Was ist Schmerz? Definition: Schmerz ist ein unangenehmes Sinnesund Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung umschrieben wird. (IASP, Int. Ass. Study of Pain, 1986) Nosologische Subgruppen bei chronischem Schmerz bio- nozizeptiv bzw. neuropathisch inadäquate Bewältigung nozizeptiv/neuropathisch psychische Komorbidität sozial funktionelle Störung psychische Störung Egle, 1999 psycho- Schmerz und Rollenidentifikation Wer sich mit der Heldenrolle identifiziert, erträgt mehr Schmerz, als wer sich machtlos fühlt! Einfluss von Partnern auf das Schmerzerleben N. Birbaumer, R.F. Schmidt, 2003 Angstauslöser?! von Känel, Praxis 2002; 91: 541 54 Ökonomische Anreize und Schmerzbewältigung Vergleich der Behandlungsdauer bei Unfallopfern nach Abschaffung der Haftpflicht für Schleudertrauma-Unfälle in Saskatchewan (Kanada) am 1.1.1995: Vorher (1.7.1994 -31.12.1994): 433 Tage Nachher (1.1.1995 - 30.6.1995 rsp. 31.12.1995): 194 rsp. 203 Tage (J. D. Cassidy et al., 2000) Nosologische Subgruppen bei chronischem Schmerz bio- nozizeptiv bzw. neuropathisch inadäquate Bewältigung nozizeptiv/neuropathisch psychische Komorbidität sozial funktionelle Störung psychische Störung Egle, 1999 psycho- Somatoformer Schmerz entsteht im Gehirn Schmerzaffekt: anteriorer Gyrus cinguli Schmerzlokalisation: somatosensorischer Cortex Anteriorer Gyrus cinguli Somatosensorischer Cortex Chronische Schmerzen und Schmerzgedächtnis Bei chronischen Rückenschmerzen kommt es zu einer Umstrukturierung des somatosensorischen Kortex durch Vergrößerung und Verschiebung des Rückenareals in Richtung Beinareal: Verankerung im Schmerzgedächtnis. Flor et al., 1997 Durch Konditionierung erlernter Schmerz oder durch Traumatisierungen erfahrener Schmerz wird im Schmerzgedächtnis verankert. Das Schmerzgedächtnis produziert aus der Erinnerung psychosomatische Schmerzen, die oft früher erlittenen Schmerzen ähneln. Wie lassen sich Schmerzen beeinflussen? Geleitete Imagination, Autosuggestion, Hypnose oder gesprochene Worte beeinflussen den Schmerz und die neuronale Aktivität im anterioren Gyrus cinguli. (Rainville et.al. 1999) Wie lassen sich Schmerzen beeinflussen? Suggestiv verabreichte Placebos hemmen akuten Schmerz durch elektrischen Schock oder Hitzereiz und reduzieren die Hirndurchblutung bzw. die neuronale Aktivität im Cingulum und etwas verzögert im Insel Cortex. (fMRI Untersuchungen Wager et al. 2004) Wie lassen sich Schmerzen beeinflussen? Durch positive Erwartungen und Hoffnungen Hitzeschmerz durch Laserpulse auf der Haut aktivieren den anterioren Gyrus cinguli. Wenn man einen schwachen Schmerzreiz erwartet, tut es weniger weh, der anteriore Gyrus cinguli ist weniger aktiviert und umgekehrt. Es wird damit deutlich wie positive Erwartungen und Hoffnung die Leiden einer chronischen, schmerzhaften Erkrankung mindern können. (Koyama et al. 2005) Ablenkung reduziert Schmerzen und die Aktivität im anterioren Gyrus cinguli Die (schmerzhafte) Beklemmung ist mir geblieben (...). Aber über den Einfluss auf meine Handlungen bin ich Meister geworden, durch Ablenkung der Aufmerksamkeit von diesem Gefühle als ob es mich nichts anginge (Kant 1797) Der Patient kann durch Einsatz von Ablenkungsstrategien die Beobachtung machen, dass sich die Beschwerden bessern, und er entwickelt dadurch die Möglichkeiten, seine Befindlichkeit selbst positiv zu beeinflussen . (Brunnhuber 2005) Mit Biofeedback Schmerzmatrix beeinflussen Funktionale Echtzeit-Kernspintomographie (rtfMRI) bei der Patienten ihre eigenen Gehirnaktivitäten beobachten können während sie ihre Schmerzen wegdenken . Studie zeigt, dass Patienten trainieren können, bestimmte Regionen ihres Gehirns, Z.B. die Schmerzmatrix im Gyrus cinguli durch Biofeedback zu regulieren, um damit ihre Schmerzen unter Kontrolle zu bringen. (Sean Mackey in de Charms et al. 2005) Self directed mental force durch selbst initiierte Aufmerksamkeitslenkung Achtsamkeit (Mindfulness) Erwartung Effekt/Wirkung Body Mind/brain J.M. Schwartz (Effektoren) Wirkungsweise? Man stellt sich vor, dass geführte Aufmerksamkeitslenkung auf den Körper wie bei den gängigen Entspannungsverfahren und die Vorstellung oder Erwartung, dass Schmerzen abnehmen Effektoren aktivieren (endogene Opioide, vegetatives Nervensystem, vaskuläre Systeme etc.), welche die erhoffte Wirkung herbeiführen. Die Schmerzhemmung und muskuläre und mentale Entspannung wiederum wirken auf Psyche und Gehirn zurück und stabilisieren die Befindlichkeit. Fazit: Schmerztherapie und Neurobiologie Wenn psychosomatischer Schmerz quasi erlernt und im Gedächtnis gespeichert ist, sollte versucht werden durch eine geeignete Behandlung ins Schmerzgedächtnis heilsame, positive Erfahrungen durch Ablenkungsstrategien, Biofeedback Entspannungsverfahren und Stressbewältigung einzubringen. Umlernen durch neue heilsame Erfahrungen in der, Behandlung, womit sich die veränderten neuronalen Netzwerke der Schmerzpfade im ZNS auch wieder normalisieren können . (J. Sandkühler) Nosologische Subgruppen bei chronischem Schmerz bio- nozizeptiv bzw. neuropathisch inadäquate Bewältigung nozizeptiv/neuropathisch psychische Komorbidität sozial funktionelle Störung psychische Störung Egle, 1999 psycho- Körper und Emotion in der frühen Beziehung Körperliche und emotionale Verfassung Aktivierung Stimulierung Befriedigung Psychophysischer Ausnahmezustand, Première Tröstung Beruhigung Erklärung Handelnde Antwort des feinfühligen Objekts erfahren Das wichtige Objekt erreichen Körper und Emotion in der frühen Beziehung Körperliche und emotionale Verfassung Abweisung Entwertung Strafe Psychophysischer Ausnahmezustand, Première Unverständnis Nichtbeachtung Unerreichbar Handelnde Antwort des uneinfühlsamen Objekts erfahren Das wichtige Objekt erreichen Hinter der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung findet sich regelmässig: Eine auffällige Persönlichkeitsstruktur Eine Bindungsstörung und Beziehungsprobleme Ein depressiver Grundkonflikt mit regressiven Tendenzen und Antriebslosigkeit Häufig sind auch traumatischen Ereignisse in der Anamnese anzutreffen Intrapsychische Situation Interpersonelles Angebot Erlebte Objektresonanz Bedürftigkeit Appell an die Objekte Fehlende Resonanz Verbot des Appells Schmerz, Enttäuschung Klagevermeidung Fehlende Resonanz Klageverbot Überkompensierte Bemühtheit Forciertes Angebot Fehlende Resonanz Anspannung, Erschöpfung Selbstüberforderung Symptomklage Unverständnis Chronifizierung, Sucht Selbstmedikation Verstärkung der Klage Aggravation Ablehnung Entwertung Cingulate gyrus Anterior nucleus of thalamus Thalamus Para-olfactory area Fornix Mamillary bodies of hypothalamus Hypothalamus Hippocampus Uncus Amygdala Para-hippocampal gyrus Hinter der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung findet sich regelmässig: Eine auffällige Persönlichkeitsstruktur Eine Bindungsstörung und Beziehungsprobleme Ein depressiver Grundkonflikt mit regressiven Tendenzen und Antriebslosigkeit In der Regel sind in der Anamnese auch Ereignisse anzutreffen, die zum Trauma geworden sind Folgen gestörter Entwicklungen Ich behandle mich so, wie ich früher von meinen Eltern behandelt worden bin (Introjektion). Gesunder Idealfall: Mischung aus Selbstakzeptanz, Selbstliebe, Selbstschutz und Selbstförderung. Ich bin so eingestellt, wie wenn die Eltern in mir gegenwärtig wären (Internalisierung). Folge: Ich habe die erlernten Beziehungserwartungen . Ich begegne und verhalte mich anderen Menschen gegenüber, wie ich es gelernt habe (Identifikation). Gesunder Idealfall: Wohldosierte Mischung von Bestätigung, aktive Liebe , Schutz und Anleitung. Folgen gestörter Entwicklungen Körperliche und emotionale Abläufe können nicht verstanden und emotional differenziert werden. Was ist körperliche Missempfindung? Was ist primär affektive Spannung? können nicht durch adäquates Handeln bewältigt und beruhigt werden. Resultat: Hilflosigkeit! können nicht durch Unterstützung gebessert werden. Resultat: Inadäquates Hilfesucheverhalten! verursachen inadäquates Denken: Somatische Krankheitsüberzeugungen, Katastrophendenken mit Angst, Selbstaufmerksamkeit, Rückzug! Modell Störung der Körperrepräsentanz Die anhaltende somatoforme Schmerzstörung ist ein neuropsychologisches Phänomen Die dysfunktionale Körperwahrnehmungen und die Fehlverarbeitung von physiologischen Inputs ist das primäre und zentrale Phänomen Die Mischung von dysfunktionalen Körperwahrnehmungen, Kognition und Kommunikation/Interaktion wird affektähnlich getriggert , unkontrolliert verarbeitet und löst belastende Reaktionen aus Typische Auslösesituationen Verluste Entmächtigungen Narzisstische Kränkungen Kritische Lebensereignisse Unfälle und Krankheiten Kampf um Anerkennung Dysfunktionale Arzt-Patient Beziehung Patient bringt dem Arzt seinen angestbesetzten kranken Körper zur Reparatur ; Arzt soll heilen Patient hat wenig Interesse für seine Lebenssituation; fordert teure medizinische Aktivitäten Patient ist über vergebliche Behandlungsversuche enttäuscht und verunsichert, hat Angst, dass er für verrückt gehalten wird, weil sein Körper nichts hat, und ihm niemand helfen kann. Der Patient erlebt Enttäuschung, Beschämung, Ängste, Resignation,Selbstvorwürfe, defensive Aggression Der Arzt erlebt typische Gegenübertragungsgefühle Typische Gegenübertragungsgefühle Nichtwissen, Unsicherheit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Zweifel, Gefühl des Scheiterns Idealisierung und Entwertung, Machtkampf Gefühl des Manipuliertwerdens Fehlen von Dankbarkeit Langeweile, Ungeduld, Gefühl des genervt Abschaltens, Wut, Ärger, Frustration, Erschöpfung, Ablehnung des Patienten Wunsch sich zu entziehen unden Patienten Haltung der Behandelnden Ich will: Den Patienten in seinem Kranksein begleiten und unterstützen Dem Patienten helfen, seine Symptome so zu bewältigen, dass sie ihre herausragende und lebensbestimmende einzigartige Bedeutung verlieren. Dem Patienten den Blick öffnen für andere Lebensthemen, Lebensziele, Schwierigkeiten, Befürchtungen, Hoffnungen etc. Caring ersetzt Curing! Anerkennung des Schmerzes bei gleichzeitiger Anerkennung der eigenen Grenzen! Carol Gilligan, 1982 Du bist ja so tapfer! statt Reiss dich zusammen! Umgang mit Gegenübertragungsreaktionen Eigene Grenzen erkennen und akzeptieren Gesprächsdauer begrenzen (ca. 30 ) In einer Randstunde abmachen ( Setting ) Begrenzung der Anzahl Schmerzpatienten Supervision, Intenvision, Teilnahme an Balintgruppe Was weckt mein Interesse am Patienten, was macht ihn sympathirscher? (Beruf, Lebensgeschichte, Hobby etc.) Temporäre Überweisung an eine/n Kollegin/en mit spezieller Kompetenz von Känel, 2003 Behandlungskonzept Am Anfang sind die körperlichen Beschwerden und die damit verbundenen Beziehungserfahrungen das Thema der Behandlung. Entgegennehmen der Körperklagen; neutrale Haltung bezüglich der Frage, ob Beschwerden körperlichen oder psychischen Ursprungs sind. Das psychosomatische Verständnis der Beschwerden ist Ziel nicht Voraussetzung der Behandlung. Nicht in Richtung Psychotherapie drängen! Zu verhindern ist die negative Entwicklung: Körperklage, enttäuschende Helfer, enttäuschende Angehörige und Ärzte, allgemeine Hilflosigkeit. Behandlung von Patienten mit Schmerzstörungen Klares Setting Konzept mit zielgerichteten Gesprächen, sich auf lange und kontinuierliche, adaptive Behandlung einstellen. Tangentiale Gesprächsführung Hohe Ansprüche relativieren, kleine Zielsetzungen. Aktive Haltung des geduldigen, interes-sierten und unterstützenden Arzt, be-handeln Informieren und fokussieren auf einzelne Behandlungsthemen und Ziele. Kooperation mit psychosozialen Diensten. Behandlung von Patienten mit Schmerzstörungen Symptomklagen entgegennehmen. Den Gefühlen Raum geben und Erleben verdeutlichen. Behandler stellt sich vornehmlich neben den Patienten Aussensicht fördert die Selbstreflexion. Wenn nötig sich vor den Patienten stellen affektive Resonanz, und angebotene neue Beziehungsfiguren fördern die Affektdifferenzierung und die Selbstwahrnehmung. Sich dem Patienten auch gegenüber- stellen angemessene Konfrontation, Erregung und Affekte aushalten fördert die Affekttoleranz. Behandlung von Patienten mit Schmerzstörungen: Teilziele Den gestauten Affekten Ausdruck geben können Zuwachs an Kommunikationsfähigkeit anstreben Körperliche Entspannungstechniken anbieten Neue körperliche Aktivitäten anregen Neues Gleichgewicht in der Selbstregulierung Neues Gleichgewicht in der Beziehungsgestaltung Zuwachs an Annahme der Störung Neue Einstellungen zu sich selbst und zur Umwelt Neue Bewältigungsmöglichkeiten von Konflikten Empfehlungen für Grundversorger Ziel ist nicht Symptomheilung sondern besserer Umgang mit Beschwerden. gate keeper für Untersuchungen. Unter - diagnostizieren und - behandeln Droge Arzt bewusst einsetzen; eigene Akzeptanz und Interesse für Patienten entwickeln. Entkoppeln von Zuwendung und Beschwerden Dem Patienten sagen, was er hat. Betonen, dass Beschwerden einer realen Krankheit entsprechen und nicht eingebildet sind. Barsky, 1996 Empfehlungen für Grundversorger Störung nicht für Simulation, Aggravation oder Einbildung halten. Komorbiditäten berücksichtigen (Depression!). Nicht durch intensive Diagnostik beruhigen wollen. Chronifizierungsneigung und Rentenproblematik ernst nehmen. Behandlungsplan, beschwerdeunabhängige Termine. Unterstützung bei der sozialen Integration und körperlichen Aktivierung. Vorbereitung auf Psychotherapie bei AUF über 3 Mt. Rudolf, 2001 Psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit Schmerzstörungen Mehr als bei anderen Patienten muss zunächst die somatische Krankheitsüberzeugung akzeptiert werden muss eine Reflexion der Krankheitsüberzeugung vorsichtig erfolgen muss die Haltung aktiv gebend und partiell mitagierend sein Psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit Schmerzstörungen Weniger als bei anderen Patienten ist an Motivation und psychologischem Verständnis zu erwarten hilfreich sind Erklärungen psychologischer Modellvorstellungen und Deutungen von Zusammenhängen der Störung ist die Fähigkeit, sich und den Körper emotional zu verstehen ausgeprägt ist die Fähigkeit ausgeprägt, die Facetten des psychischen Erlebens durch eine variable Affektivität zu verbinden und zu integrieren Psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit Schmerzstörungen Erster Fokus: Die Enttäuschung am Körper: Der aussichtslose Kampf gegen das Symptom Zweiter Fokus: Die enttäuschte Hoffnung bezüglich Me-dizin und sozialem System: Das Wechselspiel von Erlösungserwartungen und Beziehungsabbrüchen Dritter Fokus: Die Enttäuschung an den wichtigen anderen: Die symbiotischen Beziehungsbedürfnisse und die negativen Erfahrungen in Beziehungen Psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit Schmerzstörungen Vierter Fokus: Die Lebensgeschichtliche Entwicklung: Das hilflose Patient gegenüber den enttäuschenden Lebensumständen und Mitmenschen Fünfter Fokus: Die Enttäuschung über die erfolglose aktuelle Behandlung und den Arzt Mein Fazit: Patienten mit Schmerzstörungen müssen intensiv begleitet und ausgehalten werden in der Hoffnung, dass ein zwischen Begleitung, Schutz und Konfrontation adäquat wechselndes, geduldiges Angebot zur Ausbildung neuer Strukturen führt, die wiederum zu einem veränderten Erleben und Verhalten führen und schliesslich den Patienten eine neue Lebensqualität ermöglichen. Dies ist eine schwierige ärztliche Aufgabe, weil es hauptsächlich darum geht, sich die eigene Ohnmacht einzugestehen und von einem Heilenwollen Abstand zu nehmen.