Exkurs: Reizkontrolle und Verhaltenstherapie **neu** [vgl. Mazur, 2004] Techniken der Reizkontrolle werden oft in der Verhaltenstherapie eingesetzt. Beispiele: - Bei Lernschwierigkeiten kann ein besonderer Ort (z.B. Bibliothek) als starker Hinweisreiz für Lernen trainiert werden. - Bei Schlafstörungen kann das eigene Bett als starker Hinweisreiz für Schlaf trainiert werden: Meist zeigen Menschen Reizkontrolle: Sie können gut im eigenen Bett einschlafen (haben aber evtl. Schwierigkeiten in fremden Betten, im Zug etc. einzuschlafen). Bootzin (1972): Ein Mann lag jede Nacht mehrere Stunden wach und sorgte sich um Alltagsprobleme, bevor er endlich bei laufendem Fernseher einschlief. Maßnahme: Der Mann sollte, wenn er im Bett nicht nach wenigen Minuten einschlafen konnte, das Zimmer verlassen und erst wieder ins Bett gehen, wenn er wieder müde war. Ergebnis: Nach ein paar Wochen schlief er meist in wenigen Minuten ein. Erklärung: Weil das Bett nur zum Schlafen benutzt wurde, nahmen seine Assoziationen mit anderen Verhaltensweisen (Fernsehen, Grübeln etc.) ab 1 und seine Assoziation mit Schlafen zu. **neu** Exkurs: Generalisierung und Verhaltenstherapie Die Therapiesituation und die Therapeutin dürfen nicht zu diskriminativen Hinweisreizen für erlerntes Verhalten werden. Bsp.: Ein autistisches Kind, mit dem während einer Therapie kommunikative Fähigkeiten trainiert wurden, muss in der Lage sein, diese auch in anderen Situationen und bei anderen Menschen einzusetzen. => Techniken, die eine Generalisierung erleichtern sind z.B.: - die Therapiesituation der natürlichen Umgebung des Klienten anpassen (gleiche Verstärker, intermittierende Verstärkung etc.). - das neue Verhalten in vielen verschiedenen Situationen und anhand verschiedener Beispiele anwenden (um z.B. die Angst vor Aufzügen zu löschen, sollte mit vielen verschiedenen Aufzügen gefahren werden). 2 1 **neu** Auch die Überschattung lässt sich mit dem konfiguralen Ansatz erklären: Gruppe Akquisitionsreiz Testreiz Generalisation von der Akquisition zum Test EG aB a vermindert KG a a nicht vermindert Reizkomplex aB, wobei a der schwache und B der intensive Reiz ist. Der konfigurale Ansatz kann aber nicht alle Effekte erklären, die bei der Konditionierung mit Reizkomplexen beobachtet wurden (z.B. Auswirkungen der Art der Verstärkung und der Art der Reaktion). => Vermutlich reagieren Organismen auf Elemente und Konfigurationen (z.B. Wagner & Brandon, 2001: Durch die Kombination von Elementen geht ein Teil ihrer individuellen Merkmale verloren; gleichzeitig entstehen neue, einzigartige Merkmale der Reizkonfiguration.). [Zur Frage elementarer oder konfiguraler Reizverarbeitung finden derzeit in Marburg viele Untersuchungen (Semester-, Diplom-, Doktorarbeiten) statt (vgl. auch Lachnit & Lober, 2001; Lachnit, Reinhard & Kimmel, 2000; 3 Lachnit & Kinder, 2000).] S+ (Red) R→O S– (Green) R → no O **neu** Die in der Abbildung dargestellte Prozedur ist die Standardprozedur für Reizdiskriminationslernen beim IK. [Beim KK: CS+ (CS-US) und CS– (CS-nonUS) => vgl. Kap. 3, differentielle Konditionierung] Differentielles Reagieren kann sich auch in einem multiplen Verstärkungsplan entwickeln; wenn also die beiden Reize verschiedene Verstärkungspläne signalisieren (z.B. rot: VR-5; grün: FI-1-min). => Reizdiskriminationstraining ist ein Spezialfall multipler Verstärkungspläne, wobei beim zweiten „Verstärkungsplan“ keine Verstärkung erfolgt. In unserem Alltag geraten wir ständig von einer Situation in die andere, und in jeder Situation gelten andere Verstärkungspläne (Situationen = verschiedene diskriminative Hinweisreize). Bsp.: - nackt in der Marburger Innenstadt oder am Badesee; - Art zu Sprechen auf einer Party oder auf einer Beerdigung. 4 2 **neu** Exkurs: Nächtliches Aufwachen bei Kleinkindern Kind wacht nachts auf und schreit. Eltern kommen in das Zimmer, trösten das Kind, nehmen es in den Arm oder mit in das elterliche Bett, wo es wieder einschläft. Dies passiert über mehrere Nächte. Die Folge: Das Kind wacht nachts immer häufiger auf und schreit. S+ = nachts allein im Bett ! Schreien (O: Eltern kommen); S+ = in elterlichem Arm oder Bett ! Einschlafen (O: Nähe der Eltern). So verlernt das Kind, im eigenen Bett wieder einzuschlafen. Statt dessen lernt es, nur noch in der Nähe der Eltern einzuschlafen. France & Hudson (1990): Nachts nur dann nach dem Kind schauen, wenn dies absolut notwendig ist. Dabei nur wenig Licht einschalten und möglichst leise sein. => Verstärkung für Schreien wird minimiert. Außerdem: Das Kind im eigenen Bett wieder einschlafen lassen. => Eigenes Bett wird zum diskriminativen Hinweisreiz für Schlafen. 5 Derartige Vorhersagen hängen von der exakten Form der angenommenen **neu** beiden Gradienten ab. Experimente in den 60er und 70er Jahren unterstützen die Analyse von Spence. Das Modell von Spence geht davon aus, dass wir einzelne Reize absolut wahrnehmen, also nicht in Relation zu anderen Reizen. Es gibt aber auch Evidenz dafür, dass wir auf Relationen zwischen Reizen reagieren (z.B. Köhler, 1939: Transpositionseffekt). Exkurs: Transpositionseffekt (Köhler, 1939) Phase 1: Simultanes Diskriminationslernen (Futter bei Annäherung an S+) Auswahl zwischen (S+) und (S–) Phase 2: Test Auswahl zwischen und Ergebnis: Transposition Die Küken scheinen in Phase 1 eine relationale Regel („Wähle das hellere Grau.“) gelernt zu haben und übertragen diese auf Phase 2. => Vermutlich spielen beide Mechanismen (Absolut- und Relativurteil) beim Diskriminationslernen eine Rolle. 6 3 8.3.5 **neu** Reizäquivalenz-Training Diskriminationslernen führt zu einem starken Anstieg der Reizkontrolle, es schränkt Generalisierung ein (macht die Generalisationsgradienten steiler). Gibt es auch Lernprozeduren, die den gegenteiligen Effekt haben? Beim Diskriminationslernen führen zwei Reize zu unterschiedlichen Konsequenzen. Wenn zwei oder mehr Reize wiederholt zu immer der gleichen Konsequenz führen, dann resultiert Generalisation oder Reizäquivalenz. Exkurs: Reizäquivalenz und Sprache [vgl. Mazur, 2004] Geschriebene und gesprochene Worte, die sich auf das gleiche Objekt beziehen (man kann sagen: „... die gleiche Konsequenz haben“), sind austauschbar. => Sie bilden ein Äquivalenz-Set: Das gesprochene Wort „sieben“, das geschriebene Wort „sieben“, die arabische Ziffer „7“, die römische Ziffer „VII“ etc. Kindern mit Leseschwierigkeiten kann ein Reizäquivalenz-Training helfen. Bsp.: Kinder mussten Wörter abschreiben und gehörten Wörtern zuordnen. Nach dieser Übung konnten die Kinder die Wörter vorlesen. Sie konnten auch andere Wörter lesen, die die gleichen Silben in anderen Kombinationen 7 enthielten. => Geschriebene und gesprochene Silben sind austauschbar. 4