteilen bezüglich Effizienz, Kosten und Aussagekraft. Mittels sog.
Multigen-Panels ist eine parallele Untersuchung aller differenzialdiagnostisch zu diskutierenden Gene möglich, statt wie bislang
nacheinander konventionell „Gen für Gen“
analysieren zu müssen.
Schlussfolgerung. Für eine zeitgemäße medizinische Betreuung ist die Einbindung der
Genetik wichtig. Das Wissen um den zugrunde liegenden genetischen Defekt trägt zu
einer besseren Einschätzung des Krankheitsverlaufs und möglicher Komplikationen bei.
Zudem hilft es, die Zahl invasiver Eingriffe zu
reduzieren und Therapien sowie das Vorgehen bei Transplantation gezielter zu planen,
auch weil das Rekurrenzrisiko entscheidend
vom Genotyp abhängt. Schließlich kann auch
das erbliche Risiko für Patienten und deren
Angehörige in der Regel nur mit einer genetischen Diagnose sicher bestimmt werden.
Schlüsselwörter
Erbliche Nierenerkrankungen · Genetische
Diagnostik · Next Generation Sequencing
(NGS) · Gezielte Therapieoptionen ·
Genetische Beratung
Relevance of genetic diagnostics of hereditary
neuropathies for clinical aspects
Abstract
Background. Most genetic kidney disorders
are clinically and genetically heterogeneous.
Next generation sequencing (NGS) has revolutionized the field of genetic diagnostics and
provides rapidly growing insights into the
pathomechanisms of hereditary nephropathies and shows advantages in efficiency,
cost and specificity. The increasing number
of genes that have to be considered in patients with hereditary nephropathies is often
challenging to address by conventional techniques. Genetic diagnostics greatly benefit
from NGS-based approaches, which allow the
parallel analysis of all disease-related genes,
e.g. by the use of multigene panels, instead
of having to analyze each gene separately.
Conclusion. Currently, best practice guidelines for most hereditary nephropathies in-
Autosomal-dominante
polyzystische
Nierenerkrankung (ADPKD)
Die ADPKD ist die häufigste lebensbedrohliche genetische Krankheit mit weltweit 10–15 Mio. Betroffenen [12]. Die
Mehrzahl der Patienten weist eine Mutation im PKD1-Gen auf, etwa 15–20% zeigen eine Mutation im PKD2-Gen. In der
westlichen Welt ist die ADPKD bei 5–10%
aller dialysepflichtigen Patienten Ursache
clude genetic diagnostics. Knowledge of the
underlying genetic defect is advantageous
for making decisions regarding transplantation and therapeutic options. Furthermore, it
helps to detect and treat complications early and to reduce invasive procedures. Overall, an accurate genetic diagnosis is crucial for
genetic counselling, provides information on
the recurrence risk and helps to improve the
clinical management of patients and their
families.
Keywords
Hereditary nephropathies · Genetic
diagnostics · Next generation sequencing
(NGS) · Clinical management · Genetic
counselling
des Nierenversagens. Der ultrasonographische Nachweis von 3 oder mehr Nierenzysten (uni- oder bilateral) im Alter
von unter 40 Jahren bei Personen, die aufgrund der Familienanamnese ein erhöhtes
Risiko für die Entwicklung einer ADPKD
haben, gilt als diagnosebeweisend. Es ist
davon auszugehen, dass der genetischen
Diagnostik im Rahmen einer Risikostratifizierung von Patienten und der sich abzeichnenden Zulassung des V2R-Anta-
Tab. 1 Übersicht über genetische Ursachen zystischer Nierenerkrankungen, die eine sehr heterogene und komplexe Erkrankungsgruppe dar-
stellen. Für den einzelnen Patienten können die korrekte Diagnose und Einordnung mittlerweile sehr gut mittels Gendiagnostik erfolgen
Erkrankung
Autosomal-rezessive
polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)
Erbgang
AR
Gen
PKHD1
Genprodukt/Protein
Polyductin/Fibrocystin
Autosomal-dominante
polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD)
HNF1β-Erkrankung
AD
PKD1
PKD2
Polycystin-1
Polycystin-2
AD
HNF1β/TCF2
HNF1β
Von-Hippel-LindauSyndrom (VHL)
AD
VHL
pVHL
Tuberöse Sklerose (TSC)
AD
TSC1
TSC2
Hamartin
Tuberin
Medullär-zystische
Nierenerkrankungen
(MCKD)
AD
Nephronophthise
(NPHP)
AR
MUC1 (MCKD1)
UMOD (MCKD2)
HNF1β/TCF2
REN
NPHP1
INVS/NPHP2
NPHP3
NPHP4
IQCB1/NPHP5
CEP290/NPHP6
GLIS2/NPHP7
RPGRIP1L/
NPHP8
NEK8/NPHP9
SDCCAG8/
NPHP10
TMEM67/
NPHP11
TTC21B/NPHP12
WDR19/NPHP13
ZNF423/
NPHP14
CEP164/NPHP15
ANKS6/NPHP16
IFT172/NPHP17
CEP83/NPHP18
XPNPEP3/
NPHPL1
FAN1
MRE11A
SLC41A1
DCDC2
MUC1 (Mucin-1)
Uromodulin
HNF1β
Renin
Nephrocystin-1
Inversin
Nephrocystin-3
Nephrocystin-4
IQCB1
CEP290
GLIS2
RPGRIP1L
NEK8
SDCCAG8
Meckelin
IFT139
WDR19
ZNF423
CEP164
ANKS6
IFT172
CEP83
XPNPEP3
FAN1
MRE11A
SLC41A1
DCDC2
Klinik
Bds. große Nieren, Zysten fusiform, primär im distalen Tubulus- und
Sammelrohrbereich
Immer auch kongenitale Leberfibrose (mit zunehmendem Alter
Komplikation der portalen Hypertension), selten Aneurysmen und
Pankreasbeteiligung
Bds. große Nieren, Zysten ubiquitär, auch kortikal
Häufig Leberzysten, ca. 10% intrakranielle Aneurysmen, ggf. Zysten
auch anderer Organe (z. B. Pankreas)
Meist zystisch-dysplastische Nieren, aber auch wie ADPKD oder
ARPKD imponierend
Weitere mögliche Merkmale: MODY-Diabetes, Hyperurikämie, erhöhte Leberenzyme, Hypomagnesiämie, Genitalauffälligkeiten, Pankreasatrophie mit endokriner und exokriner Insuffizienz
Häufig große Nieren wie bei ADPKD, außerdem ggf. Hämangioblastom (Gehirn, Rückenmark, Retina), Phäochromozytom, klarzelliges
Nierenzellkarzinom
Häufig große Nieren wie bei ADPKD
50% Zystennieren, 80% Angiomyolipome
Außerdem meist Epilepsie, 50% kognitive Defizite.
Pulmonale (z. B. Lymphangiomyomatose) und kutane Manifestationen („white spots“, faziale Angiofibrome, peri-/subunguale Fibrome)
Normal große Nieren mit interstitieller Fibrose und kortikomedullären Zysten (evtl. erst später im Verlauf).
Ggf. Hyperurikämie
Normal große oder kleine hyperechogene Nieren mit interstitieller
Fibrose und kortikomedullären Zysten (evtl. erst später im Verlauf)
Einige Subtypen aber auch PKD-ähnlich imponierend mit großen
Nieren (z. B. INVS/NPHP2)
Initial meist Polyurie und Polydipsie, häufig auch Anämie
Weitere Organmanifestationen aus dem Ziliopathiespektrum häufig,
z. B. Retinitis pigmentosa (Senior-Løken-Syndrom) und Kleinhirnauffälligkeiten (Joubert-Syndrom)
Der Nephrologe 3 · 2015 | 181
Leitthema
Tab. 1 Übersicht über genetische Ursachen zystischer Nierenerkrankungen, die eine sehr heterogene und komplexe Erkrankungsgruppe
darstellen. Für den einzelnen Patienten können die korrekte Diagnose und Einordnung mittlerweile sehr gut mittels Gendiagnostik erfolgen
(Fortsetzung)
182 | Erkrankung
Erbgang
Gen
Genprodukt/Protein
Klinik
Bardet-Biedl-Syndrom
(BBS)
AR
AR
BBS1
BBS2
ARL6
BBS4
BBS5
MKKS
BBS7
TTC8
PTHB1
BBS10
TRIM32
BBS12
MKS1
CEP290
FRITZ
SDCCAG8
LZTFL1
BBIP1
IFT27
IFT172
ALMS1
Nierenphänotyp mannigfaltig, häufig PKD-ähnlich, aber auch NPHP
und Veränderungen des Urogenitaltrakts möglich
Andere Hauptkriterien sind Adipositas, Hypogonadismus, Retinadegeneration, Polydaktylie, kognitive Defizite
Alström-Syndrom
BBS1
BBS2
ARL6/BBS3
BBS4
BBS5
MKKS/BBS6
BBS7
TTC8/BBS8
BBS9
BBS10
TRIM32/BBS11
BBS12
MKS1/BBS13
CEP290/BBS14
WDPCP/BBS15
SDCCAG8/BBS16
LZTFL1/BBS17
BBIP1/BBS18
IFT27/BBS19
IFT172/BBS20
ALMS1
Joubert-Syndrom (JBTS)
und verwandte Erkrankungen (JSRD)
Primär
AR
INPP5E/JBTS1
TMEM216/JBTS2
AHI1/JBTS3
NPHP1/JBTS4
CEP290/JBTS5
TMEM67/JBTS6
RPGRIP1L/JBTS7
ARL13B/JBTS8
CC2D2A/JBTS9
OFD1/JBTS10
TTC21B/JBTS11
KIF7/JBTS12
TCTN1/JBTS13
TMEM237/
JBTS14
CEP41/JBTS15
TMEM138/
JBTS16
C5ORF42/JBTS
TCTN3/JBTS
ZNF423/JBTS19
TMEM231/
JBTS20
CSPP1/JBTS21
PDE6D/JBTS22
EXOC8
TCTN2
ATXN10
MKS1
B9D1
POC1B
INPP5E
TMEM216
Jouberin
Nephrocystin-1
CEP290
Meckelin
RPGRIP1L
ARL13B
CC2D2A
OFD1
TTC21B
KIF7
Tectonic 1
TMEM237
CEP41
TMEM138
C5ORF42
Tectonic 3
ZNF423
TMEM231
CSPP1
PDE6D
EXOC8
Tectonic 2
Ataxin 10
MKS1
B9D1
POC1B
Der Nephrologe 3 · 2015
Nierenphänotyp mannigfaltig, zudem Adipositas, Retinadegeneration, Taubheit, Kardiomyopathie, progressive pulmonale, hepatische
und renale Veränderungen, endokrinologische Auffälligkeiten
(Hypogonadismus, Diabetes mellitus, Hypothyreose, Hyperlipidämie), meist normale Intelligenz
Nierenphänotyp mannigfaltig, häufig NPHP-ähnlich
Kleinhirnwurmhypoplasie, Retardierung, neonatal unregelmäßiges
Atemmuster, Hypotonie, Ataxie und Nystagmus
Weitere häufige Merkmale: Polydaktylie, Retinadegeneration, kongenitale Leberfibrose
Tab. 1 Übersicht über genetische Ursachen zystischer Nierenerkrankungen, die eine sehr heterogene und komplexe Erkrankungsgruppe
darstellen. Für den einzelnen Patienten können die korrekte Diagnose und Einordnung mittlerweile sehr gut mittels Gendiagnostik erfolgen
(Fortsetzung)
Erkrankung
Erbgang
Gen
Genprodukt/Protein
Klinik
Meckel-Gruber-Syndrom (MKS)
AR
MKS1
TMEM216
Meckelin
CEP290
RPGRIP1L
CC2D2A
Nephrocystin-3
Tectonic 2
B9D1
B9D2
TMEM231
IFT88
Zystische Nieren, häufig vergrößert
Gewöhnlich letales Krankheitsbild mit Meningoenzephalozele,
kongenitaler Leberfibrose, Polydaktylie, Skelettveränderungen, Herzfehler, Mikrophthalmie und Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte
Orofaziodigitales Syndrom (OFD)
X-chr.
und AR
AR
Ellis-van Creveld-Syndrom (EVC)
AR
OFD1
TCTN3
DDX59
C5ORF42
SCLT1
TBC1D32
C2CD3
IFT80/WDR56
DYNC2H1
NEK1
IFT139/THM1
IFT172
IFT144/WDR19
WDR34
WDR35/IFT121
WDR60
IFT140
CEP120
EVC
EVC2
Zystische Nieren, häufig vergrößert und PKD-ähnlich
Auffälligkeiten im Mund-, Gesichts- und Handbereich namensgebend
Weitere Veränderungen aus dem Ziliopathieformenkreis häufig, wie
z. B. ZNS- und Kleinhirnauffälligkeiten
Kurzrippen-Polydaktylie-Syndrome (mehrere
Typen, z. B. Jeune-Syndrom)
MKS1
TMEM216/MKS2
TMEM67/MKS3
CEP290/MKS4
RPGRIP1L/MKS5
CC2D2A/MKS6
NPHP3/NPHP3
TCTN2/MKS8
B9D1/MKS9
B9D2/MKS10
TMEM231/
MKS11
IFT88
OFD1
TCTN3/OFD4
DDX59/OFD5
C5ORF42/OFD6
SCLT1/OFD9
TBC1D32/OFD9
C2CD3/OFD14
IFT80
DYNC2H1
NEK1
TTC21B
IFT172
WDR19/IFT144
WDR34
WDR35
WDR60
IFT140
CEP120
EVC
EVC2
Nierenphänotyp mannigfaltig
Kurze Rippen und enger Thorax (mit respiratorischer Insuffizienz),
kurze Extremitäten, Polydaktylie, Gallengangs- und Pankreasauffälligkeiten
Weitere Veränderungen aus dem Ziliopathieformenkreis
Nierenphänotyp mannigfaltig
Chondroektodermale Dysplasie mit Kleinwuchs, akromesomele Verkürzung der Extremitäten, kurze Rippen, Polydaktylie, Nagel- und
Zahnveränderungen, orale Frenula, Herzfehler
AD autosomal-dominant, AR autosomal-rezessiv, X-chr X-chromosomal/geschlechtsgebunden, MODY „maturity onset diabetes of the young“.
gonisten Tolvaptan (Jinarc®, Otsuka) eine
zunehmend bedeutende Rolle zukommt.
Klinisch stehen eine Hypertension
und eine progrediente Nierenfunktionsverschlechterung mit Volumenzunahme
beider Nieren, bedingt durch massive Zystenbildung, im Vordergrund. Die Hälfte aller Patienten ist im Alter von 60 Jahren chronisch niereninsuffizient. Patienten mit einer PKD2-Mutation zeigen im
Durchschnitt einen signifikant milderen
Krankheitsverlauf als PKD1-Patienten mit
einer niedrigeren Prävalenz von Harnwegsinfektionen und arterieller Hypertonie. PKD1-Patienten werden durchschnittlich 20 Jahre früher als PKD2-Patienten terminal niereninsuffizient (58,1 vs.
79,9 Jahre). Nicht nur das betroffene Gen,
sondern auch die Art der PKD1-Mutation
korrelieren signifikant mit der absoluten
Nierenüberlebenszeit [6].
Klinische Symptome treten gewöhnlich nicht vor dem Erwachsenenalter auf.
Allerdings ist die Variabilität selbst innerhalb der Familie erheblich. So zeigen etwa
2–5% der Patienten bereits im Kindesalter
klinische Zeichen [3], darunter solche mit
Potter-Sequenz und beträchtlicher perinataler Morbidität und Mortalität. Familienstudien zeigen, dass ein hohes Wiederholungsrisiko hierfür von rund 50% für Geschwister von frühmanifesten ADPKDPatienten besteht. Kürzlich konnte ein
genetisches Prinzip beschrieben werden,
welches das hohe Wiederholungsrisiko in
Familien mit frühmanifester Verlaufsform
erklären hilft [4]. Demnach trägt ein Teil
der früh und schwer betroffenen Patien-
ten Mutationen in mehr als einem Zystennieren-Gen, oder mehr als eine Genkopie
ist bei dominant erblichen Genen betroffen (im Sinne einer erhöhten sog. Mutationslast).
Obgleich in erster Linie die Nieren betroffen sind, stellt die ADPKD eine progressiv verlaufende Multisystemerkrankung mit profunder extrarenaler Beteiligung dar. Zysten der Leber sind die mit
Abstand häufigste extrarenale Manifestation. Klinisch verhalten diese sich zumeist
benigne und führen zu keinen größeren
Komplikationen. Zysten in anderen epithelialisierten Organen und Divertikulose
sind ebenfalls recht häufig. Leberzysten
treten vermehrt bei Frauen und bei rund
75% der ADPKD-Patienten im Alter von
Mitte 60 auf. Kardiovaskuläre KomplikaDer Nephrologe 3 · 2015 | 183
Leitthema
Für die Einordnung wichtig sind Merkmale wie Alter des Patienten, Nierengröße, Zystenanzahl- und -lokalisation,
Familienanamnese, vermuteter Erbgang sowie der Hinweis auf extrarenale Symptome
Polyzystisch
(Zystennieren: ADPKD und ARPKD)
Markzysten
(Nephronophthisen und MCKD)
Multizystisch-dysplastisch
Nieren vergrößert mit erhöhter
Echogenität und verwaschener CMD.
Im Säuglings- und frühen Kindesalter
oft keine Einzelzysten abgrenzbar (v. a.
bei ARPKD); mit zunehmendem Alter
unterschiedlich große, abgrenzbare
Zysten.
Nieren eher normal groß oder klein
mit erhöhter Echogenität,
verminderter CMD und interstitieller
Fibrose. Zysten meist erst sekundär
bei Nierenversagen, dann
typischerweise am Mark-RindenÜbergang lokalisiert.
Nierengröße variabel, Nierenstruktur
gestört, unruhiges Muster mit
unterschiedlich großen Zysten,
ggf. später Rückbildung der Niere
(„Nierenagenesie“, cave FA: häufig
klinisch gesunde Familienmitglieder
mit unilateraler Nierenagenesie)
Normaler elterlicher US
u./o. negative FA:
ARPKD
(v. a. PKHD1, PKD1, PKD2)
NPH
(NPHP1-20)
HNF1ß-Neumutation
und andere (häufig
auch i. R. von
Syndromen u. CAKUT)
Auffälliger elterlicher US
u./o. positive FA:
ADPKD
(v. a. PKD1, PKD2)
ADMCKD
(v. a. MUC1, UMOD)
RCAD
(HNF1ß) und andere
Bei zusätzlichen Fehlbildungen eher denken an:
Chromosomenstörungen (praktisch immer mit mentaler Retardierung)
Ziliopathien und andere syndromale Erkrankungen:
dominant erblich: z. B. TSC, VHL, BOR
(Cave: Neumutation und variable Expressivität)
rezessiv erblich: z. B. BBS, JSRD, MKS, SRPS, SLS, RHPD, ZS
Abb. 2 8 Diagnostischer Algorithmus bei zystischen Nierenveränderungen und typischerweise betroffene Gene: Ein solcher
Algorithmus kann stets nur eine vereinfachte Darstellungsform sein. Dominant erbliche Erkrankungen können auch aufgrund stark unterschiedlicher Krankheitsausprägung in der Familie („variable Expressivität“) oder einer Neumutation sporadisch oder autosomal-rezessiv erscheinen. Neben dem klinischen, ultrasonographischen und morphologischen Aspekt der
Nierenerkrankung müssen weitere (extrarenale) Fehlbildungen sowie die Familienanamnese (v. a. bei Kindern Ultraschalluntersuchung der Eltern sinnvoll) berücksichtigt werden [ADPKD autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung,
ARPKD autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung, MCKD medullär-zystische Nierenerkrankungen ADMCKD autosomal-dominante MCKD, BBS Bardet-Biedl-Syndrom, BOR branchiootorenales Syndrom, CAKUT „congenital anomalies of
the kidney and the urinary tract“, CMD kortikomedulläre Differenzierung, FA Familienanamnese, JSRD Joubert-Syndrom-verwandte Erkrankungen, NPH Nephronophthise, MKS Meckel-Gruber-Syndrom, RCAD „renal cysts and diabetes syndrome“,
RHPD renohepatopankreatische Dysplasie (Ivemark-Syndrom), SLS Senior-Løken-Syndrom, SRPS „Short-rib“ (Kurzrippen)Polydaktylie-Syndrom (Jeune-Syndrom und andere), TSC tuberöse Sklerose, VHL Von-Hippel-Lindau-Syndrom, ZS ZellwegerSyndrom]
tionen der ADPKD sind gefürchtet. Während die Diagnose eines Mitralklappenprolaps zwar häufig (jeder 4. ADPKDPatient), jedoch klinisch meist unbedeutend ist, stellen die bei etwa 8% der Patienten auftretenden zerebralen Aneurysmen eine potenziell lebensbedrohliche
Manifestation mit der Gefahr der Hirnblutung dar. Patienten mit positiver Familienanamnese zeigen hierfür ein signifikant erhöhtes Risiko, worauf im Rahmen
der Betreuung hingewiesen werden sollte. Goldstandard für die Detektion zerebraler Aneurysmen ist die MR-Angiographie, von einem breiten Massenscreening
aller ADPKD-Patienten sollte jedoch Abstand genommen werden. Eine differenzierte Betrachtungsweise mit umfassender Erläuterung der Pros und Cons sowie
möglicher Konsequenzen für den Patienten sollte vor Untersuchung erfolgen.
184 | Der Nephrologe 3 · 2015
»
Obgleich in erster Linie
die Nieren betroffen sind,
stellt die ADPKD eine
progressiv verlaufende Multisystemerkrankung mit profunder
extrarenaler Beteiligung dar
Eine Mutationsanalyse bei ADPKD ist
u. U. bei folgenden Konstellationen sinnvoll:
Fzur Diagnosesicherung bei Patienten
mit unklarer zystischer Nierenerkrankung (z. B. zystische Nierenveränderungen ohne positive Familienanamnese);
FBeurteilung des Wiederholungsrisikos für eigene Kinder und weitere Familienmitglieder;
Fim Rahmen einer Lebendnierenspende zum Ausschluss einer Anlageträgerschaft bei jüngeren Spendern;
Fim Rahmen einer Risikostratifizierung geeigneter Patienten für medikamentös-therapeutische Optionen.
Aktuell beschränkt sich die Therapie von
Patienten mit Zystennieren primär auf die
konsequente Behandlung des prognostisch ungünstigen Blutdrucks, die Vermeidung und konsequente Behandlung
von Harnwegsinfekten sowie im weiteren
Verlauf auf die Behandlung der Niereninsuffizienz. Durch das verbesserte Verständnis der Pathogenese der Zystenbildung mit Identifizierung der verantwortlichen Gene und Charakterisierung der
Funktion der verantwortlichen Proteine haben sich neue Behandlungsstrategien eröffnet, und klinische Studien lau-
Leitthema
Abb. 3 9 Breites klinisches Spektrum der Ziliopathien: Das Erkrankungsspektrum ist mitunter bunt, und praktisch alle Organe können im Rahmen dieser Erkrankungsgruppe betroffen sein; die
wichtigsten sind hier
schematisch dargestellt. Dennoch zeigen
Ziliopathien oftmals
ein distinktes Muster an Merkmalen mit
hohem Wiedererkennungswert
fen ([16]; . Abb. 4). Zudem ist die Zulassung von Tolvaptan (Jinarc®, Otsuka) in
einigen Ländern wie Kanada und Japan
bereits erfolgt. In anderen ist hiermit zeitnah zu rechnen; so hat die EMA kürzlich
eine entsprechende Zulassung in Europa
empfohlen.
Autosomal-rezessive
polyzystische
Nierenerkankung (ARPKD)
Im Gegensatz zur ADPKD ist die ARPKD
typischerweise eine pädiatrische Erkrankung und soll daher hier nur sehr kurz behandelt werden. Wichtig für den Erwachsenennephrologen ist jedoch zu wissen,
dass das klinische Spektrum der ARPKD
sehr viel breiter ist, als ehemals angenommen, und auch recht mild betroffene erwachsene Patienten mit einer ARPKD beschrieben sind [1]. Mit fortschreitendem
klinischen Verlauf, Bildung größerer Zysten und zunehmender interstitieller Fibrose ähnelt die Nierenstruktur mehr und
mehr derjenigen bei ADPKD. Hepatobiliäre Komplikationen infolge der obligat
186 | Der Nephrologe 3 · 2015
vorliegenden kongenitalen Leberfibrose können das klinische Bild insbesondere bei älteren Patienten dominieren und
der fortschreitende Pfortaderhochdruck
zu konsekutiven Komplikationen wie Hypersplenismus und Ösophagusvarizen
führen. Die meisten Patienten weisen eine
Mutation im PKHD1-Gen auf, jedoch haben auch hier die letzten Jahre eine größere Heterogenität zu Tage geführt [3].
Zystisch-dysplastische
Nierenveränderungen (renaler
Agenesie-Dysplasie-Komplex)
Die Verläufe bei unilateral auftretenden
Nierendysplasien und/oder Agenesien
sind naturgemäß sehr bunt, während ein
beidseitiges Vorgehen häufig nicht mit
dem Leben vereinbar ist. Im Ultraschall
ist die Nierenstruktur meist aufgehoben,
und es imponieren unterschiedlich große
Zysten mit insgesamt unruhigem Muster
und viel Bindegewebe.
Dysplasien und Nierenagenesien sind
auch typische Manifestationen des variabel verlaufenden autosomal-dominant er-
blichen „Renal-cyst-and-diabetes“-Syndroms (RCAD), dem Mutationen des
TCF2/HNF1β-Gens zugrunde liegen [6].
Grundsätzlich muss bei Patienten mit
Nierendysplasie und -agenesie eine Vielzahl von Genen diskutiert werden. Weitere klinische Auffälligkeiten jenseits der
Niere können den Weg zu einem der vielen genetischen Syndrome mit zystischer
Nierendysplasie weisen. Bei isolierter zystischer Nierendysplasie und anderen Veränderungen des CAKUT („congenital anomalies of the kidney and urinary tract“)Spektrums zeigt abgesehen von HNF1β
kein anderes Gen eine so hohe Detektionsrate, die eine Einzelgenanalytik aktuell rechtfertigt (anders bei Formen mit ergänzenden extrarenalen Symptomen), sodass sich auch hierbei in Anbetracht ausgeprägter Heterogenität eine Multi-GenPanel-Diagnostik mittels NGS anbietet.
Das Manifestationsspektrum bei einer
Mutation des HNF1β-Gens ist sehr breit
und umfasst neben zystischen Nierenveränderungen eine Reihe weiterer potenzieller Veränderungen. Merkmale, die an
eine HNF1β-Mutation denken lassen sollten, sind:
Fzystische Nierenveränderungen,
FMODY („maturity onset diabetes of
the young“)-Diabetes,
FGenitalauffälligkeiten,
FHyperurikämie/Gicht,
Ferhöhte Leberenzyme,
FHypomagnesiämie,
FPankreasatrophie mit endokriner
und/oder exokriner Insuffizienz.
Häufig manifestiert sich die Erkrankung
lediglich monosymptomatisch. Ein beträchtlicher Anteil der Mutationen (ca.
30–50%) sind große Deletionen auf Chromosom 17q12. Die genetische Einordnung
ist auch deshalb von großer Bedeutung für
die Patienten und Familien, da rund die
Hälfte aller HNF1β-Mutationen de novo
entsteht und in diesen Fällen praktisch
kein erhöhtes Wiederholungsrisiko besteht, was im Einzelfall eine große Entlastung der Familien darstellen kann.
In der Literatur wird eine Funktion von
HNF1β als Tumorsuppressor mit möglicherweise erhöhtem Risiko erwachsener
Mutationsträger für verschiedene Tumoren (z. B. Nierenzellkarzinome) diskutiert.
Im Einzelfall sollte gemeinsam mit dem
Potenzielle Interventionen:
(1) TNF-Antagonisten
(2) Tyrosinkinaseinhibitoren
(3) CFTR-Inhibitoren
(4) SRC-Inhibitoren
(5) MEK-Inhibitoren
(6) mTOR-Inhibitoren
(7) Metformin
(8) CDK-Inhibitoren
(9) Triptolide
(10) Somatostatin
(11) V2-Rezeptor-Antagonisten
herunterreguliert bei PKD
hochreguliert bei PKD
(2)
(1)
EGF
IGF
VEGF
Cl
PC-2
(3)
CFTR
TNF-α
PC-1
–
FC
Ca2+
Ca2+
PC-1
SHH-Signaling?
PKA
IKKβ
(?)
Ca2+
(4)
β -Catenin
SRC
Ca2+
PC-2
(9)
PC-2
ER
(5)
Ras/B-Raf/MEK/ERK
GSK3β
TSC1/TSC2
PC-1
(7)
Rheb
Proliferative
Transkription
Stats, Myc, jun, phos
cAMP
Cyclin D (8)
ATP
AMPK
(6)
mTOR
(10)
SSTR
AC VI
(11)
V2R
Vasopressin
Abb. 4 8 Mögliche zukünftige therapeutische Optionen bei Zystennieren, schematische Darstellung einer Nierenepithelzelle mit primärem Zilium an der Oberfläche und der bei Zystennieren gestörten Signalwege mit Kennzeichnung potenzieller pharmakologischer Zielmoleküle („drug targets“): Zahlreiche Ansätze existieren, z. B. für Vasopressin-V2-Rezeptor (V2R)Antagonisten (Vaptane, z. B. Tolvaptan) und Somatostatinanaloga (z. B. Octreotid). Obgleich die Ergebnisse großer klinischer
Studien mit mTOR („mammalian target of rapamycin“)-Inhibitoren (Sirolimus und Everolimus) ernüchternd waren, mag dennoch die Substanzgruppe der mTOR-Inhibitoren zukünftig eine therapeutische Option für eine bestimmte Patientengruppe
darstellen – ob allein, in Kombination mit weiteren Wirkstoffen oder in anderer Weise (z. B. tubulusspezifisch) appliziert, müssen weitere Studien zeigen. Alle Zystennierenproteine [Polycystin-1 (PC-1), Polycystin-2 (PC-2) und Fibrocystin/Polyductin
(FC)] sind subzellulär u. a. im Bereich primärer Zilien lokalisiert. PC-2 spielt zudem eine wichtige Rolle im endoplasmatischen
Retikulum (ER). Der Polycystinkomplex reguliert ziliäre Ca2+-Signale und steuert hierdurch die Ca2+-Freisetzung aus dem ER.
Eine Reduzierung des intrazellulären Ca2+-Spiegels führt zu gesteigerter cAMP (zyklisches Adenosinmonophosphat)-Konzentration in der Zelle. Die Aktivierung des V2-Rezeptors (V2R) unterstützt dies, während eine Aktivierung des Somatostatinrezeptors (SSTR) einen gegenteiligen Effekt hat. Eine gesteigerte cAMP-Konzentration hat eine vermehrte chloridabhängige Flüssigkeitssekretion und verstärkte Zellproliferation bei Zystennieren zur Folge, u. a. durch Aktivierung des mTOR-Signalwegs (TNF-α Tumornekrosefaktor α, PKD polyzystische Nierenerkrankung, CDK „cyclin-dependent kinase“, TSC „tuberous sclerosis protein“, Rheb“Ras homolog enriched in brain“, GSK3β „glycogen synthase kinase-3β“, AC-VI Adenylylzyklase Typ VI, ATP
Adenosintriphosphat, CFTR „cystic fibrosis transmembrane conductance regulator“, ERK extrazelluläre signalregulierte Kinase, MEK „mitogen-activated protein kinase kinase“ (MAPKK), PKA Proteinkinase A, EGF „epidermal growth factor“, IGF „insulinlike growth factor“, VEGF „vascular endothelial growth factor“, AMPK „AMP-activated protein kinase“,
SHH „Sonic-hedgehog“-Signalweg)
Der Nephrologe 3 · 2015 | 187
Leitthema
Abb. 5 8 Proteinnetzwerk bei Podozytopathien und anderen glomerulären Erkrankungen. Links Der glomeruläre Filter besteht primär aus 3 Schichten: fenestriertes Endothel, glomeruläre Basalmembran (GBM), interdigitierende Podozytenfußfortsätze (FP) mit Schlitzmembran (SD); ein elektronenmikroskopisches Querschnittbild zeigt die Schlitzmembran zwischen
den benachbarten Podozyten. Rechts Eine Schemazeichnung verdeutlicht bislang bekannte und postulierte Signalwege zwischen extrazellulären Stimuli, Schlitzmembranproteinen und verschiedenen intrazellulären Effektorproteinen, die zahlreiche
für den Podozyten wichtige Zellfunktionen steuern. (Aus [10] mit freundlicher Genehmigung von Nature Publishing Group)
Patienten ein angemessen erscheinendes
Kontroll- und Vorsorgeprogramm (bei
bislang fehlenden Leitlinien hierzu) besprochen werden.
Familiäre Tumorsyndrome
mit zystischen
Nierenveränderungen
Die ADPKD wird in der Literatur gelegentlich, bezugnehmend auf zellbiologische Gemeinsamkeiten zwischen Zysto- und Tumorgenese, auch als „neoplasia in disguise“ (verkappte/maskierte Neoplasie) bezeichnet. Trotz der Häufigkeit hyperplastischer Polypen und mikroskopischer Adenome der urothelialen Schleimhaut treten Karzinome bei
der ADPKD jedoch glücklicherweise selten auf. Der Begriff „neoplasia in disguise“ zielt darüber hinaus auch auf gewisse Ähnlichkeiten und Überlappungen
zwischen ADPKD und hereditären Tu-
188 | Der Nephrologe 3 · 2015
morsyndromen wie der VHL-Erkrankung und der tuberösen Sklerose (TSC)
hin [11].
Von-Hippel-Lindau
(VHL)-Erkrankung
Die VHL-Erkrankung wird durch inaktivierende Mutationen des molekulargenetisch leicht zu untersuchenden, nur
3 Exons umfassenden VHL-Tumorsuppressorgens verursacht und geht mit der
charakteristischen Entwicklung von Hämangioblastomen in Gehirn, Rückenmark und Retina, oft in Kombination mit
Phäochromozytomen, klarzelligen Nierenzellkarzinomen und Zysten in Nieren und Pankreas, einher. Es wurde gezeigt, dass das VHL-Protein die Ziliogenese kontrolliert [9, 24].
Tuberöse Sklerose (TSC)
Die TSC ist klinisch ebenfalls sehr variabel und tritt mit einer Prävalenz von
1:6.000 auf [15]. Sie wird durch Mutationen in TSC1 oder TSC2 verursacht. Etwa
90% der Patienten leiden an Epilepsie, die
Hälfte weist kognitive Beeinträchtigungen, Autismus oder andere Verhaltensstörungen auf. Viele Patienten weisen jedoch nur vergleichsweise milde Veränderungen ohne jegliche mentale Beeinträchtigung auf. Renale Manifestationen stellen
die Haupttodesursache bei erwachsenen
Patienten dar: Zystische Nierenveränderungen treten bei 50% auf, Angiomyolipome gar bei 80%. Andere Organe wie
Herz und Gehirn können ebenfalls von
primär benignen Tumoren befallen sein.
Ein Drittel aller weiblichen Patienten zeigt
pulmonale Veränderungen, meist in Form
einer Lymphangioleiomyomatose. Kutane
Manifestationen sind häufig und umfas-
sen z. B. „white spots“, faziale Angiofibrome und peri-/subunguale Fibrome.
Die TSC und die VHL-Erkrankung
können ebenfalls als Ziliopathien bezeichnet werden und zeigen wie die ADPKD
und viele Tumoren eine verstärkte Aktivität des mTOR („mammalian target of
rapamycin“)-Signalwegs. Die synergistische Funktion von Polycystin-1 und dem
TSC2-Genprodukt Tuberin wird auch
durch die klinische Beobachtung eines in
der Regel schweren und frühen Phänotyps von Patienten mit einer Deletion der
auf Chromosom 16p13 benachbart liegenden Gene TSC2 und PKD1 nahegelegt.
am häufigsten und beginnt gewöhnlich
in der ersten Lebensdekade mit Polyurie, Polydipsie und Anämie. Im Gegensatz zu ADPKD und ARPKD ist der Blutdruck im frühen Krankheitsstadium und
bei normaler Nierenfunktion im Allgemeinen normal. Ultrasonographisch imponieren die Nieren eher klein und echogen mit verminderter kortikomedullärer
Differenzierung. Zysten bzw. zystisch dilatierte oder irregulär konfigurierte Tubuli
treten typischerweise erst sekundär nach
eingetretenem Nierenversagen und dann
meist im kortikomedullären Übergangsbereich auf.
Zystische Nierenveränderungen
im Rahmen anderer Ziliopathien
Medullär-zystische
Nierenerkrankungen (MCKD)
Zystische Nierenveränderungen können
zudem im Rahmen einer Vielzahl weiterer Syndrome auftreten. Besondere Bedeutung haben dabei neben den NPHP
und den medullär-zystischen Nierenerkrankungen (MCKD) die syndromalen
Ziliopathien, die klinische und genetische
Überlappungen erkennen lassen können
[2]. Für nähere Informationen zu den primär in der Pädiatrie eine Rolle spielenden
syndromalen Ziliopathien sei auf entsprechende Fachliteratur verwiesen [2, 3].
Die MCKD wird in Anbetracht ihres
ebenfalls tubulointerstitiellen Charakters
oft simplifiziert als autosomal-dominantes Pendant der NPHP bezeichnet (NPHMCKD-Komplex) und zeigt einen im Allgemeinen weniger schweren Verlauf als
die rezessiv erblichen Formen mit Erstmanifestation zumeist erst im Erwachsenenalter. Meist tritt ein Nierenversagen zwischen der 3. und 6. Lebensdekade auf, und in der Biopsie imponieren tubuläre Atrophie und interstitielle Fibrose.
Aktuell wird eine neue Nomenklatur für
diese Erkrankungsgruppe diskutiert. Das
lange hierfür einzige bekannte Gen war
UMOD (MCKD2). Dies kodiert Uromodulin, auch bekannt als Tamm-HorsfallProtein, das im Urin physiologisch in der
höchsten Konzentration auftretende Eiweiß. UMOD-Mutationen können zu verschiedenen tubulointerstitiellen Erkrankungsbildern einschließlich glomerulozystischer Nierenerkrankung und familiärer juveniler hyperurikämischer Nephropathie führen. Mit MUC1 konnte kürzlich nun auch das für MCKD1 verantwortliche Gen identifiziert werden. Ursächlich
ist meist ein Einschub eines Cytosinrests
in der variablen repetitiven VNTR-Region des MUC1-Gens, der zur Entstehung
eines neuen Stoppkodons und somit zum
vorzeitigen Abbruch des Proteins führt.
Hierbei handelt es sich um einen einfachen und preisgünstigen Test mit hoher
Detektionsrate. Weitere bekannte Gene
für autosomal-dominante tubulointersti-
Nephronophthise (NPHP)
NPHP sind die häufigste genetische Ursache für Nierenversagen bei Kindern und
jungen Erwachsenen und beginnen typischerweise mit einem Konzentrierungsdefekt [13]. Klinisch und genetisch ausgesprochen heterogen, sind allen NPHP
ein autosomal-rezessiver Erbgang und
der tubulointerstitiell-zystische Charakter gemein. Aktuell sind bereits mehr als
20 NPHP-Gene bekannt, weitere Heterogenität ist sicher. NPHP1 ist das am häufigsten betroffene Gen, 20–40% der Patienten tragen eine homozygote NPHP1Deletion; der Anteil der anderen Gene ist
durchweg gering, sodass auch hierbei die
NGS-Panel-Analytik von Vorteil ist. Die
meisten NPHP-Gene verhalten sich zudem pleiotrop, d. h. sie können ein sehr
viel breiteres phänotypisches Spektrum
als nur eine isolierte NPHP verursachen
(z. B. Senior-Løken- oder Joubert-Syndrom). Die juvenile Form der NPHP ist
Der Nephrologe 3 · 2015 | 189
Leitthema
Bakterien,
Aktivierende Oberflächen
C3a
H2O
CFH
Bb
C3
C3Nef
iC3b
C3
+B
+CFD
CFI
C3-Konvertase
C3bBb
CFI
CFB B
+CFD
C3(H2O)Bb
Zielzelle
Tick-over
C3b
CFH
RCA
GAG
C3(H2O)
CR1/CD35
MCP/CD46
THBD
CFH
C3a
CFI
Inflammation
C3b
CFH
RCA
GAG
C3b
Wirtszelle
Opsonisierung
C3b
Properdin/CFP
Schutz körpereigener
Zellen
Amplifikationsschleife
C5 convertase
(C3b)2Bb
C5a
+
C5b
+C6,C7,C8
+C9
Lyse
C3bBb
Eculizumab
C5
RCA
GAG
Entzündung
MAC
C5b-9
CR1/CD35
DAF/CD55
MAC
VTN, CLU
RCA
Protectin/CD59
Abb. 6 8 Aktivierung und Regulation der komplexen Signalkaskade des alternativen Komplementweges. Links (Zielzelle) Im
Gegensatz zu den beiden anderen Wegen des Komplementsystems ist der alternative Weg (AP) konstitutiv aktiv und wird
entweder durch langsame spontane Hydrolyse des Komplementfaktors C3 im Plasma oder beschleunigt durch Kontakt von
C3 mit verschiedenen Oberflächen („Tick-over“-Mechanismus) induziert. Dabei wird natives C3 in ein funktionell aktives C3bähnliches C3(H2O)-Molekül konvertiert, das als Untereinheit für die Assemblierung der initialen C3-Konvertase C3(H2O)Bb
dient, die nun wiederum C3 proteolytisch in C3a (Anaphylatoxin) und C3b (Opsonin) spalten kann. Bei entsprechendem Trigger opsonisiert C3b pathogene Zelloberflächen und setzt eine positive Amplifikationsschleife in Gang. CFB(B) bindet an C3b
und wird durch CFD proteolytisch gespalten (Bb). Die so entstehende C3-Konvertase (C3bBb) wird durch CFP stabilisiert und
spaltet wiederum C3 in das anaphylaktische C3a und C3b-Opsonin, das sich an den naheliegenden Zelloberflächen ablagert
und der Amplifikation des Aktivierungssignals dient (positiver Feedback-Loop). CFP dient hierbei der Stabilisierung der C3Konvertase. Ungehemmt fördert eine anhaltende C3b-Ablagerung die Aktivierung des terminalen Komplementweges mit
der Bildung der entsprechenden Effektormoleküle. C5b iniziiert die Assemblierung des Membranangriffskomplexes (MAC,
bestehend aus C5b-9), der letztendlich die Lyse der Zielzelle bewirkt. C5a und C3a rekrutieren Immunzellen, die u. a. zur Phagozytose der Zielzelle führen. Rechts (Wirtszelle) Um körpereigene Zellen vor Komplementschädigung zu schützen, wird der
AP durch verschiedene sowohl im Plasma zirkulierende als auch membranständige Komplementfaktoren („regulator of complement activation“, RCA) reguliert (negative Regulation). Membrangebundene RCA fördern entweder die Dissoziation der
C3-Konvertase („decay accelerating activity“, CR1 und DAF), dienen als Kofaktoren für die CFI-vermittelte Degradierung von
C3b (CR1, MCP, THBD) oder verhindern die MAC-Assemblierung [CD59, in Kombination mit den löslichen Faktoren Clusterin
(CLU) und Vitronektin (VTN)]. Zudem erkennt das lösliche CFH Glykosaminoglykane (GAG) auf körpereigenen Zelloberflächen
und hemmt die Komplementaktivierung, indem es die Dissoziation von C3bBb fördert und mit CFB um die C3b-Bindung
konkurriert. Nach Dissoziation von C3bBb (transiente Inaktivierung) frei werdende Komponenten können wiederum neue
Konvertase bilden. Eine permanente Inaktivierung von C3b in iC3b erfolgt CFI-vermittelt durch proteolytische Spaltung.
Dabei wirken CFH, MCP, CR1 und wahrscheinlich auch THBD als Kofaktoren
tielle Nierenerkrankungen sind REN und
HNF1β.
Podozytopathien und
glomeruläre Erkrankungen
Podozytopathien und glomeruläre Erkrankungen stellen in ihrer Gesamtheit die häufigste Ursache einer terminalen Niereninsuffizienz und Dialysepflichtigkeit dar [10]. Praktisch alle Podo-
190 | Der Nephrologe 3 · 2015
zytenerkrankungen sind durch eine Verschmelzung der Fußfortsätze gekennzeichnet (. Abb. 5). Defekte des glomerulären Filtrationsapparats führen je nach
Schweregrad typischerweise zu Proteinurie bzw. zum nephrotischen Syndrom.
Das klinische Spektrum schließt häufig
auch weitere Symptome wie z. B. eine Mikrohämaturie ein. Überlappungen zu anderen Erkrankungen wie etwa dem Alport-Syndrom sind fließend. Histolo-
gisch imponieren die Veränderungen oftmals als fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS), aber auch Befunde wie
„Minimal-change“-Glomerulonephritis (MCD), membranoproliferative Glomerulonephritis (MPGN) oder diffusmesangiale Glomerulosklerose (DMS)
sind möglich. Mittlerweile sind zahlreiche Gene beschrieben. In Anbetracht der
meist unspezifischen Klinik und Histologie ist in der Regel eine große Zahl unter-
Leitthema
schiedlicher Gene in Betracht zu ziehen.
Die Prognose der Nierentransplantation
ist in der Regel sehr gut mit fehlender Rekurrenz der Grunderkrankung im Transplantat.
Nephrotisches Syndrom/
fokal-segmentale
Glomerulosklerose (FSGS)
Das nephrotische Syndrom ist eine der
häufigsten klinischen Manifestationen
renaler Erkrankungen. Während steroidsensiblen Formen des nephrotischen Syndroms in erster Linie immunologische
Ursachen zugrunde liegen, finden sich
bei steroidresistenten Formen (SRNS)
auch ohne positive Familienanamnese
sehr häufig genetische Ursachen [14]. Die
genetische Diagnostik stellt somit einen
wesentlichen Bestandteil im Rahmen der
Abklärung dar und hat unmittelbare therapeutische Konsequenzen in Bezug auf
den Einsatz von Immunsuppressiva.
Klinisch können sich diese Defekte
isoliert renal oder aber auch komplexer
syndromal unter Beteiligung anderer Organe manifestieren. Je nach Lebensalter
kommen unterschiedliche Gene primär in
Betracht, grundsätzlich handelt es sich jedoch bei SRNS und FSGS um ausgesprochen heterogene Erkrankungsgruppen,
die allen bekannten Erbgängen folgen
können [8, 19]. Für das Verständnis der
Pathophysiologie richtungsweisend, handelt es sich beim glomerulären Filter und
der Schlitzmembran um ein dynamisches
Netzwerk sehr vieler beteiligter Proteine,
die unterschiedliche Signalwege regulieren und so Überleben und Funktion der
Podozyten steuern (. Abb. 5). Dieses eng
verflochtene Netzwerk erklärt auch, dass
Mutationen in unterschiedlichen Komponenten dieses Systems zu vergleichbaren
Phänotypen führen.
Alport-Syndrom
Das Alport-Syndrom ist durch progressive Nierenfunktionsstörung mit terminalem Nierenversagen, Innenohrschwerhörigkeit und ggf. Augenveränderungen
(Lentikonus/Katarakt) gekennzeichnet
[17]. Insgesamt wird die Häufigkeit des
Alport-Syndroms auf etwa 1: 5.000 geschätzt. 1–2% der Dialysepatienten haben
192 | Der Nephrologe 3 · 2015
ein Alport-Syndrom, möglicherweise ist
die Prävalenz aber höher, da Symptome
teils z. B. als unklare Glomerulonephritis
fehlgedeutet werden. Therapeutisch sollten beim Alport-Syndrom ACE-Hemmer
zum Einsatz kommen.
Verantwortlich sind Mutationen in Genen für Typ-IV-Kollagen, das für die Stabilität der Basalmembran essenziell ist. Bei
rund 80% der Patienten mit Alport-Syndrom erfolgt die Vererbung geschlechtsgebunden X-chromosomal und beruht
auf Mutationen im COL4A5-Gen. Autosomal-rezessive und autosomal-dominante Erbgänge mit Mutationen in den Genen
COL4A3 und COL4A4 treten ebenfalls auf
und sind wahrscheinlich häufiger als bislang angenommen. Mutationen in allen
3 Genen können auch zu einer Nephropathie vom Typ der dünnen Basalmembran führen, die häufig auch als benigne familiäre Hämaturie (FBH) bezeichnet wird. Der Begriff FBH ist irreführend,
da das klinische Spektrum von (nahezu)
symptomlosen Anlageträgern bis hin zu
Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz reicht. Bei der Mehrheit der Patienten liegt eine heterozygote Mutation
im COL4A3- oder COL4A4-Gen vor. Jedoch können auch Träger einer Mutation
im COL4A5-Gen eine (Mikro-)Hämaturie mit Zeichen dünner Basalmembranen
aufweisen. Die Übergänge zwischen den
einzelnen Entitäten sind fließend [7].
Morbus Fabry
Morbus Fabry ist eine X-chromosomal
vererbte lysosomale Speicherkrankheit,
die durch Mutationen im GLA-Gen und
einen Mangel des Enzyms α-Galaktosidase verursacht wird. Die Detektionsrate ist sehr hoch, und das Gen ist klein
und einfach zu untersuchen. Aufgrund
der ungenügenden Enzymaktivität sammeln sich Glykosphingolipide in Blutgefäßen und Organen an, die zu Schlaganfall, Herzinfarkt und Funktionsstörungen
vieler Organe führen können. Die Klinik
des M. Fabry ist entsprechend bunt und
häufig unspezifisch mit Schmerzen, Fieber, verminderter Schweißbildung, Müdigkeit sowie Wärme- und Kälteunverträglichkeit. Des Weiteren klagen Patienten häufiger über schmerzhaft-brennende Parästhesien der Akren, gastrointes-
tinale Beschwerden sowie kardiale, zerebrovaskuläre und renale Symptome mit
Proteinurie und späterer Nierenfunktionseinschränkung. Entgegen landläufiger Meinung können auch Frauen Krankheitssymptome zeigen. Aufgrund des geschlechtsgebundenen Erbgangs und zufälliger Inaktivierung eines der beiden XChromosomen reicht das Spektrum bei
Frauen von symptomlosen Anlageträgerinnen bis hin zu Patientinnen mit dem
Vollbild des M. Fabry mit Dialysepflichtigkeit etc. Nur selten zeigt sich selbst bei
männlichen Patienten (v. a. in frühen Erkrankungsstadien) das Vollbild der Erkrankung, sodass die meisten Patienten
zu spät diagnostiziert und behandelt werden. Angesichts der hohen Kosten wurde die seit einigen Jahren verfügbare Enzymersatztherapie lange sehr kritisch diskutiert, eine frühe Therapie scheint sich
aber sehr positiv auf die Symptome und
das Fortschreiten der Erkrankung auszuwirken [23].
Atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom (aHUS) und
verwandte Erkrankungen
Das hämolytisch-urämische Syndrom
(HUS) stellt die häufigste Ursache des
akuten Nierenversagens bei Kindern und
jungen Erwachsenen dar und ist durch die
Trias mikroangiopathische hämolytische
Anämie, Thrombozytopenie und akutes
Nierenversagen gekennzeichnet [22]. In
den meisten Fällen tritt die Erkrankung
postenteritisch, diarrhöassoziiert (D+,
häufig blutig) auf. Shiga(-“like“)-Toxin
(Stx)-produzierende enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) und andere
Bakterien spielen eine bedeutsame Rolle. In rund 10% aller Fälle ist die Erkrankung nicht primär bakteriell bedingt (D) und wird als aHUS bezeichnet. Ursächlich ist eine unkontrollierte Überaktivierung des alternativen Komplementsystems (. Abb. 6). Das Komplementsystem ist wesentlicher Bestandteil der körpereigenen Immunabwehr und wird in
einen klassischen, einen alternativen und
einen Lektinweg eingeteilt. Wesentliche
Aufgaben sind die direkte Zerstörung von
Zellen und Erregern, die Opsonisierung
von Fremdpartikeln als Vorbedingung zu
deren Phagozytose und die Aktivierung
von Abwehrzellen des Immunsystems.
Im Gegensatz zu den beiden anderen Wegen des Komplementsystems ist der alternative Weg (AP; . Abb. 6, linke Hälfte: „Zielzelle“) konstitutiv aktiv. Um körpereigene Zellen vor Komplementschädigung zu schützen, wird der AP durch verschiedene sowohl im Plasma zirkulierende als auch membranständige Komplementfaktoren („regulator of complement
activation“, RCA) reguliert (negative Regulation; . Abb. 6, rechte Hälfte: „Wirtszelle“). Die feinregulierte Komplexität des
Systems lässt erahnen, dass eine Aktivierung des AP und die Klinik eines aHUS
durch verschiedenste Veränderungen und
Mutationen im Bereich der Signalkaskade resultieren können. Hierzu zählen z. B.
aktivierende („gain of function“) Mutationen in C3 und CFB, zu einem Funktionsverlust führende („loss of function“) Mutationen in CFH, CFI, THBD und MCP,
sowie Autoantikörper gegen verschiedene
Proteine wie z. B. CFH und CFI.
»
Das hämolytisch-urämische Syndrom stellt die
häufigste Ursache des akuten
Nierenversagens bei Kindern
und jungen Erwachsenen dar
Primärer Manifestationsort des aHUS ist
die Niere, 20% aller Patienten zeigen zudem extrarenale Beteiligungen (z. B. ZNS
oder multiviszeral; [18]). Das aHUS hat im
Vergleich zur typischen Form eine deutlich schlechtere Prognose. Vor Einführung der erst seit Kurzem verfügbaren
Therapieoption mit Eculizumab (monoklonaler Anti-C5-Antikörper, Handelsname: Soliris®) starben 25% der Patienten,
50–70% wurden dauerhaft dialysepflichtig. Für den Kliniker ist eine Unterscheidung der beiden Formen häufig schwieriger, als anhand der vorgenannten Definitionen zu vermuten, und auch die weitere Labordiagnostik ist oftmals uneindeutig. In der Histologie lassen sich typisches
und atypisches HUS nicht unterscheiden,
beide sind durch eine thrombotische Mikroangiopathie (TMA) mit endothelialer
Hyperplasie und in der Folge Verengung
des Gefäßlumens gekennzeichnet.
Das aHUS und auch einige Fälle mit
typischem HUS sind primär durch Mu-
tationen im Bereich des Komplementsystems bedingt, die zu einer erhöhten Aktivität des alternativen Komplementsystems mit Bildung des Membranangriffskomplexes führen. Eine rasche Klärung
der Ätiologie ist für die Betreuung der Patienten bezüglich Prognose und Therapie
von großer Bedeutung. Die Art der genetischen Prädisposition bestimmt zudem
die Prognose nach initialer Phase sowie
nach Transplantation. Gemäß allgemeinen Richtlinien ist für alle Patienten mit
aHUS neben der Laborkomplementdiagnostik eine umfassende Analyse der bislang beschriebenen genetischen Defekte
erforderlich. Es besteht Konsens, dass zumindest die Gene CFH, CFI, MCP, THBD,
CFB und C3 auf das Vorliegen von Mutationen zu untersuchen sind. Die Mutationsdetektionsrate beträgt etwa 50%,
d. h. in etwa der Hälfte der Fälle lassen
sich bei korrekter Stratifizierung der Patienten signifikante Kosten für Therapien
einsparen [5].
Das Wissen um die Genetik ist außerdem wichtig im Rahmen einer angestrebten Lebendnierenspende durch einen
Angehörigen. Eine Lebendnierenspende
durch einen gesunden Mutationsträger
(„carrier“) ist strikt kontraindiziert. Wird
hierbei in Unkenntnis des genetischen Befunds transplantiert, hat dies sowohl für
den Spender als auch für den Empfänger oftmals dramatische Konsequenzen.
Dialysepflichtigkeit und Transplantatabstoßung (in Zeiten der Organknappheit)
verursachen zudem gewaltige Folgekosten. Insgesamt ist somit das Wissen um
die Genetik für eine verantwortungsvolle Stratifizierung der Patienten und ein
optimales Therapiemanagement unverzichtbar.
C3-Glomerulopathien
Zentrales diagnostisches Kriterium für
die Gruppe der C3-Glomerulopathien
(C3G) ist die alleinige oder dominante
(mindestens 2-fach stärker als andere Immunglobuline) Ablagerung von Komplement C3; andernfallls ist meist von einer
immunkomplexvermittelten Glomerulonephritis auszugehen. Die beiden spezifischen Krankheitsbilder der C3G stellen
die MPGN Typ II/“dense deposit disease“
(DDD) und die C3-Glomerulonephritis
dar. Als familiäre Form der C3G ist zudem die CFHR5-Nephropathie beschrieben. Im Gegensatz zum aHUS, bei dem
die Komplementaktivierung in erster Linie auf der Oberfläche der Zellmembran
stattfindet, geschieht dies bei der C3G primär in der Flüssigphase.
Mutationen in verschiedenen Genen
der Komplementkaskade lassen sich in etwa 20–25% der Fälle nachweisen und betreffen am häufigsten CFH, C3, CFI und
MCP. Neben typischen Punktmutationen
und spezifischen Risikohaplotypen spielen auch genomische Umbauten und Deletionen, v. a. im Bereich des RCA-Genclusters auf dem langen Arm von Chromosom 1, eine Rolle. In dieser Region
befinden sich neben dem Gen für Faktor H auch die sequenztechnisch nahezu homologen Gene CFHR 1–5, wodurch
es zu unterschiedlichen Fusionsproteinen
kommen kann.
Bei 50–80% der C3G-Patienten gelingt
der Nachweis von Autoantikörpern, am
häufigsten C3-Nephritisfaktor (C3NeF),
ein die C3 Konvertase stabilisierender
IgG-Antikörper, seltener auch Antikörper gegen die C3-Konvertase, Faktor H
und Faktor B. Fälle mit einem Mix aus
Mutationen und Autoantikörpern sind
ebenfalls beschrieben.
Initial tritt meist eine Proteinurie, oftmals als nephrotisches Syndrom, auf.
Die C3G führt regelhaft zu einer progredienten Nierenfunktionsverschlechterung und mündet in der Hälfte der Fälle innerhalb von 5 bis 10 Jahren in einer
terminalen Niereninsuffizienz. Zur Differenzierung einer genetischen Ursache
von einem Autoimmunprozess ist, nicht
zuletzt in Hinblick auf therapeutische Ansätze, eine umfassende genetische Analytik (z. B. mittels NGS-Panel) Bestandteil
der Diagnostik bei C3G [25].
Warum ist es wichtig, die
zugrunde liegende genetische
Diagnose zu kennen?
Grundsätzlich erscheint es stets von Vorteil, sowohl die Krankheit als auch das
Spektrum möglicher Komplikationen
zu kennen, um Verlauf und Risiko auch
extrarenaler Organmanifestationen, die
möglicherweise von einer rechtzeitigen
Detektion und Therapie profitieren, besDer Nephrologe 3 · 2015 | 193
Leitthema
ser einschätzen zu können. Auch mag
die Kenntnis der Genetik in einigen Fällen dazu beitragen, invasive Eingriffe wie
Nieren- oder Leberbiopsie zu vermeiden
bzw. zu reduzieren.
Eine genaue Beurteilung des genetischen (Wiederholungs-) Risikos ist nur
bei Kenntnis des Genotyps möglich. So
kann das Wiederholungsrisiko in betroffenen Familien je nach zugrunde liegender Mutation von 0–50% oder selten auch
mehr reichen. Gleiches gilt für das Risiko
bei Kindern von Patienten. Während dominant erbliche Erkrankungen mit einem
in der Regel 50%igen Wiederholungsrisiko einhergehen, resultiert eine zugrunde
liegende rezessive Vererbung in einem fast
immer praktisch nicht existenten (<1%)
Risiko für die eigenen Kinder. Insbesondere für männliche Patienten ist auch die
Unterscheidung zwischen autosomaler
und X-chromosomaler Vererbung relevant, da ein Vater mit X-chromosomaler
Erkrankung nie eigene, ebenfalls betroffene Söhne und somit in der Regel schwer
betroffene Kinder haben kann.
Die exakte Diagnose genetischer Nierenerkrankungen ist jedoch nicht nur
zur besseren Einschätzung der Prognose und zur genetischen Beratung bedeutsam, sondern auch im Rahmen von Nierentransplantationen. Während Patienten
ohne nachweisbare genetische Ursache
der FSGS und anderer Podozytopathien
und Glomerulopathien eine hohe Rekurrenzrate im Transplantat haben, zeigen
Patienten mit einer Mutation meist keine
Rekurrenz mit guter Prognose.
Fazit für die Praxis
FEine genaue genetische Beratung mit
Erläuterung des zu erwartenden klinischen Verlaufs, des Erkrankungsspektrums und des Wiederholungsrisikos
ist nur möglich, wenn der zugrunde
liegende Genotyp bekannt ist.
FDie neue Methodik des Next Generation Sequencing (NGS) bietet meist
deutliche Vorteile in Bezug auf Kosten, Effizienz und Aussagekraft der
Diagnostik.
FDie NGS-Analytik für heterogene Erkrankungen wird zunehmend auch in
der Routine die klassische Stufendia-
194 | Der Nephrologe 3 · 2015
gnostik („Gen-für-Gen“-Analyse) mittels Sanger-Sequenzierung ablösen.
FGenetische Diagnostik führt meist zu
einer klareren Einschätzung der Erkrankung und einer verbesserten klinischen Betreuung (mit u. a. frühzeitiger Detektion und Monitoring zu beeinflussender, sowohl renaler als auch
extrarenaler Manifestationen).
FDas Wissen um die zugrunde liegende
Mutation hat teils direkte Konsequenzen auf das therapeutische Vorgehen
(z. B. beim nephrotischen Syndrom
und bei aHUS) und ist im Rahmen von
Transplantationen für die Prognose
und das Rekurrenzrisiko bedeutsam.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. C. Bergmann
Bioscientia – Zentrum für
Humangenetik
Konrad-Adenauer-Str. 17,
55218 Ingelheim
carsten.bergmann@
bioscientia.de;
carsten.bergmann@
uniklinik-freiburg.de
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. C. Bergmann gibt an, dass kein
Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet
keine Studien an Menschen oder Tieren.
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