Leibniz auf der Sucbe nach einer allgemeinen

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• litaoB » sur oee sucn© naea ©mer allgemeinen Primzahlgleichung
29
Leibniz auf der Sucbe nach einer allgemeinen
Primzalilgleichung.
Von
D ie t r ic h M a h n k e
in Stade.
Die LEiBNizhandschriften in der Kgl. Bibliothek zu Hannover bergen
noch immer ungehobene Schätze. Allerdings könnte man fast versucht
sein, auf diese ein W ort anzuwenden, das L e ib n iz manchmal von der scho­
lastischen Philosophie gebrauchte: „aurum latere in stercore“. Denn die
wertvollsten Entdeckungen stehen hier oft auf abgerissenen Papierfetzen
und Briefumschlägen oder auf den Rändern anderer weniger wertvollen
Entwürfe, bei deren Niederschrift ihm die guten Gedanken gekommen sind.
Außerdem enthalten die Handschriften nicht nur die endgültigen Ergebnisse
des Nachdenkens, sondern auch die sämtlichen Vorüberlegungen und Neben­
rechnungen, ferner alle Umwege, auf denen der Entdecker das erste Mal
n ur mühsam zum Ziele gelangt ist, ja selbst falsche Schlüsse und vergeb­
liche Versuche, die L e ib n iz hat abschließen müssen m it einem: „res distinctius examinauda“ oder „hoc accuratius tractandum ".1)
1)
So z. B. Math. Vol. III, 26, B latt 11, R ückseite. Vol. IIIB , 11, B latt 30, Rück­
seite. — In dieser W eise zitiere ich die hannoverschen LEiBNizhandschriften zur M athe­
m atik. Sie können unter diesen N um m ern an Ort und Stelle sofort aufgefunden werden.
V gl. B o d e m a n n , D ie LEiBN izhandschriften der K g l. Bibliothek zu H annover, Hannover
1895. D ie Zitate sind nach bestem W issen und W illen buchstabengetreu. Nur die
Inkonsequenz der großen A n fangsbuchstaben und der Interpunktion habe ich beseitigt.
D ie K lam m ern { J schließen spätere Zusätze L E iB N iz e n s ein, die Klammern [ ] dagegen
bedeuten, daß das E ingeschlossene von L e i b n i z nachträglich als un gültig eingeklam m ert
oder durchstrichen ist. (D iese B ezeichnungsart stam m t von C o u t u r a t .) Ich gebrauche
ferner folgen de Abkürzungen:
C a n t o r , Vorl. IIP = M.
Can to r,
Vorlesungen über Geschichte der M athem atik,
Bd. III, 2. A u flage, L eip zig 1901.
T r o p f k e , Gesch. = J. T r o p f k e , Geschichte der E lem entarm athem atik, L eipzig 1902/3.
LEiBN izens M ath. Sehr. III. VII = LEiBNizens mathematische S ch riften , herausg.
v o n C . I. G e r h a r d t , Bd. III, VII, H alle 1855/63.
C o u t u r a t , L og. — L. C o u t u r a t , L a logigue de L e i b n i z , Paris 1901.
C o u t u r a t , Opusc. = L . C o u t u r a t , Opuscules et fragm ents inédits de L e i b n i z ,
P aris 1903.
30
D
ie t i s i c h
M
ahnke
Aber unter all diesem W ust liegen Geistesschätze begraben, die nament­
lich für den Historiker der M athem atik von einzigartigem W erte sind.
Denn sie ermöglichen die auf den Tag genaue Zeitbestimmung mancher
Entdeckung, die für die Entwicklung der W issenschaft von größter Wich­
tigkeit geworden ist. Aber mehr — sie geben uns Gelegenheit, nicht nur
die Phylogenese, sondern sogar die Ontogenese der mathematischen Er­
kenntnis zu erforschen. Denn wie der Stammesgeschichte der Organismen
die Entwicklung des Einzelwesens entspricht, so auch der Geschichte der
Wissenschaft im großen die Entstehung der Einzelerkenntnis im Geiste des
individuellen Forschers. Die LEiBNizhandschriften nun verschaffen uns die
Grundlagen einer solchen geistigen Embryologie, weil in ihnen alle einzel­
nen Entwicklungsstadien der großen Entdeckungen im Geiste des genialen
Forschers von der ersten lustvollen Em pfängnis an durch alle mühsamen
Jahre des allmählichen Reifens hindurch erhalten sind. W ohl nirgends
sonst in der W elt bietet sich eine gleich gute Gelegenheit, die Psyche eines
so bedeutenden Mathematikers aus unm ittelbarster Nähe bei der Arbeit zu
belauschen und das „embryonale“ W erden von Geistesschöpfungen zu stu­
dieren — ein Studium, das noch um vieles interessanter ist als die Erfor­
schung des ähnlichen Wunders auf biologischem Gebiete.
Ich werde im folgenden ein Beispiel näher ausführen, auf das ich beim
Studium der LEiBNizhandschriften für einen anderen Zweck (die Geschichte
der philosophischen W ahrscheinlichkeitslehre) zufällig gestoßen bin, näm­
lich d ie LEiBNizsche W ie d e r e n t d e c k u n g u n d W e it e r b ild u n g des
FESMATSchen S a t z e s , nach dem «p—1 = 1 (mod p ) immer dann ist, wenn
p eine Primzahl und a eine zu p prime ganze Zahl ist.
Bekanntlich hat F eem at diesen Satz am 18. Oktober 1640 an seinen
Freund F eenicle geschrieben, doch — wie es überhaupt seine Art war —
ohne seinen Beweis mitanzugeben.1) Durch den Druck dieses Briefes in
F eemats Werken wurde der Satz, aber immer noch ohne Beweis, in der
wissenschaftlichen W elt bekannt. Der erste M athematiker, der einen Beweis
veröffentlichte, war E u l e e (1736).2) Doch behauptete 1752 J ohann S amuel
1) ,,Dequoy je vous envoyerois la dem onstration, si je n'apprehendois d’etre trop
long.“ V aria opera m a th e m a tic a T ). V e t r i d e F e r m a t , T olosae 1679, p. 163. Vgl.
Oeuvres d e F e r m a t 2, Paris 1894, p. -209.
2 ) E u l e r erwähnte den PER M A TSchen Satz zuerst in den Observationes de theorem ate quodarn FERMATiano aliisque a d numeros p rim o s spectan tibu s; C o m m e n t a r ii
A c a d e m ia e s c i e n t i a r u m P e t r o p o l i t a n a e 6 , 1732/33, 103— 107, ohne aber einen
Bew eis für ihn geben zu können. Sein erster, dem LEiBNizschen ähnlicher Beweis findet
sich in der Abhandlung Tlieorematum quorundam ad num eros prim os spectantium
dem on stratio; C om m . A c. sc. P e t r . 8, 1736, 1 4 1 — 146.
E inen zw eiten, eigentlich
zahlentheoretischen Bew eis gab er dann in den Theorem ata circa residua ex divisione potestatum re lic ta ; N o v i C om m . A c. s c . P e t r . 7, 1 7 5 8 /9 , 49 — 82, und gelangte
-
— - -
il ...
—.gemeinen Primzablgleichung
31
in seinem Streite m it M a u p e r tu is (dem er zu LEiBNizens Gunsten die
erste Entdeckung des Prinzips der kleinsten W irkung bestritt), jene „dé­
monstration d’une certaine propriété des nombres premiers, de laquelle il
( E u l e r ) se croit seul et premier inventeur“, finde sich schon bei L e ib n iz .
E r stützte sich dabei auf ein eigenhändiges Schriftstück von diesem, das
sich in seinen Händen befand.1) Auch G a u ss kam im Artikel 50 seiner
Disquisitiones arithmeticae (1801) auf die von K ö n ig behauptete Priorität
LEiBNizens zu sprechen, ließ aber die F rage, da nichts Gedrucktes vorlag,
unentschieden.
E rst 1894 stellte G. V acca 2), indem er auf eine Stelle der inzwischen
gedruckten LEiBNizschen Abhandlung Nova algebrae promotio3) hinwies,
endgültig fest, daß L e ib n iz tatsächlich den EuLERschen Beweis des F erm at schen Satzes schon besessen habe. F ünf Jahre später machte V acca2) auch
noch auf ungedruckte Handschriften der Kgl. Bibliothek in Hannover auf­
merksam, aus denen sich „il processo della ideazione nella mente di L e ib n iz “
erkennen lasse, während aus der von G e r h a r d t gedruckten Abhandlung
nicht ersichtlich werde, auf welchem Wege L e ib n iz gewissermaßen ohne
K raftanstrengung zu dem Resultate gelangt sei, zu dem E u l e r später einen
so mühsamen W eg habe gehen müssen. V acca nannte dabei die Hand­
schriften Math. Vol. III B l l und Vol. III B 17, B latt 3. Das letztere Blatt,
datiert vom 1. Juni 1683, war das zeitlich früheste, das er gefunden hatte.
Doch auch durch diese Feststellungen V accas war noch nicht alle Un­
klarheit beseitigt. Insbesondere war noch nicht entschieden, ob L e ib n iz
den Satz, unabhängig von F er m â t , völlig neu gefunden oder nur durch
einen Beweis bereichert habe. Da die älteste V acca bekannte Handschrift,
die sich auf den Satz bezieht, aus dem Jahre 1683 stammt, F erm ats W erke
aber, die L e ib n iz bei seinem damaligen großen Interesse für Zahlentheorie
sicher studiert h a t, schon 1679 erschienen sind, so mußte man annehmen,
daß der Satz von F erm ât übernommen sei. Anderseits aber machte C anto r 4)
darauf aufmerksam, daß L e ib n iz sich in der Nova algebrae promotio auf den
Satz viel zugute tue, weil er etwas den Analytikern bisher Unbekanntes
enthalte: eine allgemeine Primzahlenformel, und schloß daraus — mit Un­
K ö n ig
endlich in den N o v i C om m . A c. sc. P e t r . 8, 1760/1, 74 u. folg., zu der nach ihm
genann ten V erallgem einerung: av (”' = 1 (mod n) für b elieb ig zusam m engesetzte Zahlen n
und
alle
1) J
zu n prim en Zahlen a.
o h . S a m . K ö n i g , A p p e l au public, L eyden, 1. Aufl. 1752,
p.
104; 2. Aufl. 1753,
p. 106.
2) G. V a c c a , In torno alla p rim a dim ostrazione d i un teorem a d i F e r m â t ; B ib i,
m a th . 1894, 4 6 — 48. D erselb e, S u t m anoscritti in e d iti d i L e i b n i z ; B o l l e t t i n o d i
b i b l i o g r . e s t o r i a d e l l e sc . m a t ., 2, 1899, p. 113. V gl. ferner C o u t u r a t , Log.
478, 499, 500; Opusc. 575.
3) LEiBNizens M ath. Sehr. VII, 180 181.
4)
C a n to r ,
Vorl. III*, 331.
32
D ie t r ic h M
recht, wie wir sehen werden — , daß
gewußt habe.
ahnke
L e ib n iz
von
F ermats
Priorität nichts
Um diese U nklarheit zu beseitigen und gleichzeitig den „Gang der
Ideenentw icklung“ im Geiste des großen Mathematikers und damit die
Psychologie einer m athem atischen Entdeckung aufzuhellen, habe ich einen
großen Teil der hannoverschen Handschriften durchgesehen. Ich bin dabei
zu folgenden Ergebnissen gekommen.
L e ib n iz hat einige spezielle Fälle des FERMATschen Satzes, nämlich
a2= 1 (mod 3) und
1 (mod 5), schon im Januar 1676 aus den Formeln
der figurierten Zahlen bewiesen. Die Verallgemeinerung dieser Ableitung
würde auf die B etrachtung des Ausdruckes (x + 1) (x + 2) • • • (x -f p — 1)
führen, m it dessen Hilfe 1771 (1773) L a g r a n g e den FERMATschen gleich­
zeitig m it dem WiLsoNSchen Satze bewiesen hat. In den Jahren 1677—79 hat
L e ib n iz die periodischen Dual-, Trial-, . . . Dezimalbrüche in ihrer Beziehung
zu den Resten der Potenzen von 2, 3 . . . 10 (mod n) betrachtet und daraus
einen Satz gewonnen, der sich in der GAUSsischen Bezeichnungsweise so ausdrücken läßt: Es kann im mer ein 1c < n gefunden werden, so daß a* = 1
(mod n) ist. Später hat er diesen Satz dahin berichtigt, daß er für die Prim­
zahlen n gilt. Daß man bei Prim zahlm odul immer Tc= n — 1 setzen darf, hat
er zuerst am 12. S e p te m b e r 1680 erkannt und aus den sog. NEWTONSchen
Potenzsummenformeln, die er damals schon selbständig gefunden hatte, be­
wiesen. E inen weiteren einfachen Beweis des FERMATschen Satzes für die
Basis 2 aus dem binomischen Lehrsatz hat L e ib n iz vielleicht noch an dem­
selben Tage entdeckt. Dagegen ist der durch V a c c a bekannt gewordene Be­
weis für beliebige a aus dem polynomischen Lehrsätze wohl erst einige
Jah re später von L e ib n iz durchgeführt worden, wenn ihm auch der poly­
nomische Lehrsatz selbst schon seit Oktober 1676 bekannt war.
Aus dem binomischen Lehrsätze hat L e ib n iz auch die Umkehrung des
FERMATschen Satzes zu beweisen gesucht: W enn 2? —*= 1 (mod p) ist, so
ist p Primzahl. Der Beweis ist aber unzureichend, und der Satz ist falsch,
wie schon das Beispiel 2 11' 31-x = 1 (mod 11 • 31) zeigt. Ja, es gibt sogar
zusammengesetzte Zahlen n, für die a n~~1 = 1 (mod n) bei j e d e r zu n primen
Basis a ist; dies ist, wie ich zur P rüfung der LEiBNizschen Behauptung fest­
gestellt habe, z.B. bei « = 3 - 1 1 - 1 7 wirklich der Fall.
Einen anderen Fehler hat L e ib n iz selbst bald berichtigt. Während er
1680 gemeint hatte, wenn p eine Prim zahl sei, so sei lc = n — 1 der kleinste
Exponent, für den a* = 1 (m o d ^) werde, hat er bald erkannt, daß eben­
sowohl ein echter Teiler von n — 1 sein könne. Vielleicht ist ihm jetzt bei
der genaueren Form ulierung des Satzes das Studium der W erke F e r m a ts von
N utzen gewesen, aus denen er den in Frage stehenden Satz — ich vermute
um 1681 — exzerpiert hat, wie die noch vorhandenen Auszüge beweisen.
^c^uu'iuuL» amuu imor crntM© xittcn einer allgemeinen Primzahlgleichung
33
Indem er m it dem von F eem at stammenden Satze seine Umkehrung
verband, meinte L eib n iz die lange gesuchte „definitio realis seu aeqvatio ge­
neralis num eri prim itivi“ oder, wie er auch sagt, die „proprietas seu nota
reciproca prim itivi“, die notwendige und hinreichende Bedingung der Prim ­
zahlen, gefunden zu haben. Aus dieser fälschlich für genügend gehaltenen
Gleichung, 2P~ 1 = mp -f- 1, hat er dann, indem er 1682/3 seinen Exponentialkalkül auf ihre Behandlung anwandte, eine ziemlich einfache Methode
zur E rkennung einer Zahl als Primzahl abgeleitet, in die aber leider der
Irrtum der Voraussetzung m it eingegangen ist. Seine Methode läßt ein ge­
wandtes Rechnen m it Kongruenzen, insbesondere mit Potenzresten, erkennen
und rü h rt schon an die Sätze, auf die später das Rechnen mit Indices
in der Zahlentheorie gegründet worden ist.
Die eben geschilderten Tatsachen ergehen sich aus den folgenden Hand­
schriften der Kgl. Bibliothek zu Hannover, die ich, so gut es geht, in histo­
rischer Folge zusammenstelle:
1. Math. Vol. IV, 17, B latt 7. Ouvertüre nouvelle de nombres multiples,
et des diviseurs des puissances. 3. Januar 1 6 7 6 . (C outueat , Opusc. 5 8 7 .)
2. III, B, 14, B latt 1. De numero jactuum in tesseris. Proposuit mihi
dux R o a n n e s iu s . Januar 1676.
3. XII, 2, B latt 3. (y3 - y, i/5 - y)
4. XII, 1, B latt 39. Conversation avec Mons. d e M a eio ttb touchant les
nombres. 10. Februar 1676.
5. IV, 11. Conspectus calculi. (LßiBNizens Math. Sehr. VII, 83— 100.)
6. IH, B, 15, B latt 6. 12. Februar 1676. Anfang April 1676.
(p = 6 n ± 1)
7. 8. IV, 17, B latt 1,2. Num eri primi eorumqve genesis mira. 6., 7. Sep­
tem ber 1677. (p = 6 n + 1)
9. III, 24. Logistica decimalis. 12. November 1677.
10. IV, 17, B latt 3. De numeris primitivis. Dezember 1677.
0 = 2 • 3 • 5 • 7 • 11 • • • ± 1.)
11. III, 24, B latt 6. Reductio ad decimales. Februar 1678.
12. XII, 2, B latt 4. De decimalibus vel similibus et earum periodo invenienda. (A uf einem Briefumschläge: Monsieur de L e ib n it z A Hannover.)
13. III, 4, B latt 14. Form arum reductio ad simplices. 12. S e p t e m ­
b e r 1680.
14. IV, 17, B latt 9. (2* = 1 (mod n), k < n ) B latt 8. ( 2 * - 2, 2— 1— 1)
15. III, B, 17, B latt 2. E x M. J o h . W il h . P a u l i P hilintri (?) Lips. de
num. perf. Lips. 1678.
16 . III, B, 17, B latt 1. Demonstratio de numero perfecto in progressione binaria.
B ib lio th e c a M a th e m a tic a . I I I . F o lg e . X I I I
3
34
D ie t r ic h M a h n k e
17. XIY, 2, B latt 20 — 26. Auszüge aus F erm ats „Omnia (?) opera
mathematica“, Tolosae 1679.
18. III, B, 12. De numeri primitivi nota. (Erster Beweisversuch der
Umkehrung des FERMATschen Satzes.)
19. III, 26, Blatt 7 ff., llf f . De primitivis ex tabula combinatoria (zwei
Entwürfe). Dezember 1681.
20. III, 26, B latt 1 — 6. De primitivis et divisoribus ex tabula combi­
natoria. (LEiBNizens Math. Sehr. III, 109—113.)
21. III, B, 11, Blatt 9. (Reste der Potenzen von 2 (mod. 31))
22. III, B, 11, B latt 7. (Logaritbmen zur Basis 2.)
23. Ill, B, 15, B latt 5 \
(2V—1— yg)
24. Ill, B, 11, B latt 18 J
25. III, B, 11, B latt 21. n — 2! = 1 (m od.p).
26. III, B, 15, B latt 7. Agnoscere primitivos. Juni 1682.
27. III, B, 17, B latt 6.Agnoscere primitivos. (Neunerreste der Potenzen
von 2.)
28. III, B, 11, B latt 30. (Differenzlogaritbmen.)
29. III, B, 17, Bl 3. Aeqvatio primitivi. Hic tándem arcanum illud
detectum videtur. 1. Juni 1683.
30. III, B, 11, B latt 4. (Beweis von ap~ 1= 1 (m odp). Logaritbmiscbe
Beziehung zwischen Potenzen und Potenzresten.)
31.32. III, B, 11, B latt 5 und 6. B latt 14. (Über 2 " — 1 und seine Teiler.)
33. III, B, 15, B latt 1. G. 6. L. Novus aditus ad incógnita hactenus
mysteria numero rum.
34. III, B, 11, B latt 1, 28. Inqvisitio in números primitivos et derivatorum divisores.
35. 36, 37, III, B, 11, B latt 2, 8, 27. (Nähere Ausführungen zu 34.)
38. III, 25, B latt 1 ff. De periodis decimalibus. Insignia inventa.
12. Januar 1687.
39. III, 25, B latt 10. De periodis fractionum decimalium et numerorum
primitivorum analysi (?). Januar 1687.
40. IY, 5. Nova algebrae promotio. (LsiBNizens Math. Sehr. VII,
154— 189.)
A uf den FERMATschen Satz kam L e ib n iz zuerst bei Gelegenheit kom­
binatorischer Untersuchungen. W ar doch die K o m b in a t io n s le h r e eins
der wenigen Gebiete der Mathematik, die schon dem jungen Studenten der
Philosophie und Jurisprudenz in Leipzig vertraut geworden waren. Durch
das Studium B is t e r f e l d s 1) war ihm nämlich der logische und metaphysische
1)
J o h . H e n r . B i s t e r f e l d i i Philosophiae prim ae sem in arium , L eyden 1657. Elem entorum logicorum libri tres. Phosphorus catholicus, L eyden 1657. A u f die B edeutung
Leibniz aut' der Suche nach einer allgemeinen Primzahlgleichung
35
W ert dieses Teiles der Arithmetik klar geworden, und er hatte sich deshalb
in seiner Schrift De arte combinatoria (1666) bemüht, die Kombinations­
lehre als eine neue Logik der Erfindung fortzubilden.
W ährend seines Pariser Aufenthaltes (März 1672 bis Okt. 1676) da­
gegen begann ihn die Mathematik auch um ihrer selbst willen zu inter­
essieren. Schon 1672 entdeckte er die Summenformel für die 3. Potenzen der
aufeinanderfolgenden ganzen Zahlen1) m it Hilfe der von ihm sogenannten
„ e r z e u g e n d e n D if f e r e n z e n “, erfuhr aber am 2. Februar 1673 in London
durch P ell , den er bei B oyle getroffen hatte, daß ihm in der Anwendung
dieser Methode R egn a ud in Lyon zuvorgekommen sei, und daß dessen E n t­
deckung sogar schon in dem Buche von M outon , Observationes diametrorum
solis et lunae apparentium (1670), gedruckt sei.2) Diese Erfahrung wurde
für L e ib n iz der Anlaß zum sorgfältigen Studium der vorhandenen mathe­
matischen Literatur. Nach Paris zurückgekehrt, setzte er sich mit dem dort
lebenden H uyg ens in Verbindung, um durch diesen in die neuesten F ort­
schritte der Mathematik eingeführt zu werden.
Auf dem Gebiete der Kombinationslehre insbesondere studierte er ein­
gehend P ascals Traité du triangle arithmétique, der 1654 geschrieben, frei­
lich erst seit 1665 im Buchhandel erhältlich war. L e ib n iz machte sich
dessen Hauptsatz völlig zu eigen, den man in der heute üblichen Ausdrucks­
weise kurz etwa so aussprechen kann: Die Anzahl der Kombinationen von
n Elementen zur k ieD Klasse ohne W iederholung ist identisch m it drei anderen
Zahlen, nämlich 1. dem (k -f l ) ten Koeffizienten der nten Potenz eines Binoms,
2. dem (n — Je -(-1)’611 Gliede der einfachsten arithm etischen Reihe ktei Ord­
nung, 3. der (n — k -f- l ) ten figurierten Zahl der (k -f- l ) ten Ordnung. L e ib n iz
nannte diese Zahl die der „con k naisons dans n“. E r schrieb ihre Formel:
n n n — 1 n n — 2 etc. n n — k -f 1
1n 2
n 3 etc. n
k
und gab dem PASCALSchen Dreieck, um diese Zahl aus ihm leichter ablesen
zu können, eine passendere Anordnung3):
dieses Kom binatorikers in Leyden für die philosophische E ntw icklung L e i b n i z e n s hat
zuerst W . K a b i t z , D ie Philosophie des ju n gen L e i b n i z , H eidelberg 1909, S. 6 —8, 16,
h in gew iesen.
n
1) Daß 2
JTJ
/ n
(ar) = (
\ 2
x ) ist, wußten w ahrscheinlich schon die griechischen Mathe-
1 .
m atiker, jedenfalls
die röm ischen A grim ensoren und die indischen M athematiker des
M ittelalters. Über die spätere G eschichte des Satzes vgl. P . T a n n e r y , B ib i. M a th . 3 S,
1902, S. 257— 268. 1672 aber w ußte L e i b n i z weder etw as von diesen Vorgängern noch
von P a sc a ls allgem einer Sum m ationsm ethode (P otestatum num ericarum summa).
2) V gl. G uhrauer, L e i b n i t z . E in e Biographie. 2. A ufl., Breslau 1846, I, 126.
3) H andschrift 2. Ebenso LEiBNizens M ath. Sehr. VII, 101. E ine der L E iB N iz s c h e n
ähnliche Anordnung, doch ohne N um m erierung der Zeilen und Spalten, hatte s c h o n
3*
36
D
ie t r ic h
PAscALSclies Dreieck.
|1
1
2
1
1
3 ,1
4
5
6
_'
7
y
2
3 4 5 6 7
M ahnke
LEiBNizsche Anordnung.
m
1 1 1 1 1 1
2 3 4 5 6 a
3 6 10 15 H ^
1 4 10 20 b g »
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D ie LEiBNizsche Anordnung ist am Platze, wenn es sich um Kombinationen
oder Binom ialkoeffizienten handelt, die PASCALSche dagegen, wenn figurierte
Zahlen oder Glieder von arithmetischen Reihen berechnet werden sollen.
Im letzteren Falle spricht man den Hauptsatz besser so aus: Die yte figu­
rierte Zahl der witen Ordnung ist identisch m it 1. dem yten Gliede der ein­
fachsten arithmetischen Reihe (m — l ) ter Ordnung, 2. dem Koeffizienten des
witen Gliedes der (y + m — 2)ten Potenz eines Binoms und 3. der Anzahl der
Kombinationen von (y + m —2) Elementen zur (in — l ) tC11Klasse ohne
W iederholung. Diese Zahl schreibt L e ib n iz in der Form:
y + m—
y
1
n
m — 3 e tc .n y
2
etc. n m — 1
Indem L e ib n iz diese PASCALSchen Entdeckungen geistig verarbeitete und
m it seiner Methode der „erzeugenden Differenzen“ vereinigte, gewann er
eine Reihe von arithm etischen Erkenntnissen. Seine Methode reichte doch
weiter als die des R e g n a u d . Sie befähigte ihn nämlich, alle Reihen von
Brüchen zu addieren, in deren Zähler die Einheit und in deren Nenner
figurierte Zahlen beliebiger Ordnung stehen. Solche Reihen nannte L eibniz
harmonische und stellte zu ihrer Addition 1673 ein „ h a r m o n i s c h e s Dr e i ­
e c k “ auf, entsprechend der Addition der figurierten Zahlen durch dasPASCALsche Dreieck.1) Auch solche Reihen nannte L e ib n iz noch harmonische, die
„durch einen Sprung“ etwa aus der Reihe J , * , *, y • • • hervorgehen, nämS t i f e l , A r ith m e tic a in te g r a (1544), Bl. 461', zusam m engestellt, um m it ihrer Hilfe höhere
W urzeln auszuziehen. Später benu tzte J a k o b B k r n o u l l i , A r s conjectandi (Basel 1713),
p. 87, die gleich e Anordnung w ie L e i b n i z für den g leich en Zweck, ließ aber unprak­
tisch erw eise lc und n m it 1 statt m it 0 beginnen.
1)
Erster E ntw urf Math. III B 10 m it der Bem erkung: H ic primum cepi inveni
F erner III B 18 und VIII 27 B la tt 1. 2, B latt 1 m it der N otiz: Origo inventionis triantm li harm onici anno 1673. H ugenius m ihi proposuerat sum m am fractionum triangularium inveniendam . . . , B latt 2 m it dem D a tu m : Febr. 1676. V gl. C outueat, Opusc. 589.
Leibniz auf der Suche nach einer allgemeinen Primzahlgleichung
lieb, A,
1 7
A • • • und A
A i ...
o 7 7 7 11
o 7 9
37
Subtrahiert man die zweite Reihe von der
ersten, so entsteht die auch heute noch sogenannte L E iB N izsch e R e ih e :
y — A -|_ *— i _}. . . .f deren Summe L e ib n iz 1674 als gleich A erkannte.
Ferner führte L e ib n iz 1674 den Begriff der „divulsiones“ ein1), d.h. die
V a r i a t i o n e n zu b e s t i m m t e n S u m m e n oder, um gekehrt ausgedrückt, die
Zerfällung einer Zahl in eine bestimmte Anzahl von Summanden. Z. B. gibt
es 3 divulsiones der Zahl 3, nämlich die Zahl selbst, ihre „discerptio“, 2 + 1
und ihre „triscerptio“, 1 + 1 + 1. Ebenso gibt es 5 divulsiones der Zahl 4,
nämlich die Zahl selbst, ihre „discerptiones“, 3 + 1, 2 + 2, ihre „triscerptio“,
2 + 1 + 1 und ihre vierfache Zerfällung, l + l + l + l. Von 5 gibt es 7 di­
vulsiones, von 6 gibt es 11, so daß man meinen könnte, hier entständen die
P r i m z a h l e n . Doch die Anzahl der Zerfällungen von 7, die 15 beträgt, er­
weist diesen Schluß als „exemplum memorabile fallentis inductionis“ (Math.
Vol. XII 1 B latt 18). W ir erkennen hier das Bestreben LEiBNizens, die
K o m b i n a t o r i k z u r Z a h l e n t h e o r i e i n B e z i e h u n g zu set zen. An
dieser Stelle war allerdings seine Bemühung vergeblich, aber später werden
wir wertvolle Früchte dieser Verbindung beobachten können.
L e ib n iz gebrauchte die „divulsiones“ außer bei der M ultiplikation von
Polynomen vor allem bei der Behandlung der Ausdrücke, denen er den —
heute in etwas anderer Bedeutung gebrauchten — Namen „ F o r m e n “ ge­
geben hat. Eine „Form “ entsteht nach ihm, wenn in irgend einem ein­
gliedrigen Ausdruck, etwa ab3c2, für a, b, c der Reihe nach alle Kombina­
tionen von n Elementen a, b, c . . . n zur kten (hier 3.) Klasse gesetzt, die
Exponenten dagegen nicht verändert werden und wenn schließlich alle so
entstandenen Ausdrücke addiert werden: ab3c2 + a l 3d 2 + • • • + bc3d2 + ■• •.
L e ib n iz kürzt diesen Ausdruck folgendermaßen ab: ab3c2, während man
n
heute
a b 3c2 schreibt.2) Von jedem Grade gibt es nach L e ib n iz
i
Form en wie „divulsiones“ des Exponenten, der den Grad angibt:
^
1. Grad
a (= a + b + c • • •)
2. Grad
a2, ab ( = ab + ac + ad ■■■+ bc + bd • • •)
3. Grad
a3, a2b, abc.
so
viel
Von besonderer W ichtigkeit sind die „formae simplices“, die heute soge­
nannten elementaren symmetrischen Funktionen: a, ab, abc usw. W enn
1) M ath. Vol. IV 2: Specim en de divulsionibus aeqvationum . . . B latt 3 datiert
2. Sept. 1674. Math. Vol. XII 1, B latt 15: R egula discerptionum et triscerptionum universalis. B latt 16: F orm ae com binatoriae (20. Okt 1675). B latt 18: D e num ero formarum (Febr. 1676). Vol. III B 14, B latt 4: R egula discerptionum univeraalis.
2) V gl. die in Anm erkung lj zitierten H andschriften, ferner M ath. XII 2, B latt 139
u a. LEiBNizens M ath. S ch r.'V ll 88 (Conspectus calculi), 178 (Nova algebrae promotio).
38
D ie t r ic h M
ah nke.
man nämlich unter a , b , c . . . n die Wurzeln einer Gleichung
Grades ver8 ent, so ist die elementare symmetrische Funktion fc*“ Grades identisch
m it dem Koeffizienten von *"-* in der Gleichung, multipliziert mit (-1)*,
vorausgesetzt, daß der Exponent von g* gleich 1 gemacht ist. Das hatte
L e ib n iz von V i ¿ te und D escartes gelernt, wie die ausdrückliche Anführung
dieser großen Algebraiker zeigt. E r überlegte nun, ob es nicht auch möglich
sei, daß andere symmetrische Funktionen der Wurzeln rationale Werte ann.ihmen, wenn auch die Wurzeln irrational seien, wie dies ja hei den ele­
m entaren symmetrischen Funktionen der Fall ist. E r fand, daß dasselbe
auch bei den Summen der Potenzen der Wurzeln eintrete, da man diese
durch die elementaren symmetrischen Funktionen rational ausdrücken könne.
Im Septem ber 1678 spätestens1) war er im Besitz der folgenden Formeln:
a} = a
a 2 = (a)2- 2 (ab)
a3 = (ö)3 — 3 (ä) • (ab) + 3 (abc)
a3 = (a)4 — 4 (a)2 (ab) -f 4 (a) (abc) + 2 (ab)2 — 4
(abcd)
a5 = (a )5 — 5 (a)3 (ab) + 5 (a)2 (abc) + 5 (a) (ab)2
— 5 (a) (abcd) — 5 (ab) (abc) 4- 5 (abcde)
Dam it hatte L e ib n iz die von A lbert G ir a r d 2) zuerst abgeleiteten Formeln
für die 1. bis 4. Potenz unabhängig von ihm wieder entdeckt und auf höhere
Potenzen ausgedehnt. Man pflegt diese Formeln die NEWTONseben
P o t e n z s u m m e n f o r m e l n zu nennen. N ew ton hat sie 1681 in seinen Vor­
lesungen vorgetragen, und W h isto n hat sie 1 107 in der Ausgabe von
N ew tons Arithmetica wniversalis veröffentlicht.
Die angegebenen L eibniz handschriften zeigen, daß, wenn man die Form eln nicht nach G irard be­
nennen will, L e ib n iz fast denselben Anspruch auf sie hat wie N ew ton .
Mit der Lehre von den „divulsiones“ und „formae“ hängt auch eine
weitere Entdeckung zusammen, die L e ib n iz in der gleichen Zeit machte, die
des p o l y n o m i s c h e n L e h r s a t z e s . Denn offenbar ergibt sich bei der E r­
hebung eines Polynoms in die nie Potenz eine Summe von Formen nteu Grades,
und es handelt sich nur um die Feststellung der Häufigkeiten des Vor­
kommens jeder Form, d. h. der Polynomialkoeffizienten. C o u t u r a t 3) ver­
1) Math. Vol. III, 3: De rationali parte potestatum a radicibus aeqvationum, dann
B latt 4 vom Sept 1678, enthaltend: Summa radicum, qvadratorum a radicibus, cuborum qqtorum, surdesolidorum , qvadratocuborum. Math. Vol. III, 4: Aeqvationum resolutio generalis tentata, darin B latt 14 vom 12. Sept. 1080: Formarum reductio ad sunp lice s° A u f diesem B latte ist L e ib n iz der erste B ew eis des FERMATschen Satzes gelungen.
2) In vention nouvelle en Valgebre, Am sterdam 1629; Neudruck Leyden 1884.
3) L ogique 496.
Leibniz auf der Sucbe nach einer allgemeinen Primzablgleichung
m utet wohl m it Recjat, daß
L e ib n iz
39
deren endgültige Form el (in heutiger
Schreibweise — ^—— ) auf der Seefahrt von England nach Holland im
Oktober 1676 gefunden habe. Denn L eib n iz schrieb 1695 an J oh . B e e n o u l l i
über sie: „Excogitavi olim mirabilem regulam“ 1); „mihi aliquando naviganti
in mentem venit” .2) Jedenfalls notierte er sich schon am 12. November 1677,
man könne 196 532 ins Quadrat erheben, wenn man m it den einzelnen
Summanden 2 + 30 + 500 + • • • nach einer Formel rechne. (Handschrift 9,
B latt 3, Rückseite.) Und im September 1678 finden sich die richtigen
Form eln der ersten Potenzen ausgeschrieben.3) Danach ist also C antoes
Grund dafür4), daß L e ib n iz die Polynomialkoeffizienten erst nach 1691 ganz
richtig habe berechnen können, nicht haltbar. L e ib n iz hat auf diesem Ge­
biete ganz sicher die P riorität der ersten Entdeckung vor J akob B eknoulli
und d e H o iy b e , und zwar die P riorität um Jahrzehnte.
Nach diesen Ausführungen über die LEiBNizschen Entdeckungen in
ändern Anwendungsgebieten
der Kombinationslehre können wir uns nuno O
m ehr der Geschichte seiner zahlentheoretischen Studien zuwenden, die dem­
selben Gedankenkreise entstammen und für deren Verständnis daher die vor­
angegangene Schilderung nötig war. Denn die F o r t s c h r i t t e , di e L e i b n i z
i n d e r Z a h l e n t h e o r i e g e m a c h t h a t , v e r d a n k t er f a s t a u s s c h l i e ß l i c h
k om bi na to ris ch en Hilfsmitteln.
Die Anregung zur Beschäftigung m it diesem durch V i e t e , B achet und
besonders F eem a t wieder in Fluß gekommenen Gebiete empfing L e ib n iz u . a.
durch A r n a u l d , der ihn 1675 auf die pythagoreischen Zahlen aufmerksam
machte.5) E r beschäftigte sich ferner m it dem Problem, ein rechtwinkliges
Dreieck zu finden, dessen Flächeninhalt eine Quadratzahl ist, und zwar m it
dem Beweise der Unm öglichkeit6); er nannte dies das „problema F e e n ic l i anum “, weil F e en ic l e es veröffentlicht hatte; doch stammte es eigentlich
von F eem a t , von dem F e e n ic l e verm utlich auch seinen Unmöglichkeits­
beweis übernommen hatte. L e ib n iz arbeitete ferner an Aufgaben von
folgender A rt: Drei Zahlen zu finden, deren Summe ein Quadrat und deren
Quadratsumme eine 4. Potenz is t7); drei Zahlen zu finden, so daß die
Summe und Differenz je zweier ein Quadrat is t8); er versuchte diese und
ähnliche d i o p h a n t i s c h e A u f g a b e n zu l ö s e n , i n d e m er di e Un b e 1) LEiBXizens M ath. Sehr. III, 175.
2) LEiBNizens M ath. Sehr. III, 192.
3) Math. V ol. III 3, B latt 8. V gl. ferner HI 4, B latt 32. III 3, Scheda VII (Juni
1682). X I I 1, B latt 163. LEiBNizens M ath Sehr. VII, 174 — 179 (N ova algebrae prom otio).
4) C a n t o r , Vorl. III *, 45, 330.
5) M ath. III B 8, B la tt 1, 2 (12. Dez. 1675). V gl. ferner Math. III B 20 (4. Dez. 1678).
6) M ath. IV 15 (29. Dez. 1678), gedruckt in LEiBN izens M ath. Sehr. VII, 120. IV 4
(Juli 1679), z . T. gedruckt bei C o d t u r a t , Opusc. 578.
7) Math. IV 4. III 16, 30.
8) Math. III B 19 (1. April 1676) 1H 16, 30.
40
D ie t r ic h M a h n k e
k a n n t e n m i t H i l f e ssei
e i ne s d y a d i s c h e n Z a h l e n s y s t e m s be s o n d e r s
e i n f a c h s c h r ie b .1)
Am meisten aber interessierten ihn das ungelöste Rätsel der Ano r n u n g d e r P r i m z a h l e n und die Untersuchungen über die T e i l b a r ­
k e i t d e r z u s a m m e n g e s e t z t e n Zahl en. Auf diesem Gebiete verfolgte
L e i b n i z einen zuerst von P ascal eingeschlagenen Weg weiter, der eine
Verbindung der Kombinatorik und Zahlentheorie herstellte. Eine Kom­
binationszahl oder, was dasselbe ist, eine figurierte Zahl muß ihrem Wesen
nach ganz sein. Da sie nun aber in der Formel die Form eines Bruches
h at, so muß der Zähler durch den Nenner teilbar sein. So ergibt sich
der Satz: Das Produkt von k aufeinander folgenden Zahlen ist teilbar
durch das Produkt der k ersten Zahlen, 1 • 2 • 3 . . . k, das wir jetzt gewöhn­
lich mit /.. bezeichnen.2) Hieraus leitete er im Januar 1676 neue interes­
sante Ergebnisse ab. (y + 1) (y -f 2) (y -f 3) ist durch 1 - 2 - 3 teilbar,
oder y3 + 6 y2 + 11 y + 6 ist durch 6 teilbar. Schreibt man nun 12y — y
statt 11 y, so folgt, daß auch y 3 — y durch 6, also erst recht durch den
Exponenten 3 teilbar ist und daß y
y oder y2 — 1 ebenfalls durch 3
teilbar ist, falls nicht y selbst ein Vielfaches von 3 ist. Ein ähnlich ein­
facher Satz läßt sich bei der 4. Potenz nicht ableiten, während für die
2 . Potenz selbstverständlich sowohl y2 + y wie y2 — y durch den Ex­
ponenten 2 teilbar ist. So weit war L e ib n iz am 23. Januar 1676 in
H andschrift 1 gekommen, in deren Überschrift er deshalb die Worte mit
aufnahm : „des diviseurs des puissances“.
W eiter gelangte er noch im selben Monat in der zweiten Handschrift
Der Herzog von R o a n n e z , P a s c a l s Freund, hatte L e ib n iz von den Anfängen
der W ahrscheinlichkeitsrechnung durch den Chevalier de Mere, P a s c a l,
F e r m a t und H u y g e n s berichtet und ihm die Aufgabe gestellt, die Zahl der
möglichen Fälle beim Würfelspiel zu berechnen. L e ib n i z verwandte dazu,
ähnlich wie T a r t a g l i a 3) , die Formel für die Kombinationen und das P a s c a lsche Dreieck in der Anordnung, die wir oben kennen gelernt haben. Bei
dieser Gelegenheit ließ er sich durch sein Interesse für das Problem der
Teilbarkeit der Zahlen zu einer Abschweifung verführen, deren interessante
Ergebnisse er an den Rand des begonnenen Entwurfes und auch quer über
diesen weg schrieb. Die wichtigsten sehen in der GAUSsischen Bezeichnungsweise folgendermaßen aus:
1) M ath. III 16, 29, 30 V gl. C o u t u r a t , Opusc. 571.
2) D iesen Satz h atte schon P a s c a l ausgesprochen und au f die gleiche Art be­
w iesen (D e num ericis ordinibu s tractatus, prop. 5 ).
Bei L e i b n i z findet er sich zuerst,
soviel ich sehe, in H andschr. 1 (3. Jan. 1676). Dann ist er auch übergegangen in die
Handschr. 20, gedruckt in LiciBNizens M ath. Sehr. VII 109— 113.
3) General tra tta to d i turnten, et m isure II (1556), Bl. 1 7 r.
Leibniz auf der Suche nach einer allgemeinen Primzahlgleichung
41
Der Zähler der y ten Dreieckszahl:
(y + 1) y = y 2 4- y = y 2 -f 2 y — y = y2 — y = 0 (mod 2).
Die Zähler der y teD Pyramidalzahl:
(y + 2)(t/ + l)i/ = 2/3+ 3i/2+ 2 y = y 3+ 3 y 2 + 3 y — y = y 3— y = 0(m od3).
Ebenso:
(</+4)(?/-l-3)(i/+2)(i/+l)i/ = i/5+10!/4+ 3 5 i/3+50?/2+ 24i/ = y b — y = 0(m od5).
So weit gelangt, fä h rt L e ib n iz fort: „Habemus ergotheorem aperelegans:
potestatem qvinti gradus latere minutam esse qvinarium. Unde crediderim,
si eontinuetur, hanc progressionem prodituram y 1 — y (id est 0) unitarius,
y3 — y ternarius, y b — y qvinarius, y~‘ — y septenarius.“ E r wollte also durch
Induktion folgern, daß für jede ungerade Zahl n und für jede ganze Zahl y
die Kongruenz gültig sei: yn — y = 0 (mod n). E r überzeugte sich durch
Zahlenrechnung davon, ob dies für y = 2 der Fall sei. Dabei stellte sich
heraus, daß 29 — 2 nicht durch 9 teilbar ist. L e ib n iz schrieb daraufhin
zur Reihe „29— 2 novenarius“ die W orte hinzu „non tarnen rursus“ und
fügte die Schlußbemerkung hei: „Ubi mirum solum novenarium dissentire,
exemplum elegans inductionis deceptricis.“ H ätte er die Rechnung noch
etwas weiter fortgesetzt, so würde er sicher durch Induktion gefunden
haben, daß der Satz nicht für alle ungeraden Zahlen, sondern für alle Prim ­
zahlen gültig ist, und e r h ä t t e d a m i t d e n FERMATSchen S a t z d u r c h
eine n ich t täuschende Induk tion gefunden.
L e ib n iz würde sogar auf dem angegebenen W ege einen vollständigen
Beweis des FERMATschen Satzes haben finden können. Denn der von ihm
betrachtete Ausdruck ist derselbe, den später L a g r a n g e 1) benutzt hat, um
gleichzeitig den FERMATschen und den WiLSONschen Satz zu beweisen. Nach
L a g r an g e ist nämlich
r - 1 - 1 = (y +
p
- 1) (y + P ~ 2) • • • 0 + X)
(modP)>
wenn p eine Primzahl ist. Daraus folgt, daß die Kongruenz y P ~ x= 1 (m od^)
p — 1 W urzeln hat, nämlich: 1, 2 ,. . ., ( p — 1), also alle zu p primen Zah­
len y. Ferner folgt, da die LAGRANGESche Kongruenz für alle y gilt, daß
die Koeffizienten der einzelnen Potenzen von y auf der linken und rechten
Seite kongruent sind.
Also ist:
1 • 2 • 3 . . . (_p — 1) = — 1 (m odp)
* 2 1 • 2 • • • {p - 2) = 2 1 •2 • • • (P ~ 3) •' •
i
i
i
(WiLsoNscher Satz),
- 2 = 2 1 = 0 (mod P>
1
1) N o u v e l l e s m é m o i r e s d e l ’ a c a d é m i e d e B e r l i n , Année 1771, p. 125.
42
D
ie t r ic h
M
ahnke
So allerdings hätte L e ib n iz noch nicht schließen können, da diese
Schlußweise eine ausgebildete Methode des Rechnens m it Kongruenzen
vorauBsetzt. Aber er hätte um gekehrt Vorgehen können. E r wußte, daß
n — 1
71 — 1
2/” - 1 + r ~ 2I ] l + r _ 3 5 ] l - 2 + • • • + l - 2 - . . ( » - l ) = 0 ( mo d » )
für alle ganzen Zahlen y und n ist. Ferner verstand er, wie wir gesehen
haben, die symmetrischen Funktionen 2 a m durch die elementaren, H a b e ...
auszudrücken, also hätte er auch um gekehrt 2 1 • 2 • 3 • • • durch 2 l m ausdrücken können. W enn er also noch P a s c a l s Form eln für die Summen der
Potenzen der aufeinander folgenden ersten ganzen Zahlen benutzt hätte,
so würde er Regeln für die Teilbarkeit der Koeffizienten jener Kongruenz
haben finden können. F ührt man den skizzierten W eg wirklich aus, so
n— 1
ergibt sich, daß ]£] 1 - 2 - 3 - - m durch n teilbar ist, solange n m it keiner der
i
Zahlen 1, 2, 3, . . ., (m -f- 1) einen gemeinsamen Teiler hat. Wenn also p
eine Primzahl ist, so ist
2 3 1 J S 1 • 2 = • *21■ 2 • • • {p - 2) | | 0 (m odp).
i i
i
Daher ist auch y?- 1 -f 1 • 2 • 3 • • • (p — 1) == 0 (mod p). Sonach ist der
pEBMATsebe auf den WiLSONSchen Satz zurückgeführt (oder umgekehrt).
Nachdem L e ib n iz den WiLsoNschen Satz entdeckt h atte1), bestand also für
ihn die M öglichkeit, m it seiner H ilfe auch den FERMATSchen Satz aus den
Formeln der figurierten Zahlen abzuleiten.
1)
L e ib n iz hat in der Tat, w ie V a c c a im B o l l. d i b i b l. e s t o r i a m a t. 1899,
festg estellt bat, den WinsoNSchen Satz schon etw a ein Jahrhundert eher erkannt, als
W a r i n g ihn in seinen M editationes algebraicae (Cantabrigiae 1770) veröffentlicht und
L a g r a n g e an der angegebenen Stelle ihn zuerst bew iesen hat. L e ib n iz hat näm lich in
H andschrift 25 die R este von 1!, 2!, 3! . . . 16! (mod 2), ferner die R eihe (mod 3) (mod 4 ) . . .
(mod 13) zusam m engestellt und daraus geschlossen: „Productus continuorum usqve ad
num erum, qui antepraecedit datum , divisus per datum relinqvit 1, si datus sit prim itivus. Sin datus sit derivativus, relinqvet numerum, qui cum dato habeat communem
mensuram unitate majorem .“ D. h..p — 2! = 1 (m odp), wenn p eine P rim zahl ist, dagegen
n — 2! = m (mod «), wobei m einen gem einsam en F aktor m it n besitzt. W ürde man die
erste Kongruenz m it p — 1 m ultiplizieren, so würde sich ergeben: p — l \ = p — 1 = — 1
(mod p), d .h . es würde der bekannte WmsoNSche Satz folgen. L e ib n iz hat nun seinen
induktiv gefundenen Satz noch bei der nächsten P rim zah l, ^> = 17, nachgeprüft, sich
dabei aber verrechnet. Er gib t näm lich an: 11! = 16 . . . 15! = 16, 16! = 1 (mod 17),
während in W irk lich k eit 11! = 1 . . . 15! = 1, 16! = 16 ist. Durch diesen R echenfehler
ist er veranlaßt worden, seinen richtigen Satz abzuändern und noch den falschen Zu­
satz zu m achen: . . . relinquit {l v el com plem entum ad l}, d. h. p — 1. In der T at ist
ja bei seiner R echnung 15! s 17 — 1, während in W irk lich k eit 15! = 1 ist. So erklärt
sich dieser falsche Zusatz, der V a c c a unverständlich war.
Leibniz auf der Suche nach einer allgemeinen Primzahlgleichung
43
Aber L e ib n iz ist diesen W eg nicht gegangen, sondern hat den Satz
später auf eine viel einfachere Weise gewonnen. E r hat überhaupt den Ge­
dankengang, der ihn eigentlich schon 1676 auf den FERMATschen Satz,
wenigstens induktiv, hätte führen müssen, nicht weiter in dieser Richtung
fortgesetzt, sondern ist nach einer anderen Seite abgebogen und hat die
gewonnenen Ergebnisse folgendermaßen ausgesprochen: „Omnis qvadratus
est aut ternarius aut unitate major ternario, omnis quadrato-quadratus aut qvinarius aut unitate major qvinario.“ Ferner folgert er aus —y = 0 (mod 5) und
dem Satze, nach dem die Differenz zweier verschiedenen Potenzen einer Zahl
immer eine gerade Zahl sein muß, daß y b - y durch 10 teilbar ist, daß also
im dekadischen Zahlensystem y b und y am Schlüsse dieselben Ziffern haben.
Ebenso haben y 3 und y 2, y 1 und y 3 usw. dieselben Ziffern am Schluß:
2°
21 22 23
1
4
2
8
2i
16
25
32
26
64
27
28
128 236
„Si exacte inspicias, est qvidam periodus in numeris progressionis geometricae, qui semper ordine redit. . . . Scilicet semper aeqvidistantes a se invicem subtracti relinqvent denarios.“ (Handschrift 2.) Hieraus ergibt sich
ein s e h r e n g e r Z u s a m m e n h a n g z w i s e h e n dem FERM ATschen S a t z e
u n d d er T h e o r ie d er P o t e n z r e s t e s o w ie der p e r io d is c h e n D u a lu n d D e z im a lb r ü c h e . D ie n ä h e r e V e r f o lg u n g d ie s e s Z u s a m m e n ­
h a n g e s i s t es d e n n a u c h g e w e s e n , d ie L e i b n i z in d e n n ä c h s t e n
J a h r e n zu r w ir k lic h e n N e u e n t d e c k u n g d es FERMATschen S a t z e s
g e f ü h r t h a t.
Ü ber die gewonnenen Ergebnisse hat L e ib n iz sich nach Handschrift 4 am
10. Februar 1676 m it dem Physiker M a riotte unterhalten und dabei gehört,
daß F r en ic le derartige Sätze auf andere A rt beweisen könne; doch scheint
M a rio tte nicht näher darüber unterrichtet gewesen zu sein. — Die von
L e ib n iz gefundenen Sätze finden sich auch in der 3. und 5. Handschrift.
Die letztere, der von G e r h a r d t gedruckte „Conspectus calculi“, muß auch aus
dieser Zeit stammen, weil in ih m 1) die ganz speziellen Sätze über die 3.
und 5. Potenz schon als „conseqventiae elegantes“ bezeichnet werden. Auch
das m acht diese Datierung gewiß, daß L e ib n iz hier noch keinen ändern W eg
kennt, um den Prim zahlcharakter einer Zahl festzustellen, als die Zerlegung
in F a k to re n 2)
In den nächsten Jahren dagegen fand er durch e i f r i g e B e s c h ä f t i g u n g
m i t d e n P r i m z a h l e n neue Mittel, um ohne Faktorenzerlegung über Teilbar­
keit oder U nteilbarkeit einer gegebenen Zahl zu entscheiden. Der Gewinn
solcher Mittel war für die Zahlentheorie von größter W ichtigkeit. Denn
bis dahin gab es keinen ändern W eg, um den Prim zahlcharakter einer be­
1) LEiBNizens M ath. Sehr. VII, 100.
2) LEiBNizens M ath. Sehr. VII, 93.
44
D
ie t r ic h
M ahnke
stimmten, vorgelegten Zahl p zu erkennen, als ihre Teilbarkeit durch die
sämtlichen Prim zahlen
]/p der Reihe nach durchzuprobieren, was bei
größeren Zahlen bald praktisch unmöglich wird. Es war also ein sehr rich­
tiger Gedanke von L e ib n iz , wenn er hier nach Erleichterungen spürte. T at­
sächlich ist es ihm auch gelungen, brauchbare Methoden auszubilden, um
ziemlich leicht festzustellen, daß eine bestimmte Zahl keine Prim zahl sein
kann. Das Problem der positiven Erkennung einer Primzahl glaubte er
später m it Hilfe des FERMATseben Satzes auch l ö s e n zu k ö n n e n , freilich mit
Unrecht. H ier haben erst E u l e r und L am bert ein Jahrhundert später den
richtigen W eg gefunden.
Die erste Tatsache, die L e ib n iz auf diesem Gebiete fand, war die, daß
jede Primzahl, die größer als 3 ist, um eins größer oder kleiner als ein
Vielfaches von 6 sein muß.1) L e ib n iz hat diesen Satz im wesentlichen An­
fang A pril aus der folgenden Anordnung der zusammengesetzten Zahlen er­
schlossen (Handschrift 6):
0 1 2 3 4 5 6 7 3 9
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Binarii:
Ternarii:
Qvaternarii:
In W orte gefaßt hat er die Regel zuerst am 7. September 1677 in
Handschrift 8. Die Entdeckung schien ihm damals sehr wichtig, und er
fügte daher eine genaue Bemerkung über die Abfassungszeit hinzu m it der
Begründung: „ut appareat, qvo progressu paulatim in hoc arcanum numericum penetraverim.“ Aber er war sich doch klar darüber, daß er hier
wohl ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kennzeichen der Primzahlen
gefunden habe, und erklärte es in dei selben Handschrift 8 für eine „qvaestio
ingeniosissima“ festzustellen, wie viel man gegen 1 wetten könne, daß eine
Zahl, die nach 6 den Rest 1 oder 5 lasse, wirklich eine Prim zahl sei. Immer­
hin hielt er seine Entdeckung auch so schon einer M itteilung im J o u r n a l
des s a v a n t s für würdig: Observation nouvelle del à manière d’essayer, si un
nombre est p rim itif, Februar 1678.2)
L e ib n iz suchte weiter nach einem n o t w e n d i g e n u n d h i n r e i c h e n ­
d e n P r i m z a h l k r i t e r i u m . Offenbar ist eine Zahl p stets dann und nur
dann eine Primzahl, wenn sie zum Produkte der Prim zahlen 2-3*5■••q (wo­
bei q die größte Prim zahl bedeutet, die
~]/p ist) prim ist (Handschrift 7,
1) D enselben Satz h at nach V a c c a (B ib i. m a t h . 2S, 1901, p. 149) schon
in seinem W erke N um erorum m ysteria (1599) ausgesprochen.
2) LEiBNizens M ath. Sehr. VII, 119, 120.
B ongo
P ie t r o
xjüiuiuz, am uer oucne nacn einer allgemeinen Primzahlgleichung
45
B latt 2, Vorderseite). Diesen bekannten Satz, der aber wegen der Größe
des Produktes zur wirklichen Feststellung einer Zahl als Primzahl meist
gänzlich ungeeignet ist, suchte L e ib n iz so umzugestalten, daß er für die
Rechnung brauchbar würde. E r glaubte schon mit dem viel kleineren P ro­
dukte 2-3-5- • -r auszukommen, das gerade noch <^p ist. Im Dezember 1677
notierte er sich darüber folgende Regel (Handschrift 10): W enn man das
P rodukt der aufeinander folgenden Primzahlen 2, 3, 5 • • • um 1 vermehrt
oder verm indert, so erhält man eine neue Prim zahl, wenn man es dagegen
um einen der anderen Faktoren vermehrt oder verm indert, so erhält man
eine zusammengesetzte Zahl. Der zweite Teil der Regel ist selbstverständ­
lich richtig. Dagegen braucht weder eine Prim zahl immer die Form
2 •3 •5 • • • + 1 zu haben, noch ist eine Zahl von der Form 2• 3• 5• • • p + 1
immer eine Primzahl. Denn erstens ist 11 weder gleich 2-3 4- 1, noch
gleich 2-3-5 — 1, und zweitens ist 2-3-Ö-7-11 • 1 3 -f-1 = 30031 = 59-509
und 2-3-Ö-7 — 1 = 209 = 11-19. Vielmehr läßt sich, wie schon E u k l id
wußte und zum Beweis der unendlichen Anzahl der Primzahlen benutzte,
nur behaupten, daß 2 • 3 • • • p + 1 entweder selbst eine Prim zahl ist oder
Primzahlen als Faktoren enthält, die unter den Primzahlen 2, 3, -•-, p noch
nicht vorgekommen sind.
Auch mit dieser neuen Regel hatte also L e ib n iz sein Ziel einer all­
gemeinen Prim zahlgleichung noch nicht erreicht. E r suchte deshalb weiter
und fand endlich das Gesuchte von ganz anderen Seiten her, als nämlich
die Theorie der Dual- und Dezimalbrüche, die Potenzsummenformeln und der
polynomische Lehrsatz ihn nacheinander auf den FiiiiMATSchen Satz führten.
M it d en P e r i o d e n d e r D u a l - u n d D e z i m a l b r ü c h e b e s c h ä f t i g t e
L e i b n i z v o m J a h r e 1677 an.
Zur gleichen Zeit schrieb auch
W a l l is in seiner Algebra1) darüber. Dieser war der Meinung, der erste zu
sein: „Nescio an quisquam me prior eam distincte examinaverit“.2) Doch
war L e ib n iz schon viel weiter gelangt als W a llis . L e ib n iz wußte nämlich
sich
nicht nur wie jener, daß die Perioden der Dezimalbruchentwicklung von 1
höchstens n — 1 Stellen und h ä u f i g einen echten Teiler von n — 1 als
Stellenzahl haben, sondern genauer, daß das letztere immer dann eintritt,
wenn n eine Prim zahl ist. Außerdem aber hatte er schon die wichtigste
Tatsache des ganzen Gebietes erkannt, näm lich seine enge Verbindung mit
dem FEEMATSchen Satze, die erst fast ein Jahrhundert später von L am bert
wieder entdeckt worden ist.3)
1)
H and sch riftlich fe rtig g estellt 1676, zuerst gedruckt: englisch 1685, dann
latein isch in seinen Opera om n ia, Oxoniae 1693.
2) Opera II, 364
3)
A c t a H e l v e t i c a 1758. (H o v a a c t a e r u d i t o r u m 1769, p. 107— 128: A dnota tio quaedam de num eris eorumque anatom ia. V gl T r o p f k e , Gesch. I , 9 4 , 9 5 .
D
46
ie t r ic h
M
ahnke
wurde auf die Perioden der Dual- und Dezimalbrüche durch
seine Beschäftigung mit den dyadischen Zahlen und den Potenzresten ge­
führt. Einen speziellen Fall des grundlegenden Satzes hatte er, wie er­
w ähnt, schon 1676 gefunden: Die steigenden Potenzen von 2 lassen nach
L e ib n iz
10 immer die Beste 2, 4, 8, 6 in periodischer Folge. W enn man also
in
einen Dualbruch entwickelt, so erhält man, nachdem diese Reste alle vor­
gekommen sind, wieder dieselben Reste, demnach auch dieselben Quotienten,
mit anderen W orten eine Periode von 4 Stellen. Ebenso lassen die Potenzen
von 2 nach jeder anderen Zahl n , die nicht selbst eine Potenz von 2 ist,
eine periodisch wiederkehrende Reihe von Resten, und deshalb ergibt auch
* einen periodischen Dualbruch.
Z. B. ist
dyadisch geschrieben
~ = 0,010101 . . . .
Nun können aber offenbar bei der Division durch n höchstens n — 1 ver­
schiedene Reste auftreten, also kann die Periode höchstens n — 1 Stellen
haben. L e ib n iz glaubt aber noch mehr daraus schließen zu können. Da
nämlich der Dividendus 1 sich als der erste Rest betrachten läßt, so meint
er, auch die 2. Periode beginne damit, daß der Rest 1 wieder auftrete. Dem­
nach würde es immer eine Potenz von 2 m it dem Exponenten k < n geben,
die, durch n geteilt, den Rest 1 läßt: 2* = 1 (mod n), wobei k < n ist.
In solcher Allgemeinheit ist di e s e A u s d e h n u n g des FERMATSchen
S a t z e s a u f z u s a m m e n g e s e t z t e M o d u l n allerdings falsch. L e ib n iz hat
den Irrtum aber später selbst berichtigt. N ur dann näm lich beginnt die
2. Periode beim Reste 1, wenn n nicht durch 2 teilbar ist. Ist n dagegen
eine gerade Zahl, so beginnt die Periode m it einem späteren Reste, z. B. in
dem oben erwähnten Falle, n = 10, mit dem 2. Reste. Vor der 4ziffrigen
Periode kommen dann noch Vorziffern. Demnach ergeben die Brüche mit
geradem Nenner nichtreinperiodische Dualbrüche („non pure periodicos“,
H andschrift 38), alle Brüche m it ungeradem Nenner dagegen lassen sich in
reinperiodische Dualbrüche entwickeln.
Ähnliches gilt im triadischen, tetradischen . . . dekadischen System. Im
triadischen System allerdings kann der erste Rest außer 1 auch 2 sein
^nämlich bei
im tetradischen 1, 2, 3 und im dekadischen 1, 2 . . . 9.
Durch diesen Gedankengang scheint L e ib n iz auf den Satz geführt worden
zu sein: „Omnis numerus exacte dividit aliqvem numerum progressionis geometricae duplae unitate minutum. Omnis numerus exacte dividit aliqvem
numerum progressionis geometricae triplae vel unitate vel binario m inu­
tum etc.“ (Handschr. 12). Nämlich wenn die geometrische Reihe, deren
Quotient 3 ist, das 1. Glied 1 hat, so läßt ein Glied der geometrischen Reihe
bei der Division durch n (vorausgesetzt allerdings, daß n und 3 teilerfrem d
■ner allgemeinen Primzahlgleichung
47
sind, was L eibniz in dieser ersten Zeit übersehen und erst später verbessert
hat) den Rest 1 , und zwar ist dies spätestens das Glied der Form 3,i—h Ist
dagegen das erste Glied gleich 2, so läßt dasselbe spätere Glied den Rest 2.
Die Dezimalbrüche stehen in der gleichen Beziehung zu den Potenzen
von 10 wie die Dualbrüche zu den Potenzen von 2. So ergibt sich denn,
daß jede Zahl n (die zu 10 prim ist, was L eibniz wieder zunächst vergessen
hat) in irgendeiner um eins verminderten Potenz von 10, also in irgend­
einer Zahl der Form 999 . . . aufgeht, und zwar spätestens in der Zahl mit
n — 1 Neunenn, oder anders ausgedrückt, daß — als Dezimalhruch eine
n
i
Periode von höchstens n — 1 Stellen ergibt.1) J e d e r B r u c h —; d e sse n
'
n
N e n n e r zu 10 p rim i s t , l ä ß t s ic h a ls o d u rc h e in e n r e i n p e r i o d i ­
sc h e n D e z im a lb ru c h m it e in e r e n d lic h e n A n z a h l v o n P e r i o d e n ­
s t e l l e n d a rs te lle n .
Diesen wichtigen Satz versuchte L eib n iz , wie nebenbei bemerkt sein
mag, schon 1677 zu einem B e w e is e f ü r die I r r a t i o n a l i t ä t v o n n zu
benutzen. Seit 1674 kannte er, wie erwähnt, die Formel
Entwickelt man nun sämtliche Brüche in Dezimalbrüche, so erhält man
immer länger werdende Perioden. Die Summe aller, meint L e ib n iz , hat dem­
nach eine unendlich lange Periode, ist also irrational. Der Beweis ist un­
richtig. Denn eine Summe von unendlich vielen, immer länger werdenden
periodischen Dezimalbrüchen kann sehr wohl rational sein. Z. B. ist
1
i
1
l
=
1 = 3
3
9
27 " "
.
i-
2 '
f
3
Aber interessant ist doch, daß L e ib n iz schon damals wenigstens einen Be­
weis der Irrationalität zu geben v e r s u c h te und die Hoffnung aussprach,
daß es auf ähnliche Weise auch gelingen würde, die Unmöglichkeit der
Quadratur des Kreises mit Zirkel und Lineal zu zeigen.2) W irklich gelungen
ist bekanntlich der Beweis, und zwar zunächst nur der der Irrationalität
von 7t, erst L a m b e r t 3) im Jahre 1766, und zwar mit Hilfe der Kettenbruch­
entwicklung, statt der von L e ib n iz benutzten Dezimalbruchentwicklung.
1)
U m gekehrt, um die Zahl der Periodenstellen von
)
genauer festzustellen,
muß man zusehen, in w elcher der Zahlen 9, 99, 999 . . . n zuerst aufgeht. D iese R egel
gibt L e i b n i z in Handschr. 38 nnd 39.
2)
„Ex eo . .. aliq va videtur aperiri via ad demonstrandam qvadraturarum qvarundam im possibilitatem . Certe illud hinc jam consecutus sum, ut possim demon­
strare diam etrum et circum ferentiam non esse inter se in ratione numeri ad numerum,
qvod hactenns fecit nem o.“ (Handschr. 9.)
3)
Beytriige zu m Gebrauche der M athem atik II, Be rlin 1 7 7 0 , S. 1 4 0 — 1 6 9 , n a c h
der Vorrede schon 1 7 6 6 geschrieben. Vgl. T r o p f k e , Gesch. II, 1 3 3 .
4g
D
ie t r ic h
M ahnke
Seine Entdeckungen über die Perioden der Dezimalbrüche bat L e ib n iz
später noch weiter verfolgt und verbessert, besonders seitdem er den F e r m a t schen Satz genauer kennen gelernt hatte. H ierher gehören außer den er­
wähnten Handschriften 9 und 12 noch die Handschriften 11 und 14 und
vor allem eine aus dem Januar 1687 stammende ausführliche Abhandlung,
H andschrift 38 und 39, über die er selbst geschrieben hat: „insignia in­
venta“ und die m it den W orten schließt: „cuius rei (nämlich der Anzahl
der Periodenstellen bei Prim zahlnenner) regula et progressione detecta, puto
arcanam prim itivorum numerorum naturam magis tándem detectum iri .
Die historische Entw icklung ist anders verlaufen: nicht die Lehre von
den periodischen Dezimalbrüchen hat die Zahlentheorie gefördert, sondern
umgekehrt, der systematische Ausbau der Zahlentheorie durch G atjss hat
die Lehre von den periodischen Dezimalbrüchen zur Vollendung geführt.
Ich breche deshalb hier mit der Erörterung der LEiBNizschen Untersuchungen
über die Perioden der Dezimalbrüche ab, um mich der rein zahlentheoreti­
schen Form ulierung des FERMATSchen Satzes zuzuwenden.
L e ib n iz hatte zunächst, wie wir sahen, fälschlich gemeint, für jede be­
liebige Zahl n ließe sich ein 1c < w finden, so daß 2k = 1 (mod n), ebenso
3* = 1 (mod 3), allgemein ak = 1 (mod n ) würde. E r bem erkte aber bald,
daß der Satz in dieser Allgemeinheit unrichtig sei. Ist dagegen n eine Prim ­
zahl, so gilt er sicher für alle o, die nicht gerade Vielfache von n sind.
Aus diesem Grunde sah sich L e ib n iz genötigt, nachträglich in den Hand­
schriften 12 und 14 zu dem Satze: „Omnis num erus exacte dividit aliqvem
num erum progressionis geometricae duplae unitate m inutum “ die Notiz hin­
zuzufügen: „{falsum nisi de prim itivo}“, die sich tiurch Schrift und Tinte
als später hinzugefügt zu erkennen gibt.
\
Ist aber n eine Prim zahl, so kann man den Satz auch noch genauer
formulieren. Denn in diesem Falle erfüllt sicher Je = n — 1 die verlangte
Bedingung, und es ist an~ 1 = 1 (mod n). Diese Tatsache hat L e ib n iz am
12. S e p te m b e r 1680 zugleich m it ihrem Beweise entdeckt (Handschr. 13).
V on d ie s e m T a g e s ta m m t s o n a c h d e r e r s te b e k a n n te B e w e is des
FERMATSchen S a tz e s . Da L e ib n iz meinte, auch um gekehrt behaupten zu
können, daß jener Satz n u r für Prim zahlen gültig sei, so war dam it endlich
— so glaubte er — das lange gesuchte notwendige und hinreichende Kenn­
zeichen der Prim zahlen gefunden, das er noch am 18/28. Mai 1680 in einem
Briefe an C l ü v e r vermißt hatte.1)
L e ib n iz fand den Satz oder vielmehr einen allgemeinen S atz, der den
FERMATSchen einschließt, bei Gelegenheit seiner Untersuchung der „Formen“,
1)
L E iB N izens M ath. Sehr. VII, 18. R esolutio numerorum in factores prim itivos
et inventio certae notae reciprocae, qua prim itivi a derivativis sine ta b u lis et calculi
m olestia discerni possint, res est nondum satis a quoquam tractata
Leibniz auf der Suche nach einer allgemeinen Primzahlgleichung
49
insbesondere bei der Zurückführung der Potenzsunimen auf die elementaren
symmetrischen Funktionen. L eib n iz hatte am 12. September einen Entw urf
begonnen, der die Überschrift trug: „Form arum reductio ad simplices“
(Handschr. ] 3). Hier stellte er zunächst die jetzt sogenannten NswTONSchen
Potenzsummenformeln zusammen, die er, wie erwähnt, seit spätestens 1978
kannte. Bei der Formel für die 5. Potenz angekommen, fiel ihm plötzlich
auf, daß sämtliche Koeffizienten außer dem ersten =
5 seien, ebensobei a 2
alle = 2und bei a 3 alle = 3, dagegen bei a 4 nicht alle = 4.Da er jetzt
mehr als 1676 an die Beschäftigung
O O mit PrimzahlenO gewöhntwar,
' schloß
er sofort induktiv (was er damals bei ähnlicher Gelegenheit versäumt hatte):
Die Teilbarkeit durch den Exponenten wird bei allen Primzahlen vorhanden
sein. Also folgt
(a + b + c 4---- ) '; — cip — bp — cp — •. • = 0
(mod p),
wenn p eine Primzahl ist. Setzt man insbesondere a = b — c • • • = 1 und
a + b -\- c
= 1 + 1 + 1 -f- • • • = x , so ergibt sich
xp —x = 0
(mod p).
Ist x = 2 und p eine Primzahl > 2, so folgt daraus 2p~ 1— 1 = 0 (mod p).
L e ib n iz erinnert sich sofort daran, daß er einen ähnlichen Satz von
den Dualbrüchen her schon kennt. Jede Zahl n teilt ja, wie er meint, irgend­
ein um 1 vermindertes Glied der geometrischen Reihe mit dem Quotienten 2.
Als neu gewonnen ist also die Erkenntnis hinzuzufügen, daß dies für die
Primzahlen n immer gerade das Glied 2 " —1 ist. L e ib n iz vermutet, daß
dieser Satz auch umkehrbar sein wird: Wenn nicht das (n — l ) te, sondern
schon ein früheres Glied die Teilbarkeitseigenschaft hat, so ist n keine
Primzahl. „Videtur haec esse proprietas reciproca numeri prim itivi“ (Hand­
schrift 13).
Die letze Verm utung ist unrichtig, insofern sie sich auf die spezielle
geometrische Reihe m it dem Quotienten 2 bezieht. Denn erstens kann auch
bei Teilung durch eine Primzahl schon ein früheres Glied, 2i, den Rest 1
lassen, wenn nur 7c ein Teiler von n — 1 ist, und zweitens gibt es auch
Nichtprim zahlen, nach denen das (n — l ) te Glied den Rest 1 läßt, wie ich
gleich noch näher ausführen werde.
L e ib n iz hat selbst gefühlt, daß nicht nur für seine Um kehrung der Be­
weis noch fehlt, sondern auch der Beweis des direkten Satzes unvollständig
ist. Denn daß die Koeffizienten, die in den Potenzsummenformeln auftreten,
immer alle durch n teilbar sind, wenn n eine Primzahl ist, das hat er nur
induktiv, und zwar nur für wenige Fälle gezeigt. Diese Lücke hat er aber
bald ausgefüllt, indem er noch einen weiteren Beweis fand, bei dem die Teil­
barkeit der benutzten Koeffizienten leicht streng gezeigt werden kann. Viel­
leicht noch am 12. September 1680 oder wenige Tage später sah er nämB ib lio tlie c a M a th e m a tic a - TIT. F o lg o .
X IT I
4
D ie t r ic h M
50
ahnke
lieh, daß man den besonderen Fall 2 p — 2 = 0 (mod^i) auch aus dem b i n o ­
m is c h e n S a tz e ableiten könne. Denn es ist ja
( 1 + 1 )3 = i + 3 +
3 + 1
(1 + 1)4 = 1 + 4 +
6 + 4 + 1
(1 + 1 )5 = 1 + 5 + 1 0 + 1 0 + 5 + 1 .
Also ist 2 3 — 2 durch 3, ebenso 2 5 — 2 durch 5, aber nicht 24 — 2 durch 4
teilbar.1) Daß aber die hier auftretenden Binomialkoeffizienten einer Prim ­
zahlpotenz außer dem ersten und letzten durch den Prim zahlexponenten teil­
bar sind, das vermochte er 1681 leicht zu zeigen, als er aus deren Formeln,
die ja zugleich Form eln der „numeri com binatorii^ sind, Regeln für die Teil­
barkeit von Zahlen ableitete. Denn wenn p eine Prim zahl ist, so kann in
keinem der Brüche
P p{p —1)
p(p — l) • • • 1
i ’ i -2 ’ “ ’’ i • 2 • • • Cp —i)
der F aktor p des Zählers fortgehoben werden. (H andschrift 18.)
Mit den gleichen Hilfsm itteln versuchte L eibniz nun auch seine Um­
kehrung zu beweisen, kam allerdings in H andschrift 18noch nicht damit
zustande, meinte aber in H andschrift 1 9 2) fälschlich, das Ziel erreicht zu
haben. E r hielt den folgenden Beweis für ausreichend, wie dessen Auf­
nahme in die zusammenfassende D arstellung des ganzen Gebietes, Hand­
schrift 34, zeigt:
W enn n keine Primzahl, sondern etwa = r • s ist (wobei r den kleinsten
in n enthaltenen Prim zahlfaktor bedeutet), so sind die Zahlen n — 1, n — 2- • •,
n — (r _ i) nicht durch r teilbar. Also kann sich in dem Koeffizienten des
(r + l) te n Gliedes von (1 + 1)” :
n (n — 1)- ■■(n — r +
1-2 ■ ■■ r
1)
1) D iesen B ew eis h at L e i b n i z m it flüchtiger Schrift und blasser T inte ganz unten
au f den (heute schon z .T . abgerissenen) Rand der H andschrift 13 geschrieben.
2) D ie H andschrift III 26 en th ält zw ei E ntw ürfe der A bhandlung: D e prim itivis
ex tabula com binatoria (Dez. 1681) und den E ntw urf der dam it zusam m enhängenden
A bhandlung: De prim itivis et divisoribus ex tabu la com binatoria, der in L eib n ize m s
M ath. Sehr.V I I 109— 113 gedruckt ist. D ie ersten Entw ürfe geb en den B ew eis der Um ­
kehrung des FERMArschen Satzes aus den K om binationszahlen, dienen also der A ufgabe der
Prim zahlerkennung. Der dritte Entw urf dagegen b esch ä ftig t sich nur m it der A bleitung
von T eilbarkeitsregeln aus den K om binationszahlen, so daß der erste T e il des T itels
eigen tlich a u f ihn nicht recht m ehr paßt. Es ist m erkw ürdig, daß G e r h a r d t die beiden
ersten, m indestens ebenso interessanten Entw ürfe gar n ich t beim Druck b erücksichtigt
und nicht einm al das D atu m , das offenbar für den dritten E n tw urf auch ungefähr
rich tig ist, angegeben bat. So sieh t sich C a n t o r (V orl. IIP , 44) zu einer bloß en Ver­
m utung über die A bfassungszeit der b ei G e r h a r d t gedruckten A b handlung gen ötigt,
d ie allerdings ziem lich genau das R ich tige trifft (1680).
Leibniz auf der Suche nach einer allgemeinen Primzahlgleichung
51
der Faktor r des Nenners nur gegen den ersten Faktor des Zählers fort­
heben. Also ist dieser Koeffizient, der ja eine ganze Zahl sein muß, nicht
mehr durch n, sondern nur noch durch s teilbar, in der Tat ist, da 4 den
Faktor 2 enthält, der Koeffizient des (2 -f l ) ten Gliedes von (1 + l ) 4,
^
nicht mehr durch 4, sondern nur noch durch 2 teilbar. Es ist also bewiesen,
daß nicht alle Glieder in der Entwicklung von 2" — 2, wenn n keine Prim ­
zahl ist, durch n teilbar sind. L eib n iz folgert daraus, daß auch 2" — 2
nicht durch n teilbar ist — mit Unrecht, denn es kann sehr wohl ein­
mal, wenn auch nur in besonderen Fällen, die Summe durch n teilbar sein,
wenn die Summanden nicht teilbar sind.
Aus den Formeln der Binomialkoeffizienten ist der FERMATSche Satz
zunächst nur für die Basis 2 bewiesen. Um ihn in den übrigen Fällen ab­
zuleiten, wendet L eib n iz nicht wie später E u l e r den Schluß von n auf n + 1
an, sondern beruft sich auf den p o ly n o m is c h e n L e h r s a tz , den er ja, wie
erwähnt, schon 1676 entdeckt hatte. W enn ® = a + 6 - f c + -- - ist, so ist
x n — an + f a n~ l b + gan~ 2b2 + han~ sbc + • • •
W enn n eine Prim zahl ist, so sind sämtliche Polynomialkoeffizienten f,g ,h - ■■
durch n teilbar, also ist auch x n — a" durch n teilbar. Für a = b = c ■ ■= 1
folgt darausyjr"— a; = 0 (mod n), und wenn x und n prim sind: x n~ 4— 1 = 0
(mod n ). (So wohl zuerst in der leider nicht datierten Handschrift 30, dann
in der Nova algebrae promotio}))
Man könnte nun meinen, daß bei allgemeiner Basis der LEiBNizsche Beweis
der Um kehruog des FERHATSchen Satzes ausreichend sei, daß also die Kon­
gruenz x " ~ 1 = 1 (mod n) für a lle zu n primen x nur dann erfüllt sein könne,
wenn n eine Primzahl sei. Da nach einer brieflichen Mitteilung von Herrn
Professor B achmann in W eimar über die Richtigkeit einer solchen Umkeh­
rung noch nichts in der L iteratur festgestellt ist, so habe ich zu ihrer P rü ­
fung nach den Bedingungen gesucht, denen a und n genügen müssen (n als
zusammengesetzte Zahl vorausgesetzt), wenn die FERMATSche Kongruenz für
x — a und den Modul n bestehen soll. Es sind die folgenden:
Es sei n = pVqßrf • ■■ die Darstellung von n durch die ganzzahligen
Potenzen von lauter verschiedenen wachsenden Prim zahlen (2, 3, 5 • • •);
ferner seien h',l, in - ■• die Exponenten, zu denen a (mod p), (mod q), (mod >•)•••
gehört, und x, l, p • • • die größten Exponenten von p , q, r • • für die noch
a * = 1 (modp*), al= 1 (mod g/),
1 (mod rf‘) ■■■ ist. Bei diesen F est­
setzungen ist für eine bestimmte zu p q r ■■■ prime Zahl a stets dann und
nur dann a”—1- = 1 (mod n ), wenn a <; x,
g ■• ■ und k Teiler von
qPr Y . . . — l Teiler von p arr ■■• — 1, in Teiler von v aqß
• • • ist.
1) LEiBNizens M ath Sehr. VII, 180 und 181.
D
52
ie t r ic h
M
ahnke
Daraus folgt: wenn n eine Potenz p a einer Prim zahl ist, so kann die
PERMATSche Kongruenz wohl für bestimmte x bestehen (z. B. ist 8 8= 8 2= 1
(mod 3 2), 3 120 = 3 10- l (mod l l 2)- • •), aber nicht für alle zu n prim en x.
Denn lür die prim itiven W urzeln b (mod p a) ist der kleinste Exponent, bei
dem bh 1 (m odp a) wird, h = (p — 1) p “~ 1- Also kann nicht schon bk ; 1
(m o d p K) sein, wo lt <)p — 1 ist.1)
Ebenso wenn n ein Produkt zweier Prim zahlen p ■q ist, so kann die
FERMAXsche Kongruenz für bestimmte x sehr wohl gelten (z. B. ist 4 11= 4 2= 1
(mod 3 • 5), 3 90= 3 « = 1 (mod 7 -1 3 ) , 23i0= 2 10= 1 (mod 11 • 31) ■••), aber
nicht für alle zu n prim en x. Denn die eine Kongruenz, der die geeigneten x
genügen müssen, ist x p~ x~ 1 (mod q). Diese Prim zahlkongruenz hat aber
n ur p — 1 W urzeln unter den Zahlen bis q, also (p — l ) j i Lösungen b isp g ,
während es (p — 1) (q — 1) zu n prime Zahlen gibt. Es gibt also sicher
(p — 1 ) (q —p — 1) prime Zahleu x, für die x n~ 1 nicht
1 (mod n) ist. (Der
Fall p = 2, q = 3, in dem q — p — 1 = 0 werden würde, kann außer B etracht
gelassen werden, da a2p ~ 1 - a (mod 2p) für alle zu 2p primen a ist, also
nie an ~ 1 = 1 (mod n ) werden kann, wenn n — 2p ist, außer für a = 1 .)
W enn aber n ein Produkt von drei oder mehr verschiedenen Prim zahlen
ist, so steht dem Erfülltsein der Kongruenz x n _ 1 —. 1 (mod ri) für alle zu n
prim en x kein Hindernis entgegen2), und ich habe tatsächlich Zahlen g e ­
funden, für die die Möglichkeit wirklich wird, z. B.
« = 3 -1 1 -1 7 ; 5- 13-17, 5 -1 7 -2 9 , 5 -2 9 - 7 3 ; 7 -1 3 -1 9 ,
Die LEiBNizsclie U m kehrung des FERMATSchen Satzes ist also auch bei
allgemeiner Basis falsch. Die richtige U m kehrung heißt vielmehr: Wenn
für ein bestimmtes a die Kongruenz ah 1 (rnodw) für h — n — 1 erfüllt ist,
dagegen
niemals O
gilt,/ wenn h ein echter Teiler von n — 1 ist, so ist n
Oo
Prim zahl. (Dieser von L ucas stammende S atz3) läßt sich übrigens aus dem
obigen Satze aufs neue beweisen). Die LEiBNizschen Bemühungen haben
demnach nur insofern W ert, als sie zum erstenmal auf die N o t w e n d ig ­
k e i t e in e r U m k e h r u n g d e s FERMATSchen S a tz e s hingewiesen haben,
um daraus ein Mittel abzuleiten, die Prim zahlen ohne Durchprobieren der
1)
W ährend des Druckes h a t die genauere Untersuchung m ich auf den B ew eis
des folgenden Satzes geführt: D ie Kongruenz ici ',<— 1 = l (mod p“) h a t gen au p — 1
W urzeln, näm lich je eine aus jeder R estk lasse (mod p ). Also g ilt, w enn der Modul
eine P rim zahlpotenz ist, die PEBMATSche K ongruenz nur h ei sehr w en igen prim en x.
2) D asselb e Ergebnis hat Herr Prof. B a c h m a n n nach einer neuen b rieflich en
M itteilu ng direkt a b geleitet, ohne U ntersuchung der F älle, in denen die Kongruenz
w enigstens für ein ige a erfüllt ist.
3) A m e r . j o u r n . o f m a th . 1, 1878, p. 184, 289. V gl. B a c h m a n n in der E n zyk l.
der m ath. W issenschaften, Bd. 1, S. 576/7; ferner B a c h m a n n , N iedere Zahlentheorie, Bd. 1
(L eip zig 1902).
o.ner allgemeinen Primzahlgleichung
53
Teilbarkeit zu erkennen. Da aber die LEiBNizsche Umkehrung unrichtig
ist, so ist die von ihm daraus abgeleitete Methode zur Primzahlerkennung
auch unrichtig, wie wir bald näher sehen werden.
Vorher haben wir uns noch m it einigen anderen zahlen theoretischen
Untersuchungen zu beschäftigen, die L eibniz in den achtziger Jahren des
17. Jahrhunderts angestellt hat uud die zu dem FERMATSchen Satze in enger
Beziehung stehen. In jener Zeit trat ihm nämlich das Problem der v o llk o m m n e n Z a h le n nahe „ex M. J o h . W ilh. P a u l i Philintri(?)Lips. de num.
perf. Lipsiae 1678“, einer mir unbekannten Schrift. (Handschrift 15.) Dies
Problem steht zum FERMATSchen Satze in Beziehung, weil auch bei ihm
ein Ausdruck der Form 2" — 1 die Hauptrolle spielt. Schon in Handschrift 16
kom m t L eibniz die Analogie in den Sinn: „ 2 2i + 1— 2* erit numerus perfectus, si 2*+1 — 1 est primitivus. Item 2 2—1 — 1 erit divisibile per s, si z est
primitivus.“ Die Verbindung wird noch enger durch einen Satz, den L e ib ­
niz beim „Philintrus“ (?) las:
Die Summe der Glieder der geometrischen
Reihe 1, 2, 2 2 ... kann nur dann eine Primzahl sein, wenn die Gliederzahl
eine Primzahl ist. Damit also 2n — 1 eine Primzahl (daher nach E uklid
( 2 « — 1 ) • 2" _ i eine vollkommne Zahl) ist, m uß n eine Primzahl sein. Aber
wenn n eine Primzahl ist, so braucht 2n — 1 noch k ein^ Prim zahl zu sein.
Primzahlen sind nach dem Philintrus (?) 22— 1 , 23— 1 , 2 5 —1 , 2 7 — 1 , 2 13— 1 ,
2 17 — 1, 2 19 — 1, und zu ihnen gehören daher 7 vollkommne Zahlen. Da­
gegen ist 2 11 —1 teilbar durch 23, 2 23 — 1 teilbar durch 47 und 2 41 — 1
teilbar durch 83. Merkwürdigerweise haben alle drei Teiler von 2n — 1 die
Form 2 n -f 1. Diese Tatsache fand L eibniz beim Philintrus (? ) angegeben.
E r legte sich nun die Aufgabe vor, den Grund für diese merkwürdige Teil­
barkeitserscheinung zu finden.
M an s i e h t d a r a u s , daß L e i b n i z d a m a ls F e r m a t s 1679 e r ­
s c h ie n e n e Varia opera mathematica n o c h n i c h t k a n n te . Denn nach
p. 163, 164, 177 dieser Opera hatte F e r m a t schon 40 Jahre vor dem P hilin­
trus (?) in Briefen an F r e n i c l e und M e r s e n x e hervorgehoben, was man bis
dahin wohl nicht gewußt h atte1), daß 2^ — 1 keine Primzahl zu sein brauche,
wenn p es sei, und ferner noch, daß 2^— 1, wenn es keine Primzahl sei,
lauter Prim zahlteiler der Form 2 lp + 1 haben müsse. E r hatte dies aus
seinem Satze gefolgert: W enn 2p = 1 (mod p t ) ist, so ist p ein Teiler von
p L — 1 oder um gekehrt p i = k p + 1 . W enn aber p eine ungerade Prim zahl
ist, so muß ft eine gerade Zahl 21 sein, weil sonst Icp + 1 eine gerade Zahl
sein würde. Also hat jede Prim zahl, die 2p — 1 teilt, die Form 21 p + 1.
1) S t if e l hatte in der A rithm etica integra (1544), Bl. 10^, g em ein t, 2" — 1 sei
alle ungeraden n eine Prim zahl. D ieselbe M einung h atte T aktag lia im General
trattato d i num eri, et m isure II (1556), Bl. 146v, ausgesprochen.
fü r
54
D ie tric h
M ahnke
Daß ferner l = 1 ist, daß also der Teiler von 2 p - l die Form
Pi— 1
Pl = 2 ^ + 1 hat oder um gekehrt 2 2 = 1 (m o d ft) ist, tritt nach F eemat,
p. 164, z. B. ein, wenn p l = a 2 — 2 ist. also wenn 2 (nach späterer Ausdrucks­
weise) quadratischer Rest (mod^q) ist. Dies ist z. B. bei p^ = 23 = 5
2
der Fall, und so erklärt sich die merkwürdige Erscheinung, daß 2 11 - 1
(mod 23 = 2 • 1 1 -f 1 ) ist.
Als L eibniz später F eemats W erke studierte, hatte er die Fragestellung,
auf die ihn die Lektüre des Philintrus (?) geführt h atte, längst vergessen,
oder jedenfalls kam ihm der Zusammenhang nicht zum Bewußtsein Und
als er in noch späteren Jahren wieder einmal auf die vollkommnen Zahlen
zurückkam (Handschrift 31, 32, 34.), war ihm das früher Gelesene sogar so
vollständig aus dem Gedächtnis entschwunden, daß er jetzt wieder zu der längst
widerlegten Meinung zurückkehrte, 2P — 1 müsse immer eine Prim zahl sein,
wenn p es sei. In Handschrift 3 1 äußert er diesen Satz als bloße Vermutung,
sucht ihn aber in Handschrift 32 und 34 (B latt 28, Rückseite) sogar durch
eine unerlaubte „conversio per contrapositionem “ zu beweisen ( 2 ^ — 1 und
2pr — 1 haben den gemeinsamen Teiler 2‘>— 1. Ü berhaupt geht der Teilbar­
keit des Exponenten n immer die die Teilbarkeit von 2 n — 1 parallel. Also
wird, so meint L e ib n iz , auch der Prim zahlcharakter von n und von 2" — 1
immer m iteinander verbunden sein.) L e i b n i z h ä t t e g e r n e in e v o l l s tä n ­
d ig e A n a lo g ie d e r S ä tz e h e r g e s t e l l t : S t e t s d a n n , u n d n u r d a n n ,
w e n n p e in e P r i m z a h l is t, i s t 2*— 1 — 1 d u r c h s t e i l b a r u n d 2^—1
e in e P r im z a h l. In W i r k l i c h k e i t i s t a b e r im e r s t e n F a l l e das „ n u r “
u n d im z w e ite n F a lle das „ s t e t s “ fa ls c h .
Das Problem der vollkommnen Zahlen hat uns auf die Frage nach der Be­
kanntschaft L E iB N izens mit Varia opera mathematica P e tr i de Ferm at (Tolosae
1679) geführt, und es scheint mir jetzt an der Zeit, die F r a g e n a c h d er
A b h ä n g ig k e it d e r z a h l e n t h e o r e t i s c h e n S tu d i e n L E iB N izens von
d e n e n F e e m a t s aufzuwerfen. Daß L eibniz F eemats W erke nicht nur dem
Namen nach gekannt, sondern selbst studiert hat, geht aus den Auszügen her­
vor, die er sich daraus angefertigt hat. (Handschrift 17.) Der FEEMAische Satz
heißt in den Varia opera (p. 163): Tout nombre prem ier mesure infailliblement
une des puissances — 1 de quelque progression que ce soit, et l’exposant de
ladite puissance est soüs-m ultiple du nombre premier donne — 1. Genau
so, abgesehen v o n der Rechtschreibung, hat L eibniz den Satz in seinen Aus­
zügen auf B latt 24 aufgeschrieben. N ur zu dem W orte „progression“ hat
er, seiner gewohnten Ausdrucksweise entsprechend, das W ort „geom etrique“
hinzugefügt.
Was ergibt sich nun hieraus für die Beantw ortung der Frage, ob L eibniz
diesen Satz völlig selbständig neugefunden oder die Form ulierung von F eemat
■:—
: r —r.:; ~™:.
ner allgemeinen Primzahlgleichung
55
übernommen und zu dem Übernommenen nur einen eigenen Beweis hinzu­
gefügt bat? Wie mir scheint, gar nichts.1) Denn diese Auszüge sind leider
undatiert, und wenn auch die W erke schon 1679 erschienen sind, so läßt
sich daraus nicht schließen, daß L eibniz sie schon vor dem 12. Sept. 1680 —
dem Tage, an dem er den ersten Beweis des Satzes fand — kennen gelernt
habe. Denn bis zum Bekanntwerden wissenschaftlicher W erke verginsen
o o
damals oft mehrere Jahre, und ausländische Bücher gar gelangten kaum
nach Deutschland, wenn die Verfasser sie nicht selbst an bekannte Gelehrte
schickten. Doch auch im letzteren Falle dauerte es beträchtliche Zeit, bis
die Sendung überkam — wenn sie überhaupt je ihr Ziel erreichte.2)
Die Frage nach der Abhängigkeit muß also aus ändern Gründen ent­
schieden werden. Cantor 3) will aus den W orten der Nova algebrae promotioi)
schließen, daß L eibniz von F ermats Vorwegnahme des Satzes nichts gewußt
habe Daß diese Folgerung unrichtig ist, zeigen die besprochenen Auszüge.
W enn man genau zusieht, so schreibt sich L eibniz an dieser Stelle auch gar
nicht die Urheberschaft des Satzes zu, der schon bei F ermat zu finden ist,
sondern darauf tut er sich etwas zugute, daß er hieraus zum ersten Mal eine
allgemeine Frimzahlgleichung abgeleitet habe. In der Tat mußte ja , wenn
man dies Ziel erreichen wollte, zu dem von F ermat Geleisteten noch Ver­
schiedenes hinzugefügt werden. Es mußte zunächst aus den verschiedenen
Möglichkeiten, die der Satz in der F ermat sehen Form zuläßt, die heraus­
gesucht werden, die für alle Primzahlen gilt: 2 X~ 1 = n x + 1. Ferner mußte
um gekehrt gezeigt werden, daß diese Gleichung nur für Primzahlen bestehen
könne. Und drittens mußte eine Methode abgeleitet werden, um das E rfüllt­
sein einer Gleichung von dieser Form , die von der früheren Mathematik
noch nicht behandelt war, auch bei größeren Zahlen x festzustellen. Nun
ist ja in der T at die Umkehrung des F ermat sehen Satzes zuerst — wenn
auch unrichtig — von L eibniz ausgesprochen und zu beweisen gesucht
worden, und L eibniz ist auch der erste gewesen, der aus seinem Exponential1) N ur auf I/EiBNizens Charakter fällt auch von hier aus ein m erkwürdiges Licht.
D enn er hat trotz seines W issens um die Priorität F ermats diesen nie erw ähnt, und
selbst in der N o va algebraeprom otio (LE iBN izens M ath. Sehr. VII, 180— 181), wo er seine
eigenen V erdienste au f diesem G ebiete so stark hervorhebt, des großen Vorgängers
m it keiner Silbe gedacht
2) Aus dem B riefw echsel m it N ico las Remond und Remond de M ontm ort (LEiBNizens
philosophische S ch riften , herausgegeben von C. I. G e rh ard t III, 618, 666, 667) sow ie m it
N ik . B e rn o u lli {M ath. Sehr. III, 985, 987) ersieht man z. B., w elche Mühe es machte
bis Leibniz die 2. Auflage von R de M ontm orts E ssa i d ’analyse s w les je u x de hasards
erh ie lt, dessen 1 . Auflage unterw egs verloren gegan gen war.
3) Vorl. III*, 331.
4) „H in c tandem duci potest aliq uid hactenus an alyticis incognitum , sequatio
nem pe generalis pro numero prim itivo.“ LEiBNizens M ath Sehr. III, 1 8 0 — 181.
4
gg
D
ie t r ic h
M
ahnke
Icalkiil eine Methode zur Behandlung derartiger Gleichungen abgeleitet hat.
E r war also ganz berechtigt zu schreiben: „binc mirum non est neminem
prius dedisse aequationem generalem exprimentem naturam numeri prim itivi:
nam nos ipsi primum hoc aequationum transcendentium genus in analysin
introduximus.“ 1) L eibniz schrieb sich also nur, und zwar m it R echt, die
Urheberschaft der allgemeinen Primzahlgleichung und des Exponentialkalküls
zu. Wer den ursprünglichen zahlentheoretischen Satz entdeckt habe, sagt
er nicht. Es wäre ihm fast zuzutrauen, daß er hierüber absichtlich ge­
schwiegen habe, um nicht gestehen zu müssen, daß ihm hierin ein andrer
zuvorgekommen sei.
Jedenfalls läßt sich auch aus diesen Überlegungen nichts darüber er­
schließen, ob L eibniz F ermats Satz schon vor 1680 aus den Schriften des ersten
Entdeckers gekannt hat. Es sind nun aber andre Gründe dafür vorhanden, daß
L eibniz tatsächlich diesen Satz unabhängig wiedergefunden h at, ehe er die
Varia opera studierte. Denn die obige biographisch-geschichtliche Dar­
stellung zeigt ja, daß L eibniz spezielle Fälle des FERMATSchen Satzes schon
1676 gekannt hat. Der Gedankengang aber, der zur allgemeinen Entdeckung
1) L e i b n i z beruft sich in dem je tz t folgenden Zitat zum B ew eis hierfür auf einen
Aufsatz in den A c t a e r u d i t o r u m , in dem er seinen „Ausdruck der Größe des Kreises
durch die einfachste R e ih e “ veröffentlicht h ab e, und au f seinen N ach w eis, daß man
G leichungen, die „ n ich t von bestim m tem G rade“ se ien , in der Geom etrie nicht aus­
schließen könne. Ich kann im A u gen blick nich t feststellen , w elch e der Aufsätze aus
den Jahren 1682, 1684, 1691, 1693, 1695 L e i b n i z hier im A uge hat. — Übrigens hatte
er sich m it der Exponentialfunktion ax schon 1679 b esch äftigt und in Briefen an
H u y g e n s ( LEiBNizens M ath. Sehr. II, 53, 56; D e r B riefw echsel v o n L e i b n i z m i t M athe­
m atikern, herausg. von C. I. G e r h a r d t , I , 568) G leichungen der Form x z Ą- z x = h,
xx Ą
—
x x — x = 2 i erwähnt
1694 schrieb J o h . B e r n o u l l i ihm von seiner Ent­
deckung der „curvae percurrentes“ , in deren G leichung der E xponent alle W erte
durchlaufe und zu denen der Logarithm us durch die G leichung a Xogx — x gehöre.
( L e i b n i z ens M ath. Sehr. III, 139)
L e i b n i z an tw ortete, m it diesem G ebiete habe er
sich schon in Briefen an H u y ö e n s und in seinen A ufsätzen der A c t a e r u d it o r u m
beschäftigt. Er nenne solche Kurven: „curvae exponentialiter tran scen d en tes“ . Sie
seien leich t zu behandeln, wenn man ihre V erbindung m it den Logarithm en bemerke.
(LEiBNizens M ath. Sehr. III, 141.) Im folgenden Jahre lehrte L e i b n i z in seinem A uf­
sätze gegen N i e o w e n t i j t die Differentiation der E xp on en tialfu n k tion m it H ilfe des
Logarithm us genauer. ( A c t a e r u d i t o r u m 1695; LE iB N izens M ath. Sehr. V, 325.
J o h B e r n o u l l i entdeckte, w ohl unabhängig, die gleich e Form el und nahm sie in seinen
Aufsatz über diesen Gegenstand (A c t a e r u d i t o r u m 1697, p. 125 — 133) m it auf, den
er überschrieb: P rin cip ia calculi exponentialium seu percu rren tiu m , indem er dabei
der L e i b n i z sehen B enennungsw eise den Vorzug gab. V gl. ferner T r o p f k e , Gesch. I,
201— 202; B ib i. m a t h . 4 ,, 1903, S. 217. Als K ern pu n kt des G anzen h atte L e i b n i z
m it R echt die Beziehung zu den L ogarithm en bezeichnet. Denn m an muß bedenken,
daß die Logarithm en nicht als Potenzexponenten eingeführt v aren, sondern als Glieder
einer arithm etischen R eihe, die einer geom etrischen zugeordnet ist. Erst E u l e r lehrte
bekanntlich das Logarithm ieren als 2. Um kehrung des Potenzierens auffassen.
—
v m j allgemeinen Primzahlgleichung
57
führte, macht m it seiner allmählichen Vervollkommnung durchaus den Ein­
druck der Selbständigkeit. Zuerst wird aus den Perioden der Dualbrüche
der zu weite Satz a k = 1 (mod n) für beliebige Zahlen n abgeleitet, dann aus
den Potenzsummenformeln ein zu enger Satz, der von Primzahlen p behauptet,
h = p — 1 sei die niedrigste Potenz, für die a h = 1 (mod^i) werde. Und
erst in noch späteren Handschriften, etwa Mitte der achtziger Jahre, ist der
Satz vollständig richtig angegeben. Danach ist anzuuehmen, daß L eibniz
F ermats W e rk e e r s t e tw a 1681 o d e r 1682 s t u d i e r t u n d n u r z u r V e r ­
v o llk o m m n u n g s e in e s s e lb s t ä n d i g e n td e c k te n S a tz e s b e n u t z t h a t.
H ätte er sie schon vor 1680 gelesen, so würden sich wohl kaum solche unge­
nauen und unrichtigen Ausdrücke in seinen Formulierungen des Satzes finden,
wie dies wirklich der Fall ist, es müßte denn sein, daß L eibniz auch auf diesem
Gebiete wie bei den vollkommenen Zahlen das bei F ermat Gelesene so völlig
vergessen hätte, daß eine gänzliche Neuentdeckung trotz der Lektüre nötig
geworden wäre. Jedenfalls war er b e i d e r G e w in n u n g des S a tz e s n ic h t
b e w u ß t v o n F ermat b e e in f lu ß t.
Auch darauf mag noch einmal hingewiesen werden, daß auf einer der
ersten Handschriften, die sich mit den vollkommenen Zahlen beschäftigen
(Handschrift 16), der Satz sich schon notiert findet, während sich doch vorhin
ergeben hatte, daß L eibniz damals die W erke F ermats wohl kaum gekannt
hat. E r ist also vor dem Studium dieser W erke in Besitz des Satzes gewesen. —
Höchstens das wäre noch denkbar, daß er in Paris etwa im Gespräche mit
M ariotte (der freilich selbst nichts Genaues über zahlentheoretische Dinge
gewußt zu haben scheint) etwas über F ermats Entdeckung gehört (vgl. Hand­
schrift 4) und dann selbständig versucht hätte, das Gehörte zur Genauigkeit
und Exaktheit zu erheben. Völlig Gewisses und Bestimmtes — so muß ich
diese E rörterung schließen — läßt sich über diesen Punkt nicht feststellen.
Auf alle Fälle ist es aber LEiBNizens Verdienst, a ls e r s te r den V e r ­
s u c h g e m a c h t zu h a b e n , e in e n z a h le n t h e o r e ti s c h e n S a tz a ls n o t ­
w e n d ig e s u n d h i n r e i c h e n des K r i t e r iu m d e r P r im z a h le n a u fz u fa s se n
u n d a u s ih m e in M itte l zu d e r e n E r k e n n u n g a b z u le ite n . Wie er das
letztere ausgeführt h at, das will ich zum Schluß noch kurz skizzieren. Schon
gleich bei Entdeckung der vermeintlichen allgemeinen
Primzahlgleichung
O
O
O
o
stellt er sich die Aufgabe: "Inqviram us, an ex mea prim itivi proprietate
reciproca aliqvid ad praxin duci possit” (Handschrift 21). Die praktische
Anwendbarkeit wird nämlich dadurch gefährdet, daß die Zahlen 2 X bei zu­
nehmendem x zu stark wachsen, als daß man noch m it ihnen rechnen könnte.
Um sich hier zu helfen, versucht L eibniz schon in Handschrift 1 3 zw e i
W ege, deren Vereinigung ihn später tatsächlich zum Ziele gebracht hat:
1. E r bem üht sich, die Gleichung 2 X~ 1 — 1 = n x m it L o g a r it h m e n zu be­
handeln, indem er sie als Exponentialgleichung nach A rt der in den Briefen
D
ie t r ic h
M ahnke
an H uygens 1679 erw ähnten1) auffaßt. 2. E r versucht statt mit den Potenzen
mit ihren R e s te n nach verschiedenen Moduln zu rechnen.
Diese beiden verschiedenen Möglichkeiten, die ihm schon 1680 vor­
schwebten, hat er in den nächsten Jahren nach allen Seiten hin durch­
probiert. E r schlägt vor, statt der gewöhnlichen Logarithm en, bei deneD
log 10 = 1 ist, solche Logarithmen anzuwenden, bei denen log 2 = 1 ist.
Durch diese L o g a r ith m e n z u r B a s is 2 (wie wir heute sagen) würde die
Rechnung erheblich vereinfacht werden, da hierbei log 2 X— x wäre. (Hand­
schrift 22.) E r will ferner von 2 ^ - 1 ein möglichst großes P rodukt, das den
Faktor p enthält, abziehen (Handschrift 23, 24) oder statt dessen eine
möglichst hohe Potenz von p (Handschrift 29, 1. Juni 1683), um dann nur
noch den kleinen Rest auf seine Teilbarkeit durch p untersuchen zu müssen.
Und um auch diese Subtraktion m it Logarithm en ausführen zu können,
möchte er eine Regel finden, um aus den Logarithm en der Zahlen und der
Differenz der Logarithmen den Logarithm us der Differenz ohne Benutzung
der Zahlen zu finden (Handschrift 26, Juni 1682), und versucht diese D iff e ­
r e n z l o g a r i t h m e n aus der Logarithm usreihe abzuleiten. (Handschrift 28.)
Andererseits vereinfacht er sich das Rechnen m it den großen Zahlen,
indem er an ihrer Stelle ihre Reste nach verschiedenen Moduln benutzt. In
Handschrift 13 versucht er zuerst den Modul 10. Da für jedes n : 2 4” + 1 _ 1 = 1 ,
2 i n + 2 — 1 = 3, 2 1,!+ 3 — 1 = 7, 2 ln+ i — 1 = 5 (mod 10) ist, so läßt sich
der Rest von 2p~ 1— 1 bei Teilung durch 10 sofort angeben. E r sei = r.
Andererseits ist der Rest von p (mod 10) gleich der letzten Ziffer von p.
E r sei = s. Nun wäre zu untersuchen, ob eine Zahl m it dem Zehnerreste r
durch eine Zahl mit dem Zehner s teilbar sein kann. Aber das läßt sich
nur in besonderen Fällen (z. B. bei s = 2 oder 5 ) entscheiden. L e ib n iz
schlägt daher vor, andere Moduln zu nehmen, z. B. 9? d. h. m it Hilfe der
N e u n e r p r o b e die Teilbarkeit festzustellen. (Handschrift 26, 27, 29.) Aber
so kann man wohl die N ichtteilbarkeit, aber nicht die Teilbarkeit beweisen.
L e i b n i z nim mt daher zu dem Rest (mod «), d. h. zur letzten Ziffer der Zahlen,
wenn sie im Zahlensystem m it der Grundzahl n geschrieben werden, noch
die vorangehenden Ziffern im M-adischen System hinzu und vergleicht diese
bei 2P~ 1— 1 und p. (Handschrift 27.)
So wendet er die Grundgedanken hin und her, bis schließlich ihre fol­
gende Kombination ihn zum Ziele führt: E r wählt x so, daß 2* = y nur
einen kleinen Rest (mod p) läßt. Da nun x — log y zur Basis 2 ist, so
ändert sich x als Logarithmus additiv, wenn y sich m ultiplikativ ändert, da­
gegen m ultiplikativ, wenu y sich durch Potenzieren vergrößert.' Man kann
daher, wenn man 2 X bald durch Addition, bald durch Multiplizieren des Ex­
1)
Siehe S. 56 Fußnote.
. - — » .- « ¡ ¡ . m " W . smm* allgemeinen Primzahlgleichung
59
ponenten allmählich zu 2^_1 ansteigen läßt, entsprechend auch y durch
Multiplizieren oder Potenzieren wachsen lassen Um aber hier nicht zu große
Zahlen zu erhalten, betrachtet man statt y, ylf y2 ). . . y„ nur die Reste von
y„ (mod^)), die ja immer < |)sin d . So erhält man schließlich den Rest von y„, dem
2Xn oder 2 ^_1 (mod^f) kongruent ist, kann also feststellen, ob dieser Rest = 1 ist.
Aus dieser Überlegung hat L eibniz in Handschrift 34—37 sein e n d g ü l­
tig e s V e r f a h r e n z u r P r i m z a h l e r k e n n u n g abgeleitet, nachdem er es viel­
leicht in Handschrift 29 schon geahnt hatte.1) E r hat seiner Methode aus prak­
tischen Gründen die Form eines Algorithmus gegeben, der ganz schematisch
zum Ziele ^lihrt. Bei der Untersuchung des Primzahlcharakters von 101
wäre folgendermaßen zu verfahren: 101 — 1 = 100. 100:2 = 50. 5 0 :2 = 25.
25 — 1 = 24. 2 4 :2 = 12. 1 2 :2 = 6 . Weitere Verkleinerung ist nicht
nötig, da 2 6 < 101 ist. 2G= 64. 2 2 6 = 642, läßt also nach 101 den Rest 56.
2 2 13 = 562 = 5. 2 24+ 1 = 5 • 2 ■_ 10. 2 8 25 = 10 2 - 100. 2 2 M:= 100 2 = 1.
Also ist 2 100 — 1 durch 101 teilbar, daher ist 101 Primzahl (vorbehaltlich
der Richtigkeit der Umkehrung des FERMATSchen Satzes). Man hat bei diesem
Verfahren nur immer den Exponenten von 2 entweder um 1 wachsen zu
lassen oder m it 2 zu multiplizieren und gleichzeitig die rechte Seite ent­
weder in die 2. Potenz zu erheben oder mit 2 zu multiplizieren und jedesmal
den Rest (mod^p) festzustellen. Sobald einmal der Rest 1 auftritt, spätestens
bei 2p~ 1, ist dadurch p — meint L eibniz — als Primzahl erwiesen.
Diese Methode ist natürlich deshalb unzureichend, weil aus 2p~ 1 = 1
(m odp) nur dann geschlossen werden darf, daß p Primzahl ist, wenn gleichzeitig
bekannt ist, daß 2 h nicht = 1 (mody>) für alle Teiler h von p — 1 ist. L e ib n iz
hätte also den Rest von 2 p~ 1 auf dem Wege über sämtliche 2 h (bei 101 also
auf dem Wege über 22, 24, 25, 210, 220, 225, 250) finden müssen, und dann hätte
zum ersten Male bei 2 100 der Rest 1 kommen müssen. Wenn diese Be­
dingungen erfüllt gewesen wären, so hätte er mit Recht behaupten dürfen,
daß 101 Prim zahl sei. W enn aber schon 2 h = 1 (mod^f) geworden wäre, so
hätte er nicht m it Recht behaupten können, daßyi keine Primzahl sei, sondern
hätte eine andere Basis versuchen müssen und vielleicht noch eine dritte
und vierte. So wird das Verfahren, wenn man nicht gleich die richtige Basis
(eine primitive W urzel der Primzahl) trifft, sehr um ständlich, und auch bei
geeigneter W ahl der Basis ist es unter Umständen gar nicht ausführbar,
wenn man die Teiler von p — 1 nicht kennt.
Trotzdem ist die LEiBNizsche Methode nicht uninteressant, da sie eben
der erste Versuch auf diesem Gebiete gewesen ist und viele gute Gedanken
.
1 ) L e i b n i z hat seinen G edankengang in H andschrift 2 9 nur so kurz und flüchtig
a n ged eu tet, daß dieser n icht ganz verständlich ist. Ich wüßte aber n ich t, w orauf sich
seine W orte: ,,H ic tandexn arcanum illu d detectum v id etu r“ anders beziehen sollten
als auf die M ethode der Prim zahlerkennung.
r r,
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D ie tric h Mahnke
zur P ra x is des z a h le n t h e o r e ti s c h e n R e c h n e n s enthält. Als Kernpunkt
des Verfahrens hat L eibniz selbst erklärt, daß hier mit den Potenzresten statt
mit den Potenzen selbst auf Grund einer quasi-logarithm ischen Beziehung
zwischen beiden gerechnet werde.1) Diese Beziehung ist zunächst nur äußer­
lich der logarithmischen verwandt, nur „quasi-logarithm isch“, indem sie
nämlich gestattet mit kleineren Zahlen (den Potenzresten) statt größerer
(den Potenzen selbst) zu rechnen, auf Grund der Regeln: Das Produkt der
Reste zweier Zahlen läßt denselben Rest wie das Produkt der Zahlen, und
die Potenz des Restes einer Zahl läßt den gleichen Rest wie die Potenz der
Zahl (überall der gleiche Modul vorausgesetzt.2) Die Beziehung steht aber
noch unmittelbarer mit dem Logarithmus in Verbindung: Si exponentium
auo-menta sint ut logarithm i, residuorum m ultiplicationes Sunt ut numeri
progressionis geometricae. (Handschrift 34.) W enn die Exponenten in arith­
metischer Reihe zunehmen, so die Potenzen in geometrischer, und der Addi­
tion der Exponenten entspricht die M ultiplikation der Reste. Auf diese
logarithmische Beziehung ist bekanntlich später, indem man als Basis eine
primitive W urzel nahm , das In d e x r e c h n e n gegründet worden, das in der
Zahlentheorie eine ähnliche Stelle einnimmt wie das Logarithmenrechnen in der
Arithmetik. L eibniz allerdings hatte von dieser Beziehung keinen Vorteil,
da er durch sie genötigt war zu multiplizieren statt zu addieren, während
man beim Indexrechnen addiert statt zu multiplizieren.
Nachdem L eibniz die eben geschilderte Methode der Primzahlerkennung
ausgebildet hatte, hielt er das Gebiet für einstweilen abgeschlossen und be­
reitete eine zusammenfassende Abhandlung vor. E r glaubte durch seine Um­
kehrung des FEKMATSchen Satzes einen „Xovus aditus ad incoguita hactenus
mysteria numerorum“ gefunden zu haben (Handschrift 33) und durch seine
Exponentialgleichung der Primzahlen auch diese Problem e „in die Gewalt
der Analytiker“ gebracht zu haben, während noch D escartes habe gestehen
müssen, daß sein Können hier nicht ausreiche. Die Handschrift 33, die mit
der Erwähnung der von Leibniz gefundenen allgemeinen Primzahlgleichuug'
schließt, ist als Einleitung der geplanten Abhandlung aufzufassen, von der
ein größerer Entw urf unter dem Titel „Inqvisitio in numeros primitivos et
derivatorum divisores“ (Handschrift 34) erhalten ist
Warum aber hat L eibniz trotz dieses ziemlich weit O
o-ediehenen Entwurfes, bei dem er sicher an den Druck gedacht h at, über den Gegenstand
1) Opus est modo commodo investigandi residuos altissim arum potentiarum , qvas
ipsas habere et dividere non licet. Eum vero praebet residuorum relatio qvasi logalith m ica inter se, ad instar ipsorum potentiarum , ita u t factum ex duobus residuis idem
praebeat residuum , qvod praebet factum ex ip sis num eris. (H andschrift 30)
2) Leibniz schreibt diese R egeln in H andschrift 3 t: R ( m R f ) = R ( m f ) , wobei
kleiner als der Modul angenommen ist; R {{R f)m )= R {fm ),
m
allgemeinen Primzahlgleichung
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garnichts veröffentlicht? Sollten ihm doch Bedenken über die Tragweite
seiner Beweise und die praktische Anwendbarkeit seiner Methoden gekommen
sein? Man könnte es fast denken. Denn in den Nouveaux essais sur l’enten­
dement hum ain3) (1704) erklärt er, als wenn er selbst auf diesem Gebiete
garnichts geleistet h ätte, die Mathematiker suchten noch immer vergeblich
nach einem Merkmale, das sie dazu befähige, eine vorgelegte Zahl leicht
und sicher als Primzahl zu erkennen.
So ist die LEiBNizsche allgemeine
Primzahlgleichung
“
o
o ein ungeborener
o
geistiger Em bryo geblieben. Aber ich glaube gezeigt zu haben, daß schon
die Untersuchung der Entwicklung dieses nie geburtsreif gewordenen Ge­
dankens von W ert für die Geschichte und Psychologie des mathematischen
Denkens ist. Noch viel mehr würde es sich lohnen, die großen Entdeckungen,
die L eibniz zum M itbegründer einer neuen Periode in der Geschichte der
Wissenschaft gemacht haben, in ihrer vorgeburtlichen Entwicklung nach
den Handschriften der hannoverschen Bibliothek zu studieren. Auch über
die von mir nur kurz gestreiften Gebiete: harmonisches Dreieck (in seiner
Beziehung zur Entdeckung der Differentialrechnung), polynomischer Lehr­
satz, Potenzsummenformeln, periodische Dezimalbrüche, Irrationalität von*,
Exponentialfunktion und Logarithm us, ließe sich sicher noch manches aus
den L eibniz sehen Papieren feststellen. Doch das wäre eine Aufgabe, die
ich Kundigeren überlassen muß. Mir war schon diese kleine Arbeit eine
schwere Mühe, da ich, als ich zufällig auf sie geführt wurde, weder über
das behandelte Gebiet der Mathematik, noch über die Geschichte dieses Ge­
bietes unterrichtet war.
1)
Buch 4, Kap. 17, § 13.
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