Gesundheitsökonomische Aspekte der psychiatrischen Versorgung unter dem Gesichtspunkt einer adäquaten Allokation knapper Ressourcen Reinhold Kilian Universität Ulm Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II am Bezirkskrankenhaus Günzburg Fragen: • Geben wir genug Geld für die psychiatrische Versorgung aus? • Werden die Ausgaben für die psychiatrische Versorgung angemessen verteilt? • Wie gut ist die psychiatrische Versorgung in Deutschland? • Wie lässt sich die Effizienz der psychiatrischen Versorgung verbessern? Grundlagen der Ressourcenallokation in der psychiatrischen Versorgung WHO 2006 Die 10 wichtigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre (DALY) in Deutschland 2002. Angaben in % Ischaemic heart disease Unipolar depressive disorders Alcohol use disorder Cerebrovascular diseases Hearing loss, adult onset Alzheimer and other dementias Trachea, brochus, lung cancers Chronic obstructive pulmonary disease Self inflicted injuries Road traffic accidents 0,00 2,00 4,00 6,00 8,00 10,00 % DALYs (Quelle: WHO 2004) Anteil verschiedener psychischer Erkrankungen am Verlust gesunder Lebensjahre in Deutschland 2002. Angaben in % Unipolar depressive disorders Alcohol use disorder Alzheimer and other dementias Drug use disorder Bipolar disorder Schizophrenia Panic disorder Obsessive-compulsive disorder Post-traumatic stress disorder 0,00 2,00 4,00 6,00 % DALYs (Quelle: WHO 2004) 8,00 Gesundheitsausgaben für die 6 teuersten Krankheitsgruppen in Deutschland 2002-2006 (in Mio. €) Muskel-Skelett M00-M99 2006 betrugen die Ausgaben für die psychiatrische Versorgung in Deutschland ca. 26 Mrd. € Verdauung K00K93 Von 2002 – 2006 sind die Ausgaben um 14% Kreislauf I00-I99 2006 gestiegen. Bei den Gesundheitsausgaben insgesamt 2004 Psychisch F00-betrug der Anstieg lediglich 7,8%. 2002 F99 Unter den ICD-10 Gruppen liegen die Ausgaben für psychische Erkrankungen 2006 in Deutschland Neubildungen an dritter Stelle. C00-D48 Stoffwechsel E00E90 0 5000 10000 15000 20000 25000 30000 35000 40000 Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP 2006 in % 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Deutschland Frankreich Italien Japan Dänemark Schweiz UK USA Anteil der Ausgaben für psychische Erkrankungen an den Gesundheitsausgaben im internationalen Vergleich (in % 2004) USA UK Sweden Slovakia Romania Portugal Netherlands Luxembourg Lithuania Ireland Hungary Germany France Czech Republic Bulgaria Belgium Australia „Only a handful of countries worldwide devote more than 10% of the total health budged to mental health“ % WHO 2006 0 2 4 6 8 10 12 14 WHO Atlas Mental Health Fazit Finanzierung: • In Deutschland werden ca. 1% BIP und ca. 11% Gesundheitsbudgets für die Behandlung psychischer Erkrankungen ausgegeben. • Der Anstieg der Ausgaben für die psychiatrische Versorgung ist stärker als der Anstieg der Gesundheitsausgaben insgesamt • Im internationalen Vergleich gehört Deutschland damit zu den Ländern mit den höchsten Ausgaben für die psychiatrische Versorgung Fragen: • Geben wir genug Geld für die psychiatrische Versorgung aus? • Werden die Ausgaben für die psychiatrische Versorgung angemessen verteilt? • Wie gut ist die psychiatrische Versorgung in Deutschland? • Wie lässt sich die Effizienz der psychiatrischen Versorgung verbessern? Ausgaben für psychische Erkrankungen in Deutschland 2006 627; 3% in % 2871; 12% 9795; 41% 5067; 21% 2947; 12% Organisch Sucht Schizophr. Affektiv Neurotisch Persönlichkeits. 2715; 11% Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes Veränderung der Ausgaben für psychische Erkrankungen in Deutschland 2002-2006 in Mio € Persönlichkeits. Neurotisch Affektiv Schizophr. Sucht Organisch 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 9000 10000 11000 2002 2004 2006 Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes Wo werden psychische Erkrankungen behandelt? Ärztl. PT 11% stationär 15% Psychol. PT 18% Nervenarzt 21% Andere 21% Hausarzt 9% % Ambulanz 5% Wittchen & Jacobi 2002 Verteilung der Ausgaben für psychische Erkrankungen in Deutschland 2006 in % 6% 4% 6% 27% 6% 3% Stationär Behandl. Amb. Medikamente Arztpraxen. Sonstige Praxen Stationäre Pflege Sonstige Reha Amb. Pflege Verwaltung Privat 11% 27% 7% 3% Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes Verteilung der Ausgaben für psychische Erkrankungen in Deutschland 2002-2006 in % Privat Verwaltung Amb. Pflege Reha Sonstige Stationäre Pflege Sonstige Praxen Arztpraxen. Amb. Medikamente Stationär Behandl. 0 5 2002 10 2004 15 20 25 30 35 2006 Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes Kostenanteile bei der Versorgung psychischer Erkrankungen im Vergleich 2006 (in %) 60 50 Stationär Behandl. Amb. Medikamente 40 Arztpraxen. Sonstige Praxen Stationäre Pflege Sonstige 30 Reha Amb. Pflege 20 Verwaltung Privat 10 0 Gesamt Sucht Schizophrenie Affektiv Neurotisch Ausgaben für schizophrene Erkrankungen in Deutschland 2006 in % %; 6 %; 0,7 Stationär Behandl. %; 2 Amb. Medikamente %; 0,7 Arztpraxen. %; 2,9 Sonstige Praxen %; 7,1 Stationäre Pflege Sonstige %; 0,5 Reha %; 4 Amb. Pflege %; 51,3 Verwaltung Privat %; 24,8 Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes Veränderung der Ausgabenanteile für schizophrene Erkrankungen von 2002-2006 in % Privat Verwaltung Amb. Pflege Reha 2006 Sonstige 2004 Stationäre Pflege 2002 Sonstige Praxen Arztpraxen. Amb. Medikamente Stationär Behandl. 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 Fazit Ausgabenverteilung • Bei der Behandlung depressiver und schizophrener Erkrankungen bilden die stationäre Behandlungskosten und die ambulanten Medikamentenkosten mit Abstand die größten Kostenfaktoren • Der Anteil der Ressourcen der für die psychotherapeutische Behandlung schizophrener und depressiver Patienten aufgewendet wird ist vergleichsweise gering • In Anbetracht der hohen Produktivitätsverluste durch psychische Erkrankungen erscheint der Anteil der Ressourcen der für Rehabilitationsmaßnahmen aufgewendet wird zu gering Fragen: • Geben wir genug Geld für die psychiatrische Versorgung aus? • Werden die Ausgaben für die psychiatrische Versorgung angemessen verteilt? • Wie gut ist die psychiatrische Versorgung in Deutschland? • Wie lässt sich die Effizienz der psychiatrischen Versorgung verbessern? Behandlungsquoten psychischer Erkrankungen im europäischen Vergleich Alle Störungen Affektive Störung Angststörung Alkoholmissbra Alle Störungen Spanien Belgien 47,8 62,4 50,3 35,1 47,8 Frankreich Niederlande 45,5 58,3 46,8 30,8 45,5 Deutschland 46,3 62,3 48,3 Italien 31,4 37 33,1 Niederlande 57,9 71 63,6 Deutschland Spanien 44,1 60,4 44,3 Italien 40,3Störungen 46,3 Alle 16,5 31,4 Alkoholmissbrauch 45,9 57,9 Angststörung 16,1 44,1 Affektive Störung Frankreich Belgien 0 20 40 60 80 Kovess, V. et al., Psychiatric services, 2007 Adäquate Behandlung depressiver Erkrankungen in Europa Spanien Niederlande Italien Allgem. Med. Spezialist Deutschland Frankreich Belgien 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Fernandez, A. et al., British Journal Psychiatry, 2007 Adäquate Behandlung von Angsterkrankungen in Europa Spanien Niederlande Italien Allgem. Med. Spezialist Deutschland Frankreich Belgien 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Fernandez, A. et al., British Journal Psychiatry, 2007 Rehospitalisierungsrate von Schizophreniepatienten 12 Monate nach Entlassung aus stationärer Behandlung Finland Germany Sweden Denmark Norway Ireland OECD (12) Belgium (2006) New Zealand Canada (2005) Italy (2006) Spain United Kingdom Slovak Republic (2006) 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0 Source: OECD HCQI Data 2009. Germany: eigene Daten Fazit Leistung des psychiatrischen Versorgungssystems im internationalen Vergleich • Beim Vergleich der Behandlungsquoten für die wichtigsten psychischen Erkrankungen erreicht Deutschland nur den Standard von Ländern mit geringeren Ausgaben Fragen: • Geben wir genug Geld für die psychiatrische Versorgung aus? • Werden die Ausgaben für die psychiatrische Versorgung angemessen verteilt? • Wie gut ist die psychiatrische Versorgung in Deutschland? • Wie lässt sich die Effizienz der psychiatrischen Versorgung verbessern? Die Effizienz verschiedener Methoden zur Behandlung von schizophrenen und depressiven Erkrankungen in Westeuropa Schizophrenie Depression Chisholm 2003; 2005 Die Gegenüberstellung der Kosten von aktueller und optimaler Behandlung von Panikstörungen in Australien (in Mio. AUD) Medikamente GP MHT Psychologe Psychiater Stationär 0 10 20 aktuell 30 40 optimal Issakides et al 2004 Die Gegenüberstellung der Kosten von aktueller und optimaler Behandlung von schizophrenen Störungen in Australien (in Mio. AUD) GP Clozapin Atyp. Antipsych. Typ. Antipsych. MHT Psychologe Psychiater langz. Stationär akut Stationär 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 aktuell optimal Andrews et al 2003 Verbesserung der Kosteneffektivität der Behandlung psychischer Störungen bei optimaler Ressourcenverteilung in Australien AUD/DALY averted Alle Alkohol Durch die Einführung optimaler Versorgungsangebote könnten die Schizophrenie Kosten der Behandlung psychischer Störungen insgesamt für die VermeidungDepression eines beeinträchtigten Lebensjahrs um 15000 AUD (ca 50%) reduziertPTSD werden GAD Bei der Behandlung schizophrener Erkrankungen könnten die Sozialphobie Kosten für die Vermeidung eines beeinträchtigten Lebensjahrs von Panik 200.000 auf ca 100.000 $ reduziert werden. 0 aktuell 50000 optimal 100000 150000 200000 250000 optimal + opt. coverage Andrews et al 2004 Schlussfolgerungen • In Deutschland wird ein angemessener Anteil der Gesundheitsausgaben für die Behandlung psychischer Erkrankungen ausgegeben • Die Verteilung der Ressourcen für die psychiatrische Versorgung ist zu stark auf die Bereiche der stationären Versorgung und der Medikamente konzentriert • Durch eine Optimierung der Ressourcenallokation ließe sich die Effizienz der psychiatrischen Versorgung in Deutschland erheblich steigern