Viele Wege in die Psychose und an ihr vorbei. Prävention als Dialog

Werbung
!!!!!!!!!!!!!Viele Wege in die Psychose
und an ihr vorbei.
Prävention als Dialog
über das Ungewisse
Volkmar Aderhold
Institut für Sozialpsychiatrie
an der Uni Greifswald
Wenn Prävention, dann im Lebensfeld
an Lebensproblemen und mit sozialen
Netzwerken
Inhalte
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Vor der Psychose „Das Prodrom“
Konversion in die Psychose
Behandlung, um Konversion zu verringern: Early Detection
Frühbehandlung von Psychosen: Early Intervention
Ultra High Risk ohne Risk (Psychose)
Lost in transitions - Lost in symptoms
Kontinuum psychotischer Phänomene
Umweltrisiken für Psychosen
Gen-Umwelt-Interaktion
Prävention orientiert an Umweltrisiken
Ein Modell zur Prävention
Fragen
Verlaufsmodell zur Prävention
von Psychosen
„Ultra High Risk“
Konversionsraten
Konversionsraten
Fusar-Poli et al 2012
Konversionsrate über 10 Jahre
The PACE 400 Study - N = 416
•
34,9 % entwickeln eine erste psychotische Episode
•
65% der Betroffenen werden demnach dauerhaft
fälschlich als Hoch-Risiko-Patienten bezeichnet und
behandelt, weil sie die sog. „Ultra High Risk“ Kriterien
erfüllen.
Nelson et al JAMA P 2013
Erhebungsinstrumente
Ultra High Risk Personen (= UHR)
•
Nicht geübte Professionelle würden mit diesen
Erhebungsinstrumenten doppelt so viele Individuen als UHR
diagnostizieren. (1)
Dies würde zu 91% falsch Positiven für das erste Jahr und
zu 81% auf Dauer führen. (2)
(1) Yung et al Schizo Res 2008 (2) Corcoran et al Schizo Res 2010
Prävention von Psychosen
Behandlung von „Hoch-Risiko-Patienten“
Alle randomisierten Studien zu „Hoch-Risiko-Individuen
Behandlung
Ris+CT
Experimentell
N
Dauer
experimentel Intervention Konversion
nach 1 J
Kontrolle
Konversion
nach 1 J
Signifikanz
NNT
Experimentell
Konversion
nach 3 J
Kontrolle
Konversion
nach 3 J
NS
4
32,2 %
42,8 %
NS
5
25,8 %
44,8 %
21,7 %
NS
5
20 %
30,4 %
?
ST
35,7 %
Plc
37,9 %
McGorry 2002
31
6 Mo
19 %
Ola
31
12 Mo
16 %
CT
35
6 Mo
5,7 %
Omega 3
41
3 Mo
4,8 %
Plc
27,5 %
Sign
P= .02
5
43
6 Mo
4,7 %
CT+Plc 9%
ST+Plc 7,1%
NS
-
24
6 Mo
0 %
ST 12,5%
NS
8
115
12 Mo
10,7 %
CT+Plc 9,6%
ST+Plc 21,8%
NS
128
12 Mo
3,2 %
ST
16,9 %
Sign
McGlashan 2006 dropout 45%
Morrison 2004
1200 mg
Amminger 2010 dropout 7%
Ris+CT
Yung
2011
CT
Addington 2011
RIS+CT
McGorry 2013
CBT,Skill,Cogpack
Psychoedu
Familie
Bechdolf 2012
waiting/TAU
P= .02
9
2 J:
6,3 %
2 J:
20 %
Ergebnis nach 15 Jahren Forschung
•
Omega 3 Fettsäuren über 3 Monate senken die Konversion in
Psychosen am meisten: 5% vs. 27% über 1 Jahr (1,2) und länger (3)
Bisher nur eine Studie, weitere Studie läuft noch.
•
Spezifische Methoden (z.B. CT) sind der supportiven Therapie bisher
langfristig nicht überlegen (3,4)
(1) Amminger et al 2010 (2) Fusar-Poli et al AGP 2012
(3) McGorry et at J Clin Psychiatr 2013 (4) Phillips et al 2007
Ergebnis nach 15 Jahren Forschung
•
Keine anhaltenden Effekte der fokussierten Interventionen im
weiteren Verlauf (über 2-3 Jahre) (3,5)
•
Befristete Interventionen bewirken nur einen Aufschub der akuten
Psychose (5)
•
Kontinuierliche und gute Therapieangebote
mit Beginn der ersten Episode und über 3-5 Jahre
sind wichtiger als kurzfristige Frühintervention
(6)
(3) McGorry et at J Clin Psychiatr 2013 (5) Preti et al Schizo Res 2010 (6) Linszen et al 2005
Neuroleptika Anwendung
in Früherkennungsprojekten heute
•
Es gibt keine wissenschaftliche Berechtigung, Neuroleptika bei
„Ultra- High-Risk“ Patienten einzusetzen.
•
Die Verschreibung von Neuroleptika ist in
Früherkennungsprojekten der USA von 2005 bis 2011 von
25% auf 18% gefallen.
•
Es gibt keine Daten zum Versorgungsalltag.
Woods et al 2013
Empfehlungen
•
"Folglich wird der sicherste Ansatz empfohlen, d. h.
psychologische Interventionen und Fischöl aber nicht
Behandlung mit antipsychotischer Medikation." (1)
(1) Fusar-Poli et al AGP 2012
Empfehlungen
Yung & Nelson 2013
Was ich mich so frage:
•
•
Warum wurden Omega 3 Fettsäure nur 3 Monate gegeben?
•
Sollte man Betroffenen raten, Fischöl zu nehmen und die
Psychiatrie zu meiden?
Fehlschlüsse und Fehlbehandlungen sind dort fast
vorprogrammiert.
Warum wird Fischöl nicht viel konsequenter in der Prävention
empfohlen ohne mit dem Drama der Psychose zu drohen?
Was u.a. fehlt
nach 15 Jahren Forschung
•
•
•
•
Antidepressiva möglicherweise ebenfalls wirksam (Ø RCT) (1)
Cannabidiol ?
Vit D ?
Oxytocin ?
(1) Cornblatt et al 2007
Nach der Konversion
Definition des Übergangs in „Psychosen“
•
Kontinuum, dass von Normvarianten in unterschiedliche
Erkrankungen übergeht.
•
•
Definition durch Konsensus von Experten Anfang der 90-er
„Eindeutig eine subjektive Definition über den Punkt, an dem
antipsychotisch Medikation verschrieben werden sollte.“ (1)
(1) Yung et al 1996
Kontinuum psychotischer Phänomene
van Os et al 2009
Definition der Schwelle zur „Psychose“
durch Erhebungsinstrumente
CAARMS (Melbourne)
•
•
Score-Veränderung von 5 auf 6
Beispiel:
Außergewöhnliche Denkinhalte über eine Woche
Definition des Übergangs in „Psychosen“
•
Auch jenseits dieser Schwelle bestehen immer noch
Syndrome, die Normvarianten darstellen, d.h. zum
Spektrum einer Normalbevölkerung gehören.
•
Definition der Schwelle ist etwas hochschwelliger als
die des DSM IV für akute vorübergehende Psychose
(= psychotisch 1 Tag).
(1) Yung et al 1996
Neurotoxizität der Neuroleptika
Abbau der Grauen Substanz in der 1. psychotischen Episode:
ohne NL = grün und mit NL = rot
Review
FEP = 965
K = 1040
Radua et al 2012
Fig. 4 Effect size of the differences of grey matter volume between antipsychotic-naïve patients and controls (green bars) and
between medicated patients and controls (red bars) in the four peaks of multimodal abnormality in anterior cingulated cortex (ACC...
Insula und anteriores Cingulum
•
•
Anteriores Cingulum
Netzwerk zur Regulation von Bedeutungen und
Emotionen
Insula
Integration von sensorischen Zuflüssen
Eigenwahrnehmung des Körperzustandes
Neuronale Repräsentation des Selbst
Nach der Konversion
Early Intervention
Early Intervention
Dauer der unbehandelten Psychose = DUP
•
Ziel dieser Frühintervention ist Verkürzung der DUP
durch frühzeitige neuroleptische Medikation und weitere
psychosoziale Interventionen.
•
•
DUP erklärt jedoch nur 3-6% der Verlaufsvarianz (1,2 )
•
DUP ist vor allem ein Epiphänomen = Proxie
Bescheidene („modest“) Assoziation zwischen DUP and
Ergebnis (outcome) (3)
(1) Harrigan et al 2003 (2) Schimmelmann et al 2008 (3) Marshall et al 2005 Cochrane
!
Ergebnisse der Frühbehandlung
der 1. psychotischen Episode
Effekte der DUP- Verkürzung
•
•
Geringere Suizidalität zu Behandlungsbeginn (1)
Weniger schwere Negativ-Symptome über 1- 2 Jahre,
wenn die DUP kürzer war als 9 Monate:
Effekstärke: r = 0.117 (p < 0.001) (2)
(1) Melle et al 2006 (2) Boonstra et al 2012 Review
DUP Verkürzung ohne Effekt auf:
•
•
•
•
•
Positivsymptomatik nach einem Jahr und später
Funktionsniveau
1,2,3
Lebensqualität
Nach 3 Jahren keine oder gering bessere Effekte
DUP korreliert nicht mehr mit den Ergebnissen
nach 3 und 10 Jahren (4).
(1) Melle et al 2004; (2) Melle et al 2005; (3) Larsen et al 2006 (4) Hegelstad et al 2012
Effekte der DUP- Verkürzung
•
„Da es keine wirksame Behandlung für Negativ-Symptome
gibt, kann das Reduzieren der DUP auf weniger als
9 Monaten die beste Weise sein, sie zu verbessern.“ (2)
•
Es geht nicht um Tage und Wochen !
(2) Boonstra et al 2012 Review
Negativ Symptome
und
künstlerische Therapien
!
NICE 2009 Schizophrenia
Negativ Symptome
und
künstlerische Therapien
!
NICE 2009 Schizophrenia
Kritische bzw. ironische Frage
•
Können wir die Früherkennungsprojekte
durch Fischöl bei psychotischen
Phänomenen und Künstlerische Therapien
nach der 1. psychotischen Episode
ersetzen?
"
"
„Utra High Risk“ Individuen
ohne Übergang in Psychosen
•
•
Bei 64% kein Übergang in „Psychose“ über 10 Jahren
(1)
Bei 64 % wird demnach unberechtigt ein
„Ultra High Risk Syndrom“ diagnostiziert.
•
•
bei ca. 50 % Remission der APS und BLIPS mit oder ohne
Intervention (2,3,4)
Übergang in andere Störungen
(1) Fusar-Poli et al AGP 2012 (2) Simon et al 2010 (3) Addington et al 2011 (4) Ziermann et al 2011
Syndrome vor der Schwelle
und sonst ?
Weitere Syndrome bei „Non-Konvertern“
•
•
•
•
•
•
•
Angst und/oder Depression (69%)
Depression (40%)
(1,2)
(2)
Angststörungen (15%)
(2)
Substanzmissbrauch/- abhängigkeit (25%)
Achse II Diagnosen (44%)
(3)
(3)
meist vorübergehend oder subklinisch
unter Stressbedingungen Übergang in manifeste Störungen
(1) Woods et al 2009 (2) Velthorst et al Schizo Res 2010 (3) Fusar-Poli 2012
Psychotische Phänomene
vor der Schwelle?
„Lost in transition“
•
Unterschwellige psychotische Symptome sind keine
„Schizophrenie-Light“.
•
Sie sind überwiegend eine echte dimensionale Einheit.
Fusar-Poli et al AGP 2012
Kontinuum psychotischer Phänomene
van Os et al 2009
Kontinuum psychotischer Phänomene
1. Nicht-affektive Psychosen
2. Affektive psychoses mit
psychotischen Symptomen
3. Substance-induzierte
Psychosen
4. Psychoses durch somatische
Erkrankung
van Os et al 2009
Kontinuum psychotischer Phänomene
Früher Übergang in
Psychot. Strg bei
0.6% insgesamt (2)
(1) van Os et al 2009 2) Kaymaz et al 2012
Kontinuum psychotischer Phänomene
Von diesen
Übergang in
psychot Strg
bei 7,4 %
(3)
(1) van Os et al 2009 (3) Linscott et al 2003
Kontinuum psychotischer Phänomene
1. Nicht-affektive Psychosen
2. Affektive psychoses mit
psychotischen Symptomen
3. Substance-induzierte
Psychosen
4. Psychoses durch somatische
Erkrankung
7,4%
von diesen
0,6 %
(1) van Os et al 2009 (2) Kaymaz et al 2012 (3) Linscott et al 2003
Psychotische Erfahrungen in
der Gesamtbevölkerung
! ! ! ! ! ! ! „Extended psychosis phenotype“
!
•
Anteil psychotischer Erfahrungen in Gesamtbevölkerung 7.2 - 8 %. (1,2)
Von diesen haben:
•
•
•
80 % diese Phänomene nur vorübergehend. (2)
20 % diese Phänomene für längere Dauer.
7,4 % entwickeln eine psychotische Störung. (2)
(1) van Os et al Psychol Med 2009 (2) Linscott et al Psychol Med 2013
Attenuated Psychosis Syndrome (APS)
im Appendix des DSM V
•
Ca. 7% einer adoleszenten Gruppe (11-13 J) in einer
Gesamtbevölkerung erfüllten die Kriterien.
Fusar-Poli et al AGP 2012
Attenuated Psychosis Syndrome
„Non-Konverter“
•
•
•
Schlechtere soziale Funktionsfähigkeit: 40,3 % (1)
Schlechtere akademische oder berufliche Rollenerfüllung: 45,5 %
Neuro-kognitive Leistungen zu Beginn waren Schlüsselprädiktoren
für den langfristigen Verlauf (1, 2)
(1) Carrión et al JAMA Psy 2013 (2) Lin und al 2011
(1)
Notwendige Begriffskorrektur
•
Begriff „Prodrom“ ist allenfalls nachträglich nach Manifestation
einer Psychose gerechtfertigt
•
Begriff „Ultra High Risk“ ist falsch für die Mehrheit der so
Benannten.
•
„Attenuated Psychosis Syndrome“ reicht weit in die
Normalbevölkerung hinein.
Es lässt sich als Krankheitsdiagnose nicht rechtfertigen.
!
„Lost in Symptoms“ ?
Umweltbedingungen als
Risikofaktoren für Psychosen
Wege in Psychosen
? ? ?
Vom „High Risk“ in Psychosen
NEMESIS (NL) und EDSP (D) STUDIE:
•
abgeschwächte, nicht-klinische psychotischen Phänomenen
verbinden sich synergistisch mit
•
Umweltbedingten Risikofaktoren für Psychosen
und verursachen eine
•
=
pathologische Fortdauer dieser Phänomene
und letztendlich
•
X
=>
einen Hilfebedarf.
(1) Cougnard et al Psychol Med 2007 (2) Wigman et al 2011
Begriffsklärung
•
Odds Ratio:
Verhältniszahl über die
Stärke eines Zusammenhangs.
OR = 1.14 um 14 % höheres Risiko
OR = 2.90 um 190 % erhöhte Risiko
im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Umweltfaktoren
während der Schwangerschaft
•
•
•
•
•
•
ungewollte Schwangerschaft
OR 2.4
Tod des Vaters vor der Geburt
OR 2.4
Stress
OR 1.4
Unwohlsein in der Schwangerschaft
OR 1.9
Rauchen
OR 1.5
Geburtskomplikationen
- nur bei Minderheit -
OR 2.0
Frühe soziale Prozesse
•
•
•
•
•
Tod eines Elternteils
OR 3.19 /4.5
Trennung der Eltern
OR 3.36 /3.0
Verlust der Mutter
OR 6.0
Verlust des Vaters
OR 3.0
Heimunterbringung
OR 1.4
Probleme der Eltern
•
•
•
•
Erleben elterlicher Gewalt
OR 1.4
Substanzmissbrauch der Eltern
OR 1.8
Psychische Erkankung eines Elternteils
OR 1.9
gestörte/unzureichende elterliche Kompetenz:
•
•
insbesondere affektarme Überkontrolle
oft intergenerational
Familienatmosphäre
•
Negative Familienatmosphäre erhöhte das Risiko für eine
Psychose, mit und ohne Psychotische Erkrankungen in der Familie.
(1)
•
Bei kritischem Familienumfeld signifikant mehr Positive
Symptome.
Bei Feindseligkeit: + 15%.
Bei „Kritizismus“: + 7% (2)
(1) Gonzales Pinto et al 2012 (2) Schlosser et al 2010
Familienatmosphäre
•
Der protektive Effekt einer positiven Familienatmosphäre
besteht nur bei psychotischen Erkrankungen in der Familie.
•
Bei Familienumfeld mit Wärme, konstruktiver Kommunikation
und familiären Engagement verbesserte Funktionsfähigkeit
nach 6 Monaten.
(2,3)
(1)
(1) Gonzales Pinto et al 2012 (2) Schlosser et al 2010 (3) O‘Brien et al Schizo Res 2009
Sexueller u. physischer Missbrauch
•
Missbrauch bei Menschen mit Schizophrenie-Diagnose
•
•
bei 50% der Betroffenen (1)
bei 55% der Männer und 65 % der Frauen (2)
(1) Morgan et al 2007 (2) Read et al 2008
Traumatisierung als Prädiktor einer
Konversion in eine Psychotische Störung
Studie: N = 92 „Ultra-High-Risk“ Personen
•
•
•
70% hatten ein traumatisches Ereignis erlebt.
•
Methodische Einschränkungen:
Klienten wurden mit CBT behandelt,
Ohne CBT vermutlich noch stärkerer Zusammenhang ()
36% hatten ein sexuelles Trauma erlitten.
Diese sexuell Traumatisierten entwickelten signifikant häufiger
eine erste psychotische Episode nach Kontrolle multipler
anderer Einflussfaktoren. (OR 2.96)
Bechdolf et al Acta Psych Scand 2010
Sexueller u. physischer Missbrauch
•
Missbrauch als Risikoerhöhung für Psychosen
•
•
•
•
Prospektive Studie
OR
2.5
(2)
Psychosen mit klin. Behandlungsbedürftigkeit OR 7.3
(2)
Schwerer mehrfacher Missbrauch OR 30.0
(2)
Missbrauch vor 13 L J
Missbrauch nach 13 L J
(3)
OR 2.19
OR 1.70
(3)
(1) Bebbington et al 2004 (2) Janssen et al 2004 (3) Spauwen et al 2006
Sexueller und physischer Missbrauch
•
Je schwerer der Missbrauch:
!!!!desto höher das Psychoserisiko
!!!!desto schwerer die Symptomatik
•
Diese „Dosis-Wirkungs-Beziehung“ spricht
für eine echte Gen-Umwelt-Interaktion.
•
Interaktion Trauma + Cannabis vor 16 LJ: OR 11.96
Housten et al 2008
(1)
Sexueller Missbrauch
•
„Es gibt jetzt beträchtliche Beweise eines
Zusammenhangs zwischen sexuellem Missbrauch als
Kind und Psychose. Diese Beziehung ist mindestens so
stark und könnte sogar stärker sein als bei anderen
psychischen Erkrankungen.“
Bebbington Epid Psich Soc 2009
Intergenerationale Kontinuität
•
Familien mit Eltern mit eigener Missbrauchserfahrung
misshandeln häufiger die eigenen Kinder in den ersten
13 Monaten nach der Geburt als Familien ohne diese.
(6.7 % vs 0.4 % , p < .001)
Dixon et al 2005
Negative Kindheitserfahrungen
einschließlich Traumatisierung
•
Statistisch erklären sie:
•
•
•
44.6 % aller kindlichen psychischen Störungen
25.9 - 32% aller späteren psychischen Erkrankungen
Diese Ereignisse stehen in Wechselwirkung mit anderen
Faktoren wie schwerem Haschisch-Konsum, genetischer
Disposition und Epigenetischen Prozessen.
(1) Green et al 2010 (2) (1) Kessler et al Br J Psychiatry 2010
(1)
(2)
Soziale Notlage (social adversity)
•
Erhobene negative Einflussfaktoren
sozial depravierte Stadtgebiete (UK) OR 2.9*
Vater aus unterster sozialer Klasse OR 2.0* beide: OR 7.7*
!
* Ausschluss von Fällen mit Familienanamnese für Schizophrenie
(1,2)
(1) Harrison et al 2001 (2) Wicks et al 2005
!
Soziale Notlage (social adversity)
Kumulative Effekte einzelner Faktoren:
Dosis-Wirkungs-Beziehung
Erklären insgesamt 20% der Inzidenz
(2)
Effekte durch „drift“ sind nur marginal.
(2) Wicks et al 2005
Urbanizität
•
•
•
Mehr Neuerkrankungen nach Aufwachsen in Städten OR !2.0
Erklärt 30% der Inzidenz
(1,2,3,4)
(5)
Sog. „Proxy“: faktische Ursachen unbekannt
keiner der bekannten Ursachenfaktoren
(1) Mortensen et al. 1999 (2) Krabbendamm et al 2005 (3) van Os et al 2004 (4) March et al. 2008 (5) Brown el al 2011
Urbanizität und
vulnerable Entwicklungsphase
•
Zeitfenster für diesen Effekt:
Leben in der Stadt zwischen 5. bis 15. L J
Je länger in diesem Zeitraum desto höher die Inzidenz
(1)
Nicht mehr bedeutsam bei Beginn der Psychose.
•
Dosis-Wirkungs-Beziehung über den gesamten Zeitraum
!!!Gen-Umwelt-Interaktion
(1) Petersen et al 2001
Urbanizität
•
Erhöhte soziale Stressoren (1) durch
soziale Isolation (2)
soziale Fragmentierung:
(2,3)
Mieterwechsel, Desorganisation
Kriminalität, Viktimisierung
geringes “soziales Kapital“ (4,5,6)
sozio-ökonomische Deprivation (7)
•
Infektionen, Toxine, Ernährung, Umweltverschmutzung
!
(7)
(1) Lederbogen et al 2011 u. 2012 (2) Allardyce et al 2005 (3) Zammit et al 2010 (4) March et al. 2008
(5) Lofors et al 2007 (6) Kirkbride et al 2007 (7) Brown el al 2011
Protektive soziale Faktoren
•
Protektive Wirkungen durch:
spezifische Nachbarschaftsbeziehungen:
Vertrauen, Wechselseitigkeit, Kooperation,
gegenseitige Hilfe, Sicherheit, vertraute Personen
=> soziales Kapital (Bourdieu)
Eine Idee für Präventionsprojekte ?
Urbanizität und familiäre Vulnerabilität
•
Interaktion:
Bei familiärer Vulnerabilität und hoher Urbanizität
entwickeln 61-70 % aller Individuen eine Psychose. (1)
•
Bei jünger erkrankten Menschen ist der Umweltfaktor
bedeutsamer als der genetische Faktor.
van Os et al 2003
Soziale Ablehnung (social defeat)
•
Definition:
anhaltende Erfahrung einer untergeordneten sozialen
Position oder einer Außenseiterrolle
subjektives Erleben ist entscheidend
subjektiv erlebte Diskriminierung OR 2.1
•
Einzelfaktoren (Rangfolge)
Arbeitslosigkeit
vorbestehende psychiatrische Diagnose
Familienstand alleinstehend
Geschlecht
Ausbildungsgrad
•
Dosis-Wirkungs-Beziehung
Schikanieren - Bullying
•
•
•
! !
Bullying im Alter von 8 u/o 10 Jahren:
OR 2.0
Chronisches und schweres Bullying
OR 4.6
Kontrollierte Einflussfaktoren:
- vorausgehende Psychopathologie
- familiäre Notlagen
- Intelligenzquotient
! ! ! ! ! ! ! ! !
Schreier et al AGP 2009
!
Cannabis
•
Große Unterschiede in der individuellen Sensibilität
Kein Psychoserisiko für die meisten Konsumenten 92-97%
Insges. Verdopplung der Schizophenie-Risikos RR 2.1
Dosis-Wirkungs-Beziehung
Cannabis für 8% der Inzidenz verantwortlich
ohne THC 8% weniger Schizophrenien
Migration
•
Dosis-Wirkungs-Beziehung:
•
Je größer die Diskriminierung desto höher das
Psychose-Risiko (1)
•
Je geringer der der Anteil an der Gesamtbevölkerung
desto höher das Psychose-Risiko (2,3,4)
(1) Vehling et al SPPE 2008 (2) Boydell et al. 2001 (3) Kirkbride et al 2007 (4) Veling et al AJP 2008
Migration
•
Migranten aus Entwickungsländern:
1. Generation: RR 2.3 (1,2)
2. Generation: erhöht (1) oder gleich (2)
•
•
Kulturabhängig grosse Unterschiede: bis zu RR 8.0
Schwarze Minderheiten:
1. Generation: RR 4.0
2. Generation: RR 5.4
(3)
(2)
!
(1) Cantor Graee et al (2) Bourque et al 2011 (3) Selten et al 2001
Migration
!
•
•
Ursachen nicht gesichert
•
Geringere Inzidenz bei asiatischen und türkischen Immigranten:
Bedeutung sozialer Netzwerke, sozialer Unterstützung,
sozialer Anerkennung
mögliche Ursachen:
Diskriminierung, soziale Exklusion, soziale Niederlage,
Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe der Eltern
Belastende Lebensereignisse
und
Stressoren im Allag
•
Belastende Lebensereignisse korrelieren mit der gegenwärtigen
prodromalen psychotischen Symptomen. (2)
•
Belastende Lebensereignisse verstärken kumulativ die
emotionale Reaktivität auf Alltagsereignisse. (3)
•
Tägliche Stressoren erhöhen die prodromalen positiven
psychotischen Symptomatik über 1 Jahr. (2)
•
Keine Auslöser sondern kumulative Erhöhung der Vulnerabilität
(1) Norman et al 1993 (2) Tessner et al 2011 (3) Myin-Germeys et al Psychol Med 2003
Straffälligkeit
•
Bei UHR- Individuen höhere Rate von Kriminalität und
Konflikten mit dem Gesetz und Verfahren an
Jugendgerichten. (1)
(1) Tessner et al 2011
Gen-Umwelt-Interaktion
•
•
Kohortenstudie in NL und Belgien über 3 Jahre
•
Erfasste Umweltrisiken: Kindliche Traumatisierung, Cannabis,
Urbanizität, Ethnische Minorität
•
Ergebnisse: Die Exposition mit Umweltrisiken ist sehr hoch.
Der Übergang in Psychosen ist stark abhängig von dieser
Exposition. Alle diese Umweltrisiken sind mit Übergängen in
Psychosen verbunden.
•
Die meisten Übergänge können starken Umwelteinflüssen
zugeschrieben werden, die gegen ein erhöhtes genetisches
Hintergrundrisiko arbeiten. („operating against“)
N = 810 Geschwister Erkrankter (nicht-affektive Psychosen)
N = 462 Gesunde ohne Familienannamnese für Psychosen
Nierop et al 2013
Gen-Umwelt-Interaktion
•
82% waren sowohl dem Proxie für ein genetisches Risiko
(erkrankter Geschwister) sowie auch Umweltrisiken
ausgesetzt.
•
18 % wiesen nicht diesen Proxie für ein genetische Risko auf.
Nierop et al 2013
Gen-Umwelt-Interaktion
•
Errechnete (,kausaler‘) Wirksamkeitsanteil für die spez. Risiken:
28% für ethnisch Minorität
45% für Geburt in einer Stadt,
57% für Cannabisgebrauch
86% für kindliche Traumatisierung
Nierop et al 2013
Welche Problemlagen sind bei Präventionsbemühungen zu erwarten?
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
frühe Verlusterfahrungen
unvollständige Familien
Psychische Erkrankungen in der Familie
Negative und positive psychiatrische Behandlungserfahrungen in der Familie
Traumatisierung der Eltern
Geringe elterliche emotionale und Bindungskompetenz
Kritische bis feindselige Familienatmosphäre
Physische Misshandlung
Sexueller Missbauch
Vernachlässigung
Emotionaler Missbrauch
Negatives Familienklima
Problemlagen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
fragmentierter unmittelbarer Sozialraum
Armut
Soziale Notlagen
Soziale Diskriminierung
Soziale Ablehnung
Bullying (in der Schule)
Belastende Lebensereignisse
Leben in einer ethnischen Minorität
früher Cannabisgebrauch
Straffälligkeit
Was tun?
Grundregeln zur Prävention
•
Je früher, desto
•
•
•
•
... vorsichtiger
•
•
.... kontextueller
•
.... bezogener auf die tätsächlichen Lebensprobleme
... distaler von der Psychiatrie
... störungsunspezifischer
... weniger Behandlung eines Syndroms als Arbeit mit den
potentiellen Risikofaktoren und protektiven Faktoren.
.... mehr unter Einbeziehung der Familie und anderer
wichtiger Bezugspersonen und Beteiligter
Fokus der psycho-sozialen Prävention
Unterstützung im Lebensfeld bei Problemlagen
zwischenmenschliche Beziehungen
Stress in Ausbildung und Beruf
sexuelle Erfahrungen in Adoleszenz nach kindl. Traumatisierung
soziale Ablehnung
Diskriminierung, Bullying
Cannabis (als Coping schwer aushaltbarer Emotionen)
Unterstützung bei vielfältigen sozialen/ökonomischen Notlagen
Migrationserfahrung
EIN PRÄVENTIONSPROJEKT
aus ...
... Finnland
JERI TEAM (Espoo)
•
Zielgruppe:
Hilfe suchende Personen Alter 12-22 J
Im Zustand eines Risikos, eine Psychose zu entwickeln.
•
Konzept
Analog der bedürfnisangepaßten Behandlung
niedrigschwellig
Ohne Stigma einer psychiatrischen Behandlung
•
Ort
Treffen in natürlicher Umgebung Schule, zu Hause ...
•
Erstes Treffen:
Mit den Eltern und dem „Community Co-Worker“, der ursprünglich
Kontakt mit dem Jeri-Team aufgenommen hat.
JERI TEAM - Konzept
•
3 Hauptaufgaben
•
1.) Identifizierung des potentiellen Risikos eine Psychose zu
entwickeln (PROD-Skala)
•
2.) Häufige Treffen mit Eltern und weiteren Professionellen in
der Gemeinde, um Wege zu finden, den aktuellen Stress bzw.
die Stressfaktoren zu vermindern und den Klienten zu
unterstützen, um in der Schule oder am Arbeitsplatz zurecht zu
kommen.
•
3.) den Klienten an adäquate psychiatrische Hilfe zu vermitteln,
wenn sich eine Psychose oder eine andere schwere
psychiatrische Störung entwickelt
Granö et al 2009
Beispiele
•
Bereich Schule:
Schikanieren in der Schule zu beenden, indem ein Sozialarbeiter
mit spezieller Kenntnis in der Verminderung von „Bullying“ in der
Schule in das Team zu integrieren.
Oder z.B. eine spezielle Hilfe bei Schwierigkeiten in der Schule zu
etablieren.
•
Bereich Familie:
Gemeinsame Treffen mit der Familie um interne Konflikte zu
vermindern und eine Unterstützung für de Klienten durch die
Familie zu erreichen.
Jeri-Team Konzept
•
Dauer
So lange bis sich alle sicher genug fühlen um ohne Hilfe
auszukommen oder nach gelungener Überleitung
in andere Hilfsangebote die mit dem Klienten und der
Familie ausgehandelt werden: psychiatrische oder
andere Hilfen.
JERI TEAM - Ergebnisse
•
•
•
528 Telefonkontake
•
90 ausgewertet
335 Treffen
210 Interview und Fragebogen zum Psychoserisiko
Davon:
100 nur 2 oder 3 Treffen, z.T. Weitervermittlung
90 mehr als 4 Treffen
35 davon mit erhöhtem Risiko für Psychosen
Altersdurchschnitt 15 Jahre
Anzahl der Treffen: Durchschnitt 11
Dauer 9 -11 Monate
Nach der Intervention:
73 keinen weiteren Bedarf
17 in psychiatrische Hilfe vermittelt
1 Klient Psychose entwickelt
JERI TEAM - Ergebnisse
•
Größere Veränderungen in den präpsychotischen Symptomen
korrelierten mit der Anzahl von Netzwerktreffen, (p = 0.001)
•
Größere Veränderungen in der Funktionsfähigkeit (GAF) korrelierten
mit der Anzahl von Netzwerktreffen mit den kooperierenden Kollegen
aber nicht mit den anderen Treffen. (p = 0.041)
•
Die Effektstärken für Veränderungen in der Funktionsfähigkeit (GAF)
waren sehr hoch in allen Gruppen. Bei 50 % der Gruppe mit dem
erhöhten Psychoserisiko verbesserten diese über den klinischen
Schwellenwert hinaus.
Granö et al 2011
JERI TEAM - Ergebnisse
•
53 % aller Betroffenen erreichten eine signifikante Verbesserung
der Lebensqualität auch von den Personen mit erhöhtem
Psychoserisiko.
•
„Die Resultate zeigen eine statistisch und klinisch
bemerkenswerte Verbesserung von Lebensqualität und
Funktionsfähigkeit durch bedürfnisangepaßte auf Familien und die
Gemeinschaft ausgerichtete Interventionen.“
•
Es könnte sein, dass Unterstützung im täglichen Leben und
bei den täglichen Problemen auf sehr konkrete Art und Weise
diese Jugendlichen besser hilft als die sonst übliche
Psychotherapie.
Granö et al 2013
Fokus der psycho-sozialen Prävention
•
Entwicklung von protektiven Faktoren in essentiellen
Beziehungen:
Vertrauen, Wechselseitigkeit, Kooperation,
gegenseitige Hilfe, Sicherheit, vertraute Personen
Aufbau eines verläßlichen, vertrauensvollen Netzwerks aus
privaten und professionellen Personen.
Fragen ?
•
Wie gehen wir therapeutisch mit der oft zu erwartenden
Traumatisierung um?
•
Was bedeuten diese für die sexuellen Erfahrungen in dieser
Altersgruppe und unserem Umgang damit?
•
Wie wichtig ist dabei die Wahl des richtigen Behandlers/
Beraters insbesondere hier für das Gelingen des präventiven
Vorsatzes?
Fragen
•
So schön der Slogan ist ... „Jeder kann eine Psychose
entwickeln“. Er scheint nicht zu stimmen.
Was bedeutet das?
•
Präventionsarbeit ist oft Randgruppenarbeit.
Dann spätestens wird es politisch.
Fragen
•
Mit Prävention läßt sich kein Geld mehr verdienen. Die
Neuroleptika sind aus dem Rennen. Die Neuroprotektiva
stehen nicht unter Patentschutz. An ihnen läßt sich nichts
verdienen. Ist nun der Drive raus aus den aufwendigen
randomisierten Forschungsprojekten?
!
Vielen Dank
für die
Aufmerksamkeit
Herunterladen