(Konversionsstörungen): Ätiologie/Bedingungsanalyse

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Somatoforme und dissoziative Störungen (Konversionsstörungen): Ätiologie/Bedingungsanalyse
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Rief, W. (1998). Somatoforme und dissoziative Störungen
(Konversionsstörungen): Ätiologie/Bedingungsanalyse. In Baumann,
U. & Perrez, M. (Hrsg.). Klinische Psychologie – Psychotherapie (2.
Aufl.) (S. 924-930). Bern: Verlag Hans Huber.
Kapitel 38.2
Somatoforme und dissoziative Störungen
(Konversionsstörungen):
Ätiologie/Bedingungsanalyse
Zusammengefasst von:
Claudia Heldner
Rue d’Or 24
1700 Fribourg
026 321 29 35
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Somatoforme und dissoziative Störungen (Konversionsstörungen): Ätiologie/Bedingungsanalyse
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Einleitend kann gesagt werden, dass es keine uniformen Prozesse gibt, die zu einer
somatoformen Störung führen.
1. Genetische Aspekte (S. 931)
Auch bei den somatoformen Störungen ist von einer genetischen Disposition auszugehen, die
jedoch schwächer ausgeprägt ist, als bei anderen psychischen Störungen (Schizophrenie). Die
Zwillingsstudie von Torgersen (1986) konnte zeigen, dass eineiige Zwillinge zu 29 Prozent
bezüglich der Diagnose somatoforme Störung konkordant waren, während zweieiige
Zwillinge eine Rate von 10 Prozent ereichten (Aber: Kleine Stichprobe, so dass Aussagekraft
beschränkt ist!). Dabei zeigte keines der untersuchten Zwillingspaare identische Untergruppen
von somatoformen Störungen. In einer Untersuchung von 800 adoptierten schwedischen
Frauen, zeigten sich ebenfalls genetische Risikofaktoren: Bei den biologischen Vätern fand
sich eine erhöhte Rate an Personen mit Alkoholproblemen sowie soziopathischen
Verhaltensweisen. Es können auch Verbindungen bestehen zu frühen Gewalterfahrungen. Die
genetische Komponente ist als nicht spezifisch für Somatisierungsverhalten, sie schliesst viel
mehr antisoziales Verhalten und Alkoholprobleme mit ein.
2. Biologische Aspekte zur Ätiologie somatoformer Störungen (S. 932)
2.1 Biochemische Aspekte (S. 932)
Zentralnervöse, endokrine und immunologische Prozesse beeinflussen die Wahrnehmung
körperlicher Empfindungen. So wurde für Cortisol Besonderheiten bei
Somatisierungssyndromen gefunden. Es liegen Studien vor, die beim chronischen
Erschöpfungssyndrom und bei Frauen mit chronischen Unterbauchschmerzen einen
erniedrigten Cortisolspiegel fanden. Weiter zeigte eine Studie, dass Patienten mit
chronifizierten multiplen körperlichen Beschwerden einen erhöhten Morgencortisolspiegel
aufweisen. Auch Depressive weisen einen erhöhten Morgencortisolspiegel auf.
2.2 Neurophysiologische Aspekte (S. 932)
Bei der Verteilung der Symptome scheint die linke Körperhälfte bevorzugt zu sein. Damit
kann ein Zusammenhang zur Hemisphärenspezialisierung angenommen werden. Bei der
Bearbeitung visuo-spatialer Aufgaben (rechts-hemisphärisch aktiv) zieht sich eine deutlichere
rechtshemisphärische Aktivierung bei Somatisierungspatienten las bei Kontrollpersonen.
Weiter fand man eine ausgeprägtere N1-Amplitude im evozierten Potenzial als bei Gesunden,
was als Störung in der Reizfilterung bzw. Aufmerksamkeitsfokussierung interpretiert werden
kann. Somatisierungspatienten zeigen weiter vor allem zentral und parietal eine geringere
“mismatch negativity“, was wiederum auf Schwierigkeiten der Aufmerksamkeit gewertet
werden kann.
2.3 Psychophysiologische Aspekte (S. 933)
Es gibt Anhaltspunkte für ein erhöhtes psychophysiologisches Aktivierungsniveau. Dieses
kann dazu beitragen, dass körperliche Signale verzerrt wahrgenommen und leichter
fehlinterpretiert werden. Auch mit Einzelsymptomen gehen spezifische physiologische
Veränderungen einher. So führen beispielsweise chronische Hyperventilation zu
physiologischen Veränderungen, die Einzelsymptome verstärken.
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3. Umweltkonzepte (S. 933)
3.1 Sozialisation (S. 933)
Scheinbar wurde bei Somatisierungspatienten in der Kindheit Kranksein zu einem
bedeutenden Familienthema (Elternteil schwer krank). Livingston et al. (1995) konnten zeige,
dass Kinder von Somatisierungspatienten deutlich erhöhte Fehlzeiten in der Schule und
Arztbesuche aufzeigen: Erfahrungen oder Modelle spielen als eine wichtige Rolle. Aus
diesem Grund wurde der Begriff “chronisches Krankheitsverhalten“ geprägt (gehäuftes
Aufsuchen von ärztlichen Diagnosen, Selbstmedikation,...). Solche Verhaltensweisen können
vom Umfeld verstärkt werden.
3.2 Sozialpsychologische Konzepte (S. 933)
Folgende Einstellungen sind für typisch für Somatisierungspatienten:
Tabelle 1: Einstellungen von Somatisierungspatienten (S. 934)
1. Katastrophisierende Bewertung körperlicher
Empfindungen:
2. Intoleranz gegenüber körperlichen
Beschwerden:
3. Körperliche Schwäche:
Hinter Übelkeit steckt häufig ein nicht-erkanntes
Magengeschwür.
Plötzlich auftretende Gelenkschmerzen können eine Lähmung
ankünden.
Fühle ich mich körperliche schlapp, hat dies oft etwas
schlimmeres zu bedeuten.
Ich kann Schmerzen nur scher aushalten.
Bei körperlichen Beschwerden hohle ich möglichst sofort
ärztlichen rat ein.
Größere Anstrengungen muss ich vermeiden, um meine
Kräfte zu schonen.
Wenn ich schwitze wird mir klar, dass mein Organismus
einfach nicht belastbar ist.
Somit neigen Somatisierungspatienten dazu, bereits Bagatellempfindungen als
Krankheitszeichen zu bewerten. Dies geht oft einher mit einer geringen Toleranz für
körperliche Belastung. Dabei dominieren Selbstbilder wie „ich bin schwach und wenig
belastbar“ oder „ich muss meinen Körper schonen“.
3.3 Belastung/Stress (S. 934)
Es gibt eine Serie von Belegen, dass traumatisierende Lebensereignisse die Entwicklung von
Somatisierungssymptomen fördern (Kriege ziehen “Konversionsphänomene“ nach sich).
Auch Opfer von Gewalttaten und sexuellen Übergriffen weisen eine erhöhte
Somatisierungsrate auf. Die Rate an traumatischen Ereignissen ist bei
Somatisierungspatienten höher als bei anderen klinischen Gruppen. Der Einfluss von
sexuellen Übergriffen scheint besonders bei dissoziativen Störungen (Konversionsstörungen)
ausgeprägt.
3.4 Soziologische Aspekte (S. 934)
Bei den Frauen treten Somatisierungsstörungen häufiger auf. Das kann zum Teil dadurch
erklärt werden, dass sie häufiger von den Risikofaktoren betroffen sind. Ungeklärt ist,
inwieweit genetische und biologische Variablen von Bedeutung sind. Das typische Alter bei
Erstauftreten der Symptome liegt von 15 bis 25 Jahren. Nach DSM-IV werden
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Somatisierungsstörungen nicht mehr diagnostiziert, wenn die Symptome erst nach 30
auftreten. Weiter gibt es Hinweise darauf, dass Personen aus unteren Schichten und
städtischen Gegenden häufiger somatoforme Symptome entwickeln. Dabei muss
berücksichtigt werden, dass diese Risikofaktoren mit andern Risikobedingungen (Alkohol)
konfundiert sind.
4. Persönlichkeitskonzepte (S. 935)
Als wichtigstes Merkmal beschreiben Barsky und Wyshak (1990) die “somatosensory
amplification“. Dabei handelt es sich um ein stabiles Körpermerkmal, körperliche Symptome
verstärkt zu beachten und Aufmerksamkeit zu fokussieren was dazu führt, dass körperliche
Missempfindungen als krankhaft fehlinterpretiert werden. Weiter soll die “Alexithymie“
bedeutend sein. Es zeichnet sich aus durch die Unfähigkeit, Emotionen korrekt
wahrzunehmen und verbal auszudrücken, einen konkreter realitätsorientierter Denkstil,
reduzierte Fähigkeit zu Tagträumereinen und Phantasiearmut. Diese Konzept konnte als
Risikofaktor bislang nicht ausreichend belegt werden. So sind erhöhte Alexithymie-Werte
nicht spezifisch für Somatisierung oder psychosomatische Krankheiten. Es kann sich um
einen allgemeinen Risikofaktor für psychische Krankheiten oder um eine Folge von anderen
Risikofaktoren handeln. Auch das Persönlichkeitsmodell “the big five“ wird in Betracht
gezogen. Als mögliche direkte Risikofaktoren werden dabei repressive
Persönlichkeitsmerkmale, einen somatisch orientierten Attributionsstil und Alexithymie
genannt. Negative Affektivität kann zu höheren Belastungen sowohl somatischer als auch
emotionaler Art führen.
5. Die “somatisierte Depression“ und andere psychische Störungen als
Risikofaktoren für die Entwicklung von Somatisierungssyndromen (S. 936)
Es gibt eine hohe Komorbidität zwischen Somatisierungssyndromen und Depression. Deshalb
wurde immer wieder vermutet, dass es sich bei der Somatisierung um das körperliche
Äquivalent von Depressionen handelt, deren affektive Komponente im Hintergrund steht
(somatisierte Depression). Sowohl Somatisierung und Depression können aber unabhängig
voneinander auftreten. Auch muss die erhöhte Komorbidität zwischen Somatisierung und
Angststörungen berücksichtigt werden. Somatisierung, Angst und Depression fungieren damit
als gegenseitige Risikofaktoren.
6. Interozeption und externale Stimulierung (S. 937)
Zwei Faktoren beeinflussen die Wahrnehmung und Bewertung körperlicher
Missempfindungen: Erstens die Signalstärke des interozeptiven Reizes (Stärke des
Herzklopfens, Ausmaß der muskulären Verspannung) und zweites das Ausmaß der externen
Stimulation (monotone Umgebung, stimulierende Umgebung). Diese Aspekte sind aber bei
Somatisierung noch unzureichend wissenschaftlich überprüft.
7. Verhaltensmerkmale bei somatoformen Störungen (S. 937)
Verhaltensmerkmale sind vor allem bei der Aufrechterhaltung der Störung von Bedeutung.
Die zwei Merkmale Schonverhalten/Vermeidungsverhalten und Kontrollverhaltensweisen
spielen dabei eine große Rolle. Schonverhalten führt dazu, dass der körperliche
Trainingszustand sich weiter reduziert, was zu stärker wahrnehmbaren körperlichen
Veränderungen führt. Durch Schonverhalten werden aber auch vermehrt reizarme
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Umgebungsbedingungen aufgesucht. Viele Somatisierungspatienten wollen ihren Körper
ständig kontrollieren. Der Körper wird ständig “gescannt“, was kurzfristig zu einer
Angstreduktion herbeiführt, langfristig aber eine Bewältigung der Ängste verhindert.
8. Zusammenwirken möglicher Risikofaktoren bei somatoformen
Störungen (S. 938)
Verschiedene Risikofaktoren tragen zur Entstehung und Aufrechterhaltung somatoformer
Störungen bei. Zentral ist dabei ein Regelkreis von perzeptiven Prozessen (Wahrnehmung
körperlicher Missempfindungen), kognitiven Bewertungsprozessen („Dies sind Zeichen einer
möglichen Krankheit.“) und Verhaltensweisen (Rückzug aus sozialen Verpflichtungen, Ärzte
aufsuchen). Die Verhaltensweisen führen wiederum dazu, dass die Aufmerksamkeit auf
körperliche Prozesse fokussiert wird. Biologische Aspekte, psychische Dispositionen und
Umweltfaktoren können den Regelkreis beeinflussen.
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