!!!!!!!!!!!!!Viele Wege in die Psychose und an ihr vorbei. Prävention als Dialog über das Ungewisse Volkmar Aderhold Institut für Sozialpsychiatrie an der Uni Greifswald Wenn Prävention, dann im Lebensfeld an Lebensproblemen und mit sozialen Netzwerken Inhalte • • • • • • • • • • • • Vor der Psychose „Das Prodrom“ Konversion in die Psychose Behandlung, um Konversion zu verringern: Early Detection Frühbehandlung von Psychosen: Early Intervention Ultra High Risk ohne Risk (Psychose) Lost in transitions - Lost in symptoms Kontinuum psychotischer Phänomene Umweltrisiken für Psychosen Gen-Umwelt-Interaktion Prävention orientiert an Umweltrisiken Ein Modell zur Prävention Fragen Verlaufsmodell zur Prävention von Psychosen „Ultra High Risk“ Konversionsraten Konversionsraten Fusar-Poli et al 2012 Konversionsrate über 10 Jahre The PACE 400 Study - N = 416 • 34,9 % entwickeln eine erste psychotische Episode • 65% der Betroffenen werden demnach dauerhaft fälschlich als Hoch-Risiko-Patienten bezeichnet und behandelt, weil sie die sog. „Ultra High Risk“ Kriterien erfüllen. Nelson et al JAMA P 2013 Erhebungsinstrumente Ultra High Risk Personen (= UHR) • Nicht geübte Professionelle würden mit diesen Erhebungsinstrumenten doppelt so viele Individuen als UHR diagnostizieren. (1) Dies würde zu 91% falsch Positiven für das erste Jahr und zu 81% auf Dauer führen. (2) (1) Yung et al Schizo Res 2008 (2) Corcoran et al Schizo Res 2010 Prävention von Psychosen Behandlung von „Hoch-Risiko-Patienten“ Alle randomisierten Studien zu „Hoch-Risiko-Individuen Behandlung Ris+CT Experimentell N Dauer experimentel Intervention Konversion nach 1 J Kontrolle Konversion nach 1 J Signifikanz NNT Experimentell Konversion nach 3 J Kontrolle Konversion nach 3 J NS 4 32,2 % 42,8 % NS 5 25,8 % 44,8 % 21,7 % NS 5 20 % 30,4 % ? ST 35,7 % Plc 37,9 % McGorry 2002 31 6 Mo 19 % Ola 31 12 Mo 16 % CT 35 6 Mo 5,7 % Omega 3 41 3 Mo 4,8 % Plc 27,5 % Sign P= .02 5 43 6 Mo 4,7 % CT+Plc 9% ST+Plc 7,1% NS - 24 6 Mo 0 % ST 12,5% NS 8 115 12 Mo 10,7 % CT+Plc 9,6% ST+Plc 21,8% NS 128 12 Mo 3,2 % ST 16,9 % Sign McGlashan 2006 dropout 45% Morrison 2004 1200 mg Amminger 2010 dropout 7% Ris+CT Yung 2011 CT Addington 2011 RIS+CT McGorry 2013 CBT,Skill,Cogpack Psychoedu Familie Bechdolf 2012 waiting/TAU P= .02 9 2 J: 6,3 % 2 J: 20 % Ergebnis nach 15 Jahren Forschung • Omega 3 Fettsäuren über 3 Monate senken die Konversion in Psychosen am meisten: 5% vs. 27% über 1 Jahr (1,2) und länger (3) Bisher nur eine Studie, weitere Studie läuft noch. • Spezifische Methoden (z.B. CT) sind der supportiven Therapie bisher langfristig nicht überlegen (3,4) (1) Amminger et al 2010 (2) Fusar-Poli et al AGP 2012 (3) McGorry et at J Clin Psychiatr 2013 (4) Phillips et al 2007 Ergebnis nach 15 Jahren Forschung • Keine anhaltenden Effekte der fokussierten Interventionen im weiteren Verlauf (über 2-3 Jahre) (3,5) • Befristete Interventionen bewirken nur einen Aufschub der akuten Psychose (5) • Kontinuierliche und gute Therapieangebote mit Beginn der ersten Episode und über 3-5 Jahre sind wichtiger als kurzfristige Frühintervention (6) (3) McGorry et at J Clin Psychiatr 2013 (5) Preti et al Schizo Res 2010 (6) Linszen et al 2005 Neuroleptika Anwendung in Früherkennungsprojekten heute • Es gibt keine wissenschaftliche Berechtigung, Neuroleptika bei „Ultra- High-Risk“ Patienten einzusetzen. • Die Verschreibung von Neuroleptika ist in Früherkennungsprojekten der USA von 2005 bis 2011 von 25% auf 18% gefallen. • Es gibt keine Daten zum Versorgungsalltag. Woods et al 2013 Empfehlungen • "Folglich wird der sicherste Ansatz empfohlen, d. h. psychologische Interventionen und Fischöl aber nicht Behandlung mit antipsychotischer Medikation." (1) (1) Fusar-Poli et al AGP 2012 Empfehlungen Yung & Nelson 2013 Was ich mich so frage: • • Warum wurden Omega 3 Fettsäure nur 3 Monate gegeben? • Sollte man Betroffenen raten, Fischöl zu nehmen und die Psychiatrie zu meiden? Fehlschlüsse und Fehlbehandlungen sind dort fast vorprogrammiert. Warum wird Fischöl nicht viel konsequenter in der Prävention empfohlen ohne mit dem Drama der Psychose zu drohen? Was u.a. fehlt nach 15 Jahren Forschung • • • • Antidepressiva möglicherweise ebenfalls wirksam (Ø RCT) (1) Cannabidiol ? Vit D ? Oxytocin ? (1) Cornblatt et al 2007 Nach der Konversion Definition des Übergangs in „Psychosen“ • Kontinuum, dass von Normvarianten in unterschiedliche Erkrankungen übergeht. • • Definition durch Konsensus von Experten Anfang der 90-er „Eindeutig eine subjektive Definition über den Punkt, an dem antipsychotisch Medikation verschrieben werden sollte.“ (1) (1) Yung et al 1996 Kontinuum psychotischer Phänomene van Os et al 2009 Definition der Schwelle zur „Psychose“ durch Erhebungsinstrumente CAARMS (Melbourne) • • Score-Veränderung von 5 auf 6 Beispiel: Außergewöhnliche Denkinhalte über eine Woche Definition des Übergangs in „Psychosen“ • Auch jenseits dieser Schwelle bestehen immer noch Syndrome, die Normvarianten darstellen, d.h. zum Spektrum einer Normalbevölkerung gehören. • Definition der Schwelle ist etwas hochschwelliger als die des DSM IV für akute vorübergehende Psychose (= psychotisch 1 Tag). (1) Yung et al 1996 Neurotoxizität der Neuroleptika Abbau der Grauen Substanz in der 1. psychotischen Episode: ohne NL = grün und mit NL = rot Review FEP = 965 K = 1040 Radua et al 2012 Fig. 4 Effect size of the differences of grey matter volume between antipsychotic-naïve patients and controls (green bars) and between medicated patients and controls (red bars) in the four peaks of multimodal abnormality in anterior cingulated cortex (ACC... Insula und anteriores Cingulum • • Anteriores Cingulum Netzwerk zur Regulation von Bedeutungen und Emotionen Insula Integration von sensorischen Zuflüssen Eigenwahrnehmung des Körperzustandes Neuronale Repräsentation des Selbst Nach der Konversion Early Intervention Early Intervention Dauer der unbehandelten Psychose = DUP • Ziel dieser Frühintervention ist Verkürzung der DUP durch frühzeitige neuroleptische Medikation und weitere psychosoziale Interventionen. • • DUP erklärt jedoch nur 3-6% der Verlaufsvarianz (1,2 ) • DUP ist vor allem ein Epiphänomen = Proxie Bescheidene („modest“) Assoziation zwischen DUP and Ergebnis (outcome) (3) (1) Harrigan et al 2003 (2) Schimmelmann et al 2008 (3) Marshall et al 2005 Cochrane ! Ergebnisse der Frühbehandlung der 1. psychotischen Episode Effekte der DUP- Verkürzung • • Geringere Suizidalität zu Behandlungsbeginn (1) Weniger schwere Negativ-Symptome über 1- 2 Jahre, wenn die DUP kürzer war als 9 Monate: Effekstärke: r = 0.117 (p < 0.001) (2) (1) Melle et al 2006 (2) Boonstra et al 2012 Review DUP Verkürzung ohne Effekt auf: • • • • • Positivsymptomatik nach einem Jahr und später Funktionsniveau 1,2,3 Lebensqualität Nach 3 Jahren keine oder gering bessere Effekte DUP korreliert nicht mehr mit den Ergebnissen nach 3 und 10 Jahren (4). (1) Melle et al 2004; (2) Melle et al 2005; (3) Larsen et al 2006 (4) Hegelstad et al 2012 Effekte der DUP- Verkürzung • „Da es keine wirksame Behandlung für Negativ-Symptome gibt, kann das Reduzieren der DUP auf weniger als 9 Monaten die beste Weise sein, sie zu verbessern.“ (2) • Es geht nicht um Tage und Wochen ! (2) Boonstra et al 2012 Review Negativ Symptome und künstlerische Therapien ! NICE 2009 Schizophrenia Negativ Symptome und künstlerische Therapien ! NICE 2009 Schizophrenia Kritische bzw. ironische Frage • Können wir die Früherkennungsprojekte durch Fischöl bei psychotischen Phänomenen und Künstlerische Therapien nach der 1. psychotischen Episode ersetzen? " " „Utra High Risk“ Individuen ohne Übergang in Psychosen • • Bei 64% kein Übergang in „Psychose“ über 10 Jahren (1) Bei 64 % wird demnach unberechtigt ein „Ultra High Risk Syndrom“ diagnostiziert. • • bei ca. 50 % Remission der APS und BLIPS mit oder ohne Intervention (2,3,4) Übergang in andere Störungen (1) Fusar-Poli et al AGP 2012 (2) Simon et al 2010 (3) Addington et al 2011 (4) Ziermann et al 2011 Syndrome vor der Schwelle und sonst ? Weitere Syndrome bei „Non-Konvertern“ • • • • • • • Angst und/oder Depression (69%) Depression (40%) (1,2) (2) Angststörungen (15%) (2) Substanzmissbrauch/- abhängigkeit (25%) Achse II Diagnosen (44%) (3) (3) meist vorübergehend oder subklinisch unter Stressbedingungen Übergang in manifeste Störungen (1) Woods et al 2009 (2) Velthorst et al Schizo Res 2010 (3) Fusar-Poli 2012 Psychotische Phänomene vor der Schwelle? „Lost in transition“ • Unterschwellige psychotische Symptome sind keine „Schizophrenie-Light“. • Sie sind überwiegend eine echte dimensionale Einheit. Fusar-Poli et al AGP 2012 Kontinuum psychotischer Phänomene van Os et al 2009 Kontinuum psychotischer Phänomene 1. Nicht-affektive Psychosen 2. Affektive psychoses mit psychotischen Symptomen 3. Substance-induzierte Psychosen 4. Psychoses durch somatische Erkrankung van Os et al 2009 Kontinuum psychotischer Phänomene Früher Übergang in Psychot. Strg bei 0.6% insgesamt (2) (1) van Os et al 2009 2) Kaymaz et al 2012 Kontinuum psychotischer Phänomene Von diesen Übergang in psychot Strg bei 7,4 % (3) (1) van Os et al 2009 (3) Linscott et al 2003 Kontinuum psychotischer Phänomene 1. Nicht-affektive Psychosen 2. Affektive psychoses mit psychotischen Symptomen 3. Substance-induzierte Psychosen 4. Psychoses durch somatische Erkrankung 7,4% von diesen 0,6 % (1) van Os et al 2009 (2) Kaymaz et al 2012 (3) Linscott et al 2003 Psychotische Erfahrungen in der Gesamtbevölkerung ! ! ! ! ! ! ! „Extended psychosis phenotype“ ! • Anteil psychotischer Erfahrungen in Gesamtbevölkerung 7.2 - 8 %. (1,2) Von diesen haben: • • • 80 % diese Phänomene nur vorübergehend. (2) 20 % diese Phänomene für längere Dauer. 7,4 % entwickeln eine psychotische Störung. (2) (1) van Os et al Psychol Med 2009 (2) Linscott et al Psychol Med 2013 Attenuated Psychosis Syndrome (APS) im Appendix des DSM V • Ca. 7% einer adoleszenten Gruppe (11-13 J) in einer Gesamtbevölkerung erfüllten die Kriterien. Fusar-Poli et al AGP 2012 Attenuated Psychosis Syndrome „Non-Konverter“ • • • Schlechtere soziale Funktionsfähigkeit: 40,3 % (1) Schlechtere akademische oder berufliche Rollenerfüllung: 45,5 % Neuro-kognitive Leistungen zu Beginn waren Schlüsselprädiktoren für den langfristigen Verlauf (1, 2) (1) Carrión et al JAMA Psy 2013 (2) Lin und al 2011 (1) Notwendige Begriffskorrektur • Begriff „Prodrom“ ist allenfalls nachträglich nach Manifestation einer Psychose gerechtfertigt • Begriff „Ultra High Risk“ ist falsch für die Mehrheit der so Benannten. • „Attenuated Psychosis Syndrome“ reicht weit in die Normalbevölkerung hinein. Es lässt sich als Krankheitsdiagnose nicht rechtfertigen. ! „Lost in Symptoms“ ? Umweltbedingungen als Risikofaktoren für Psychosen Wege in Psychosen ? ? ? Vom „High Risk“ in Psychosen NEMESIS (NL) und EDSP (D) STUDIE: • abgeschwächte, nicht-klinische psychotischen Phänomenen verbinden sich synergistisch mit • Umweltbedingten Risikofaktoren für Psychosen und verursachen eine • = pathologische Fortdauer dieser Phänomene und letztendlich • X => einen Hilfebedarf. (1) Cougnard et al Psychol Med 2007 (2) Wigman et al 2011 Begriffsklärung • Odds Ratio: Verhältniszahl über die Stärke eines Zusammenhangs. OR = 1.14 um 14 % höheres Risiko OR = 2.90 um 190 % erhöhte Risiko im Vergleich zur Kontrollgruppe. Umweltfaktoren während der Schwangerschaft • • • • • • ungewollte Schwangerschaft OR 2.4 Tod des Vaters vor der Geburt OR 2.4 Stress OR 1.4 Unwohlsein in der Schwangerschaft OR 1.9 Rauchen OR 1.5 Geburtskomplikationen - nur bei Minderheit - OR 2.0 Frühe soziale Prozesse • • • • • Tod eines Elternteils OR 3.19 /4.5 Trennung der Eltern OR 3.36 /3.0 Verlust der Mutter OR 6.0 Verlust des Vaters OR 3.0 Heimunterbringung OR 1.4 Probleme der Eltern • • • • Erleben elterlicher Gewalt OR 1.4 Substanzmissbrauch der Eltern OR 1.8 Psychische Erkankung eines Elternteils OR 1.9 gestörte/unzureichende elterliche Kompetenz: • • insbesondere affektarme Überkontrolle oft intergenerational Familienatmosphäre • Negative Familienatmosphäre erhöhte das Risiko für eine Psychose, mit und ohne Psychotische Erkrankungen in der Familie. (1) • Bei kritischem Familienumfeld signifikant mehr Positive Symptome. Bei Feindseligkeit: + 15%. Bei „Kritizismus“: + 7% (2) (1) Gonzales Pinto et al 2012 (2) Schlosser et al 2010 Familienatmosphäre • Der protektive Effekt einer positiven Familienatmosphäre besteht nur bei psychotischen Erkrankungen in der Familie. • Bei Familienumfeld mit Wärme, konstruktiver Kommunikation und familiären Engagement verbesserte Funktionsfähigkeit nach 6 Monaten. (2,3) (1) (1) Gonzales Pinto et al 2012 (2) Schlosser et al 2010 (3) O‘Brien et al Schizo Res 2009 Sexueller u. physischer Missbrauch • Missbrauch bei Menschen mit Schizophrenie-Diagnose • • bei 50% der Betroffenen (1) bei 55% der Männer und 65 % der Frauen (2) (1) Morgan et al 2007 (2) Read et al 2008 Traumatisierung als Prädiktor einer Konversion in eine Psychotische Störung Studie: N = 92 „Ultra-High-Risk“ Personen • • • 70% hatten ein traumatisches Ereignis erlebt. • Methodische Einschränkungen: Klienten wurden mit CBT behandelt, Ohne CBT vermutlich noch stärkerer Zusammenhang () 36% hatten ein sexuelles Trauma erlitten. Diese sexuell Traumatisierten entwickelten signifikant häufiger eine erste psychotische Episode nach Kontrolle multipler anderer Einflussfaktoren. (OR 2.96) Bechdolf et al Acta Psych Scand 2010 Sexueller u. physischer Missbrauch • Missbrauch als Risikoerhöhung für Psychosen • • • • Prospektive Studie OR 2.5 (2) Psychosen mit klin. Behandlungsbedürftigkeit OR 7.3 (2) Schwerer mehrfacher Missbrauch OR 30.0 (2) Missbrauch vor 13 L J Missbrauch nach 13 L J (3) OR 2.19 OR 1.70 (3) (1) Bebbington et al 2004 (2) Janssen et al 2004 (3) Spauwen et al 2006 Sexueller und physischer Missbrauch • Je schwerer der Missbrauch: !!!!desto höher das Psychoserisiko !!!!desto schwerer die Symptomatik • Diese „Dosis-Wirkungs-Beziehung“ spricht für eine echte Gen-Umwelt-Interaktion. • Interaktion Trauma + Cannabis vor 16 LJ: OR 11.96 Housten et al 2008 (1) Sexueller Missbrauch • „Es gibt jetzt beträchtliche Beweise eines Zusammenhangs zwischen sexuellem Missbrauch als Kind und Psychose. Diese Beziehung ist mindestens so stark und könnte sogar stärker sein als bei anderen psychischen Erkrankungen.“ Bebbington Epid Psich Soc 2009 Intergenerationale Kontinuität • Familien mit Eltern mit eigener Missbrauchserfahrung misshandeln häufiger die eigenen Kinder in den ersten 13 Monaten nach der Geburt als Familien ohne diese. (6.7 % vs 0.4 % , p < .001) Dixon et al 2005 Negative Kindheitserfahrungen einschließlich Traumatisierung • Statistisch erklären sie: • • • 44.6 % aller kindlichen psychischen Störungen 25.9 - 32% aller späteren psychischen Erkrankungen Diese Ereignisse stehen in Wechselwirkung mit anderen Faktoren wie schwerem Haschisch-Konsum, genetischer Disposition und Epigenetischen Prozessen. (1) Green et al 2010 (2) (1) Kessler et al Br J Psychiatry 2010 (1) (2) Soziale Notlage (social adversity) • Erhobene negative Einflussfaktoren sozial depravierte Stadtgebiete (UK) OR 2.9* Vater aus unterster sozialer Klasse OR 2.0* beide: OR 7.7* ! * Ausschluss von Fällen mit Familienanamnese für Schizophrenie (1,2) (1) Harrison et al 2001 (2) Wicks et al 2005 ! Soziale Notlage (social adversity) Kumulative Effekte einzelner Faktoren: Dosis-Wirkungs-Beziehung Erklären insgesamt 20% der Inzidenz (2) Effekte durch „drift“ sind nur marginal. (2) Wicks et al 2005 Urbanizität • • • Mehr Neuerkrankungen nach Aufwachsen in Städten OR !2.0 Erklärt 30% der Inzidenz (1,2,3,4) (5) Sog. „Proxy“: faktische Ursachen unbekannt keiner der bekannten Ursachenfaktoren (1) Mortensen et al. 1999 (2) Krabbendamm et al 2005 (3) van Os et al 2004 (4) March et al. 2008 (5) Brown el al 2011 Urbanizität und vulnerable Entwicklungsphase • Zeitfenster für diesen Effekt: Leben in der Stadt zwischen 5. bis 15. L J Je länger in diesem Zeitraum desto höher die Inzidenz (1) Nicht mehr bedeutsam bei Beginn der Psychose. • Dosis-Wirkungs-Beziehung über den gesamten Zeitraum !!!Gen-Umwelt-Interaktion (1) Petersen et al 2001 Urbanizität • Erhöhte soziale Stressoren (1) durch soziale Isolation (2) soziale Fragmentierung: (2,3) Mieterwechsel, Desorganisation Kriminalität, Viktimisierung geringes “soziales Kapital“ (4,5,6) sozio-ökonomische Deprivation (7) • Infektionen, Toxine, Ernährung, Umweltverschmutzung ! (7) (1) Lederbogen et al 2011 u. 2012 (2) Allardyce et al 2005 (3) Zammit et al 2010 (4) March et al. 2008 (5) Lofors et al 2007 (6) Kirkbride et al 2007 (7) Brown el al 2011 Protektive soziale Faktoren • Protektive Wirkungen durch: spezifische Nachbarschaftsbeziehungen: Vertrauen, Wechselseitigkeit, Kooperation, gegenseitige Hilfe, Sicherheit, vertraute Personen => soziales Kapital (Bourdieu) Eine Idee für Präventionsprojekte ? Urbanizität und familiäre Vulnerabilität • Interaktion: Bei familiärer Vulnerabilität und hoher Urbanizität entwickeln 61-70 % aller Individuen eine Psychose. (1) • Bei jünger erkrankten Menschen ist der Umweltfaktor bedeutsamer als der genetische Faktor. van Os et al 2003 Soziale Ablehnung (social defeat) • Definition: anhaltende Erfahrung einer untergeordneten sozialen Position oder einer Außenseiterrolle subjektives Erleben ist entscheidend subjektiv erlebte Diskriminierung OR 2.1 • Einzelfaktoren (Rangfolge) Arbeitslosigkeit vorbestehende psychiatrische Diagnose Familienstand alleinstehend Geschlecht Ausbildungsgrad • Dosis-Wirkungs-Beziehung Schikanieren - Bullying • • • ! ! Bullying im Alter von 8 u/o 10 Jahren: OR 2.0 Chronisches und schweres Bullying OR 4.6 Kontrollierte Einflussfaktoren: - vorausgehende Psychopathologie - familiäre Notlagen - Intelligenzquotient ! ! ! ! ! ! ! ! ! Schreier et al AGP 2009 ! Cannabis • Große Unterschiede in der individuellen Sensibilität Kein Psychoserisiko für die meisten Konsumenten 92-97% Insges. Verdopplung der Schizophenie-Risikos RR 2.1 Dosis-Wirkungs-Beziehung Cannabis für 8% der Inzidenz verantwortlich ohne THC 8% weniger Schizophrenien Migration • Dosis-Wirkungs-Beziehung: • Je größer die Diskriminierung desto höher das Psychose-Risiko (1) • Je geringer der der Anteil an der Gesamtbevölkerung desto höher das Psychose-Risiko (2,3,4) (1) Vehling et al SPPE 2008 (2) Boydell et al. 2001 (3) Kirkbride et al 2007 (4) Veling et al AJP 2008 Migration • Migranten aus Entwickungsländern: 1. Generation: RR 2.3 (1,2) 2. Generation: erhöht (1) oder gleich (2) • • Kulturabhängig grosse Unterschiede: bis zu RR 8.0 Schwarze Minderheiten: 1. Generation: RR 4.0 2. Generation: RR 5.4 (3) (2) ! (1) Cantor Graee et al (2) Bourque et al 2011 (3) Selten et al 2001 Migration ! • • Ursachen nicht gesichert • Geringere Inzidenz bei asiatischen und türkischen Immigranten: Bedeutung sozialer Netzwerke, sozialer Unterstützung, sozialer Anerkennung mögliche Ursachen: Diskriminierung, soziale Exklusion, soziale Niederlage, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe der Eltern Belastende Lebensereignisse und Stressoren im Allag • Belastende Lebensereignisse korrelieren mit der gegenwärtigen prodromalen psychotischen Symptomen. (2) • Belastende Lebensereignisse verstärken kumulativ die emotionale Reaktivität auf Alltagsereignisse. (3) • Tägliche Stressoren erhöhen die prodromalen positiven psychotischen Symptomatik über 1 Jahr. (2) • Keine Auslöser sondern kumulative Erhöhung der Vulnerabilität (1) Norman et al 1993 (2) Tessner et al 2011 (3) Myin-Germeys et al Psychol Med 2003 Straffälligkeit • Bei UHR- Individuen höhere Rate von Kriminalität und Konflikten mit dem Gesetz und Verfahren an Jugendgerichten. (1) (1) Tessner et al 2011 Gen-Umwelt-Interaktion • • Kohortenstudie in NL und Belgien über 3 Jahre • Erfasste Umweltrisiken: Kindliche Traumatisierung, Cannabis, Urbanizität, Ethnische Minorität • Ergebnisse: Die Exposition mit Umweltrisiken ist sehr hoch. Der Übergang in Psychosen ist stark abhängig von dieser Exposition. Alle diese Umweltrisiken sind mit Übergängen in Psychosen verbunden. • Die meisten Übergänge können starken Umwelteinflüssen zugeschrieben werden, die gegen ein erhöhtes genetisches Hintergrundrisiko arbeiten. („operating against“) N = 810 Geschwister Erkrankter (nicht-affektive Psychosen) N = 462 Gesunde ohne Familienannamnese für Psychosen Nierop et al 2013 Gen-Umwelt-Interaktion • 82% waren sowohl dem Proxie für ein genetisches Risiko (erkrankter Geschwister) sowie auch Umweltrisiken ausgesetzt. • 18 % wiesen nicht diesen Proxie für ein genetische Risko auf. Nierop et al 2013 Gen-Umwelt-Interaktion • Errechnete (,kausaler‘) Wirksamkeitsanteil für die spez. Risiken: 28% für ethnisch Minorität 45% für Geburt in einer Stadt, 57% für Cannabisgebrauch 86% für kindliche Traumatisierung Nierop et al 2013 Welche Problemlagen sind bei Präventionsbemühungen zu erwarten? • • • • • • • • • • • • frühe Verlusterfahrungen unvollständige Familien Psychische Erkrankungen in der Familie Negative und positive psychiatrische Behandlungserfahrungen in der Familie Traumatisierung der Eltern Geringe elterliche emotionale und Bindungskompetenz Kritische bis feindselige Familienatmosphäre Physische Misshandlung Sexueller Missbauch Vernachlässigung Emotionaler Missbrauch Negatives Familienklima Problemlagen • • • • • • • • • • fragmentierter unmittelbarer Sozialraum Armut Soziale Notlagen Soziale Diskriminierung Soziale Ablehnung Bullying (in der Schule) Belastende Lebensereignisse Leben in einer ethnischen Minorität früher Cannabisgebrauch Straffälligkeit Was tun? Grundregeln zur Prävention • Je früher, desto • • • • ... vorsichtiger • • .... kontextueller • .... bezogener auf die tätsächlichen Lebensprobleme ... distaler von der Psychiatrie ... störungsunspezifischer ... weniger Behandlung eines Syndroms als Arbeit mit den potentiellen Risikofaktoren und protektiven Faktoren. .... mehr unter Einbeziehung der Familie und anderer wichtiger Bezugspersonen und Beteiligter Fokus der psycho-sozialen Prävention Unterstützung im Lebensfeld bei Problemlagen zwischenmenschliche Beziehungen Stress in Ausbildung und Beruf sexuelle Erfahrungen in Adoleszenz nach kindl. Traumatisierung soziale Ablehnung Diskriminierung, Bullying Cannabis (als Coping schwer aushaltbarer Emotionen) Unterstützung bei vielfältigen sozialen/ökonomischen Notlagen Migrationserfahrung EIN PRÄVENTIONSPROJEKT aus ... ... Finnland JERI TEAM (Espoo) • Zielgruppe: Hilfe suchende Personen Alter 12-22 J Im Zustand eines Risikos, eine Psychose zu entwickeln. • Konzept Analog der bedürfnisangepaßten Behandlung niedrigschwellig Ohne Stigma einer psychiatrischen Behandlung • Ort Treffen in natürlicher Umgebung Schule, zu Hause ... • Erstes Treffen: Mit den Eltern und dem „Community Co-Worker“, der ursprünglich Kontakt mit dem Jeri-Team aufgenommen hat. JERI TEAM - Konzept • 3 Hauptaufgaben • 1.) Identifizierung des potentiellen Risikos eine Psychose zu entwickeln (PROD-Skala) • 2.) Häufige Treffen mit Eltern und weiteren Professionellen in der Gemeinde, um Wege zu finden, den aktuellen Stress bzw. die Stressfaktoren zu vermindern und den Klienten zu unterstützen, um in der Schule oder am Arbeitsplatz zurecht zu kommen. • 3.) den Klienten an adäquate psychiatrische Hilfe zu vermitteln, wenn sich eine Psychose oder eine andere schwere psychiatrische Störung entwickelt Granö et al 2009 Beispiele • Bereich Schule: Schikanieren in der Schule zu beenden, indem ein Sozialarbeiter mit spezieller Kenntnis in der Verminderung von „Bullying“ in der Schule in das Team zu integrieren. Oder z.B. eine spezielle Hilfe bei Schwierigkeiten in der Schule zu etablieren. • Bereich Familie: Gemeinsame Treffen mit der Familie um interne Konflikte zu vermindern und eine Unterstützung für de Klienten durch die Familie zu erreichen. Jeri-Team Konzept • Dauer So lange bis sich alle sicher genug fühlen um ohne Hilfe auszukommen oder nach gelungener Überleitung in andere Hilfsangebote die mit dem Klienten und der Familie ausgehandelt werden: psychiatrische oder andere Hilfen. JERI TEAM - Ergebnisse • • • 528 Telefonkontake • 90 ausgewertet 335 Treffen 210 Interview und Fragebogen zum Psychoserisiko Davon: 100 nur 2 oder 3 Treffen, z.T. Weitervermittlung 90 mehr als 4 Treffen 35 davon mit erhöhtem Risiko für Psychosen Altersdurchschnitt 15 Jahre Anzahl der Treffen: Durchschnitt 11 Dauer 9 -11 Monate Nach der Intervention: 73 keinen weiteren Bedarf 17 in psychiatrische Hilfe vermittelt 1 Klient Psychose entwickelt JERI TEAM - Ergebnisse • Größere Veränderungen in den präpsychotischen Symptomen korrelierten mit der Anzahl von Netzwerktreffen, (p = 0.001) • Größere Veränderungen in der Funktionsfähigkeit (GAF) korrelierten mit der Anzahl von Netzwerktreffen mit den kooperierenden Kollegen aber nicht mit den anderen Treffen. (p = 0.041) • Die Effektstärken für Veränderungen in der Funktionsfähigkeit (GAF) waren sehr hoch in allen Gruppen. Bei 50 % der Gruppe mit dem erhöhten Psychoserisiko verbesserten diese über den klinischen Schwellenwert hinaus. Granö et al 2011 JERI TEAM - Ergebnisse • 53 % aller Betroffenen erreichten eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität auch von den Personen mit erhöhtem Psychoserisiko. • „Die Resultate zeigen eine statistisch und klinisch bemerkenswerte Verbesserung von Lebensqualität und Funktionsfähigkeit durch bedürfnisangepaßte auf Familien und die Gemeinschaft ausgerichtete Interventionen.“ • Es könnte sein, dass Unterstützung im täglichen Leben und bei den täglichen Problemen auf sehr konkrete Art und Weise diese Jugendlichen besser hilft als die sonst übliche Psychotherapie. Granö et al 2013 Fokus der psycho-sozialen Prävention • Entwicklung von protektiven Faktoren in essentiellen Beziehungen: Vertrauen, Wechselseitigkeit, Kooperation, gegenseitige Hilfe, Sicherheit, vertraute Personen Aufbau eines verläßlichen, vertrauensvollen Netzwerks aus privaten und professionellen Personen. Fragen ? • Wie gehen wir therapeutisch mit der oft zu erwartenden Traumatisierung um? • Was bedeuten diese für die sexuellen Erfahrungen in dieser Altersgruppe und unserem Umgang damit? • Wie wichtig ist dabei die Wahl des richtigen Behandlers/ Beraters insbesondere hier für das Gelingen des präventiven Vorsatzes? Fragen • So schön der Slogan ist ... „Jeder kann eine Psychose entwickeln“. Er scheint nicht zu stimmen. Was bedeutet das? • Präventionsarbeit ist oft Randgruppenarbeit. Dann spätestens wird es politisch. Fragen • Mit Prävention läßt sich kein Geld mehr verdienen. Die Neuroleptika sind aus dem Rennen. Die Neuroprotektiva stehen nicht unter Patentschutz. An ihnen läßt sich nichts verdienen. Ist nun der Drive raus aus den aufwendigen randomisierten Forschungsprojekten? ! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit