Originalarbeit M. Weigell-Weber, A. Schinzel, M. Hergersberg Institut für Medizinische Genetik, Universität Zürich Schweiz Med Wochenschr 2000;130:1072–7 Peer reviewed article Angeborene Innenohrschwerhörigkeit durch Mutationen im Connexin-26-Gen Summary Hearing loss is a frequent disease with an estimated incidence of 1:1000 in children. Hereditary hearing loss is characterised by enormous genetic heterogeneity, which makes diagnosis difficult. Approximately 50% of the Caucasian patients with autosomal recessive inherited hearing loss carry mutations in the connexin26 gene on chromosome 13. Standard screening procedures such as SSCP (single strand conformation polymorphism) analysis, DHPLC (denaturing high performance liquid chromatography) and subsequent sequencing are used to investigate this gene. A genetic test is thus available which can be offered to probands in genetic counselling. We investigated 11 patients with hearing loss and found sequence aberrations in 7 patients, which is causative for the hearing loss in at least 5 patients. The first application of DHPLC in Switzerland is also documented. Keywords: hearing loss; connexin-26 gene; mutation analysis; autosomal recessive inheritance Schwerhörigkeit ist mit einer Inzidenz von 1:1000 eine häufige Erkrankung bei Kindern. Die genetisch bedingten Fälle zeichnen sich durch eine ausgeprägte Heterogenität aus, welche die Diagnostik erheblich erschwert. Bei autosomal rezessiv vererbter Schwerhörigkeit tragen etwa 50% der Patienten europäischer Abstammung Mutationen im Connexin-26Gen auf Chromosom 13. Mit Standard-Screening-Methoden wie SSCP («single strand conformation polymorphism»-Analyse), der erst kürzlich beschriebenen DHPLC (denaturing high performance liquid chromatography) und allfälliger Sequenzierung lässt sich dieses Gen relativ einfach untersuchen. Damit steht ein mehrphasiger genetischer Test zur Verfügung, der Ratsuchenden im Rahmen einer genetischen Beratung angeboten werden kann. Wir haben ein Kollektiv von 11 Patienten und Patientinnen untersucht und fanden bei 7 Sequenzveränderungen im Connexin-26-Gen, die in mindestens 5 Fällen die Schwerhörigkeit verursachen. Ausserdem wird die erstmalige Anwendung von DHPLC in der Schweiz dokumentiert. Keywords: Schwerhörigkeit; Connexin-26Gen; Mutationsanalyse; autosomal-rezessive Vererbung Hereditary hearing loss due to mutations in the connexin-26 gene Zusammenfassung Korrespondenz: M. Hergersberg Institut für Medizinische Genetik Universität Zürich Rämistrasse 74 CH-8001 Zürich e-mail: [email protected] 1072 Schweiz Med Wochenschr 2000;130: Nr 29/30 Originalarbeit Einleitung Schwerhörigkeit ist eine häufige Erkrankung, die etwa gleich häufig genetische und exogene Ursachen hat. In mindestens 30% bleibt die Ursache ungeklärt [1]. Klinisch lassen sich prälinguale und postlinguale Schwerhörigkeit unterscheiden. Die Inzidenz der prälingualen Schwerhörigkeit beträgt annähernd 1:1000. 75–80% der vererbten Fälle sind autosomal rezessiv, 20–25% autosomal dominant und 1–5% X-chromosomal vererbt [2, 3]. Im Gegensatz dazu ist die postlinguale Schwerhörigkeit in den beschriebenen Familien fast immer autosomal dominant vererbt. Diese Patienten entwickeln eine normale Sprache, und ein partielles Hörvermögen bleibt häufig über Jahrzehnte erhalten [4]. Die autosomal rezessive Innenohrschwerhörigkeit (ARNSHL) ist häufig von schwerer Ausprägung. Fast alle Formen beruhen auf cochlearen Defekten und sind damit sensorineural [4]. In verschiedenen Populationen europäischer Abstammung tragen 50% der ARNSHL-Patienten Mutationen im Connexin-26-Gen auf Chromosom 13 [5–12]. Dieses Gen besteht aus einem Exon, das für 208 Aminosäuren codiert. Die häufigste Mutation ist eine 1bp-Deletion in einer Sequenz von 6 Guaninbasen, die als 35delG oder 30delG bezeichnet wird [5, 6]. Insgesamt wurden 44 verschiedene Mutationen in diesem Gen bei Patienten mit Schwerhörigkeit beschrieben, 9 davon bei mehreren Patienten. Ausserdem wurden bei Kontrollpersonen 6 Polymorphismen beobachtet (Connexin-26-Homepage: http://www. iro.es/cx26deaf.html). Wir haben ein Kollektiv von 11 Patienten mit Innenohrschwerhörigkeit (non syndromic hearing loss = NSHL) auf Mutationen im Connexin-26-Gen untersucht. Eine Methode zum Nachweis der häufigsten Mutation 35delG wird vorgestellt. Darüber hinaus beschreiben wir eine relativ neue Mutations-ScreeningMethode, «denaturing high performance liquid chromatography» (DHPLC), die in der Schweiz erstmals angewandt wurde. Physikalisch beruht die DHPLC auf dem seit langem angewandten Prinzip des veränderten Laufverhaltens eines DNA-Heteroduplexes: Ein Heteroduplex besteht aus zwei komplementären DNA-Einzelsträngen, die an einer Position wegen einer Mutation in einem der beiden Stränge eine einzelsträngige Region bilden, welche das elektrophoretische oder chromatographische Laufverhalten des Heteroduplexes im Vergleich zu dem der Homoduplexe verändert. Bei der DHPLC werden die DNA-Fragmente mittels HPLC analysiert, was zu einer Beschleunigung sowie einer erhöhten Sensitivität der Analyse führt [13, 16]. Patienten und Methoden Patienten 11 Patienten mit Innenohrschwerhörigkeit wurden uns zur genetischen Beratung oder zur molekulargenetischen Untersuchung zugewiesen. Es handelt sich um ein nicht selektioniertes Patientengut. Die Schwerhörigkeit ist in 8 Fällen prinzipiell mit einem autosomal rezessiven Erbgang vereinbar, da es sich um 6 sporadische Erkrankungen und 2 Geschwister handelt. Bei einer Patientin ist die klinische Symptomatik atypisch, da die Schwerhörigkeit bei ihr einseitig vorliegt. In den Familien der verbliebenen 3 Patienten tritt die Schwerhörigkeit in mehreren Generationen auf. In einer Familie sind Vater und Sohn betroffen. Methoden Die DNA-Isolierung aus venösem EDTA-Blut erfolgte nach Standardmethoden. PCR (Polymerase Ketten Reaktion): Das einzige Exon des Connexin-26-Gens wurde mit den von Scott [8] beschriebenen Primern unter Standardbedingungen amplifiziert. SSCP (single strand conformation polymorphism) Analyse: Für das Mutationsscreening wurden die PCR-Produkte in Formamidlösung 5 Minuten bei 94 °C denaturiert, auf Eis gekühlt und bei 15 W 80 Minuten auf einem nicht denaturierenden Gel (GeneGel Excel 12.5/24 Kit, Amersham-Pharmacia Biotech) auf einem GenphorElektrophorese-Apparat (Amersham-Pharmacia Biotech) getrennt. Die Banden wurden mittels Silberfärbung sichtbar gemacht. DHPLC: Heteroduplexbildung wurde erreicht, indem die PCR-Produkte 5 Minuten bei 95 °C denaturiert wurden und anschliessend bei Raumtemperatur 30 Minuten abkühlten. Die Analyse erfolgte halbautomatisch auf einem WAVE (Transgenomics, Omaha, Nebraska, USA) entsprechend den Herstellerprotokollen. Kritischer Parameter für diese Screening-Methode ist die Schmelztemperatur, die mittels eines Computerprogramms (Wavemaker) berechnet werden kann. Die Analyse der Connexin-26-PCR-Produkte wurde bei 62 °C, 63 °C oder 64 °C durchgeführt. Sequenzieren: Die PCR-Produkte wurden mit dem QIAquick PCR purification kit (Quiagen) gereinigt und danach mit dem Ampli Cycle Sequencing Kit entsprechend den Herstellerprotokollen sequenziert (PE Biosystems). Die Sequencierungsprimer waren mit dem fluoreszierenden Farbstoff CY5 (Microsynth) markiert. Die Sequenzprodukte wurden 3 Minuten bei 94 °C denaturiert, auf Eis gekühlt und auf einem ALFexpress-Sequenzierautomaten analysiert (Amersham-Pharmacia Biotech). Nachweis der 35delG-Mutation mittels PCR: Die die Mutation enthaltende Sequenz wurde mit folgenden Primern amplifiziert [8]. CX26 1 (F) 5’-TCT TTT CCA GAG CAA ACC GC-3’ 1073 Originalarbeit CX26 35delG (R) 5’-AAA TGA AGA GGA CGG TGA GC-3’. Die Länge des resultierenden PCR-Produktes (123 bp) erlaubt die Identifikation von 1bp-Unterschieden mittels Polyacrylamid-Gelelektrophorese. PCR-Bedingungen: 100 ng genomische DNA, 10 mM Tris HCl, 50 mM KCl, 0,01% Gelatine, 1,5 mM MgCl2, 200 mM von jedem dNTP, 10 pMol von beiden Primern und 1 Einheit Taq-Polymerase (Amersham-Pharmacia Biotech) in einem gesamten Volumen von Schweiz Med Wochenschr 2000;130: Nr 29/30 25 µl werden bei 98 °C für 3 Minuten denaturiert, gefolgt von 35 Zyklen aus 30 Sekunden Denaturierung bei 94 °C, 30 Sekunden Annealing bei 52 °C, 1 Minute Synthese bei 72 °C und einer 5minütigen Elongation bei 72 °C. Die PCR-Produkte werden 2 Stunden auf einem denaturierenden 6prozentigen Polyacrylamidgel elektrophoretisch getrennt und anschliessend mittels Silberfärbung sichtbar gemacht. Resultate Mit den oben beschriebenen Methoden wurde die DNA von 11 Probanden mit NSHL aus 9 Familien untersucht. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren die Patienten zwischen 2 und 49 Jahre alt. Bei 7 Patienten aus 5 Familien waren mittels DHPLC aberrante Muster nachzuweisen (Abb. 1a). Diese liessen sich ebenfalls mit SSCP aufzeigen (Abb. 1b). Um zuverlässige Resultate zu erhalten, werden positive und negative Kontrollen eingesetzt. 4 der untersuchten Personen, darunter 2 Geschwister und 2 sporadische Fälle, waren homozygot für die 35delG-Mutation (Abb. 2a). Diese Mutation liess sich auch relativ einfach mit der oben beschriebenen Methode nachweisen (Abb. 1c). Eine weitere Patientin wies 2 bereits beschriebene Mutationen 31del38 und L90P (Abb. 2b) auf sowie einen PolymorphisAbbildung 1 Nachweis der 31del38-Mutation mittels DHPLC (A). Nachweis der 31del38-Mutation mittels SSCP. k = Kontrolle. Oben: Einzelstränge, stark aberrantes Bandenmuster bei der Mutation. Unten: Doppelstränge, bei den Kontrollen ist jeweils 1 Bande sichtbar, durch die Mutation entsteht eine zusätzliche Bande (um 38bp verkürztes Allel) (B). Screening für die 35delGMutation im Connexin26-Gen. w = Wildtyp-Allel (1bp länger als die Mutation), m = mutiertes Allel (C). Abbildung 2 Nachweis der homozygoten 35delG-Mutation. Da der Nicht-Sinn-Strang amplifiziert wurde, sind 5 «C» statt «G» zu sehen. Anfang und Ende der Sequenz, der ein Basenpaar fehlt, sind durch Pfeile markiert (A). Nachweis der L90P-Mutation im heterozygoten Zustand. Betroffenes Codon unterstrichen. Y = CT. Normale Sequenz: CTA. Mutierte Sequenz: CCA (B). Nachweis der M34T-Mutation im heterozygoten Zustand. Betroffenes Codon unterstrichen. Y = CT. Normale Sequenz: ATG. Mutierte Sequenz: ACG (C). 1074 mus S86T, den wir auch bei einer Kontrolle im homozygoten Zustand fanden. In einer zweiten Familie waren Vater und Sohn schwerhörig, wobei der Vater an einer angeborenen Innenohrschwerhörigkeit litt, während beim Sohn erst im Alter von 13 Jahren eine progrediente Schwerhörigkeit diagnostiziert wurde. In dieser Familie wiesen der Grossvater, der schwerhörige Vater und ein gesunder Sohn eine ebenfalls bereits beschriebene Mutation im Connexin-26-Gen M34T auf (Abb. 2c). Diese Mutation fanden wir nicht beim schwerhörigen Sohn. Es fällt auf, dass die Mutation in dieser Familie nicht mit der Schwerhörigkeit segregiert. Bei 3 weiteren sporadischen Fällen sowie einem familiären Fall gab es keinen Hinweis auf Mutationen im Connexin-26-Gen. Schweiz Med Wochenschr 2000;130: Nr 29/30 Originalarbeit In unserem kleinen, nicht repräsentativen Patientengut mit Innenohrschwerhörigkeit (n = 11) liegt damit die Häufigkeit von Sequenzaberrationen (n = 7) im Connexin-26-Gen bei 63,6%, wobei dies nichts über die Kausalität besagt. Wenn man sich auf Patienten mit vermutlich autosomal rezessiver Innenohrschwerhörigkeit (sporadische Fälle, Geschwisterfälle) beschränkt (n = 8), beträgt die Häufigkeit 62,5%, wobei hier die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutationen ursächlich sind, sehr hoch ist. Schliesst man auch die Patientin mit der untypischen einseitigen Schwerhörigkeit aus, erhöht sich die Häufigkeit von Mutationen im Connexin-26-Gen auf 71%. Wenn die Häufigkeit von Connexin-26-Genmutationen in Familien mit schwerhörigen Angehörigen berechnet wird, so liegen in 4 von 9 Familien (44,4%) Mutationen in diesem Gen vor, die eindeutig mit der Entstehung von Schwerhörigkeit in Verbindung stehen. Obwohl die bisher untersuchte Stichprobe zu klein für verallgemeinernde Aussagen über die Häufigkeit ist, zeigt die Tendenz klar in dieselbe Richtung wie für die bisher untersuchten kaukasischen Populationen aus Tunesien, Frankreich, Neuseeland, Grossbritannien, Italien, Spanien und Amerika sowie einzelnen Patienten aus Pakistan, Indien, der Dominikanischen Republik / Puerto Rico und Israel [5–12]. Die bekannte Mutation 35delG im Connexin26-Gen wurde erwartungsgemäss am häufigsten gefunden. Die Schwerhörigkeit bei zwei einzelnen Patienten und zwei Geschwistern ist durch homozygote 35delG-Mutationen bedingt. 2 weitere bereits beschriebene Mutationen 31del38 und L90P erklären die Symptomatik bei einer fünften Patientin. Der bei dieser Patientin identifizierte Polymorphismus S86T wurde noch nicht beschrieben. Es wäre jedoch durch Untersuchung einer Kontrollpopulation zu klären, wie häufig er in einer Normalpopulation ist. Die Mutation M34T fanden wir in einer Familie beim gesunden Grossvater, beim schwerhörigen Vater und bei dessen gesundem Sohn. Diese Mutation fanden wir nicht bei der gesunden Grossmutter und beim schwerhörigen Enkel. Die M34T-Mutation wurde anfänglich verdächtigt, für eine autosomal dominante Form der Schwerhörigkeit verantwortlich zu sein [5]. Inzwischen wurde sie jedoch auch bei Kontrollen und in Familien mit ARNSHL gefunden [9, 14]. Auch in unserer Familie fällt auf, dass die Mutation nicht mit der Erkrankung segregiert. Es gibt zwei Erklärungsmöglichkeiten für diesen Befund. Erstens, die Mutation M34T hat mit der Schwerhörigkeit in dieser Familie nichts zu tun und ist nur ein zufällig vorhandener Polymorphismus, die Schwerhörigkeit ist dominant vererbt und durch Neumutation in einem anderen Gen beim Vater entstanden. Die zweite Erklärungsmöglichkeit ist, dass die Schwerhörigkeit beim Vater autosomal rezessiv vererbt ist und durch Mutationen im Connexin-26-Gen verursacht wurde. Hierfür spricht auch die Blutverwandtschaft seiner Eltern. Wir fanden zwar keine zweite Mutation, diese kann sich jedoch im nicht codierenden Teil des Gens verstecken. Die heterozygote Weitergabe einer Mutation führt beim autosomal rezessiven Erbgang nicht zur Erkrankung in der nachfolgenden Generation. Beim Enkel müsste man eine andere Ursache der Schwerhörigkeit postulieren. Ein Indiz hierfür ist die sehr unterschiedliche klinische Symptomatik bei Vater und Sohn. Von 6 sporadischen Fällen mit Innenohrschwerhörigkeit konnten damit 3 als autosomal rezessive Schwerhörigkeit identifiziert werden, ebenso wie 2 Geschwisterfälle. Die Fälle, in denen mehrere Generationen betroffen waren, was eher für einen autosomal dominanten Erbgang spricht, konnten nicht abschliessend geklärt werden. Insbesondere in der Familie mit der M34T-Mutation ist deren Bedeutung offen. Auch in der Literatur wird die Bedeutung dieser Mutation kontrovers diskutiert [5, 14]. Es steht nun ein mehrphasiger genetischer Test zur Diagnostik der Schwerhörigkeit zur Verfügung, der Ratsuchenden angeboten werden kann. Mittels dieses Tests kann günstigenfalls die Ursache der Schwerhörigkeit geklärt und das Risiko für weitere Nachkommen spezifiziert werden. Besonders erfolgversprechend ist der Test, wenn es sich um sporadische und Geschwisterfälle handelt, die mit autosomal rezessiver Innenohrschwerhörigkeit gut vereinbar sind. Mit zunehmender Kenntnis genetisch (mit)-bedingter Erkrankungen werden effiziente Mutationsdetektionsmethoden immer wichtiger, da zur Zeit eine Kluft besteht zwischen den zahlreichen bekannten Krankheitsgenen einerseits und den molekulargenetischen Untersuchungen andererseits, die den betroffenen Familien in angemessener Zeit zu vertretbaren Kosten angeboten werden können [15]. Die vorliegende Studie stellt auch einen Vergleich zwi- Diskussion 1075 Originalarbeit schen der weitverbreiteten SSCP-Analyse und der in der Schweiz erstmals angewendeten DHPLC-Analyse dar. Alle Mutationen, die wir mittels SSCP entdeckt haben, konnten wir auch mit DHPLC nachweisen. Der Vorteil dieser Methode ist gegenüber der SSCP-Analyse, dass auch grössere PCR-Fragmente bis zu etwa 800–1000 bp untersucht werden können, was zu einer Vereinfachung und Verbilligung des Screeningtests führt. Dies spielt insbesondere bei grösseren Genen eine Rolle, die in Zukunft in die molekulargenetische Diagnostik der Schwerhörigkeit integriert werden könnten. Die Sensitivität der SSCP ist am grössten bei Fragmenten bis zu 200 bp Länge. Bei Fragmenten zunehmender Grösse sinkt die Sensitivität kontinuierlich [15]. So konnten wir die L90P-Mutation zwar mit DHPLC nachweisen, jedoch nicht mit SSCP. Das dazugehörige PCRFragment hat eine Länge von 279 bp. Allerdings gibt es auch für die DHPLC kritische Parameter, wie die richtig gewählte Temperatur der HPLC-Säule, die die Sensitivität der Methode beeinflussen. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren liegt die Sensitivität der DHPLC etwa bei 95% [13, 16]. Im Gen des McLeod-Syndroms konnten wir mit DHPLC eine Basenaustausch-Mutation in einem Fragment von 1217 bp Länge identifizieren (Jung et al., eingereicht). Es ist möglich, dass in einem PCR-Fragment verschiedene Schmelzdomänen vorliegen, die Untersuchungen bei mehreren Temperaturen erforderlich machen. Bei sehr grossen Fragmenten und explorativer Strategie kann es sinnvoll sein, das gesamte Temperaturspektrum von 50–68 °C in 2-°CSchritten abzudecken. Darüber hinaus stehen Programme zur Verfügung, die für eine gegebene Sequenz die am besten geeignete Säulentemperatur berechnen [16]. Sofern sich die Elutionsprofile der Probe und der Kontrolle voneinander deutlich unterscheiden, fanden wir immer eine Mutation oder einen Polymorphismus. In Fällen, in denen die Unterschiede nicht sehr ausgeprägt sind, kann es sinnvoll sein, das Experiment zu wiederholen. Anzumerken ist auch, dass mit DHPLC nur Sequenzveränderungen im heterozygoten Zustand nachzuweisen sind. So müssen bei rezessiven Erkrankungen die Proben mit einer Kontrolle gemischt werden, damit homozygote Sequenzveränderungen nicht übersehen werden. Durch diese Mischung mit einer Kontrolle kann jedoch auch ein Polymorphismus in der Kontrolle ein aberrantes Muster verursachen. Dieses Problem kann man durch Mischen mit verschiedenen Proben oder Sequenzieren klären. Die Nutzung des WAVE-Apparats macht allerdings 1076 Schweiz Med Wochenschr 2000;130: Nr 29/30 wegen der etwas schwerfälligen Software und der teilweise anspruchsvollen Wartung einen Teil der Zeitersparnis wieder zunichte. Die für das Connexin-26-Gen beschriebenen Erläuterungen treffen auch für alle anderen amplifizierbaren Gene oder Genfragmente zu (zum Teil beschrieben auf: http://www.leeds.ac.uk/ medicine/res_school/mol_vas_med/wave/index.html). In unserem Labor wird die Methode mit Erfolg angewendet auf die Mutationssuche bei cystischer Fibrose, Neurofibromatose 2, Rett-Syndrom (MeCP2-Gen), auf mehrere Gene in den Regionen für Wiedemann-Beckwith-Syndrom und Angelman-Syndrom sowie auf verschiedene Kandidatengene bei unterschiedlichen vererbten Erkrankungen. Als Mass für die höchste erreichbare Sensitivität bei der Mutationsdetektion wird häufig die direkte Sequenzierung nach PCR-Amplifikation angenommen, die durch die Entwicklung neuer Sequenzierungsautomaten schneller und billiger wird. Zur Zeit würde die Analyse eines Krankheitsgens mittels direkter DNA-Sequenzierung etwa viermal so teuer sein wie die vorgängige Analyse mittels DHPLC mit anschliessender Sequenzierung der auffälligen DNAFragmente (Gabor Matyas, persönliche Mitteilung). Die häufigste Mutation 35delG konnte auch mit unserem einfachen Test nachgewiesen werden. Es lassen sich alle drei Konstellationen unterscheiden (homozygot normal, heterozygot, homozygot deletiert). Die Anwendung dieses Tests sollte sich jedoch auf Fälle beschränken, in denen die Mutation in der Familie bereits durch Sequenzierung nachgewiesen wurde. Bisher ist nur ein geringer Teil der postulierten Schwerhörigkeitsgene bekannt. Durch Familienanalysen konnten 30 Gene für autosomal dominant vererbte NSHL, 28 Gene für autosomal rezessiv vererbte NSHL, sowie 6 Gene für X-chromosomal vererbte NSHL im menschlichen Genom lokalisiert werden (http://dnalab-www.uia.ac.be/dnalab/hhh/ hhhgenes.html). Die Untersuchung einer grossen Zahl weiterer Familien ist die Voraussetzung zur Identifizierung dieser und weiterer Schwerhörigkeitsgene. Danksagung: Wir danken den Familien für ihre Teilnahme an dieser Untersuchung sowie Frau Dr. Balakrishnan (IMG), Frau Hagmann (IMG), Herrn Dr. Kotzot (IMG), Herrn Dr. Matyas (Kinderspital ZH), Herrn Dr. Röthlisberger (IMG), Herrn Dr. Spillmann (ORL-USZ) und Frau Dr. Weymann (IMG) für ihre Hilfe bei dieser Arbeit. Wir danken ferner der JuliusKlaus-Stiftung und der Hartmann-Müller-Stiftung für die Unterstützung unserer Arbeit. Schweiz Med Wochenschr 2000;130: Nr 29/30 Originalarbeit Literatur 1 Fischel-Ghodsian N, Falk RE. Deafness. In: Rimoin DL, Connor JM, Pyeritz RE, eds. Emery and Rimoin’s Principles and Practice of Medical Genetics. 3rd ed. New York: Churchill Livingstone; 1996. p. 1149–70 2 van Camp G, Willems PJ, Smith RJH. Nonsyndromic hearing impairment: unparalleled heterogeneity. 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