Somatoforme Störungen

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Übersicht
I. Einleitung
I.
Einleitung:
Was macht aus somatisierenden „schwierige“ Patienten?
II. Diagnostik: Leitlinien
III. Epidemiologie
IV. Aetiologische Konzepte
V. Therapeutische Ansätze / Leitlinien
Der ganz alltägliche ‚Wahnsinn‘ in der Hausarztpraxis?
Der englische Begriff MUPS gibt den Hinweis:
Medicaly Unexplained Physical Symptoms.
Somatoforme Störungen dürfte es aus (bio-)medizinischer
Sicht gar nicht geben!
© R. Pomeranz
IHM Institut für Humanwissenschaftliche Medizin Zürich
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Der Einfluss des Gesundheitssystems
2
II. Diagnostik somatoformer Störungen
‚Wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung
mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen
Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse.‘
Einseitig organmedizinisches Krankheitsverständnis
fokussiert auf die Symptomebene:
F45.0 Somatisierungsstörung
F45.1 undifferenzierte Somatisierungsstörung
F45.2 hypochondrische Störung
F45.3 somatoforme autonome Funktionsstörung
F45.4 anhaltende somatoforme Schmerzstörung
F45.8 andere somatoforme Störungen.
„WZW“
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Fünf Beschreibungsdimensionen
Grenzen der ICD-Diagnostik
(nach P. Henningsen et al., 2002)
• Vernachlässigung neurobiologischer Einflussfaktoren
• keine eindeutige Qualifizierung von „medizinisch unerklärt“
• fehlende konzeptuelle Klarheit angesichts der Heterogenität der
Störungsgruppe
• keine Beachtung des Krankheitsverhaltens
• schwierige Abgrenzung der einzelnen somatoformen Störungen
• geringe Nützlichkeit der Diagnose in der Grundversorgung
• schwierige Übersetzbarkeit der „funktionellen Körpersyndrome
der klinischen Medizin“ in die psychiatrische Störungsgruppe der
„somatoformen Störungen“.
• Beschwerdezahl: oligo- oder polysymptomatisch /Dauer
• Ursachenüberzeugung
• Emotionaler Distress: Angst und Depressivität
• Krankheitsverhalten: Inanspruchnahme, Rentenbegehren
• Physiologische Normabweichungen
(Zusammenfassung in: Kapfhammer HP, 2007, Nervenarzt, 79:99–117)
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Komorbidität und Differentialdiagnose
Hohe Komorbidität mit anderen psychischen Störungen:
•
depressive Störungen
•
Angststörungen
•
Persönlichkeitsstörungen.
Differentialdiagnose:
•
Organisch erklärbaren Krankheiten
•
Zwangsstörungen
•
Sexuellen Funktionsstörungen
•
Wahnhaften Störungen und Psychosen
•
Simulation und Aggravation
•
Dissoziative / Konversionsstörungen (F 44)
•
Neurasthenie (F 48.0)
III. Epidemiologie
Punktprävalenz somatoformer Störungen:
ca. 12% in der US-Allgemeinbevölkerung
(Simon GE, Korff M v (1991). Am J Psychiatry 148: 1494–1500)
Epidemiologic Catchment Area-Studie (NIMH):
ca. 20–40% somatoforme Störungen in Allgemeinarztpraxen.
Aber:
Scharfer Kontrast zu Häufigkeit in psychotherapeutischen
Fachpraxen:
Nur 6% von 800 PsychotherapiepatientInnen haben die
Hauptdiagnose somatoforme Störung.
(CE Scheidt et al. 1998, Basisdaten zur Qualitätssicherung, Psychotherapeut 43: 92–101
zit. nach CE Scheidt et al. (2002), Psychotherapeut 2002, 47:110–123)
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Inanspruchnahme des Gesundheitssystems
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Inanspruchnahme
A. Hessel, (2005) Z Psychosom Med Psychother 51, 38–56
Untersuchung 2002 zur 2-jahresprävalenz an 2089 Personen
Häufigkeit somatoformer Störungen in der Bevölkerung:
8,3% (n= 174) geben somatoforme Beschwerden an.
Besonders häufig Schmerzen: Rücken (74 %), Kopf (67 %), Gelenke
(64 %), Arme oder Beine (53 %) Magen und Bauch (46%).
Jede Untersuchungsperson der Teilstichprobe gibt durchschnittlich
7,5 verschiedene Beschwerden an.
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Kosten
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Arbeitsunfähigkeit
Spitalkosten bei Patienten mit Somatisierungsstörungen:
Das 6-fache der durchschnittlichen Fallkosten.
Im ambulanten Bereich:
Das 14-fache der durchschnittlichen Fallkosten.
(Smith et al. 1986, Arch Int Med 146, 69-72)
„high utilizers“ (mit >10 Spitalaufenthalte in 8 Jahren):
Bei 19% wird keine organische Ursache für die
Inanspruchnahme gefunden.
(Fink 1992, J Psychsom Res 36, 439-447)
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IV. Ätiologische Konzepte
Einfluss der Bildung
(Kapfhammer, 2007, Nervenarzt, 99-117)
Somatisierungspatienten mit höherer Bildung:
•
•
•
•
konsultieren hoch signifikant häufiger Ärzte
sind hoch signifikant länger arbeitsunfähig
sie erhalten hoch signifikant häufiger apparative Diagnostik
gehen hoch signifikant häufiger zur Physiotherapie.
(A. Hessel, 2005, Z Psychosom Med Psychother 51, 38–56)
• Psychosozialer Stress: Life Events, chronische Belastung
• Persönlichkeitszüge: Negative Affektivität, Alexithymie etc.
• Entwicklungseinflüsse:
- Familiärer Somatisierungsstil
- Traumatische Kindheitserfahrungen
(Krankheit, sexuelle, emotionale und körperliche
Traumatisierungen)
• Trauma-Dissoziation-Somatisierungskomplex bei high utilizers
• Soziokulturelle Determinanten
• Soziale Verstärkersysteme
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Sozialer Einfluss auf Schmerzempfindungen
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Einfluss von Vernachlässigung in der Kindheit
(T. K. J. Craig et al., The South London Somatisation Study, Br J Psych (1993), 163, 579 - 588)
(N. Birbaumer, R.F. Schmidt, Psychobiologie, 2003)
Einfluss von Beziehungserfahrungen auf die Schmerzschwelle
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Iatrogene Einflüsse
Psychodynamische Theorien
Eine Gesprächsanalyse
• Ärztinnen und Ärzte repräsentieren (nicht nur) bei
somatisierenden PatientInnen verinnerlichte
Elternrepräsentanzen.
• So wie die gescheiterte Suche des Kindes nach spezifischer
Unterstützung durch die Eltern / frühe Bezugspersonen
scheiterte, wiederholt sich das Drama in der ärztlichen
Versorgung.
• „Der Patient hat dringend Hilfe nötig, der Arzt versucht
sein Bestes, und doch scheitert das beiderseitige ehrliche
Bemühen.“ (M. Balint, 1957)
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(A. Ring et al. (2005) The somatising effect of clinical consultation, Social Science & Medicine 61, 1505–1515,
Liverpool)
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V. Therapie: Was bewirkt Zuspruch?
Was bewirkt der Verzicht auf Zuspruch?
Was erinnern Somatisierende von beruhigendem Zuspruch?
Intervention von ÄrztInnen der Med. Pol.
ohne psychosomatische Vorbildung:
‘Sie haben Beschwerden,
die zwar gegenwärtig nicht zu erklären sind, aber
gerade deshalb weiter beobachtet werden sollten.‘
Ergebnisse:
Somatisierende schätzen Gesundheitsrisiken trotz ärztlichem
Zuspruch dreimal höher als die Kontrollpersonen ein!
W. Rief et al, 2006
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(Buddeberg et al. (2001), Behandlungsverläufe bei Patienten mit somatoformen Störungen,
Zeitschr Med Psychol, 87-93)
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Ein konsiliarischer Brief an die
Grundversorger:
Fazit der Studie:
‚Ein niederfrequentes, nicht symptomkontingentes
Behandlungsangebot scheint geeignet, mittelfristig den
Beschwerdeverlauf günstig zu beeinflussen.‘
(Buddeberg et al., p 91)
1. Frage:
Warum scheitern die Empfehlungen der Studie in der Praxis?
2. Frage: Wie könnten GrundversorgerInnen von Erfolgszwang
befreit werden? - Ein Experiment als Hinweis!
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Resultate
•
•
•
•
•
Ihr Pat. entspricht den Kriterien einer Somatisierungsstörung
Das Risiko hinsichtlich Morbidität / Mortalität ist gering
Es bestehen beim Pat. unbewusste Einflüsse auf den Verlauf
Wir empfehlen regelmässige Konsultationen alle 4-6 Wochen
Wir empfehlen jeweils kurze Körperuntersuchungen v.a. der
betreffenden Körperregion
• Vermeiden Sie wenn möglich ungeplante Konsultationen
• Vermeiden Sie wenn möglich nicht indizierte Massnahmen
• Verweisen Sie nicht auf psychische Ursachen gegenüber den Pat.
(K. Rost (1994) Effectiveness of Psychiatric Intervention with Somatization Disorder Patients,
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Gen Hosp Psych 16, 381-387)
Zum Stellenwert der Selbstreflexion I
Rating alle 4 Monate mittels
RAND-Health Status Measures
for Health Insurance Experiment
Durchschnittliche Kostenersparnis pro Patient: US$ 289 / Jahr
G. Mattanza et al.
Hrsg.(2006),
Seele und Forschung
(GR Smith et al., (1995) Arch Gen Psych, 52, 238-243)
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Selbstreflexion II
‚Leitlinien‘
H. Löffler-Stastka (2009),
Psychotherapie Forum 17: 21–28
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Und statt noch mehr Theorie:
•
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•
Entlastung der Beziehung zum Patienten
Die ärztliche Haltung („Klage entgegennehmen")
Vermeiden nicht streng indizierter Prozeduren
kritische Bewertung von somatischen Zufallsbefunden
Erfragen von Ursachenüberzeugungen
zeitkontingente statt beschwerdekontingente Termine
Angebot eines interaktiven Erklärungsmodells
Erweiterung der organischen Kausalattribution
Interventionen zu psychosozialen Aspekten am Rande
Motivierung zur Überweisung in Fachpsychotherapie
Pharmakotherapie bei spezifischer Indikation.
(Nach P. Henningsen, 2001)
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Drei Thesen zur Diskussion
Biomedizin ist das herrschende Paradigma.
„Beziehungsmedizin“ ist eine Herausforderung der Biomedizin.
Dieses Spannungsfeld verlangt fortgesetzte (Selbst-)Reflexion.
Sie ist die Voraussetzung jeder fruchtbaren Beziehungsgestaltung:
• Raum geben - warten!
• Spiegeln!
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Somatoforme Störungen belasten ÄrztInnen auf drei Ebenen:
1. Inadäquaten Forderungen der PatientInnen
2. Inadäquaten Forderungen nach symptomkontingenter
Behandlung durch das Gesundheitssystem (‚Zweckmässigkeit‘)
3. Dem eigenen ärztlichen Rollenverständnis:
Was im somatischen Bereich zweckmässig ist, wird beim
Umgang mit Somatisierung (möglicherweise) schädlich.
Tugenden der Somatik werden so zu Lastern der Psychosomatik!
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