Kommunalunternehmen Kliniken und Heime des BEZIRKS OBERFRANKEN BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Einführung in die Psychiatrie Depression Vorlesung WS 2012/2013 Universität Bayreuth Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Prof. Dr. med. Dr. h. c. Manfred Wolfersdorf, Bayreuth Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 1 Gedicht einer depressiven Frau In der Depression lebe ich ohne Sinn und Bewusstsein. Ich sehe, ohne wahrzunehmen. Ich fühle ohne Empfindung und Gefühl. Ich schmecke ohne Genuss. Ich rieche ohne Empfindung. Ich denke ohne Geist und Sinn und Phantasie und Kombinationsfähigkeit. Ich lache ohne Freude. Ich weine ohne Schmerzensstachel. Ich bewege mich ohne motorische Harmonie und Ausdrucksvermögen. Ich kenne weder Hoffnung noch Maß noch Ziel. Schlaf und Tod sind mir das Erstrebenswerteste. Ich freue mich nicht, ich begeistere mich nicht, ich liebe nicht, ich trauere nicht. Ich male nicht, ich spreche nicht, ich dichte nicht, ich singe nicht, ich tanze nicht, und wenn ich es dennoch tue, dann ohne Ausdruck und Phantasie und ohne dabei zu, sein, ohne Leben. BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREuTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 2 Gliederung • Bedeutung von Depressionen: Häufigkeit, gesundheitspolitisch • Erkennen von Depressionen: Symptome und Verhalten, depressive Episode • Verstehen depressiv Kranker: Psychodynamik • Therapie mit depressiv Kranken: akut/ Langzeit, ambulant/ stationär, Allgemeinarzt/Facharzt, ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, heutige Standards: Antidepressiva, Psychotherapie, psychosoziale Maßnahmen, Selbsthilfe BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. (Betroffene,Depression Angehörige) Manfred Wolfersdorf 3 Was verstehen wir unter einer „Depression“ Depression ist eine krankhafte Störung/Krankheit der Affektivität eines Menschen, des Gemüts (Stimmung und Gefühle) • mit einer beobachtbaren, beschreibbaren Symptomatik (Psychopathologie) • mit innerseelischen und/oder äußeren prädepressiven Ereignissen und Belastungen (Lebensereignisse, seelische Belastungen) • überwiegend von Verlust-, Überforderung-, Kränkungscharakter (Psychodynamik) • mit einer sog. depressiven Persönlichkeitsstruktur (melancholischer Typus, depressive Persönlichkeitszüge) (Psychodynamik, Biographie) • mit beschreibbaren depressiven Verhaltensweisen des Appells, des Rückzugs, der Dysphorie und des Negativismus (Verhalten) • mit depressiven Einstellungen von Hoffnungs- und Hilflosigkeit, IchInsuffizienz, Selbstentwertung und Schuldzuweisung an sich selbst (Attributationen: Bewertungsstile) BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 4 Warum ist die Depression heute eine so bedeutsame Erkrankung geworden? • Häufigste psychische Erkrankung • Rate der Erkennung und Behandlung zu gering • Suizidalität: Suizidrisiko hoch • Arbeitsunfähigkeit kann Folge sein • Anhaltende Erkrankung möglich • Behinderung in der Teilhabe am Leben Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 5 Europa 2011 – Report ( Wittchen et al. 2011) • Nach Angaben des EU-2011-Reports (EU-27 Staaten plus Island, Norwegen und die Schweiz mit insgesamt 514 Millionen Bürgern 18 Jahre aufwärts) liegt die Häufigkeit ( 12-MonatsPrävalenz) für „typische Depression“ bei 6,9% (Spannweite in verschiedenen Studien 1,0-10.1) und betrifft 30.3 Millionen Bürger 18 Jahre und aufwärts Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 6 Tabelle: Psychische Erkrankungen in der EU (1) • 12-Monatsprävalenz in EU-27 (plus Schweiz, Island, Norwegen; Alter meist 14+ Jahre; Median) (EU-27-Population 2010; Wittchen et al. 2011) • • • Diagnosen DSM-IV (Anzahl Studien) BevölkerungsStudien Median % Expertenschätzung % Anzahl betroffene Personen Mill. • • • Alkoholabhängigkeit Opiatabhängigkeit Cannabisabhängigkeit 3,4 0,3 0,3 3,4 0,1 - 0,4 0,3 - 1,8 14,6 1,0 1,4 • PsychosePsychose-Erkrankungen 1,0 1,2 • • • • • • • • • Typische Depression Bipolare Erkrankung Panikstörung Agoraphobie Soziale Phobie Generalisierte Angststörung spezifische Phobien Zwangsstörung OCD 5,7 0,7 1,2 1,2 2,0 2,0 4,9 0,7 6,9 0,9 1,8 2,0 2,3 1,7 - 3,4 6,4 0,7 Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 5,0 30,3 3,0 7,9 8,8 10,1 8,9 22,7 2,9 7 Tabelle: Psychische Erkrankungen in der EU (2) • 12-Monatsprävalenz in EU-27 (plus Schweiz, Island, Norwegen; (EU-27-Population 2010; Wittchen et al. 2011) Alter meist 14+ Jahre; Median) • Diagnosen • DSM-IV • (Anzahl Studien) BevölkerungsStudien Median % • Posttraumatische Belastungsstörung PTSD • Somatoforme Störung • Anorexia nervosa • Bulimia nervosa • Borderline-Persönlichkeitsstörung • Dissoziale Persönlichkeitsstörung • Demenz • Geistige Behinderung Expertenschätzung % Anzahl betroffene Personen Mill. 2,3 1,1 - 2,9 7,7 6,3 0,1 0,3 4,9 0,2 - 0,5 0,1 - 0,9 0,7 20,4 0,8 0,7 2,3 0,6 2,0 5,4 1,0 6,3 4,2 [Wittchen HU, Jacobi F, Rehm J, Gustavsson A, Svensson M, Jönsson B, Olesen J, Allgulander C, Alonso J, Faravelli C, Fratiglioni L, Jennum P, Lieb R, Maercker A, Os van J, Preisig M, Salvador-Carulla L, Simon R, Steinhausen H-C (2011) ECNP/EBC Report 2011. The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010. European Neuopsychopharmacology 21: 655-679] Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 8 Tabelle: EU-Report 2010 (Wittchen et al. 2011) • Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse (Auswahl) Gibt es eine Zunahme („prevalence estimate“) psychischer Erkrankungen ? • • • Diagnosen DSM-IV • • • • • • • • Alkoholabhängigkeit Psychose-Erkrankungen Major Depression Bipolare Erkrankungen Panikstörung Agoraphobie Somatoforme Störung Anorexia nervosa • Summe • Jedes Jahr leiden 38,2 % der EU-Population mindestens an einer von 27 psychischen Erkrankungen (164,8 Mill. Personen) Die Schätzung 2005 lag bei 27,4 % (bezogen auf 13 Diagnosen und Alter 18-65), die Schätzung 2011 mit 38,2 % umfasst 27 Diagnosen und alle Altersgruppen 14+, Der Vergleich Diagnosen 2005 mit den gleichen Diagnosen 2011 /27,4 % versus 27,1 %) zeigt keinen Zuwachs. D. h. der Zuwachs kommt von den neuen zusätzlichen Diagnosen • • Prävalenzraten (12 Monate) 2005 % 2011 % 2,4 0,8 6,9 0,9 1,8 1,3 6,3 0,4 27,4 % 3,4 1,2 6,9 0,9 1,8 2,0 4,9 0,2 - 0,5 38,2 % Anzahl Betroffene Millionen 2005 2011 7,2 3,7 18,4 2,4 5,3 4,0 18,9 1,2 (1,0 - 1,7) 14,6 5.0 30,3 3.0 7,9 8,8 20,4 0,8 82,7 164,8 Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 9 Gesundheitspolitische u. ä. Aktivitäten zum Thema Depression European Depression Day (EDD) seit 2003 Kompetenznetz Depression/Suizidaltität, gefördert vom BMBF, darin „Nürnberger Bündnis gegen Depression“, heute mehr als 40 lokale Bündnisse European Alliance Against Depression (EAAD) 2004 in 17 Partnerländern als gemeindebasierte Avareness-Kampagne Nationales Suizidpräventions-programm (NASPRO) für Deutschland (seit 2003) „Greenbook“ der EU-Kommission für Gesundheit (Oktober 2005): Prävention von Depression, Drogenmissbrauch und Suizidmortalität „Gesundheitsziele.de AG Depression“ des Bundesministerium für Gesundheit (seit 2004) S3/NV-Leitlinie „Unipolare Depression“ der verschiedenen Psych-Gesellschaften unter Leitung der AWMF/ÄZQ , 2009 erschienen High-Level-Conference der EU „Depression and suicide“ Juli 2008 Brüssel Initiative „Gemeinsam gegen Depression“ Bayreuth seit 2010 BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 10 Bundes-Gesundheitssurvey 1998: „Psychische Störungen“ [12-Monats-Prävalenzen für ausgewählte Diagnosen nach DSM IV; Ngesamt = 4181; 18- bis 66-Jährige im Bundesgebiet (Angaben in gewichteten % mit 95%-Konfidenzintervallen (Wittchen 2000, Wittchen und Jacobi 2001] DSM-IV Diagnosen Psychotische Störungen Drogenabhängigkeit Alkoholabhängigkeit Zwangsstörungen Essstörungen Bipolare Störungen 2,6 0,8 6,3 0,7 0,3 1,3 Dysthymie Depressive Störungen Phobien Generalisierte Angststörungen 4,5 8,8 12,6 2,5 Panikstörung Somatoforme Störungen 2,3 11,0 (2,1 (0,5 (5,5 (0,5 (0,2 (0,6 – 3,1) – 1,1) – 7,1) – 1,0) – 0,6) – 1,7) (3,9 – 5,2) (7,5 – 9,2) insgesamt über 13 % Depression (9,8 – 14,2) (2,1 – 2,9) (2,0 – 2,6) (10,1 – 12,1) [nach: Wittchen H-U, Jacobi F. Die Versorgungssituation psychischer Störungen in Deutschland. Ein klinisch-epidemiologische Abschätzung anhand des BundesGesundheitssurveys 1998. Bundesgesundheitsbl-Gesundheitsforsch-Gesundheitsschutz 2001; 44: 993 – 1000, sowie: Wittchen H-U. Zusatzsurvey „Psychische Störungen“ (Bundesgesundheitssurvey 1998): Anlagen zum Schlussbericht. Max Planck Institut für Psychiatrie, München, Eigenverlag 2000] BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 11 BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 12 Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 13 Krankheitsbedingte Abwesenheitstage und volkswirtschaftliche Kosten unter besonderer Berücksichtigung „Psychische und Verhaltensstörungen“ von 2001 – 2005 in Deutschland Jahr krankheitsbedingte Abwesenheitstage (Mio) ICD-10 Psych. Störungen (Mio) Produktionsausfall (Mrd) Ausfall Bruttowertschöpfung (Mrd) 2001 508,60 33,60 44,76 70,75 2002 491,05 34,37 44,15 69,53 2003 467,76 45,54 42,55 66,39 2004 440,10 46,30 40,00 70,00 2005 420,50 44,10 37,80 66,50 BAuA u. Mitteilungen der Bundesregierung Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 14 AU – Tage. Daten von Kostenträgern AU-Tage 100VJ Anteil am Krankenstand (%) berichtete Trends BKK (2006) 111,0 8,9 Anstieg um 35% von 1991 bis 2006 DAK (2007) 109,8 10,2 Anstieg um 69% von 1996 bis 2004 GEK (2006) 136,0 10,7 Anstieg der Anträge auf Psychotherapie um 60% von 2000 bis 2006 TK (2006) 129,0 12,3 Anstieg um 13% von 2000 bis 2007 Barmer (2007) 197,7 15,9 Anstieg um 15,9% von 2003 bis 2007 IKK (2006) 89,0 6,3 Anstieg um 33% von 2000 bis 2006 Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 15 Das Optimierungsmodell der Depressionstherapie von U. Hegerl BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 16 Tabelle : Depressives Syndrom/depressive Episode Wie sieht ein depressives Zustandsbild aus, welche Symptome werden berichtet bzw sind beobachtbar? 1.Psychische Symtome 2.Antriebssymptome 3.Körperliche Symptome Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 17 DEPRESSIVES SYNDROM * Wesentliche Symptome Psychische Symptome • depressive Herabgestimmtheit • freudlos, niedergedrückt • Fehlende Ansprechbarkeit auf äußere Reize • Ängste vor den Tagesanforderungen, Panikattacken • Gedanken von Leistungsunfähigkeit, Wertlosigkeit, Sinnlosigkeit, Versagen, Schuld und Nichtgenügen, Nichtgeliebtwerden • Gedanken von Hoffnungslosigkeit, Lebensmüdigkeit, an Suizid • Grübeln, Einengung der Gedanken, quälendes Gedankenkreisen bzw. Denkhemmung, Leeregefühle im Kopf BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 18 Antriebssymptome • Antriebslosigkeit, Lustlosigkeit, Wollen aber Nichtkönnen • Verlangsamung, Hemmung der Psychomotorik, Sprache, Mimik • Äußere und innere Unruhe, Getriebenheit, Agitiertheit BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 19 Körperliche („psychosomatische“) Symptome • Kraftlosigkeit, rasche Erschöpftheit • Schlafstörungen (z.B. Früherwachen) • Tagesschwankungen (vor allem Morgentief) • Libidoverlust, sexuelle Störungen • Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust • Leibgefühlsstörungen (Druck- und Spannungsgefühle, “mental pain“) BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 20 TABELLE : Kriterien für die Diagnose einer „depressiven Episode“ nach ICD-10 (1) Hauptsymptome (2 – 3 gefordert, Dauer je 2 Wochen) • gedrückte Stimmung • Interessenverlust, Freudlosigkeit • Antriebsminderung Andere Symptome (2 – 4 Symptome gefordert) • verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit • vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen • Schuldgefühle, Gefühle von Wertlosigkeit • negative und pessimistische Zukunftsperspektive • Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung und Suizidhandlung • Schlafstörungen • verminderter Appetit BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 21 TABELLE : Depressive Episode nach ICD-10 (2) Somatisches Syndrom •Interessenverlust, Anhedonie •mangelnde Reaktivität auf freundliche Umgebung oder freudige Ereignisse •frühmorgendliches Erwachen (> 2 Std. vor üblicher Zeit) •Morgentief von Stimmung und Antrieb •beobachtbare psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit •deutlicher Appetitverlust •Gewichtsverlust (> 5% des Körpergewichts) im letzten Monat •deutlicher Libidoverlust leichte / mittelgradige /schwere depressive Episode, leicht / mittelgradig / mit/ohne somatisches Syndrom, schwer mit/ohne psychotische Symptome BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 22 MännerDepression Klinisches Bild/Unterschiede zu Frauen • eher gehemmte Bilder • mehr Neigung zu Rückzug • eigentherapeutischer Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit und Depression • Neigung zu Impulsivität, Aggressivität • vermehrt Somatisierungstendenz • signifikant erhöhte Suizidrate bei Männern • eingeschränkte Veränderungsfähigkeit bei Männern • unzureichende Inanspruchnahme des Hilfsangebotes durch Männer BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 23 Depressive Erkrankungen * primäre nosologische Gruppen • die depressive Episode • die rezidivierenden depressiven Erkrankungen • die anhaltenden depressiven Erkrankungen • die depressiven Belastungs- und Anpassungsstörungen • die primär somatogenen (organischen, sekundären) Depressionen • die depressive Episode bei bipolaren affektiven Erkrankungen • die Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung • die Postpartum-Depression BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 24 Verstehen depressiven Krankseins: der depressiv kranke Mensch und seine Biographie • Was findet man häufig im Vorfeld einer akuten Depression an Belastungen ? • Was kennzeichnet depressiv Kranke in ihrer Persönlichkeit? • Psychodynamik depressiven Krankseins aus tiefenpsychologischer bzw lerntheoretischer Sicht BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 25 Depression und Persönlichkeitszüge: zur Depression neigende Menschen sind oft • überstark leistungsorientiert • haben häufig ein sehr hohes Ich-Ideal-Bild von sich • Selbstwertgefühl hängt von Leistung ab • in Beziehungen überangepasst • rasch und anhaltend verletz- und kränkbar • überstark beziehungsabhängig • überstark schuldbezogen wegen eines strengen Überichs/Gewissens BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 26 Depression und Lebensereignisse Zusammenfassung klinisch relevanter Konstellationen • Vulnerabilitätsfaktoren nach Brown & Harris (z. B. 1980): Fehlen einer vertrauensvollen Beziehung, Verlust der Mutter vor dem 11. Lebensjahr, 3 und mehr Kinder zuhause, Fehlen einer Beschäftigung außerhalb des Haushaltes, kein eigenes Einkommen, Fehlen sozialer Unterstützung, Selbstwertstörung • Lebensereignisse Verlustereignisse: (6 Klassen nach Brown et al., Keller F): Verlust als Folge von a) Tod, b) Trennung, c) Verlust des Arbeitsplatzes (Selbst- oder Hauptverdiener), d) Verlust materieller Güter, e) von Gesundheit und f) einer Wunschvorstellung von sich und anderen, die unter Vertrauensverlust zerstört wird. Derartige Verlustereignisse sind prädiktiv für Depression • Reaktualisierung früher Verlust- und emotionale Mangelerfahrungen durch realen, subjektiv erlebten oder antizipierten Verlust Lebensereignisse verknüpft mit Verpflichtungsbereich • Verlust von Soziotropie d. h. sozialer Wertschätzung bzw. Autonomie d. h. persönlicher Unabhängigkeit BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 27 BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 28 ABBILDUNG : Ätiologie der Depression (nach Holsboer-Trachsler & Vanoni 1998) Persönlichkeitsfaktoren: Introversion Angstneigung Genetische Disposition Aktuelle psychosoziale Belastung Auslenkung der Neurotransmittersysteme Katecholaminhypothese Serotoninhypothese Belastende oder traumatische Erfahrungen. Verlusterlebnisse. Erlernte Hilflosigkeit Neuroendokrinologische Hypothese Depressive Symptomatik emotional/kognitiv/somatisch BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 29 Abbildung : Vereinfachtes psychodynamisches Modell möglicher Depressionsentwicklung (Wolfersdorf 1992, 2011) - Modell als Grundlage von Therapieüberlegungen Frühkindliche Mangelerfahrung bzgl. Zuwendung, Förderung Anerkennung „orales“ Defizit narzisstisches Defizit Globales Gefühl des „existentiellen Zuwenig“ (Nichtwert-sein, Nichtkönnen, Ungeliebtsein), labiles Selbstwertgefühl/Minderwertigkeit emotionale Überbedürftigkeit („Oralität“) ES hohe Verletzbarkeit, Kränkbarkeit starkes Bedürfnis nach Wertschätzung, Anerkennung (Normorientiert) Es/Ich psychologische Disposition für Depression Persönlichkeitszüge, - strukturanteile Überich Kompensations- und Bewältigungsversuche Depression als Folge symbiotische Beziehungsgestaltung, Überanpassung, Aggressionshemmung Frühkindliche Beziehungserfahrung (plus biologischkonstitutionelle Disposition) Struktur, Kompensation, Ab- wehr, Bewältigung und Umwelt/Gesellschaft/Kultur Entwicklung überhöhter Leistungs- und ethisch-moralischer Normen, Abhängigkeit davon Behinderung der Verwirklichung, Verluste von Personen, Konzeption, Lebensaspekten Versagen der Kompensation, „Auslösung“ Symptombildung Depression Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 30 Abbildung : Existentiell vernichtende Krisen Perfektionismus, Scham, Depression und Suizid. Psychodynamischer Ablauf bei sog. erfolgreichen Männern (Wolfersdorf 2009,2010 ) • der eigene Perfektionismus (Selbstbild) • der vom sozialen Umfeld zugeschriebene und erwartete Perfektionismus (Fremdbild) • die Identifikation, bewusst und unbewusst, mit strengen, richtenden Personen und Normen aus der eigenen Lebensgeschichte • ein drohender bzw. tatsächlich eingetretener bzw. vermuteter Fehler • Überzeugung, es führt kein Weg zurück (weder Selbst- noch Fremdbild sind wiederherstellbar; intentionale Suizidalität nicht möglich) • tiefe Hoffnungslosigkeit, dominierend Schamgefühle (Scheitern am Ichideal) • Depression, „mental pain“ • Suizidideen, nicht mehr leben können; suizidale Handlung (Flucht, Selbstvernichtung) Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 31 Nemeroff (2005): Genetic vulnerability and early life stress, major depression and other stress related disorders ) Genetic vulnerability Early adverse experience Acute and chronic stressors Persönlichkeit Akute Situation Life event Forschung Vulnerable phenotype Beschreibungen! chronic CRH hyperdrive Neurobiologie Serotonin Noradrenaline Immunity Frühere Erlebnisse daraus entsteht * Increased sensitivity to stress * CRF hyperdrive in response to stress * abnormal development of hippocampus Major depressiv disorder Vorgabe: biologische Vulnerabilität Klinisches Bild anhaltende Stressreaktion Claes St J, Nemeroff CB (2005). CorticotropinCorticotropin-Releasing Factor (CRF) and Major Depression: Towards an Integration Integration of Psychology and Neurobiology in Depression Research. In: Corveleyn Corveleyn J, Luyten P, Blatt SJ (eds). The Theory and Treatment of Depression. Leuven University Press, Leuven, pp 227 – 252) Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 32 Tabelle : Therapieziele • Symptombesserung • Suizidprophylaxe • Arbeitsfähigkeit • Beziehungsfähigkeit • Rezidiv- und Verschlechterungsprophylaxe • Veränderung depressiogener Persönlichkeitsanteile • Veränderung depressiogener Lebensbedingungen BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 33 Abb. : Wie werden Depressionen heute behandelt : Akutbehandlung der Depression Psychotherapie Biologische Therapien Soziotherapie Selbsthilfe Einzelgespräche, Einzelpsychotherapie Antidepressiva, Lichttherapie Sozialarbeit Selbsthilfegruppen für Depressive Gruppenpsychotherapie, Gruppenarbeit Wachtherapie/ Schlafentzug Ergotherapie Psychoedukation für Angehörige Selbstsicherheitstraining, Soziales Kompetenztraining Psychiatrische Sport- und Bewegungstherapie, Gymnastik Belastungserprobungen Selbsthilfe für Angehörige Aktivitätsgruppen Elektrokrampftherapie Rehabilitative Behandlungsmaßnahmen Entspannungsverfahren Leistungserprobung und Diagnostik Gestaltungs-/ Kunsttherapie Gestufte Wiedereingliederung Psychoedukation für Patienten Begleitung von „place und train“ ambulante psychiatrische Pflege Basis: empathisch-fürsorgliche therapeutisch-pflegerische Beziehung, Aktivierung und StrukturierungDepression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 34 Grundzüge psychotherapeutisch orientierten Umganges mit Depressiven („Psychotherapeutisches Basisverhalten“) : Wie gehe ich mit einem depressiv kranken Menschen hilfreich um? • Empathische Nähe und Fürsorge • Vermittlung von Hoffnung und Krankheitskonzept • Entlastung und Förderung von Autonomie • Positive Verstärkung nicht-depressiven Erlebens und Handelns • Entwicklung von Einsicht in Psychogenese: Situation/Lebensereignis und Symptomatik sowie Belastbarkeit/“eigener Beitrag“ • Entwicklung einer Langzeit-Behandlungsstrategie BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 35 Akuttherapie der Depression/ depressiven Episode • Akuttherapie * 8 – 12 Monate ab Behandlungsbeginn insgesamt Akute Depression 4 – 6 Monate, dann Erhaltungstherapie/Verschlechterungsprophylaxe 6 – 8 Monate • Therapieprinzipien Symptombehandlung, Problem, Konflikt, Belastung, Life event, bezogene Behandlung, Belastungs-, Leistungserprobung, Stabilisierung, Verschlechterungsprophylaxe, Rezidivprophylaxe • Therapiemethoden Antidepressiva, Anxiolytika, Hypnotika, atypische Neuroleptika Psychotherapie, Psychoedukation, Angehörigenarbeit, Ergotherapie, Leistungsdiagnostik, kognitive Therapie, kreative Therapie, Sport- und Bewegungstherapie, Soziotherapie, Sozialarbeit,rehabilitative Behandlungsmaßnahmen, Selbsthilfegruppe, Angehörigenarbeit BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 36 Psychopharmakotherapie der Depression Welche Psychopharmaka gibt es speziell für die Depressionsbehandlung: Antidepressiva (Domäne der Symptombehandlung und Rezidivprophylaxe) Neuroleptika (bei bestimmten Formen) Anxiolytika Phasenprophylaktika Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 37 Wie wirken Antidepressiva? BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 38 BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 39 Psychotherapie : Gemeinsame Wirkfaktoren bei allen psychotherapieformen • Therapeutische Beziehung „psychotherapeutisches Basisverhalten im Umgang mit Depression“ 1. Empathie = emotionales Verstehen depressiven Erlebens 2. Fürsorge = Erhaltung/Wiederherstellung normaler Lebensabläufe (z. B. Tagesstruktur) und Selbstschädigung (Selbstvernachlässigung, Suizidalität, „depressive“ Entscheidungen) 3. Aktivierung im Sinne von Anforderung krankheitsentsprechend, und positive Verstärkung 4. Gemeinsames Krankheits- und Behandlungskonzept BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 40 BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 41 Methodische Psychotherapie und Depression Für welche Verfahren ist die Wirksamkeit belegt? Indikationen allgemein Bei leichten Depressionen ärztliches Gespräch Bei mittelschweren und schweren Depressionen ist die Kombination von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie geboten Zugelassene Verfahren Psychoanalytische Psychotherapie Psychodynamische Psychotherapie (tiefenpsychologisch) Kognitive Verhaltenstherapie Interpersonelle Psychotherapie Gesprächspsychotherapie (wissenschaftliche klientenzentrierte Psychotherapie) Familientherapie BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 42 Langzeittherapie bei Depression Aspekte * Klinische • Langzeittherapie: Psychopharmaka (AD, Rezidiv- und Verschlechterungsprophylaxe), Rezidivprophylaxe/Phasenprophylaxe • Langzeitbegleitung: Psychotherapie, Psychoedukation (Angehörige, Patient) • Erwerbs-/Arbeitsfähigkeit: Beurteilung von Belastbarkeit, Dienstfähigkeit, gestufte Wiedereingliederung • Rehabilitation i. e. Sinne (RPK u. ä.) bei chronischer Depression mit deutlicher „Minus“-Symptomatik (weiter bestehende Reduktion von Antrieb und Leistungsfähigkeit) • Situation der Angehörigen, Familien einbeziehen • Selbsthilfe-Gruppen für Depressive BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 43 Depression ist behandelbar • Symptombesserung bei erster Depression 70-80 % • Bei Chronifizierung (Dauer über 2 Jahre) noch bis zu 50 % Besserung • Arbeitsfähig wieder ca 60 % • Beziehungsfähig 100 % • Wiedererkrankung 3-4 Episoden im Leben wenn unbehandelt (verschiedene Schweregrade) Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 44 Modelle stationärer psychiatrisch-psychotherapeutischer Depressionsbehandlung in Deutschland • Behandlung depressiver Patienten in diagnose-gemischten allgemeinen Akutstationen bzw. Psychotherapiestationen von Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (Typ Fachkrankenhaus, Typ Abteilung) • Stationsübergreifende Depressionsgruppen (z. B. in Abteilungen) • Störungsbezogene Behandlungseinheiten: „Depressionsstationen“ [derzeit ca. 90 DSt in Deutschland, meist am FKH], zunehmend auch „Altersdepressionsstationen“ in der Gerontopsychiatrie und psychotherapie • Störungsbezogene bzw. gemischte Behandlungseinheiten in (akut-) psychosomatischen Kliniken BEZIRKSKRANKENHAUS BAYREUTH Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 45 Zum Abschluß Einen guten Tag – und achten Sie auf sich!!! Depression Vorlesung Universität i Bayreuth WS 2012 Prof. Dr.med.Dr.h.c. Manfred Wolfersdorf 46